Das Buch Hiob (1)
Warum Leiden?

Willem Johannes Ouweneel

© SoundWords, online seit: 15.10.2006, aktualisiert: 29.04.2023

Leitverse: Hiob 1–3

Einleitung

Ich denke, liebe Freunde und Geschwister, dass ich euch nichts Neues erzähle, wenn ich bemerke, dass das Buch Hiob eines der merkwürdigsten Bücher ist, das wir in unserer Bibel haben; eines der schönsten Bücher, wenn man es nur aus Sicht der Sprache besieht, eines der ergreifendsten, beeindruckendsten Bücher.

Vor einigen Monaten lasen wir das Buch am Tisch [vermutlich mit der Familie vor oder nach dem gemeinsamen Essen, Anm. d. Übers.], und ich hoffe, dass ich niemanden damit erschrecke, dass wir das aus der „Groot Nieuws Vertaling“[1] taten. Der Vorteil dieser Übersetzung ist, dass man nicht die träge Übersetzung der „Statenvertaling“[2] hat, die besonders in diesem Buch sehr schwach und die schlechteste Übersetzung der Bibelbücher ist. Aber auch in der neuen Übersetzung [od. „Nieuwe Vertaling“] ist die Übersetzung allmählich wieder so getragen und heilig, dass es schwierig ist, durch die träge Sprache hindurchzusehen. Als ich selbst aus der „Groot Nieuws Vertaling“ in der Sprache von heute vorlas, so wie jemand, der in Not ist, heute seine Klage äußert, da schien es mir, als ob das Buch mich zum ersten Mal direkt ansprach.

Wenn man es zügig hintereinander durchliest – es war während eines Urlaubs, da hatte man mehr Zeit, es auf einmal durchzulesen –, entdeckt man die gewaltige „Ladung“, die Gott diesem Buch mitgegeben hat. Ich will versuchen, euch an vier Abenden etwas von dieser „Ladung“ mitzuteilen. Das ist sehr schwierig, weil es mich fordert und auch viel von euch fordert.

Eigentlich würde ich euch empfehlen, wenn ihr ein paar Stunden nichts zu tun habt, an einem Sonntagnachmittag, am Ruhetag oder so, das Buch Hiob zu nehmen und ohne Unterbrechung durchzulesen – und ihr dürft ruhig die Empfehlung von mir annehmen, eine moderne Bibelübersetzung zu nehmen, habt keine Angst davor. Ihr müsst aus Eisen oder Stahl sein, wenn nicht etwas von der Größe von dem, was da steht, einfach so auf euch abstrahlt und zu euch durchdringt. Es ist ein herrliches Buch und es ist ein sehr schwieriges Buch. Dennoch scheint es so, als ob das Schwierige nicht so auffällt, weil das, was in diesem Buch zur Sprache kommt, so lebensecht, uns so nahe ist, so vertraut, uns so nah am Herzen liegt, dass wir sozusagen durch ganz viel Schwierigkeiten hindurch sehen.

Ich werde euch auch wirklich nicht mit den Schwierigkeiten beschäftigen. Wir werden gar nicht Vers für Vers vorgehen, denn dann wären nicht fünf, sondern fünfundzwanzig Vorträge nötig. Ich will versuchen, euch die verschiedenen Typen aus den ersten Kapiteln vorzustellen, dann die verschiedenen Freunde, dann Elihu und schließlich die Antwort Gottes und das Ende der Geschichte Hiobs – oder, wie Jakobus 5 sagt: „das Ende des Herrn“; ein herrlicher Ausdruck. Das Buch endet mit dem „Ende des Herrn“, mit dem besonderen Ende, das der Herr für Hiob bereithielt. So will ich euch die großen Themen dieses Buches versuchen vorzustellen.

Das Rätsel des Leidens

Wisst ihr, was das Besondere an diesem Buch ist? In der „Brüderliteratur“ wird einleitend geschrieben, dass es in diesem Buch um das Rätsel des Leidens geht.

Das Besondere ist, dass dieses Buch wahrscheinlich das älteste Buch der Bibel ist. Nun ist es sehr schwer zu bestimmen, wann dieses Buch geschrieben wurde und ich will euch auch damit nicht bemühen. Gegenwärtig hat man schon einmal die Neigung, die Datierung der Bücher immer jünger festzuschreiben. Aber es gibt immer noch einige Argumente, das festzuhalten, was man jahrhundertelang geglaubt hat: dass nämlich dieses Buch bereits vor sehr langer Zeit niedergeschrieben wurde. Vielleicht schon – wiewohl das spekulativ ist – in der Zeit Moses.

Was aber noch wichtiger ist, ist, dass die Geschichte, die hier beschrieben steht, sehr alt sein muss. Vielleicht wurde das Buch Hiob schon geschrieben, bevor Mose die fünf Bücher geschrieben hatte – dann wäre es das älteste Buch der Bibel und das würde dann bedeuten, dass Gott uns in dem allerersten Bibelbuch (in jedem Fall ist es ein sehr altes Bibelbuch) mit einem Rätsel konfrontiert hat, das dem Menschen in der Tat am intensivsten und am meisten von allen Rätseln im Leben begegnet: mit dem Rätsel des Leidens. Ich sage mit Absicht nicht: mit dem Problem des Leidens. Das klingt so technisch. Es gibt Bibliotheken voller Bücher über das Problem des Leidens. Darin werden allerlei theologische und philosophische Abhandlungen über das Leiden präsentiert; alles ganz wichtig und zu seiner Zeit sicher der Mühe wert. Aber in diesem Buch haben wir keine theologische Abhandlung über das Leiden und die Formen, Gründe, Ursachen und Ziele des Leidens.

Das Thema des Buches Hiob

Dieses Buch behandelt nicht das Leiden an sich, sondern einen Leidenden, einen Menschen wie du und ich. Allerdings handelt es sich um einen Menschen aus einer lang verflossenen Zeit, nicht einmal um jemanden aus Gottes Volk, sondern um einen der Nachkommen Noahs, bei dem die lebendige Erinnerung an den Gott, der sich Noah und seinen Vätern offenbart hatte, noch wach geblieben war; jemand, der inmitten des Heidentums, das im Entstehen begriffen war, Gott diente. Das Buch verweist auf den ersten Götzendienst, der nach der Sintflut aufgekommen war: die Verehrung der Himmelskörper. Hier war jemand, der noch an Gott festhielt. Das Buch beschreibt uns seine Geschichte, nicht das Leid, sondern diesen leidenden Mann, der aber gleichzeitig als Prototyp für Millionen Menschen gilt, die Gott gekannt und gelitten haben.

Was helfen alle theologischen Abhandlungen über das Leiden, wenn man am Sterbebett eines Menschen steht oder am Bett eines Menschen, der schreckliche Schmerzen hat? Was macht man dann mit all den Abhandlungen, mit all den Spiegelungen? Dann kann man oft nur das tun, was die Freunde von Hiob taten, die später zwar argumentiert haben, das ist wohl wahr; aber ich denke, dass oft vergessen wird, dass sie, bevor sie redeten, sieben Tage und sieben Nächte schweigend auf dem Misthaufen bei Hiob gesessen haben. Lasst uns die Freunde nicht zu schnell verurteilen. Es gibt einiges zu beschuldigen, denn der Herr selbst hat sie am Ende des Buches streng bestraft. Aber eine Sache kann man den drei Freunden nachgeben: Sie verstanden es, mit einem Leidenden mitzuweinen. Ich denke, dass hier heute Abend keiner ist, der sagen kann, dass er schon einmal sieben Tage und sieben Nächte bei einem Leidenden still gesessen hat, nur um mit ihm oder ihr zu weinen. Das haben die Freunde nämlich getan! Hier sind all deine Abhandlungen zu Ende. Leider kam es bei den drei Freunde anders, als sie ihren Mund aufgetan haben. Darauf kommen wir noch zurück.

Zeitliche Einordnung der Geschichte Hiobs

Die Geschichte Hiobs muss, wie gesagt, sehr alt sein. Hiob hat ein sehr hohes Alter erreicht. Er hat nach seinem schrecklichen Leiden noch 140 Jahre gelebt. Das sind erzväterliche Lebzeiten. Er kann nicht mehr so jung gewesen sein, da er erwachsene Kinder hatte. Vielleicht ist er über 200 Jahre alt geworden. Das deutet an, dass wir Ihn in die Zeit der Erzväter oder noch früher, vor Abraham, platzieren müssen. Es gibt auch noch andere Hinweise: Wir hören hier noch nichts über ein Sündopfer. Als Hiobs Kinder gesündigt hatten, brachte er womöglich ein Brandopfer. Das ist typisch für die erzväterlichen Zeiten. Wir hören in den vielen Beschreibungen hier auch nichts über die großen Taten, die Gott an Israel getan hat. Diese hatten offensichtlich noch nicht stattgefunden.

