Das Passah
Was hat es uns heute zu sagen?

Ernst Eugen Hücking

© CSV, online seit: 04.03.2006, aktualisiert: 08.04.2021

Leitverse: 2. Mose 12

„Und ihr sollt es essen in Eile“

So lautete die Anordnung Gottes für das Passahmahl der Kinder Israel, wie es uns in 2. Mose 12 als historisches Ereignis berichtet wird. Das Lamm war geschlachtet, das Blut an die Pfosten und die Oberschwelle ihrer Haustüren gestrichen: Jetzt gab es kein Zögern mehr. Gottes Stunde war gekommen, und das Volk war frei, aus Ägypten, „dem Hause der Knechtschaft“, fortzuziehen, um Ihm „ein Fest zu halten in der Wüste“. So ist dieses „Essen in Eile“, mit gegürteten Lenden, beschuhten Füßen und dem Stab in der Hand, kennzeichnend für die einzigartige Aufbruchsstimmung, die bei diesem großen Ereignis herrschte.

Bei der späteren jährlichen Gedächtnisfeier des Passahfestes bestand kein Grund mehr zur Eile. Und doch fehlt die Erinnerung daran auch hier nicht: „Sieben Tage sollst du Ungesäuertes dazu essen, Brot des Elendes – denn in Eile bist du aus dem Lande Ägypten herausgezogen“ (5Mo 16,3). Der Gedanke gibt uns Anlass, einige Einzelheiten im Zusammenhang mit dem Passah ein wenig weiter zu verfolgen.

Das Passah in Ägypten

Am Abend des vierzehnten Tages im Monat Abib hatten die Israeliten das Passahlamm geschlachtet, „zwischen den zwei Abenden“, was nach 5. Mose 16,6 die Zeit um Sonnenuntergang bezeichnet. Schon um Mitternacht „schlug der HERR alle Erstgeburt im Lande Ägypten“ (2Mo 12,29). Das veranlasste den Pharao, in der Nacht aufzustehen, inmitten des allgemeinen Wehgeschreis Mose und Aaron zu sich zu rufen und die Kinder Israel „aus seinem Lande wegzutreiben“ (2Mo 6,1). So blieb dem Volk ab Mitternacht keine ruhige Minute mehr, so dass das Lamm, das gegen 6 Uhr noch gelebt hatte, bis dahin bereits verzehrt sein musste. Versucht man einmal, sich die vielen Verrichtungen vorzustellen, die dazu nötig waren, dann bekommt man einen Begriff davon, wie knapp die Zeit war.

Aber das ist nicht alles. Nach ihrem Aufbruch „backten sie den Teig, den sie aus Ägypten gebracht hatten, zu ungesäuerten Kuchen; denn er war nicht gesäuert, weil sie aus Ägypten getrieben worden waren und nicht hatten verziehen können“ (2Mo 12,39). Hier wird uns der enge Zusammenhang zwischen dem Passah und dem anschließenden siebentägigen Fest der ungesäuerten Brote deutlich: War einmal der Sauerteig (ein Bild der Sünde) aus ihren Häusern entfernt, dann sollte keine Gelegenheit mehr bestehen, dass sich neuer Sauerteig bilden konnte. Jedes Verweilen hätte – dem Vorbild nach – den Zustand der praktischen Reinheit des Volkes gefährdet.

So wird auch der bereits erwähnte Ausdruck in 5. Mose 16 verständlich, wo es bei der Verordnung über die Passahfeier im Land heißt, dass sie sieben Tage lang Ungesäuertes „dazu“ essen sollten. Ja, das Ungesäuerte, das sie an allen diesen Tagen aßen, wurde von Gott als noch zu dem Passahlamm gehörend betrachtet. Tatsächlich wurde ja schon am 14. Abib Ungesäuertes gegessen (2Mo 12,18), während das eigentliche Fest der ungesäuerten Brote erst am 15. Abib begann (3Mo 23,6). Die eigentümliche Verschmelzung der beiden Feste durch den gemeinsamen Grundsatz des Ungesäuerten zeigt sich auch in 5. Mose 16,7, wonach das Volk später im Land bereits am Morgen (des 14. Abib) die Rückkehr nach seinen Zelten antreten sollte, um in der häuslichen Umgebung dann ein Leben ohne Sauerteig zu führen.

