Der Brief an die Hebräer (12)
Kapitel 12

David Willoughby Gooding

© CV Dillenburg, online seit: 17.11.2019, aktualisiert: 17.03.2024

Der Wandel des Glaubens (1)

Wir haben darüber nachgedacht, was der Brief über Glauben zu sagen hat. Wir stellten dabei fest, dass Glaube notwendig ist, um grundlegende Wahrheiten über die Schöpfung, die Erlösung und unsere ewige Bestimmung zu ergreifen, und dass der Glaube, der diese Tatsachen ergreift, sich in einer ganz bestimmten Haltung dem gegenwärtigen Zeitlauf gegenüber äußert. Dann stellten wir fest, dass solcher Glaube mit Schwierigkeiten der einen oder anderen Art konfrontiert wird und wie er sie überwindet. Wir erkannten aber auch, dass der Glaube angesichts solcher Schwierigkeiten manchmal hienieden Triumphe feiert, manchmal aber in die scheinbare Katastrophe führt, so dass er erst im kommenden Zeitalter seine Rechtfertigung erfährt.

Uns wurde auch gesagt, dass jeder, der in dieser vergänglichen Welt Gott gegenüber die Haltung des Glaubens einnimmt, im Jenseits von Gott reich belohnt wird. Gott schämt sich nicht, ihr Gott genannt zu werden; Er hat ihnen eine Stadt bereitet. Und schließlich erfuhren wir, dass der Grund, warum jene alttestamentlichen Glaubenshelden die Verheißung zu ihren Lebzeiten noch nicht ernten durften, ganz einfach folgender ist: Gott will auch uns einbeziehen. Gott hatte für uns etwas Besseres vorgesehen; und so hat Er beschlossen, dass sie nicht ohne uns vollkommen gemacht werden sollten. Und wenn wir diese alttestamentlichen Männer und Frauen des Glaubens betrachten und sehen, wie sie durch lange Jahrhunderte, Generationen auf Generationen allen Widerwärtigkeiten zum Trotz hofften und glaubten, dann erscheint die Zeit, die wir warten müssen, vergleichsweise kurz. Wie unsagbar reich sind wir gesegnet! Für uns gilt: Noch ein gar kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen.

Betrachtet Ihn

Verse 1-3

Heb 12,1-3: 1 Deshalb nun, da wir eine so große Wolke von Zeugen um uns haben, lasst auch uns, indem wir jede Bürde und die leicht umstrickende Sünde ablegen, mit Ausharren laufen den vor uns liegenden Wettlauf, 2 hinschauend auf Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens, der, die Schande nicht achtend, für die vor ihm liegende Freude das Kreuz erduldete und sich gesetzt hat zur Rechten des Thrones Gottes. 3 Denn betrachtet den, der so großen Widerspruch von den Sündern gegen sich erduldet hat, damit ihr nicht ermüdet, indem ihr in euren Seelen ermattet.

Uns zur Ermutigung werden wir aufgefordert, den zu betrachten, der solchen Widerspruch von Sündern-gegen-sich-selbst erduldete, auf dass wir nicht ermatten in unseren Seelen. Bei der Anwendung dieser Dinge auf unsere Erfahrungen wollen wir zunächst beachten, um welche Art Opposition es sich handelte, die sich dem HERRN entgegenstellte. Er musste den Widerspruch von Sündern-gegen-sich-selbst erdulden. In eurer Bibelübersetzung steht vielleicht: „der so großen Widerspruch von Sündern gegen sich erduldete …“, und auch so, wenn du dieser Lesart folgst, kommt es praktisch auf dasselbe heraus. Sie widersprachen Ihm, als Er von sich behauptete, der Christus zu sein.

Und als diese Hebräerchristen den Brief lasen, befanden sie sich in einer ähnlichen Lage. Man stritt dauernd gegen sie; und zwar geschah das nicht allein durch die religiösen Führer, sondern auch durch Freunde und Verwandte. So erlebten sie beständig Opposition, und wenn nicht in Form von Steinen und Stöcken, dann von bitteren Worten. Es gehört wohl zum Unerträglichsten, ständigen Angriffen der Zunge ausgesetzt zu sein; wie drückt es das Gemüt! Darum werden sie aufgefordert, den zu betrachten, der solchen Widerspruch von Sündern erduldete, auf dass sie nicht ermatteten. Mit welch bewunderungswürdiger Geduld, mit welcher Ruhe begegnete der Herr Jesus allen Angriffen und allem Widerspruch.

