Der Prophet Hosea (8)
Kapitel 8

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 30.12.2022, aktualisiert: 23.05.2023

Ein Gefäß, an dem man kein Wohlgefallen hat

Es hat den Anschein, dass Gott die bildliche Sprache beinahe ausschöpft, wenn Er den unglücklichen Zustand seines verblendeten Volkes beschreibt, dessen Herzen darauf aus waren, von der Person abzuirren, die ihr einziges und wirkliches Gut war. Wir haben sie bereits betrachtet in ihrem erbärmlichen, gefallenen Zustand unter den ausdrucksstarken Bildern einer ehebrecherischen Frau, eines weinseligen Trunkenbolds, einer widerspenstigen Kuh, eines Straßenräubers, einer durchsäuerten Masse, eines nicht umgewendeten Kuchens, einer einfältigen Taube und eines trügerischen Bogens. Nun werden sie davor gewarnt, dass sie aufgrund ihrer Sünden unter die Völker zerstreut würden wie „ein Gefäß, … an dem man kein Gefallen hat“ (Hos 8,8).

Dies war die logische Folge des Bundes vom Sinai, wo sie sich verpflichtet hatten, alle Worte des Gesetzes zu befolgen. Allen, die dies taten, wurden Segnungen verheißen. Die Übertreter hingegen wurden mit Flüchen belegt. Dem vor uns liegenden Kapitel zufolge hatte Israel das Gesetz in jedem Punkt gebrochen. Aus diesem Grund hatten sie keinerlei Ansprüche. Dass Gott wundervolle Ressourcen der Gnade hatte, die noch offenbart werden sollten, macht das letzte Kapitel überdeutlich. Aber sie würden nur in den Genuss davon kommen, wenn sie ihre Sünde zugeben und jeden Anspruch auf eigene Verdienste aufgeben würden.

Vers 1

Hos 8,1: Die Posaune an deinen Mund! Wie ein Adler stürzt er auf das Haus des HERRN, weil sie meinen Bund übertreten und gegen mein Gesetz gefrevelt haben.

Der Prophet lässt gleichsam die Posaune ertönen, um die ganze Gemeinde in die Gegenwart des HERRN zu rufen. Dies geschah, damit sie sich der Realität ihres Zustandes – ein Volk zu sein, das den Bund übertreten und Gottes Gesetz gebrochen hatte – bewusst würden.

Verse 2-4

Hos 8,2-4: 2 Sie werden zu mir schreien: Mein Gott, wir kennen dich, wir, Israel! – 3 Israel hat das Gute verworfen: Der Feind verfolge es! 4 Sie haben Könige gemacht, aber nicht von mir aus; sie haben Fürsten eingesetzt, und ich wusste es nicht. Von ihrem Silber und von ihrem Gold haben sie sich Götzenbilder gemacht, damit es vernichtet werde.

In Vers 2 könnten wir einen Hinweis auf die zukünftige Wiederherstellung sehen. Doch dieser Vers scheint eher darauf hinzudeuten, dass sie sich zu jener Zeit – und während der Jahre ihrer Wanderschaft, als sie unter der Hand Gottes waren – ihres wahren Zustandes überhaupt nicht bewusst waren. Denn sie rufen mit erstaunlicher Unverfrorenheit (wie es die Menge-Bibel übersetzt): „Mein Gott, wir kennen dich ja, wir Israeliten.“ Das tun sie, wo sie doch die ganze Zeit mit ihrer Torheit fortfahren und das Gute verwerfen und daher von ihren Feinden verfolgt werden. Sie machen sich Könige nach ihrem eigenen Herzen und setzen Fürsten ein, ohne den HERRN um Rat zu fragen. Außerdem wird überall der Götzendienst gepflegt, und der Tempeldienst ist nichts weiter als eine Farce.

Auf diese Weise bekennen sie, Gott zu kennen, aber in den Werken verleugnen sie Ihn. Leider ist es sehr leicht, in den hier geschilderten wahrhaft beklagenswerten Seelenzustand hineinzugeraten! Wie viele reden heutzutage davon, das Volk des Herrn zu sein oder sich „in der Linie des Zeugnisses“ zu befinden – um eine prahlerische Phrase zu gebrauchen, die in bestimmten Kreisen verbreitet ist. Doch zugleich dulden sie fortgesetzt Ungerechtigkeit und leben im Ungehorsam gegenüber dem Wort Gottes.

