Die Verleugnung des Petrus
Unterschiede in den vier Evangelien

Cor Bruins

© EPV, online seit: 26.12.2005, aktualisiert: 29.12.2017

Leitverse: Markus 14,27-31; Matthäus 26,31-35; Lukas 22,31-38; Johannes 13,36-38 und Markus 14,54.66-72; Matthäus 26,58.69-75; Lukas 22,54-62; Johannes 18,15-18.25-27

Der Herr kündigt an, dass Petrus Ihn verleugnet und dass die Jünger zerstreut werden

I. Markus 14,27-31

Mk 14,27-31: Und Jesus spricht zu ihnen: Ihr werdet euch alle ärgern, denn es steht geschrieben: „Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe werden zerstreut werden.“ Nachdem ich aber auferweckt sein werde, werde ich vor euch hingehen nach Galiläa. Petrus aber sprach zu ihm: Wenn sich auch alle ärgern werden, ich aber nicht. Und Jesus spricht zu ihm: Wahrlich, ich sage dir, dass du heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, mich dreimal verleugnen wirst. Er aber sprach über die Maßen mehr: Wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen. Desgleichen aber sprachen auch alle.

Es ist sehr wahrscheinlich, dass Jesus und Seine Jünger gemeinsam die Psalmen 115–118 sangen, bevor sie hinausgingen zum Garten Gethsemane an den Fuß des Ölberges (Mk 14,26). Statt zu versuchen, alles der Reihenfolge des Johannesevangeliums anzupassen, gehen wir hier der gewöhnlichen Reihenfolge nach, an die sich die meisten Ausleger halten. Es ist letztlich nicht sehr entscheidend, wann genau während des Mahles oder des Abends Jesus alle Seine Worte gesprochen hat. Unterwegs nun warnt Jesus sie vor der Versuchung, die über sie kommen würde, wenn der Hirte geschlagen wird. Er bezieht sich auf Sacharja 13,7: „Schwert, erwache wider meinen Hirten und wider den Mann, der mein Genösse ist!, spricht der HERR der Heerscharen; schlage den Hirten, und die Herde wird sich zerstreuen. Und ich werde meine Hand den Kleinen zuwenden.“

Sie würden sich alle an Jesus stoßen angesichts der Tatsache, dass man Ihn gefangen nehmen würde und Er von Seiner göttlichen Macht keinen Gebrauch macht, um sich zu befreien. Aber würden sie ihrerseits auch versagen, Jesus trug sie in der Vergangenheit und Er würde sie auch tragen während des schrecklichen Kreuzes bis hin zu Seiner Auferstehung und Seinem Hingehen nach Galiläa, um ihnen dort zu begegnen (Mk 14,28), gerade als ob Er sagen wollte, dass Er – noch bevor diese „Galiläer“ von dem Passah nach Hause zurückkehren würden – aus den Toten auferstanden sein und noch einmal vor ihnen hergehen werde.

In Lukas 24,50 führt Er sie nach Bethanien und fährt von dort zum Himmel auf. In Galiläa wird der Herr immer als auf der Erde weilend gesehen, obwohl auferstanden aus den Toten. Den größten Teil seines Dienstes hatte Er in Galiläa getan.

Bei der Verleugnung des Herrn durch Petrus fallen uns in diesem Kapitel acht Etappen auf:

  1. sein Selbstvertrauen (Mk 14,29),
  2. seine Großtuerei (Mk 14,31);
  3. sein Mangel an Wachsamkeit (Mk 14,37);
  4. seine Lauheit (Mk 14,54);
  5. seine Weltförmigkeit (MK 14,54);
  6. sein Leugnen (Mk 14,68);
  7. seine Leichtfertigkeit (Mk 14,71);
  8. seine Reue (MK 14,72).

In diesem Evangelium wird Petrus nicht geschont. Hatte er seinen Fall vielleicht Markus erzählt – denn nur hier in Markus 14,31 haben wir den Ausdruck „er aber sprach über die Maßen mehr“. Wie selbstsicher war er doch! Und wie sollte er wenig später in derselben Nacht ernüchtert werden!

