Der Prophet Obadja
Aus „Bode des Heils“

Bode des Heils

online seit: 10.06.2024, aktualisiert: 11.06.2024

Person und Ort

Vom Propheten Obadja besitzen wir keine Personendaten. Wir kennen lediglich seinen Namen, der „Knecht des HERRN“ bedeutet. Es werden mehrere Obadjas in der Schrift erwähnt, und man hat auch versucht, unseren Propheten mit einer dieser Personen gleichzusetzen. Alle diese Versuche sind aber nicht mehr als Spekulationen. Darüber hinaus kennen wir von diesen Obadjas auch kaum mehr als ihren Namen.

Nur von einer Person mit diesem Namen wissen wir etwas mehr, nämlich von Obadja, der am Hof von Ahab arbeitete. Er war ein gottesfürchtiger Mann, der hundert Propheten verborgen hielt und sie auch versorgte. Allerdings kann dieser Mann nicht mit unserem Propheten gleichgesetzt werden. Er wohnte nämlich im Zehnstämmereich, während alles darauf hinweist, dass der Prophet Obadja in Judäa lebte. Außerdem werden wir – das versuche ich zu zeigen – Obadja in einer späteren Zeit einordnen müssen. Der Prophet Obadja kann höchstens mit einem der Leviten mit diesem Namen aus der Zeit von Esra oder Nehemia gleichgesetzt werden (Esra 8,9Neh 19,5; 12,25).

Zeit

Es wird nicht berichtet, in welcher Zeit Obadja auftrat. Wir haben nur einen Hinweis, der etwas Halt gibt. In Obadja 11 wird nämlich die Einnahme von Jerusalem erwähnt. Nun wurde Jerusalem mehr als einmal eingenommen, weshalb dies auch nicht alles sagt. So wurde die Stadt einmal durch König Sisak von Ägypten eingenommen. Das geschah während der Zeit des Königs Rehabeam (1Kön 14,25.26). Ein anderer Überfall fand in der Zeit von Joram statt, dem Sohn von Josaphat. Damals beraubten die Philister mit ihren Bundesgenossen den königlichen Palast (2Chr 21,16.17). Es ist jedoch nicht anzunehmen, dass sich die Prophezeiung von Obadja darauf bezieht. In diesen Fällen geht es um eine kurzfristige Besetzung und Beraubung.

Dasselbe gilt für die Eroberung Judas unter König Amazja durch Joas, den König des Zehnstämmereiches, worüber uns 2. Könige 14,13.14 aufklärt. Obadja redet nämlich von einem Untergang, der viel katastrophaler gewesen sein muss. Seine Prophezeiung richtet sich gegen die Edomiter, die sich über den Untergang Jerusalems gefreut und an der Beraubung der Judäer teilgenommen haben. Das Realistischste ist daher, diese Prophezeiung in die Zeit nach dem Fall Jerusalems im Jahr 586 v.Chr. zu platzieren.

Es muss allerdings erwähnt werden, dass die Einordnung in der Reihe der kleinen Propheten eher mit einer früheren Entstehung in Übereinstimmung zu bringen ist. Obadja hat seinen Platz nämlich nicht bei den Schriften erhalten, die mit Sicherheit nach der Verbannung geschrieben wurden. Ob dieser Reihenfolge wirklich ein Wert beigemessen werden muss, ist jedoch fraglich. Ein anderes Argument für eine frühere Entstehung wird der Übereinstimmung dieser Prophezeiung mit der von Jeremia 49,8-10 entlehnt. Diese Übereinstimmung sagt allerdings gar nichts über eine zeitgleiche Entstehung aus. Wir wissen, dass Jeremia vor dem Exil prophezeit hat, und das, was er über Edom sagt, muss sich nicht in seiner Zeit vollzogen haben. Dieser Prophet redet nämlich auch von dem Fall Babels (Jer 50; 51) in der Gegenwartsform, obwohl dieser Fall erst viel später stattfand. Obadja könnte also nach dem Fall Jerusalems aus der Prophezeiung Jeremias Elemente übernommen haben, die dieser Prophet vor dem Fall Jerusalems ausgesprochen hat.

