Der Prophet Obadja
Anmerkungen zur Prophezeiung Obadjas

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 25.02.2018, aktualisiert: 02.09.2023

Einleitung

In einem einzigen Kapitel gibt Gott uns durch den Dienst des Propheten Obadja wichtige Hinweise zu unserer Ermahnung und Ermutigung. So kurz wie diese Botschaft ist, so voll sind diese einundzwanzig Verse mit nützlichen Hinweisen; mögen sie zum Herzen jedes Gläubigen sprechen.

Wer Obadja war, wo er geboren wurde, aus welchem Stamm und welcher Familie in Israel er kam, sein Beruf und die exakte Zeit, in der er lebte, hat Gott uns nicht enthüllt. Ein gewisser Obadja diente am Hof des König Ahabs. Er kümmerte sich um die verfolgten Propheten des HERRN, aber er ist nicht mit dem Schreiber dieses Buches zu verwechseln. Andere Obadjas werden kurz in 1. und 2. Chronika erwähnt, aber keiner ist identisch mit diesem Buch. Wir haben keine Hinweise, Obadja genauer zu bestimmen, und es ist auch nicht wichtig, mehr darüber zu wissen. Es ist die Botschaft, nicht der Botschafter, mit der Gott uns beschäftigen möchte.

Einteilung des Buches

Die ersten sechzehn Verse betreffen die Sünde und das Schicksal Edoms. Die letzten fünf Verse beschreiben die kommende Befreiung des Hauses Jakobs, während das Haus Esaus zerstört wird, um nie wieder aufzuerstehen.

Die erwählende Gnade Gottes

Viele wichtige Lektionen sind mit der Geschichte der beiden Söhne Isaaks und ihrer jeweiligen Häuser verbunden. Bevor einer der beiden Kinder geboren war, wählte Gott den Jakob, indem Er sagte: „Der Ältere wird dem Jüngeren dienen“ (1Mo 25,23). Es war – selbstverständlich – die erwählende und wunderbare Gnade! Wer war so unwürdig wie der feige Jakob, und wer, menschlich gesprochen, war mehr zu bewundern als der anscheinend mutige und großmütige Esau? Aber Gott wählte Jakob, und das bestätigt seine Auswahl nach Gnade. Dem Leser muss klar sein, wovon Gott hier gesprochen hat. Es geht nicht um eine Auserwählung Jakobs für den Himmel oder um eine Bestimmung Esaus für die Hölle. Manche Theologen träumen davon, aber das ist nicht der Weg, wie die Schrift über dieses Thema spricht. Gott wählte Jakob als Erben der Segnungen Abrahams aus, damit er die Verheißungen weitertragen sollte. Als Er das tat, machte Er Esau seinem Bruder untertan. Es war die Einführung eines Prinzips, dem wir oft im ersten Buch Mose begegnen: dass der Ältere zur Seite gesetzt und das Erstgeburtsrecht dem Jüngeren gegeben wird. Das wiederum erinnert uns daran, dass Gott den ersten Menschen beiseitegesetzt hat, um dem zweiten Menschen den Vorrang zu geben: „Aber das Geistige war nicht zuerst, sondern das Natürliche, danach das Geistige“ (1Kor 15,46). Dieses Geheimnis wurde auch durch Kain und Abel, Ismael und Isaak, Esau und Jakob, Ruben und Joseph sowie durch Manasse und Ephraim zum Ausdruck gebracht.

Esau ein Bild des Fleisches

In Übereinstimmung damit sind Esau und die Nachkommen, die seinen Namen tragen, in der Schrift ein Bild von dem Fleisch. Jakob ist ein Vorbild des neuen Menschen, der durch Disziplin/Zucht lernt, zu überwinden. Wenn Gott im letzten Buch des Alten Testamentes sozusagen eine Zusammenfassung dieser beiden Familien beschreibt, erklärt Er: „Ich habe Jakob geliebt, Esau aber habe ich gehasst“ (Mal 1,2.3).