In Markus 14,30 wird uns mitgeteilt: „Wahrlich, ich sage dir, dass du heute, in dieser Nacht, ehe der Hahn zweimal kräht, mich dreimal verleugnen wirst.“ Die anderen Evangelien sagen einfach: „bevor der Hahn kräht“. Wir müssen verstehen, was Markus damit sagen will: „Heute“ weist auf einen ganzen 24-stündigen Tag hin, der bereits begonnen hatte; „in dieser Nacht“ ist der Teil des Tages, wo die Dunkelheit vorherrscht; dadurch wird die Zeitspanne noch genauer abgegrenzt. „Ehe der Hahn zweimal kräht“ deutet auf übliche Zeitangaben hin – erstens gegen Mitternacht und zweitens dann einige Stunden später. Dies sind die wohlbekannten Grenzen der dritten Nachtwache, allgemein auch „Hahnenschrei“ genannt (Mk 13,35). Da der zweite Hahnenschrei normalerweise zum Anzeigen der Zeit benutzt wurde, wird dieser Teil der Nacht mit den Worten gekennzeichnet „bevor der Hahn kräht“ (mit anderen Worten „am Morgen“); dieser Ausdruck wird auch in den anderen Evangelien benutzt. Der Unterschied ist derselbe, wie wenn man sagt „vor dem Glockenläuten“ und „vor dem zweiten Glockenläuten“. Die eigentliche Bezugnahme in beiden Fällen richtet sich auf das endgültige und wichtige Signal, dem das erste nur vorangeht.

Nicht nur Petrus ist voller Selbstvertrauen; auch die anderen sind offenbar sehr selbstsicher (Mk 14,31).

II. Matthäus 26,30-35

Mt 26,30-35: Und als sie ein Loblied gesungen hatten, gingen sie hinaus nach dem Ölberg. Da spricht Jesus zu ihnen: Ihr werdet euch alle in dieser Nacht an mir ärgern; denn es steht geschrieben: „Ich werde den Hirten schlagen, und die Schafe der Herde werden zerstreut werden.“ Nachdem ich aber auferweckt sein werde, werde ich vor euch hingehen nach Galiläa. Petrus aber antwortete und sprach zu ihm: Wenn sich alle an dir ärgern werden, ich werde mich niemals ärgern. Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir, dass du in dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, mich dreimal verleugnen wirst. Petrus spricht zu ihm: Selbst wenn ich mit dir sterben müsste, werde ich dich nicht verleugnen. Gleicherweise sprachen auch alle Jünger.

Die wunderbare Verheißung in Vers 32 – „Nachdem ich aber auferweckt sein werde, werde ich vor euch hingehen nach Galiläa“ – ist sehr passend für das Matthäusevangelium. Er würde vor ihnen nach Galiläa gehen. Es scheint, dass der Herr Jesus Seine jüdischen Beziehungen gleichsam in einer neuen Form wieder mit ihnen und dem Reich aufnimmt.

In all dem, was dem Herrn Jesus auf Seinem Leidensweg widerfährt, erfüllt Er wörtlich die Prophezeiungen – in diesem Fall die von Sacharja 13,7. Da es dem HERRN gefiel, Ihn zu zerschlagen (Jes 53,10), ändert sich die Zeitform hier von „schlage!“ in „ich werde schlagen“. Darin zeigt Jesus, dass der Vater alles vorherbestimmt hatte, dass der Vater über allem stand, was Christus widerfahren sollte.

III. Lukas 22,31-38

Lk 22,31-38: Der Herr aber sprach: Simon, Simon! Siehe, der Satan hat euer begehrt, euch zu sichten wie den Weizen. Ich aber habe für dich gebetet, auf dass dein Glaube nicht aufhöre; und du, bist du einst zurückgekehrt, so stärke deine Brüder. Er aber sprach zu ihm: Herr, mit dir bin ich bereit, auch ins Gefängnis und in den Tod zu gehen. Er aber sprach: Ich sage dir, Petrus, der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennest. Und er sprach zu ihnen: Als ich euch ohne Börse und Tasche und Sandalen sandte, mangelte euch wohl etwas? Sie aber sagten: Nichts. Er sprach nun zu ihnen: Aber jetzt, wer eine Börse hat, der nehme sie und gleicher Weise eine Tasche, und wer keine hat, verkaufe sein Kleid und kaufe ein Schwert; denn ich sage euch, dass noch dieses, was geschrieben steht, an mir erfüllt werden muss: „Und er ist unter die Gesetzlosen gerechnet worden“; denn auch das, was mich betrifft, hat eine Vollendung. Sie aber sprachen: Herr, siehe, hier sind zwei Schwerter. Er aber sprach zu ihnen: Es ist genug.

