Der Prophet Sacharja (7)
Kapitel 7

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 23.01.2022

Die Notwendigkeit der inneren Realität

Der zweite Teil der Prophezeiung Sacharjas beginnt etwas mehr als zwei Jahre später als das, was wir bisher betrachtet haben.

Verse 1-3

Sach 7,1-3: 1 Und es geschah im vierten Jahr des Königs Darius, da erging das Wort des HERRN an Sacharja, am Vierten des neunten Monats, im Monat Kislev, 2 als Bethel Sarezer und Regem-Melech und seine Männer sandte, um den HERRN anzuflehen 3 und um den Priestern des Hauses des HERRN der Heerscharen und den Propheten zu sagen: Soll ich im fünften Monat weinen und mich enthalten, wie ich schon so viele Jahre getan habe?

In der Zwischenzeit ist die königliche Genehmigung für die Fertigstellung des Tempels erteilt worden. Daher werden die Arbeiten mit einer gewissen Tatkraft weitergeführt (vgl. Esra 5). Man hat sich bereits darum bemüht, die alten Feste wiederzubeleben und auch die neueren Fastenzeiten einzuhalten. Wegen einer dieser Fastenzeiten suchen einige abgesandte Juden – sowohl von den Priestern als auch von den Propheten – Sacharja und die Ältesten auf, um sie zu befragen. Ihre chaldäischen Namen verraten, dass sie in der Gefangenschaft geboren worden sind. Als Vertreter des Volkes kommen „Sarezer und Regem-Melech und seine Männer“, um den HERRN anzuflehen und um zu fragen, ob im fünften Monat gefastet werden soll, wie es seit vielen Jahren üblich war. Die Frage scheint berechtigt zu sein. Denn für das Fasten des fünften Monats gibt es keinerlei unmittelbare Legitimation im Wort Gottes; und dasselbe gilt auch für das Fasten des vierten, siebten und zehnten Monats (Sach 8,19). Außerdem hat der zurückgekehrte Überrest gelernt – sowohl was die Gebote als auch was die Lehren anbelangt –, die Frage zu stellen: „Was sagt die Schrift?“

Während ihres Aufenthalts in Babel hatten sie die vier erwähnten Fastenzeiten gehalten. Diese Zeiten erinnerten an verschiedene Ereignisse ihrer zurückliegenden traurigen Geschichte. Alle stehen in Verbindung mit der Bestrafung für ihre Sünden. Niemand braucht an der Frömmigkeit zu zweifeln, die sie veranlasste, diese besonderen Zeiten der Demütigung vor Gott einzuhalten.

Das einzige Problem ist: Äußerlichkeiten nehmen so leicht den Platz der Wirklichkeit und echter Selbstdemütigung vor dem HERRN ein. Am zehnten Tag des fünften Monats hatte Nebusaradan den Tempel und die Stadt Jerusalem verbrannt. Am Jahrestag dieses ernsten Ereignisses fasteten und weinten sie und flehten den HERRN um Erbarmen an, das Haus und die Stadt wiederherzustellen.

Jetzt, da sie sich wieder inmitten der Ruinen Jerusalems befinden, scheint ihr Gebet in einer gewissen Weise vor ihren Augen erhört zu werden, denn das Haus Gottes steht kurz vor seiner Vollendung. Deshalb stellte sich natürlich die Frage, ob es rechtmäßig ist, das eigenmächtig eingeführte Fasten des fünften Monats fortzusetzen. Also fragen die Abgesandten, ob im fünften Monat gefastet werden soll.  Die Antwort erhalten sie durch Sacharja in einem Wort des HERRN der Heerscharen:

Verse 4-7

Sach 7,4-7: 4 Und das Wort des HERRN der Heerscharen erging an mich, indem er sprach: 5 Rede zum ganzen Volk des Landes und zu den Priestern und sprich: Wenn ihr im fünften und im siebten Monat gefastet und gewehklagt habt, und zwar schon siebzig Jahre, habt ihr irgendwie mir gefastet? 6 Und wenn ihr esst und wenn ihr trinkt, seid nicht ihr die Essenden und ihr die Trinkenden? 7 Kennt ihr nicht die Worte, die der HERR durch die früheren Propheten ausrief, als Jerusalem bewohnt und ruhig war und seine Städte ringsherum und der Süden und die Niederung bewohnt waren?

