Das Lukasevangelium (8)
Kapitel 8

William Kelly

© J. Das, online seit: 06.11.2006, aktualisiert: 22.02.2024

Leitverse: Lukas 8

Im letzten Kapitel 8, über das ich heute Abend sprechen möchte, wird nicht nur gezeigt, wie der Herr weiterzog und predigte, sondern auch, dass Ihn eine Anzahl Männer und Frauen in Seinem Gefolge begleiteten. Sicherlich handelte es sich um Kinder der Weisheit, die armen, aber wahren Zeugen Seiner reichen Gnade, welche sich Ihm hier auf der Erde hingaben. „Und die Zwölfe mit ihm, und gewisse Frauen, die von bösen Geistern und Krankheiten geheilt worden waren: Maria, genannt Magdalene, von welcher sieben Dämonen ausgefahren waren, und Johanna, die Frau Chusas, des Verwalters Herodes’, und Susanna und viele andere Frauen, die ihm dienten mit ihrer Habe“ (Lk 8,2.3). Ist das nicht auch wieder ein wunderbar kennzeichnendes Bild von unserem Herrn Jesus, das wir nur im Lukasevangelium finden? Er stand weit über dem Bösen im Menschen und konnte in der vollkommenen Ruhe der Gegenwart Seines Vaters und gleichzeitig in der Wirksamkeit der Gnade Gottes in dieser Welt wandeln.

Das Gleichnis vom Sämann

Deshalb wird auch in unserem Evangelium berichtet, wie Er vom Sämann spricht, denn tatsächlich war Er es, der damals den Samen des Wortes Gottes ausstreute. Die Saat wird hier „Wort Gottes“ genannt. Im Matthäusevangelium, wo dasselbe Gleichnis steht und es das Reich der Himmel einführt, wird sie als das „Wort vom Reich“ bezeichnet (Mt 13,19). In unserem Evangelium geht es, anders als bei Matthäus, nicht um das Königreich. Nichts kann man einfacher erklären als den Grund für diesen Unterschied. Wir müssen beachten, dass der Geist Gottes, wenn Er berichtet, Sich nicht unbedingt auf die Worte beschränkt, die Jesus aussprach. Das ist, wie ich denke, von nicht geringer Bedeutung für die richtige Beurteilung der Bibel. Rechtgläubige Menschen verschließen sich manchmal in der Vorstellung einer Vollinspiration gegen jede andere Auffassung. Sie verstehen unter Inspiration einen Vorgang, der, nach meiner Meinung, ganz und gar„automatisch“ genannt werden muss. Sie denken, dass die Inspiration einzig und allein die genauen Worte wiedergibt, die Christus äußerte. Mir scheint dafür nicht die geringste Notwendigkeit vorzuliegen. Ganz gewiss gibt der Heilige Geist die Wahrheit, und zwar die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Die Unterschiede beruhen nicht auf Unvollkommenheit, sondern auf Seiner Absicht; und was Er uns gegeben hat, ist unvergleichlich besser als ein reiner Bericht unter Mithilfe vieler Menschen, die alle die gleichen Worte und Tatsachen erzählen wollen. Nimm das Kapitel vor uns, um das, was ich sage, zu illustrieren! Matthäus und ebenso Lukas geben uns dasselbe Gleichnis vom Sämann. Aber Matthäus nennt es „das Wort vom Reich“, während Lukas es als „das Wort Gottes“ bezeichnet. Der Herr Jesus mochte beide Ausdrücke in Seiner Predigt benutzt haben. Ich verfechte nicht die Ansicht, dass Er es nicht tat. Doch ich halte fest, dass es egal ist, ob Er beide Ausdrücke benutzte oder nicht. Auf jeden Fall wollte es der Geist Gottes nicht, dass wir beide in demselben Evangelium haben sollten, sondern handelte mit göttlicher Souveränität. Er erniedrigte die Evangelisten nicht zu reinen Protokollierern von Worten, wie wir es bei der sorgfältigen Arbeit eines Menschen antreffen. Ohne Zweifel ist es ihre Aufgabe, sich die genauen Worte, die ein Mensch äußerte, zu beschaffen; doch keine Kraft oder Person ist in dieser Welt fähig, den Willen Gottes auszuführen. Der Geist Gottes jedoch kann mit mehr Freiheit handeln und diesen Teil einer Äußerung dem einen Evangelisten geben und jenen Teil einem anderen. Folglich erklärt ein automatisches System niemals die Inspiration. Ein solches findet sich dadurch völlig widerlegt, dass nicht in allen Evangelien dieselben Worte überliefert sind. Nimm Matthäus, der, wie wir vor kurzem gesehen haben, sagt: „Glückselig die Armen“ (Mt 5,3)! Lukas schreibt: „Glückselig ihr Armen“ (Lk 6,20). Das ist sofort eine unangenehme Schwierigkeit für dieses automatische Schema der Inspiration. Es ist indessen keine für die, welche an der Überlegenheit des Heiligen Geistes festhalten, der verschiedene Menschen als Gefäße Seiner unterschiedlichen Absichten benutzte. In keinem Evangelium wird versucht, alle Worte und Werke des Herrn Jesus wiederzugeben. Deshalb bezweifle ich nicht, dass wir zwar in jedem Evangelium nichts als die Wahrheit lesen, aber dennoch in keinem von ihnen und auch nicht in allen zusammen alles berichtet finden. Darum ergibt sich die reichste Fülle der Darstellung allein aus der Methode des Heiligen Geistes. Indem Er den absoluten Überblick über die ganze Wahrheit hatte, gab Er die nötigen Worte am rechten Platz und durch die geeignete Person, damit Er umso besser die Herrlichkeit des Herrn entfalten konnte.

