Der Brief an die Hebräer (8)
Kapitel 8

David Willoughby Gooding

© CV Dillenburg, online seit: 14.08.2019, aktualisiert: 26.10.2021

Melchisedek und ein besserer Bund (2)

Die Summe

Vers 1

Heb 8,1: Die Summe dessen aber, was wir sagen, ist: Wir haben einen solchen Hohenpriester, der sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones der Majestät in den Himmeln.

Jetzt geht es um die Summe all dessen, was wir bisher gehört haben. Das ist der entscheidende Punkt des ganzen Briefes, und wenn du nichts anderes kapiert hast, diesen Punkt musst du begreifen. Die Summe dessen, was wir sagen, ist, dass wir einen solchen Hohenpriester haben, der sich gesetzt hat zur Rechten der Majestät in der Höhe.

Natürlich ist das die Summe. Der Hebräerbrief ist an Pilger geschrieben, die mit allen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die Pilger befallen. Oberstes Bedürfnis für solche ist ein passender Hoherpriester. Bedenke, was es heißt, dass Er sich gesetzt hat. Wir sind alle Pilger unterwegs durch die Wüste, und wir haben es mit einem Gott zu tun, der die „Majestät in den Himmeln“ genannt wird. Der Thron, der unser Leben regiert und unmittelbaren, bedingungslosen Gehorsam fordert, ist der Sitz der Majestät in den Himmeln. Lässt uns das nicht genau auf unseren Wandel achthaben? Es heißt hier nicht, Er hätte sich zur Rechten des Vaters im Himmel gesetzt; denn der Heilige Geist möchte an dieser Stelle nicht, dass unsere innige Nähe zu Gott im Vordergrund steht. Wir haben es mit der Majestät in den Himmeln zu tun. Das erfordert einen der Majestät geziemenden Wandel. Gott sei Dank, dass der uns vertretende Hohepriester es wagt, sich zur Rechten der Majestät zu setzen, obwohl Er dort sitzt, um uns bei all unseren Schwachheiten und unserer Sündhaftigkeit zu vertreten.

Dort vollführt Er Seinen Dienst. In Kapitel 7 beschäftigten wir uns mit Seiner Würde, Seinem Amt und den dazugehörigen Bedingungen. Aber natürlich hat der Hohepriester eine Aufgabe zu erfüllen, einen Dienst zu tun; und genau damit wollen wir uns im Kapitel 8 beschäftigen.

Unser Hoherpriester hat einen Dienst, der den Dienst Aarons in dreierlei Hinsicht übertrifft. Davon werden die nächsten Kapitel handeln.

  1. Er ist besser bezüglich des Ortes, in dem der Dienst geschieht. Aaron tat seinen Dienst in der Stiftshütte, und die Stiftshütte war nur ein Schatten der Wirklichkeit. Unser Herr Jesus tut Seinen Dienst in der wahren Hütte, die der HERR errichtet hat und nicht der Mensch.
  2. Dann ist Sein Dienst besser als Aarons, weil er auf einem besseren Opfer beruht. Jene brachten Tieropfer dar; Er opferte Seinen eigenen Leib. Sie brachten viele Opfer dar; Er musste nur ein für immer gültiges Opfer für Sünden darbringen; ihre Opfer mussten laufend gebracht werden, ohne Ende. Er hat Sein Werk ein für alle Mal vollbracht; es muss nie wiederholt werden.
  3. Aber Sein Dienst ist auch besser bezüglich des Bundes, dem der jeweilige Dienst verhaftet ist. Aarons Priestertum musste den Bedingungen des Alten Bundes genügen. Der Herr Jesus ist als Priester Mittler des Neuen Bundes.