Der Kern der Botschaft

Zum Glück ist es für das Verständnis der Botschaft Obadjas nicht erforderlich, dass wir die Besonderheiten hinsichtlich seiner Person und der Zeit seines Auftretens kennen. Mit dieser Botschaft wollen wir uns nun beschäftigen. Ihr Kern ist zwiefältig: Einerseits geht es um eine Gerichtsankündigung über Edom, andererseits handelt es sich um eine Heilsbotschaft für Israel.

Edom befand sich südlich von Israel und wurde von den Edomitern bewohnt, die Nachkommen Esaus, des Bruders Jakobs, waren. Es ging also um ein Brudervolk. Das Volk hatte sich an dem Fall Jerusalems erfreut. Sie machten sogar mit den Feinden des Volkes Gottes gemeinsame Sache und weckten so den Zorn des HERRN auf. Trotz seiner Sünden blieb Israel ja das auserwählte Volk – für dieses Volk kündigt Gott daher auch eine heilvolle Zukunft an.

Gesicht Obadjas

Vers 1

Obad 1: Gesicht Obadjas. So spricht der Herr, HERR, über Edom: Eine Kunde haben wir von dem HERRN gehört, und ein Bote ist unter die Nationen gesandt worden: „Macht euch auf und lasst uns gegen es aufstehen zum Kampf!“

In der Prophezeiung Obadjas wird zwar gesagt, dass das Wort des HERRN zu ihm kam (Obad 4.8), dennoch lauten die Anfangsworte: „Gesicht Obadjas“. Das ist merkwürdig. Wir hätten erwartet, dass der Eröffnungsvers lauten würde: „Das Wort des HERRN kam zu Obadja …“, weil der Prophet uns keine Beschreibung bestimmter Visionen liefert. So einen Ausdruck finden wir nämlich bei Hosea, Joel und anderen Propheten, die auch keine Visionen beschreiben. Stärker noch: Sacharja, der eine ganze Reihe von Visionen beschreibt, beginnt seine Prophezeiung auch mit der Mitteilung, dass das Wort des HERRN zu ihm kam.

Dieser Ausdruck „Gesicht“, den wir auch bei Jesaja wiederfinden, kann auf eine allgemeine Offenbarung hinweisen, hat aber doch etwas Besonderes zu sagen. Durch diesen Eröffnungssatz wird die Wichtigkeit der Botschaft Obadjas sehr stark betont. Er hat nicht nur eine Botschaft von Gott bekommen, sondern der Inhalt dieser Botschaft wurde ihm als eine Vision vorgestellt. Er sieht das geschehen, was Gott vorhergesagt hat.

So spricht der Herr, HERR

Die Botschaft selbst erhält übrigens auch eine starke Betonung. Das klingt feierlich: „So spricht der Herr, HERR.“ Viele Propheten haben sich in ähnlicher Weise mit einem „So spricht der Herr“ an das Volk gewandt. Sie sagten damit aus, dass sie nicht selbst ersonnene Worte redeten, sondern in Gänze das Sprachrohr Gottes waren. Obadja betont seine Botschaft zusätzlich, indem er das „Herr, HERR“ doppelt gebraucht.

Ein Bote unter den Nationen

Die Botschaft selbst beginnt mit diesen Worten: „Eine Kunde haben wir von dem HERRN gehört.“ Die Frage ist nun, wer mit „wir“ gemeint ist. Es könnte sein, dass der Prophet sich damit selber meint, eventuell gemeinsam mit anderen gläubigen Israeliten oder mit anderen Propheten (vgl. Jes 53,1). Es kann auch sein, dass Menschen gemeint sind, die unter den Nationen die Botschaft Gottes vernommen haben.