Übrigens auch die einfache Tatsache, dass dieses Buch in die Bibel hineingekommen ist, spricht dafür, dass es ein sehr altes Buch ist. Man stelle sich vor, die Geschichte dieses Buches hätte in einer viel späteren Zeit stattgefunden. Uz, das ganz nahe beim Land Edom liegt, und dann so ein heidnischer Mann dort aus der Gegend von Edom – seine Geschichte hätten die Schriftgelehrten niemals in die Bibel aufgenommen. Aber dies ist ein Buch aus der Zeit vor Israel, möglicherweise sogar vor Abraham, Isaak und Jakob. Es beschreibt einen Menschen aus der grauen Vorzeit, einen der Nachkommen Noahs. Das ist sogar möglich – wiewohl ich mich darüber nicht weiter auslassen möchte, da ich darüber vor acht Jahren bereits eine ganze Artikel-Serie „Bijbel en Wetenschap“ [Bibel und Wissenschaft] geschrieben habe (für diejenigen, die es interessiert, denn es ist für unser Thema nur ein Neben-Schauplatz) –, denn wenn man die Verhältnisse des Klimas und viele andere Dinge in diesem Buch untersucht, dann sieht man noch sehr viel von den Spuren und den Nachwirkungen der ersten Jahrhunderte nach der Sintflut. So alt ist diese Geschichte.

Warum Hiob? Warum ich?

Gleichzeitig ist die Geschichte für uns heute aber so aktuell, weil sich Menschen, genau wie Hiob, immer noch die Frage stellen: Warum? Warum das Leid?

Es gibt viele Menschen, die genau wissen, warum sie leiden müssen. Sie wissen, dass das Leiden die direkte Folge ihrer eigenen Sünde ist. Menschen, die in ihrem eigenen Körper oder Leben die Folgen ihrer eigenen Taten wiederfinden, stellen die Warum-Frage nicht. Von diesen Menschen handelt das Buch auch nicht. Das Buch handelt von den Menschen, die nicht wissen, warum sie leiden, oder stärker ausgedrückt, die meinen, allen Grund zu haben, warum gerade sie am allerwenigsten für solche Prüfungen in Frage kommen. Dreimal lasen wir in Kapitel 1 und 2, dass Hiob ein vollkommener, rechtschaffener, gottesfürchtiger und das Böse meidender Mann war. Dreimal! Zweimal aus dem Mund Gottes persönlich. Wer von uns kommt für diese vier Qualifikationen in Frage: vollkommen, rechtschaffen, gottesfürchtig und das Böse meidend? Wir hätten gesagt, dass Hiob einer der Menschen ist, der nicht dafür in Frage kommt, so ein Leid zu erleben. Hiob war der Mann, der am meisten dafür in Frage käme, die Frage stellen zu können: Warum um Himmels willen?

Eines der Dinge dieses Buches, die am meisten überraschen und ergreifen, ist – das sag ich euch jetzt im Voraus –, dass im Wesentlichen die Antwort auf diese Frage nie gegeben wird. Und gerade das ist die Antwort. Das klingt eigenartig.

Gottes Allmacht und Liebe – kein Widerspruch

Die Antwort ist nicht, dass du genau erklärt bekommst, warum und wozu das Leiden nötig ist, sondern die Antwort am Ende des Buches ist – was wir später genauer sehen können –, dass die Größe Gottes, die Majestät Gottes, dessen Gedanken viel weiter gehen als unsere „Warums“, und dass seine Wege viel höher sind, als alles was wir denken, das Gott tun müsste. Gott behält seine Rätsel für sich und gibt uns in diesem Leben auf der Erde auf all unsere Rätsel gewöhnlich keine Antwort, sicherlich keine definitive Antwort. Er verweist uns auf seine Größe. Er wird oft in dem Buch„der Allmächtige“ genannt. Er verweist uns auf seine Allmacht, die aber nicht zu seiner Liebe im Gegensatz steht.

Wie viel haben die Menschen über die Allmacht und Liebe Gottes gestutzt!? Zweieinhalbtausend Jahre lang kann man Menschen sehen, die alle über das Leid theologisiert und philosophiert haben. Immer gab es Menschen, die gesagt haben, dass Gott in der Tat ein allmächtiger Gott ist und weil Er allmächtig ist, könne Gott kein Gott der Liebe sein, denn wenn Er ein Gott der Liebe wäre, dann würde Er in seiner Allmacht dem Leiden mit einem Mal ein Ende bereiten. Wenn Gott wirklich Liebe wäre, hätte Er auch in seiner Allmacht mit einem Mal dem Leid Hiobs ein Ende gemacht. Gott ist also wirklich allmächtig, aber Er kann niemals ein Gott der Liebe sein.

Und daneben gab es immer Menschen, die das Gegenteil gesagt haben: Gott ist ein Gott der Liebe; Gott ist aber nicht allmächtig. Gott wird selbst auch durch all die Plagen und Widerwärtigkeiten überfallen. Er leidet mit den Menschen mit, Er steht neben dem Menschen. Er kann am Leid nichts ändern. Aber in seiner Liebe wählt Er die Seite des Menschen. Er nimmt Partei für den Menschen. Er stellt sich im Leid neben ihn, um dem Menschen zu helfen, das Leid zu überwinden.

In der Geschichte des Christentums gab es Menschen, die gesagt haben: Gott ist ein Gott der Allmacht und Gott ist ein Gott der Liebe. Zu diesen Menschen gehöre ich auch und hoffentlich ihr ebenso. Wir sind diejenigen, die es am schwierigsten haben, dieser Welt heutzutage klarzumachen, wie es möglich ist, dass Gott allmächtig ist – dass Gott auch die Macht hat, das Leid aus deinem und meinem Leben und das Leid dieser Welt mit einem Mal wegzunehmen –, während dieser Gott gleichzeitig ein Gott der Liebe ist, der dennoch das Leid nicht wegnimmt.

Gott sieht nicht untätig zu

Nun sage ich euch gleich, dass wir für dieses Rätsel im Allgemeinen wohl eine Antwort haben, aber eine Antwort, die Hiob noch nicht kennen konnte. Diese Antwort ist das Kreuz von Golgatha. Das Rätsel von Gottes Allmacht und Liebe wäre in der Tat lösbar, wenn Gott wirklich nichts am Elend dieser Welt tun würde. Aber Gott tut etwas! Er hat etwas getan, das am Kreuz angefangen hat. Seit dem Kreuz ist Gott damit beschäftigt, auf die Vollendung hinzuarbeiten, zur vollen Verwirklichung aller Folgen des Kreuzes. Gott hat in seiner Allmacht und in seiner Liebe gehandelt. In seiner Allmacht hat Er die Sünden aller, die an Ihn oder an den Herrn Jesus glauben würden, auf seinen Sohn gelegt. Und seine Liebe ist, dass Er das Gericht nicht auf uns hat niederkommen lassen, sondern auf seinen Sohn. In Christus wird Gott einmal das Böse aus dieser Welt wegtun, die Sünde aus dem Kosmos wegräumen. Das ist seine Allmacht und das ist seine Liebe. Gott hat diese Welt nicht aufgegeben.

Sogar Hiob, der vom Kreuz nichts wissen konnte, konnte lernen zu bezeugen: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“ Das ist auf einmal eine neutestamentliche Anmerkung im Buch Hiob in Kapitel 19: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.“

Das Ende anschauen

Dort geht Hiob über sein Leid hinaus, und inmitten all seiner Jammerklagen schaut er eigentlich voraus zur Auferstehung, wie verschwommen sie für ihn auch noch gewesen sein mag: Schließlich „werde ich aus meinem Fleisch Gott anschauen“ (Hiob 19,26). Da lernt ein Mensch, auf das Ende vorauszuschauen. Darin liegt der Schlüssel. Die Frage nach der Liebe und der Allmacht Gottes weist nach vorn zur Vollendung.