Aber die eigentliche Lesart, gestützt auf die besten Handschriften, ist „Sünder-gegen-sich-selbst“. Das will besagen, dass der HERR dem Widerstand Seiner Zeitgenossen ausgesetzt war, die in ihrem Widerspruch an sich selbst sündigten. Das taten sie wirklich! Es war Selbstmord, dem Herrn Jesus zu widerstehen und Ihn zu verwerfen. Mit welch großer Liebe ertrug Er ihren Widerspruch, indem Er für diese Menschen betete, die an sich selbst sündigten und sich ihr ewiges Heil verscherzten. Und der Schreiber drängt die Leser zum selben Glaubenspfad, zur selben Bereitschaft, Verfolgung zu erdulden.

Verse 4-13

Heb 12,4-13: 4 Ihr habt noch nicht, gegen die Sünde ankämpfend, bis aufs Blut widerstanden 5 und habt die Ermahnung vergessen, die zu euch als zu Söhnen spricht: „Mein Sohn, achte nicht gering des Herrn Züchtigung, noch ermatte, wenn du von ihm gestraft wirst. 6 Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er geißelt aber jeden Sohn, den er aufnimmt.“ 7 Was ihr erduldet, ist zur Züchtigung: Gott handelt mit euch als mit Söhnen; denn wer ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt? 8 Wenn ihr aber ohne Züchtigung seid, deren alle teilhaftig geworden sind, so seid ihr denn Bastarde und nicht Söhne. 9 Zudem hatten wir auch unsere Väter nach dem Fleisch als Züchtiger und scheuten sie; sollen wir uns nicht viel mehr dem Vater der Geister unterwerfen und leben? 10 Denn jene zwar züchtigten uns für wenige Tage nach ihrem Gutdünken, er aber zum Nutzen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden. 11 Alle Züchtigung aber scheint für die Gegenwart nicht ein Gegenstand der Freude, sondern der Traurigkeit zu sein; danach aber gibt sie die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt worden sind. 12 Darum „richtet auf die erschlafften Hände und die gelähmten Knie“, 13 und „macht gerade Bahn für eure Füße“, damit nicht das Lahme vom Weg abkomme, sondern vielmehr geheilt werde.

Dann macht er auf einen weiteren Nutzen aufmerksam: Der Glaube kann aus Opposition Kapital schlagen, so dass wir nicht trotz aller Stürme in den Himmel kommen, sondern dank den Stürmen nur umso zügiger heimwärts segeln. Wir können mehr als Überwinder sein, wenn wir es wünschen. Darum vergesst nicht der Ermahnung, die zu euch spricht als zu Söhnen: „Mein Sohn, achte nicht gering des Herrn Züchtigung.“ Denn die Anfeindungen, die ihr erduldet, sind Züchtigungen; Gott handelt mit euch als mit Söhnen. Wenn Gott es so wollte und es zu eurem Besten wäre, könnte Er allen Anfeindungen auf der Stelle Einhalt gebieten: „Bis hierher und nicht weiter!“

Wir wollen bedenken, dass der Herr Jesus einmal zu einer Gemeinde mitten in der Verfolgung sagte: „Ihr werdet ins Gefängnis geworfen werden; aber die Zeit eures Leidens ist genau bemessen: zehn Tage und nicht mehr.“ Ja, Gott könnte die Verfolgungen wegnehmen und alles sehr leicht machen, wenn Er wollte. Manchmal will Er uns aber größeren Nutzen zukommen lassen, und Er verwendet den Widerstand unserer Feinde zu unserer geistlichen Förderung. Erdulde den Widerstand, nimm ihn gar freudig an; er ist zum Segen für dein geistliches Wohl und Wachstum.

Die Züchtigung des Vaters

Wir sollten zwei Haltungen meiden: Mein Sohn, achte nicht gering des Herrn Züchtigung, noch ermatte, wenn du von ihm gestraft wirst. Es ist einerseits möglich, Züchtigung zu verachten, zynisch und hart zu werden, so dass alle Züchtigung keinen Nutzen mehr zeitigt. Andererseits kann man in der Züchtigung mutlos werden und zurückweichen. Anstatt dass man sie männlich erduldet, geht man unter, und der HERR muss den Druck über uns mindern, damit wir nicht zugrunde gehen. Dann haben wir eine Lektion nicht gelernt, die Er uns hatte erteilen wollen.