Folglich wird dann vorgestellt, dass ein Bote unter den Nationen mit dieser Botschaft ausgesandt wurde (vgl. Jer 49,14): „Macht euch auf und lasst uns gegen es aufstehen zum Kampf!“ Das stellt uns erneut vor die Frage: Wer ist dieser Bote? Geht es um einen Boten des Herrn, den Er zu den Nationen gesandt hat? Doch worauf bezieht sich dann das „uns“ von „lasst uns gegen es aufstehen“? Der Herr zieht doch nicht gemeinsam mit den Nationen los? Ich denke, dass wir diesen Vers so auffassen müssen: Unter den Nationen hat die Überlegung stattgefunden, (gegen Edom) aufzustehen. Diese Botschaft wurde durch einen Boten oder durch eine Gesandtschaft unter den Völkern verbreitet. Gott lässt nun durch den Propheten ausrichten, dass Er von alledem in Kenntnis ist, mehr noch: dass Er das in der Hand hat (vgl. Joel 4,9).

Es ist wie mit Assur, das gegen Juda aufzieht, um Beute zu machen. Gott nennt das Volk „die Rute seines Zorn“. Der HERR lässt Assur gegen Juda aufziehen. Die Assyrer sind sich dessen nicht bewusst. Sie meinen, ihren eigenen Weg zu gehen, tun damit aber genau das, was Gott will (vgl. Jes 10,5-11).

Wir finden das auch ganz stark in dem Gleichnis wieder, in dem der König eine Hochzeit für seinen Sohn ausrichtet. Der König ist ein Bild von Gott, der Sohn ein Bild von Jesus Christus und die Eingeladenen sind die Israeliten. Die Eingeladenen wollen nicht kommen und ermorden die Gesandten des Fürsten. Dieser wird zornig, und wir lesen dann: „Er sandte seine Heere aus, brachte jene Mörder um und setzte ihre Stadt in Brand.“ Das deutet unverkennbar auf die Verwüstung Jerusalems durch die Römer hin. Beachte nun, dass die römischen Heere in dem Gleichnis seine Heere genannt werden (Mt 22,1-14). Die Römer übten, ohne dass sie sich dessen bewusst waren, einen Dienst als Heer Gottes aus.

Dieser Grundsatz ist auch heute noch in Kraft. Gott regiert und hält alles in seiner Hand. Wenn die Völker Europas nach Einheit streben, erfüllen sie Gottes Plan in Bezug auf den Traum über das Standbild, den Nebukadnezar sah (Dan 2) und der Vision von dem vierten Tier, die Daniel schaute (Dan 7). Genauso vollzieht sich im Mittleren Osten alles gemäß Gottes Willen, und die „Bühne“ wird dekoriert, um die Prophezeiungen über die umliegenden Völker Israels in Erfüllung gehen zu lassen.

Für genau diesen Gott, der das ganze Weltgeschehen in Händen hat, ist unser Leben nicht zu gering. Wir dürfen wissen, dass Er alles, was uns geschieht, zum Guten führt (Röm 8,28).

Der Übermut deines Herzens

Vers 2

Obad 2: Siehe, ich habe dich klein gemacht unter den Nationen, du bist sehr verachtet.

Gott kündigt Edom an, dass es unter den Nationen klein gemacht werden wird und Verachtung ihr Teil sein wird. Die Zeitform in „Ich habe dich klein gemacht unter den Nationen“ muss in einer prophetischen Botschaft nicht heißen, dass die Ankündigung schon in Erfüllung gegangen ist. Aus Vers 8 wird klar, dass das in diesem Fall so ist, doch wir finden diese Redensart, als wenn etwas schon geschehen sei, auch an anderen Stellen wieder (siehe Judas 14). Der große Fehler der Edomiter ist ihr Übermut. Sie wohnen in einem gebirgigen, schwer zugänglichen Gebiet und meinen, dort vor Feinden sicher zu sein. Das können sie jedoch getrost vergessen. Selbst wenn sie ihre Burgen sozusagen an die Felswände kleben würden, weiß Gott sie dort wegzureißen. Selbst wenn sie sich zwischen die Sterne setzten, würden sie dort weggeholt werden.

Verse 3.4

Obad 3.4: 3 Der Übermut deines Herzens hat dich verführt, der du in Felsenklüften, auf hohem Sitz wohnst und in deinem Herzen sprichst: Wer wird mich zur Erde hinabstürzen? 4 Wenn du dein Nest auch hoch bautest wie der Adler und wenn es zwischen die Sterne gesetzt wäre: Ich würde dich von dort hinabstürzen, spricht der HERR.