Als unser Herr auf der Erde war, musste Er sagen: „Die Schriftgelehrten und die Pharisäer haben sich auf den Stuhl Moses gesetzt. Alles nun, was irgend sie euch sagen, tut und haltet; aber tut nicht nach ihren Werken, denn sie sagen es und tun es nicht“ (Mt 23,2). Anderen konnten sie recht gut das Gesetz predigen. Aber ihre Praxis war der wahre Indikator für den Zustand ihrer Seele – und dafür, wie weit sie von Gott entfernt waren!

Wir sollten niemals vergessen, dass es äußerst wichtig ist, hinsichtlich gemeindlicher und anderer Aspekte der Wahrheit den richtigen Standpunkt zu vertreten. Aber wenn wir lediglich den richtigen Standpunkt vertreten – uns jedoch nicht auch im richtigen Herzenszustand befinden –, dann ist dies eine armselige Angelegenheit. Keines von beiden kann ohne Verlust vernachlässigt werden. Aber nichts kann schlimmer sein, als sich dessen zu rühmen, den „göttlichen Boden zu bewahren“ und sich „in der Linie des Zeugnisses“ zu befinden, während man gleichzeitig durch die Praxis die Lehre verleugnet und das Herz der Wahrheit nicht unterworfen ist.

Verse 5.6

Hos 8,5.6: 5 Er hat dein Kalb verworfen, Samaria; mein Zorn ist gegen sie entbrannt. Bis wann sind sie zur Reinheit unfähig? 6 Denn auch dies ist von Israel; ein Künstler hat es gemacht, und es ist kein Gott, denn das Kalb Samarias wird zu Stücken werden.

Aber die Seele, die sich – in welcher Weise auch immer – von dem lebendigen und wahren Gott zu Götzen abwendet, wird schließlich lernen müssen, was es bedeutet, gerade dann verloren und verlassen zu sein, wenn Hilfe am nötigsten wäre. Das Kalb Samarias hatte sie abgeworfen. Und nun schrien sie wie die Priester des Baal zur Zeit Elias. Aber da war keine Stimme, keine Antwort. Wie könnte es auch anders sein: Denn das, worauf sie vertrauten, war ja nur das Werk ihrer eigenen Hände.

Vers 7

Hos 8,7: Denn Wind säen sie, und Sturm ernten sie; Halme hat es nicht, das Ausgesprosste bringt kein Mehl; wenn es auch Mehl brächte, so würden Fremde es verschlingen.

So mussten sie, nachdem sie den Wind gesät hatten, den Sturm ernten, wie es so mancher Seele vor und nach ihnen ergangen ist. Doch wie langsam sind wir doch, wenn es ums Lernen geht! Theoretisch wissen alle Gläubigen, dass es keinen wirklichen Segen geben kann, wenn man nicht mit Gott lebt. Doch wie sieht es bei uns praktisch aus? Wie leicht werden die meisten von uns weggelockt und zu anderen Göttern geführt, wenn sich eine Gelegenheit zum Gewinn oder zum Vorteil zu bieten scheint! Aber schließlich müssen alle erkennen, dass das einzige Ergebnis einer solchen Aussaat Enttäuschung und Kummer ist: „Das Ausgesprosste bringt kein Mehl; wenn es auch Mehl brächte, so würden Fremde es verschlingen.“

Wende dies [bitte] auf jeden Bereich deines Lebens an, und du wirst feststellen, dass dies eine Regel ist, für die es keinerlei Ausnahmen gibt. Auf Ungehorsam mag scheinbarer Erfolg folgen, aber das „ist noch nicht das Ende“. Wir mögen meinen, Gott und sein Wort missachten zu können. Doch dann werden wir mit der Bitterkeit unserer Seele beweisen, dass es in der Tat eine böse Sache ist, unsere eigenen Wege zu gehen.

