Praktische Lehren aus dem Buch Hiob (8)
Zwei Offenbarungen von Gott

William Kelly

© CSV, online seit: 08.11.2005, aktualisiert: 10.01.2021

Leitverse: Hiob 37,14-16; 38,1

Hiob 37,14-16: Nimm dieses zu Ohren, Hiob; stehe und betrachte die Wunder Gottes! Weißt du, wie Gott sie beladet und leuchten lässt den Blitz seines Gewölks? Verstehst du dich auf das Schweben der Wolke, auf die Wundertaten des an Wissen Vollkommenen?

Hiermit kommen wir zu einem sehr wichtigen Punkt, was den Charakter des Buches Hiob betrifft. Gott würde sich noch weiter offenbaren und würde das tun in „Heiligen Schriften“, auf geistliche Weise, so dass wir jetzt, obwohl wir Gott nicht sehen, doch Seine Gedanken kennen dürfen. Die Schrift ist für uns die vollkommenste und unbedingt zuverlässige Quelle der Kenntnis und Einsicht. Daneben aber haben wir, auch jetzt noch, Seine Offenbarung in der Natur. Da die ganze Schöpfung durch die Sünde verdorben ist (Röm 8,20-22), fehlt dieser Offenbarung die herrliche Vollkommenheit und Sicherheit, die uns auf das Wort bauen lässt wie auf einen Felsen.

Daher kommt es, dass sie für uns nicht mehr die Bedeutung hat, die sie für die Gläubigen der alten Tage hatte. Je weniger weit aber Gottes Offenbarung in der Schrift fortgeschritten war, desto mehr finden wir, auch in der Geschichte der Schrift, dass Gott durch die Natur zu den Seinen spricht. In Psalm 19 finden wir beide Offenbarungsformen, und wir fühlen, wie der Psalmist durch beide zur Anbetung gebracht wird. Und in Römer 1, wo von den Nationen die Rede ist, die gar keine Schriftoffenbarung hatten, werden sie dennoch für das Nicht-Tun des Willens Gottes verantwortlich gemacht, „weil das von Gott Erkennbare unter ihnen offenbar war“, aus den Werken Seiner Hände. Nun, wir haben bereits bemerkt, dass die Geschichte Hiobs sich in den allerfrühesten Zeiten der Offenbarung Gottes abspielt. Und es verwundert uns infolgedessen auch nicht, dass wir so viel und in so besonders erhabener und ergreifender Weise in diesem Buch über die Schöpfung sprechen hören. Gott hatte Hiob heimgesucht, Elihu hatte den großen Grundsatz aufgezeigt, dass Gott über die Seinen Zucht ausübt und, wenn sie abgewichen sind, als ein Lehrer mit Unterweisung zu ihnen kommt. Aber wir könnten sagen, dass die Sprache, die dieser Lehrer gebrauchte, die Sprache der Natur war.

So stellt Elihu es am Schluss seiner Rede vor (Hiob 36,23; 37,24), und auch hierin stimmt er ganz mit Gottes Gedanken überein. Denn so wird auch Gott selbst zu Hiob sprechen. Gewiss, später würde Er durch den Dienst der Propheten zeugen, vielfältig und auf vielerlei Weise, noch später (Heb 1) würde Er reden „im Sohn“, und das Evangelium der Gnade Christi würde überall gepredigt werden; aber hier gefiel es Gott, Seine Gedanken in einer Sprache kundzutun, die Himmel und Erde Tag für Tag zu allen Menschen redeten und die sie damals wahrscheinlich auch besser verstehen konnten als heute.

Elihu hatte nach seiner ernsten Rechtfertigung Gottes Hiob darauf vorbereitet. Sein Dienst war vollbracht. Er hatte seine Aufgabe in Treue erfüllt: als „Einer aus Tausend“ war er wahrlich ein Ausleger, ein Gesandter Gottes gewesen. Aber nun war der Augenblick gekommen, dass der Gott des Himmels und der Erde selbst das Wort an Hiob richten wollte. Wir dürfen annehmen, dass Gott den Dienst Elihus benutzt hat, um den von der Wahrheit abgeirrten Hiob zu unterweisen (Jak 5,10.20) und aus seinem Herzen die unrichtigen Gedanken in Bezug auf Gott und auf sich selbst wegzunehmen, so dass er nun recht vorbereitet war, der Stimme des Lehrers selbst zu lauschen.