In Vers 3 und 4 wird hervorgehoben, wie sich Gott insbesondere gegen Hochmütige richtet. Hochmut war die Sünde Satans und Hochmut war die Sünde Evas. Gegen Hochmut und Stolz richtet sich Gottes heiliger Zorn (Ps 31,24Jes 13,11Hes 7,24Dan 4,34Sach 9,6; 10,11Jak 4,61Pet 5,5). Hochmut verbirgt sich auch in unseren Herzen. Wir müssen permanent das eigene „Ich“ unten halten.

Vernichtendes Urteil

Verse 5.6

Obad 5.6: 5 Wenn Diebe über dich gekommen wären, wenn nächtliche Räuber – wie bist du vernichtet! –, würden sie nicht gestohlen haben, bis sie genug hätten? Wenn Winzer über dich gekommen wären, würden sie nicht eine Nachlese übrig gelassen haben? 6 Wie sind die von Esau durchsucht, ausgeforscht ihre verborgenen Schätze!

Ein vernichtendes Gericht wird die Edomiter treffen. Sie werden schlimmer dran sein als jemand, dessen Haus durch Diebe und Räuber durchsucht wird, die so lange stehlen, bis sie genug haben und noch etwas übriglassen. So würde es nicht mit Edom sein. Menschen, die in einem Weinberg Trauben ernten, lassen noch etwas hängen für die Nachlese. In Israel war das sogar eine Pflicht zugunsten der Armen (5Mo 24,21), doch die Edomiter werden vollständig geplündert. Kein Bergort wird davonkommen, ohne durchsucht zu werden.

Vers 7

Obad 7: Bis zur Grenze haben dich alle deine Bundesgenossen geschickt; betrogen, überwältigt haben dich deine Freunde, die dein Brot aßen; sie legten eine Schlinge unter dich. Es ist kein Verstand in ihm.

Das Traurige für sie ist, dass frühere Bundesgenossen sich gegen sie kehren werden. Frühere Freunde verführen sie und locken sie in die Falle, ohne dass sie das merken oder dem entkommen könnten.

So wie Israel sich im Stich gelassen fühlen konnte durch ihr Brudervolk Esau, so wird Edom jetzt spüren, was es bedeutet, wenn man durch seine Freunde betrogen wird.

Wo bleibt die Weisheit, wo bleiben die Helden

Verse 8.9

Obad 8.9: 8 Werde ich nicht an jenem Tag, spricht der HERR, die Weisen aus Edom vertilgen und den Verstand vom Gebirge Esaus? 9 Und deine Helden, Teman, werden verzagen, damit jedermann vom Gebirge Esaus ausgerottet werde durch Ermordung.

Mit einem Wort des HERRN kündigt Obadja an, dass Gott die Weisen aus Edom untergehen lassen wird. Vor allem Teman, einer der wichtigsten Städte Edoms, war für die Weisheit seiner Bewohner bekannt. In der Geschichte Hiobs hören wir von Eliphas, dem Temaniter (Hiob 2,11). Er redet zwar Falsches über Hiob, doch an sich hat er viele wahre Dinge gesagt. Diese Weisheit wird aber dann nicht mehr in Edom gefunden werden (Jer 49,7).

Hier, in Obadja, wird Teman – diese Stadt wird auch in Amos 1,12 und Habakuk 3,3 erwähnt – in Verbindung mit der Tatsache genannt, dass die Tapferkeit der Bewohner dieser Stadt untergehen wird. Der Mut wird ihnen verlorengehen mit der Folge, dass der Feind die Bewohner von Esaus Gebirge vollständig ausrotten wird.

In Vers 8 und 9 wird in der Zukunftsform gesprochen; das weist auf ein zukünftiges Gericht hin. Der Ausdruck „an dem Tag“ verweist auch darauf. Der Prophet greift damit auf den Tag des HERRN vor, von dem in Obadja 15 die Rede ist.

Verse 10.11

Obad 10.11: 10 Wegen der an deinem Bruder Jakob verübten Gewalttat wird Schande dich bedecken, und du wirst ausgerottet werden auf ewig. 11 An dem Tag, als du gegenüberstandest, an dem Tag, als Fremde sein Vermögen wegführten und Ausländer zu seinen Toren einzogen und über Jerusalem das Los warfen, da warst auch du wie einer von ihnen.

