Siehe, das Lamm Gottes!
Johannes 1,29

Fritz von Kietzell

© CSV, Online începând de la: 04.03.2006, Actualizat: 19.05.2022

Leitvers: Johannes 1,29

Joh 19,5: Siehe, der Mensch!

So hatte Pilatus den Herrn seinem Volk dargestellt, als selbst das Herz dieses Heiden getroffen wurde durch den Anblick des unschuldig leidenden „Mannes der Schmerzen“. Und weit mehr werden unsere Herzen bewegt, wenn wir seinen Weg bis hinauf an das Kreuz verfolgen und Ihn in seinen Leiden von Menschenhand betrachten.

„Aber von der sechsten Stunde an …“ (Mt 27,45-47; Mk 15,33-35; Lk 23,44.45). – So und ähnlich leiten die drei ersten Evangelien deutlich erkennbar einen neuen Abschnitt ein, in dem, wie wir sehen werden, das Leiden des Herrn von Menschenhand völlig zurücktrat hinter dem, was Er von Gottes Seite aus litt, was Er leiden musste, wenn eine „Sühnung für unsere Sünden“ (1Joh 2,2) zustande kommen sollte, „nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die ganze Welt“. Hier, im Blick auf diese letzten Stunden, ruft der Glaube mit Johannes dem Täufer ein anderes „Siehe“ aus:

Joh 1,29: Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt!

„Es war aber um die sechste Stunde; und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und die Sonne verfinsterte sich“ (Lk 23,44.45). Dies war – wohlverstanden – die Folge, nicht die Ursache der Finsternis, die einen durchaus übernatürlichen Charakter trug. Eine Sonnenfinsternis ist nur am Neumond möglich; das Passah am 14. Nisan fiel aber in die Zeit des Vollmondes, da die jüdischen Monate mit dem Neumond begannen. Warum verhüllte der Himmel sein Angesicht? Warum verlor – am lichten Mittag – die Sonne ihren Schein? Es war ein äußeres Zeichen dafür, dass jetzt alles, was den Herrn umgab, womit Er es bisher zu tun hatte, zurückzutreten hatte; das, worum es sich in diesen letzten Stunden handelte, war eine Sache zwischen Ihm und Gott allein. – Wie hätte auch die Schöpfung die Tiefen der Leiden mit ansehen können, in die der Schöpfer hinabstieg? Geziemte ihr ein anderes Gewand angesichts der „Finsternisse“, die die Seele dessen umhüllten, der sie ins Dasein gerufen hatte (Ps 88,7)? Auch an uns ist es, zur Seite zu stehen in heiliger Zurückhaltung und Scheu, denn wir werden in Ewigkeit das Geheimnis dessen, was hier in der Seele des Herrn vorging, nicht zu ergründen vermögen.

Dem entspricht es auch, dass uns der Heilige Geist über die drei Stunden selbst nur wenig oder gar nichts berichtet. Wie hätte Er uns auch die Mühsal seiner heiligen Seele schildern können, als sie das Schuldopfer stellte (Jes 53,8-12)? Wie hätte Er uns mitteilen können, was es für Ihn war, als „er seine Seele ausschüttete in den Tod“, als „Angst und Gericht“ Ihn befiel, als Er „aus dem Land der Lebendigen abgeschnitten“, „unter den Toten hingestreckt“ und „in den Staub des Todes gelegt“ wurde? (Ps 88,6; 22,16). Auch hier „tat er seinen Mund nicht auf“ (Jes 53,7). Kein Wort und keine Klage des also Leidenden hören wir, stumm blieben seine Lippen, bis sie sich endlich, zum Zeugnis dessen, was Er litt, „um die neunte Stunde“ (Mt 27,46) zu jenem lauten „Aufschrei“ öffneten.