Dieser Gedanke erleichtert übrigens auch das Verständnis von Hebräer 11,27.28, wo es zuerst heißt: „Durch Glauben verließ er (Mose) Ägypten und fürchtete die Wut des Königs nicht“, und dann erst: „Durch Glauben hat er das Passah gefeiert und die Besprengung des Blutes.“ Auch hier ist das Ganze gemeint, und das Fest der ungesäuerten Brote, in 4. Mose 28,17 überhaupt „das Fest“ genannt, fand ja nach dem Auszug statt; es war jenes „Fest in der Wüste“ (2Mo 5,1). – Man benötigt also hier zum Verständnis keineswegs die Annahme, mit dem Verlassen Ägyptens sei Moses Flucht nach Midian gemeint. Damals handelte Mose nämlich nicht durch Glauben, sondern fürchtete „die Wut des Königs“ sehr wohl; darum floh er ja – ganz im Gegensatz zu seinem kühnen Auftreten im Auftrag Gottes vierzig Jahre später.

Eine Einzelheit verdient noch unsere Beachtung, und das ist der Zeitpunkt. Wie alle Monate, so begann auch der Abib mit einem Neumond (in diesem Fall dem ersten nach der Tagundnachtgleiche im Frühjahr). Am Passah war also Vollmond. Was für eine praktische Hilfe für ein Millionenvolk, das bei Nacht seine Wohnungen verlassen und in die sonst so tiefe Finsternis der Wüste ziehen musste! Wie wird doch Gottes Weisheit auch in den Zeitpunkten erkennbar, die seine Vorsehung bestimmten! Der Bibelleser freut sich darüber, dass Gottes Wort auch in den ganz natürlichen Dingen so wirklichkeitsnah ist, und findet sein Vertrauen auf dieses Wort immer wieder bestätigt.

Das letzte Passah, das der Herr mit seinen Jüngern aß

Es war abends nach 6 Uhr, denn für die Juden begann um diese Zeit der neue Tag, als dessen erste Hälfte die Nacht gerechnet wurde (daher die jüdische Ausdrucksweise „Nacht und Tag“). Das Passah war bereitet, und der Herr nahm den Platz des Hausherrn inmitten derer ein, die seine „Nächsten“ waren (vgl. 2Mo 12,4). „Mit Sehnsucht habe ich mich gesehnt, dieses Passah mit euch zu essen, ehe ich leide“ – mit diesen Worten gibt Er seinem Verlangen nach Gemeinschaft mit seinen geliebten Jüngern Ausdruck. Einmalig dieser Augenblick, wo das Vorbild mit der Verwirklichung zusammentraf! Noch an demselben Tag gab Er sich für die Seinen hin als das wahre Passahlamm.

Ein ganz anderer Aufbruch als in Ägypten steht hier vor uns. Keine äußere Eile ist zu bemerken, eher das Gegenteil, als Er sich die Zeit nimmt, den Jüngern die letzten, so überaus kostbaren Mitteilungen zu machen. Und doch, welch heilige Entschlossenheit liegt über allem! „Steht auf, lasst uns von hinnen gehen.“ Er ist der Handelnde, und wenn Er sich auch als das „Lamm Gottes“ völlig in die Hand des Vaters legt, so bleibt es doch seine Speise, den Willen dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte, und sein Werk zu vollbringen.

Nach unserer heutigen Tageszählung hat also der Herr am Donnerstagabend, der ja ab 6 Uhr schon zum Freitag zählte, das Passah gegessen. Es war der Anfang der „Nacht, in welcher er überliefert wurde“. Die verschiedenen Verhöre und schmachvollen Leiden, die der Herr der Herrlichkeit sich von seinen Geschöpfen gefallen ließ, zogen sich hin bis in den Vormittag, und schließlich kam „um die sechste Stunde“ (der zweiten, also hellen Hälfte des Tages; vgl. Joh 11,9) „eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde“ (bis Freitagnachmittag gegen 3 Uhr). Das waren die drei Stunden der Finsternis, in denen der Heiland am Kreuz das Gericht Gottes für unsere Sünden erlitt. So blieben also, nachdem der Herr Jesus den Geist aufgegeben hatte, weniger als drei Stunden bis zum Anbruch des Sabbats.