Die Stimme Gottes

Hiob 38,1: Und der HERR antwortete Hiob aus dem Sturm …

So sind wir nun dem gewaltig ergreifenden Augenblick nahegekommen, in dem Gott selbst Seine Stimme hören lässt. Mit wie viel himmlischer Weisheit hatte Er diesen Augenblick gewählt! Lasst uns, sowohl in unserem eigenen Leben als auch bei dem Überdenken der lehrreichen Geschichte Hiobs, doch stets tief durchdrungen sein von der Allgegenwart Gottes. Er war, wiewohl unsichtbar, bei all den Beratungen der Freunde zugegen. Er hörte alles, was über Ihn gesagt wurde, die vielen Äußerungen, sowohl von Hiob als auch von den drei Freunden, in denen Er auf eine unwürdige und unrichtige Weise vorgestellt wurde. Wie sind wir Menschen bei der ersten ungerechten Beurteilung unserer Person sofort geneigt, dagegen aufzutreten, uns zu verteidigen, uns selbst zu rechtfertigen. Aber Elihu macht deutlich, dass Gott weder ein willkürlicher Gewaltherrscher ist, noch dass Er nach einer strengen Vergeltungsregel das Gute und Böse der Menschen belohnt oder bestraft. Wohl ist es wahr, dass Er wundersam mit den Menschen handelt; aber dem Gläubigen, der auf Seine Wege achtgibt, will Er doch auch deren Zweck und Ziel kundtun, mit dem Ergebnis, dass Sein Name verherrlicht wird. So deutet Elihu an, dass Gott Wege der Gnade und der Gerechtigkeit mit dem Menschen geht, deren Ziel einmal ist, einen Unbekehrten zu demütigen und seine Seele zu erretten, und andererseits einen Gläubigen, der abgewichen ist, zurechtzubringen. Auch Elihu rechtfertigt also Gott gegenüber Hiob und tadelt dessen Selbstgerechtigkeit, Ungeduld und Mangel an Ehrerbietung. Aber er hütet sich zugleich davor, Hiob zu beschuldigen, wie die Freunde es taten. Auch sein Ton, wenn er Hiob tadelt, ist ganz anders als der der Freunde. Wir haben gesehen, wie Hiob in der Not seiner Seele immer wieder seinem Gefühl Raum gab, von Gott verlassen zu sein, und dann übereilt und heftig sprach, aber auch, wie er nach jedem neuen Ausbruch gewissermaßen wieder zur Einkehr kam. Die Ursache seiner Verzweiflung lag oft auch zu einem nicht geringen Teil in den scharfen Worten seiner Freunde. Gerade weil sie, die das Leid nicht persönlich getroffen hatte, so ruhig und anscheinend wohlüberlegt sprachen, wurde Hiobs offenes und ehrliches Gemüt umso tiefer verletzt. Bei Elihu finden wir aber sowohl eine andere Art zu urteilen als auch einen ganz anderen Ton. Er entschuldigte das Ungebührliche in Hiobs Äußerungen nicht, im Gegenteil, er spricht offen aus, zu welch schrecklichen Folgen solche Worte führen. Aber was seine Person so anziehend macht, ist, dass er auch im dunkelsten Leid noch sein Auge und das der anderen auf Gottes gnadenreiche Absichten zu lenken weiß.

Was blieb denn nun noch übrig? Es ist klar, dass nur Einer da war, der den Worten Elihus Autorität und Kraft geben konnte. Das war Gott selbst. Abgesehen von dem ungeheuren Eindruck, den es auf alle Anwesenden gemacht haben muss, dass der Schöpfer von Himmel und Erde sich persönlich in verständlichen Worten an einen Menschen wandte, ist es für Hiob ohne Zweifel noch von ganz besonderer Bedeutung gewesen. Hatte er diese Gunst nicht in leidenschaftlichster Weise von Gott erfleht? Zuerst bat er um einen Mann, einen Freund, der zwischen ihm und Gott stehen möge (Hiob 9,33), später wünschte er eine unmittelbare Antwort von Gott selbst (Hiob 31,35). Beides war der aufrichtige Wunsch seiner Seele und ließ das brennende Verlangen in ihm erkennen, dass doch alles zwischen ihm und Gott in Ordnung kommen möge. Ist es nicht ergreifend, dass Gott ihn in beiden Anliegen erhört hat? Obwohl Hiob doch, zugleich mit dem Darbringen seines Begehrens, sich selbst so hoch stellte, dass er wie ein Fürst Gott nahen zu können meinte (Hiob 31,36.37).

Reden aus dem Sturm

So spricht nun, nachdem Elihus Wort sein Werk an Hiobs Herzen getan hat, der Herr selbst aus einem Sturm. Schon diese Art, sich zu offenbaren, vermittelt uns einen Eindruck davon, was der Charakter und der Inhalt Seiner Worte sein wird. Es war nötig, dass Hiob tief unter den Eindruck der Größe und Majestät Gottes kam.