„Um die neunte Stunde aber schrie Jesus auf mit lauter Stimme …“ – Nicht einen einzigen Schrei hören wir von Ihm bis dahin, weder am Kreuz noch auch vorher auf seinem Leidensweg. Ruhig und still ging Er diesen Weg bis hinauf an das Fluchholz, sprach Worte der Liebe und Gnade zu dem Jünger, zu seiner Mutter und zu dem Räuber. Hier aber ein lauter Schrei – ein Beweis, dass es noch einen weit tieferen Abgrund des Leidens gab, in den Er erst in diesen letzten Stunden hinabstieg. „Merkt ihr es nicht, alle, die ihr des Weges ziehet? Schaut und seht, ob ein Schmerz ist wie mein Schmerz“ (Klgl 1,12). – Dieses Wort mag in seinem tiefsten Sinn auf Ihn anzuwenden sein, hier „am Tag der Zornglut“ Gottes.

Auch Wesen und Inhalt dieses (nach unserer Vermutung) vierten Wortes am Kreuz unterscheiden sich völlig von den übrigen Worten. „Eli, Eli …!“ – „Mein Gott, mein Gott …!“ – Wann je vorher vernahmen wir aus seinem Mund eine solche Anrede des Vaters? „Ich preise dich, Vater“ (Mt 11,25), rief Er aus, als die Verwerfung durch sein Volk zum Anlass einer neuen Entfaltung der göttlichen Gnade wurde. „Vater“, „heiliger Vater“, „gerechter Vater“, nennt Er Ihn in seinem Gebet (Joh 17,1.11.25). „Mein Vater“, „Abba, Vater“, kam es selbst noch in Gethsemane von seinen Lippen, als Er den Kelch der Leiden aus der Hand des Vaters nahm (Mt 26,39.42; Mk 14,36). Welch eine innige, auch nicht durch den leisesten Hauch getrübte Gemeinschaft! Und „Vater, vergib ihnen …“ betete Er auch noch am Kreuz (Lk 23,34) – ein vollgültiger Beweis für uns, dass Er nicht, wie viele meinen, schon vor den drei Stunden der Finsternis unsere Sünden getragen hat. Wer so denkt, hat noch nie erkannt, was die Sünde in Gottes Augen ist, und verkleinert, gewiss ohne es zu wollen, das sühnende Leiden des Heilandes.

Denn welch eine Veränderung trat ein, musste eintreten, als es sich um diese Leiden handelte! „Um die neunte Stunde aber schrie Jesus auf … und sagte: … Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ – Dass Er „von den Menschen verlassen“ war (Jes 53,3), dass Er in steter, ich möchte sagen zunehmender Vereinsamung seinen Weg über diese Erde ging, bis sich schließlich „alle an ihm ärgerten“ und Ihn allein ließen, verwundert uns nicht; es lag in seiner Treue und Hingabe an Gott inmitten eines unreinen und Gott feindlichen Geschlechts begründet. Hier aber war es Gott, der Ihn verließ, Ihn, „der keine Sünde tat“ (1Pet 2,22), ja „der Sünde nicht kannte“ (2Kor 5,21)!

Nur von ferne ahnen wir aber, was es für Gott gewesen sein muss, sein Angesicht zu verhüllen vor dem, der das wahrhaftige Brandopfer war, der gekommen war, um seinen Willen zu tun, und der ihn vollkommen getan hat (Heb 10,9; Ps 40,9). Hieß es in der zurückliegenden Zeit nicht auch im Blick auf den Vater und den Sohn, wie wir es in der Geschichte von der Opferung Isaaks lesen: „Sie gingen beide miteinander“ (1Mo 22,6.8-12)? Dort freilich, als Abraham seinen Sohn, „seinen einzigen, den er lieb hatte“, nahm, um ihn auf Morija zu opfern, ließ Gott es nicht zu: „Abraham, Abraham! … Strecke deine Hand nicht aus nach dem Knaben, und tu ihm gar nichts.“ Hier aber griff Gott nicht ein, und kein Engel erschien, um Einhalt zu tun, oder doch, um den Herrn, wie noch in dem „ringenden Kampf“ in der Nacht zu stärken (Lk 22,43).

