Der Prophet Sacharja (10)
Kapitel 10

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 30.03.2022, aktualisiert: 28.12.2023

Die Sammlung Israels

Dieses Kapitel setzt dasselbe allgemeine Thema fort. Es beschreibt die Herrlichkeit, die Israel seit langem hätte genießen können, wenn es nur die Ansprüche des Messias anerkannt hätte. Doch weil sie den Messias verworfen haben, befindet sich diese Herrlichkeit in dem gegenwärtigen Zeitalter, wo die Gemeinde herausgerufen wird, in Wartestellung. Sie wird dem irdischen Volk Gottes erst dann zuteilwerden, wenn sie den, den sie einst abgelehnt haben, als den Gesalbten des HERRN anerkennen.

Es ist wichtig, festzuhalten, dass dies nicht allein Juda betrifft, sondern ganz Israel (vgl. Sach 10,6.7). Zur festgesetzten Zeit wird ein Überrest aus allen zwölf Stämmen unter die Segnungen kommen und im Land seiner Väter ansässig werden, und nie mehr wird er durch die Hand eines Feindes entwurzelt werden.

Verse 1-3

Sach 10,1-3: 1 Erbittet von dem HERRN Regen zur Zeit des Spätregens; der HERR schafft die Blitze, und er wird euch Regengüsse geben, Kraut auf dem Feld für jeden. 2 Denn die Teraphim haben Nichtiges geredet, und die Wahrsager haben Lüge geschaut; und sie reden Träume des Truges, trösten mit Dunst. Darum sind sie fortgewandert wie eine Herde, werden bedrückt, weil kein Hirte da ist. 3 Mein Zorn ist gegen die Hirten entbrannt, und die Böcke werde ich heimsuchen; denn der HERR der Heerscharen wird sich seiner Herde, des Hauses Juda, annehmen und sie wie sein Prachtross im Kampf machen.

Ohne den Spätregen (vgl. Joel 2,23 und meine Anmerkungen dort) ist Palästina nicht viel mehr als eine Wüste. In unseren Tagen haben ein nachhaltiger Umgang mit Wasser und Bewässerungssysteme die Funktion des Spätregens ein wenig übernommen. Doch unter natürlichen Bedingungen sind der Frühregen und der Spätregen unverzichtbar, um Überfluss und Wohlstand zu gewährleisten. Deshalb brauchen wir uns nicht zu wundern, dass die Propheten die Regenzeiten im übertragenen Sinn verwenden. Geistlich gesehen hat Israel seinen Frühregen bereits gehabt. Aber seitdem ist eine lange Zeit der Dürre eingetreten. Nun werden sie aufgefordert, hoffnungsvoll aufzublicken und von dem HERRN „Regen zur Zeit des Spätregens“ zu erbitten, woraufhin Er sich verpflichtet, sie mit seinen Segnungen zu überschütten. Dies ist zweifellos die Ausgießung des Geistes, die der Prophet Joel vorhergesagt hat [Joel 3] und die mit Gewissheit zur Zeit des Endes stattfinden wird.

Bis dahin herrscht notwendigerweise eine geistliche Hungersnot. In ihren Götzen konnte das Volk keinen Trost finden, deshalb taten sie diese während ihrer Gefangenschaft weg. Aber seitdem sind sie wie eine Herde ohne Hirten, die ihre eigenen Wege geht und in einem trockenen, trostlosen Land umherirrt. Die Unterhirten und die Führer des Volkes, „die Böcke“, haben sie in die Irre geführt. Damit haben sie den Zorn des Herrn auf sich gezogen, der dabei ist, seine Herde zu besuchen. (Dies ist hier auf das Haus Juda beschränkt, denn sie waren es, die den Herrn der Herrlichkeit kreuzigten.) Wenn Er sich ihrer wieder annimmt, werden sie sein „wie sein Prachtross im Kampf“.

Verse 4-6

Sach 10,4-6: 4 Von ihm kommt der Eckstein, von ihm der Pflock, von ihm der Kriegsbogen, von ihm werden alle Bedränger insgesamt hervorkommen. 5 Und sie werden wie Helden sein, die den Kot der Straßen im Kampf zertreten; und sie werden kämpfen, denn der HERR ist mit ihnen, und die Reiter auf Pferden werden zuschanden. 6 Und ich werde das Haus Juda stärken und das Haus Joseph retten und werde sie wohnen lassen; denn ich habe mich ihrer erbarmt, und sie werden sein, als ob ich sie nicht verstoßen hätte. Denn ich bin der HERR, ihr Gott, und werde ihnen antworten

Aus Juda ging „der Eckstein“ und „der Zeltpflock“ hervor. Diese beiden Ausdrücke beziehen sich nach meinem Verständnis auf Christus. Er ist der Eckstein, und „es ist offenbar, dass unser Herr aus Juda entsprossen ist“ (Heb 7,14). Er ist auch der Pflock, an dem der HERR die ganze Herrlichkeit des Hauses des Vaters festmachen wird (vgl. Jes 22,22-24).