Man kann das auch in anderen Teilen der Bibel sehen und es ist gut, darauf hinzuweisen, denn Hiob ist nicht der Einzige, der mit dieser Frage gerungen hat. Ein anderes ganz bekanntes Vorbild ist Asaph in Psalm 73, der auch mit der gleichen Frage gekämpft und einen Psalm geschrieben hat, um seinen Kampf zu Papier zu bringen. Er berichtet uns, wie er sich mit der Frage abplagte, wie es möglich ist, dass die Gottesfürchtigen in dieser Welt so häufig unterdrückt werden und leiden müssen und so viel Bedrängnis vonseiten der Welt, Krankheit und andere Widerwärtigkeiten zu ertragen haben, während es den Gottlosen prächtig geht. Diese haben nichts zu befürchten. Wie ist das möglich? Wie passt das mit einem Gott zusammen, der das Böse bestraft und das Gute belohnt? Wie kann es sein, dass die Guten leiden und die Bösen belohnt werden? So sieht es doch aus! Asaph sagt, dass er mit der Frage kämpfte, „bis dass ich hineinging in die Heiligtümer und jener Ende gewahrte“. Da erblickte er etwas vor dem Hintergrund der Zeit von Gottes Plänen, die in der Zukunft doch alles zurechtbringen. Denn dann wird sich zeigen, dass das Glück der Gottlosen nur zeitlich und nur ein Vorspiel für eine ewige Plage war und dass alles Leid, alle Prüfungen der Gläubigen ein Läuterungsprozess sind, der einer ewigen Glückseligkeit vorangeht. Das klingt billig, aber wer zu diesem Urteil und zu dieser Einsicht kommt, wer solche Kämpfe wie ein Hiob oder ein Asaph hat erleben müssen, für den ist das nicht ein Stückchen Theologie, keine Lehre, sondern eine tiefe und glückliche Sicherheit des Herzens geworden. Gott hat die Dinge in der Hand und schlussendlich wird alles gut. Nun sage ich noch einmal – und deswegen ist der Vers in Jakobus 5,11 so herrlich –: „das Ende des Herrn“. Das Buch beginnt mit dem Herrn und endet damit, was der Herr tut. Und schlussendlich – das gilt für alles Leiden des Menschen –, schlussendlich zeigt der Herr, dass Er voll Geneigtheit und Erbarmen ist, wenn es auch manchmal entsetzlich lange dauert und es ein schwieriger Weg ist, dies zu entdecken.

Drei Gründe für Leiden

Wenn ich euch doch ein wenig diese Frage „Was ist wohl das Ziel des Leidens?“ beantworten darf, dann denke ich, dass dieses Buch uns doch etwas über diese Dinge sagt, und sei es an der Oberfläche. Lasst mich euch drei Dinge aufzählen, wiewohl ich zögere, da ich sofort wieder in der Technologie lande, als ob man das technisch alles auseinanderdividieren könnte. Erhaltet nicht den Eindruck, als ob alles auf die ein oder andere Weise doch analysiert werden und ordentlich entfaltet werden könnte.

Ich möchte euch gern drei Bedienungsanleitungen mitgeben, drei Leitfäden, wenn es um die Absicht des Leidens geht.

Die zwei ersten Kapitel bilden eigentlich zusammen mit dem letzten Kapitel den historischen Rahmen, während das Innere des Buches ein langes Gedicht ist, eine poetische Sprache in herrlicher Poesie. Im Hebräischen kann man das natürlich viel besser sehen als in all unseren Übersetzungen. In herrlicher Poesie wird diese Frage behandelt, nicht auf wissenschaftliche Weise, sondern in Form eines Gedichtes.

1. Leiden lässt den Glauben hervorstrahlen

Im Rahmen der ersten beiden Kapitel sieht man die erste große Absicht des Leidens: Leiden dient dazu, den Glauben, der in den Kindern Gottes anwesend ist, ans Licht zu bringen.

Es hat mich immer getroffen, dass Hiob selbst nichts von den Gesprächen zwischen Gott und dem Teufel gewusst haben kann. Wenn ich dann noch anfüge, dass Hiob am Ende des Buches keine Erklärung für seine Leiden bekommt, dann muss man dabei bedenken, dass Hiob nichts von den Gesprächen im Himmel wusste. Wir wissen davon zumindest noch etwas, denn wir dürfen in den ersten zwei Kapiteln einen Blick in den Himmel werfen. Wir wissen, dass das Leiden Hiobs in jedem Fall eine direkte Folge der Unterhaltung zwischen Gott und dem Teufel war. Und ihr wisst, was da auf dem Spiel stand. Es ging darum, dass Gott dem Teufel den Beweis für den Glauben, der in Hiob anwesend war, liefern wollte. Gott kennt den Glauben sehr wohl. Gott hatte den Beweis nicht nötig. Aber Er wollte dem Teufel den Beweis liefern und über den Kopf des Teufels hinweg all den Millionen Menschen, die das Buch Hiob gelesen haben. Das ist dasselbe, was wir bei Abraham in 1. Mose 22 finden. Gott wollte seinen Glauben auf die Probe stellen. „Nach diesen Dingen geschah es, dass der Herr Abraham versuchte …“

Auf die Probe stellen: Es ist wie bei einem Waffenschmied, der ein herrliches, unüberwindbares Schwert geschmiedet hat. Er kennt sein Handwerk. Er weiß, was er gemacht hat. Er kennt die Tauglichkeit dieses Schwertes. Er hat den Beweis nicht nötig, da er es selbst gemacht hat. Dennoch möchte er, um dem Käufer gegenüber die Tauglichkeit zu beweisen, diesen Beweis liefern. Der Beweis sind Schläge, die man mit dem Schwert austeilen kann.

Gott kennt das, was Er in Hiob selbst durch seinen Geist gewirkt hat: „vollkommen, rechtschaffen, gottesfürchtig, das Böse meidend“. Das sind übrigens keine Dinge, die ein Mensch aus sich selbst heraus hat; das ist Gnade Gottes. Und Gott selbst will dem Teufel beweisen, dass dasjenige, was Er in Hiob selbst gewirkt hat, taugliches Material ist: Gold und Silber. Ihr wisst, dass, wenn man Gold und Silber ins Feuer bringt, es dann geläutert wird und es daraus nur noch leuchtender und schöner hervorgeht. Gott bringt seine Kinder manchmal in den Schmelztiegel, damit das Gold noch leuchtender wird, und dass das Gold beweist, rein und sauber zu sein. Gott liefert den Beweis. Der Teufel fordert Gott heraus. Er sagt: Nimm Hiob alles weg, dann wirst du sehen, dass er sich von dir lossagen wird.

Als das misslingt, sagt er: Taste nun seinen Körper, sein Leben an. Du wirst sehen, dass er es dann tun wird. Aber auch als Hiob durch eine schreckliche Krankheit geschlagen wird, lesen wir: „Bei diesem allem sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen.“ Wisst ihr, in gewissem Sinn hätte das Buch hier zu Ende sein können. Wenn es nur um so etwas gegangen wäre wie in 1. Mose 22 die Versuchung von Abrahams Glauben, als Gott ihn bat, seinen Sohn zu opfern, dann hätte das Buch mit den ersten beiden Kapiteln enden können. Dann hätten wir die Diskussion zwischen Gott und Satan gehört. Dann hätten wir Satan als den „Verkläger der Brüder“ gesehen, wie er in Offenbarung 12 genannt wird und wie wir ihn zum Beispiel in Sacharja 3 finden, wo er den Hohenpriester Josua anklagt. Wir hätten gehört, wie Gott über den Kopf von Hiob hinweg über dessen Glauben gesprochen hat; wir hätten dann gesehen, wie Hiob geschlagen wurde und wie er trotz alledem an seinem Glauben festhält und beim ersten Mal sagt: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gepriesen.“ Beim zweiten Mal sagt er: „Sollten wir das Gute Gottes annehmen und das Böse nicht?“ (Hiob 2,10). Welch ein Glaubenszeugnis! Das Buch hätte hier am Ende des zweiten Kapitels zu Ende sein können. Wir hätten dann ein kleines Buch in der Bibel gehabt, dessen Lektion gewesen wäre, dass Gott solche Glaubenshelden auf dieser Erde hat, dass, wenn Er sie ins Feuer zur Läuterung bringt, Satan beschämt zurückweichen muss. Gott läutert die seinen, damit dem Teufel und der ganzen Welt sichtbar wird, welch pures Gold und pures Silber Gott in den seinen gewirkt hat.

