Das Buch Daniel (7)
Kapitel 7

Hamilton Smith

© SoundWords, online seit: 19.06.2011, aktualisiert: 02.06.2020

Leitverse: Daniel 7

Die vier Tiere

Das siebente Kapitel bildet die Einleitung zum zweiten Abschnitt des Buches Daniel. In diesem Abschnitt haben wir nicht länger die Auslegungen von Träumen und Botschaften, die heidnischen Königen gegeben wurden, sondern Offenbarungen und Auslegungen von Visionen, die Daniel selbst gegeben wurden.

Das gesamte Buch behandelt, wie wir gesehen haben, die Zeiten der Heiden. In Bezug auf diese Zeitperiode werden uns zwei große Themen vor Augen geführt: erstens, in Daniel 1 bis 6, das Versagen der Heiden bei ihrer Verantwortung, in der Furcht Gottes zu herrschen, was in Abfall vom Glauben und im Gericht endet; zweitens, in den Kapiteln Daniel 7 bis 12, die Lebensumstände der Juden während dieser Zeit. Folglich werden die vier großen heidnischen Weltreiche noch einmal an uns vorbeiziehen, nun aber in ihrer Beziehung zu dem jüdischen Volk und ihrer Behandlung, nicht nur dieses Volks als ganzem, sondern auch des gottesfürchtigen Überrestes aus diesem Volk. Wir werden erfahren, dass Gott, wenngleich Er sein Volk züchtigt, doch immer einen Überrest als Zeugen für sich bewahrt und nie seine Absicht aufgibt, das Volk unter der Herrschaft Christi wieder in den Segen einzusetzen.

Das siebente Kapitel bringt uns noch einmal die vier großen heidnischen Weltreiche vor Augen, aber nicht als imposantes Standbild, wie sie den Menschen erscheinen, sondern so, wie Gott sie sieht, und daher in Form von Tieren dargestellt.

Das Kapitel enthält drei unterschiedliche Visionen und ihre Deutungen:

  1. Daniel 7,1-6: die Vision der vier Tiere mit Details der ersten drei
  2. Daniel 7,7-12: die Vision, die einen detaillierten Bericht über das vierte Tier gibt
  3. Daniel 7,13.14: die Vision von der Herrschaft des Menschensohnes
  4. Daniel 7,15-28: die Deutung dieser Visionen.

1. Die erste Vision (Dan 7,1-6)

Vers 1

Dan 7,1: Im ersten Jahr Belsazars, des Königs von Babel, sah Daniel einen Traum und Gesichte seines Hauptes auf seinem Lager. Dann schrieb er den Traum auf, die Summe der Sache berichtete er.

Man hat festgestellt, dass die Prophezeiungen von Daniel anders als alle anderen Prophezeiungen im Alten Testament sind, insofern als sie nicht direkt an Gottes Volk gerichtet sind. Während der Zeit der Gefangenschaft werden die Juden nicht länger öffentlich als das Volk Gottes anerkannt; daher werden jegliche Mitteilungen, die Gott macht, nicht an sie gerichtet, sondern an Daniel persönlich. Dennoch lesen wir, dass Daniel den Traum aufschrieb und die Summe der Ereignisse berichtete. So wurden diese Visionen, die die Zukunft der Welt entfalten, zur Unterweisung von Gottes Volk in allen Zeitaltern aufgezeichnet.

Verse 2.3

Dan 7,2-3: 2 Daniel hob an und sprach: Ich schaute in meinem Gesicht in der Nacht: Und siehe, die vier Winde des Himmels brachen los auf das große Meer. 3 Und vier große Tiere stiegen aus dem Meer herauf, eins verschieden vom anderen.

In seiner Vision sieht Daniel das große Meer, das von den vier Winden des Himmels aufgewühlt wird. Das Meer wird in prophetischen Schriften verwendet, um „Völker und Völkerscharen und Nationen und Sprachen“ (Off 17,15) darzustellen. Die vier Winde des Himmels scheinen darauf hinzudeuten, dass es in jedem Teil der Erdkugel ein Vorsehungshandeln Gottes gibt, das es der Welt erlaubt, in einen Zustand der Anarchie und Revolution zu fallen.