Außerdem sollten sowohl der Kriegsbogen als auch jeder Bedränger bzw. Herrscher aus Juda stammen. Auch der Kriegsbogen scheint in symbolischer Weise von dem Herrn zu sprechen, wenn Er in Macht losreiten wird, um alle seine Feinde zu besiegen. Mit Ihm werden die Herrscher von Juda verbunden sein, wenn die Herrschergewalt zum königlichen Stamm zurückkehrt.

Der einst schwache Überrest wird siegreich sein über alle, die ihre Vernichtung gesucht haben, und wird zu mächtigen Helden werden. Sie werden ihre Feinde zertreten, denn der Löwe aus Juda wird sie zum sicheren Triumph führen.

Wenn schlussendlich alle Feinde besiegt sind, wird der HERR das Haus Juda stärken und das Haus Joseph retten. Er wird sie in Barmherzigkeit in ihr Land zurückbringen und sie zu einem Volk machen. Er wird sich ihrer erbarmen, als hätte Er sie niemals verstoßen. Somit hebt Er das Lo-Ammi[Nicht-mein-Volk]-Urteil aus Hosea 1,9 auf. Die Juden, die zunächst im Unglauben in ihr Land zurückgebracht werden, gehen durch die Leiden der großen Drangsal. Auf diese Weise wird der Überrest von der abgefallenen Masse getrennt. Wenn später der Messias in Herrlichkeit erschienen ist, werden auch die zehn Stämme gesammelt und Juda und Benjamin hinzugefügt werden. Da die zehn Stämme nicht unmittelbar Anteil an der Kreuzigung des Sohnes Gottes hatten, werden sie nicht in die außergewöhnliche Stunde der Prüfung kommen.

Verse 7.8

Sach 10,7.8: 7 Und Ephraim wird sein wie ein Held, und ihr Herz wird sich freuen wie vom Wein; und ihre Kinder werden es sehen und sich freuen, ihr Herz wird in dem HERRN frohlocken. 8 Ich will sie herbeizischen und sie sammeln, denn ich habe sie erlöst; und sie werden sich mehren, wie sie sich gemehrt haben.

Ihre Wiederherstellung wird weit mehr sein als lediglich ein politisches oder nationales Ereignis, das sie wieder nach Palästina, ihre angestammte Heimat, zurückbringt. An den Seelen des so lange verblendeten Volkes wird ein göttliches Werk geschehen. Als Folge davon wird die Decke des Unglaubens weggenommen [vgl. 2Kor 3,15.16], so dass sie im Herrn frohlocken und sich an seiner Gegenwart erfreuen. Dies wird die Erfüllung dessen sein, wovon das Laubhüttenfest – die glücklichste Zeit des ganzen Jahres – das Vorbild ist. Sie freuen sich über die Erlösung und werden wieder fruchtbar sein und sich wie zu alten Zeiten vermehren.

Verse 9-12

Sach 10,9-12: 9 Und ich will sie unter den Völkern säen, und in den fernen Ländern werden sie sich an mich erinnern; und sie werden mit ihren Kindern leben und zurückkehren. 10 Und ich werde sie zurückführen aus dem Land Ägypten und sie sammeln aus Assyrien und sie ins Land Gilead und auf den Libanon bringen; und es wird nicht Raum genug für sie gefunden werden. 11 Und er wird durchs Meer der Angst ziehen und die Wellen im Meer schlagen, und alle Tiefen des Stromes werden versiegen; und der Stolz Assyriens wird niedergeworfen werden, und weichen wird das Zepter Ägyptens. 12 Und ich werde sie stark machen in dem HERRN, und in seinem Namen werden sie wandeln, spricht der HERR.

Die Art und Weise ihrer damaligen Befreiung wird als ein Bild für die zukünftige Befreiung gebraucht. Sie sollen aus allen Ländern ihrer Gefangenschaft in das Land der Verheißung versammelt werden. Oder anders gesagt: Sie sollen gemäß dem Wort des HERRN über Jisreel, den Samen Gottes, in die Mitte der Nationen gesetzt werden (siehe meine Anmerkungen zu Hosea 2,22.23). Während sie im Triumph durch das Meer der Angst[1] und den Strom der Leiden gehen, werden sie in dem HERRN, ihrem Gott, Stärke und Sieg finden. Ja, sie werden in seinem Namen in Freiheit leben.