Lieber Leser! Hier wandte Gott sich ab, hier musste Er es tun, ja wir lesen – o ewig unergründliches Geheimnis! –: „Dem HERRN gefiel es, ihn zu zerschlagen, er hat ihn leiden lassen“ (Jes 53,10)! Das aber war es gerade, was für den Herrn „die Mühsal seiner Seele“ so unendlich groß machte, was „sein Auge vor Elend verschmachten“ ließ (Ps 88,9-16) – dass es „sein Gott“ war, der Ihn verlassen hatte. „Du hast mich in die tiefste Grube gelegt, in Finsternisse, in Tiefen. Auf mir liegt schwer dein Grimm, und mit allen deinen Wellen hast du mich niedergedrückt.“ Seine „Schrecken“ waren es, die Ihn „verwirrten“, seine „Zorngluten“ waren über Ihn „hingegangen“! – „Viele Farren“ und „Stiere von Basan“ hatten Ihn umringt (Ps 22,12-18); auch die Schmerzen des Leibes und die entwürdigende Behandlung durch jene „Rotte von Übeltätern“ – alles wurde von Ihm, wie wir betrachtet haben, im innersten Herzen gefühlt. Und doch, was war das gegen die unsägliche Qual dieser Stunden! „Du aber, HERR sei nicht fern! Meine Stärke, eile mir zu Hilfe“ (Ps 22,20)!

Die Väter „schrien“ zu Gott, sie „vertrauten auf ihn“ und wurden „nicht beschämt“ (Ps 22,5.6); aber auf sein Rufen erfolgte keine Antwort. David schaute von der Höhe seines Lebens herab und konnte feststellen: „Nie sah ich den Gerechten verlassen“ (Ps 37,25). Der Herr aber rief: „Sei nicht fern von mir, denn Drangsal ist nahe, denn kein Helfer ist da!“ (Ps 22,12). Gott blieb „fern von seiner Rettung, den Worten seines Gestöhns“ (Ps 22,2). Wie ergreifend! Ja, „es ist“, wie es in einer anderen Betrachtung heißt, „ein über alles Erfassen wunderbares Geschehen, den einzig gerechten Menschen, der je in der Welt war, am Ende seines Lebens erklären zu hören, dass Er von Gott verlassen sei“. – Fragen wir da nicht auch: Warum? Verstehen wir nicht gut, dass Er so fragte? „Warum hast du mich verlassen?“ – „Warum, HERR, stehst du fern, verbirgst dich in Zeiten der Drangsal?“ (Ps 10,1). „Sagen will ich zu Gott, meinem Fels: Warum hast du mich verlassen?“ (Ps 42,10). „Denn du bist der Gott meiner Stärke. Warum hast du mich verworfen?“ (Ps 43,2). „Warum, HERR, verwirfst du meine Seele, verbirgst dein Angesicht vor mir?“ (Ps 88,15).

Aber war Ihm denn die furchtbare Ursache dieses Verlassenseins nicht bekannt? Wir wissen, dass wir seine Frage nicht so zu verstehen haben; denn schon vorher „wusste er alles, was über ihn kommen würde“ (Joh 18,4). Und auch wir kennen diese Ursache, weil sein Wort uns darüber belehrt; und auch sein irdisches Volk, das selbst hier noch – wie furchtbar! – Seiner zu spotten wagte (Mt 27,47.49), wird es einst durch den Mund des gläubigen Überrestes bekennen: „Um unserer Übertretungen willen war er verwundet, um unserer Missetaten willen zerschlagen. Die Strafe zu unserem Frieden lag auf ihm, und durch seine Striemen ist uns Heilung geworden“ (Jes 53,5).