Der Alte und der Neue Bund

Verse 2-5

Heb 8,2-5: 2 Er ist ein Diener des Heiligtums und der wahrhaftigen Hütte, die der Herr errichtet hat, nicht der Mensch. 3 Denn jeder Hohepriester wird dazu bestellt, sowohl Gaben als auch Schlachtopfer darzubringen; daher ist es notwendig, dass auch dieser etwas hat, was er darbringt. 4 Wenn er nun auf der Erde wäre, so wäre er nicht einmal Priester, weil solche da sind, die nach dem Gesetz die Gaben darbringen 5 (die dem Abbild und Schatten der himmlischen Dinge dienen, wie Mose eine göttliche Weisung empfing, als er im Begriff war, die Hütte aufzurichten; denn „sieh zu“, spricht er, „dass du alles nach dem Muster machst, das dir auf dem Berg gezeigt worden ist“).

Wir beginnen damit, dass wir uns auf die Unterschiede zwischen dem Alten und dem Neuen Bund besinnen, um so die Vorzüglichkeit des Dienstes des HERRN zu erkennen. Dann werden wir uns mit dem Unterschied betreffs des Ortes, wo Er dient, und der Vorzüglichkeit Seines Opfers befassen.

Aber jetzt soll es um den Unterschied zwischen dem Alten und dem Neuen Bund gehen. Beachtet bitte zuerst – beginnt der Schreiber –, dass der Herr Jesus, wäre Er auf der Erde, Seinen Dienst nicht einmal tun dürfte (im Bereich des Judentums), und zwar aus dem ganz einfachen Grund, weil Er aus dem Stamm Juda ist und kein Recht hätte, sich in den Dienst Aarons einzumischen. Ich frage mich, warum der Schreiber innehält und darauf hinweist. Der Grund scheint mir folgender zu sein: Er spricht noch immer zu jüdischen Bekehrten, die mit Herz und Seele noch an ihrem alten System mit seinem Priestertum, den Ritualen und Gewändern, dem Weihrauch und der Tempelmusik hingen; lauter Dinge, die man hören, sehen, greifen, schmecken und riechen konnte. Sie fanden es wohl schwer, all diese Dinge fahren zu lassen; so wie das in den nachfolgenden Jahrhunderten für viele schwierig gewesen ist, allem religiösen Pomp abzusagen, um dem verachteten Jesus von Nazareth nachzufolgen, sich in schlichten Räumen ohne Zeremonien, ohne Priester mit langen Gewändern, ohne Weihrauch und prächtige Musik zu versammeln.

Es fiel ihnen schwer, das Alte zu lassen und das Neue zu ergreifen. Wie kann man solche von ihrem alten Leben entwöhnen? Gewiss nicht dadurch, dass man auf sie mit der großen Rute der Absonderung eindrischt. So wendet sich der Schreiber an ihre Herzen und fragt, ob sie je daran gedacht hätten, dass der Herr Jesus, den sie lieben und dem sie ihr Heil verdanken, im Judentum gar nicht priesterlich wirksam sein dürfte. Und wollen wir denn noch immer an etwas hängen, das den HERRN ausschließt? Es waren ja nicht jüdische Vorurteile, die Ihn ausschlössen, sondern die Schrift selbst. Die Moral ist doch offensichtlich. Wenn Er dort keinen Platz haben kann, wenn Er dort Seinen Priesterdienst nicht ausüben kann, dann ist doch dort auch unser Platz nicht mehr.

Der Alte Bund gebrochen

Verse 6-8

Heb 8,6-8: 6 Jetzt aber hat er einen vortrefflicheren Dienst erlangt, insofern er auch Mittler eines besseren Bundes ist, der aufgrund besserer Verheißungen gestiftet ist. 7 Denn wenn jener erste Bund untadelig wäre, so wäre kein Raum gesucht worden für einen zweiten. 8 Denn tadelnd spricht er zu ihnen: „Siehe, Tage kommen, spricht der Herr, da werde ich in Bezug auf das Haus Israel und in Bezug auf das Haus Juda einen neuen Bund vollziehen.