2. Leiden = (Er-)Ziehen

Aber, liebe Freunde, so einfach ist das nicht. Wenn das Buch so geendet hätte, wäre es – mit aller Ehrfurcht gesprochen – ein billiges Buch gewesen. Dann hätten all die Gläubigen, die nicht solche Glaubenshelden sind, die es nicht einfach fertigbringen zu sagen: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gepriesen“, die hätten dagestanden. Dann hätten sie nebst all ihrem Leid auch noch die Enttäuschung – ich möchte fast sagen die Frustration – gehabt, dass sie darüber hinaus noch schlechte Christen sind, die mit einem Mann wie Hiob nicht zu vergleichen sind, der in dem allem nicht sündigte und den Namen des Herrn weiter pries und der es fertig brachte zu sagen: „Sollten wir das Gute von Gott annehmen und das Böse nicht?“

Liebe Freunde, hier endet das Buch nicht und ich werde es stärker formulieren: Hier fängt es erst an. Das Zutreffende ist, dass ab Kapitel 3 Satan nicht mehr ins Bild kommt. Satan spielt hier nur noch eine Nebenrolle. Hier ist die Rolle Satans zu Ende. Man könnte es so formulieren: In Kapitel 1 und 2 hat Gott mit Satan ein Hühnchen zu rupfen und zeigt ihm das pure Gold, das in Hiob anwesend ist, und Satan dreht ab. Aber wenn Satan einmal von der Bildfläche verschwunden ist, fängt es erst an. Jetzt sagt Gott mit Ehrfurcht gesprochen: So Hiob, jetzt ist der Satan nicht mehr dabei, jetzt ist es eine Sache zwischen mir und dir. Denn ihr dachtet doch hoffentlich nicht, dass Gott Hiob einfach so Satan anvertraut hatte?! Dass Gott einfach so mit seinen Kindern spielt und sie einfach so in die Hände des Teufels übergibt?! Nein! Achtet genau darauf, dass die ganze Initiative nicht von Satan ausgegangen ist, sondern von Gott. Satan kam nicht zu Gott, um Hiob anzuklagen, sondern Gott ist es, der das Gespräch beginnt und zum Teufel sagt: „Hast du achtgehabt auf meinen Knecht Hiob?“, sowohl beim ersten, wie auch beim zweiten Mal. Es war nicht der Teufel, der angefangen hat. Der Teufel ist schlussendlich nichts anderes als ein Instrument in der Hand Gottes. Wiewohl der Teufel die Personifizierung des Bösen ist, ist er niemals eine selbstständige Macht gegen Gott. Er ist zwar ein Geschöpf Gottes, als guter Engel geschaffen, aber in Sünde gefallen und dadurch ein Feind Gottes geworden, der aber auch als Feind Gottes schlussendlich nichts anderes ist als ein Instrument in der Hand Gottes, um nur zu bewerkstelligen, was Gott will und auch keinen Schritt weiter zu gehen als das.

Nur so kann man zum Beispiel das Rätsel begreifen, das wir in 2. Samuel 24 lesen, dass der Zorn Gottes gegen David entbrannte, weil Er [Gott] ihn gereizt hatte, eine Volkszählung durchzuführen, während in 1. Chronika 21 steht, dass Satan David dazu reizte. Viele Menschen haben darin einen Widerspruch gesehen. Aber wenn wir Hiob 1 und 2 sehen, dann sehen wir, dass es überhaupt kein Widerspruch ist. Gott gebraucht Satan. Schlussendlich ist es Gott, der Hiob krankt macht und Satan ist nur ein Instrument in Gottes Hand, um das auszuführen, was Gott selbst mit Hiob tun wollte. Achtet gut darauf! Hiob hat vollkommen recht, wenn er sagt: „Der Herr hat gegeben“, und: „Der Herr hat genommen.“ Hiob hat sich nicht vertan. Denkt nicht, dass Hiob hätte sagen sollen: Der Herr hat gegeben und der Satan hat genommen. Hiob sagt, was viele Christen auch sagen sollten, um nicht dem Satan die Ehre zu geben, als ob er wirklich die Ursache für die Dinge wäre, die uns überkommen. Hiob lässt Satan einfach links liegen, und zwar nicht deswegen, weil er nichts von den Gesprächen im Himmel wusste, sondern weil sein Glaube nur mit Gott zu tun hatte und weil er im Glauben wusste, dass er die Dinge aus der Hand Gottes anzunehmen hatte, so wie es in Sonntag 10 des Heidelberger Katechismus steht[3], dass die Dinge, die uns im Leben begegnen, uns durch Gottes gute Vaterhand zufallen. So spricht der Gläubige, der den Teufel einfach außer Acht lässt. Er weiß, dass der Teufel ein Instrument in Gottes Hand sein kann. Aber man darf sich nicht zu viel mit dem Teufel beschäftigen. Der Gläubige nimmt es aus Gottes Hand entgegen: „Sollten wir das Gute von Gott annehmen und das Böse nicht?“ Der Teufel spielt im Denken Hiobs überhaupt keine Rolle.

Seht ihr das: Der Teufel spielt in Wirklichkeit in der ganzen Geschichte gar keine Rolle. Er ist nur Instrument. Gott nimmt die Initiative, Er bringt das Gespräch auf Hiob und gebraucht den Teufel als Instrument, um Hiob krank zu machen, denn Gott hat seinen eigenen Weg mit Hiob zu gehen. In den beiden Kapiteln sehen wir die Läuterung und Prüfung des Glaubens Hiobs. Hiob kommt daraus genau so zum Vorschein hervor, wie Gott das dem Teufel gegenüber beweisen wollte. Aber wenn der Teufel einmal von der Bildfläche verschwunden ist, ist es nur noch eine Sache zwischen Hiob und Gott selbst.

Wisst ihr, das macht das Buch für mich gerade so wertvoll, so lebensecht, so richtig menschlich. Als erste Reaktion hatte Hiob gesagt: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen“ – das ist die erste Reaktion des Glaubens, bis der Rückfall kommt. Hiob muss schon lange auf dem Misthaufen gesessen haben, als seine Freunde von weit her aus Teman und all den anderen Orten zu ihm gekommen waren. Hiob hatte viel Zeit, um nachzudenken und dabei verschwindet die erste Glaubensreaktion.

Bei uns in der Nähe ist vor einiger Zeit ein Kind ertrunken und die anderen Leute in der Umgebung mussten zu den Eltern gehen, um die schreckliche Botschaft zu überbringen, dass das kleine Kind ins Wasser gefallen war. Die erste Reaktion der Mutter an der Tür war: „Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen, der Name des Herrn sei gepriesen.“ Derjenige, der die Botschaft brachte, sagte: „Ich erschauderte.“ Das ist zwar eine überzogene Reaktion, aber ich kann sie verstehen. Aus solch einer ersten Reaktion eines Gläubigen spricht der Glaube. Ich will gern annehmen, dass das wirklich eine Glaubensaussage der Frau war. Ich habe nicht gehört, wie es weiterging, aber ich weiß sicher, dass sie später einen schrecklichen Rückfall erlitt, als tatsächlich zu ihr durchdrang, was geschehen war.

Genau das sieht man bei Hiob. Da gibt es bereits eine Veränderung von Kapitel 1 zu Kapitel 2. In Kapitel 1 steht: „Bei diesem allem sündigte Hiob nicht“, und in Hiob 2,10 steht: „Bei diesem allem sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen.“ Könnt ihr zwischen den Zeilen lesen? Da fangen die Gedanken in einem zu stürmen an. Da kommen Fragen auf, auf die man keine Antworten hat, das Brausen in der Seele eines Menschen beginnt … bis dass Hiob sich nicht länger beherrschen kann: Nachdem auch die Freunde noch sieben Tage und sieben Nächte mit Schweigen bei ihm verbracht hatten, steht dort (Kap. 3,1): „Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen (Geburts-)Tag.“

Ab hier hören wir nicht mehr den Hiob, der gesagt hat: „Der Name des Herrn sei gepriesen“. Wir hören keinen preisenden Hiob mehr, sondern einen fluchenden Hiob. Nicht, dass er den Herrn verflucht! Das hatte seine Frau getan: „Sage Gott Lebewohl“ – „ segne Gott“, sagt die Statenvertaling. Das ist jedoch ein (…) abgeschwächter Ausdruck, der in Wirklichkeit bedeutet: „Verfluche Gott“. Ein Gott, der dich so straft, Hiob, obwohl du so dein Bestes gegeben hast, sagte seine Frau, du hast so getreu gedient, aber was hast du an so einem Gott, der dich jetzt so leiden lässt; sage diesem Gott „lebe wohl“. Hiob verflucht Gott nicht und er tut das nirgends in dem Buch. Aber er verflucht wohl seinen Geburtstag und das ist indirekt eine heftige Anschuldigung Gott gegenüber. Warum hast du mich geboren werden lassen? Warum muss das alles über mich kommen? Warum muss ich diesen Weg gehen? Hättest du mich doch als Missgeburt zur Welt kommen lassen, so dass ich das Licht nie gesehen hätte, so dass ich aus dem Mutterschoß direkt in den Tod, direkt ins Grab gegangen wäre.