Das Gleichnis mit der Lampe

Nach diesem Gleichnis finden wir, ähnlich wie bei Matthäus, ein weiteres; allerdings bezieht es sich nicht auf das Königreich, denn das ist hier nicht das Thema. Bei Lukas geht es nicht um die Haushaltungen. Tatsächlich wird dieses Gleichnis in Matthäus 13 überhaupt nicht erwähnt. Dort wird uns nämlich nur das berichtet, was zur Absicht dieses Evangeliums passt. Im Lukasevangelium war es jedoch sehr wichtig, dass das folgende Gleichnis aufgeschrieben wurde. Denn wenn ein Mensch durch das Wort Gottes ergriffen worden ist, folgt als Nächstes das Zeugnis. Den Jüngern, und nicht der Nation Israel, war es gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu kennen. Nachdem sie selbst erleuchtet waren, sollten sie andere erleuchten. „Niemand aber, der eine Lampe angezündet hat, bedeckt sie mit einem Gefäß oder stellt sie unter ein Bett, sondern er stellt sie auf ein Lampengestell, auf dass die Hereinkommenden das Licht sehen. Denn es ist nichts verborgen, was nicht offenbar werden wird, noch geheim, was nicht kundwerden und ans Licht kommen soll. Sehet nun zu, wie ihr höret; denn wer irgend hat, dem wird gegeben werden, und wer irgend nicht hat, von dem wird selbst, was er zu haben scheint, genommen werden“ (Lk 8,16-18). So wird die Verantwortlichkeit im Gebrauch des Lichts betont.

Mutter und Brüder des Herrn

Es folgt das Beiseitesetzen der natürlichen Bande in den göttlichen Dingen und die Ablehnung einer Beziehung, die nicht auf das Hören und Tun des Wortes Gottes beruht. Das Fleisch ist wertlos; es nützt nichts. So antwortete der Herr entsprechend, als man Ihm mitteilte: „Deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und wollen dich sehen. Er aber antwortete und sprach zu ihnen: Meine Mutter und meine Brüder sind diese, welche das Wort Gottes hören und tun“ (Lk 8,20.21). Wieder ist es das Wort Gottes. Anders als im Matthäusevangelium lesen wir diese Worte nicht, nachdem die Nation formal dem Abfall übergeben und eine neue Beziehung eingeführt worden ist (Mt 12,43-50). Hier erklärt Gott einfach Seine Zustimmung zu denen, welche Sein Wort halten und würdigen. Wenn wir dem Wort Gottes sittlich seinen rechten Platz einräumen, begegnen wir der Gesinnung Christi.

Der Sturm und der Besessene

Aber Christus bewahrt Seine Zeugen nicht vor den Schwierigkeiten hienieden. Die nächste Szene fand auf dem See statt; und die Jünger offenbarten ihren Unglauben und der Herr Seine Gnade und Macht. Auf der anderen Seite des Sees sehen wir den Besessenen mit der „Legion“, bei dem trotz seines schrecklich bösen Zustands ein tiefes göttliches Werk in der Seele bewirkt wurde. Es geht jetzt nicht so sehr darum, wie aus ihm ein Knecht Christi gemacht wurde. Das erfahren wir sehr ausführlich in Markus 5. Hier sehen wir ihn vielmehr als Menschen Gottes. Zuerst war er der Gegenstand der befreienden Macht und Gunst des Herrn. Danach erfreute er sich an Dem, der ihm auf diese Weise Gott bekannt gemacht hatte. Es ist kein Wunder, dass der Mann, nachdem die Dämonen ausgetrieben waren, bei Jesus bleiben wollte. Dieses Gefühl passte ganz natürlich zu der Gnade und den neuen Beziehungen zu Gott, in die er eingetreten war. „Er aber entließ ihn und sprach: Kehre in dein Haus zurück und erzähle, wie viel Gott an dir getan hat. Und er ging hin und rief aus durch die ganze Stadt, wie viel Jesus an ihm getan hatte“ (Lk 8,38.39).

Jairus’ Tochter

Danach wird von der Bitte des Jairus wegen seiner Tochter berichtet. Während der Herr auf dem Weg war, die Tochter Israels, die in der Zwischenzeit starb, zu heilen, wurde Er durch die Berührung des Glaubens aufgehalten. Wer immer zu Ihm kam, fand Heilung. Der Herr begegnet zur heutigen Zeit vollkommen den Bedürfnissen einer jeden Seele. Doch Er versäumt auch nicht, auf dem langen Weg die Absichten Gottes zur Erweckung Israels zu erfüllen. Er wird Israel wiederherstellen; denn in den Augen Gottes ist es nicht tot, sondern es schläft.

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Aus Lectures Introductory to the Study of the Gospels, Heijkoop, Winschoten, NL, 1970
(im Deutschen herausgegeben und übersetzt von J. Das)

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