Aus diesem aufgewühlten Meer steigen nacheinander vier große Tiere auf, alle voneinander verschieden. Aus der Deutung, die folgt, scheint schlüssig hervorzugehen, dass diese vier Tiere einen anderen Aspekt der vier großen Weltreiche darstellen, die bereits in der Statue aus Nebukadnezars Traum abgebildet wurden. In der Vision von der Statue wurden diese Weltreiche als imposante aber immer geringer werdende Mächte, wie die Menschen sie sehen, dargestellt. Hier werden dieselben Weltreiche in einer Form dargestellt, die ihren fortlaufenden moralischen Verfall in den Augen Gottes ausdrückt. Grausamkeit, Selbstsucht und Raubgier ohne Anerkennung oder Erkenntnis Gottes kennzeichnen das Tier; und solcher Art sind die ernsten Merkmale der Weltreiche während der Zeiten der Heiden, bis das Königreich Christi aufgerichtet wird.

Vers 4

Dan 7,4: Das erste war gleich einem Löwen und hatte Adlerflügel; ich schaute, bis seine Flügel ausgerissen wurden und es von der Erde aufgehoben und wie ein Mensch auf seine Füße gestellt und ihm ein Menschenherz gegeben wurde.

Das erste Tier „war gleich einem Löwen und hatte Adlerflügel“. Andere Schriftstellen führen zu der Schlussfolgerung, dass dieses erste Tier Babylon, das erste Weltreich, beschreibt. Im Jeremia 4,7 bezieht sich der Prophet mit dem Symbol eines Löwen auf Babylon. In Hesekiel 18 [sic., eigentlich Kapitel 17 (Anm. d. Übers.)] wird Babylon mit einem Adler verglichen. Wiederum werden in Jeremia 49,19.22 beide Symbole benutzt, um Babylon in seiner Macht und Majestät sowie auch die Schnelligkeit seiner Eroberungen darzustellen.

Des Weiteren sieht der Prophet eine bemerkenswerte Veränderung an dem Tier: Die Flügel wurden ausgerissen, und das Tier wurde wie ein Mensch auf seine Füße gestellt, und es wurde ihm ein menschliches Herz gegeben. Die ausgerissenen Flügels scheinen darauf hinzudeuten, dass die schnellen Eroberungen des Weltreiches aufhören würden. Ein Löwe, der wie ein Mensch auf seinen Hinterbeinen steht und das Herz eines Menschen hat, hat weder Würde noch Kraft, und dies deutet anscheinend auf das hin, was tatsächlich passierte, als Babylon seiner Würde als Weltmacht beraubt wurde und es zu einer bloßen, dem persischen Weltreich unterworfenen Provinz wurde.

Vers 5

Dan 7,5: Und siehe, ein anderes, zweites Tier, glich einem Bären; und es richtete sich auf einer Seite auf, und es hatte drei Rippen in seinem Maul zwischen seinen Zähnen; und man sprach zu ihm so: Steh auf, friss viel Fleisch!

Das zweite Tier „glich einem Bären, und es richtete sich auf einer Seite auf“, und es hatte drei Rippen in seinem Maul. Dieses steht sicherlich für das medo-persische Weltreich, das auf das babylonische Weltreich folgte. Es setzte sich aus zwei Nationalitäten zusammen, wobei das persische Volk über dem medischen stand. Wir wissen, dass es Darius, der Meder, war, der Babylon einnahm, wenngleich kurz danach Cyrus, der Perser, die große Macht in dem Weltreich wurde. Die drei Rippen im Maul deuten wahrscheinlich auf den raubgierigen Charakter des Weltreiches hin, das andere Völker gnadenlos verschlang.

Vers 6

Dan 7,6: Nach diesem schaute ich, und siehe, ein anderes, gleich einem Leoparden; und es hatte vier Vogelflügel auf seinem Rücken; und das Tier hatte vier Köpfe, und Herrschaft wurde ihm gegeben.

Das dritte Tier war „gleich einem Leoparden“, aber mit vier Vogelflügeln auf dem Rücken und mit vier Köpfen. Diese Zeichen beschreiben anschaulich den Charakter und die Geschichte des griechischen Weltreiches. Die vier Flügel beschreiben treffend das Ungestüm und die Geschwindigkeit der Eroberungen Alexanders des Großen, durch welche das griechische Reich in seine Vormachtstellung gelangte. Die vier Köpfe scheinen auf die vier Königreiche hinzudeuten, in die das Weltreich nach dem Tod Alexanders schließlich zerteilt wurde.