Anschließend wird erklärt, warum Esau dieses schreckliche Gericht treffen wird. Es ist wegen der Gewalttat gegen das Brudervolk Jakob. Die Edomiter werden speziell wegen ihres Auftretens gegen die Einwohner Jerusalems (V. 11) mit Schande bedeckt zugrunde gehen.

Abseits stehenbleiben

Es bleibt nicht bei einer allgemeinen Feststellung. Obadja zählt bis ins Detail auf, was bei Esau verkehrt ist. Zunächst standen sie von weitem, als das Heer der Judäer belagert wurde und der Feind in Jerusalem einzog. Sie machten dadurch im Prinzip gemeinsame Sache mit Israels Feinden. Gott sagt es so: „Da warst auch du wie einer von ihnen.“ Es ist nicht von ungefähr, dass über „Fremde“ und „Ausländer“ gesprochen wird, die über Jerusalem das Los warfen. Mit diesen Fremden hätte Esau sich als Brudervolk niemals einsmachen dürfen.

„Das Los werfen“ beinhaltet, dass Menschen und Güter dadurch den verschiedenen Eroberern zugeschlagen werden (s. Joel 4,3Nah 3,10). Denke auch an die erniedrigende Behandlung des Herrn Jesus durch die römischen Soldaten, die über das wertvolle Unterkleid das Los warfen (Ps 22,19Mt 27,35Mk 15,24Lk 23,24Joh 19,34).

Die Sünde der Gleichgültigkeit und des Heraushaltens ist auch uns nicht fremd. Wir werden als Christen nicht aufgefordert, alles Böse der Welt aufzugreifen, doch wenn Gottes Volk belagert und verfolgt wird, dürfen wir nicht von weitem zusehen. Das Mindeste ist, dass wir für die Verfolgten beten und mitleiden, so als wenn wir selbst im Leib zu leiden hätten (Heb 13,3). Wenn sich Gelegenheiten auftun, werden wir auch tatsächlich helfen, sei es mit Geld und Gütern, sei es, indem wir den Verfolgten einen Schutzraum anbieten, wie es der andere Obadja mit den Propheten des Herrn tat.

David kritisiert in Psalm 38,12 das Fernabstehen seiner Freunde und Bekannten angesichts seines Loses scharf. Wahrscheinlich hat dieser Psalm einen messianischen Zug, so dass wir hier einen Hinweis darauf sehen, dass Jesus Christus von seinen Jüngern verlassen wurde und sie fernab vom Kreuz standen. Wie betrübte das das Herz des Heilands. Wenn wir nun abseits derer stehen, die um Christi willen Leid trifft, tun wir Ihm damit Leid an (vgl. Mt 25,40.45).

Schadenfreude

Vers 12

Obad 12: Und du solltest nicht auf den Tag deines Bruders sehen am Tag seines Missgeschicks und dich nicht freuen über die Kinder Juda am Tag ihres Untergangs, noch dein Maul aufsperren am Tag der Bedrängnis; …

Es blieb nicht beim Fernabstehen. Die Edomiter hatten auch Schadenfreude über das schreckliche Los, das Juda traf. Sie ließen sie das auch gründlich spüren. Mit „einem großen Mund“ sprachen sie darüber und spotteten (vgl. Klgl 4,21Ps 137,7). „Die reinste Freude ist die Schadenfreude“, sagt man. Doch das kann einem bitter aufstoßen. Es ist eine nichtige Freude. Auch dieses Böse ist uns nicht fremd. Es steckt schon im Kinderherzen. Wenn Kinder einander nicht richtig mögen und einer von ihnen bestraft wird, dann liegt den anderen das „Geschieht dir recht!“ auf der Zunge. Als Ältere wissen wir uns bei Schadenfreude zu beherrschen, dennoch haben wir manchmal innerliche Genugtuung, wenn es anderen, mit denen wir unterschiedlicher Meinung sind, schlecht geht.

