Der Prophet Hosea (10)
Kapitel 10

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 30.12.2022, aktualisiert: 23.05.2023

Ein fruchtleerer Weinstock

Vers 1

Hos 10,1: Israel ist ein wuchernder {fruchtleerer} Weinstock, der seine Frucht ansetzte; nach der Menge seiner Frucht hat er die Altäre vermehrt, nach der Güte seines Landes haben sie die Bildsäulen verschönert.

Wir wurden bereits an die erste Frische Israels erinnert, als es für Gott wie Trauben in der Wüste war. In jenen glücklichen Tagen ihrer Befreiung trugen sie ein wenig Frucht für den HERRN (Hos 9,10). Doch nun müssen wir sein ernstes Urteil über sie zur Kenntnis nehmen: Israels Zeugnis ist vollkommen misslungen. Oder wie es in Vers 1 heißt [KJV]: „Israel ist ein fruchtleerer Weinstock, der für sich selbst Frucht bringt.“ Die Lektion des Weinstocks ist wichtig, und wir tun gut daran, uns durch beide Testamente hindurch mit dem Thema zu beschäftigen. In Psalm 80,9-12 finden wir eine höchst bedeutsame Aussage: „Einen Weinstock zogst du {Gott} aus Ägypten, vertriebst Nationen und pflanztest ihn. Du machtest Raum vor ihm, und er schlug Wurzeln und erfüllte das Land; die Berge wurden bedeckt von seinem Schatten, und seine Äste waren wie Zedern Gottes. Er streckte seine Reben aus bis ans Meer und bis zum Strom hin seine Schösslinge.“ Das sollte Israel nach dem Willen Gottes sein: ein Zeugnis auf der Erde für Gott. Das hätten sie immer sein sollen – wenn da Demut und Unterwürfigkeit des Herzens gewesen wären, was zu Vertrauen in und Abhängigkeit von Ihm geführt hätte.

Doch es geschah – wie uns bekannt sein wird und wie die Heilige Schrift recht deutlich macht – das Gegenteil. Denn wir lesen in demselben Psalm: „Es zerwühlt ihn {den Weinstock} der Eber aus dem Wald, und das Wild des Feldes weidet ihn ab“ (Ps 80,14). Gemäß Jesaja 5 kam Gott, um Frucht zu suchen. Doch als Er auf seinen Weinstock herabblickte und nach Trauben suchte, da fand Er nichts als schlechte Beeren. Es war, wie es Hosea beschreibt, „ein fruchtleerer Weinstock“. Es gab keinerlei Frucht für den HERRN. Es drehte sich alles nur um sie selbst.

Deshalb wurde der Weinstock der Erde schließlich beiseitegesetzt, die ihn umgebende Mauer abgebrochen, und deshalb wird in der zukünftigen furchtbaren Weinlese ein vollkommenes Gericht über sie kommen (Off 14,18-20). In der Zwischenzeit, nach der Verwerfung des fruchtleeren Weinstocks, pflanzt Gott einen Weinstock, der Frucht tragen wird – einen, an dem Er immer Frucht finden wird. Deshalb erzählt der Herr Jesus, der Mann nach der Auswahl Gottes, seinen Jüngern in Johannes 15 von „dem wahren Weinstock“, der Er selbst ist. Er nimmt den Platz Israels ein, um auf dieser Erde ein Zeugnis für Gott zu sein.

Mit unvergleichlicher Gnade verbindet Er so seine Erlösten mit sich selbst: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh 15,5). Fruchtleere Reben, die ursprünglich keine lebendige Verbindung mit dem Weinstock haben, können an dem Weinstock als Reben eingefügt werden. Bei all jenen hingegen, die keine lebendige Verbindung mit dem Weinstock haben, kann es auch keine Frucht geben. Es sind falsche Bekenner, die abgeschnitten und als verdorrte Reben hinausgeworfen werden und deren Ende das Feuer sein wird. Die fruchttragenden Reben hingegen werden gereinigt, damit sie mehr Frucht tragen können. Ja, Gott der Vater wird verherrlicht, wenn sie viel Frucht bringen!