Wir wollen diese beiden Extreme meiden: die Züchtigung verachten oder aber vor der Züchtigung zurückweichen. Denn wen der HERR liebt, den züchtigt Er. Und wenn der Weg hart ist und du den Eindruck hast, es werde des Guten langsam zu viel, dann lerne so zu denken, dass der HERR dich sehr liebhaben muss. Die Tatsache, dass Er den Druck noch belässt, ist ein Beweis Seiner beharrlichen Absicht, dir Gutes zu tun. Er wird die Schwierigkeit, die Verfolgung ihr Allerbestes an dir erfüllen lassen, bevor Er sie wegnimmt. Denn wen der Herr liebt, den züchtigt Er, und Er geißelt jeden Sohn, den Er aufnimmt. Das stimmt so sehr, dass wir allen Grund haben, die Echtheit unseres Bekenntnisses zutiefst anzuzweifeln, wenn wir keine Züchtigungen erfahren: Wenn ihr aber ohne Züchtigung seid, welcher alle teilhaftig geworden sind, so seid ihr denn Bastarde und nicht Söhne.

Was wir also erdulden, ist zur Züchtigung. Das Wort „Züchtigung“ heißt natürlich Zurechtweisung, aber es beinhaltet auch den umfassenderen Gedanken der allgemeinen geistlichen Erziehung, d.h. all dessen, was zur Erziehung eines Kindes gehört. Um uns als Seine Kinder zu erziehen, lässt uns Gott noch in diesen Umständen und gibt uns nicht sofort alle Verheißungen. Er lässt uns auf das Kommen des HERRN noch warten. Wie viele Menschen sind in diesem Leben ihren Eltern bleibend dankbar, weil sie sich aufopferten und sich für sie um eine möglichst gute Erziehung und Bildung bemühten. Wie viel dankbarer sollten wir Gott gegenüber sein, dass Er bereit ist, alle Mittel anzuwenden, sogar durch Sünde verursachte Schwierigkeiten, um uns als Seine Kinder zu erziehen.

Lasst uns einige die Erziehung betreffende Wahrheiten festhalten. Es heißt, dass wir Väter im Fleische hatten, die uns züchtigten und die wir scheuten. Sollten wir dann nicht viel mehr dem Vater der Geister untertan sein und leben? Kein halbwegs vernünftiger Vater würde sein Kind züchtigen wollen, um es zu töten. Kein Vater schickt sein Kind zur Ausbildung in die Schule oder in ein Geschäft, um ihm das Leben unerträglich zu machen. Wenn ein Vater sein Kind erzieht, dann einmal zur Entfaltung der Begabungen des Kindes, damit es im Leben besser fertig wird, und zum andern, damit es sich des Lebens besser erfreuen kann; damit es wertvollere und befriedigendere Dinge in seinem Leben tun kann. Und wenn wir erwachsen sind, ehren wir unsere Väter, die sich um eine sorgfältige Erziehung und Bildung bemühten. „Und wie meint ihr denn, dass Gott sei?“, fragt der Schreiber. „Meint ihr, Er sei darauf aus, euch zugrunde zu richten? Ihr habt noch nicht einmal wider die Sünde ankämpfend bis aufs Blut widerstanden – ihr seid also auf alle Fälle noch nicht tot. Merkt ihr nicht? Gott will euch nicht zugrunde richten, sondern euch in ein Leben der Fülle führen. Sollten wir nicht viel mehr dem Vater der Geister untertan sein und leben?“

Gottes Absichten

Wir wollen uns fragen, was Gott mit den Anfechtungen beabsichtigt. Alles ging so glatt am Anfang und wir genossen das geistliche Leben in vollen Zügen – und dann kamen plötzlich Schwierigkeiten. Wir seufzen und sehnen uns die ersten Tage zurück. Damals freuten wir uns des geistlichen Lebens; aber jetzt? Alles ist so schwierig. Warum können wir nicht zurück? Wenn wir so reden, reden wir wie Kindergärtner. Das Kind freute sich seines Lebens; es bekam Geschenke von den Eltern, konnte den ganzen Tag spielen und das Leben genießen. Aber dann kommt der schreckliche Tag, an dem die Eltern das Kind in die Schule schicken, und das Kind will noch gar nicht. Warum darf es denn nicht zurück und spielen, statt all diese langweiligen, furchtbaren Schulstunden durchmachen zu müssen? Wenn man aber zehn Jahre später das gleiche Kind fragt, dann will es auf keinen Fall in den Kindergarten zurück. Es hat jetzt gelernt und beginnt, größere Möglichkeiten im Leben zu erkennen.