Rechtgläubige Kirchen fallen aufgrund von Irrlehre und weltlicher Gesinnung in sich zusammen. Berührt uns das noch? Macht uns das etwas aus um Christi willen, weil Er nicht mehr die Ehre bekommt, die Ihm zusteht? Macht es uns angesichts der bestürzten Gläubigen, die sich dort befinden, etwas aus, wenn sie nicht wissen, wohin sie gehen sollen? Oder sagen wir: „So ist’s gut, sie können ja zu uns kommen“?

Die Hand ausstrecken nach ihrem Vermögen

Verse 13.14

Obad 13.14: … 13 du solltest nicht in das Tor meines Volkes einziehen am Tag seiner Not; und du, auch du solltest nicht auf sein Unglück sehen am Tag seiner Not, noch deine Hand ausstrecken nach seinem Vermögen am Tag seiner Not; 14 und du solltest nicht am Kreuzweg stehen, um seine Flüchtlinge zu vertilgen, und solltest seine Entronnenen nicht ausliefern am Tag der Bedrängnis.

Die Aufzählung des Bösen geht weiter. Gott ruft Edom auf, nicht in die Tore Jerusalems zu kommen und die Hand nicht nach dem Besitz Israels auszustrecken. Hinter diesem Aufruf steckt, dass die Edomiter dies doch taten. Andere Stellen, die offensichtlich über dieselbe Periode berichten, reden sehr klar über diese Art des Auftretens von Edom und über Gottes Gericht, das Edom treffen wird (Hes 35Jer 49,7-22; wahrscheinlich auch: Hes 25,12-14).

Die Edomiter beraubten sogar die Flüchtlinge, die aus Jerusalem flüchteten, und überlieferten sie an den Feind. Um so viele wie möglich zu fangen, nahmen sie die strategisch besten Plätze ein, nämlich die Kreuzungen der Wege. Trauriges Verhalten! Doch auch dieses Böse ist uns nicht fremd. Haben „Christen“ nicht auch oft gemeinsame Sache mit der Regierung gemacht, um Gläubige zu verfolgen? Wir sahen und sehen, dass Kirchen unter kommunistischen Regimen die Regierungen dort bei der Verfolgung der Christen, die Gottes Wort treu bleiben wollen, unterstützen. Wir erinnern uns an ein gleichartiges Auftreten zur Zeit der spanischen Herrschaft in unserem eigenen Land [den Niederlanden]. Übrigens brauchen wir gar nicht so weit in die Geschichte zurückzugehen. In der Zeit der Trennung [tijd van de afscheiding: gemeint ist  die Zeit um 1834 in den Niederlanden] hat auch etwas Ähnliches in unserer „christlichen Nation“ stattgefunden.

Der Tag des HERRN

Verse 15.16

Obad 15.16: 15 Denn der Tag des HERRN ist nahe über alle Nationen: Wie du getan hast, wird dir getan werden; dein Tun wird auf dein Haupt zurückkehren. 16 Denn wie ihr getrunken habt auf meinem heiligen Berg, so werden beständig trinken alle Nationen; ja, sie werden trinken und schlürfen und werden sein wie solche, die nie gewesen sind.

Über dieses Böse von Edom wird das Gericht Gottes ohne Erbarmen herabkommen. Jakobus schreibt, dass das Gericht Gottes ohne Barmherzigkeit gegen den sein wird, der keine Barmherzigkeit geübt hat (Jak 2,13). So wie die Edomiter die Judäer behandelt haben, so werden sie selbst behandelt werden. Ihre Boshaftigkeit wird auf ihren eigenen Kopf herabkommen (Joel 4,4). Auch andere Stellen als die bereits genannten reden über ein Gericht, das Edom treffen wird (Amos 1,12Jes 63,1-6).

Das Gericht über Edom wird in Vers 15 als ein Tag des Gerichts skizziert, das über alle Nationen kommen wird und das sich am Tag des HERRN vollzieht. Im Alten Testament wird dieser Tag als ein Tag der Finsternis und Bedrängnis angekündigt (Jes 13,6Jer 46,10Hes 30,3.4Joel 1,15; 2,1.11; 3,4; 4,14Amos 5,18Zeph 1,14.15Mal 3,2; 4,1.5).