Lasst uns den Bund betrachten, den Er einführt. Wie anders ist er als der Bund, den der HERR mit Israel errichtete, als Er es an der Hand nahm und aus Ägypten ausführte. Ihr kennt die Geschichte. Gott gab diesem Volke gewaltige Verheißungen, was Er für sie tun würde. Er wollte sie in ein Land bringen, das von Milch und Honig fließt, ein herrliches Erbe, wenn sie nur Seinen Bund und alle damit zusammenhängenden Gebote halten würden. „Ja“, antwortete das Volk, „alles was der HERR geboten hat, wollen wir tun.“

Törichtes Volk! Sie hatten keine Chance, in das Land zu kommen. Denn als sie jenes Gesetz brachen und sündigten, sagte Gott: „Ihr habt meine Gebote gebrochen und damit euren Teil nicht gehalten, so bin auch ich nicht mehr verpflichtet, meinen Teil zu halten.“ Sie blieben nicht in Seinem Bund, das heißt, sie hielten nicht dieses ganze Gesetz, sie brachen es. Wir wundern uns nicht. Aber die Tatsache bleibt bestehen: Sie brachen ihren Teil des Handels, und Gott „kümmerte sich nicht um sie“. Er sagte: „Schön, ich bin meiner Verpflichtung dann auch enthoben. Ihr habt eure nicht gehalten, so muss ich euch nicht ins Land einführen.“ Damit war die Sache erledigt. Welch ein elender Vertrag für den sündigen Menschen. Er war vollkommen gerecht; gerechter konnte er nicht sein. Er war auch absolut fair: Solange sie sich an die Abmachungen hielten, würde Gott die Verheißungen erfüllen; aber sobald sie sie missachteten, kümmerte sich Gott nicht mehr um sie.

Unter welchen Bedingungen ziehen wir durch die Wüste? Ich las einmal in einem Buch (es wollte Christen davor warnen, ihres Gottes unwürdig zu wandeln), dass die Bibel zwar sagt, alle Gläubigen würden beim Kommen des HERRN in den Himmel eingeführt werden und alle würden verwandelt werden, um beim HERRN zu sein; aber das alles hänge davon ab, ob wir uns an die uns auferlegten Bedingungen halten. Sollten wir also ungehorsam sein und unseren Teil nicht halten, wäre Gott der Verpflichtung enthoben, die Verheißungen zu erfüllen. Wenn wir also versagten, würde uns Gott nicht zu sich in den Himmel holen und wir würden nicht allezeit beim HERRN sein und eine Menge der zukünftigen Segnungen verlieren. Das Buch sagte dann weiter, dass in den biblischen Bündnissen immer gewisse Gesetze zu halten waren und dass jeder Bund auf der Treue beider Partner beruhe, so dass Gott Seinen Teil nicht halten werde, wenn Sein Volk den Bund bräche. Es wurden dann einige Beispiele aus dem Alten Testament angeführt. Eines war der Bund, den Gott mit Eli gemacht hatte. Als Eli sündigte, sagte Gott: „Ja, Eli, ich hatte dir verheißen, dass du und alle deine Söhne Priester sein würden, aber jetzt, da du deine Seite nicht gehalten hast, habe ich es mir anders überlegt. Ich werde meinen Teil des Bündnisses auch brechen, und du und deine Söhne werden nicht mehr Priester sein.“ Und dann spricht einer der Psalmen davon, dass Gott den Bund auflöste, als Israel versagte. Er kündigte an: „Ich werde mich von euch abwenden. Ihr werdet erfahren, was es heißt, wenn ich mich euch entziehe. Ihr habt versagt, darum entlasse ich euch.“ Dieses schreckliche Buch versuchte dann zu folgern, dass Gott Sein Volk auch heute unter die gleichen Bedingungen gestellt habe. Es erkühnte sich sogar, unseren vorliegenden Vers zu zitieren, um zu sagen: „Passt auf, ihr Gläubigen, es passierte einst mit Israel, und Gott kümmerte sich nicht mehr um sie; es kann auch euch passieren.“ Es war ein erbärmliches Buch!

