William Kelly (1821–1906)
Von einem guten Freund

Henry William Pontis

© SoundWords, online seit: 14.03.2006, aktualisiert: 31.01.2018

Das Ende des langen, arbeitsreichen und hingebungsvollen Lebens von Mr. Kelly aus Blackheath ist ein Ereignis, das die Herzen vieler Christen, die ihm in tiefer Zuneigung verbunden waren, ergreifen wird. Er war eine der besonderen Gaben, die Christus seiner Gemeinde im vergangenen Jahrhundert anlässlich der Erweckung auf dem Gebiet der christlichen Lehre, der Wahrheit und des Zeugnisses gegeben hat. Im Dienst dessen, der sein Herz eingenommen hatte, achtete Kelly es als Gewinn, sich von allem abzusondern und zu Ihm hinauszugehen. Der Wahlspruch seines Christseins war: Glaube an Gottes Wort, wahrer Gehorsam gegenüber dem Wort und Hingabe an die Person Christi.

William Kelly war der Sohn eines Gutsbesitzers aus Ulster und wurde im Mai 1821 in Millisle in der Grafschaft Down geboren. Er erhielt seine Ausbildung in Downpatrick und an der Universität Dublin, wo ihm die höchsten Auszeichnungen in den alten Sprachen verliehen wurden. Er wurde protestantisch erzogen und war zunächst sehr vom „Puseyismus“ angetan, kam aber kurz nach Ende seiner Ausbildung zur Bekehrung. Nachdem er auf die Insel Sark verzogen war, gelangte er durch eine Dame aus der Familie Acland, die ihn auf 1. Johannes 5,9.10 hinwies, zur christlichen Freiheit. In seiner Exposition of the Epistles of John, die voriges Jahr erschienen ist (er war sehr dankbar, dass er dieses Werk noch vollenden durfte), spielt er in rührender Weise auf dieses glückliche Ereignis an. Niemals wich er von der Wahrheit ab, die er damals gefunden hatte und die für seine Seele „Gottes Zeugnis“ der Errettung und des ewigen Lebens war. Bis zuletzt blieb dies Wirklichkeit für ihn, wie er es kurz vor seinem Heimgang ausdrückte: „Der Herr ist das Licht für mein Herz.“ Als Kelly 24 Jahre alt war, begegnete er zum ersten Mal Darby, dessen Lehre er bereitwillig als vom Geist gewirkt annahm. Seine Entdeckung, dass der „kluge Hooker“ irrte, wenn er behauptete, der Acker sei die Gemeinde (Mt 13), war bereits der Schlüssel zur Wahrheit gewesen, und in der folgenden Zeit hatte er eingehend die Heilige Schrift studiert. Er verstärkte nun seine Arbeit im Werk des Herrn und widmete seine großen Kenntnisse und Fähigkeiten im Glauben der Sache Christi.

Kelly war ein Mann von anerkannter Gelehrsamkeit und auch in der Lage, eigenständig zu forschen. Er besaß eine seltene logische Begabung, arbeitete sehr genau und vertrat in Kontroversen entschieden seinen Standpunkt – das alles mit hoher moralischer Autorität und Geistesbildung. Ein französischer Autor, der seine Werke schon lange kannte, beschrieb ihn wie folgt: „Kelly – savant, realisateur, tête logique, résumateur-philosophe“ (Kelly – gelehrt, tatkräftig, ein logischer Kopf, ein umfassender Philosoph), und ein irischer Autor nannte ihn „einen ausgezeichneten Absolventen der Universität“. Auch wenn er bis zuletzt ein Studierender blieb, war er doch kein Einsiedler oder Mystiker; und auch wenn er oft bis in die Nacht hinein arbeitete, genoss er doch auch sehr die Gemeinschaft mit Christen und den praktischen Dienst der Predigt und Belehrung. Wegen seiner kritischen Arbeit wurde er von Mitgliedern der neutestamentlichen Revisionskommission hoch geschätzt; mit einigen von ihnen unterhielt er eine freundschaftliche Korrespondenz auf wissenschaftlichem Gebiet. Darbys New Translation hielt er (auch wenn sie sich manchmal irrt) für zuverlässiger als die Revised Version, die er in seiner Monatsschrift The Bible Treasury (einem Blatt, das von vielen, unter ihnen Archidiakon Denison, als „das einzige lesenswerte“ betrachtet wurde) ausführlich und kritisch untersuchte.