Auch das Neue Testament redet darüber als ein Tag des Gerichts (1Thes 5,2.32Pet 3,10), der wie ein Dieb in der Nacht kommt.

Wie ganz anders wird das Kommen des Herrn für die Seinen erwähnt. Gemeinsam mit den auferweckten Entschlafenen werden die Gläubigen, die bei dem Kommen des Herrn leben, Ihm in der Luft entgegengehen (1Thes 4,15-18). Für uns kommt Er als Heiland, und bei seinem Kommen wird unser Leib verändert werden zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit (Phil 3,20.21). Dann wird Er die Seinen in das Vaterhaus bringen (Joh 14,1-3).

Über Edom (Mal 1,3.4) und die umliegenden Völker ist in der Vergangenheit schon ein Gericht gekommen. Wir sehen darin eine Vorerfüllung des Gerichts, das Gott durch Obadja über das Volk ausgesprochen hat. Das Gericht ist sozusagen ein Tag des HERRN in Miniatur. Es ist eine Vorschattung des Gerichts, das in Zukunft Edom und alle Völker treffen wird.

Rettung auf dem Berg Zion

Verse 17-20

Obad 17-20: 17 Aber auf dem Berg Zion wird Errettung sein, und er wird heilig sein; und die vom Haus Jakob werden ihre Besitzungen wieder in Besitz nehmen. 18 Und das Haus Jakob wird ein Feuer sein und das Haus Joseph eine Flamme, und das Haus Esau wird zu Stoppeln werden; und sie werden unter ihnen brennen und sie verzehren. Und das Haus Esau wird keinen Übriggebliebenen haben, denn der HERR hat geredet. 19 Und die vom Süden werden das Gebirge Esaus, und die von der Niederung die Philister in Besitz nehmen; und sie werden das Gebiet Ephraims und das Gebiet Samarias in Besitz nehmen, und Benjamin wird Gilead in Besitz nehmen; 20 und die Weggeführten dieses Heeres der Kinder Israel werden in Besitz nehmen, was den Kanaanitern gehört bis nach Zarpat hin; und die Weggeführten von Jerusalem, die in Sepharad sind, die Städte des Südens.

Obadja endet nicht mit der Gerichtsankündigung über die Völker. Die Finsternis klart auf und Licht bricht sich Bahn. An dem Gericht, das die Völker trifft, wird das Haus Jakobs kein Teil haben. Im Gegenteil, auf dem Berg Zion wird Entkommen möglich sein. Israel wird das Land wieder in Besitz nehmen. Es wird Heil für das ganze Haus Jakobs geben. Nicht nur für Juda, sondern auch für Joseph. Ja, auch für Joseph wird Heil aufkommen, wozu Obadja den Namen Joseph explizit erwähnt. Die Israeliten werden als eine Feuerflamme fungieren, und Esau wird sein wie Stoppeln, die durch die Flamme in Brand gesetzt werden. Das Gericht über Edom wird in erster Linie durch die Völker vollzogen (Obad 1), danach wird das endgültige Gericht durch Israel an Esau ausgeführt werden.

Das südliche Land Israels wird dann das Gebirge Esaus umfassen bzw. die Einwohner des südlichen Landes werden Edom erobern. Die Ebene am Mittelmeer wird das Land der Philister umfassen (der heutige Gazastreifen) bzw. die Einwohner desselben werden das Land der Philister in Besitz nehmen. Im Norden wird Samaria wieder in die Hände des Volkes Israel fallen, und der Stamm Benjamin wird Gilead bevölkern.

Das Land Kanaan wird durch die Weggeführten des Heeres Israel (die Zurückgekehrten aus den zehn Stämmen?) unterworfen werden, und die Weggeführten von Jerusalem werden, aus Sepharad kommend, die Städte des Südlandes wieder in Besitz nehmen. Was mit Sepharad gemeint ist, ist nicht sicher. Man denkt dabei an Spanien, weil das durch die Juden so genannt wird. Andere bringen vor, dass es sich um ein Gebiet in Medien handelt, wohin die Juden weggeführt wurden. Es gibt auch Ausleger, die es mit Sepharwaim in Babylonien gleichsetzen. Wie auch immer, es wird eine Wiederbevölkerung des Landes und eine allgemeine Wiederherstellung des Volkes stattfinden.