Ein neuer und anderer Bund

Verse 9-11

Heb 8,9-11: 9 … nicht nach dem Bund, den ich mit ihren Vätern machte an dem Tag, als ich ihre Hand ergriff, um sie aus dem Land Ägypten herauszuführen; denn sie blieben nicht in meinem Bund, und ich kümmerte mich nicht um sie, spricht der Herr. 10 Denn dies ist der Bund, den ich dem Haus Israel errichten werde nach jenen Tagen, spricht der Herr: Indem ich meine Gesetze in ihren Sinn gebe, werde ich sie auch auf ihre Herzen schreiben; und ich werde ihnen zum Gott und sie werden mir zum Volk sein. 11 Und sie werden nicht jeder seinen Mitbürger und jeder seinen Bruder lehren und sagen: Erkenne den Herrn! Denn alle werden mich erkennen vom Kleinen bis zum Großen unter ihnen.

Lasst uns den Vers noch einmal ansehen. Es stimmt, dass Gott im Alten Bund Seinen Teil nicht hielt, wenn der Israelit seinen Teil unterschlug. Das ist aber eben der Grund, weshalb Gott diesen ganzen Bund aufgehoben hat, denn Er sagt: Ich werde einen neuen Bund vollziehen; NICHT … Gott sei Dank für dieses NICHT … nicht nach dem Alten Bunde … Worin ist er denn anders als der Alte Bund? In folgender Hinsicht: Nicht nach dem (Alten) Bunde … denn sie blieben nicht in meinem Bunde, und ich kümmerte mich nicht um sie … Mit anderen Worten: Der Alte Bund war nutzlos, weil er ein auf beiden Partnern beruhender Vertrag war, bei dem das Volk nur zu versagen brauchte, und alles war verdorben. Darum musste ein neuer Bund eingeführt werden, der auf ganz anderen Grundsätzen beruht.

Wie funktioniert denn der Neue Bund? Erstens schreibt Gott Seine Gesetze in unseren Sinn [Anm. d. Red.: In uns wird Christus eingeschrieben (siehe 2Kor 3), das Gesetz wird einmal in die Herzen der Israeliten eingeschrieben werden. Siehe auch die Anmerkung des Verlegers unten und den Artikel „Was haben die Christen mit dem neuen Bund zu tun?“.], bis unser Denken ganz organisch von ihnen geprägt ist. Und Er schreibt sie auf unsere Herzen, so dass wir sie lieben. Darum ist die Sache nicht so sehr eine Sache des Gesetzes, sondern der Liebe und der Zuneigung, die zu freudigem Gehorsam führt. Und Er verheißt, unser Gott zu sein und uns so nahe zu sein, dass niemand uns darüber belehren muss, Ihn zu erkennen, denn wir werden alle den persönlichen, unmittelbaren Zugang zu Ihm haben und damit eine so innige Kenntnis von Ihm wie ein Kind von seinem Vater.

„Aber kann das auch für mich gelten?“, fragst du. „Ich habe es tatsächlich seit meiner Bekehrung erlebt, dass ich Gottes Willen gern tun will und dass ich ganz organisch an Gott und die Ihn betreffenden Dinge denke; es ist alles so anders als im alten Leben. Damals war mir alles, was Gott sagte, ein Gräuel, und jetzt ist es mir eine Wonne. Aber“, fährst du fort, „ich tue trotzdem nicht immer, was Gott will.“ Das gilt doch für uns alle, oder nicht? Es geht uns oft wie Paulus, dass wir Wohlgefallen am Gesetz Gottes haben nach dem inwendigen Menschen, dass aber da, wo wir das Gute tun wollen, das Böse sich durchsetzt und wir versagen.

Verse 12.13

Heb 8,12.13: 12 Denn ich werde ihren Ungerechtigkeiten gnädig sein, und ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken.“ 13 Indem er sagt: „einen neuen“, hat er den ersten alt gemacht; was aber alt wird und veraltet, ist dem Verschwinden nahe.