Allerdings beinhaltet diese Antwort keinerlei Anweisung für das Fasten: Weder verbietet Gott es noch gebietet Er es. An sich hatte ein solches Fasten keinerlei positive biblische Legitimation; andererseits stimmt es völlig überein mit dem allgemeinen Tenor des Wortes Gottes. Somit ist diese Fastenzeit nicht unbiblisch, sondern eher außerbiblisch. Wenn sich das Volk an diesem Tag oder an irgendeinem anderen Tag in wahrem Selbstgericht und aufrichtiger Zerschlagenheit des Geistes vor Gott versammelte, so wäre das angenehm vor Gott.

Wenn sie sich jedoch einfach nur versammelten, um in gesetzlicher Weise eine Fastenzeit zu befolgen, die Gott nie angeordnet hatte, dann war dies nichts anderes als fleischlicher Eifer, und das ist in den Augen Gottes wertlos. Deshalb betont Sacharja, dass innere Wirklichkeit notwendig war. Was war denn ihr Ziel und ihr Seelenzustand, als sie in der Vergangenheit fasteten – wenn sie im fünften Monat des Niederbrennens des Tempels (2Kön 25,8; Jer 52,12) und im siebten Monat des Todes des treuen Gedalja gedachten (2Kön 25,25; Jer 41,1.2)?[1] Hatten sie all die Jahre in der Gefangenschaft überhaupt dem HERRN gefastet?

Wenn sie andererseits anstelle der Fastenzeiten die [von Gott] angeordneten Feste hielten, suchten sie dann wirklich Gottes Ehre? Oder kamen sie einfach nur zum geselligen Vergnügen zusammen, zum Essen und Trinken – ohne auch nur daran zu denken, Ihn zu ehren, an dessen Macht und Gnade sie sich erinnern sollten?

Doch auch wenn das Vergangene unwirklich und hohl gewesen war, so sollten sie sich jetzt – wo sie so deutliche Beweise sowohl der göttlichen Gnade als auch der Regierungswege Gottes vor Augen hatten – bestimmt von ganzem Herzen an Gott wenden. Sie sollten sich an die Worte erinnern, die Gott durch die früheren Propheten verkündet hatte. Denn diese hatten ihren Vätern Zeugnis abgelegt, bevor Jerusalem zerstört wurde und als sie dort noch in Frieden wohnten und Wohlstand im Land herrschte.

Verse 8-10

Sach 7,8-10: 8 Und das Wort des HERRN erging an Sacharja, indem er sprach: 9 So spricht der HERR der Heerscharen und sagt: Übt ein wahrhaftiges Gericht und erweist Güte und Barmherzigkeit einer dem anderen; 10 und bedrückt nicht die Witwe und die Waise, den Fremden und den Elenden; und sinnt keiner auf das Unglück seines Bruders in euren Herzen.

Das ist die einzige Antwort, die ihnen für den Augenblick gegeben wird. Es wird ihnen überlassen, zu entscheiden, ob sie diese Fastenzeit hielten oder nicht. Das ist höchst bedeutsam, spricht es doch auch zu uns, deren Los auf einen ähnlichen Tag gefallen ist – wenn wir doch nur auf die Stimme hören wollen. Sie betont die Wahrheit, dass für Gott bloße Formalität niemals ausreicht. Gott muss bei uns eine echte Hinwendung zu Ihm sehen. Nur dann kann Er an den Zusammenkünften seines Volkes Freude finden.