Hieran wird deutlich, dass sich der Weinstock auf die Erde bezieht. Es geht um das Zeugnis Gottes in dieser Welt. Was einst Israel anvertraut worden war, wird jetzt von Christus durch sein geliebtes Volk aufrechterhalten. Der fruchtleere Weinstock ist im Gericht beiseitegesetzt worden. Sein Platz ist von dem wahren Weinstock eingenommen worden, der niemals beiseitegesetzt werden wird, denn er spricht von Christus und von seinem Volk, das in Christus ist. Deshalb stellt sich der Herr der Versammlung in Laodizea – auch wenn der Einzelne versagt – als „der treue und wahrhaftige Zeuge“ vor (Off 3,14).

Das vor uns liegende Kapitel 10 schließt die Beweisführung ab, dass Israel tatsächlich in den traurigen Zustand gefallen ist, der im ersten Vers beschrieben wurde. Alle Hoffnungen auf Besserung ist für die Gegenwart dahin. Sie müssen – bevor sie erneut aufgenommen werden können – durch Bedrängnis und Drangsal und die daraus resultierende Umkehr gehen. Wenn das geschehen wird, werden sie Reben am lebendigen Weinstock sein – mit ihrem einst abgelehnten Messias verbunden als ein Zeugnis Gottes im Tausendjährigen Reich. Doch dann wird es nicht mehr wie unter dem Alten Bund sein. Denn dann wird es nicht mehr auf der Grundlage ihrer Verantwortung geschehen – worin sie von Anfang an versagt haben –, sondern unter dem Neuen Bund der ihnen erwiesenen reinen Gnade Gottes, unverdient und souverän.

Vers 2

Hos 10,2: Heuchlerisch war ihr Herz, nun werden sie es büßen: Er wird ihre Altäre zertrümmern, ihre Bildsäulen zerstören.

Die Anfangsworte des zweiten Verses geben das Grundproblem in einem sehr kurzen Satz wieder: „Heuchlerisch {geteilt} war ihr Herz.“ Dies war die Ursache von allem nachfolgenden Kummer und Versagen. Sie hingen dem HERRN nicht mit Herzensentschluss an. Sie waren wankelmütig und somit unstet in allen ihren Wegen. Ein ungeteiltes Herz, das ausschließlich nach Gottes Ehre trachtet, ist die wichtigste Voraussetzung für ein geheiligtes Leben. Doch das hatten sie nicht. Deshalb mussten sie nun von der Frucht ihres eigenen Tuns essen.

Verse 3.4

Hos 10,3.4: 3 Ja, nun werden sie sagen: Wir haben keinen König; denn wir haben den HERRN nicht gefürchtet, und der König, was wird er für uns tun? 4 Sie haben eitle Worte geredet, falsch geschworen, Bündnisse geschlossen: So wird das Gericht sprossen wie Giftkraut in den Furchen des Feldes.

Mit einem geteilten Herzen mit Gott zu leben, ist vollkommen unmöglich. Gott bittet nicht um den ersten Platz in meinem Herzen – wie dies oft formuliert wird. Dafür ist Gott viel zu exklusiv. Sein Wort lautet: „Gib mir, mein Sohn, dein Herz“ (Spr 23,26) – das ganze Herz, ohne jeden Vorbehalt. Nur dann, wenn das getan wird, werden die Lebensweise und die eingeschlagenen Wege in Übereinstimmung mit seinen Gedanken sein. Doch hierin hatte Israel versagt – wovon ihre Götzenaltäre Zeugnis ablegten. Und als Gott sie für ihre Sünde züchtigte, versuchten sie – anstatt seine Gerechtigkeit in seinem Weg mit ihnen anzuerkennen – einen Bund mit den Nationen zu schließen. Dies taten sie, um der angemessenen Züchtigung zu entgehen. Da sie nun keinen König mehr hatten, der sie retten konnte, bemühten sie sich verzweifelt darum, anderswo einen Arm des Fleisches zu finden, auf den sie sich stützen konnten. Aber das wollte Gott nicht zulassen.

