Ich lese „nur“ die Bibel ...
Eine geistliche Aussage, oder?

Christian Briem

© CSV, online seit: 18.04.2005, aktualisiert: 07.04.2021

Frage

Man hört öfter das Argument: „Ich lese keine Bücher oder Auslegungen über die Bibel, ich lese lieber die Bibel selbst.“ Ist das eine richtige und nachahmenswerte Einstellung?

Antwort

Sicherlich nicht! Natürlich ist das Lesen der Heiligen Schrift von äußerster Wichtigkeit, und es sollte neben dem Gebet den höchsten Stellenwert in unserem Leben haben. Aber Gott benutzt zu unserem Wachstum in der Erkenntnis seiner selbst nächst seinem Wort eine Reihe anderer Hilfsmittel, die selbstverständlich alle auf dieses Wort gegründet sind. Eines der wichtigsten dieser Hilfsmittel ist die Belehrung durch andere. Gott will, dass sie geschieht, und jeder von uns braucht sie.

Es ist in diesem Zusammenhang sicher lehrreich, festzustellen, dass Gott uns eben nicht nur von sich selbst abhängig gemacht hat, sondern dass wir in gewissem Maße auch voneinander abhängig sind. Gott wollte es so haben. So kann beispielsweise kein Glied des Leibes zu dem anderen Glied sagen: „Ich bedarf deiner nicht“ (1Kor 12,21). Gott hat jedem einzelnen Glied am Leib Christi eine bestimmte Position und Aufgabe zugewiesen, „wie es ihm gefallen hat“ (1Kor 12,18). Insofern hat jedes Glied das andere nötig, wenn keine Mangelerscheinung bei dem Glied selbst und bei dem ganzen Leib eintreten soll.

Zudem hat der im Himmel weilende Herr seiner Versammlung Gaben gegeben (Eph 4), Männer, durch die Er die Vollendung der Heiligen und die Auferbauung des Leibes bewirken möchte (Eph 4,12). Unter ihnen nehmen in Bezug auf die gestellte Frage Hirten und Lehrer einen besonderen Platz ein. Wir alle brauchen den Dienst der Hirten und Lehrer, sonst hätte sie uns der Herr Jesus nicht gegeben. Haben wir es nicht schon oft erlebt, wie unser Herz erwärmt und erquickt wurde, als ein Hirte die Wahrheit Gottes auf uns und unser Leben anwandte? Und hat uns nicht schon häufig ein tiefes Glück erfüllt, als Gott einen Lehrer benutzte, um uns die Erhabenheit der Person Christi oder der Gedanken Gottes und ihre tiefe Bedeutung vor die Seele zu stellen? Umgekehrt haben diese Gaben jedoch auch den Dienst anderer Glieder nötig. Doch wir reden jetzt von der Notwendigkeit der Belehrung.

Wenn jemand meint, er brauche die Belehrung durch andere nicht, dann müsste er folgerichtig auch die Zusammenkünfte für überflüssig halten, in denen das Wort Gottes verkündigt oder betrachtet wird. Denn grundsätzlich handelt es sich um denselben Vorgang oder dieselbe Sache. Natürlich ist es etwas weit Erhabeneres, an einer Zusammenkunft zum Namen des Herrn Jesus hin teilzunehmen, als zu Hause ein Buch zu lesen; denn die persönliche Gegenwart des Herrn Jesus können nur die genießen, die zu seinem Namen hin versammelt sind. Die Sache selbst aber ist dieselbe: Gott redet durch eine Gabe zu mir. Und wer wollte abstreiten, dass Gott auch heute noch solche Gaben benutzt (nämlich durch das, was sie geschrieben haben), die längst nicht mehr unter uns sind? Die Heilige Schrift selbst ist der beste Beweis dafür, dass Er das tut. Gewiss waren die Apostel und Propheten des Neuen Testaments einmalige Gaben, die zudem von Gott, dem Heiligen Geist, für ihren Dienst Wort für Wort inspiriert wurden (1Kor 2,13; 2Tim 3,16). Doch denke ich, dass Gott auch später seinem Volk Gaben geschenkt hat, die auf ihre Art ebenfalls einmalig waren. Würde man sie ablehnen, so würde man nicht nur selbst einen unwiederbringlichen Verlust erleiden, sondern auch den verunehren, der sie zum Wohl des ganzen Leibes gegeben hat.

Überhaupt kann man immer wieder beobachten, dass Kinder Gottes, die weiterführende Schriften und Erklärungen des Wortes Gottes nicht nötig zu haben meinen, selten wirklich innerlich weiterkommen. Meist bleiben sie, geistlich gesehen, „Zwerge“. Gott hat es im Allgemeinen nur sehr wenigen gestattet, unabhängig von anderen und in einer gewissen Ursprünglichkeit die Wahrheit auszugraben. Und es gehört schon – um nicht mehr zu sagen – ein gerütteltes Maß an Selbstvertrauen dazu, sich heute zu ihnen zu rechnen. Ich kannte persönlich noch einige Brüder, die zu ihren Lebzeiten zu Recht zu den Führern unter den Brüdern gerechnet wurden, die jedoch freimütig bekannten, dass sie das meiste von dem, was sie aus Gottes Wort wussten, durch andere gelernt hatten.

Das ist auch in völliger Übereinstimmung mit 2. Timotheus 2,2. Dort ermahnt der Apostel Paulus sein Kind Timotheus, das, was er in Gegenwart vieler Zeugen von ihm gehört hatte, nun auch anderen treuen Leuten anzuvertrauen. Diese sollten die Fähigkeit besitzen, ihrerseits auch wieder andere zu belehren. Hier haben wir also den normalen Weg, auf dem die göttliche Wahrheit an andere, speziell auch an die nächste Generation übermittelt werden soll: Belehrung durch die, die sie von den anderen gelernt haben.

Haben wir erst einmal diese Dinge im rechten Licht sehen gelernt, so denke ich, werden wir Gott umso dankbarer dafür sein, dass Er die verschiedensten Mittel und gerade auch die Belehrung durch andere benutzt, um uns im Erfassen seiner Wahrheit zu fördern. Und diese Belehrung beschränkt sich keineswegs nur auf die Stunden unseres Zusammenkommens, wenn sie auch dort ihren höchsten Ausdruck findet. Noch kurz vor seinem Märtyrertod verlangte der Apostel Paulus nach den Büchern und Pergamenten. Timotheus sollte sie ihm unbedingt mitbringen, wenn er kam (2Tim 4,13).


Originaltitel: „Bibellesen“, unter der Rubrik Fragen und Antworten
aus Ermunterung und Ermahnung, 1991, S. 371–374
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