Wie viele Ehefrauen mit gebrochenem Herzen könnten als Beispiel für den hier aufgezeigten Grundsatz angeführt werden! Und wie oft wird ein bemitleidenswerter und unglücklicher Ehemann zu einer lebendigen Illustration davon! Gott hat einem Christen ganz eindeutig untersagt, sich unter ein ungleiches Joch [mit Ungläubigen] zu begeben (2Kor 6,14). Das Wort ist unmissverständlich und wird dem jungen Gläubigen vor sein Gewissen gestellt. Aber dann begegnet dieser Christ einer Person, die den Anschein erweckt, ein geeigneter, ein vielversprechender Lebenspartner zu sein. Aus Wertschätzung wird Zuneigung. Die Zuneigung reift zur Liebe heran. Ein Heiratsantrag wird gemacht. Dann kommt die Zeit des Zweifelns und des Zauderns.

Das Wort Gottes ist absolut eindeutig. Doch dessen klare Gebote werden ignoriert. Man erinnert sich an all die liebenswerten Eigenschaften. Die Realität, dass die andere Person nicht errettet ist, wird beschönigt. Die Bereitschaft, zu den Zusammenkünften der Christen zu gehen, die Bereitschaft, auf die Heilige Schrift zu hören, wird zu der Überzeugung aufgebauscht, dass Gott ein Werk an dieser Seele begonnen hat. Und schließlich wird die andere Person – nur allzu bereitwillig – in eine Schlinge gezogen. Ein ungleiches Joch wird eingegangen, und dann folgt ein Leben des Bedauerns. In den weitaus meisten Fällen vergeht das scheinbare Interesse an göttlichen Dingen mit den ersten Wochen des Ehelebens. Und selbst dann, wenn sich kein offener Widerstand entwickelt, stellt sich eine kalte, einstudierte Gleichgültigkeit in Bezug auf die ewigen Dinge ein, die keine Herzlichkeit oder Rücksichtnahme überdecken kann. So ist ein solches Kind Gottes in doppelter Hinsicht bemitleidenswert: Denn schließlich bekommt das erwachte Gewissen ein Empfinden für den Ungehorsam. Und außerdem legt sich die Erkenntnis – dass die geliebte Person letztendlich keinerlei Interesse an Gott oder an seinem Christus hat – schwer auf die Seele. Ja, und dann ist da auch noch der Punkt, dass die beiden, die sich auf der Erde lieben, für alle Ewigkeit getrennt sein werden – wenn der geliebte Mensch nicht bald aufwachen und sich erretten lassen wird.

So erfüllt sich auf unterschiedliche Art und Weise dasselbe traurige Gesetz – sei es im geschäftlichen, gesellschaftlichen oder religiösen Leben. Oh, dass wir doch aus dem, was Gott uns in seinem Wort so deutlich vor Augen stellt, und aus den unglücklichen Erfahrungen von Tausenden lernen könnten! Es ist äußerst gefährlich, mit dem Gewissen und mit der Wahrheit, die eine gehorsame Seele heiligt, leichtfertig umzugehen!

Vers 8

Weil sich sein irdisches Volk weigerte, seinem Wort zu gehorchen, musste Gott schließlich sagen:

Hos 8,8: Israel ist verschlungen; nun sind sie unter den Nationen wie ein Gefäß geworden, an dem man kein Gefallen hat.

Dies beschreibt mit einem einzigen Vers Israels zweitausendjährige Geschichte. Aus ihrem Land vertrieben, unter alle Völker zerstreut, waren sie wie ein Gefäß, an dem Gott kein Gefallen finden konnte. Dies steht im Gegensatz zu dem, der kam, um sie zu retten! „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17) – das war das Zeugnis des Vaters, als der Herr Jesus sich bei seiner Taufe als derjenige anbot, der kam, um „allezeit das ihm {d.h. dem Vater} Wohlgefällige“ (Joh 8,29) zu tun. Er ist das Gefäß des Wohlgefallen Gottes. Israel war hingegen zu einem Gefäß geworden, an dem kein Wohlgefallen ist. Was für ein gewaltiger Unterschied!

Verse 9.10

Hos 8,9.10: 9 Denn sie sind nach Assyrien hinaufgezogen. Der Wildesel bleibt für sich allein, aber Ephraim hat Liebhaber angeworben. 10 Ob sie auch unter den Nationen anwerben: nun will ich sie sammeln; und sie werden anfangen, sich zu vermindern wegen der Last des Königs der Fürsten.