Am Vorabend des Todes unseres Erlösers wird es Satan erlaubt – und wie eilig benutzt er diese Gelegenheit! –, einen der bekanntesten Jünger Jesu zu versuchen. Hier lernen wir wieder die Gnade unseres Herrn Jesus kennen. Er ist in der Lage, dieses Versagen eines Heiligen schließlich in Segen umzuwandeln; nicht nur für Petrus, sondern auch für andere.

Die Verse 31-33 finden wir nur bei Lukas. Er ist der Einzige, der uns mitteilt, dass Jesus für Petrus in der Stunde der Versuchung betete. Beachte, wie Jesus Petrus als Simon anredet, als ob Er ihn, den Felsenmann, daran erinnern wollte, dass er in sich selbst keine Kraft hat!

Alle Evangelisten berichten das Versagen des Petrus, doch Lukas allein teilt uns sowohl das Ziel mit, das Jesus mit Petrus verfolgte, als auch die Gewissheit seiner Wiederherstellung. In diesem Zusammenhang erklärt Petrus, er sei bereit, für Jesus ins Gefängnis zu gehen. Dieser ehrgeizige Wunsch wurde ihm in der Apostelgeschichte mehrmals gewährt, siehe Kapitel 12. Aber im Moment war Petrus auf eine solche Prüfung nicht vorbereitet; er musste erst lernen, sein Selbstvertrauen abzulegen.

Die Verse 35-38 finden sich wieder nur bei Lukas. Wir sehen hier den Gegensatz in den äußeren Bedingungen der Jünger während des Dienstes Jesu auf der Erde und hinterher.

Immer wieder haben wir gesehen, wie wenig die Jünger von dem verstanden, was Jesus sie lehren wollte. Wie oft geschah es, dass sie die tiefe Bedeutung Seiner Lehre völlig missverstanden. Auch hier ist es so. Sie nahmen Sein Wort über das Schwert wörtlich. Wenn der Herr das Bild eines Schwertes und eines Kleides benutzte, so wollte Er ihnen damit sagen, dass sie sich in Zukunft nicht so sehr auf Wunder verlassen sollten; vielmehr sollten sie jetzt die natürlichen Dinge nutzen, die Gott ihnen zur Verfügung stellte. Sie würden nicht länger durch übernatürliche Mächte vor ihren Feinden geschützt werden. Wenn ihnen in Zukunft Wunder gewährt würden, so würden sie für andere sein, nicht für sie selbst. Während ihres bisherigen Dienstes hatte sich sowohl bei dem Dienst der Zwölf als auch der Siebzig nie die Tür eines Gefängnisses hinter ihnen geschlossen. Kein Schwertstreich hatte sie getroffen. Das würde sich jetzt ändern! Den Jüngern würde es wie ihrem Meister ergehen. Jesus stand im Begriff zu leiden. Und so wie Er sich diesen Leiden unterwarf, mussten auch sie es tun. Der Apostel Paulus schrieb später: „Denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern göttlich mächtig zur Zerstörung von Festungen; indem wir Vernunftschlüsse zerstören und jede Höhe, die sich erhebt wider die Erkenntnis Gottes, und jeden Gedanken gefangen nehmen unter den Gehorsam des Christus“ (2Kor 10,4.5).