2. Die zweite Vision (Dan 7,7-12)

Vers 7

Dan 7,7: Nach diesem schaute ich in Gesichten der Nacht: Und siehe, ein viertes Tier, schrecklich und furchtbar und sehr stark, und es hatte große, eiserne Zähne; es fraß und zermalmte, und das Übriggebliebene zertrat es mit seinen Füßen; und es war verschieden von allen Tieren, die vor ihm gewesen waren, und es hatte zehn Hörner.

Das vierte Tier, das hauptsächlich Ereignisse prophezeit, die noch geschehen müssen, ist von so großer Wichtigkeit, dass Daniel in einer zweiten Version Genaueres darüber erfährt. In der Natur existiert nichts, mit dem dieses Tier verglichen werden kann. Es wird absichtlich als unnatürliches Ungeheuer dargestellt, das im Betrachter Schrecken und Entsetzen hervorruft. Es hat große eiserne Zähne; es frisst um sich und zermalmt; und was es nicht verschlingt, das zertritt es mit seinen Füßen. Es ist ganz anders als die vorigen Tiere und hat zehn Hörner.

Wahrscheinlich würden alle darin übereinstimmen, dass dieses Tier ein Symbol des römischen Weltreiches ist, das durch seine überwältigende Stärke und durch die Furcht, die es in den Völkern der Welt erweckte, gekennzeichnet wurde. Mit seiner unaufhaltsamen Macht der Eroberung und Ausweitung brachte es andere Völker unter seine Tyrannei, während diejenigen, die sich weigerten, sich unterzuordnen, vernichtet wurden.

Vers 8

Dan 7,8: Während ich auf die Hörner achtgab, siehe, da stieg ein anderes, kleines Horn zwischen ihnen empor, und drei von den ersten Hörnern wurden vor ihm ausgerissen; und siehe, an diesem Horn waren Augen wie Menschenaugen und ein Mund, der große Dinge redete.

Die Wichtigkeit dieses Weltreiches im Unterschied zu den ersten drei Reichen liegt darin, dass es das Reich ist, das in den letzten Tagen der Zeiten der Heiden existieren wird, also dasjenige, das mit Christus und seinem Volk in Kontakt kommt, und damit die Macht, die durch das Königreich Christi gerichtet und beiseitegesetzt werden wird. Dieses Reich wird also in der nahen Zukunft der Welt noch eine große Rolle spielen. Dieser zukünftige Aspekt des Römischen Reiches kommt in dem Teil der Vision, wo von den zehn Hörnern und dem kleinen Horn die Rede ist, vor uns. Dieses kleine Horn hatte die Augen eines Menschen und einen Mund, der große Worte redete.

Die Deutung wird uns weitere Details über diese zehn Hörner und das kleine Horn liefern. Hier reicht es aus, anzumerken, dass die zehn Hörner uns eindeutig in die Zukunft führen, wo das Römische Reich in einer Form von zehn Königreichen unter einem Oberhaupt wiederbelebt werden wird (siehe Off 13,1; 17,12).

Verse 9-10

Dan 7,9-10: 9 Ich schaute, bis Throne aufgestellt wurden und ein Alter an Tagen sich setzte: Sein Gewand war weiß wie Schnee und das Haar seines Hauptes wie reine Wolle, sein Thron Feuerflammen, dessen Räder ein loderndes Feuer. 10 Ein Strom von Feuer floss und ging von ihm aus; tausendmal Tausende dienten ihm, und zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm. Das Gericht setzte sich, und Bücher wurden geöffnet.

Die zweite Vision, die das vierte Tier beschreibt, sagt auch das Gericht über das Tier voraus. Daniel sieht eine Vision des ewigen Gottes – Eines, der uralt war an Tagen –, der auf dem Thron des Gerichts sitzt. Wir wissen, dass Christus ebenfalls der Uralte an Tagen ist – eine göttliche Person sowie der Menschensohn. Im ersten Kapitel der Offenbarung wird Er als der Richter dargestellt mit all den Eigenschaften, die den Uralten an Tagen im Buch Daniel kennzeichnen. Außerdem sieht Daniel nicht nur den Thron des Uralten an Tagen, sondern er sieht andere Throne, die aufgestellt wurden. Diese Throne beziehen sich offenbar auf die Throne der Heiligen, die in diesem Gericht über die lebenden Völker mit Christus verbunden sein werden. Auf sie wird in der Offenbarung wieder Bezug genommen, wenn der Apostel Johannes sagt: „Ich sah Throne, und sie saßen darauf, und es wurde ihnen gegeben, Gericht zu halten“ (Off 20,4; 1Kor 6,2).