Erlöser auf dem Berg Zions

Vers 21

Obad 21: Und es werden Retter auf den Berg Zion ziehen, um das Gebirge Esaus zu richten; und das Reich wird dem HERRN gehören.

In den Tagen der Richter sandte Gott Retter oder Richter, die das Volk von der Belagerung des Feindes befreien mussten. Dass das Land durch den Feind ausgeplündert oder beherrscht wurde, hatten die Israeliten ihrem Ungehorsam Gott gegenüber zuzuschreiben. Gott züchtigte sie, indem Er es zuließ, dass die sie umgebenden Völker Israel unterdrückten. Wenn das Volk sich allerdings bekehrte, sandte der Herr Retter. Der größte Retter der Geschichte war David. In der Zukunft wird es auch so sein, dass Retter aufstehen werden. Nicht gerade über einen langen Zeitraum, doch Gott wird Israel Männer geben, die sie im Kampf gegen die Feinde anführen werden, und zwar besonders gegen Esau. Sacharja 12,6-8 redet darüber sehr deutlich. Das geschieht jedoch erst, wenn das Volk sich in der Zeit der großen Drangsal zu Gott bekehrt hat. Dann schlägt sich Gott öffentlich auf ihre Seite. Dann wird der große Erlöser, der wahre David, durch sie gesehen werden (Sach 12,10). Seine Füße werden auf dem Ölberg stehen (Sach 14,3). Er wird sein Volk befreien und durch sie das Gericht über die umliegenden Feinde vollziehen.

Das Königtum wird des Herrn sein

Die Prophezeiung endet mit der Erklärung, dass das Königtum des Herrn sein wird. Christus wird dann sein Königreich des Rechts und der Gerechtigkeit aufrichten. Er wird als König der Ehren durch die Tore Jerusalems einziehen und seinem Volk im Kampf den Sieg geben (Ps 2,6-10; 24,7-10; 48,3; vgl. Jes 24,23; 32,1). Leider hat man in der Christenheit der sogenannten Ersetzungslehre Raum gegeben. Diese Lehre besagt, dass die Kirche an die Stelle Israels gerückt ist, und zwar in dem Sinn, dass alle Heilsprophezeiungen über die Wiederherstellung Israels und über den Frieden für Jerusalem vergeistlicht auf die Kirche angewandt werden sollen. Das Königtum über Israel wird zu einem Königtum von Christus über seine Kirche vergeistlicht.

Als die Jünger jedoch Jesus Christus fragten, ob Er in dieser Zeit das Königreich für Israel wiederherstellen würde (Apg 1,6), sagte Er ihnen nicht, dass sie eine verkehrte Frage gestellt hätten. Er sagte nicht, dass das Königreich in Wirklichkeit geistlich aufgefasst werden müsste und im Prinzip schon gekommen wäre. Genauso wenig wies Er ihre Frage ab, als wenn sie nichts zur Sache täte. Nein, Er geht positiv darauf ein und sagt lediglich, dass das Wissen um die Zeit der Wiederherstellung des Königreichs uns nicht zusteht. Dieses Königreich kommt. Dann wird es wirklichen Frieden auf der Erde geben, so wie die Engel das angekündigt hatten (Lk 2,14). Dann wird Satan gebunden sein, und Christus wird mit allen, die an der ersten Auferstehung teilhatten, in einer tausendjährigen Regentschaft von Frieden und Gerechtigkeit regieren (Off 20,1-6).

Herrlichkeit für das Volk Israel wird es dann geben und Herrlichkeit für uns, die zur Versammlung gehören. Über allem wird es Herrlichkeit für Ihn geben, der sich so tief erniedrigt hat auf das Kreuz, um seinen Vater zu verherrlichen und Sünder zu retten. Herrlichkeit für Jesus Christus, unseren Herrn!


Übersetzt aus Bode des Heils, Jg. 137
Quelle: www.bibelstudium.de

 

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