Das Schwert symbolisiert natürlicherweise nicht eine reine Verteidigungswaffe; das geistliche Schwert ist allein das Wort Gottes. Ein wahrer Jünger wird der Feindschaft der Welt nicht nur mit passivem Widerstand begegnen, sondern eben mit einem Schwert, das Macht über Herzen und Gewissen hat. (F.W. Grant)

Die Jünger kommen mit zwei Schwertern. Der Herr weist sie betrübt zurück; es hatte keinen Zweck, noch weiter mit ihnen zu reden, denn sie verstanden Ihn nicht. Deshalb sagt Jesus: „Es ist genug“ (Lk 22,38). Nicht dass diese zwei Schwerter ausreichend waren, sie zu verteidigen, wie manche denken, sondern Er sieht davon ab, sie noch weiter zu belehren. Hatte Er es nötig, auf Dessen Gebot sofort zwölf Legionen Engel zur Verfügung standen, auf zwei Schwerter zu vertrauen, die sich in den Händen Seiner furchtsamen Jünger befanden? Wenn der Geist Gottes ihnen all das in Erinnerung bringen würde, was Er zu ihnen geredet hatte, dann würden sie besser verstehen, was Er hier gemeint hat. Aber für jetzt war es genug!

IV. Johannes 13,36-38

Joh 13,36-38: Simon Petrus spricht zu ihm: Herr, wo gehst du hin? Jesus antwortete ihm: Wo ich hingehe, kannst du mir jetzt nicht folgen; du wirst mir aber später folgen. Petrus spricht zu ihm: Herr, warum kann ich dir jetzt nicht folgen? Mein Leben will ich für dich lassen. Jesus antwortet: Dein Leben willst du für mich lassen? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, der Hahn wird nicht krähen, bis du mich dreimal verleugnet hast.

Petrus ist wie benommen von der überraschenden Tatsache, dass der Herr im Begriff steht, sie zu verlassen! Er konnte nicht begreifen, wie das möglich ist: Jesus sollte an ein Kreuz gehen, sollte leiden?

In diesem Moment war Petrus geistlich noch nicht in der Lage, Christus im Leiden zu folgen, aber es sollte sich „später“ eine Gelegenheit ergeben, wo er für Christus leiden würde. In der Apostelgeschichte wird uns davon berichtet, und im letzten Kapitel dieses Evangeliums finden wir in Vers 18 einen Hinweis auf seine noch ausstehenden Leiden für den Herrn Jesus Christus.

Die dreimalige Verleugnung des Herrn durch Petrus

I. Markus 14,54.66-72

Mk 14,54.66-72: Und Petrus folgte ihm von ferne bis hinein in den Hof des Hohenpriesters; und er saß mit bei den Dienern und wärmte sich an dem Feuer. … Und etliche fingen an, ihn anzuspeien, und sein Angesicht zu verhüllen und ihn mit Fäusten zu schlagen und zu ihm zu sagen: Weissage! Und die Diener gaben ihm Backenstreiche. Und als Petrus unten im Hofe war, kommt eine von den Mägden des Hohenpriesters, und als sie den Petrus sich wärmen sah, blickt sie ihn an und spricht: Auch du warst mit dem Nazarener Jesus. Er aber leugnete und sprach: Ich weiß nicht, verstehe auch nicht, was du sagst. Und er ging hinaus in den Vorhof; und der Hahn krähte. Und als die Magd ihn sah, fing sie wiederum an, zu den Dabeistehenden zu sagen: Dieser ist einer von ihnen. Er aber leugnete wiederum. Und kurz nachher sagten wiederum die Dabeistehenden zu Petrus: Wahrhaftig, du bist einer von ihnen, denn du bist auch ein Galiläer. Er aber fing an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne diesen Menschen nicht, von welchem ihr redet. Und zum zweiten Male krähte der Hahn. Und Petrus gedachte des Wortes, wie Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und als er daran dachte, weinte er.

Als Gegensatz zum treuen Zeugnis unseres Herrn wird in diesem Evangelium die gemeine Verleugnung des armen Petrus bedeutend ausführlicher behandelt. Hat Petrus selbst dem Markus darüber berichtet?

Wir wollen fortfahren, wo wir bei Vers 54 stehengeblieben waren. Wenn Markus „unten im Hof“ sagt (Mk 14,66), so scheint dies anzudeuten, dass es einen höher liegenden Teil gab. Wir verstehen es so, dass der Herr Jesus gebunden in der Oberhalle des Palastes stand. So konnte Petrus emporblickend den Meister sehen, während Jesus von oben Petrus im Innenhof sehen konnte.

