Praktische Lehren aus dem Buch Hiob (10)
Auf tausend Fragen keine Antwort

William Kelly

© CSV, online seit: 26.12.2005, aktualisiert: 24.05.2020

Leitvers: Hiob 38,2 „Wer ist es, der den Rat verdunkelt mit Worten ohne Erkenntnis?“

Hiob 38,2: Wer ist es, der den Rat verdunkelt mit Worten ohne Erkenntnis?

Mit dieser ernsten Frage wendet sich der Allmächtige an den sich auflehnenden Leidenden. Wie viel hatte Hiob gesprochen! Wer sich selbst ein wenig kennt, fühlt, dass es nicht an uns ist, ihn deswegen zu verurteilen. Wir begreifen so gut, dass er durch das Übermaß des Schmerzes, den er zu tragen hatte, seine Selbstbeherrschung verlor und voller Verzweiflung losbrach. „So will auch ich meinen Mund nicht zurückhalten, will reden in der Bedrängnis meines Geistes“, hatte er selbst gesagt (Hiob 7,11 „So will auch ich meinen Mund nicht zurückhalten, will reden in der Bedrängnis meines Geistes, will klagen in der Bitterkeit meiner Seele.“). Aber wo wir, Menschen wie er, uns des Urteilens enthalten, da ist es doch gut, dass wir Gottes Gedanken über unseren Mitmenschen kennen. Und dann kommt hier bei Hiob ans Licht, wie viel Übles er mit seinen unbeherrschten Worten getan hat. Fühlen wir beim Lesen von Hiob 3,1 „Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag.“ nicht, dass da eine Wendung zum Bösen vor sich geht? Vor diesem Augenblick war Hiob ein vollkommenes Vorbild gläubigen Ruhens in den Wegen des Herrn gewesen. Diese Gesinnung hatte ihn gekennzeichnet zur Ehre Gottes, zur Beschämung Satans und zum Vorbild für uns, denen das Ausharren Hiobs zur Nachahmung empfohlen wird (Jak 5,11 „Siehe, wir preisen die glückselig, die ausgeharrt haben. Von dem Ausharren Hiobs habt ihr gehört, und das Ende des Herrn habt ihr gesehen, dass der Herr voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist.“). Aber wenn wir dann lesen: „Danach tat Hiob seinen Mund auf und verfluchte seinen Tag“, dann liegt in dieser ersten kurzen Mitteilung bereits der Aufstand, die Auflehnung, das Verfluchen eines Tages, für den Gott zu allen Zeiten Dank gebührt, das Gott-die-Schuld-Geben wegen des Misslingens in seinem Leben, das Urteilen des Menschen über Gottes Wege. Und damit hatte Hiob für sich persönlich und für andere den Rat Gottes verdunkelt. Nun erst war er selber in Finsternis, nun war ihm durch seine verkehrte Gesinnung alle Einsicht in Gottes Führungen genommen. Welche Warnung für uns in Tagen der Widerwärtigkeiten!

Jetzt fordert Gott ihn auf, als ein Mann Ihm Rede und Antwort zu stehen (Hiob 38,3 „Gürte doch wie ein Mann deine Lenden, so will ich dich fragen, und du belehre mich!“). Zwar hatte Hiob selbst die Schwachheit des Menschen vor Gott mit den Worten anerkannt: „Was ist der Mensch, dass du ihn hochhältst?“ (Hiob 7,17). Aber da er es gewagt hatte, Gott zur Verantwortung zu rufen (Hiob 31,35-37 (35) O dass ich einen hätte, der auf mich hörte: Hier ist meine Unterschrift – der Allmächtige antworte mir! – und die Schrift, die mein Gegner geschrieben hat! (36) Würde ich sie nicht auf meiner Schulter tragen, sie mir umbinden als Krone? (37) Ich würde ihm die Zahl meiner Schritte mitteilen, würde ihm nahen wie ein Fürst.“), geziemte ihm nun auch die Haltung eines Helden. Gott antwortet ihm mit einer Gegenfrage: „Wo warst du, als ich die Erde gründete?“ (Hiob 38,4). In dieser Frage liegt alles Folgende eingeschlossen. Das Geschöpf wird dem Schöpfer gegenübergestellt, das ist der Grundgedanke dieser Worte des Herrn. Hiob muss die Antwort schuldig bleiben: Die Erschaffung der Welt, dieses tausendfache Wunderwerk Gottes, lag ja weit vor der Zeit, da er selbst geschaffen wurde, ein Mensch unter vielen, ein Geschöpf inmitten einer Schöpfung, von deren Ursprung er nichts wusste noch auch wie Gott sie unterhielt. Und wie auf diese Kernfrage, so muss Hiob dann auch auf die mehr als fünfzig weiteren Fragen Gottes in den Kapiteln Hiob 38–41 die Antwort schuldig bleiben. Jede menschliche Einbildung wird hier durch Gott zunichtegemacht; die stolzen Worte Hiobs verstummen, sobald Er spricht.