Wisst ihr, das ist echt. Wenn das Buch bei Hiob 2,13 geendet hätte, hätten wir ein ganz schönes liebliches kleines Buch gehabt, an dem kein Mensch etwas gehabt hätte, denn das Leben des Menschen ist nicht so einfach gestrickt. Es gibt zwei Kapitel, um den Glauben Hiobs ans Licht zu bringen, aber es sind vierzig Kapitel nötig – und nun komme ich zur zweiten Absicht des Leidens –, damit Gott zu seinen eigenen Zielen mit dem Leben und Leiden Hiobs kommt. Zwei Kapitel waren nötig, um den Teufel beschämt abziehen zu lassen, vierzig Kapitel waren für Gott nötig, um mit Hiob zu seinem Ziel zu kommen. Danach passiert etwas Wunderbares, denn wir hören von diesem Hiob – von dem wir dreimal lesen, dass er vollkommen, rechtschaffen, gottesfürchtig und das Böse meidend war – am Ende von Kapitel 42: „Mit dem Gehör des Ohres hatte ich von dir gehört, aber nun hat mein Auge dich gesehen. Darum verabscheue ich mich und bereue in Staub und Asche.“

Wisst ihr, dass es möglich ist, vollkommen, rechtschaffen und gottesfürchtig zu sein, vom Bösen zu weichen und doch niemals so mit Gott konfrontiert worden zu sein – ich hätte fast gesagt: mit Gott zusammengeprallt zu sein? Hiob prallt in diesem Buch auf heftige Weise mit Gott zusammen. Gott bringt die Dinge ins Leben dieses Menschen, der ein so ruhiges, vor sich hin plätscherndes Leben, mit einer prächtigen Familie von zehn Kindern, mit gewaltigem Reichtum hatte, der ein Mann war, der jeden Tag in Luxus und Wohlfahrt verbringen konnte, wiewohl er doch ein vollkommener und rechtschaffener Mann war, gottesfürchtig und das Böse meidend. Ein Mensch, der ein so glatt laufendes Leben ohne jeglichen Schlag hat, so ein Mensch kann eigentlich nichts von Gott wissen, auch wenn er die Bibel auswendig kennen würde. Denn Christ zu sein bedeutet nicht, die Bibel auswendig zu kennen und zu bestimmten Zeiten zu beten und in die Zusammenkunft von Gläubigen zu gehen; Gott kennen kann bedeuten, mit Gott zusammenzuprallen und solch einen Streit, solch einen Kampf durchzumachen. Wie viele Gläubige gibt es wohl, die bezeugt haben, dass sie Gott erst durch den Weg des Leidens richtig kennengelernt haben? Durch die Schläge, die sie im Leben erlebt haben, durch Prüfungen in schwierigen Augenblicken, die in diesen Augenblicken keine Freude waren, so wie Hebräer 12 es sagt: „… die für die Gegenwart nicht ein Gegenstand der Freude sind … aber hernach die friedsame Frucht der Gerechtigkeit bringen“?

Wenn Menschen darauf zurückblicken, sagen sie: Diese Erfahrung möchte ich für kein Geld der Welt vermissen. Menschen, die in den Konzentrationslagern gewesen sind, haben gesagt: Diese Monate/Jahre möchte ich für kein Geld der Welt missen. Aus meinem Mund klingt das billig. Ich gebe nur weiter, was andere sagen. Menschen, die das erlebt haben, sagen uns: Da habe ich Gott so kennengelernt, wie ich Ihm vorher nie begegnet bin. Gott war für mich jemand, von dem ich gehört habe.

Wenn man die Bibel liest, hört man von Gott. Aber Gott begegnen, Auge in Auge mit Ihm zu stehen und dann mit der Reaktion Hiobs zu kommen, der sagte: Ich verabscheue mich … ich tue Buße, erniedrige mich selbst, ich beuge mich nieder in Staub und Asche …

Bei Abraham hören wir nach der Prüfung seines Glaubens in 1. Mose 22 nicht vierzig Kapitel über einen tiefen Weg, den er zu gehen hatte. Wisst ihr, warum nicht? Weil Abraham vor 1. Mose 22, in Kapitel 18 schon gesagt hatte: „Ich bin Staub und Asche.“ Das geht noch weiter als: „Ich tue Buße in Staub und Asche.“ Abraham hatte auch schon einiges hinter sich, um zu dieser Einsicht zu kommen. Das sind Dinge, liebe Freunde, die man nicht lernen kann. Die klingen billig, wenn man sie so nachspricht. Das sind Dinge, die darf man erst sagen – und die sollte man auch nicht laut sagen –, wenn man wie Abraham, wie Hiob ganz allein mit Gott ist. Die Dinge muss man in der Stille zu Gott sagen, und zwar als Frucht tiefer Seelenübungen, bei denen man das gelernt hat, dass man wirklich nichts in sich selbst ist. Aber dann auch wirklich nichts, indem dein ganzes Standbild bis zum Boden abgerissen wird. Hiob mit all seiner Vollkommenheit, mit all seiner Gerechtigkeit, mit all seiner Gottesfurcht und seinem Weichen von dem Bösen hatte vierzig Kapitel nötig, um das Standbild, welches er sich vor seiner Seele aufgebaut hatte, in Schutt fallen zu lassen, bis dass er nichts war und zu Gottes Füßen lag. Nicht nur zu den Füßen eines allmächtigen Gottes, sondern eines liebenden Gottes, dem er sich ganz übergeben konnte und von dem er sagen konnte: „Mein Auge hat dich gesehen“, und: „Ich verabscheue mich und bereue in Staub und Asche.“

Das ist das zweite große Ziel des Leidens: Erziehung. Wir haben damit oft Mühe. Wisst ihr, dass das Wort „Zucht“ ursprünglich im Niederländischen „Erziehung“ bedeutet? Wir haben oft Mühe, Erziehung und Strafe voneinander zu unterscheiden. Manche Eltern wissen in der Erziehung nicht viel anderes zu tun als zu strafen. Das nennen sie dann Erziehung. Sogar das Missverständnis, das unter dem Wort Zucht verstanden wird, als wenn Zucht nur Strafe bedeuten würde. Zucht kommt ursprünglich von demselben Wortstamm wie Erziehung. Im Deutschen kann man das noch sehen: Zucht und Erziehung. Darin enthalten ist das Wort für Ziehen. Zucht ist Erziehung/Ziehen, so wie man ein Kind auch einmal strafen muss. Aber diese Strafe ist eine andere als die eines Richters und es ist auch etwas ganz anderes als das ewige Gericht. Ein Kind wird nicht gestraft, um es aus dem Haushalt zu entlassen und das Band mit dem Kind zu zerschneiden, sondern damit das Kind zum Vater und zur Mutter zurückkehrt, gerade weil es dein Kind ist, gerade weil du es lieb hast.

3. Leiden kann Bestrafung sein – bei Hiob auch?

Nun komme ich zum dritten Aspekt des Leidens. Das ist die Theorie, die die Freunde Hiobs vertreten, wiewohl ich darüber jetzt noch nicht so viel sagen möchte.

Es ist auffallend, wie sehr diese Theorie noch immer vorhanden ist, wie viele Christen oder Menschen, die christlich sind, Anhänger der Theorie der drei Freunde Hiobs sind. Es ist, als wenn die Freunde Hiobs vergeblich da gewesen sind oder die Wut des Herrn gegen die drei Freunde Hiobs vergebens gewesen ist, was diese Menschen betrifft. Wisst ihr, was diese Theorie beinhaltet? Es ist ein ganz einfacher Gedankengang. Die Theorie ist: Hiob! Gott ist ein Gott von Güte und Gerechtigkeit, der das Böse straft und das Gute belohnt. Wenn du, Hiob, also durch Gott gestraft wirst, dann kann das nichts anderes bedeuten, als dass du schwer gesündigt haben musst. Das magst du heimlich getan haben, aber dann decke es auf.

Wie viele Menschen wird es wohl heute geben, die so sprechen. In manchen Kreisen ist man darin sehr stark. Wenn ein Gläubiger einen schweren Schlag im Leben erleiden muss, dann gibt es sogleich Menschen, die sagen: Das wird wohl die Strafe Gottes sein, weil du dies oder das getan hast. Das Erste, was sich daraus ergibt, ist, dass diese Menschen Gott selbst nicht kennen. Die Menschen, die so sprechen, kennen Gott nur als einen rächenden Gott, als einen schrecklichen Gott. Die Statenvertaling sagt auch oft „ein furchtbarer Gott“, wo eine neue Übersetzung zu Recht sagt „ein zu fürchtender/gefürchteter Gott“. Das Wort „furchtbar“ zeigt schon deutlich an, in welcher Atmosphäre diese Menschen leben. Sie kennen auch nicht den Gott der Liebe, sie kennen nur den strafenden, den rächenden Gott, den Gott der eisernen Gerechtigkeit. Sie können sich genau wie die Freunde Hiobs nur einfallen lassen, dass Gott Hiob wohl schwer strafen muss, weil Hiob schwer gesündigt haben muss.

