Der Prophet Sacharja (3)
Kapitel 3

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 25.11.2021, aktualisiert: 29.05.2022

Ein Brandscheit, das aus dem Feuer gerettet ist

Die vierte Vision kann auf zweierlei Weise betrachtet werden. In erster Linie stellt sie die Reinigung Israels in den letzten Tagen dar, und zwar sowohl gerichtlich als auch moralisch gesehen. Sie ist jedoch auch ein schönes Bild vom Evangelium, womit sich die Seele gern beschäftigt.

Verse 1-3

Sach 3,1-3: 1 Und er ließ mich den Hohenpriester Josua sehen, der vor dem Engel des HERRN stand; und der Satan stand zu seiner Rechten, ihm zu widerstehen. 2 Und der HERR sprach zum Satan: Der HERR schelte dich, Satan! Ja, der HERR, der Jerusalem erwählt hat, schelte dich! Ist dieser nicht ein Brandscheit, das aus dem Feuer gerettet ist? 3 Und Josua war bekleidet mit schmutzigen Kleidern und stand vor dem Engel.

Der Hohepriester Josua – der Gefährte Serubbabels und ungekrönte Erbe der Linie Davids – steht wie zum Gericht vor dem Engel des HERRN. Zu seiner Rechten erscheint Satan, der Widersacher, ja der beständige Verkläger des Volkes Gottes. Aber es ist ihm nicht erlaubt, auch nur irgendeine Frage zu stellen oder irgendeine Anklage zu erheben – und das, obwohl Josua mit schmutzigen Kleidern bekleidet ist. Denn der HERR selbst sagt: „Der HERR schelte dich, Satan! Ja, der HERR, der Jerusalem erwählt hat, schelte dich! Ist dieser [Josua] nicht ein Brandscheit, das aus dem Feuer gerettet ist?“

Es ist eine auffallend ernste und zugleich wunderschöne Szene. Josua repräsentiert den gesamten Überrest; denn als Priester steht er für sie vor Gott. Aber er ist nicht mit den unbefleckten Gewändern bekleidet, die das Gesetz vorschreibt, sondern mit schmutzigen Kleidern. Das spricht von der moralischen Verunreinigung des gesamten Volkes. Jesajas Beschreibung stimmt gut mit diesem aussagekräftigen Bild überein: „Warum solltet ihr noch weiter geschlagen werden, da ihr nur den Abfall mehren würdet? Das ganze Haupt ist krank, und das ganze Herz ist siech. Von der Fußsohle bis zum Haupt ist nichts Gesundes an ihm: Wunden und Striemen und frische Schläge; sie sind nicht ausgedrückt und nicht verbunden und nicht mit Öl erweicht worden“ (Jes 1,5.6).

Juda, das von seinem Zustand her verdorben ist, hat durch den Schmutz der Verunreinigung seine gesamte Kleidung besudelt. Damit ist das Volk in den Augen Gottes unflätig und abscheulich. Wer käme auf den Gedanken, dass der HERR ein derart unreines Volk annehmen könnte? Ganz gewiss würde der Widersacher ein offenes Ohr finden, wenn er seine Anklage vor dem Thron der unendlichen Heiligkeit vorbringen würde! Doch Gott hatte bereits alles Versagen Israels berücksichtigt, als Er sie zum ersten Mal in Gnade aufnahm. Deshalb wird Er keinerlei Anklagen gegen das Volk anhören. Er weist den Teufel zurecht mit der Aussage, dass Er Jerusalem auserwählt hat und dass Josua als Vertreter des Volkes „ein Brandscheit ist, das aus dem Feuer gerettet ist“. Das ist ganz gewiss eine unvergleichlich liebevolle Güte. Doch genau das sollten wir hier erwarten, denn „die Gnadengaben und die Berufung Gottes sind unbereubar“ (Röm 11,29). Gott wird sein versagendes Volk züchtigen und erziehen, aber Er wird Satan nicht erlauben, auch nur eine einzige Anklage gegen es zu erheben. Denn Gott hat vorgesorgt, damit sein Volk moralisch geeignet ist, in seine Gegenwart zu treten.