Unwillkürlich denken wir hierbei an eine andere Offenbarung Gottes, wo Er auch jemand entgegentrat, der gefehlt hatte. Aber wie ganz anders war da Seine Handlungsweise! Elia, der große Prophet des Herrn, war schwach geworden, gebrochen in seiner Geisteskraft und seinem Vertrauen auf Gott, und das wegen der Drohung einer Frau. Durch besondere göttliche Vorsehung findet er seinen Weg durch die Wüste zu dem Berg Gottes. Dort lässt Gott ihn sein Herz ausschütten, zweimal. Aber als Gott sich offenbaren will, dann geschieht es weder in dem Wind noch in dem Erdbeben noch in dem Feuer, sondern in dem gnadenreichen Ton eines leisen Säuselns. Dieser gebrochene Mann hatte, ebenso sehr wie Hiob, das Wort der Ermahnung nötig. Aber wie handelt Gott stets auf wunderbare Weise mit den Seinen nach dem Bedürfnis ihrer Seele! Der Niedergeschlagene wird mit Gnade gestärkt, getröstet und aufgerichtet. Das Wort der Ermahnung – obwohl ich bestimmt glaube, dass es für Elia an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrigließ – ist ernst, aber gelinde und kurz. Es beschränkt sich auf eine zweimal wiederholte Frage: „Was tust du hier, Elia?“ Als der Prophet sich ausgesprochen hat, wird ihm ein kurzer Auftrag gegeben. Sein Dienst war noch nicht abgelaufen, wie er gemeint und gebeten hatte. Und zum Schluss die beschämende Mitteilung: „Ich habe siebentausend in Israel übriggelassen, alle die Knie, die sich nicht vor dem Baal gebeugt haben“ (1Kön 19,18).

Ganz anders ist es bei Hiob. Dieser musste niedergeworfen werden. In seinem Wohlergehen war er in jeder Hinsicht ein Mann nach dem Herzen Gottes gewesen, aber das Leiden hatte Aufruhr und Auflehnung bei ihm hervorgebracht. Der Hochmut seines Herzens war offenbar geworden. Gott wollte ihn davon erlösen, um ihm danach einen doppelten Segen schenken zu können. Und dazu war nötig, dass der Allmächtige sich in all Seiner Kraft offenbarte.

Wie dies genau vor sich gegangen ist, werden wir kaum sagen können. Es könnten auch nur Vermutungen sein, wenn wir es versuchen wollten. Worauf es ankommt und wessen wir sicher sind, ist dieses, dass Gott vor den Ohren Elihus und der Freunde zu Hiob auf deutlich verständliche Weise gesprochen hat. Er schob die Klärung der Rätsel, die sie umfingen, nicht bis auf den Tag der Ewigkeit auf, sondern schenkte ihnen deren Lösung in diesem Leben, damit sie in diesem Licht umso mehr zur Verherrlichung Seines Namens und zur inneren Freude des eigenen Herzens wandeln sollten. – Auch dies ist von Bedeutung für uns. Wenn wir auch keine unmittelbare Gottesoffenbarung zu erwarten haben, so spricht Er doch durch Sein Wort auf deutlichere Weise zu uns, als Er je zu Hiob sprechen konnte. In diesem Wort finden wir einen Schatz von Anweisungen, durch die auf die dunkelsten Wege unseres Lebens das erhellende Licht Gottes fällt. Wenn nur Glauben gefunden wird, um Seiner Stimme zu lauschen. Zwar gibt es auch jetzt Rätsel, von denen wir sagen dürfen, dass das vollkommene Licht darüber erst in der Ewigkeit aufgehen wird. Aber lasst uns auf der Hut sein, dass nicht Mangel an Interesse und Glauben an Gottes Wort uns in Finsternis lässt, wo Licht sein könnte.

Der HERR redet

Bedeutsam ist auch, dass der HERR [Jahwe] es ist, der aus dem Sturm zu Hiob spricht. Unter diesem Namen hat Gott sich Israel zu Beginn seiner Geschichte offenbart, als der Ewig-Getreue (2Mo 3,14). Vorher war Er unter anderen Namen bekannt gewesen. Der älteste davon war der, der Ihn als Gott den Allmächtigen (El, Mehrzahl Elohim) vorstellte. Als solchen finden wir Ihn in 1. Mose 1,1 als Schöpfer von Himmel und Erde. Und mit diesem Namen wird Er auch ständig in den Gesprächen der Freunde genannt (mit einer Ausnahme, nämlich in Hiob 12,9, wo „Jahwe“ gebraucht wird). Dies verwundert uns nicht, wenn wir bedenken, wie das Buch Hiob voll ist von der Allmacht Gottes und von Gedanken, die der Schöpfung entlehnt sind. Es beweist auch, dass die Geschichte Hiobs sich außerhalb Israels abgespielt hat und sehr wahrscheinlich wohl vor Israels Geschichte. Aber der Schreiber des Buches kannte Gott als Jahwe. Daher kommt es, dass dieser Name in den ersten beiden Kapiteln vorkommt. Und als Jahwe, als Israels Gott, antwortet der Herr auch Hiob, beschäftigt Er sich mit einem aus den Völkern, der in Aufrichtigkeit Ihn zu kennen suchte. Darum können wir es auch verstehen, dass das Buch Hiob einen Teil der Israel geschenkten Offenbarung ausmacht.

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Originaltitel: „Praktische Lehren aus dem Buch Hiob. (9) Zwei Offenbarungen von Gott“
aus Ermunterung und Ermahnung, Jg. 48, 1994, S. 226ff.

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