Die Ohren des Herrn
... oder der Dienst der Liebe

Walter Thomas Prideaux Wolston

© SoundWords, online seit: 10.02.2002, aktualisiert: 02.11.2022

Leitverse: Psalm 40,6.7; Jesaja 50,4; 2. Mose 21,2-6

Einleitung

Es gibt Schriftstellen im Alten Testament, die sich in schöner Weise mit diesem Dienst Christi verbinden. Es ist außerordentlich, wenn wir daran denken, dass Er ein Diener wurde: „Er ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen“ (Mt 20,28); wie Er seinen Jüngern sagte: „Ich aber bin in eurer Mitte wie der Dienende“ (Lk 22,27).

Psalm 40: Ohren hast du mir bereitet

Ps 40,6.7: An Schlacht- und Speisopfern hattest du keine Lust; Ohren hast du mir bereitet: [w. gegraben] Brand- und Sündopfer hast du nicht gefordert. Da sprach ich: Siehe, ich komme … Dein Wohlgefallen zu tun, mein Gott, ist meine Lust.

Schauen wir uns nun an, worin Er uns dient. Gehen wir einen Augenblick zurück zu Psalm 40. Vielleicht haben einige eurer Bibeln einen Verweis auf 2. Mose 21,6. Streicht das durch. Es gibt keinerlei Verbindung zu diesem Vers. Dieser Verweis hat viele in die Irre geführt. 2. Mose 21 spricht von seinem Tod; Psalm 40 jedoch von seiner Geburt.

Was verstehst du unter „gegrabenen“ Ohren? Es ist wirklich ganz einfach. Angenommen, ich gehe nach draußen, um eine Grube zu graben, so wird nicht eher eine Grube dort sein, bis ich sie gegraben habe. Er hatte nicht eher Ohren, bis sie „gegraben“ wurden – Er war niemals zuvor ein Hörer! Er hatte geschaffen, befohlen, regiert und Gesetze gegeben, aber Er hatte nicht gehört.

Eine wunderschöne Auslegung dieses orientalischen bildlichen Ausdruckes, die diese Bedeutung ganz klar macht, finden wir in Hebräer 10,5: „Schlachtopfer und Speisopfer hast du nicht gewollt, einen Leib aber hast du mir bereitet.“ Als der Apostel sich daran machte, das Ende des Verses zu zitieren – ich darf doch wohl sagen, dass du das schon bemerkt hast –, zitierte er ihn nicht, wie er im Psalm niedergeschrieben ist. Darüber waren einige beunruhigt, und Ungläubige waren schnell bei der Hand, das aufzugreifen und zu sagen: „Schaut euch euren großen Apostel Paulus an, er kann nicht einmal die Bibel richtig zitieren.“ Aber wir haben hier keinen Fehler vorliegen. Es ist einfach so, dass das Zitat der griechischen und nicht der hebräischen Version der alttestamentlichen Schriften entnommen ist.

Über zweihundert Jahre vor der Geburt des Herrn Jesus sind die Schriften des Alten Testamentes ins Griechische übersetzt worden (so wie wir kürzlich eine revidierte Version hatten), und als die Übersetzer zu Psalm 40 kamen, hielten sie offensichtlich inne, um zu erkunden, was mit dem „Graben“ der Ohren gemeint sein könnte, und Gott schenkte ihnen durch seinen Geist die Erkenntnis, dass der Eine, von dem da gesprochen wird, niemals Ohren und nie zuvor einen Leib gehabt hatte; dennoch wird Ihm hier unterstellt, einen Leib zu haben – das heißt Fleisch zu werden –, und sie geben es sehr frei wieder, indem sie sagen: „Einen Leib aber hast du mir bereitet.“ Als der Apostel an die Hebräer schreibt, leitet Gott ihn durch seinen Geist, eher aus dem Griechischen als aus dem Hebräischen zu zitieren, damit wir verstehen mögen, dass Er nun einen Leib hatte und ein Hörer war.

Was ist nun die Bedeutung des Ohres? Es sieht nicht, handelt oder denkt nicht, es erhält nur Mitteilungen von außerhalb. „Siehe, ich komme“, sagt Er zu Gott, „einen Leib hast du mir bereitet“; und in diesem Leib kam der ewige Sohn des Vaters, um das zu tun, was keiner je getan hat: auf die Anordnung Gottes zu hören und seinen Willen zu tun.