Wir können in dem Propheten Obadja sowohl eine symbolische als auch eine natürliche Linie erkennen. Was von Edom gesagt wird, verschmilzt mit dem endgültigen Schicksal des Fleisches – diesem abscheulichen Merkmal unseres Wesens, das sich immer selbst rühmt und aufbegehrt gegen alles, was von Gott ist, sogar im Inneren eines Gläubigen, das am Ende jedoch völlig vernichtet wird, als hätte es niemals bestanden. Der zukünftige Triumph des Hauses Jakobs in der Herrlichkeit des Reiches verrät uns die Erweiterung und die Segnungen, wenn das Fleisch für immer überwunden sein wird und der Mensch in Übereinstimmung ist mit dem, der allein bleibt.

Auslegung

Verse 1.2

Obad 1.2: 1 Gesicht Obadjas. So spricht der Herr, HERR, über Edom: Eine Kunde haben wir von dem HERRN gehört, und ein Bote ist unter die Nationen gesandt worden: „Macht euch auf und lasst uns gegen es aufstehen zum Kampf!“ 2 Siehe, ich habe dich klein gemacht unter den Nationen, du bist sehr verachtet.

Ein Gesicht des HERRN bezüglich Edom war erschienen (Obad 1) und ein Botschafter wurde zu den Nationen ringsum geschickt, um ihre Armeen gegen den Berg Esaus (Obad 19) zu mobilisieren. Obwohl einst übermächtig, sollte Edom sehr klein und verächtlich werden (Obad 2).

Edom war immer der Feind Israels, so wie „das Fleisch [kontinuierlich] begehrt gegen den Geist“ (Gal 5,17). Als das Unglück über das Haus Jakobs kam, freute sich Edom (Obad 12.13). Aber jetzt sollte das Gericht schonungslos auf Edom fallen (Obad 18). Das wird – ohne Zweifel – am Ende der Zeit geschehen; noch bevor das Reich gegründet wird, wird Edoms Macht vollständig gebrochen sein. Menschen seines Geschlechtes werden in Idumea wohnen, am Tag des letzten großen Zusammenschlusses gegen Israel, aber Edom wird besiegt werden. Wenn die übrigen Völker der Welt in den Segen der Herrschaft des Messias gelangen, wird Edom unter dem Himmel ausgelöscht sein.

Verse 3.4

Obad 3.4: 3 Der Übermut deines Herzens hat dich verführt, der du in Felsenklüften, auf hohem Sitz wohnst und in deinem Herzen sprichst: Wer wird mich zur Erde hinabstürzen? 4 Wenn du dein Nest auch hoch bautest wie der Adler und wenn es zwischen die Sterne gesetzt wäre: Ich würde dich von dort hinabstürzen, spricht der HERR.

Wie es mit dem Fleisch ist, so ist es mit Edom; sein Stolz war unerträglich. Es wohnte in den idumäischen Höhen und Felsenfestungen, es fühlte sich unverwundbar und in Sicherheit gegen alle Angriffe. Aber der HERR erklärt: „Der Übermut deines Herzens hat dich verführt, der du in Felsenklüften, auf hohem Sitz wohnst und in deinem Herzen sprichst: Wer wird mich zur Erde hinabstürzen? Wenn du dein Nest auch hoch bautest wie der Adler und wenn es zwischen die Sterne gesetzt wäre: Ich würde dich von dort hinabstürzen, spricht der HERR“ (Obad 3.4). Keine Kraft wird nutzen, wenn der HERR die Zeit für die Zerstörung bestimmt hat. Edom ist dem Gericht des Teufels verfallen, es hat sich selbst erhöht und seinen eigenen Ruhm gesucht. Vonseiten des Geschöpfes ist es Rebellion gegen Gott, und diese kann nicht ungestraft bleiben.

Verse 5.6

Obad 5.6: 5 Wenn Diebe über dich gekommen wären, wenn nächtliche Räuber – wie bist du vernichtet! –, würden sie nicht gestohlen haben, bis sie genug hätten? Wenn Winzer über dich gekommen wären, würden sie nicht eine Nachlese übriggelassen haben? 6 Wie sind die von Esau durchsucht, ausgeforscht ihre verborgenen Schätze!