Joseph von Arimathia scheint zunächst gezögert zu haben, denn erst „als es Abend geworden war“, ging er „hin zu Pilatus und bat um den Leib Jesu (Mt 27,57.58). So wurde es wirklich höchste Zeit für die Grablegung, denn es war ja „Rüsttag, und der Sabbat brach an“ (Lk 23,54). Was lag also näher, als dass Joseph die neue, noch nie benutzte Gruft in seinem eigenen Gartengelände zur Verfügung stellte? „Dorthin nun, wegen des Rüsttags der Juden, weil die Gruft nahe war, legten sie Jesus“ (Joh 19,42). Doch „den Sabbat über ruhten sie nach dem Gebot“ (Lk 23,56).

Wie wunderbar ist das Walten Gottes! Ein wenig Eile wegen der Umstände genügt in seiner Hand zur Erfüllung des jahrhundertealten Prophetenwortes: „Man hat sein Grab bei Gesetzlosen bestimmt; aber bei einem Reichen ist er gewesen in seinem Tode, weil er kein Unrecht begangen hat und kein Trug in seinem Munde gewesen ist“ (Jes 53,9). Was für ein großer Gott, der mit geringen Mitteln so Bedeutendes wirkt und uns einmal mehr vor Augen führt, wie sehr Zeiten und Zeitpunkte in seiner Hand sind!

Und vielleicht wird uns das noch deutlicher, wenn wir bedenken, dass gerade in diesem Jahr der erste Tag des Festes der ungesäuerten Brote auf einen Sabbat fiel. Das war ja nicht immer so; darum heißt es: „Der Tag jenes Sabbats war groß“ (Joh 19,31). Die Juden glaubten, ihr Ziel erreicht zu haben, indem sie den Herrn vorher ans Kreuz brachten, „nicht an dem Fest, damit nicht etwa ein Aufruhr des Volkes entstehe“ (Mk 14,2). Doch in Wirklichkeit hatte Gott sein Ziel erreicht: Die Auferstehung des Herrn „am dritten Tage“ fiel damit auf den „Tag nach dem Sabbat“. Das aber war der Tag des Festes der Erstlingsgarbe (3Mo 23,11), das damit seine wunderbare Erfüllung fand. Es stellt Christus, den Auferstandenen, dar als den „Erstling der Entschlafenen“ inmitten der Seinen (vgl. Joh 20,19-23). Es bezeichnet den Beginn der großen Ernte, die als Frucht aus seinem Tod hervorgegangen ist und noch hervorgeht.

So zeigt sich auch hier, wie sehr das Passah mit dem, was folgte, verschmolzen war. Das hatte seit jeher auch den Sprachgebrauch der Juden geprägt. Einmal nannten sie das Fest der ungesäuerten Brote „Passah“ (Joh 18,28, wo ja das Passah bereits gegessen war, oder Lk 22,1), oder sie nannten das Passah „Tag der ungesäuerten Brote“ (Lk 22,7). Dann wieder rechneten sie das Passah einfach zu den Tagen der ungesäuerten Brote, was ja in Bezug auf das Essen von Ungesäuertem nicht falsch war (Mk 14,12 und wohl auch Apg 12,3; 20,6). Beim Lesen der Schrift mag das zuweilen Fragen aufwerfen, aber der Sinn ist doch klar erkennbar.

Die Anwendung des Passah auf uns

Was hat nun das „Essen in Eile“ uns heute zu sagen? Denken wir einmal an 1. Korinther 5,7.8: „Denn auch unser Passah, Christus, ist geschlachtet. Darum lasst uns Festfeier halten, nicht mit altem Sauerteig, auch nicht mit Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern mit Ungesäuertem der Lauterkeit und Wahrheit.“ Darum also, weil der Herr Jesus für uns das Passahlamm geworden ist und uns durch sein Blut in Sicherheit gebracht hat vor dem Gericht Gottes, dem die Welt verfallen ist, darum soll unser Leben eine Festfeier sein, gleichsam ein „Fest der ungesäuerten Brote“ für Gott.