Wie viele haben zu allen Zeiten in diesen göttlichen Worten schon Frieden und Heil gefunden! Denn wie anders hätten sie Gottes gerechten Forderungen entsprechen können? „Das dem Gesetz Unmögliche, weil es durch das Fleisch kraftlos war“ (Röm 8,3), hier tat es Gott, indem Er in seinem eigenen Sohn „die Sünde im Fleisch verurteilte“. Gott sei gepriesen! „Christus hat uns losgekauft von dem Fluch des Gesetzes, indem er ein Fluch für uns geworden ist“ (Gal 3,13). – Das war es, was in diesen letzten Stunden geschah, wo Gott, der „Heiland-Gott“, mit Ihm, unserem Bürgen und Stellvertreter, ins Gericht ging.

Litt der Herr vorher von Menschenhand, so litt Er jetzt unter der Hand eines heiligen und gerechten Gottes. Litt Er vorher um seiner Gerechtigkeit willen, so jetzt um unserer Schuld und Sünde willen. Um das in den drei Stunden der Finsternis tun zu können, musste Er in sich selbst, in seiner Person, heilig und vollkommen sein. Darauf weist die Schrift hin, dass das Sünd- und Schuldopfer „hochheilig“ für Gott war (3Mo 6,18; 7,1). Er war das Opfer für die Sünde, dessen Blut in das Innere des Heiligtums hineingetragen wurde und dort auf immerdar vor Gott ist (3Mo 16,15; Heb 13,11.12). Hier hat Gott unsere Sünden auf Ihn gelegt, auf Ihn, der „keine Sünde tat, noch wurde Trug in seinem Mund gefunden“ (1Pet 2,22.24; Heb 9,28). Hier hat Er „den, der Sünde nicht kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir Gottes Gerechtigkeit würden in ihm“ (2Kor 5,21). Welch eine Liebe, die es über sich brachte, selbst ohne Sünde, an unserer statt zur Sünde gemacht zu werden, ohne irgendeinen Schleier, der die Sünde verhüllt hätte, ohne irgendwelche Gnade, um sie zu ertragen oder damit zudecken zu können! Wahrlich, diese Liebe war „gewaltsam wie der Tod, hart wie der Scheol ihr Eifer; ihre Gluten sind Feuergluten, eine Flamme Jahs. Große Wasser vermögen nicht die Liebe auszulöschen, und Ströme überfluten sie nicht. Wenn ein Mann allen Reichtum seines Hauses um die Liebe geben wollte, man würde ihn nur verachten“ (Hld 8,6.7). – Wie singen wir doch mit Recht? „Dem, der uns liebt und uns von unseren Sünden gewaschen hat in seinem Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater: Ihm sei die Herrlichkeit und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen“ (Off 1,5.6).

In den Abgrund, in den die Sünde den Menschen gebracht, in das Gericht, das uns in Ewigkeit hätte treffen müssen, stieg Er hinab, um den „Lohn der Sünde“, den Tod, für uns zu empfangen. Hier sehen wir, was die Sünde in Gottes Augen ist; Er aber, der Herr, selbst vollkommen rein, fühlte auch dieses wie vorher den Spott und die Schmach mit vollkommenem Gefühl: „Tiefe ruft der Tiefe beim Brausen deiner Wassergüsse; alle deine Wogen und deine Wellen sind über mich hingegangen“ (Ps 42,8; Jona 2,4). Wir verstehen, dass, wie Er am Beginn seines Leidensweges empfunden hatte, was es bedeutete, diesen Kelch zu nehmen, seine Seele jetzt, wo Er ihn leerte, „satt war von Leiden“ (Ps 88,4).

Welch ein Erlösungswerk! Welch eine vollkommene Verherrlichung Gottes! Ja: „Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt!“


Originaltitel: „Siehe, das Lamm Gottes“
aus Ermunterung und Ermahnung, Jg. 39, 1985, S. 33–40

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