1856 erstmals herausgegeben, enthält diese Zeitschrift die Arbeiten der führenden Schriftausleger der „Brüder“, aber es gibt keine klareren oder an geistlicher Weisheit reichhaltigeren Artikel als seine eigenen. Die kritischen Studien, die aufbauenden Artikel, die Schriftauslegungen, die lehrmäßigen Auseinandersetzungen und Besprechungen, sie alle zusammen machen die Zeitschrift zu einem ein halbes Jahrhundert umspannenden zuverlässigen Zeugnis der wiederentdeckten Wahrheiten des praktischen Christentums. Nachdem Prof. Wallace The Bible Treasury sechs Monate lang herausgegeben hatte, übernahm Kelly diese Aufgabe mit dem Wunsch, dass ihm dazu „Gnade und Weisheit“ gegeben würden; und man kann sich tatsächlich fragen, ob ein solcher redaktioneller Dienst nicht etwas Einmaliges ist.

Zuvor hatte Kelly The Prospect herausgegeben (1849–50), einen für das Studium seiner frühen Tätigkeit sehr interessanten Band. Daraus veröffentlichte er neu eine Übersetzung der Offenbarung aus dem Griechischen mit Angabe der Lesarten anderer Handschriften und mit allgemeinen Bemerkungen (1849). Er schrieb auch zahlreiche kritische Artikel für Dr. Tonnas Christian Annotator (1854–56), eine Zeitschrift, an der Darby kein Interesse hatte. Auch Dr. Tregelles und Philip Henry Gosse, F.R. S. [Mitglied der Königlichen Akademie der Naturwissenschaften], arbeiteten daran mit. Ein Werk, das von Prof. Ewald sehr empfohlen wurde, war The Revelation of John, edited in Greek, with an English Version und einer Liste von Handschriften und Übersetzungen. Hierfür benutzte Kelly Manuskripte, die bis dahin noch nie für kritische Zwecke ausgewertet worden waren, und er veröffentlichte Auszüge aus dem originalen Codex Sinaiticus, die er von Prof. Tischendorf erhalten hatte (1860).

Unser Freund gab die Collected Writings of J.N. Darby heraus, deren 36 Bände über viele Jahre hinweg eine mühevolle Suche in verschiedenen Sprachen erforderten. Mit diesem Werk erwies „W.K.“ der Gemeinde Gottes einen wichtigen Dienst, den nur wenige – wenn überhaupt – angemessen hätten ausführen können. Dies gilt auch für die Synopsis of the Bible, deren fünf Bände „W.K.“ als das beste Einzelwerk Darbys ansah, so wie er die Examination von B.W. Newtons Apocalypse für Darbys vortrefflichste Kritik hielt. Er schätzte Darbys Schriften sehr und verbreitete sie so viel wie möglich. Vor ihrem Autor hatte er große Hochachtung, und es war ihm eine Freude, mit Verehrung und Liebe von ihm zu sprechen, auch wenn die Gemeinschaft der beiden nach 35 Jahren glücklicher und herzlicher Zusammenarbeit unterbrochen wurde. Er betrachtete Darby als jemanden, der in seiner Aufdeckung lange verlorengegangener biblischer Wahrheiten und auch in seiner Abhängigkeit von Gott und seinem Wort unerreicht war. Bis zuletzt sagte er immer wieder: „Lies Darby.“

Gelehrte Leser haben oft Kellys kritischen Schriften Anerkennung gezollt, und lernbegierige Gläubige (was seiner Meinung nach alle Gläubigen sein sollten) schätzten seine Auslegungen als „Trost und Nahrung“ von hohem Wert. Ihr großer Umfang und ihre lehrreiche Vielfalt sind vielleicht einzigartig. Seine Lectures on the Revelation, vor kurzem überarbeitet, sind ein tiefgründiges Werk von kritischem Nutzen und geistlicher Einsicht. Er analysiert darin umfassend die Lehre von Elliotts Horae Apocalypticae. Seine Doctrine of the Holy Spirit ist noch immer ein so wertvolles Buch wie damals, als Dr. Bledsoe erklärte, es sei die „beste Erörterung“ dieses Themas, die es gebe. Preaching to the Spirits in Prison ist ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung mit diesem interessanten Gegenstand. Die Lectures on the Second Coming geben klare und deutliche Belehrungen über dieses viel diskutierte Thema. Die Exposition of Isaiah (1895) ist „eher ein neues Buch als eine Neuauflage“; der gelehrte Autor hoffte, damit „dem christlichen Bibelstudenten und auch dem weiteren Kreis derjenigen, die sich mit dem reichhaltigsten und umfassendsten Propheten besser vertraut machen wollen, eine größere Hilfe zu geben“. Erschöpfend bespricht Kelly das Wesen und den Gegenstand der Prophetie und bekämpft schonungslos die „bittere Feindschaft“ der neueren Bibelkritik, die er wegen ihres Angriffs auf „alles, was herrlich und gesegnet ist“, so sehr beklagte.