Und obwohl uns Gott Zeiten geistlicher Freude schenkt, erlaubt Er früher oder später Schwierigkeiten; denn Er will uns zur Entfaltung bringen, damit wir vom geistlichen Leben das Beste herausholen können. Und nicht nur für die Zeit hienieden. Gott denkt nicht an die paar Jährchen Vorbereitung hier auf Erden, sondern Er hat eine ganze Ewigkeit vor Augen. Wie kurz ist doch das Leben, das uns auf die Ewigkeit vorbereiten soll. Sollten wir dann nicht umso freudiger Ihm untertan sein? Sollten wir nicht Seiner Weisheit vertrauen? Sollten wir nicht eingestehen, dass Er viel weitsichtiger ist als wir? Und sollten wir nicht mit Ihm zusammenarbeiten und leben? Aber natürlich! Und das werden wir mit Seiner Hilfe auch tun.

Und dann stellen wir fest, dass es nicht nur zu unserem Nutzen ist; im Vers 10 lesen wir, dass unsere Väter uns nach Gutdünken züchtigten, Er aber züchtigt uns zum Nutzen, damit wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Wenn wir in die Familie des christlichen Glaubens eingeführt werden, werden wir in die Familie Gottes eingeführt, und Gott ist selbstverständlich sehr viel an unserem Benehmen gelegen. Gott ist auch ein Wahrer der Familientradition: Er will, dass alle Familienglieder an der gleichen Heiligkeit teilhaben. Darum ist es nur natürlich, dass Er sehr genau auf uns aufpasst, wenn wir Seine Söhne sind. Wir sollen schließlich lernen, mit Anstand und angemessener Würde zu leben, mit einem geziemenden Standard der Heiligkeit, einem Standard, der Sein eigener ist. Was wir über allgemeine Erziehung sagten, betrifft gute Manieren, wenn ich für einen Augenblick mal Heiligkeit „gute Manieren“ nennen darf. Wenn man lange nicht mehr auf seine Manieren geachtet hat, ist es eine verdrießliche Sache, zur Ordnung gerufen zu werden. Es ist dann eine elende Mühsal, sich zusammenreißen zu müssen, um überall und unter allen Umständen höflich zu sein. Wer aber dazu erzogen wurde, dem sind gute Manieren eine Freude, und er findet das Leben viel glücklicher und einfacher. Oft sind wir aber punkto Heiligkeit träge gewesen, und es verdrießt uns, zur Heiligkeit gerufen zu werden. Gott besteht aber darauf. Er will, dass wir das Leben in Seiner Familie in größtmöglichem Maß genießen, und zwar hier bereits und noch viel mehr im Vaterhaus. Darum lässt Er nicht locker und erzieht und züchtigt uns, damit wir Seiner Heiligkeit teilhaftig werden.

Die Züchtigung scheint für die Gegenwart natürlich verdrießlich und nicht erfreulich. Danach aber gibt sie die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt sind. Es folgt immer ein Danach; so sicher wie die Züchtigung ist auch das Danach. Natürlich ist die Züchtigung auch nicht als freudiges Ereignis gemeint; jede Züchtigung ist zunächst eine Sache der Not, ansonsten es keine Züchtigung wäre. Oft, wenn wir in Anfechtung geraten, rennen wir geradewegs zum HERRN und bitten Ihn, alles Leidige und alles Schmerzende wegzunehmen, damit wir durch die Versuchung hindurchgehen, ohne sie auch zu spüren. Dann wäre das Ganze natürlich gar keine Anfechtung mehr. Wir müssen die Anfechtung, die Prüfung spüren. Denn alle Prüfung ist zunächst eine leidige Angelegenheit, aber es folgt immer ein Danach. Und danach gibt sie die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt sind.

Wir alle kennen unser Maß an Anfechtungen; aber genauso, wie man für die Bildung und Erziehung seiner Kinder eine Menge Geld nutzlos ausgeben kann, kann es auch passieren, dass Gottes Züchtigungen keine Frucht abwerfen, weil wir sie verachten und sie nicht schätzen. Die Proben müssen uns geübt machen. Schau auf das Nachher, und richte auf die erschlafften Hände, und stärke die gelähmten Knie, und wenn du auch bald umzufallen meinst, weil die Knie ihren Dienst schier versagen und deine Hände schlaff herunterhängen, mach weiter; denn auf die Züchtigung folgt das Danach.