Auch wird seine Verwüstung nicht kommen, als wären die Diebe eingebrochen, um zu stehlen; denn wenn sie genug hätten, dann hätten sie etwas übriggelassen. Aber an dem Tag, an dem Esaus verborgene Schätze durchsucht werden, wird keine Nachlese übrigbleiben. Seine Zerstörung wird vollständig sein (Obad 5.6).

Verse 7-9

Obad 7-9: 7 Bis zur Grenze haben dich alle deine Bundesgenossen geschickt; betrogen, überwältigt haben dich deine Freunde, die dein Brot aßen; sie legten eine Schlinge unter dich. Es ist kein Verstand in ihm. 8 Werde ich nicht an jenem Tag, spricht der HERR, die Weisen aus Edom vertilgen und den Verstand vom Gebirge Esaus? 9 Und deine Helden, Teman, werden verzagen, damit jedermann vom Gebirge Esaus ausgerottet werde durch Ermordung.

Betrogen von seinen Bündnispartnern und betrogen von solchen, denen Edom vertraut hatte, werden auch die Weisen vom Gebirge Esaus vertilgt werden, sogar die Helden Temans werden verzagt sein. Keiner wird verschont, jeder wird durch Ermordung ausgerottet werden (Obad 7-9).

Die Gewalt Edoms gegen seinen Bruder Jakob verdiente diesen strengen Umgang. Als Israel aus Ägypten auszog, hatte der König von Edom keine Beziehung zu diesen Pilgern an der Grenze zum Land Kanaan; das Volk war gezwungen, das Land zu umgehen, was für viel Mühsal und Ermüdung auf ihrer Reise sorgte (vgl. 4Mo 20,21). Von diesem Tag an war der Same Esaus der hartnäckige Feind für das begünstigte Volk Gottes.

Verse 10.11

Obad 10.11: 10 Wegen der an deinem Bruder Jakob verübten Gewalttat wird Schande dich bedecken, und du wirst ausgerottet werden auf ewig. 11 An dem Tag, als du gegenüberstandest, an dem Tag, als Fremde sein Vermögen wegführten und Ausländer zu seinen Toren einzogen und über Jerusalem das Los warfen, da warst auch du wie einer von ihnen.

Als die Stunde von Jakobs Unglück geschlagen hatte, stand Edom selbstgefällig zur Seite, sich freuend an der Schmach, derer seine „Brüder“ unterworfen waren. Die Verwüstung Jerusalems verursachte keine Trauer, sondern Freude. Sie kamen herzu, als die Babylonier Lose über Jerusalem warfen und die Beute verteilten (Obad 10.11). All das sah das Auge des HERRN; es war ein Verstoß gegen Ihn selbst, denn es war das blanke Gegenteil der Liebe, denn Liebe „freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sondern sie freut sich mit der Wahrheit“ (1Kor 13,6).

Verse 12-16

Das Urteil Gottes ist:

Obad 12-16: 12 Und du solltest nicht auf den Tag deines Bruders sehen am Tag seines Missgeschicks und dich nicht freuen über die Kinder Juda am Tag ihres Untergangs, noch dein Maul aufsperren am Tag der Bedrängnis; 13 du solltest nicht in das Tor meines Volkes einziehen am Tag seiner Not; und du, auch du solltest nicht auf sein Unglück sehen am Tag seiner Not, noch deine Hand ausstrecken nach seinem Vermögen am Tag seiner Not; 14 und du solltest nicht am Kreuzweg stehen, um seine Flüchtlinge zu vertilgen, und solltest seine Entronnenen nicht ausliefern am Tag der Bedrängnis. 15 Denn der Tag des HERRN ist nahe über alle Nationen: Wie du getan hast, wird dir getan werden; dein Tun wird auf dein Haupt zurückkehren. 16 Denn wie ihr getrunken habt auf meinem heiligen Berg, so werden beständig trinken alle Nationen; ja, sie werden trinken und schlürfen und werden sein wie solche, die nie gewesen sind.