Jeder hat dafür seine eigene Methode, seine eigene Beweisführung und das werden wir an den folgenden Abenden miteinander überdenken, welcher Art Beweise die drei Freunde für ihre Theorien anführen. So weit sind wir jetzt noch nicht. Aber ich will schon einmal dies hinzufügen, auch wenn ich etwas vorauslaufe, dass Hiob eigentlich derselben Theorie anhängt. Als Hiob seine Klage als Antwort auf die Freunde ausspricht, sagt er eigentlich dies: In der Tat, Gott straft Menschen für ihre Sünden aber ich weiß, dass ich keine schwere Sünde auf dem Gewissen habe. Ich weiß, dass ich unschuldig bin und wenn Gott mich also dennoch straft – ich traue mich fast nicht, es zu sagen; und man sieht diesen Kampf auch bei Hiob, der sich auch fast nicht traut, dies zu sagen –, dann muss Ungerechtigkeit bei Gott selbst sein. – Er zieht dieses Fazit nicht ganz, aber er ruft und schreit wohl zu Gott: Wie kann es sein? Wenn es wahr ist, dass du die Sünde strafst und dass du Leid als Strafe für die Sünde bringst, ich aber nicht gesündigt habe und vor deinem Angesicht unschuldig bin, warum strafst du mich dann so? Warum besorgst du mir all dieses Leiden und das Leid? Warum muss dies alles über mich kommen?

Und so geht das in all den Kapiteln, bis dass Gott selbst seine Antwort gibt, die ich zu Anfang schon beschrieben habe, seine Antwort, die eigentlich keine Antwort ist. Als Antwort sagt Gott eigentlich nur: Jetzt kann Ich das etwas klarer machen, und sagt zu Hiob: Hiob, weißt du eigentlich, wer Ich bin, zu dem du so sprichst? Weißt du eigentlich, wie groß Ich bin und wie klein du bist? Weißt du eigentlich, Hiob, wie weit Ich über deine „Warums“ erhaben bin, dass du mich zur Verantwortung zu rufen traust? Dass du mich wie jemanden deinesgleichen zur Verantwortung rufst, als ob du mich beschuldigen oder anklagen könntest? Hiob, weißt du eigentlich, wie groß Ich bin und wie klein du bist? – Das ist die Antwort. Die Antwort ist, dass wir es mit einem Gott zu tun haben, dessen Gedanken höher sind als unsere Gedanken und dessen Wege höher sind als unsere Wege (Jes 55). Das ist Gott und das sind wir. Und das ist so lebensecht, so einfach – und deswegen gibt es kein Bibelbuch, worin mehr und deutlicher sichtbar wird, wer der Mensch und wer Gott ist, als in diesem Buch, in dem wahrscheinlich ältesten Buch der Bibel.

Hiobs Opfer für seine Kinder

Lasst mich euch noch ein paar Besonderheiten aus den Kapiteln erzählen, die wegen der groben Linie nicht direkt zum Vorschein kommen, auf die ich euch aber hinweisen möchte.

Das Buch erzählt anfangs über den gewaltigen Reichtum Hiobs. Und dann lesen wir in Vers 4 und 5 – das ist eines der Details, das ich nicht übergehen möchte – etwas über die Gottesfurcht Hiobs.

„Und seine Söhne gingen hin und machten in dem Hause eines jeden ein Gastmahl an seinem Tage; und sie sandten hin und luden ihre drei Schwestern ein, um mit ihnen zu essen und zu trinken. Und es geschah, wenn die Tage des Gastmahls herum waren, so sandte Hiob hin und heiligte sie“, d.h. sprach mit ihnen über das, was sie getan hatten und weihte sie wieder erneut dem Herrn, damit in ihren Leben trotz der Feste nichts hineinkommen würde, das die Beziehung zum Herrn zerstören würde, wenn sie nicht schon gestört war. Dann steht da noch:„Und er stand des Morgens früh auf und opferte Brandopfer nach ihrer Zahl; denn Hiob sprach: Vielleicht haben meine Kinder gesündigt und sich in ihrem Herzen von Gott losgesagt. Also tat Hiob allezeit.“

Es ist sehr bezeichnend, dass wir dies lesen als Zeichen der Gottesfurcht Hiobs. Die Gottesfurcht zeigt sich nicht durch allerlei Wohltaten, die Hiob verrichtet hat, herrliche Taten, nach außen sichtbar, sondern er tat dies in seiner eigenen Familie, an den eigenen erwachsenen Kindern, die schon selbstständig waren und eigene Häuser hatten und wahrscheinlich auch schon eigene Familien. Hiob war so beschäftigt mit seiner Familie, dass er für jeden von ihnen ein Brandopfer brachte, als sie so zusammen waren; zehn Brandopfer. Wie schön lässt sich das im Licht des Neuen Testaments begreifen, wo wir den Herrn Jesus als das wahre Brandopfer sehen, als denjenigen, der sich Gott vollkommen geopfert hat. Vom Brandopfer steigt der Wohlgeruch zu Gott auf, so dass Gott an dem Menschen auf der Grundlage des Brandopfers Wohlgefallen hat. Wenn man das neutestamentlich übersetzt, ist das eine Handlung eines jeden gottesfürchtigen Vaters und einer jeden gottesfürchtigen Mutter, die Kinder so zum Herrn zu bringen. Nicht, weil die Kinder aus sich selbst heraus aus der Sicht des Vaters wohlgefällig sein könnten, sondern man bringt sie dem Herrn auf der Grundlage des Opfers des Herrn Jesus. Nur durch den Wohlgeruch dieses Brandopfers können auch unsere Kinder vor Gott angenehm sein. Nicht aufgrund dessen, was sie in sich selbst sind, sondern auf der Grundlage dessen, was der Herr Jesus für das Herz Gottes ist.

Satan bei Gott im Himmel?

Eine weitere Besonderheit, auf die ich euch aufmerksam machen möchte, ist die, dass Satan hier einfach so zu Gott in den Himmel kommen kann. Man findet das vielleicht eigenartig, weil Satan doch eigentlich aus Gottes Gegenwart verstoßen wurde. Es geht hier aber eigentlich nicht direkt um Gottes Gegenwart. Hier geht es, was wir oft in der Schrift haben, um den Thronsaal Gottes in Verbindung mit seiner öffentlichen Regierung über Erde und Kosmos. Dort hat der Satan Zutritt und kommt auch dahin. Wiewohl er die Personifizierung des Bösen ist, kommt er nicht drum herum, hier vor Gott Verantwortung abzulegen. Zu diesem Zweck kommt er zwar nicht – er kommt, um anzuklagen –, aber die Folge ist, dass er auch Verantwortung ablegt. Der Teufel kann nicht anders, als seinem Wesen entsprechend und seiner Art gemäß zu handeln, nämlich böse. Er ist der Menschenmörder, der Lügner von Anfang, wie Johannes 8. Deswegen kann er nicht anders, als immer wieder zu Gott zu gehen, um die Brüder anzuklagen. Ich sagte schon, dass wir diesen Typus in Offenbarung 12 finden: „Verkläger der Brüder“. Das Wort Teufel kommt vom griechischen Wort diabolos, was es tatsächlich auch bedeutet, so wie Satan „Widersacher“ bedeutet. Er ist der große Widersacher Gottes.

Ich habe euch schon gesagt, wie Gott auf seinen Knecht Hiob hinweist und das Augenmerk auf ihn richtet. Daraufhin kommen zwei Reaktionen von Satan, zunächst bei der ersten Gelegenheit und dann in Kapitel zwei bei der zweiten Gelegenheit. Achtet einmal auf die tiefe Wahrheit, die in den Worten Satans verborgen ist. Vielleicht darf ich euch vorher noch auf die seltsame Tatsache hinweisen, dass das eines der seltenen Momente ist, in der wir Satan sprechen hören. Das ist ein großes Ereignis hier. Wenn ich richtig gerechnet habe, gibt es nur drei Momente in der Bibel, in denen wir Satan sprechen hören: das erste Mal im Garten Eden durch den Mund der Schlange, und zwar um den Menschen zu verführen, was zum Sündenfall führte. Das dritte Mal ist es in der Wüste bei der Versuchung des Herrn Jesus, wo der Teufel Ihm gegenüber Wort führt, Worte, die in der Schrift aufgezeichnet sind. Hier haben wir das zweite Mal. Hier geht es um eines der Kinder Gottes, um dich und mich. Diese drei Male sind sehr bezeichnend. Darin findet sich sozusagen eine Linie.