Jesaja 50: Er weckt mir das Ohr

Nehmen wir eine andere Bibelstelle: Jesaja 50 – ein weiterer Schritt in der gesegneten Geschichte dieses vollkommenen Dieners. Er war eine göttliche Person, der Eine, der alle Macht in seiner Hand hatte, ja „er trägt alle Dinge durch das Wort seiner Macht“ (Heb 1,3), und wir hören Ihn hier sagen: „Ich kleide die Himmel in Schwarz und mache Sacktuch zu ihrer Decke“ (Jes 50,3). Dort haben wir seine Göttlichkeit herausgestellt, aber schon der nächste Vers zeigt Ihn als einen abhängigen Menschen:

Jes 50,4: Gott, der HERR, hat mir eine geübte Zunge gegeben, damit ich den Müden mit einem Wort zu erquicken wisse. Er weckt, ja, Morgen für Morgen weckt er mir das Ohr, dass ich höre wie ein Geübter [oder wie ein Geübter hören sollte].

Es ist dasselbe: einer, der zuhört. Niemand als Jahwe allein hat Jesus je geweckt, außer die Jünger einmal sehr unsanft, als sie das eigentlich nicht sollten (s. Mk 4,38).

Die bekannte Stimme des Vaters weckte Ihn, und Er erhielt seine täglichen Weisungen. Wir haben sein Leben hier in Jesaja vor uns, wohingegen Psalm 40 seine Geburt beschreibt. Er bekam sehr bald Mitteilungen von Gott darüber, was sein Lebensweg sein würde, und als Er alles wusste, hatte Er ein vollständiges und vollkommenes Verständnis über die absolute Vollkommenheit des Weges Gottes mit Ihm, und Er ist nicht davor zurückgewichen. Die dann folgenden Verse offenbaren seine vollkommene Unterwerfung und seine Kraftquelle auf dem Pfad unbeschreiblicher Versuchung:

Jes 50,5-9: Der Herr, HERR, hat mir das Ohr geöffnet, und ich, ich bin nicht widerspenstig gewesen, bin nicht zurückgewichen. Ich bot meinen Rücken den Schlagenden und meine Wangen den Raufenden, mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmähungen und Speichel. Aber der Herr, HERR, hilft mir. Darum bin ich nicht zuschanden geworden, darum habe ich mein Gesicht [hart] wie Kieselstein gemacht. Ich habe erkannt, dass ich nicht beschämt werde. Nahe ist, der mir Recht schafft: Wer will mit mir einen Rechtsstreit führen? Lasst uns zusammen hintreten! Wer ist mein Rechtsgegner? Er trete her zu mir! Siehe, der Herr, HERR, hilft mir. Wer ist es, der mich schuldig erklären will? Siehe, allesamt werden sie zerfallen wie ein Kleid, die Motte wird sie fressen. 

Wenn der Werdegang unseres Seelenlebens ehrlich erzählt würde, dann zeigte sich, dass die Hälfte, ja drei Viertel der Probleme, Versuchungen, Schwierigkeiten und Verzweiflungen, durch die wir gehen, allein durch die Erwartung der Nöte verursacht wird, die uns nie befallen. Der Herr Jesus sah den ganzen Weg, und Er ging unbeirrt weiter. Wie oft sind wir rebellisch gewesen und sind zurückgewichen vor dem, was wir schon von Weitem sich vor uns auftürmen sahen. Es ist so ein Gegensatz zu dem, was wir hier finden. Nochmals: Wie oft sind wir gedemütigt worden, wenn wir uns danach gesehnt haben, Ihm zu dienen, weil wir es nicht vermochten. Vielleicht sind uns Menschen untergekommen, denen wir zu helfen suchten, Gläubige oder auch Sünder; wir haben dann aber gemerkt, dass wir ihren Seelen gar nicht helfen konnten. Warum? Einfach deshalb, weil wir dem Herrn nicht nahe genug waren. Warum konnte Jesus den Seelen immer helfen? Weil Er seinem Vater immer nahe war. Denn so kamen auch die Worte, die Er sprach, direkt vom Vater. Die ganze Geschichte Christi ist gekennzeichnet durch seine vollkommene und absolute Abhängigkeit. Er hatte immer ein „Wort zur rechten Zeit“ – das richtige Wort für jede Seele, der Er begegnete, und immer wurde Gott verherrlicht, weil das nötige Wort zur rechten Zeit gesprochen wurde.