Doch müssen wir wohl im Auge behalten, dass es nicht Gottes Absicht war, sich Hiob gegenüber auf Seine Schöpferwerke zu beschränken. Im Gegenteil: Er wollte das Herz Hiobs und unser aller Herzen, die wir Seine herrlichen Worte zu unserer Betrachtung erwählt haben, mit Seiner Person beschäftigen. Der Mensch musste von jedem Gedanken über sich selbst erlöst werden und in Demut sich zu beugen lernen vor der Größe des Schöpfers selbst. Denn wenn Gottes Werke so wunderbar sind, wie viel herrlicher ist dann Er, der diese Dinge zustande gebracht hat! Wenn wir schon klein werden bei dem Anschauen dessen, was Er gemacht hat, wie nichtig sind wir dann Ihm selbst gegenüber. Aber auch: Wie ermuntert solch ein Gefühl uns, unser ganzes Vertrauen auf Ihn zu setzen (Ps 146,5.6 (5) Glückselig der, dessen Hilfe der Gott Jakobs, dessen Hoffnung auf den HERRN, seinen Gott, ist! (6) Der Himmel und Erde gemacht hat, das Meer und alles, was in ihnen ist; der Wahrheit hält auf ewig;“). Wird Hiob sich später viel mit dem Behemoth oder dem Leviathan beschäftigt haben? Keineswegs, aber von Gott war er erfüllt, mehr als zuvor (Hiob 42,5 „Mit dem Gehör des Ohres hatte ich von dir gehört, aber nun hat mein Auge dich gesehen.“). Und damit war Gottes Ziel erreicht.

Dieser Teil vermittelt uns die herrliche Belehrung, dass es in allererster Linie darauf ankommt, ob wir uns auf dem rechten Platz vor Gott befinden. Darum disputiert Gott nicht mit Hiob. Sobald dieser unter den Eindruck seiner Unfähigkeit gekommen war, die Wunderwerke der Schöpfung zu erklären, begriff er, dass er noch viel weniger vermochte, Gottes Wege und Pläne mit einer Menschenseele zu beurteilen. Seine Absichten mit den Heiligen, die Er lieb hat, Seine Zuneigung zu ihnen, Seine Treue, Sorge und Leitung – wie viel tiefer geht das alles als das Schöpfungswerk! In der Schöpfung bewundern wir Seine Macht und Majestät, aber in Seiner Führung der Seelen spricht Sein Herz. Er weiß ja, wer wir sind, ist eingedenk, dass wir Staub sind (Ps 103,14 „Denn er kennt unser Gebilde, ist eingedenk, dass wir Staub sind.“). Er weiß auch, was für ein mächtiger Feind der Seelen gegen uns steht. Aber dennoch will Er in diesem schwachen Menschen Seine höchsten Absichten verwirklichen – Absichten, die viel weiter gehen als die Schöpfung. Er will aufs Allerhöchste verherrlicht werden, nicht durch das Lied der Natur (Ps 19), nicht durch das Jubeln der Morgensterne (Hiob 38,7 „als die Morgensterne miteinander jubelten und alle Söhne Gottes jauchzten?“), sondern in Seinen Heiligen und bewundert in allen denen, die geglaubt haben (2Thes 1,10 „wenn er kommt, um an jenem Tag verherrlicht zu werden in seinen Heiligen und bewundert zu werden in allen denen, die geglaubt haben; denn unser Zeugnis bei euch ist geglaubt worden.“). Die volle Offenbarung des Herzens Gottes schauen wir in den ewigen Segnungen, die Er den Seinen schenkt. Für sie ist Er selbst in Christus herniedergekommen, in Ihm, der nicht allein die Wahrheit war, sondern in Seinem Wesen den Vater völlig offenbarte. Von alledem konnte Hiob noch nichts offenbart werden, aber sein Herz wurde durch Demütigung auf diese Dinge gerichtet.