Das kleinere Buch Daniel ist eine lehrreiche, sehr genaue Studie über diesen wenig verstandenen Propheten; die nach vierzig Jahren erschienene Neuauflage enthält auch eine Entlarvung der Neologie. Die Exposition of John (1898) wurde „von der ersten bis zur letzten Seite in der tiefen Überzeugung geschrieben, wie wenig mein Senkblei die Tiefen, die Johannes offenbart wurden, ausloten kann“. Seine bereits erwähnten Epistles of John stehen dem Evangelium in nichts nach. Die beiden Bände bilden zusammen eine unvergleichliche Studie über Johannes’ Darstellung des Herrn Jesus; niemand, der diese schönen Schriften voll ausgereifter Gelehrsamkeit und geistlichem Verständnis in der Beschreibung der Person und des Werkes des Sohnes Gottes besitzt, braucht dann noch „Leben Jesu“. Bei Lukas werden die Eigenschaften des Herrn als Mensch gezeigt; bei Johannes ist es Gott, der sich in Christus kundtut. „Das ewige Leben im Sohn Gottes, das sich in seinem Charakter in Wegen und Worten kundgetan und offenbart hat, und die Tatsache, dass Er dieses Leben gibt – dies steht in Johannes mit einem helleren Glanz geschrieben, als ihn Sonnenstrahlen geben.The Creation (vor langer Zeit erschienen) und In the Beginning and the Adamic Earth (1894, von Erzbischof Benson empfohlen und von Gladstone in die Bibliothek von St. Deiniols aufgenommen) zeigen die Schönheit und Vollkommenheit offenbarter Kenntnis und „W.K.“s Glauben und Talent, diese Dinge zu erhellen. Sie sind ein tiefgründiger Führer beim Studium der Kosmogonie. Christ Tempted and Sympathising (1871) ist eine fein differenzierende Studie, und niemand wird leugnen, dass Kellys Buch The Lord’s Prayer (1850; Neuauflage 1900) mit gottesfürchtiger Gelehrsamkeit geschrieben ist oder dass die Pastoral Epistles auserlesene Betrachtungen von hohem geistlichem Charakter und Nutzen sind. Seine Acts of the Apostles sind eine lehrreiche Darstellung der ersten Zeit der Gemeinde, während seine Corinthians sich mit der Ordnung und Regierung in der Gemeinde, mit ihren Gaben und ihrem Dienst beschäftigen. Hinzugefügt werden sollten die Lectures on the Church of God, ein wahres Lehrbuch, und Notes on Ephesians, ein Buch von höchstem Rang zur Belehrung der Christen.

Eines seiner späteren Werke, God’s Inspiration of the Scriptures, zeigt mit unanfechtbarem Vertrauen und unanfechtbarer Beweiskraft die Vollkommenheit der göttlichen Offenbarung und „ihre Bedeutung zur Ehre Gottes“. Kellys Absicht war, dass dieses Werk als Hilfe zum „geistlichen Verständnis aller“ dienen sollte, „die die Bibel von der ersten bis zur letzten Seite wertschätzen“. Es machte ihn traurig, dass viele bekennende Gläubige versuchten, Gottes Wort zu untergraben, und häufig Inschriften auf Steinen oder Säulen mehr Bedeutung beimaßen als der göttlichen Offenbarung in der Schrift.

Dies sind nur einige aus der Vielzahl von Kellys Schriften, ein unbezahlbares Vermächtnis für die Gemeinschaft der Christen, voller exakter Belehrung für das geistliche Verständnis. Sie tragen die Züge eines talentierten Autors, der in einem so verständlichen Stil zu schreiben versuchte, dass Herz und Gewissen des Lesers erreicht wurden. Er wollte keine besondere Denk-, Lehr- oder Auslegungsschule gründen oder einer solchen angehören, sondern im Glauben und unter der Leitung des Geistes Gott beim Wort nehmen und so die Christen unterweisen.