Vollkommene Abhängigkeit und das Warten auf Gottes Führung sehen wir auch in der bewegenden Szene in Johannes 11. Dort lassen die Schwestern Martha und Maria nach Jesus schicken, damit Er zu ihrem sterbenden Bruder komme. Sie waren sich sicher, dass die Worte „Der, den du lieb hast, ist krank!“ (Joh 11,3) Ihn sofort herbringen würden. Angenommen ein Bote käme in dein Haus in dem Moment, wenn du abends gerade nach Hause kommst, um dir zu erzählen, dass jemand, den du sehr lieb hast, krank ist. Was würdest du tun? Würdest du nicht so schnell, wie du kannst, hingehen? Du würdest den ersten Zug oder die erste Straßenbahn nehmen oder zu Fuß, so schnell wie du kannst, dort hingehen. Aber der Herr tat das nicht. Liebe tut immer das Beste für denjenigen, dem sie gilt. Wir handeln manchmal nicht so. Ich gebe offen vor dir zu, dass wir oftmals nicht genug über die Absicht des Herrn wissen, um das Richtige zu tun. Als der Herr „noch zwei Tage an dem Ort blieb, wo er war“ (Joh 11,6), was dachten da wohl die Jünger? Sie waren zweifellos von der Art, wie Er handelte, überrascht. Sie hatten gedacht, dass Er sehr an dieser Familie von Bethanien hängt, aber sein Handeln deutete an, dass Er das nicht tat. Sie verstanden nicht, was Er sagte, sie missverstanden, was Er tat, und sie hielten es für sonderbar, dass Er nicht sofort hinging. Was dachten die Schwestern? „In dem Moment, wenn Er von Lazarus hört, dass Er so krank ist, wird er sofort kommen.“ Sie warteten und passten auf, doch Er kam nicht.

Haben wir nicht auch oft gewartet und auf die Antwort zu einer Nachricht gehofft, die wir Ihm geschickt hatten? Was sagten die beiden, als Er ankam? „Herr, wenn du hier gewesen wärest, so wäre mein Bruder nicht gestorben“ (Joh 11,21.32). „Wenn du nur ein bisschen schneller gegangen und wenn du nicht so reichlich spät gewesen wärst, wäre das nicht passiert.“ So spricht der blinde Unglaube.

Die Jünger verstanden es nicht, als Er dann ging. „Danach erst spricht er zu den Jüngern: Lasst uns wieder nach Judäa gehen. Die Jünger sagen zu ihm: Rabbi, eben suchten die Juden dich zu steinigen, und wieder gehst du dahin? Jesus antwortete: Hat der Tag nicht zwölf Stunden? Wenn jemand am Tag umhergeht, stößt er nicht an, weil er das Licht dieser Welt sieht; wenn aber jemand in der Nacht umhergeht, stößt er an, weil das Licht nicht in ihm ist. Dies sprach er, und danach sagt er zu ihnen: Lazarus, unser Freund, ist eingeschlafen; aber ich gehe hin, damit ich ihn aufwecke“ (Joh 11,7-11). Was bedeuten die Verse 9 und 10? Wende sie auf Christus und deinen eigenen Weg an. Er sah das Licht und wandelte darin. Angenommen, Er wäre zwei Tage früher weggegangen, Er hätte nachts gehen/wandeln müssen, weil Er nicht das richtige Wort dazu hatte. Eine Unmöglichkeit für Ihn! Als Er ging, hatte Er ein Wort, Er wandelte im Licht und strauchelte niemals. Es ist das, was ich für mein eigenes Herz und für alle Gläubigen begehre: diese Nähe zum Herrn und dass wir so nah bei Ihm gehen mögen, dass wir dann, wenn wir an einen bestimmten Ort gehen müssen, unsere Hand in seine Hand legen mögen, damit wir nicht auf der falschen Straße gehen. Es gibt immer eine richtige und eine falsche Straße auf jeder Reise. Lasst uns das nicht vergessen.