Der Teufel und Gott haben ein Gespräch über uns. Wir sind der Gegenstand dieser Besprechung. Und achtet jetzt auf die Wahrheit in den Worten des Teufels. Die Wahrheit ist: Ach, nimm dem Menschen mal alles weg. Solange Gott gut für ihn sorgt, solange es ihm prächtig geht, will der Mensch Gott gern dienen. Aber wehe, wenn es schwierig wird. Wenn er Schwierigkeiten bekommt, wird er schnell umgeworfen. – Wir sind dann in der Tat unvermittelt durcheinander und zu Boden geworfen. Nun ist die Logik dessen, was der Teufel sagt, nicht besonders stark, denn es ist oft so, dass der Mensch nicht nach Gott fragt, wenn es ihm gut geht. Das ist auch beim Gläubigen so: Gerade wenn es ihm prächtig geht, erschlafft sein geistliches Leben. Oft ist es genau umgekehrt, dass nämlich in Zeiten großer Plagen – wie zum Beispiel im Mittelalter –, dass gerade dann die Kirchen wieder voll sind und gerade dann die Menschen Gott wieder um Hilfe anrufen. Nach der Befreiung [nach dem Zweiten Weltkrieg] waren alle Kirchen voll, um dem Herrn zu danken. Später ist das mächtig abgeflacht. Also, vielmehr ist es so, dass die Menschen in Not wieder lernen, zum Herrn zu rufen.

Hiobs Glauben – Satans Niederlage

Dennoch steckt ein Kern von Wahrheit in dem, was der Teufel sagt. Er ist bekannt für Halbwahrheiten. Ein Kern von Wahrheit steckt darin: Viele Gläubige sind auf ihre Weise vollkommen und gerecht, gottesfürchtig und das Böse meidend, bis dass ein Schlag in ihr Leben kommt und dann sind sie nirgendwo – wie der Ausdruck wörtlich meint. Wenn dann auf einmal der Glaube auf die Probe gestellt wird, wo ist dann dein Vertrauen auf den Herrn? Sie „verlieren komplett ihren Kopf“ – bei Hiob kam das erst viel später – und fangen an zu rufen: Wo ist Gott? Wie kann Gott das jetzt machen? Warum hat Gott das in meinem Leben zugelassen? – Wie viele Gläubige werden es sein, die sich das nie fragen, solange es einen Mitbruder, eine Mitschwester betrifft? Sie gucken zwar mitleidig und trauern, soweit es geht, mit und sagen: Meine Güte, was ist das schlimm. Aber sobald sie das Trauerhaus verlassen haben und die Trauernden hinter sich gelassen haben, gehen sie zur Tagesordnung über.

Wir sind schlechte Tröster, bis dass das Unheil uns selbst trifft – oft ist das aber nicht so – und stellen dann auf einmal die Frage: Warum tut Gott mir das an? Fragen, die wir uns angesichts all der Tausenden, Millionen Gläubigen, die in dieser Welt zu leiden haben, niemals vorher gestellt haben. So egozentrisch sind wir oft. Lasst uns, bevor wir in späteren Kapiteln negative Dinge über Hiob bemerken, erst einmal mit tiefen Respekt für diesen Glaubenshelden beginnen. Ihm wurde alles abgenommen: Seine Rinder und seine Eselinnen wurden gestohlen, das Feuer Gottes verbrannte die Schafe, die Chaldäer raubten ihm seine Kamele und schließlich kamen alle zehn Kinder in einem schrecklichen Sturm um. Welcher Mensch hat je zehn Kinder auf einmal verloren? Welcher Mensch wurde je so geschlagen wie Hiob? Dennoch hat er dann gesagt:„Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen.“ Die Geschichte ist so radikal. Man könnte sagen, dass es in der Geschichte keinen Mensch gegeben hat, dessen Leid das des Hiob übertroffen hätte.

Zu diesem Zeitpunkt war sein Körper noch nicht angetastet worden. Sein Leid war so groß! Könnt ihr euch das überhaupt vorstellen, dass all der Besitz mit einem Mal weggenommen wird; und auch noch deine Kinder, die zehn Kinder? Und eigentlich verliert er auch noch seine Frau. Über sie hören wir in der späteren Geschichte nichts mehr. Sie hatte Gott in ihrem Herzen schon lange Lebewohl gesagt und dadurch hat sie eigentlich auch von ihrem Mann Abschied genommen. Schließlich bleibt er allein übrig, gequält von einer schrecklichen Krankheit, bis dass er eine Scherbe nötig hatte, um sich wegen des schrecklichen Juckens und der Schmerzen zu kratzen, um dann zu sagen: „Sollten wir das Gute aus der Hand Gottes annehmen und das Böse nicht?“ Ich eile etwas voraus. Aber wenn Satan zum zweiten Mal zu Hiob kommt, sagt der Herr zu ihm: „Noch [trotz allem, was du ihm getan hast] hält er fest an seiner Vollkommenheit, wiewohl du mich wider ihn gereizt hast, ihn ohne Ursache zu verschlingen.“ Und dann sagt Satan: Ja, aber eine Sache hast du ihm noch nicht abgenommen. Er sagt das merkwürdige Wort: „Haut um Haut, ja, alles was der Mensch hat, gibt er um sein Leben.“ Er sagt sozusagen: Fordere doch mal seine Haut. – Ein Mensch kann alles verlieren und ist eigentlich nur noch so egozentrisch, dass er froh ist, sein kleines Herz gerettet zu haben. Und da sagt Satan: Probiere mal, hier dranzugehen. Berühre ihn einmal selbst. Taste seinen Körper einmal an und schlage ihn selbst. Bring ihn an den Rand des Todes, dann wird er einknicken. Und die Antwort Hiobs ist: „Sollten wir das Gute von Gott annehmen und das Böse nicht?“ So spricht er. Aber ich sage euch noch einmal zu Vers 10: „Bei diesem allem sündigte Hiob nicht mit seinen Lippen“, dass da schon die ersten Fragen in seiner Seele aufkommen.

Hiob und Gott

Als Hiob dann auf dem Misthaufen sitzt, kommen seine drei Freunde zu ihm, um ihn zu trösten, ihn zu beklagen – so steht es dort. Er sah so schrecklich aus, dass sie ihn nicht erkannten, als sie zu ihm kamen. Sie setzen sich zu ihm, zerreißen ihre Kleider, streuen Asche auf ihre Köpfe himmelwärts, so wie es zu dieser Zeit Brauch war. Sie saßen bei ihm sieben Tage und sieben Nächte auf dem Boden. Und keiner sprach ein Wort zu ihm, denn sie sahen, dass sein Schmerz sehr groß war. Und dann kommt die Klage.

Was würdet ihr gesagt haben, wenn ihr solche Worte aus dem Mund eines Gläubigen gehört hättet? Man muss versuchen, sich da hineinzuversetzen. Denn ich sage noch einmal: Bevor wir die Freunde Hiobs beschuldigen, muss man sich wirklich einen Moment lang versuchen vorzustellen, was man selbst gesagt hätte, wenn man bei einem Gläubigen zu Besuch gewesen wäre, der so geschlagen worden ist (so schlimm wird man es wohl nicht erleben), schwere Schläge vom Herrn erleben musste und der dann sagt: Wäre ich doch nie geboren! Der seinen Geburtstag buchstäblich verflucht, so wie es in Vers 1 steht und mit fast heidnischen Worten ausdrückt: Lass mich tot sein, denn da gibt es keinen Unterschied mehr, da ist wenigstens alles vorbei, da ist das Ende des Lebens, da ruht der Mensch, da hat der Mensch auch kein Wissen mehr über die Dinge, die sind, da ist es wenigstens vorbei; wäre ich doch tot … Was würdest du bei einem Gläubigen gesagt haben? Wie oft haben wir nicht – bevor wir über die Freunde etwas sagen, was wir beim nächsten Mal tun müssen – billige Ermahnungen ausgeteilt, billige Trostworte gesprochen bei Menschen, die so geschlagen waren, während es uns selbst an nichts fehlte? Billig haben wir den Zeigefinger gebraucht, wenn jemand in der tiefsten Not solch dunkle Worte gesprochen hat.