Weil Edom so im Gegensatz zu jedem brüderlichen Instinkt gehandelt hat, sollte es ernten, was es gesät hatte, und das Gericht sollte Edom schonungslos überkommen, bis von Edom gesagt würde: „Sie werden sein wie solche, die nie gewesen sind“ (Obad 16). Wenn andere Nationen wie Ägypten, Assyrien und sogar Sodom und Gomarra wiederhergestellt und im Tausendjährigen Reich in den Segen gebracht werden, wird Edom gefallen sein und nie wieder aufstehen.

In all diesem sehen wir ein geeignetes Bild für den fleischlichen Geist und seine endgültige Zerstörung! Er ist allezeit der Feind des neuen Lebens, das den Kindern Gottes gegeben wurde, weil er nicht seinem Gesetz unterworfen ist, wie es seiner Natur auch nicht sein kann. Der fleischliche Geist freut sich an der Gottlosigkeit und erhebt seinen hochmütigen Kopf im Trotz gegen alles, was heilig ist. Wie viel Schmerz und verborgene Pein hat das Vorhandensein des Fleisches jeden aufrichtigen Heiligen schon gekostet! Aber es wird niedergeschlagen werden, um nicht mehr aufzustehen. Dann werden unsere Leiber der Niedrigkeit umgestaltet zur Gleichförmigkeit mit dem Leib der Herrlichkeit des Christus, und dann werden das Fleisch und die Sünde für immer verschwunden sein (vgl. Phil 3,21).

Manche Leute träumen von einer gegenwärtigen Zerstörung des fleischlichen Geistes oder von einer Abkürzung nach Kanaan durch das Land Edom, aber das ist eine Täuschung. Esaus Schicksal wird kommen, wenn Christus erscheint und das Regiment übernimmt. Das Ende des Fleisches in einem Gläubigen wird bei der Erlösung des Leibes geschehen, wenn wir Ihm gleichgestaltet wurden.

Verse 17-21

Obad 17-21: 17 Aber auf dem Berg Zion wird Errettung sein, und er wird heilig sein; und die vom Haus Jakob werden ihre Besitzungen wieder in Besitz nehmen. 18 Und das Haus Jakob wird ein Feuer sein und das Haus Joseph eine Flamme, und das Haus Esau wird zu Stoppeln werden; und sie werden unter ihnen brennen und sie verzehren. Und das Haus Esau wird keinen Übriggebliebenen haben, denn der HERR hat geredet. 19 Und die vom Süden werden das Gebirge Esaus, und die von der Niederung die Philister in Besitz nehmen; und sie werden das Gebiet Ephraims und das Gebiet Samarias in Besitz nehmen, und Benjamin wird Gilead in Besitz nehmen; 20 und die Weggeführten dieses Heeres der Kinder Israel werden in Besitz nehmen, was den Kanaanitern gehört bis nach Zarpat hin; und die Weggeführten von Jerusalem, die in Sepharad sind, die Städte des Südens. 21 Und es werden Retter auf den Berg Zion ziehen, um das Gebirge Esaus zu richten; und das Reich wird dem HERRN gehören.

Gleichzeitig mit dem Fall Edoms wird die Rettung Israels stattfinden: „Aber auf dem Berg Zion wird Errettung sein, und er wird heilig sein“ (Obad 17). Dann wird Jakob sein rechtmäßiges Erbe antreten und das Haus Esaus verschlingen, wie das Feuer die Stoppeln verschlingt, bis es „keinen Übriggebliebenen haben wird, denn der HERR hat geredet“ (Obad 18). An diesem Tag werden alle früheren Feinde, die, solange wie Dornen in ihrer Seite waren, in Israels Besitz kommen, „und das Reich wird dem HERRN gehören“ (Obad 19-21).

Schluss

So möge der Gläubige mit Freude und Zuversicht Ausschau halten nach der Zeit, wenn das Fleisch und alles, was jetzt noch stört und einen bedrängt, für immer besiegt und Christus allein hoch erhoben sein wird. „Komm, Herr Jesus“ (Off 22,20).


Originaltitel: „Notes on the Prophecy of Obadiah“
aus Notes on the Minor Prophets, 1909

Übersetzung: Stephan Isenberg

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