Die Magd des Hohenpriesters in Vers 66 ist höchstwahrscheinlich dieselbe, die Petrus in den Hof hineinließ (Joh 18,17). Es ist ebenso möglich, dass sie Petrus zunächst hereingelassen hatte, dann aber doch bestätigt fand, als sie ihn jetzt noch schärfer „anblickte“ (Mk 14,67), was sie von Anfang an vermutet hatte. Sie ruft aus: „Auch du warst mit dem Nazarener Jesus!“ Die Bezeichnung, die sie gebraucht, verrät ihre Geringschätzung diesem Nazarener gegenüber.

Markus gibt die Verleugnung des Petrus hier in sehr bestimmten Worten wieder: „Ich weiß nicht, verstehe auch nicht“ (Mk 14,68). Matthäus (Mt 26,70) sagt einfach: „Ich weiß nicht, was du sagst.“ Lukas (Lk 22,57) legt eine persönliche Note hinein: „Frau, ich kenne ihn nicht“, während Johannes sagt: „Ich bin’s nicht“ (Joh 18,17).

In Vers 68 finden wir dann eine Unterbrechung: „Und der Hahn krähte.“

Nur Markus erwähnt das. Es war der frühere oder „Mitternachtsschrei“, der den Beginn der dritten Nachtwache anzeigte, ebenso wie der „Morgenschrei“ ihr Ende anzeigte. Die anderen Evangelien reden nur von dem Letzteren, während Markus beide gesondert erwähnt.

Petrus versucht jetzt, sich unauffällig zurückzuziehen; vielleicht mit der Absicht, den Hof zu verlassen. Doch er stößt zum zweiten Mal auf die Türhüterin, die nun allen Umstehenden verkündet: „Dieser ist einer von ihnen“ (MK 14,69) – einer der Nachfolger des Nazareners.

Vers 70 bildet die Parallele zu Matthäus 26,72, wo Petrus mit einem Eid leugnet, Jesus je gekannt zu haben. Doch seine Aussprache verrät ihn: „Du bist auch ein Galiläer!“

Zum dritten Mal leugnet Petrus, irgendetwas mit diesem Menschen zu tun zu haben, „von welchem ihr redet“. Er sträubt sich sogar, Jesus namentlich zu nennen. Und um seine Zuhörer zu beeindrucken, will er verflucht sein, wenn das, was er sagt, nicht stimmt. Er ruft Gott zum Zeugen für die Wahrheit des Gesagten an.

Genug! Gott muss ihm durch das Ertönen des zweiten Hahnenschreis den Mund verschließen. Warum hatte er den ersten Schrei in Vers 68 überhört? Zweifellos durch göttliche Fügung wird er nun zur Besinnung gebracht und „gedachte“ (Mk 14,72). Gottgemäße Betrübnis (2Kor 7,10) erfüllt sein Herz, und der große, starke, vorschnelle Petrus bricht zusammen und weint „bitterlich“ (sagt Matthäus). Oh, jener Blick, jener Blick des Herrn! (Lk 22,61).

II. Matthäus 26,58.69-75

Mt 26,58-75: Petrus aber folgte ihm von ferne bis zu dem Hofe des Hohenpriesters und ging hinein und setzte sich zu den Dienern, um das Ende zu sehen. … Dann spien sie ihm ins Angesicht und schlugen ihn mit Fäusten; etliche aber gaben ihm Backenstreiche und sprachen: Weissage uns, Christus, wer ist es, der dich schlug? Petrus aber saß draußen im Hofe; und es trat eine Magd zu ihm und sprach: Auch du warst mit Jesu, dem Galiläer. Er aber leugnete vor allen und sprach: Ich weiß nicht, was du sagst. Als er aber in das Tor hinausgegangen war, sah ihn eine andere; und sie spricht zu denen, die daselbst waren: Auch dieser war mit Jesu, dem Nazaräer. Und wiederum leugnete er mit einem Eide: Ich kenne den Menschen nicht! Kurz nachher aber traten die Dastehenden herzu und sprachen zu Petrus: Wahrhaftig, auch du bist einer von ihnen, denn auch deine Sprache macht dich offenbar. Da fing er an, sich zu verwünschen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht! Und alsbald krähte der Hahn. Und Petrus gedachte des Wortes Jesu, der zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich.