Um den Thron herum sind tausende von Engelwesen. Der Vollzug des Gerichts ist eine der Funktionen der Engel. Die Passage, die das Gericht über die lebenden Völker in Matthäus 25 schildert, beginnt, indem sie beschreibt, wie der Menschensohn zu seinem Thron der Herrlichkeit kommt „und alle Engel mit“ (Mt 25,31).

Vers 11

Dan 7,11: Dann schaute ich wegen der Stimme der großen Worte, die das Horn redete: Ich schaute, bis das Tier getötet und sein Leib zerstört und dem Brand des Feuers übergeben wurde.

Hier befasst sich das Gericht insbesondere mit dem kleinen Horn und dem Tier, über das es herrschte. Der unmittelbare Anlass für das Gericht ist die „Stimme der großen Worte, die das Horn redete“. Die lästerliche Missachtung Gottes, die das letzte Oberhaupt des wiederbelebten Römischen Reiches kennzeichnen wird, wird ein schnelles und erdrückendes Gericht über sich selbst und sein Herrschaftsgebiet hereinbrechen lassen. Man tut gut daran zu beachten, dass das Gericht, von dem Daniel spricht, nicht das Jüngste Gericht des großen weißen Thrones ist, wenn die Toten auferweckt und gerichtet werden. Daniel spricht von dem Gericht über die lebenden Völker, welches der Herrschaft Christi vorausgehen wird, aber vornehmlich in Verbindung mit dem Römischen Reich und seinem Oberhaupt betrachtet.

Vers 12

Dan 7,12: Und was die übrigen Tiere betrifft: Ihre Herrschaft wurde weggenommen, aber Verlängerung des Lebens wurde ihnen gegeben bis auf Zeit und Stunde.

Das vierte Tier kommt unter das direkte Gericht Gottes. Den ersten drei Tieren wurde ihre Herrschaft weggenommen. Sie verloren ihre weltweite Macht, aber nicht durch direktes Gericht, sondern auf den Wegen der Vorsehung. Trotz des Machtverlustes wurde ihnen Lebensdauer gegeben bis auf Zeit und Stunde. Obwohl sie ihre Vormachtstellung verloren, existieren sie immer noch als Völker, so schwach sie auch geworden sein mögen.

3. Die dritte Vision (Dan 7,13.14)

Verse 13.14

Dan 7,13.14: 13 Ich schaute in Gesichten der Nacht: Und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie eines Menschen Sohn; und er kam zu dem Alten an Tagen und wurde vor ihn gebracht. 14 Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten ihm; seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen wird, und sein Königtum ein solches, das nie zerstört werden wird.

Das Gericht über das Tier macht den Weg frei für die Errichtung des Königreiches Christi. Dieses herrliche Ereignis wird in einer dritten Vision vorhergesagt, in der Daniel einen wie eines Menschen Sohn sieht, der mit den Wolken des Himmels kommt. Er empfängt sein Reich als Mensch von Gott, dem Uralten. Sein Herrschaftsgebiet umspannt die ganze Welt und umfasst „alle Völker, Nationen und Sprachen“ Seine Herrschaft wird ewig sein, sein Reich nicht wie andere Königreiche vergehen. Es wird nie zerstört werden.

4. Die Deutung der Visionen (Dan 7,15-28)

Verse 15.16

Dan 7,15.16: 15 Mir, Daniel, wurde mein Geist in mir tief ergriffen, und die Gesichte meines Hauptes ängstigten Mich 16 Ich trat zu einem der Dastehenden, um von ihm Gewissheit über dies alles zu erbitten. Und er sagte mir, dass er mir die Deutung der Sache kundtun wolle:

Als direkte Auswirkung dieser Visionen wurde Daniel bekümmert und erschreckt. Es muss in diesen drei Visionen viel gegeben haben, das Daniel nicht verstehen konnte, aber er erkannte zumindest, dass sie eine Zeit der Prüfung und des Leides für sein geliebtes Volk vorhersagten.