Unser Vater weiß. Während wir manchmal denken, alles sei in Ordnung, kann unser Vater eine verborgene Schwäche in uns erkennen, und sehr oft erlaubt Er eine Schwierigkeit, die ebendiese Schwäche in sehr schmerzhafter Manier offenbar werden lässt. Wir bitten Gott, die Versuchung von uns zu nehmen, damit die Schwäche nicht zu sehr hervortrete. Aber Gott legt den Finger nur noch mit größerem Nachdruck auf die wunde Stelle. Wie ein Arzt, der seinen Finger exakt auf den wunden Punkt legt – obwohl du lieber seinen Finger anderswohin gelenkt hättest –, so holt Gott gerade den schwachen Punkt, den wir zu verbergen oder zu vergessen gesucht hatten, mit unfehlbarem Geschick hervor. Gott will uns nicht kritisieren und erdrücken: Er will uns heilen. Lasst uns das zu verstehen trachten. Dann werden wir in der Prüfung nicht so sehr darum beten, dass sie von uns genommen werde, sondern dass die Schwäche von Gott angefasst werde und wir geläutert aus dem Schmelztiegel hervorgehen.

Und was wissen wir schon von Prüfungen? Wir rufen uns erneut die Not der Empfänger des Briefes in Erinnerung und müssen bekennen, dass wir kaum wissen, was Versuchung heißt. Viele von ihnen standen aller Dinge beraubt da, mit ruiniertem Heim und zerrissenen Familienbanden. Ihre Knie schienen unter ihrer Last einzuknicken, und die Hände hingen kraftlos herab. Aber viele von ihnen hatten die Augen auf das hohe Ziel gerichtet und liefen allen Widerwärtigkeiten zum Trotz ihren Glaubensweg bis ans Ende. Der HERR helfe uns, dass wir in unseren einfacheren Umständen unseren Lauf mit Ausharren laufen, indem wir jede leicht umstrickende Sünde ablegen, bis wir uns oben zur Rechten des HERRN gesetzt haben.

Esau

Verse 14-17

Heb 12,14-17: 14 Jagt dem Frieden nach mit allen und der Heiligkeit, ohne die niemand den Herrn schauen wird; 15 und achtet darauf, dass nicht jemand an der Gnade Gottes Mangel leide, dass nicht irgendeine Wurzel der Bitterkeit aufsprosse und euch beunruhige und viele durch sie verunreinigt werden; 16 dass nicht jemand ein Hurer sei oder ein Ungöttlicher wie Esau, der für eine Speise sein Erstgeburtsrecht verkaufte; 17 denn ihr wisst, dass er auch nachher, als er den Segen erben wollte, verworfen wurde (denn er fand keinen Raum zur Buße), obgleich er ihn mit Tränen eifrig suchte.

„Bedenkt, meine Lieben“, fährt der Schreiber fort, „dass es durchaus möglich ist, dass einige von Euch wie Esau handeln.“ Die Verse 14-17 enthalten drei Warnungen. Wir wollen sie im Beispiel, das uns geboten wird, zusammenfassen: … dass nicht jemand ein … Ungöttlicher sei wie Esau … Wie schon so oft in diesem Brief werden uns zwei Möglichkeiten gegenübergestellt. Der Weg wahren Glaubens wird unweigerlich zu Leiden führen; alle aber, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, werden Verfolgungen erleiden. Prüfungen sind nicht das Vorrecht einiger weniger in der Gemeinde Gottes, sondern das einem jeden zugesagte Teil. Du kannst dem HERRN überhaupt nicht nachfolgen, wenn du nicht bereit bist, das Kreuz aufzunehmen. Es gibt nur noch die andere Möglichkeit, ein Esau zu sein. Wir müssen zu verstehen trachten, was der Schreiber mit diesem alttestamentlichen Beispiel genau meint. Zu diesem Zweck wollen wir uns anhand des ersten Mosesbuches orientieren, damit wir nicht die Lektion falsch anwenden.