Vergeblich wandten sie sich an Assyrien oder an eine der umliegenden Nationen. Es konnte keine Hilfe für sie geben, solange sie unter dem Fluch des gebrochenen Gesetzes Gottes standen. Wie ein Wildesel, so hatten sie die Unzähmbarkeit ihrer Natur gezeigt. Sie wussten nicht, wie sie gehorchen sollten. Daher hatten sie unter der Herrschergewalt des heidnischen Unterdrückers zu leiden, den Gott zum „König der Fürsten“ gemacht hatte – unter Nebukadnezar, dem König von Babel (vgl. Hes 26,7). Denn Gott geht deutlich erkennbar an dem Assyrer vorbei und hat jene Person vor Augen, der Er als Erstem die völlige Herrschaft durch die Nationen anvertrauen wollte.

Vers 11

Hos 8,11: Denn Ephraim hat die Altäre zur Versündigung vermehrt, und die Altäre sind ihm zur Versündigung geworden.

Ephraim hatte viele Altäre zur Versündigung errichtet, auf denen es den Dämonen und nicht Gott opferte. Seine Sünde sollte auf sein Haupt zurückkehren.

Vers 12

Der Kernpunkt des Streites des HERRN mit Ephraim wird in Vers 12 genannt:

Hos 8,12: Ich schreibe ihm zehntausend Satzungen meines Gesetzes vor – wie Fremdes werden sie erachtet.

Es war ihre Verantwortung, nach dem geschriebenen Wort zu handeln. Doch sie hatten es versäumt, dies zu tun. Deshalb stand der Richter vor der Tür. Und wie es bei Israel war, so ist es auch bei der Christenheit – das war nie offensichtlicher als in der heutigen Zeit –: Gottes Wort wird von allen Seiten verachtet und in den Schmutz gezogen. Das Ende kann folglich nicht mehr fern sein.

Verse 13.14

Hos 8,13.14: 13 Als Schlachtopfer meiner Opfergaben opfern sie Fleisch und essen es; der HERR hat kein Wohlgefallen daran. Nun wird er sich an ihre Ungerechtigkeit erinnern und ihre Sünden heimsuchen: Sie werden nach Ägypten zurückkehren. 14 Und Israel hat den vergessen, der es gemacht hat, und hat Paläste gebaut, und Juda hat die festen Städte vermehrt; aber ich werde ein Feuer in seine Städte senden, das seine Schlösser verzehren wird.

Sie hatten das Wort Gottes verachtet. Deshalb war es sinnlos, Opfer zu bringen und vor dem HERRN Fleisch zu essen. Gott konnte keine Anbetung von einem ungehorsamen und widerspenstigen Volk annehmen. Er erinnert sich an ihre Ungerechtigkeit und muss wegen ihrer Ablehnung seines Gesetzes an ihnen handeln. Moralisch gesehen würden sie nach Ägypten zurückkehren, was ein Überrest in den letzten Tagen Jeremias buchstäblich getan hat. „Israel hat den vergessen, der es gemacht hat, und hat Paläste gebaut.“

Einerseits hatten sie Gottes Gebote hinter ihren Rücken geworfen. Andererseits hatten sie sich Paläste gebaut, in denen eine vermeintliche Anbetung stattfand. Die Geschichte wiederholt sich. Denn diese Worte beschreiben recht gut, was auch heute so vorherrschend ist. Aber der Tag des HERRN wird kommen. Wie in alter Zeit wird Gott ein Feuer senden, das – wenn die Stunde des Zorns des HERRN gekommen ist – alle eitlen Werke hochmütiger Menschen verzehren wird.

Es sei daran erinnert, dass die Verantwortung immer in dem Maß wächst, in dem Gottes Wahrheit offenbart worden ist. Wie ernst ist doch die gegenwärtige Zeit. Und wie ernst müssen die Folgen sein, wenn man die Wahrheit zwar mit dem Verstand erfasst, dies jedoch im Lebensalltag zu keinerlei Veränderung führt!

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Originaltitel: „Notes on the Prophecy of Hosea“
aus Notes on the Minor Prophets, 1909

Übersetzung: Andreas Albracht


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