Ohne göttliche Unterweisung ist Daniel genauso wenig in der Lage, seine eigenen Träume zu deuten wie die der heidnischen Könige. Also näherte er sich „einem der Dastehenden, um von ihm Gewissheit über dies alles zu erbitten“. Wir erfahren nicht eindeutig, wer die „Dastehenden“ waren. Wahrscheinlich bezieht es sich auf die Engel, die in der Vision vor dem Uralten standen. Derjenige, an den Daniel sich wendet, ist offensichtlich vertraut mit den Gedanken Gottes und dazu gesandt, wie die Engelsboten in der Offenbarung, die Deutung des in den Visionen Gesehenen mitzuteilen.

In der nun folgenden Deutung tun wir gut daran zu beachten, wie ein anderer Autor es formuliert hat: „Wir stellen immer fest, ob in der Prophetie oder im Gleichnis, dass die Erklärung über das hinausgeht, was die ursprüngliche Aussage enthält.“ So ist es auch in dieser Passage: Die Vision stellt uns den Charakter und die Geschichte der vier Weltmächte vor Augen; die Deutung zeigt die Beziehung dieser Weltmächte mit dem Volk Gottes auf. So werden im Laufe der Erklärung die Heiligen fünf Mal erwähnt (Dan 7,18.21.22.25.27).

Vers 17

Dan 7,17: Diese großen Tiere, es sind vier: Vier Könige werden von der Erde aufstehen.

Zuerst erfährt Daniel, dass diese vier großen Tiere vier Könige sind, die sich von der Erde erheben werden, und ein wenig später erfahren wir: „Das vierte Tier: Ein viertes Königreich wird auf der Erde sein“ (Dan 7,23). Offensichtlich werden also „Könige“ benutzt, um Königreiche zu verkörpern. Wir können uns also nicht irren, wenn wir diese vier Tiere als Verkörperungen vier großer Königreiche betrachten. In der Vision steigen sie aus dem Meer auf; hier erheben sie sich von der Erde. Die Vision beschreibt ihren Ursprung der Vorsehung nach oder auch ihren politischen Ursprung, die Deutung ihren moralischen Ursprung. Der Vorsehung nach entstammen sie einer Zeit des politischen Umbruchs; moralisch gesehen sind sie irdisch, im Gegensatz zu dem Reich des Menschensohnes, der vom Himmel kommt.

Vers 18

Dan 7,18: Aber die Heiligen der höchsten Örter werden das Reich empfangen und werden das Reich besitzen bis in Ewigkeit, ja, bis in die Ewigkeit der Ewigkeiten.

Dann wird Daniel – zu seinem und unserem Trost – über das endgültige Ende der Zeiten der Heiden in Bezug auf das Volk Gottes informiert. Diese Königreiche mögen das Volk Gottes bekämpfen und Gott lästern, „aber“ am Ende wird der Triumph von Gottes Volk stehen, denn „die Heiligen der höchsten Örter werden das Reich empfangen und werden das Reich besitzen bis in Ewigkeit“.

Wir mögen fragen: Wer sind die Heiligen des Höchsten [Luther; rev. Elb.; „des Allerhöchsten“, bei Schlachter]? Eine bessere Übersetzung wäre: „die Heiligen der höchsten Örter“ [so bei üb. Elb., Hückeswagen]. Es gibt Menschen, die wie die Tiere und ihre Untertanen moralisch von der Erde sind, und dann gibt es die Menschen Gottes, die den Gott des Himmels anerkennen und daher in Verbindung mit himmlischen oder hohen Orten sind. In der dritten Vision ist es der Menschensohn, der mit den Wolken des Himmels kommt, und Ihm wird das Reich gegeben, das niemals vergehen wird. Hier erfahren wir die weiterführende Wahrheit, dass das Volk Gottes aus allen Zeitaltern – also all diejenigen, die durch die gesamte Weltgeschichte hindurch mit dem Himmel in Verbindung waren – an der herrlichen Herrschaft des Menschensohnes teilhaben wird. Dieses großartige Ereignis sah Henoch voraus, als er prophezeite und sagte: „Siehe, der Herr ist gekommen inmitten seiner heiligen Tausende“ (Jud 14).