Verse 4.5

Sach 3,4.5: 4 Und der Engel hob an und sprach zu denen, die vor ihm standen, und sagte: Zieht ihm die schmutzigen Kleider aus; und zu ihm sprach er: Siehe, ich habe deine Ungerechtigkeit von dir weggenommen, und ich kleide dich in Feierkleider. 5 Und ich sprach: Man setze einen reinen Kopfbund auf sein Haupt. Und sie setzten den reinen Kopfbund auf sein Haupt und zogen ihm Kleider an; und der Engel des HERRN stand dabei.

Dann hört Sacharja die Stimme des HERRN, die zu denen, die vor Ihm stehen, sagt: „Zieht ihm [Josua] die schmutzigen Kleider aus.“ Und an Josua ergeht das Wort: „Siehe, ich habe deine Ungerechtigkeit von dir weggenommen, und ich kleide dich in Feierkleider.“ Das rührt die Seele des Propheten zutiefst an, so dass er ergriffen ausruft: „Man setze einen reinen Kopfbund auf sein [Josuas] Haupt!“

Sofort wird getan, was er verlangt und wie Gott es geboten hat. Damit ist Josua nicht länger ein Typus bzw. ein Symbol für Juda – das durch sein Versagen und seine Sünden verunreinigt ist –, sondern für den Überrest. Dieser Überrest wird an dem Tag der Macht des HERRN wiederhergestellt und von all seinen Verunreinigungen gereinigt werden. Gott wird sich ihm gegenüber in Bezug auf alles, was dieser Überrest getan hat, versöhnlich zeigen (Hes 16,60-62).

In der Bibel finden wir keine schönere Darstellung des Evangeliums. So wie Josua für Juda steht, so stellt er auch den einzelnen erbarmungswürdigen Sünder dar, der mit all seiner Schuld in Gottes heilige Gegenwart kommt. Auf diese Weise muss anfänglich jede bußfertige Seele zu Gott kommen. Keiner kann seine Schuld ablegen und sich somit selbst für den gerechten Thron passend machen. Aber jeder bußfertige Mensch kann sich Gott in seinen schmutzigen Kleidern nähern. Er kann dies in dem vollen Bewusstsein seiner schrecklichen Schuld tun und in dem Wissen, dass es für so jemand wie ihn Gnade und Reinigung gibt. Der Widersacher wird dies, wenn möglich, zu verhindern suchen. Aber Gott wird nicht auf ihn hören, denn Er hat sein Auge auf das Werk des Herrn Jesus Christus gerichtet, das Er am Kreuz von Golgatha vollbracht hat, als Er „die Sünde vieler getragen und für die Übertreter Fürbitte getan“ hat (Jes 53,12). Gegen diese allgewaltige Fürsprache kann keine satanische Anklage etwas ausrichten. Das Blut, „das besser redet als Abel“ (Heb 12,24), schreit überlaut in das Ohr Gottes. Deshalb hat Gott Freude daran, von jedem Sünder, der zum Glauben gekommen ist, zu sagen: „Ist dieser nicht ein Brandscheit, das aus dem Feuer gerettet ist?“

Zudem geht es hier nicht allein um eine richterliche Reinigung, sondern auch um ein moralisches Geeignetsein. Denn all jene, die Gott rechtfertigt, die reinigt Er auch. Er reinigt ihre Herzen durch den Glauben, wenn sie aus dem Wasser des Wortes und aus dem Heiligen Geist geboren werden (Joh 3,5).

Verse 6.7

Sach 3,6.7: 6 Und der Engel des HERRN bezeugte Josua und sprach: 7 So spricht der HERR der Heerscharen: Wenn du in meinen Wegen wandeln und wenn du meinen Dienst versehen wirst, so sollst du sowohl mein Haus richten als auch meine Vorhöfe behüten; und du sollst ein- und ausgehen unter diesen, die hier stehen.