Sollte die Trennung von der Welt und ihrem Bösen noch Aufschub erleiden können für einen Menschen, der im Glauben zum Herrn Jesus gekommen ist? Sollte ein Gläubiger den Wert des Blutes Christi kennen und sich an Ihm, dem wahren Passahlamm, stärken und nähren können ohne ein gesundes Empfinden jener heilsamen Eile, die das Wiedereintreten von Sünde in sein Leben verhindert? Nicht, dass das Heil, das wir empfangen haben, von unserem praktischen Leben abhinge, aber unser Leben wird geprägt sein von dem Bewusstsein des Heils; das kann nicht anders sein.

Die Korinther hatten sich gleichsam Zeit gelassen mit der Abkehr von den bösen Dingen, in denen „etliche von ihnen“ früher gelebt hatten. Deshalb hat das „Lasst uns“ für sie einen durchaus ernsten, mahnenden Klang, obwohl der Apostel Paulus sich selbst mit einschließt, denn „unser Passah“ ist ja das Teil aller Gläubigen und die „Festfeier“ eines Lebens in praktischer Heiligung für den, der wachsam ist, ein beglückendes Vorrecht. Die Korinther aber mussten ermahnt werden sowohl in Bezug auf „alten Sauerteig“ – Überreste des früheren Lebens ohne Gott, die sie nicht „ausgefegt“ hatten – als auch wegen des „Sauerteigs der Bosheit und Schlechtigkeit“, der sich erneut bei ihnen gezeigt hatte. Wie ganz anders war es im Vorbild bei den Kindern Israel gewesen (2Mo 12,39)!

Dass doch auch niemand von uns sich Zeit lasse mit dem entschiedenen Schritt hinaus aus der Welt auf den Weg des Glaubens, der uns durch die Wüste ans Ziel führt! „Drei Tagereisen weit“, das bedeutet völlig aus dem Einflussbereich Ägyptens hinaus; so war es der Wille Gottes (2Mo 8,27). Wie groß ist die Gefahr, dass Gläubige, die nicht gleich am Anfang ihres Glaubenslebens die Brücken zur Welt völlig abbrechen, später wieder von den moralischen Grundsätzen der Welt eingeholt werden, so dass ihr Leben gleichsam vom Sauerteig ganz „durchsäuert“ wird (1Kor 5,6)!

Vergessen wir nicht, dass Ägypten für den Gläubigen ganz und gar Vergangenheit ist. Solange wir auf der Erde sind, machen wir die Erfahrungen der Wüste. Hier lernen wir in einer Umgebung, die dem inneren Menschen weder Nahrung noch Wohnstätte zu bieten hat, die Armut unseres eigenen Herzens, aber auch den Reichtum und die Größe des Herzens Gottes kennen. Zugleich sind wir im Geist schon jetzt versetzt in das himmlische, wahre Kanaan, dem wir als Wanderer durch die Wüste noch entgegengehen. „In Christus“ hat Gott „uns mitsitzen lassen in den himmlischen Örtern“, wo wir bald mit Christus sein werden. Aber mit Ägypten haben wir nichts mehr zu tun. So sehr wir in der Wüste immer wieder hinzulernen müssen und auch in der praktischen Besitzergreifung der himmlischen Segnungen Fortschritte zu machen haben (so wenig das auch zuzeiten sein mag) – in der Trennung von Ägypten gibt es kein allmähliches Fortschreiten, sondern nur einen entschiedenen Bruch. Die Welt im Charakter Ägyptens bedeutet Finsternis und Ferne von Gott; die Welt als Wüste ist der Ort unserer Erziehung durch Gottes Hand. Das sollten wir nie miteinander verwechseln.

Lassen wir uns also anspornen, „Festfeier zu halten“, Gott zu ehren durch ein Leben, das Ihm geweiht ist! Sieben Tage lang – Abbild unseres ganzen Lebens – will Er vom Himmel her dein und mein Leben sehen als ein „Fest für Ihn“. Der Auferstandene in der Mitte der Seinen kann allein Ausgangspunkt und Quelle der Kraft dazu sein.


Originaltitel: „Und ihr sollt es essen in Eile“
aus Ermunterung und Ermahnung, Jg. 46, 1992, S. 33–41


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