Sein Ziel war es, das Wachstum in Gnade und göttlicher Erkenntnis zu fördern, sowohl „unverfälschte Milch“ als auch feste Speise zum Wachstum der Christen zuzubereiten, „bis wir alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes, zu dem erwachsenen Mann, zu dem Maß des vollen Wuchses der Fülle des Christus“. Er drängte auf die Pflege der Wahrheit „im Innern“ und auf das praktische Verwirklichen des Gelernten im Zeugnis für Christus, zu seiner Verherrlichung. Er war ein „Vater“, der „den kannte, der von Anfang ist“, und zugleich war er jemand, der treue Männer lehrte, damit sie, wenn sie in den Dingen blieben, die sie gelernt hatten, auch andere belehren könnten.

Viele von Kellys Büchern sind Mitschriften seiner Vorträge. Als Redner zeichnete er sich besonders aus, da er eine ungezwungene und doch beeindruckende Art hatte, in der Öffentlichkeit zu reden. Er stellte nicht seine Gelehrsamkeit zur Schau, gab aber dennoch gediegene Unterweisung. Bei seltenen Gelegenheiten öffnete er so sehr die Tiefen seines Herzens und Geistes, dass man sich verwundert fragte, was darin noch alles enthalten sei.

Er hatte ein gewinnendes Wesen, eine liebenswürdige Art, eine feine Höflichkeit und einen reinen Humor. Seine kleine Bibel, seine auf die Stirn geschobene Brille, sein fester Mund und das Zucken seiner Schultern wurden oft liebevoll bemerkt und haben inzwischen öffentliche Beachtung gefunden. Er arbeitete auch eifrig am Evangelium, wo immer er hinkam, und schrieb viel darüber. Seine Schriften Born of Water and of the Spirit und The Apostle at Athens legen sorgfältig dar, was das Werk Christi ist, wie dieses Werk sich in Gnade offenbart und was seine Folgen zum Segen des Menschen und zur Verherrlichung Gottes sind. Diese beiden Schriften veranschaulichen gut das hohe Niveau seiner „evangelistischen“ Veröffentlichungen. Vor vielen Jahren kümmerte er sich um einige fragende japanische Studenten in England und leistete ihnen einen großen Dienst; eine seiner letzten Tätigkeiten war die Auswahl besonderer christlicher Literatur für China und Japan.

Kelly schrieb einige vortreffliche geistliche Lieder, die in sehr feiner Weise die Anbetung der Gnade und Wahrheit, die sich im Segen zu ewiger Herrlichkeit offenbart hat, zum Ausdruck bringen. Aber diese „entspannende Arbeit“ wurde von ihm nicht kultiviert. Er war zutiefst betrübt über die heutige Oberflächlichkeit des Glaubens – verglichen mit der früheren charakterlichen Standhaftigkeit der Christen –, über die zunehmende Weltlichkeit der Gläubigen und den wachsenden Mangel an Hingabe. Die Ausbreitung des Materialismus, des Ritualismus und des Katholizismus belasteten ihn, auch wenn das alles in der Schrift vorausgesagt ist, und es war beständig sein Ziel, Seelen davon zu befreien. Er schrieb scharf gegen die Enzyklika des kürzlich verstorbenen Papstes, und er durfte sowohl in England als auch in Frankreich interessante Fälle von Bekehrungen von Priestern, Mönchen und anderen gebildeten und hochgestellten Persönlichkeiten erleben.

Es tat ihm auch leid, festzustellen, wie in Universitätsleben und -lehre und auch im jungen Leben zukünftiger christlicher Führer das christliche Licht immer mehr beeinträchtigt wurde. Den großen Mangel sah er in dem Fehlen eines lebendigen Glaubens an Gott und seine Offenbarung. David zeigte seine Überlegenheit über Salomo durch den größeren Wert, den er der Bundeslade beimaß, „denn der Glaube ist, wenn ich so sagen darf, immer weiser als die Weisheit“. So entsteht auch in Offenbarung 3 der Zustand Laodizeas aus einem „Verachten des Zeugnisses, das Philadelphia gegeben war – die Frucht der Verwerfung der besonderen Wahrheit, die diese Gemeinde prägte“ –; sie hatten das Wort seines Ausharrens bewahrt und seinen Namen nicht verleugnet. Als jemand einmal zu Kelly sagte, er könne „mühelos ein Vermögen machen“, antwortete er mit der Frage: „Für welche Welt?“ Noch deutlicher war seine Reaktion, als jemand ihm großzügig anbot, durch seinen Einfluss „etwas für ihn zu tun“. Er sagte: „Was könnten Sie mehr für mich tun, als der Herr Jesus schon getan hat?“ Er versuchte um jeden Preis, den Geist Laodizeas zu vermeiden.