Was wurde denn durch Christus offenbart, dass Er nun noch jene zwei Tage an dem Ort blieb, an dem Er gerade war? Martha erfuhr, dass ihr Bruder wieder auferstehen würde. Und dann haben wir diese zwei kleinen Wörter, die schon so viele Herzen an einem offenen Grab erfreut haben: „Jesus weinte.“ Die Herrlichkeit Gottes wurde klargemacht, und die Macht Christi über den Tod wurde offenbart. Er war ein vollkommener Diener und setzte sich nie in Bewegung, ohne ein Wort Gottes dafür zu haben. Zu was ist ein Diener zu gebrauchen, der den ganzen Tag lang um das Haus herumläuft? Die Pflicht eines Dieners ist es, zu warten, bis die Glocke läutet, um dann zu erfahren, was sein Herr von ihm will, um es zu tun. Bei dem Herrn Jesus war es immer so. Er war ein vollkommener Diener.

2. Mose 21: Sein Herr soll ihm das Ohr mit einer Pfrieme durchbohren

2Mo 21,2-6: Wenn du einen hebräischen Knecht kaufst, soll er sechs Jahre dienen, und im siebten soll er frei ausgehen, umsonst. Wenn er allein gekommen ist, soll er allein ausgehen; wenn er der Ehemann einer Frau war, soll seine Frau mit ihm ausgehen. Wenn sein Herr ihm eine Frau gegeben und sie ihm Söhne oder Töchter geboren hat, so sollen die Frau und ihre Kinder ihrem Herrn gehören, und er soll allein ausgehen. Wenn aber der Knecht etwa sagt: Ich liebe meinen Herrn, meine Frau und meine Kinder, ich will nicht frei ausgehen, so soll sein Herr ihn vor die Richter bringen und ihn an die Tür oder an den Pfosten stellen, und sein Herr soll ihm das Ohr mit einem Pfriem durchbohren; und er soll ihm dienen auf ewig.

Wenden wir uns nun 2. Mose 21,2-6 zu. Für mich besteht kein Zweifel daran, dass hier der Tod Christi dargestellt wird. Aber wir haben hier auch das, was Ihn auf seinem ganzen Weg so auszeichnet: seine absolute, vollständige Unterwerfung. Der Knecht, um den es hier geht, liebte Jahwe, seinen Herrn, und er liebte seine Frau: jene, die in gemeinschaftlicher Beziehung zu ihm standen und mit ihm selbst verbunden waren; und er liebte seine Kinder, ohne die er nicht frei ausgehen wollte (2Mo 21,5). Christus liebte die Gemeinde. Es ist sehr segensreich, das zu wissen, weil es die Seele prägt und das Herz an den Herrn fesselt. Es geht um eine Antwort in den Herzen Ihm gegenüber. Du magst ein erstklassiger Gemeindegänger sein (ich habe nichts dagegen, dass du ein guter Gemeindegänger bist), aber ohne diese Zuneigung kannst du ein noch so guter Gemeindegänger sein, du wirst ein sehr armseliger Christ sein. Du kannst so rein wie ein riesengroßer Block Eis sein, aber auch genau so kalt. Verstehst du?

Der Intelligenz wird heutzutage ein hoher Wert beigemessen, aber ich sage dir, was ich denke: nämlich dass wir alle ungewöhnlich dumm sind. Wir neigen alle von Natur aus dazu, uns einzubilden, viel mehr zu wissen, als es tatsächlich der Fall ist. Und noch eins: Wir machen uns einander vor, mehr zu wissen, als es tatsächlich der Fall ist. Und wenn wir dann in Schwierigkeiten geraten oder Lehrfragen uns zu schaffen machen, sind wir überrascht, wenn wir sehen, wie leicht Gläubige davon betroffen sind. Was wird eine Seele bewahren? Intelligenz? Nein! Zuneigung! Seine Liebe zu dir! Wenn diese Dinge nicht da sind, ist die Berufung durch Christus eine höchst erbärmliche Angelegenheit. Du bist in einem erbärmlichen Zustand, wenn dein Herz nicht seine Liebe genießt. 

Der hebräische Diener liebte seinen Herrn (ein Bild für die Zuneigung Christi zu Gott), seine Frau (ein Bild der Gemeinde) und seine Kinder und wollte nicht von ihnen getrennt sein. Das Durchbohren des Ohres deutet darauf hin, und es veranschaulicht den Tod Christi. In Verbindung mit dem Ohr zeigt mir das den Dienst der Liebe, Psalm 40  zeigt mir seine Geburt, Jesaja 50 sein Leben und 2. Mose 21 seinen Tod.


Auszug aus dem Kapitel „Preventive Ministry“
aus Backsliding and Restoration (heute: God’s Restoring Grace), Bible Truth Publishers, 1964, S. 64ff.

Übersetzung: Ralf Türkis


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