Vers 5

Hos 10,5: Die Bewohner von Samaria werden um das Kalb von Beth-Awen bangen. Ja, sein Volk wird darüber trauern, und seine Götzenpriester werden seinetwegen beben, wegen seiner Herrlichkeit, weil sie von ihm fortgezogen ist; …

Von den Bewohnern Samarias hieß es lange Zeit: „Sie fürchteten den HERRN, und sie dienten ihren Göttern“ (2Kön 17,33). Nun mussten sie „um das Kalb von Beth-Awen bangen“, auf das sie sich verlassen hatten. Denn schließlich hatte Gott – nach einer ziemlich langen Zeit der Erprobung – über das ganze Nordreich sein „Ikabod“ [Nicht-Herrlichkeit; vgl. 1Sam 4,21] ausgesprochen. Die Herrlichkeit war gewichen.

Verse 6.7

Hos 10,6.7: … 6 auch dies wird als Geschenk für den König Jareb nach Assyrien gebracht werden. Scham wird Ephraim ergreifen, und Israel wird zuschanden werden wegen seines Ratschlags. 7 Dahin ist Samaria und sein König, wie ein Splitter auf der Fläche des Wassers.

Damit Ephraim beschämt und Israel wegen ihres Ratschlags zuschanden werden würde, sollten sie als Geschenk zum König von Assyrien gebracht werden. Der König von Samaria würde sich als machtlos erweisen, wie ein Schaum [„Splitter“] auf dem Wasser, der einen Augenblick lang bedeutsam und wirklich erscheint, aber im nächsten Augenblick verschwunden ist.

Verse 8.9

Hos 10,8.9: 8 Und die Höhen von Awen, die Sünde Israels, werden vertilgt werden; Dornen und Disteln werden über ihre Altäre wachsen. Und sie werden zu den Bergen sagen: Bedeckt uns!, und zu den Hügeln: Fallt auf uns! 9 Seit den Tagen von Gibea hast du gesündigt, Israel: Dort sind sie stehen geblieben; nicht erreichte sie in Gibea der Kampf gegen die Kinder des Frevels.

Vers 8 bezieht sich ganz offenbar nicht nur auf den assyrischen Sieg jener Tage, sondern auch auf eine weitaus ernstere Erfüllung in der Zukunft. Denn die verwendeten Ausdrücke verbinden ihn mit dem furchtbaren Umsturz aller bestehenden Ordnungen in den letzten Tagen, der im sechsten Siegel von Offenbarung 6 beschrieben wird. Dann werden „sie sagen zu den Bergen und zu den Felsen: Fallt auf uns!“. Das wird die Zeit sein, in der sie von der Hand des HERRN Zweifaches für all ihre Sünden empfangen und in der Verbitterung ihrer Seele ihre Torheit erkennen werden, dass sie von dem lebendigen Gott abgewichen sind.

Erneut – wie bereits im vorigen Kapitel – erinnert Er sie daran, dass sie seit den Tagen von Gibea gesündigt hatten. Die damals begangene Gesetzlosigkeit war nie vollständig gerichtet worden, sondern hatte all die Jahre hindurch wie Sauerteig gewirkt und die Masse durchdrungen. Gott musste sie züchtigen, denn Er sehnte sich danach, sie zu segnen. Er liebte sie, und deshalb musste Er sie für ihre Sünden züchtigen.

Vers 10

Hos 10,10: Nach meiner Lust werde ich sie züchtigen, und Völker werden gegen sie versammelt werden, wenn ich sie an ihre beiden Sünden binden werde.

Den zweiten Teil des Verses übersetzt die King-James-Übersetzung mit: „Wenn sie sich an ihre beiden Furchen binden werden“. Die Formulierung scheint mehrdeutig zu sein. Die CSV-Elberfelder übersetzt: „Wenn sie an ihre beiden Sünden gebunden sind“. Könnte mit den „beiden Sünden“ das „zweifach Böse“ aus Jeremia 2,13 gemeint sein? Sie hatten den verlassen, der die Quelle des lebendigen Wassers ist, und sich geborstene Zisternen ausgehauen. Auch der Prophet Jesaja klagt sie zweier Übertretungen an: der Verwerfung des Gesalbten Gottes und der Einführung des Götzendienstes.