Esau und Jakob werden etwa in der Mitte des ersten Mosebuches eingeführt, und zwar dort, wo dieses Buch erstmals richtig anfängt, die Frage der Herrschaft für Gott zu behandeln. Als der Mensch sündigte, verlor er das Leben und die Herrschaft. Der erste Teil des ersten Mosebuches zeigt uns, wie Gott den Menschen zum Leben wiederherstellt. Der zweite Teil des Buches hält den Prozess fest, auf dem Gott den Menschen wieder zur Herrschaft führt. Darum lesen wir von Jakob und Esau, dass sie schon vor ihrer Geburt um den Vorrang kämpften (1. Mose 25,22-26). Fast unmittelbar darauf wird uns geschildert, wie Esau eines Tages mit leeren Händen von der Jagd heimkehrte (1. Mose 25,29-34). Er verspürte einen nagenden Hunger, und Jakob hatte gerade eine Suppe gekocht. „Gib mir von der Suppe da“, fordert Esau. „Wenn du mir dafür das Erstgeburtsrecht gibst“, antwortet Jakob. Und Esau verkaufte sein Erstgeburtsrecht für ein Linsengericht.

Ich kann dir auch nicht in allen Einzelheiten sagen, was das Erstgeburtsrecht alles beinhaltete. Die Bibel schweigt sich über manches aus. Ich stelle aber so viel fest, dass Esau nicht aufgrund eigener Anstrengung der Erstgeborene war, sondern aufgrund von Geburt. Esau war der Erstgeborene, aber sie lebten noch in Zelten, und die Erfüllung der an diese Familie gemachten Verheißungen lag irgendwo in der Zukunft. Wenn die Zeit der Erfüllung aber da war, würde Esau als Erstgeborener das besondere Teil des Erstgeborenen in Empfang nehmen.

Aber Esau kam eines Tages hungrig nach Hause und fand, er müsse jetzt etwas Sättigendes haben, etwas, das ihm ein Gefühl der Völle vermitteln würde. „Bitte, du kannst es haben um dein Erstgeburtsrecht“, sagte Jakob, und Esau fällte seine schicksalsschwere Entscheidung. Erstgeburtsrecht? Das hieß zukünftige Segnungen, zukünftige Vorrangstellung und Einfluss. Da meinte Esau: „Nein danke. Wenn dir an diesen Dingen gelegen ist, wenn du dich jetzt verleugnen willst und hier zu kurz kommen willst, weil du auf irgendetwas Ungewisses in der Zukunft hoffst, dann bitte! Ich habe keine Lust dazu. Ich will das Meine jetzt. Ich will jetzt meinen vollen Magen. Ich werde doch nicht Entbehrung und Hunger auf mich nehmen. Ich will das Leben hier und jetzt genießen. Wenn du willst, dann nimm doch du die Verheißungen!“

Herodes, der Edomiter

Vom Verkauf des Erstgeburtsrechtes bekam Esau den Übernamen Edom. Edom bedeutet „rot“, denn es war ein rotes Linsengericht, das sich Esau um den Preis seines Erstgeburtsrechtes erstand. Und Esau hat allen seinen Nachfahren den Namen gegeben, und der größte und berühmteste unter ihnen war natürlich Herodes. Er war ein Edomiter oder Idumäer, wie die Griechen sagten.

Als der Herr Jesus auf Erden war, warnte Er Seine Jünger vor dem Sauerteig des Herodes, des Idumäers oder Edomiters. „Hütet euch vor dem Sauerteig des Herodes“, sagte Er. Der Sauerteig der Pharisäer ist natürlich die Heuchelei, was aber ist der Sauerteig des Herodes? Herodes ist doch der Mann, der sagte: „Ich will politische Macht; jetzt!“ Herodes war König, als der Herr Jesus kam. Er war kein Jude, er war auch kein Römer. Die Römer waren die Herrscher, denn sie hatten Judäa und Palästina überrannt. Die Israeliten hassten die Eindringlinge und freuten sich auf das Kommen des Messias. Sie trugen beglückende Hoffnungen in ihrer Brust, denn Gott hatte einst gesagt: „Israel ist mein Erstgeborener.“ Mit Wonne und voller Hoffnung lasen sie die alttestamentlichen Weissagungen über den Messias, wie Er kommen und sie vom Joch der Bedrücker befreien würde und wie Israel dadurch zum Haupt der Nationen werden sollte. Das lag ihnen stets zuoberst auf dem Herzen, so sehr, dass die Jünger den HERRN nach Seiner Auferstehung gleich fragten: „HERR, stellst du in dieser Zeit dem Israel das Reich wieder her?“ Mag sein, dass sie den prophetischen Fahrplan ein bisschen durcheinanderbrachten, aber Hut ab vor ihnen, denn sie glaubten immerhin an die Weissagungen des Alten Testaments.