Verse 19-22

Dan 7,19-22: 19 Darauf begehrte ich Gewissheit über das vierte Tier, das von allen anderen verschieden war– sehr schrecklich, dessen Zähne aus Eisen und dessen Klauen aus Erz waren, das fraß, zermalmte und das Übriggebliebene mit seinen Füßen zertrat 20 und über die zehn Hörner auf seinem Kopf und über das andere Horn, das emporstieg und vor dem drei abfielen; und das Horn hatte Augen und einen Mund, der große Dinge redete, und sein Aussehen war größer als das seiner Genossen. 21 Ich sah, wie dieses Horn Krieg gegen die Heiligen führte und sie besiegte, 22 bis der Alte an Tagen kam und das Gericht den Heiligen der höchsten Örter gegeben wurde und die Zeit kam, dass die Heiligen das Reich in Besitz nahmen.

Dann stellt Daniel die Frage nach weiteren Angaben über das vierte Tier. Er wiederholt die Vision, aber mit zusätzlichen Einzelheiten, denn jetzt erwähnt er die Heiligen und sagt uns, dass er denjenigen, den das kleine Horn darstellt, die Heiligen verfolgen sah und dass es diesem für eine begrenzte Zeit gestattet war, sie zu besiegen, denn dieser Triumph über die Heiligen dauerte, „bis der Alte an Tagen kam“, und dann übten die Heiligen das Gericht aus über diejenigen, die sie bekämpft und besiegt hatten.

Vers 23

Dan 7,23: Er sprach so: Das vierte Tier: Ein viertes Königreich wird auf der Erde sein, das von allen Königreichen verschieden sein wird; und es wird die ganze Erde verzehren und sie zertreten und sie zermalmen.

Als Antwort auf Daniels Fragen erläutert der Engel die Vision von dem vierten Tier. Wir erfahren eindeutig, dass es das „vierte Königreich auf Erden“ darstellt. Dieses war, wie wir wissen, das Römische Reich. Das war „von allen Königreichen verschieden, insofern es eine Regierungsform annahm, die Alleinherrschaft mit Demokratie verband, was bereits in dem Eisen und Ton der Statue symbolisch vorausgesagt worden war. Wegen seines beinahe weltumspannenden Herrschaftsgebiets konnte man wohl von ihm sagen, es würde „die ganze Erde verzehren“. Indem es sie niedertrat und zermalmte, unterwarf es die Völker und vernichtete die, die sich nicht unterwerfen wollten. So haben wir ein Bild das Römischen Reiches in den Tagen seiner ursprünglichen Macht.

Vers 24

Dan 7,24: Und die zehn Hörner: Aus jenem Königreich werden zehn Könige aufstehen; und ein anderer wird nach ihnen aufstehen, und dieser wird verschieden sein von den vorigen und wird drei Könige erniedrigen.

Die Einzelheiten von Vers 23 betrachten Ereignisse, die in Daniels Tagen noch in der Zukunft lagen. In unseren Tagen wissen wir, dass sie buchstabengetreu eingetreten sind. In den darauf folgenden Einzelheiten werden wir zu Ereignissen mitgenommen, die immer noch in der Zukunft liegen. Der Engel sagt: „Und die zehn Hörner: Aus jenem Königreich werden zehn Könige aufstehen.“ Es ist unmöglich, sich der Schlussfolgerung zu entziehen, dass dies die letzte Phase des Römischen Reiches betrachtet, wenn es, wie in Offenbarung 17 deutlich festgestellt wird, in der Form von zehn Königreichen wiederbelebt wird, die sich unter einem kaiserlichen Oberhaupt zu einer Föderation zusammenschließen.

Dann erfahren wir die Bedeutung des kleinen Horns aus den Versen 8, 20 und 21. Ein anderer König wird nach den zehn Königen emporsteigen, der anders als sie ist, und er wird drei Könige unterwerfen. Er ist anders als die zehn Könige, insofern als sie verschiedene Königreiche repräsentieren, dieser König aber eine besondere Macht repräsentiert, die inmitten der zehn Königreiche aufkommt und ihre Herrschaft (ihr Herrschaftsgebiet) gewinnt, indem sie drei der Königreiche unterwirft. Es ist diese Herrschaft, die schließlich gerichtet werden wird (Dan 7,26), und daher scheint es schlüssig, dass das kleine Horn, während es drei der Könige unterwirft, Macht über das gesamte Weltreich gewinnt.