Nachdem Josua gerechtfertigt, gereinigt, bekleidet und gekrönt worden ist, fordert der Engel des HERRN ihn auf, das Wort des HERRN der Heerscharen zu hören: Josua soll in Gottes Wegen wandeln und sein Gebot bewahren. Der Engel versichert ihm, dass er das Haus Gottes richten werde, wenn bei ihm Treue und Hingabe gefunden werden. Außerdem werde er Gottes Vorhöfe behüten und „ein- und ausgehen unter diesen, die hier stehen“. Das bedeutet: Josua wird mit jenen Engeln verbunden sein, deren Freude es ist, dem geringsten Befehl des allherrlichen und dreifach-heiligen Gottes zu gehorchen.

Hierzu sind Gottes Erlöste berufen: dem zu dienen, dessen Gnade sie als Brandscheite aus dem ewigen Feuer gerettet hat. Das wiederhergestellte und geläuterte Israel wird in dem kommenden Zeitalter Freude daran haben, der Stimme dessen zu gehorchen, der sie am Tag seiner Macht willig gemacht hat (vgl. Ps 110,3).

Vers 8

Sach 3,8: Höre doch, Josua, du Hoherpriester, du und deine Gefährten, die vor dir sitzen – denn Männer des Wunders sind sie; denn siehe, ich will meinen Knecht, Spross genannt, kommen lassen.

In diesem Vers werden Josua und seine Gefährten „Männer des Wunders“ genannt oder, besser gesagt, „Männer des Vorbilds“. Das macht deutlich, dass wir richtigliegen, wenn wir in dem Hohenpriester und auch in seinen Gefährten symbolische Personen sehen.

All diese prophetischen Bilder werden sich letztendlich allein in Christus erfüllen. Deshalb wird uns auch sofort gesagt: „Ich will meinen Knecht, Spross genannt, kommen lassen.“ Das ist ein Titel, der keineswegs neu ist. Er ist bereits zuvor in Bezug auf den Herrn Jesus gebraucht worden. Denn die älteren Propheten hatten Ihn immer wieder so bezeichnet. Jesaja hat mehr als einmal den Tag prophezeit, an dem „der Spross des HERRN“ zur Zierde und zur Herrlichkeit werden würde (Jes 4,2; 11,1 [„Schössling“]). Und Jeremia hat zweimal von Davids gerechtem Spross gesprochen, der Jahwe-Zidkenu [„der HERR, unsere Gerechtigkeit“] genannt werden würde (Jer 23,5.6; 33,15.16). So verstärkt der Prophet hier in Sacharja 3,8 und 6,12 nur, was Gott schon lange zuvor bekannt gemacht hatte.

Verse 9.10

Sach 3,9.10: 9 Denn siehe, der Stein, den ich vor Josua gelegt habe – auf einem Stein sieben Augen –, siehe, ich will seine Eingrabung eingraben, spricht der HERR der Heerscharen, und will die Ungerechtigkeit dieses Landes an einem Tag wegnehmen. 10 An jenem Tag, spricht der HERR der Heerscharen, werdet ihr einer den anderen einladen unter den Weinstock und unter den Feigenbaum.

Der Spross aus Vers 8 wird mit dem Stein aus Vers 9 identifiziert. Auf diesem Stein sollen wie bei der Gravur eines Siegels sieben Augen eingegraben werden, das Zeichen vollkommener Einsicht und Verstandeskraft. Dies ist der Stein des Heils, der einst ein Stein des Anstoßes war und als solcher von den Bauleuten verworfen wurde (Jes 8,14; Mt 21,42; usw.). Bald wird dieser Stein gemäß Nebukadnezars Traum (Dan 2) vom Himmel fallen und die Feinde des HERRN zermalmen. Aber er wird auch die Ungerechtigkeit des Landes Palästina an einem einzigen Tag wegnehmen. Dann wird der Überrest, der verschont geblieben ist, die Segnungen der Herrschaft des Messias empfangen. Jeder wird seinen Nachbarn einladen unter seinen eigenen Weinstock und Feigenbaum. Dies scheint ein abruptes Ende eines so wundervollen Kapitels zu sein. Doch dieses Ende entspricht dem allgemeinen Charakter des Buches Sacharja, wo es immer wieder ein abruptes Ende und schnelle Übergänge gibt.

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Originaltitel: „Notes on the Prophecy of Zechariah“
aus Notes on the Minor Prophets, 1909

Übersetzung: Andreas Albracht


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