Anhand dieser Bemerkungen werden wir beim Lesen und Überdenken der Kapitel 38 bis 41 die Pracht und Majestät dieser göttlichen Worte voll und ganz genießen können und uns dem Eindruck der Größe des Schöpfers erschließen, ohne in den Fehler zu verfallen, bei diesen Dingen selbst zu viel stehen zu bleiben, was Gottes Absicht mit Hiob ebenso wenig war wie mit uns.

Achten wir noch darauf, dass Gott zuerst über die großen Dinge in der Natur spricht: die Erde (Hiob 38,4-7 (4) Wo warst du, als ich die Erde gründete? Tu es kund, wenn du Einsicht besitzt! (5) Wer hat ihre Maße bestimmt, wenn du es weißt? Oder wer hat über sie die Mess-Schnur gezogen? (6) In was wurden ihre Grundfesten eingesenkt? Oder wer hat ihren Eckstein gelegt, (7) als die Morgensterne miteinander jubelten und alle Söhne Gottes jauchzten?“), das Meer (Hiob 38,8-11 (8) Und wer hat das Meer mit Toren verschlossen, als es hervorbrach, hervorkam aus dem Mutterschoß, (9) als ich Gewölk zu seinem Gewand und Wolkendunkel zu seiner Windel machte (10) und ich ihm meine Grenze bestimmte und Riegel und Tore setzte (11) und sprach: Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter, und hier sei eine Schranke gesetzt dem Trotz deiner Wellen?“), den Morgen (Hiob 38,12-15 (12) Hast du, seitdem du lebst, einem Morgen geboten? Hast du die Morgenröte ihre Stätte wissen lassen, (13) dass sie erfasse die Säume der Erde und die Gottlosen von ihr verscheucht werden? (14) Sie verwandelt sich wie Siegelton, und alles steht da wie in einem Gewand; (15) und den Gottlosen wird ihr Licht entzogen, und der erhobene Arm wird zerbrochen.“), den Abgrund und das Totenreich (Hiob 38,16-18 (16) Bist du bis zu den Quellen des Meeres gekommen, und hast du die Gründe der Tiefe durchwandelt? (17) Wurden dir die Pforten des Todes enthüllt, und sahst du die Pforten des Todesschattens? (18) Hast du Einsicht genommen in die Breiten der Erde? Sage an, wenn du es alles weißt!“), das Licht und die Finsternis (Hiob 38,19-21 (19) Welches ist der Weg zur Wohnung des Lichts, und die Finsternis, wo ist ihre Stätte? – (20) dass du sie zu ihrer Grenze hinbringen könntest und dass du die Pfade zu ihrem Haus kenntest. (21) Du weißt es ja; denn damals wurdest du geboren, und die Zahl deiner Tage ist groß!“), Schnee, Wind, Regen, Frost, Sterne, Wolken, Unwetter (Hiob 38,22-38).

Aber dann wendet Er sich kleineren Dingen zu und bringt Seine Fürsorge für das Geschaffene zum Ausdruck (Hiob 39).

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Originaltitel: „Praktische Lehren aus dem Buch Hiob. (11) Auf tausend Fragen keine Antwort“
aus Ermunterung und Ermahnung, Jg. 49, 1995, S. 52ff.

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