Dann fragst du: „Was geschieht dann? Das interessiert mich brennend. Was passiert, wenn ich allen guten Absichten zum Trotz versage? Ist alles verdorben und vorbei, wenn ich versage?“

Natürlich nicht, denn die abschließende Bedingung des Bundes ist die folgende: Denn ich werde ihren Ungerechtigkeiten gnädig sein, und ihrer Sünden und ihrer Gesetzlosigkeiten werde ich nie mehr gedenken. Gott sei Dank für die Reihenfolge der im Vertrag genannten Bedingungen, festgelegt und aufgezeichnet vom exaktesten Juristen im Universum. Ja, auch die Reihenfolge ist hochbedeutend. Es heißt nicht, zuerst werde ich ihrer Sünden nicht mehr gedenken, und dann werde ich mein Gesetz auf ihre Herzen schreiben, sondern: Zuerst werde ich mein Gesetz ihnen in Herz und Sinn schreiben. Und angenommen, sie straucheln trotzdem? Soll ich sie dann wie Israel verwerfen? Nein! Dieser Bund ist anders: Ich werde ihrer Ungerechtigkeiten gnädig sein und ihrer Sünden nie mehr gedenken.

Was lässt dich so empfinden, geliebter Mitchrist? Wenn du die grenzenlose Gnade Gottes betrachtest, wenn du an die Vorkehrungen des Hohenpriesters denkst, der dich bis zum Äußersten retten wird, wenn du an die Bedingungen dieses beglückenden Bundes denkst, der nicht aufgelöst werden kann – bekommst du dann Lust, hinzugehen und in Sünde zu leben, wie es dir passt? Ich denke nicht; nicht, wenn du Christus gehörst. Es weckt doch in dir den Wunsch, Ihm und niemand anders zu leben und zu dienen. Und du empfindest, dass gegen Ihn zu sündigen die beschämendste und niederträchtigste Undankbarkeit wäre, die man sich nur denken kann, so dass du entschlossen bist, die Hilfe des Hohenpriesters in Anspruch zu nehmen, damit du nicht sündigst und Ihm missfällst.

Die in Kapitel 8 zitierte Verheißung des Neuen Bundes finden wir in Jeremia 31. Der erste Bund war mit Israel gemacht worden, mit dem zweiten musste es nach der Weissagung Jeremias auch so sein. Der Brief an die Hebräer macht jedoch an dieser Stelle von der Tatsache, dass ein zweiter Bund da sein sollte, nur Gebrauch, um zu beweisen, dass der erste nicht länger fortbestehen konnte. Ein Bund ist die Feststellung einer Beziehung oder eines Verhältnisses zu Gott auf der Erde – von Gott aufgestellte Bedingungen, unter denen der Mensch mit Ihm leben soll. Man kann sich des Wortes Bund bildlich oder auch durch Anpassung bedienen. Es wird angewandt auf Einzelheiten der Beziehung Gottes zu Israel oder zu Abraham (1Mo 15) oder in ähnlichen Fällen, aber streng genommen gibt es nur zwei Bündnisse, in denen Gott mit dem Menschen auf Erden in Beziehung getreten ist oder noch treten wird: den Alten und den Neuen Bund. Der Alte Bund war auf Sinai errichtet worden. Der Neue Bund wird ebenfalls mit den beiden Häusern Israels gemacht werden. Das Evangelium ist kein Bund, sondern die Offenbarung des Heiles Gottes. Er verkündigt die große Errettung. Wir genießen tatsächlich alle wesentlichen Vorrechte des Neuen Bundes, da dessen Grundlage von Gott in dem Blute Jesu Christi gelegt ist, aber wir genießen sie im Geist, nicht nach dem Buchstaben.

Förmlich wird der Neue Bund mit Israel im Tausendjährigen Reich errichtet werden. Inzwischen aber ist der Alte Bund durch die Tatsache verurteilt, dass es einen Neuen gibt.


Anmerkung des Verlegers: Weil es vielleicht noch eine zusätzliche Verständnishilfe vermitteln kann, geben wir nachstehend noch einige den Alten und Neuen Bund betreffende Aussagen von J.N. Darby wieder:

„Gehört die Versammlung zum neuen Bund?“ (Lk 22,20), und: „Inwiefern war Paulus ein Diener des neuen Bundes?“ (2Kor 3,6) – diese beiden von einem langjährigen Leser des Botschafter gestellten Fragen haben schon häufiger die allgemeine Aufmerksamkeit beschäftigt, und es lohnt sich wohl der Mühe, ihnen einige Augenblicke unsere Beachtung zu schenken.