Verse 11.12

Hos 10,11.12: 11 Und Ephraim ist eine ans Joch gewöhnte junge Kuh, die zu dreschen liebt; und ich bin über die Schönheit ihres Halses hergefahren: Ich werde Ephraim einspannen, Juda soll pflügen, Jakob soll eggen. 12 Sät euch zur Gerechtigkeit, erntet der Güte entsprechend: Pflügt euch einen Neubruch, denn es ist Zeit, den HERRN zu suchen, bis er kommt und euch Gerechtigkeit regnen lässt.

Das erfreuliche Ergebnis der Züchtigung des HERRN wird in diesen Versen auf wundervolle Weise dargestellt. Bei diesen Versen handelt es sich um einen Einschub. Das Thema ihrer Sünde und ihrer Bestrafung wird in den Schlussversen fortgesetzt. Wenn beide – sowohl Juda als auch Ephraim [die zehn Stämme] – ihre Lektion in der Gegenwart Gottes gelernt haben, werden sie sich wie ein fügsames Rind, das zu dreschen liebt, dem Joch unterwerfen. Aber das wird nur dann so sein, wenn sie zur Gerechtigkeit und Gottesfurcht säen. Nur dann werden sie Barmherzigkeit ernten. Der brachliegende Boden muss durch die Kraft des Wortes Gottes – das in der Kraft des Heiligen Geistes seine Wirkung entfaltet – aufgebrochen werden. Wenn die bestimmte Zeit gekommen ist, den HERRN zu suchen, damit Er kommt und auf sie Gerechtigkeit herabregnen lässt, wird es eine Antwort geben. Für uns hat all dies – wenn wir Herzen haben, die sich vor Gott demütigen – eine gegenwärtige Anwendung.

Aber obschon auf Israel und Juda ein derartiger Segen wartet, beschreiben doch die letzten drei Verse ihren unglücklichen Zustand, der so lange andauern wird, bis sie am Tag seiner Macht willig gemacht sein werden (vgl. Ps 110,3).

Verse 13.14

Hos 10,13.14: 13 Ihr habt Gottlosigkeit gepflügt, Unrecht geerntet, die Frucht der Lüge gegessen; denn du hast auf deinen Weg vertraut, auf die Menge deiner Helden. 14 Und es wird sich ein Getümmel erhben unter deinen Völkern, und alle deine Festungen werden zerstört werden, wie Schalman Beth-Arbel zerstörte am Tag des Krieges; die Mutter samt den Kindern wurde zerschmettert.

Sie säen Gottlosigkeit und ernten deshalb nur Unrecht und essen die Frucht der Lüge. Und das alles, weil sie nicht auf Ihn vertrauen, sondern auf ihren eigenen Weg und die Menge ihrer Helden. Folglich müssen Zerstörung und Verderben anstelle einer Heilung des Bruchs und Wiederherstellung ihr Teil sein (vgl. Jes 58,12). Bethel, das zum Zentrum ihres Götzendienstes geworden war, würde ihnen zum Verhängnis werden. Denn es sprach von ihrem leidvollen Abfall. Juda wurde, wie wir wissen, eine Zeitlang bewahrt. Um Davids willen wurde ein Licht aufrechterhalten, bis der Messias erscheinen sollte. Israels Königtum wurde hingegen ganz und gar vernichtet. Der Thron wurde umgestoßen und würde nicht wieder aufgerichtet werden, bis der kommen wird, der ein Anrecht darauf hat, seine Herrschaft auszuüben.

Wenn die „Zeiten der Erquickung vom Angesicht des Herrn“ (Apg 3,20) gekommen sein werden, wird – wie es alle Propheten vorausgesagt haben – der Bruch zwischen Israel und Juda geheilt werden. Dann wird das irdische Volk Gottes nicht mehr als „ein fruchtleerer Weinstock“ bezeichnet werden. Denn dann wird es wie ein blühender Weinstock sein, der nach unten Wurzeln schlagen und nach oben Frucht tragen wird – und das alles zum Lob der Herrlichkeit der Gnade des HERRN.

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Originaltitel: „Notes on the Prophecy of Hosea“
aus Notes on the Minor Prophets, 1909

Übersetzung: Andreas Albracht


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