Es mag nicht unbedingt für jede Praxis eine bestimmte Bibelstelle geben. Aber Gott wird alles gnädig annehmen, was wahrem Selbstgericht entspringt und nicht im Widerspruch zum klaren Buchstaben seines Wortes steht. Mancherorts ist es inzwischen Mode geworden, zu fragen: „Wo ist die Schriftstelle dafür, dass wir eine Bibelstunde abhalten sollen? Oder wo steht der Vers, dass wir eine Jugendstunde abhalten sollen, um der Jugend Bibelwissen zu vermitteln und sie so zu Christus zu führen?“

Wir brauchen uns durch solche kaltherzigen Fragen nicht beunruhigen zu lassen. Vielmehr sollte sich der Sonntagsschulmitarbeiter fragen: „Warum arbeite ich auf diese Art und Weise unter den Kindern? Ist für mich all das letztendlich nichts weiter als fleischlicher Eifer und lediglich eine Formsache? Ist das, was ich tue, einfach nur zu einer gesetzlichen Plackerei geworden, weil so eine Arbeit momentan nun einmal üblich ist? Oder will ich damit den Herrn Jesus Christus verherrlichen? Ist es meine Absicht, dem Herrn auf diese Weise zu dienen, damit die empfindsamen Herzen dieser jungen Menschen zu Ihm gezogen werden, bevor sie durch den Betrug der Sünde verhärtet werden?“ Wenn das der Fall ist, dann stell keine weiteren Fragen, sondern setze freudig deinen Dienst fort und tue ihn von Herzen als dem Herrn.

Derselbe Grundsatz gilt übrigens auch für die Zusammenkünfte der Gläubigen zum Studium des Wortes Gottes. Es gibt keine direkte Schriftstelle, die besagt, dass solche Zusammenkünfte in bestimmten Zeitabständen abgehalten werden sollen. Aber es gibt genügend biblische Anordnungen und Beispiele, die Folgendes deutlich machen: Wenn solche Zusammenkünfte von ernsthaften, treuen Gläubigen einberufen werden, die deshalb zusammenkommen, weil sie nach der kostbaren Wahrheit Gottes hungern und sich und ihre Wege immer wieder vom Wort her beurteilen lassen möchten, dann ist das in Gottes Augen etwas wahrhaft Wohlgefälliges. Ansonsten ist es nur ein Werk des Fleisches – ohne Zweifel des religiösen Fleisches –, aber dennoch ein Werk des Fleisches.

Und das gilt auch für die Zusammenkünfte in 1. Korinther 14 und für die Zusammenkünfte zum Brotbrechen in 1. Korinther 11 und in Apostelgeschichte 20,7. Es ist durchaus möglich, zum Tisch des Herrn zu kommen – wo das Brot und der Wein von seinem Leib sprechen, den Er für uns hingegeben hat, und von seinem Blut, das Er für uns vergossen hat –, und doch in Wirklichkeit das Mahl des Herrn gar nicht zu essen. Denn wenn der Geist mit anderen Dingen beschäftigt ist, dann handelt es sich nicht um ein wahres Gedenken an Christus. Man verlässt den Gemeinderaum vielleicht mit erleichtertem Gewissen, weil man die Gemeinschaft am Tisch des Herrn nicht versäumt hat, und fühlt sich vielleicht in überheblicher Weise all jenen Christen überlegen, deren Licht und Vorrechte von geringerer Ordnung zu sein scheinen; und doch war das Ganze in Wahrheit gar nicht für Gott. Denn wenn es tatsächlich kein Essen und Trinken in Selbstgericht war, sondern lediglich eine oberflächliche und inhaltsleere Zeremonie, dann ist dies in Gottes Augen letztendlich abscheulich.