Der „alte“ oder der „erste“ Bund war auf gesetzliche Verpflichtungen gegründet. Nachdem Mose das Buch des Bundes mit dem ernsten Wort des HERRN: „Wenn ihr fleißig auf meine Stimmen hören und meinen Bund halten werdet, so sollt ihr mein Eigentum sein usw.“, vor den Ohren des Volkes gelesen hatte, „sprachen sie: Alles, was der HERR geredet hat, wollen wir tun und gehorchen.“ Dann nahm Mose von dem Blut der zur Besiegelung des Bundes dargebrachten Opfer, sprengte es auf das Volk und sprach: „Siehe, das Blut des Bundes, den der HERR mit euch gemacht hat über alle diese Worte“ (2Mo 19,5-8; 24,7.8; vgl. Heb 9,18-22).

Dieser Bund war also auf den Gehorsam des Menschen gegründet. „Wenn ihr usw.“, sagte Gott. Daraus ergab sich von vornherein seine Mangelhaftigkeit, ja seine völlige Hoffnungslosigkeit. Unmöglich konnte auf solchen Boden eine friedevolle Beziehung des Menschen zu Gott, ein bleibendes Verhältnis zwischen dem Heiligen und dem sündigen, gefallenen Geschöpf aufgebaut werden. Wohl floss, wie wir hörten, auch Blut bei der Einweihung dieses Bundes, aber es war nur Stier- und Bocksblut, das niemals Sünden hinwegnehmen konnte. Wohl trat auch der Tod ein, aber es war nicht der Tod eines heiligen Menschen, eines vollkommenen Erlösers, der die Verantwortlichkeit des Schuldigen auf sich nehmen und ihn nach vollendetem Werk mit sich in eine ganz neue himmlische Stellung versetzen konnte. Das Blut des alten Bundes besiegelte nur die Verantwortlichkeit des Menschen, „alle Worte Gottes zu halten und zu gehorchen“.

Die Segnungen des alten Bundes waren also von dem Gehorsam des Menschen abhängig, seine Grundlage war Blut von Stieren und Böcken, das von einem lebenden Mittler dargebracht wurde. Der neue Bund dagegen gründet sich auf den Tod des Mittlers selbst und auf seinen Gehorsam bis in den Tod, ja bis in den Tod am Kreuz; ihm dient als unerschütterliche, ewig sichere Gnadengrundlage das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes. Der alte Bund verhieß Segen, wenn der Mensch den Geboten Gottes folgen würde; der neue Bund bringt Segen, und zwar Segen, der sich auf keinerlei an den Menschen gestellte Bedingungen gründet, sondern ausschließlich aus der Unumschränktheit Gottes, aus den Ratschlüssen seiner Gnade hervorfließt.

Der alte Bund vom Berg Sinai wurde mit dem Volk Israel geschlossen. Nun liegt die Annahme nahe, dass der neue Bund mit uns, den Christen, gemacht worden sei. Dem ist aber nicht so, sondern der neue Bund steht gleichfalls mit dem Volk Israel in Verbindung, wird aber erst am Ende der Tage mit ihm geschlossen werden. Der neue Bund ist also noch nicht vollzogen. Diese Tatsache wird vielfach übersehen, obwohl die Schrift im Alten wie im Neuen Testament in nicht misszuverstehender Weise darüber redet. „Siehe, Tage kommen, spricht der HERR, da ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund machen werde: nicht wie der Bund, den ich mit ihren Vätern gemacht habe an dem Tage, da ich sie bei der Hand fasste, um sie aus dem Lande Ägypten herauszuführen, welchen meinen Bund sie gebrochen haben; und doch hatte ich mich mit ihnen vermählt, spricht der HERR. Sondern dies ist der Bund, den ich mit dem Haus Israel machen werde usw.“ (Jer 31,31-33). Diese Stelle wird von dem Schreiber des Hebräerbriefes im 8. Kapitel angeführt, und zwar mit der bedeutsamen Änderung oder genaueren Fassung des Wortlauts: „Siehe, es kommen Tage, … da werde ich in Bezug auf das Haus Israel und in Bezug auf das Haus Juda einen neuen Bund vollziehen“, und nachher: „Dies ist der Bund, den ich dem [nicht: mit dem] Hause Israel errichten werden usw.“ (Heb 8,8.10; vgl.  Heb 10,16).