Gott hatte gesagt: Israel ist mein Erstgeborener, und weil Israel glaubte, wartete es auf die Verheißung. Nicht so Herodes. Er sagte: „Du kannst den Kram glauben; ich nicht. Was? Auf einen kommenden Messias warten und darauf, dass Israel zum Haupt der Nationen erhöht wird? Mit mir nicht, ich will jetzt König sein. Ich will mein Teil jetzt.“ Und so verband er sich mit Rom und gewann die Gunst des Kaisers, verschaffte sich ein Königtum und regierte. Als der Herr Jesus kam, um der Christus zu sein, war Herodes entschlossen, an der Macht zu bleiben, weshalb er den Messias selbst zu töten trachtete. Er war ein Edomiter, noch einer von dieser Sorte, die sich nicht um zukünftige, göttliche Verheißungen scherten, sondern entschlossen waren, hier und jetzt alles zu haben.

„Ihr hingegen, die ihr an den Herrn Jesus als euren Messias glaubt“, sagt der Schreiber, „ihr werdet gewiss bereit sein, um Seinetwillen Verfolgung zu erdulden?“ Denn um ein gar kleines, und der Kommende wird kommen und nicht verziehen. Es möchte doch kein Esau unter euch sein. Welches ist die einzige Möglichkeit, sich der Verfolgung zu entziehen? Nur, indem man die Haltung des Esau einnimmt und sagt: „Was kümmern mich diese Verheißungen? Was soll ich im Glauben leben? Ich habe keine Lust, hier verzichten zu müssen. Ich will hier und jetzt mein alles. Und solange ich meinen Bauch füllen und alle sonstigen Gelüste befriedigen kann, soll es mir nicht auf eine Allianz mit der Religion hier oder eine Beziehung zur Welt dort ankommen. Ich habe nur dieses eine Leben; ihr mögt mit euren leeren Verheißungen leben, so viel ihr wollt, ich will mein Teil jetzt.“

Zion, nicht Sinai

Verse 18-25

Heb 12,18-25: 18 Denn ihr seid nicht gekommen zu dem Berg, der betastet werden konnte, und zu dem entzündeten Feuer und dem Dunkel und der Finsternis und dem Sturm 19 und dem Posaunenschall und der Stimme der Worte, deren Hörer baten, dass das Wort nicht mehr an sie gerichtet würde 20 (denn sie konnten nicht ertragen, was angeordnet wurde: „Und wenn ein Tier den Berg berührt, soll es gesteinigt werden.“ 21 Und so furchtbar war die Erscheinung, dass Mose sagte: „Ich bin voll Furcht und Zittern.“), 22 sondern ihr seid gekommen zum Berg Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem; und zu Myriaden von Engeln, der allgemeinen Versammlung; 23 und zu der Versammlung der Erstgeborenen, die in den Himmeln angeschrieben sind; und zu Gott, dem Richter aller; und zu den Geistern der vollendeten Gerechten; 24 und zu Jesus, dem Mittler eines neuen Bundes; und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abel. 25 Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der redet! Denn wenn jene nicht entkamen, die den abwiesen, der auf der Erde die göttlichen Aussprüche gab: wie viel mehr wir nicht, wenn wir uns von dem abwenden, der von den Himmeln her redet! –

„Gott bewahre euch davor, wie Esau zu handeln!“, ruft der Schreiber. Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir folgen Christus nach und haben teil an Seiner Verwerfung und am Kreuz. Oder aber wir reichen der Welt die Hand, entziehen uns damit der Verfolgung, genießen die Welt und ihr armseliges Linsengericht, so gut wir können, und verlieren damit am Ende alles. Bedenkt eure Lage gut. Ihr seid nicht zum Sinai gekommen, mit allem noch so schrecklichen Donnern und Blitzen. Ihr seid zu etwas weit Ehrfurchtgebietenderem und Erhabenerem gekommen. Nicht zu einem Berg, der berührt werden konnte, also zu etwas mit Händen Greifbarem. Ihr seid zu einem geistlichen Bereich gekommen, zum Berg Zion; hier liegt euer ewiges Geschick begründet.

Hier habt ihr es mit Gott zu tun, der nicht Vater aller, sondern Richter aller ist. Gewiss, Jesus ist da als der Mittler eines besseren Bundes; wir beschäftigen uns aber hier mit den ernsten Wahrheiten der erhabenen Majestät in den Himmeln. Jene, die Gottes Reden vom Sinai abwiesen, kamen um. Wie viel mehr werden die umkommen, die den abweisen, der da vom Himmel redet.