Kann man vielleicht die Worte am Ende von Vers 58, die nur Matthäus hat, als Grund dafür betrachten, dass Petrus „von ferne“ folgen wollte? Wie lauten sie? – „… um das Ende zu sehen.“ War das törichte Neugierde oder das echte Verlangen, dem Herrn nahe zu sein? Wir wollen das nicht entscheiden. Jedenfalls musste Petrus lernen, sich nicht auf seine eigene Kraft zu verlassen.

Bei seiner ersten Verleugnung krähte der Hahn zur Warnung zum ersten Mal (Mk 14,68). Petrus scheint das überhört zu haben. Trotzdem wollte er sich zurückziehen, da ihm unbehaglich zumute wurde. Aber die Magd von Markus 14,69 redet weiter über Petrus, und wie es scheint, gesellte sich nun „eine andere“ (Mt 26,71) hinzu. Petrus verleugnet seinen Meister zum zweiten Mal und kann seine Ankläger vorübergehend mit einem Eid beschwichtigen (Mt 26,72). Als er dann zum Feuer zurückkehrt und sich in eine heikle Lage manövriert, indem er die Unterhaltung mit den Feinden Christi fortsetzt, verrät ihn schließlich seine Sprache (Mt 26,73). Die Verse 72 und 73 finden sich nur in diesem Evangelium.

Und da kräht der Hahn zum zweiten Mal (Mt 26,74), doch diesmal hört es Petrus. Oder wurde seine Aufmerksamkeit geweckt? Lukas sagt, dass Petrus in dem Moment zum Herrn schaute und dieser ihn ebenfalls anblickte (Lk 22,61). Das war zu viel für Petrus; er verlässt schleunigst diesen schrecklichen Ort. Matthäus berichtet ebenso wie Lukas, dass Petrus anschließend bitterlich weinte.

III. Lukas 22,54-62

Lk 22,54-62: Sie ergriffen ihn aber und führten ihn hin und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus aber folgte von ferne. Als sie aber mitten im Hofe ein Feuer angezündet und sich zusammengesetzt hatten, setzte sich Petrus in ihre Mitte. Es sah ihn aber eine gewisse Magd bei dem Feuer sitzen und blickte ihn unverwandt an und sprach: Auch dieser war mit ihm. Er aber verleugnete ihn und sagte: Frau, ich kenne ihn nicht. Und kurz danach sah ihn ein anderer und sprach: Auch du bist einer von ihnen. Petrus aber sprach: Mensch, ich bin’s nicht. Und nach Verlauf von etwa einer Stunde behauptete ein anderer und sagte: In Wahrheit, auch dieser war mit ihm, denn er ist auch ein Galiläer. Petrus aber sprach: Mensch, ich weiß nicht, was du sagst. Und alsbald, während er noch redete, krähte der Hahn. Und der Herr wandte sich um und blickte Petrus an; und Petrus gedachte an das Wort des Herrn, wie er zu ihm sagte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.

Es gibt nicht viel in Lukas’ Bericht, auf das wir noch eingehen müssten. Einen auffälligen Ausdruck enthält Vers 55: „… setzte sich Petrus in ihre Mitte.“ Er macht sich praktisch eins mit den Feinden seines Meisters. Als er dort so im direkten Feuerschein saß, wurde er erkannt und bloßgestellt (Lk 22,56)!

Beim zweiten Mal war es wohl ein Mann, der ihn erkannte und zur Rede stellte (Lk 22,58). Lukas berichtet als Einziger, wie lange Petrus nach dieser zweiten Beschuldigung noch am Feuer verweilte: „Und nach Verlauf von etwa einer Stunde“ (Lk 22,59). Armer Petrus! Warum hat er nicht auf den ersten Hahnenschrei geachtet und seine hasserfüllten Feinde verlassen?

Wir erfahren auch ganz genau, was nach dem zweiten Hahnenschrei geschah: „Und der Herr wandte sich um und blickte Petrus an“ (Lk 22,69).