Der neue Bund wird auf dem Boden bedingungsloser Gnade errichtet werden: „Denn ich werde ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nicht mehr gedenken“ (Jer 31,34). Er ist also eigentlich nur einseitig, d.h., die eine der beiden Parteien übernimmt alle Verpflichtungen, die andere keine einzige, sie empfängt nur. Darum kann auch nicht von einem gemeinsam geschlossenen Bund, von einer Vereinbarung miteinander gesprochen werden, der Bund wird in Bezug auf die beiden Häuser Israels vollzogen oder den beiden Häusern vonseiten Gottes errichtet. Alles ist Gnade und muss Gnade sein, wenn es anders Bestand haben soll, „Gnade, die durch Gerechtigkeit herrscht zu ewigem Leben durch Jesum Christus, unseren Herrn“ (Röm 5,21).

Ich wiederhole also: Der neue Bund ist noch nicht vollzogen. Der Boden für ihn ist gelegt, seine Grundlage und sein Siegel sind der Tod Christi. Aber wir genießen heute schon seine Segnungen, während seine Wirkungen für Israel noch nicht zu sehen sind. Die Tage seiner Vollziehung sind noch zukünftig. Der alte Bund stellt vorbildlich wohl alles das vor unsere Augen, was dem neuen Bund zur Grundlage dient, aber der Mensch war, wie wir gesehen haben, außerstande, ihn zu halten. Der alte Bund ist durch die Schuld Israels für immer gebrochen worden, und der neue, von Gott verheißene Bund bildet die einzige Hoffnung für das irdische Volk Gottes sowie für alle Bewohner der „zukünftigen“ Erde.

Inzwischen vollzieht sich ein anderer Ratschluss Gottes. Als der Messias zum letzten Mal mit dem kleinen Überrest aus Israel das Passahfest feierte, brach Er alle Beziehungen zu dieser Erde ab. Er wollte fortan nicht mehr von dem Gewächs des Weinstocks trinken, lenkte aber die Blicke seiner Jünger auf bessere Tage, in welchen sie die Genossen seines Glückes sein und den Wein der Freude neu mit Ihm trinken sollten, ja nicht nur sie, sondern auch viele andere mit ihnen. Ohne diese anderen näher zu bezeichnen, deuten die Worte des Herrn doch darauf hin, dass neben Israel viele der wunderbaren Wirkungen und Folgen seines Todes teilhaftig werden sollten. Dieser Tod machte einen völligen Bruch mit der Vergangenheit, in ihm wurden die Grundlagen des neuen Bundes gelegt, er brachte Israel und den Heiden eine bedingungslose Vergebung der Sünden.

Am Ende der Tage, wenn Gott, eingedenk seiner unbereubaren Berufungen und Gnadengaben, sich Israel wieder zuwenden und die herrliche Verheißung von Jeremia 31,31ff. in Erfüllung gehen lassen wird, werden, wie schon angedeutet, die Völker der Erde die Segnungen des neuen Bundes mit Israel genießen. Die ganze Erde wird voll sein der Erkenntnis des HERRN. Gegenwärtig aber führt Gott einen anderen Ratschluss aus, Er beruft ein anderes Volk, das nicht mit dem König Israels, sondern mit dem verherrlichten Menschensohn zu seiner Rechten in Verbindung steht. Er sammelt durch seinen Geist eine Braut für seinen Geliebten, „die Frau des Lammes“. Himmlische Dinge und Beziehungen sind geoffenbart. Das wunderbare, von den Zeitaltern her verborgene „Geheimnis des Christus“ entfaltet sich. Aus allen Völkern der Erde, aus Juden und Heiden, wird durch die Wirksamkeit des Heiligen Geistes ein Leib gebildet, die Versammlung (Gemeinde), die mit ihrem Haupt, dem verherrlichten Christus, bald droben vereinigt werden wird.