In früheren Kapiteln hat der Schreiber diese Juden damit getröstet, dass Christus Aaron, Mose, Josua und auch den alttestamentlichen Opfern überlegen ist. Er hat deutlich gesagt, dass beides nicht nebeneinander bestehen kann, dass sie nicht am Alten und am Neuen Bund festhalten können. Dass sie nicht Christus und die Tieropfer haben können. Sie müssen sich für das eine oder für das andere entscheiden. Hier warnt er sie, dass man mit Gott nicht spielen kann, sollten sie am Alten, am Sichtbaren hängenbleiben. Gott lässt den Menschen keine weitere Wahl.

Als Gott vom Sinai redete, gingen jene, die Sein Reden abwiesen, unter. Wie viel mehr, wenn Er vom Himmel redet! Gott versucht, uns immer durch Seine Liebe zu gewinnen. Er wird uns das Vorzüglichere vorhalten und uns damit zu Sich zu ziehen versuchen, indem Er uns alle Herrlichkeiten und alle Wunder des großen Heils in Christus vor Augen führt. Und der Herr Jesus ist unübertrefflich herrlich. Er ist so wunderbar, dass Er es wert ist, Verfolgung zu erdulden. Lasst uns auf die Zähne beißen und durchstehen. Aber wenn wir nicht mit Ihm hindurch wollen, wenn wir Ihm nicht folgen und Ihn nicht lieben und nicht an Ihn glauben, was dann? Dann gibt es kein Zweitbestes, keine einigermaßen annehmbare Alternative. Ohne Christus gibt es nur das endgültige Verderben, vor dem Sein Heil uns bewahren wollte.

Die Erde erschüttern

Verse 26-29

Heb 12,26-29: 26 … dessen Stimme damals die Erde erschütterte; jetzt aber hat er verheißen und gesagt: „Noch einmal werde ich nicht allein die Erde erbeben lassen, sondern auch den Himmel.“ 27 Aber das „noch einmal“ deutet die Verwandlung der Dinge an, die erschüttert werden als solche, die gemacht sind, damit die, die nicht erschüttert werden, bleiben. 28 Deshalb, da wir ein unerschütterliches Reich empfangen, lasst uns Gnade haben, durch die wir Gott wohlgefällig dienen mögen mit Frömmigkeit und Furcht. 29 „Denn auch unser Gott ist ein verzehrendes Feuer.“

Damals schon erschütterte Gottes Stimme die Erde, aber Er hat verheißen, dass an einem nicht mehr fernen Tag Er nicht allein die Erde, sondern auch den Himmel erschüttern will. Und wenn Er sagt, er werde sie bewegen, dann meint Er, dass Er sie gänzlich verschwinden lassen wird. Denn es sollen ein neuer Himmel und eine neue Erde erschaffen werden. Wie tragisch, dass die Menschen sich so krampfhaft an das Materielle und Sichtbare klammern. Bald wird es entschwinden und sie werden alles verlieren. Und ihr Juden, könnt ihr nicht erkennen, dass die Gewänder, die Tieropfer, der prächtige Tempel und der prachtvolle Gottesdienst des aaronitischen Priestertums, könnt ihr nicht erkennen, dass diese ganze Herrlichkeit, die euch jetzt so anzieht, dazu verurteilt ist, zu entschwinden? Es ist eigentlich ein Nichts, es wird bald verschwunden und vergessen sein. Wenn ihr euch an das klammert, werdet ihr in der Ewigkeit alles verloren haben. Das einzig Echte und Bleibende ist Christus und das von Gott in Ihm bereitete Heil.

Wir tun gut daran, das nicht zu vergessen, wenn wir das Evangelium predigen. Wir wollen natürlich zuoberst und zuvörderst die Liebe Gottes in ihrer unsagbaren Herrlichkeit vor die Augen malen. Wir wollen in den glühendsten Farben vom Retter und von der Größe Seines Heils reden, damit die Herzen durch die Wärme der göttlichen Liebe zerschmelzen. Wir wollen aber auch fair sein und ihnen sagen, dass sie durch viele Drangsale in das Reich Gottes eingehen müssen, dass sie bei aller Liebe des HERRN, die sie angezogen hat, bereit sein müssen, das Kreuz aufzunehmen und für Ihn Verfolgung zu erdulden. Wenn sie zögern sollten, dann wollen wir es nicht versäumen und ihnen sagen, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: Glauben und gerettet werden oder aber zurückgehen und ewig verlorengehen.

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Aus dem Buch Ein unerschütterliches Reich,
Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg, 1987


Hinweis der Redaktion:

Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

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