Bedenke, dass Jeremia (Jer 20,14-18) auch seinen Geburtstag verfluchte. Er hat das persönlich aufgeschrieben, inspiriert durch den Heiligen Geist, was nicht heißen will, dass die Worte inspiriert waren, die er sprach, sondern es war inspiriert durch den Heiligen Geist, dass er die Worte, die er gesprochen hatte, aufschreiben musste. Einer der größten Propheten des Alten Testaments kommt in tiefe Enttäuschung und Verbitterung, ist in Israel ganz auf sich allein gestellt, alle haben ihn im Stich gelassen haben, keiner hört mehr auf ihn – stellt euch das einmal vor, dass ihr der einzige Christ in den Niederlanden wärt und dass ihr an den Ecken der Straße Zeugnis geben müsstet und ausgelacht würdet und keiner mehr etwas mit euch zu tun haben wollte und ihr ganz allein wäret … Könnt ihr euch dann nicht vorstellen und euch da hineinversetzen, dass man so weit kommen kann – wenn man dann nur nicht Gott verflucht, nein!, davor wird man dann noch bewahrt –, aber dass man denkt: Wäre ich doch tot? So steht das hier eigentlich, geschmückt mit poetischen Worten zwar, aber eigentlich steht hier einfach: Wäre ich doch tot. Halte den ermahnenden Zeigefinger dann bei dir. Ich denke, dass wir weniger reden müssten und mehr lernen sollten zu weinen. Das haben die drei Freunde getan. Erst als Hiob diese Worte ausgesprochen hatte, konnten sie sich nicht länger beherrschen. Und so ist es uns auch oft gegangen: leidige Tröster, Menschen, die es schafften, auch dann noch zu ermahnen, wenn jemand so schwer von Gott geschlagen worden ist. Wir können eisenhart sein, kalt und gefühllos, bis dass es uns selbst überkommt.

Ich hörte von jemandem, der ein Kind verloren hat, dass er sagte: Ich habe Hunderte Briefe und Karten mit Beileidsbekundungen bekommen, und jetzt weiß ich, welche Fehler ich selbst gemacht habe, als ich früher solche Beileidsbriefe schrieb. Ich würde sie nie wieder so schreiben. Ich werde sie anders schreiben. – Er sagte auch, dass der einzige Trost, den er empfunden hatte, von Menschen kam, die selbst so etwas erlebt hatten. Ja, wir sind armselige Tröster. Er hatte gelernt, wie er es nicht machen sollte, wie er es anders machen würde bei einer nächsten Gelegenheit. Wie wenig können wir in das Leid eines anderen hineindringen, darin mitfühlen, dass ein Mensch so weit kommen kann, dass er sagt: Es hat keinen Sinn mehr, wäre ich doch tot, wäre ich doch nie geboren.

Wenn ein Mensch das wirklich als einen tiefen Seufzer, aus seinem tiefsten Innern aufkommen lässt, dann würde ich fast sagen, dass man als Mensch aus Respekt vor der Traurigkeit des Andern schweigen muss. Denn das möchte ich euch sagen, dass wir mit unserem Zeigefinger dies aus dem Buch Hiob lernen können – neben vielen anderen Dingen, die wir zu lernen haben –, dass Gott Hiob nie einen Vorwurf gemacht hat. Er hat Hiob wohl sehr schwierige und tiefe Lektionen lernen lassen und ihn ernst angesprochen, aber wegen dieser Dinge hat er Hiob nie einen Vorwurf gemacht.

Gott ist viel gnädiger als wir. Gott hat den drei Freunden das schwer übelgenommen, obwohl die drei Freunde viel Wahres gesprochen haben. Aber Wahrheit zum falschen Zeitpunkt – kaltblütige Wahrheiten –, eine Wahrheit zum falschen Zeitpunkt ist eine Lüge! Wisst ihr das? Eine Wahrheit, ausgesprochen zu einem Zeitpunkt, an dem man das Gegenteil hätte sagen müssen, ist eine Lüge. Sie haben Böses über meinen Knecht Hiob gesprochen, sagt der Herr, macht aber nie einen Vorwurf an Hiob selbst. Gott hat, wenn ich es so mit Ehrfurcht und menschlich sagen darf, das Leid Hiobs respektiert. Gleichzeitig musste Hiob aber zu dem Punkt kommen, dass er nicht mehr verfluchte, sondern sich selbst verabscheute in Staub und Asche.

Wenn der Herr uns Gnade schenkt, werden wir an den kommenden Abenden den Weg Hiobs verfolgen. Es wird nicht so sein – wiewohl der Titel das anzudeuten scheint –, dass wir uns mit den drei Freunden als solchen beschäftigen, sondern auch mit den Antworten, die Hiob auf das gegeben hat, was seine Freunde zu sagen hatten.

Eigentlich ist der Aufbau des Buches natürlich anders. Eliphas, Bildad und Zophar haben geredet, danach hat Hiob immer geantwortet und anschließend gab es einen zweiten Zyklus. Allerdings will ich versuchen, euch immer ein Portrait jedes Einzelnen dieser drei Freunde zu geben und von der Art der Argumente, die sie vorbringen. Das sind Argumente, die man heute noch überall hören kann. Die christliche Welt ist voll von Eliphassen und Bildads und Zophars mit all ihren gut gemeinten und vielleicht auch schlecht gemeinten Ratschlägen. Wir werden auf die Antworten Hiobs hören, die er gegeben hat, bis dass Hiob dahin gekommen ist, wo Gott ihn haben wollte. Lasst uns von dem Buch lernen, damit Gott uns da hinbekommt, wo Er uns haben will und wir klein werden.

Johannes der Täufer mit der Hiobs-Botschaft

Darf ich euch vielleicht noch eine Sache sagen? Ich kenne einen Mann aus der Bibel, der genau das sagte, der es vom Herrn Jesus sagte, was aber aufs Gleiche hinauskommt: „Er muss wachsen, ich aber abnehmen.“ Das ist ein schönes Wort, wurde aber zu früh ausgesprochen, denn Johannes der Täufer kam ins Gefängnis und dann fing für ihn die Hiobs-Erfahrung an. Er bekam auch Schwierigkeiten. Nicht nur Schwierigkeiten mit dem, was der Herr Jesus tat, und mit der Frage, ob der Herr Jesus es wirklich war, sondern Schwierigkeiten mit sich selbst. „Er muss wachsen, ich aber abnehmen.“ Im Gefängnis ist sich Johannes allerdings selbst im Weg: Wie kann Er mich hierlassen, während Er die Augen der Blinden öffnet, die Lahmen gesund macht, die Tauben hören lässt, Dämonen austreibt? Keine Macht kann vor Ihm bestehen und mit einem Wort könnte Er die Mauern des Gefängnisses zusammenfallen lassen und mich befreien. Warum befreit Er mich nicht? Warum mich nicht? Warum mich nicht? Wer so spricht, ist nicht mehr klein, ist nicht mehr ganz unten. Dann entstehen die Probleme. Wie oft haben wir herrliche Worte gesprochen und Zeugnis abgelegt wie ein Hiob, wie ein Johannes, bis dass wir in den Schmelzofen kamen. Erst dann kommt richtig ans Licht, was auf dem Boden unseres Herzens verborgen ist, was Gott schon weiß und was wir noch entdecken müssen, um durch die Erfahrung hindurch wie ein Hiob und ein Johannes Ihn wieder größer und uns selbst ganz klein werden zu lassen.


Übersetzung: Stephan Winterhoff

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Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Groot Nieuws Vertaling: Niederländische Bibelübersetzung von 1996 in moderner Sprache, herausgegeben von der niederländischen Bibelgesellschaft in Zusammenarbeit mit der katholischen Bibelstiftung.

[2] Anm. d. Red.: Statenvertaling: Eine der ältesten niederländischen Bibelübersetzungen, von 1637, vergleichbar mit der englischen King-James-Bibel. Sie hatte, ebenso wie die Luther-Bibel die deutsche Sprache formte, großen Einfluss auf die Entwicklung der Sprache in den Niederlanden und wird vor allem in den konservativen reformatorischen Kirchen, in den Versammlungen der Brüder und den unabhängigen Baptistengemeinden gelesen.

[3] Anm. d. Red.: Der Heidelberger Katechismus ist in 129 Fragen und Antworten eingeteilt. Diese sind in 52 „Sonntage“ eingeteilt, anhand derer die Prediger in einem Jahr alle Themen behandeln konnten. Die 52 Sonntage sind in drei Gruppen eingeteilt: Sündenerkenntnis, Erlösung und Dankbarkeit.

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Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

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