Dieser Leib, die Versammlung, gehört nicht zum neuen Bund. Er kann nicht zu ihm gehören, weil er in ganz anderen Beziehungen zu Gott und zu Christus steht, als Israel oder die Gläubigen der Endzeit je stehen werden. Die einzelnen Glieder dieses Leibes sind Kinder Gottes, die, durch den Geist geleitet, „Abba, Vater!“ sagen können. Sie bilden eine Genossenschaft mit Christus, „dem Erstgeborenen vieler Brüder“, sind das himmlische Volk Gottes, sind ins Heiligtum droben eingeführt usw. Sie stehen wohl auf dem Boden des neuen Bundes, „indem das Blut des neuen Bundes“ für sie geflossen ist, aber sie stehen nicht in einem Bundesverhältnis zu Gott, Segnungen ganz anderer, höherer Art sind ihr Teil. Der Mittler des neuen Bundes ist als der Auferstandene ins Heiligtum droben eingegangen, und die himmlischen Dinge selbst, deren Vorbilder im alten Bund gesehen wurden, sind jetzt dem Glauben erschlossen. Der Vorhang ist zerrissen, und wir haben Freimütigkeit zum Eintritt ins Heiligtum durch das Blut Jesu, auf dem neuen und lebendigen Weg. Dort sind wir jetzt schon in und mit Christus gesegnet, dort liegt unser Teil. Bei der tatsächlichen Vollziehung des neuen Bundes wird aber der Hohepriester, der jetzt für Israel verborgen ist, aus dem Heiligtum zurückkehren und sein Volk auf der Erde in die Segnungen des neuen Bundes einführen.

Nach dem Gesagten wird es uns nicht schwer werden, die Worte des Herrn in Verbindung mit dem Abendmahlskelch zu verstehen: „Dieses ist mein Blut, das des neuen Bundes, welches für viele vergossen wird“ (Mt 26,28; Mk 14, 24), aber auch die in Lukas 22,20: „Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.“ Eine bessere Befreiung und Errettung auf unendlich besserer Grundlage sollten fortan das Teil der Jünger sein, als der alte gesetzliche Bund mit seinen Bedingungen sie ihnen je bieten konnte.

Zum Schluss noch ein kurzes Wort über die zweite Frage: „Inwiefern war Paulus ein Diener des neuen Bundes?“ (2Kor 3,6). Die Antwort liegt eigentlich schon in dem, was wir bisher miteinander betrachtet haben. Paulus und seine Mitarbeiter standen nicht auf dem alten Boden „des Buchstabens, der tötet“, sondern auf dem neuen „des Geistes, der lebendig macht“. Das, was das alte, gesetzliche System nie hatte zur Vollendung bringen können, wurde jetzt in dem Evangelium der Gnade allen Menschen verkündigt. Der tote und tötende Buchstabe hatte dem Geist, d.h. den wahren Gedanken Gottes, die in den äußeren Formen des alten Bundes verborgen lagen, Platz gemacht. An die Stelle des Dienstes der „Verdammnis“ war der Dienst der „Gerechtigkeit“ getreten. Obwohl also der neue Bund in buchstäblichem Sinn erst den beiden Häusern Israels errichtet werden wird, sind seine geistlichen Grundsätze doch heute schon im Christentum klar ans Licht gebracht worden, und diese Grundsätze verkündigte Paulus.

Beachtenswert ist wohl auch, dass an der vorliegenden Stelle vor dem Wort „neuer Bund“ im Grundtext das Geschlechtswort fehlt, so dass man auch übersetzen kann: „der uns zu Neuenbundes-Dienern tüchtig gemacht“, d.h. der uns Tüchtigkeit verliehen hat, in dieser neuen Bundes-Ordnung, dem Sinne des Geistes entsprechend, zu dienen.[1]


Aus dem Buch Ein unerschütterliches Reich,
Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg, 1987

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Anmerkungen

[1] „Der alte und der neue Bund“ aus Botschafter des Heils in Christo, Jg. 1928, S. 57–63.


Hinweis der Redaktion:

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