Die gewaltige Menge unnützer Literatur, die es gibt, beschäftigte ihn ebenfalls, und er meinte, dass man ihr „am besten durch ein gesundes und Interesse weckendes Zeugnis für die Wahrheit entgegenwirken“ könne. Er stellte fest, dass die jungen Leute in hohem Maße von dem „Überfluss an Romanen und wertloser Dichtung unserer Zeit“ beeinflusst würden. Viele Gläubige, so sagte er, hielten mehr von Miltons „feinen Phantasien“ oder von Tennysons Suche nach dem Licht als von dem wahren Bericht Gottes und zu wenig von den Schriften Cowpers, „eines der besten aller Dichter“, der durch Glauben vielen geholfen habe, Gott zu preisen. Im Großen und Ganzen glaubte er jedoch wie Darby, dass Dichtung (mit Ausnahme geistlicher Lieder) „hauptsächlich ein Versuch des menschlichen Geistes ist, durch Phantasie eine Sphäre jenseits des Materialismus zu schaffen, während der Glaube diese als Wirklichkeit zeigt“. Wie Abraham glaubte auch „W.K.“ Gott!

Nachdem Kelly sich 1841 von der Staatskirche abgewandt hatte und „zu Christus hinausgegangen war, außerhalb des Lagers, seine Schmach tragend“, änderte er seine kirchliche Stellung nicht mehr, sondern mit klarer Überzeugung seines christlichen Gewissen und seines Verstandes ging er unerschütterlich seinen Weg. Bei den traurigen Trennungen unter den „Brüdern“ brach er niemals die Gemeinschaft mit den Führern in der scharfen Weise ab, die man ihm häufig zuschrieb. Wenn er jedoch jemandem sein Vertrauen nicht geben konnte, legte er immer klar, logisch und schriftgemäß seine Gründe dar, je nachdem die Umstände es erforderten, wobei er konsequent an den ersten Grundsätzen festhielt. Im Verurteilen unschriftgemäßer Abweichungen (seien sie gemeindlicher oder lehrmäßiger Art) war er immer gleich streng, ob sie nun unter den „Brüdern“ oder sonst irgendwo vorkamen. Er konnte sowohl warnen als auch helfen, sowohl tadeln als auch ermutigen. Sein Sarkasmus war der durchdringende Degen angewandter Wahrheit.

Vom Anfang bis zum Ende gab er ein unveränderliches praktisches Zeugnis von der Einheit des Leibes, der Einheit des Geistes und der Absonderung zu dem Namen und der Person des Herrn Jesus Christus in der Erwartung seiner Wiederkunft. Als einer der glücklichsten Christen kannte er sowohl die Sorgen als auch die Freuden des Weges, aber wie er mir vor nicht langer Zeit schrieb: „Letzten Endes ist unsere Drangsal leicht, verglichen mit – ich sage nicht: mit Ihm, der litt, wie kein anderer je gelitten hat, aber mit dem Apostel, einem Menschen von gleichen Empfindungen wie wir. Was hatte er nicht zu ertragen von Juden, Heiden und der Gemeinde Gottes!“

Kelly heiratete zuerst eine Dame aus Guernsey, Miss Montgomery. Seine zweite Frau, die 1884 starb, war eine Tochter von Pfarrer Gipps aus Hereford. Als eine Frau mit hingebungsvollen natürlichen und geistlichen Fähigkeiten war sie ihrem Mann bei seiner besonderen Arbeit eine große Hilfe. Wie er war auch sie sehr sprachbegabt und besaß ein umfassendes Wissen. Sie übersetzte fast die Hälfte der Psalmen, Kelly fügte die übrigen hinzu und gab sie voriges Jahr als persönliches Andenken an sie heraus. Viele angenehme Erinnerungen sind mit ihr verbunden.