Damit es in Wahrheit das Mahl des Herrn sein kann, wenn sich die Gläubigen versammeln, muss mit dem Zusammenkommen ein Leben in praktischer Gerechtigkeit einhergehen. Deshalb gibt Sacharja erneut ein Wort des HERRN weiter: „Übt ein wahrhaftiges Gericht und erweist Güte und Barmherzigkeit einer dem anderen; und bedrückt nicht die Witwe und die Waise, den Fremden und den Elenden; und sinnt keiner auf das Unglück seines Bruders in euren Herzen.“ Das sind ernste Worte! Wären sie dem Volk Gottes doch öfter durch alle Zeitalter hindurch ins Gedächtnis gerufen worden! Gott sagt: „Wehe denen, die Satzungen des Unheils anordnen [bzw. ungerechte Beschlüsse fassen]“ (Jes 10,1). Doch wie oft hat man sich auf die gemeindliche Autorität berufen, um ganz augenfällig die grausamsten und unheiligsten Beschlüsse durchzusetzen! Wie viel Frevel ist doch „im Namen des Herrn und seiner Wahrheit“ [wie man so sagt] begangen worden! Am Richterstuhl Christi wird ein schreckliches und demütigendes Zeugnis von den Grausamkeiten all jener, die sich der exklusiven Gesinnung des Herrn gerühmt haben, abgelegt werden. Wann werden die Gläubigen endlich begreifen, dass von Gott nichts Unheiliges kommt? Auch kann nichts als recht bezeichnet werden, was nicht zugleich auch gerecht ist! Der gerechte Gott bindet oder löst nichts, was in sich selbst ungerecht ist! Außerdem ist nichts als von Gott genehmigt anzuerkennen, was die Güte und die Barmherzigkeit Christi missachtet.

Verse 11-14

Sach 7,11-14: 11 Aber sie weigerten sich zuzuhören, und zogen die Schulter widerspenstig zurück und machten ihre Ohren schwer, um nicht zu hören. 12 Und sie machten ihr Herz zu Diamant, um das Gesetz nicht zu hören noch die Worte, die der HERR der Heerscharen durch seinen Geist mittels der früheren Propheten sandte; und so kam ein großer Zorn vonseiten des HERRN der Heerscharen. 13 Und es geschah, wie er gerufen hatte und sie nicht gehört hatten, so riefen sie, und ich hörte nicht, spricht der HERR der Heerscharen. 14 Und ich stürmte sie weg unter alle Nationen, die sie nicht kannten, und das Land wurde hinter ihnen verwüstet, so dass niemand hin- und herzieht; und sie machten das kostbare Land zu einer Wüste.

Weil Israel all das vergaß und sie „ihr Herz zu Diamant“ machten, wurden die früheren Propheten zu ihnen gesandt, um sie zu warnen. Doch sie wollten nicht hören. Deshalb kam großer Zorn über sie. Sie waren gleichgültig gegenüber dem Rufen der Bedrängten und abgestumpft gegenüber den Sorgen der Bedürftigen. Deshalb gab Gott sie dahin, damit sie aus schmerzlicher Erfahrung lernten, was echte Not und Bedürftigkeit ist.

So wie sie sich geweigert hatten, auf die bittende und warnende Stimme Gottes zu hören, so weigerte auch Er sich, sie am Tag ihres verzweifelten Rufens zu erhören. Und so waren sie von einem Sturmwind unter alle Völker zerstreut worden. Würden ihre Kinder aus den traurigen Erfahrungen der Vergangenheit lernen? Oder mussten auch sie zerbrochen und vertrieben werden, weil sie den Ansprüchen des Heiligen und Wahrhaftigen gegenüber gleichgültig waren?

Den Christen der heutigen Zeit können dieselben Fragen gestellt werden. Möge Gott uns Gnade schenken, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen! Mögen wir in der kurzen Zeit vor der Wiederkunft des Herrn Jesus in Güte und in Nächstenliebe gemäß der Wahrheit leben!


Originaltitel: „Notes on the Prophecy of Zechariah“
aus Notes on the Minor Prophets, 1909

Übersetzung: Andreas Albracht

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Anmerkungen

[1] Ich halte es für möglich, dass die meisten Kommentatoren irren, wenn sie in dem „Fasten des siebten Monats“ das unbedeutendere Fasten zum Gedenken an die Ermordung Gedaljas sehen. Ich bin hingegen der Ansicht, dass es um das große Fasten des Versöhnungstages geht. Wenn das richtig ist, dann macht der Prophet hier deutlich: Eine rein äußerliche Befolgung, die nicht mit einer inneren Wirklichkeit übereinstimmt, kann Gott nicht annehmen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um etwas handelt, was Gott durch sein Wort eingesetzt hat, oder um etwas, was aufgrund einer fromm motivierten menschlichen Übereinkunft eingeführt worden ist. Da die Juden selbst diese Bibelstelle jedoch so verstehen, wie es der Bibeltext wiedergibt, habe ich es dabei belassen.


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