IV. Johannes 18,15-18.25-27

Joh 18,15-27: Simon Petrus aber folgte Jesu und der andere Jünger. Dieser Jünger aber war dem Hohepriester bekannt und ging mit Jesu hinein in den Hof des Hohenpriesters. Petrus aber stand an der Tür draußen. Da ging der andere Jünger, der dem Hohepriester bekannt war, hinaus und sprach mit der Türhüterin und führte Petrus hinein. Da spricht die Magd, die Türhüterin, zu Petrus: Bist nicht auch du einer von den Jüngern dieses Menschen? Er sagt: Ich bin’s nicht. Es standen aber die Knechte und die Diener, die ein Kohlenfeuer gemacht hatten, weil es kalt war, und wärmten sich; Petrus aber stand auch bei ihnen und wärmte sich. … Simon Petrus aber stand und wärmte sich. Da sprachen sie zu ihm: Bist nicht auch du einer von seinen Jüngern? Er leugnete und sprach: Ich bin’s nicht. Es spricht einer von den Knechten des Hohenpriesters, der ein Verwandter dessen war, welchem Petrus das Ohr abgehauen hatte: Sah ich dich nicht in dem Garten bei ihm? Da leugnete Petrus wiederum; und alsbald krähte der Hahn.

Verständlicherweise unterscheidet sich Johannes ein wenig von den synoptischen Schreibern. Alle stimmen überein, dass Petrus Jesus folgte, aber Johannes fügt hinzu: „und der andere Jünger“ (Joh 18,15). Zweifellos spricht er von sich selbst. Die Verse 15b, 16 und 18 teilt nur Johannes mit.

Dieser Schreiber, der sich nie mit Namen erwähnt, gewährt uns hier einen kleinen Einblick in sein privates und gesellschaftliches Leben. „Der dem Hohenpriester bekannt war“. Er kannte sogar die Türhüterin (Joh 18,16). Mehr noch: Die Türhüterin kannte Johannes, ja, als Jünger Jesu, und er schämte sich dessen offensichtlich nicht im Geringsten! Im nächsten Vers sagt die Magd zu Petrus: „Bist nicht auch du einer von den Jüngern dieses Menschen?“ Mit anderen Worten: Von Johannes weiß ich’s, aber bist du auch einer?

Den einzigen weiteren Unterschied zu den anderen Evangelien haben wir in Vers 18, wo uns der Grund für das Feuer im Innenhof genannt wird: „weil es kalt war“. Manche denken vielleicht nicht daran, dass es auch in den nahöstlichen Ländern ziemlich stark schneit – im Libanon oft bis zu einem Meter und darüber. Der Verfasser hat selbst einmal erlebt, dass am ersten Mai Hagelkörner auf den Straßen Beiruts lagen. So war es auch in Petrus’ bedrückender Umgebung kalt; ach, leider auch in seinem Herzen.

Er stand bei ihnen (Ps 1,1), bei den Weltmenschen, und wärmte sich am Feuer der Welt. Wie bezeichnend ist das Wörtchen „Da“ in Vers 25. Weil er im Rat der Gottlosen wandelte, „da sprachen sie zu ihm: Bist du nicht auch einer von seinen Jüngern?“. Johannes schont hier seinen Freund und berichtet nur von seiner zweiten Verleugnung: „Er leugnete und sprach: Ich bin’s nicht.“ Aber aus Matthäus wissen wir bereits, was Petrus beim zweiten Mal sagte: „Und wiederum leugnete er mit einem Eide: Ich kenne den Menschen nicht!“ (Mt 26,72). Da leugnet er sogar, Jesus nur zu kennen, und nennt unseren gelobten Herrn Jesus sehr geringschätzig „den Menschen“!

Es waren eine ganze Anzahl Leute, die Petrus im Umkreis jenes Feuers befragten. Erst die Türhüterin, die ihn einließ (Joh 18,17); sie scheint ihn zweimal angesprochen zu haben (Mk 14,69). Eine weitere Magd befragte ihn (Mt 26,71), wahrscheinlich auch ein Mann (Lk 22,58). Dann die Leute am Feuer (Joh 18,25) und besonders – wie Johannes in Vers 26 berichtet – ein Verwandter des Malchus! Es regnete nur so von Fragen auf das Haupt des armen Petrus. Doch hier bricht Johannes seinen Bericht ab, und wir lesen deshalb nichts von Petrus’ Reue, über die uns die synoptischen Schreiber unterrichten.


Aus Er wohnte unter uns, Ernst-Paulus-Verlag, 1992, S. 234–237, 261–264.
Die Bibelverse wurden von SoundWords eingefügt.


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