Kelly hatte eine bemerkenswerte Bibliothek von 15.000 Bänden, das hervorragende Werkzeug eines gelehrten und hingebungsvollen christlichen Arbeiters. Er verschenkte sie anonym und wünschte, dass es so bleiben sollte, aber eine Londoner Zeitung machte es bekannt. Es wurde sorgfältig überlegt, wo man sie aufstellen sollte, und sie ist jetzt in würdigen Händen. Es war ein besonderes Vorrecht, etwas von dieser Bibliothek zu sehen, wenn ihr gelehrter Eigentümer sie erläuterte. Sie umfasste die großen Kodizes der Bibel (manche als Faksimile), alle großen Polyglotten, die Werke der Kirchenväter und der Scholastiker. Gut ausgestattet auf den Gebieten der Wissenschaft, der Philosophie und der Geschichte, war sie besonders reich an Werken der Altphilologie, der Kirchengeschichte und der Theologie, darunter viele seltene Ausgaben aus dem Bereich der biblischen Forschung. Dadurch, dass Kelly sie vor knapp zwei Jahren nach Yorkshire sandte, hoffte er, dass auch andere Arbeiter in Gottes Werk daraus Nutzen ziehen würden.

Kelly widmete viel Zeit und Mühe dem Briefeschreiben, wobei er Gelehrten und Ungebildeten gleichermaßen diente; jede Zeile seiner äußerst kleinen, aber sehr gut lesbaren Schrift enthielt klare Belehrung und verlässliche Auskunft, Rat und Ermunterung für den Christen – alles sorgfältig formuliert. Er versuchte auch in dieser Hinsicht so nützlich wie möglich zu sein, wie die über hundert Briefe und Postkarten, die jetzt auf meinem Schreibtisch liegen, deutlich beweisen; er gab sich dem Herrn und dem Wohl seines Volkes hin. Er schaute nicht auf die Ergebnisse, aber er war immer dankbar, wenn Gläubige ihm Vertrauen und Achtung entgegenbrachten. Er hatte viele Bewunderer in den höheren Schichten, auch sorgfältige Leser seiner Schriften, die seine Gelehrsamkeit völlig anerkannten und seine Standfestigkeit und Hingabe achteten. Es war ein Vorrecht, seine Freundschaft zu genießen; sein Vertrauen war kein geringes Gut, und ihn zu kennen hieß ihn zu lieben.

So gingen die Tage und Jahre in glücklichem, beständigem, fruchtbarem Dienst vorbei, bis er am 27. März 1905 nach wenigen Wochen Aufenthalt im Hause von Dr. Heyman Wreford in Exeter „friedlich ruhend und wartend in Jesus entschlief“. So endete ein einzigartiger Dienst, dessen Wirkung in vielen dankbaren Herzen noch lange anhalten wird.

Am 31. März wurde Kelly in Anwesenheit von etwa 500 Trauergästen auf dem Charlton-Friedhof (in der Nähe seiner begabten Frau) bestattet. Nachdem Dr. Wreford gebetet hatte, wurden zwei Lieder gesungen: „For ever with the Lord“ und „Saviour, before Thy face we fall“. Dr. Wreford betonte in einer kurzen Ansprache über Apostelgeschichte 20,25 die Dankbarkeit für die große Gabe Gottes, die Er der Gemeinde mit „W.K.“ gegeben hatte, und den Schmerz, dass wir ihn hier nicht mehr sehen werden, zugleich aber auch die Freude über die Hoffnung auf das Wiederkommen des Herrn, wozu er 1. Thessalonicher 4,13-18 las. Mr. Moore las Psalm 91,1, führte auch die „Huld des Herrn“ aus Psalm 90,16.17 an und erinnerte ausführlich an „W.K.“s Liebe, seine Arbeit für den Herrn und wie er am Ende seines Lebens von den „Wirklichkeiten“ gesprochen hatte. Mit Nachdruck hatte er gesagt: „Das Kreuz ist eine Wirklichkeit; der Hass der Welt ist eine Wirklichkeit; und, [geliebte Brüder,] die Liebe Gottes ist eine Wirklichkeit!“ Die kurze, ernste, aber angemessene und trostreiche Trauerfeier wurde mit einem Gebet von Colonel Binney abgeschlossen, und alles war vorüber – „bis der Tag sich kühlt und die Schatten fliehen“.


Originaltitel: „The Late Mr. William Kelly, Biblical Scholar and Teacher“
aus The Christian, 1906

Übersetzung: W. Mücher

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