Dies ist das Gesamtzeugnis der Heiligen Schrift über die zukünftige Herrlichkeit des Volkes, das jetzt zerstreut und verachtet ist. Ihre Blindheit wird vergehen, und mit erleuchteten Herzensaugen werden sie die Schönheit dessen sehen, den sie einst verabscheuten und kreuzigten.

So wird ihre ganze Geschichte zu einer wunderbaren Illustration der kostbaren Worte aus Psalm 76,11: „Der Grimm des Menschen wird dich preisen; mit dem Rest des Grimmes wirst du dich gürten.“ Gott wird nur so viel an Bösem zulassen, wie Ihn letztendlich verherrlichen wird. Alles, was darüber hinausgeht, wird Er im Zaum halten. Wie tröstlich ist dies doch für die geprüften Gläubigen in jeder Zeitepoche! Wie oft ist der Geist aufgewühlt und die Seele niedergeschlagen! Aber der Glaube kann in der Stunde, in der alles hoffnungslos erscheint und die Finsternis sich überall ausbreitet, nach oben blicken, denn er weiß: „Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.“[2]

Er kann seinen Erlösten einen Weg durch das Meer bahnen. Seine Macht kann Ströme austrocknen, so dass sein Volk trockenen Fußes hinüberziehen kann. Was für Israel auf nationaler Ebene gilt, kann jedes Kind Gottes ganz persönlich genießen.

Sacharja 10,9-12 verschmilzt mit Jesaja 43,1-7: „Und nun, so spricht der HERR, der dich geschaffen hat, Jakob, und der dich gebildet hat, Israel: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein. Wenn du durchs Wasser gehst, ich bin bei dir, und durch Ströme, sie werden dich nicht überfluten; wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt werden, und die Flamme wird dich nicht verbrennen. Denn ich bin der HERR, dein Gott, ich, der Heilige Israels, dein Erretter; ich gebe als dein Lösegeld Ägypten hin, Äthiopien und Seba an deiner statt. Weil du teuer, wertvoll bist in meinen Augen und ich dich lieb habe, so werde ich Menschen hingeben an deiner statt und Völkerschaften anstatt deines Lebens. Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir; vom Aufgang her werde ich deine Nachkommen bringen, und vom Niedergang her werde ich dich sammeln. Ich werde zum Norden sagen: Gib heraus!, und zum Süden: Halte nicht zurück! Bring meine Söhne von fern her und meine Töchter vom Ende der Erde, jeden, der mit meinem Namen genannt ist und den ich zu meiner Ehre geschaffen, den ich gebildet und gemacht habe!“

Welche menschlichen Worte könnten verglichen werden mit dieser göttlichen Erklärung von Gottes unveränderlichem Vorsatz in Bezug auf sein irdisches Volk! Und durch was für ein verdrehtes Auslegungssystem können diese Worte so verwendet werden, als wäre ihre Erfüllung in dem gegenwärtigen Werk der Gnade zu finden, das unter den Nationen geschieht? Das ist nichts als ein Beispiel für den Hochmut, den der Apostel in Römer 11 tadelt. Solche Bibelstellen werden von denen, die alles vergeistlichen, aus ihrem wahren Zusammenhang gerissen und auf die Gemeinde angewendet. Doch dabei wird die himmlische Berufung der Gemeinde aus den Augen verloren und Israels Hoffnung geleugnet.

Erst wenn wir lernen, das Wort der Wahrheit recht zu teilen, ergeben seine verschiedenen Linien ein geordnetes Ganzes. Nur dann werden seine beglückenden Unterscheidungen dem gesalbten Auge verständlich. Dann erkennen wir, dass diese Verwirrung nicht in Gottes vollkommenem Wort ihren Ursprung hat. Sie ist vielmehr im verwirrten Verstand des Menschen begründet. Sein Denken wird durch [menschengemachte] Traditionen gesteuert und häufig durch Selbstgenügsamkeit getrübt. Die Wahrheit wird im Gewissen erlernt. Wenn das Gewissen an der Wahrheit ausgerichtet ist, kann man sich darauf verlassen, dass der Heilige Geist, der Geist der Wahrheit, selbst dem einfachsten Menschen die Gedanken des Herrn verständlich macht.


Originaltitel: „Notes on the Prophecy of Zechariah“
aus Notes on the Minor Prophets, 1909

Übersetzung: Andreas Albracht

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Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: In Sacharja 10,11 heißt es: „Und er [Ephraim] wird durchs Meer der Angst ziehen“, nicht: „Er wird das Meer durchziehen mit Bedrängnis“, wie die Schlachter 2000 übersetzt.

[2] Anm. d. Red.: Ironside zitiert hier aus dem Lied „Give to the winds thy fears“, der englischen Übersetzung des Liedes „Befiehl du deine Wege“ von Paul Gerhard (1653): God sits as Sovereign on His throne, and ruleth all things well.


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