Das Bild, das von der letzten Phase des Römischen Reiches gezeichnet wird, ist eindeutig das von sieben Königreichen, die mit den drei unterworfenen Königreichen unter einem kaiserlichen Oberhaupt – dem kleinen Horn – vereinigt werden. Wenn wir diese Schriftstelle in Verbindung mit den Einzelheiten lesen, die uns in Offenbarung 13,1-8 und 17,1 gegeben werden, können wir nur schlussfolgern, dass das kleine Horn aus diesem Kapitel das wiederbelebte Oberhaupt das Römischen Reiches ist, das uns im Buch der Offenbarung so auffällig vor Augen gestellt wird.

Vers 25.26

Dan 7,25.26: 25 Und er wird Worte reden gegen den Höchsten und die Heiligen der höchsten Örter vernichten; und er wird darauf sinnen, Zeiten und Gesetz zu ändern, und sie werden eine Zeit und Zeiten und eine halbe Zeit in seine Hand gegeben werden. 26 Aber das Gericht wird sich setzen; und man wird seine Herrschaft wegnehmen, um sie zu vernichten und zu zerstören bis zum Ende.

Vier Dinge werden über diesen schrecklichen Menschen eindeutig vorhergesagt. Erstens: „Er wird Worte reden gegen den Höchsten.“ Er wird nicht nur wie jeder natürliche Mensch in Feindschaft mit Gott sein, sondern mit dreister Respektlosigkeit wird er Gott offen herausfordern (s. Off 13,6). Zweitens wird er die Heiligen des Höchsten verfolgen, diejenigen, die Gott in der Höhe – bzw. in himmlischen Orten (s. Off 13,7) – anerkennen. Drittens wird er Festzeiten und das Gesetz ändern. Er wird nicht nur die Heiligen vernichten, sondern er wird sich auch unterstehen, die Festzeiten und das Gesetz von Gottes irdischem Volk, den Juden, zu ändern, die zu der Zeit in das Land zurückgekehrt sein werden. Viertens erfahren wir, dass es ihm erlaubt werden wird, sie in seine Hand zu bekommen, und zwar „eine Zeit und zwei Zeiten und eine halbe Zeit“, das heißt für eine Periode von dreieinhalb Jahren (s. Off 13,5).

Seine Blasphemie gegen Gott und sein Verfolgen der Heiligen wird ihm nicht weiter durchgehen gelassen. Am Ende der festgesetzten Zeit holt ihn das Gericht ein. Seine Herrschaft wird ihm weggenommen und ganz und gar vernichtet werden. Bis zum Ende aller Zeit wird weder seine Herrschaft noch sein Reich je wieder belebt werden.

Verse 27.28

Dan 7,27.28: 27 Und das Reich und die Herrschaft und die Größe der Königreiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen der höchsten Örter gegeben werden. Sein Reich ist ein ewiges Reich, und alle Herrschaften werden ihm dienen und gehorchen. 28 Bis hierher das Ende der Sache. Mich, Daniel, ängstigten meine Gedanken sehr, und meine Gesichtsfarbe veränderte sich an mir; und ich bewahrte die Sache in meinem Herzen.

Nach dem Gericht über das Tier und sein Reich werden alle Königreiche der Erde unter die Herrschaft des Volkes der Heiligen des Höchsten – Gottes irdischen Volkes, der Juden – gegeben werden. Dann werden durch das Volk Gottes alle Völker auf Erden dazu gebracht werden, Ihm zu dienen und Ihn anzubeten, dessen Reich ein ewiges Reich ist.

Daniel hatte das Privileg erhalten, weit in die Zukunft zu schauen und das Volk Gottes in einem weltumspannenden und ewig währenden Reich unter der Herrschaft des höchsten Gottes etabliert zu sehen. Dennoch beunruhigten ihn seine Gedanken, als er an das Meer des Leides und der Prüfungen dachte, das sie würden durchqueren müssen, bevor sie das Königreich erreichen würden, und er wurde blass. Jedoch bewahrte er diese Dinge in seinem Herzen. So ist es auch für Gottes Volk aller Zeiten gut, über die lange dunkle Nacht hinauszuschauen und in ihren Herzen dem kommenden Tag zuzujubeln.

Denn es kommt der Kön’ge König,
schon ist Morgenröte da;
und die Wächter auf den Bergen
rufen laut: Der Tag ist nah!

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Aus The Book of Daniel: An Expository Outline, 1936

Übersetzung: S. Bauer


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