Sorgen und Ängste
Lukas 12,22-36

Walter Thomas Turpin

© SoundWords, online seit: 10.08.2014, aktualisiert: 21.11.2022

Leitverse: Lukas 12,22-36

In diesem Abschnitt geht es um zwei Grundsätze, die der Herr auf zweifache Weise vorstellt. Es wird unserer Seele sehr guttun, sie ein wenig zu betrachten. Es handelt sich um etwas, was die meisten von uns sicher kennen, nämlich Sorgen und Ängste, zwei der am weitesten verbreiteten Einflüsse, die die Gläubigen niederdrücken. Wir werden sehen, dass beide eng miteinander verbunden sind; das heißt, was uns beunruhigt, ist das, wovor wir uns wahrscheinlich am meisten fürchten. Das, was uns auf dem Herzen liegt und uns zur Last wird, verursacht Furcht. Ich meine nicht die Sorge, etwas falsch zu machen, sondern Sorgen im weitesten Sinn. Es gibt berechtigte, gute Sorgen, Sorgen, die uns ins Gebet treiben; wenn wir diese Sorgen nicht hätten, wären wir aus Holz oder Stein.

Ich rede jedoch von Dingen, die sich so in unsere Seele einnisten, dass sie ein Hindernis darstellen zwischen Gott und uns. Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob ich Gott und die Fürsorge meines himmlischen Vaters zwischen mir und meinen berechtigten Sorgen habe oder ob diese Sorgen zwischen mir und Ihm stehen.

Ich kenne nichts, was echtes geistliches Wachstum der Seele mehr zerstört als Sorgen, die auf ihr lasten. Wenn Gott zwischen mir und den Sorgen steht, dann werden diese zu einer Quelle, die die Verbindung zwischen mir und Gott auffrischt; sie werden zu einer neuen Gelegenheit, mich an Ihn zu klammern; sie werden zu einem Anlass, mich an Ihn zu wenden. In diesem Sinn etwa sagte der Herr: „Betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt.“ 

Wir alle werden früher oder später Versuchungen zu durchstehen haben. In gewissem Sinn werden wir erst wirklich geprüft, wenn wir unter Beschuss kommen. Der Herr sagte eindringlich zu seinen Jüngern: „Betet, damit ihr nicht in Versuchung kommt.“ Damit wollte Er sagen, dass die Prüfung eine Gelegenheit sein sollte, sich Gott zuzuwenden, statt sich von Ihm wegzuwenden.

Lk 12,30: Euer Vater aber weiß, dass ihr dies nötig habt.

Bedenkt, was das bedeutet! Der Herr sagt: Sorge dich nicht, lass diese Dinge nicht dein Herz beschweren. – Welch eine Kraftquelle: „Euer Vater weiß“! Er weiß alles von Anfang bis Ende. Und während ich mit Freuden die Tatsache anerkenne, dass Er über alles Bescheid weiß, dass Er die Not seines Kindes im Blick hat, so möchte ich doch auf eine Gefahr hinweisen. Ich denke manchmal: Wenn wir so darauf bedacht sind, uns von Gott helfen zu lassen, dann machen wir unsere Not zum Maß – ich möchte nicht behaupten,  zum Maß dessen, was Er für uns bereitstellt, sondern zum Maß seiner Zuneigung zu uns. Wir haben diese Neigung in uns. Wir wollen niemals vergessen, dass Gott ein Vaterherz hat, dass Er Gefühle hat, die Ihm als Vater eigen sind. Er wollte keine Diener, Er wollte Söhne – das war sein Verlangen.

Aber ich spreche jetzt über eine Verbindung, die noch inniger ist als die zu Söhnen, nämlich die Verbindung zu Kindern. Es gibt einen Unterschied zwischen den Bezeichnungen Söhne und Kinder. Ich möchte das an einem Beispiel klarmachen: Wir haben alle von Wohltaten und Wohltätern gehört: wie ein reicher Mann voller Mitleid ein armes, verlassenes, kleines Geschöpf, ein heimatloses Kind, bei sich zu Hause aufnahm, es erzog und ihm alles gab, was in seiner Macht stand. Aber alle Macht und alle Liebe, die dieser Mann hatte, konnten aus diesem Kind nicht sein eigenes Kind machen. Es könnte als Sohn adoptiert werden, denn dafür sind natürliche Bande durch Geburt nicht notwendig. Wenn wir jedoch von Kindern sprechen, geht es um die Tatsache der Geburt. Darum setzt Kindschaft eine viel engere Verbindung voraus als Sohnschaft. Ich bin beides, Sohn und Kind – Gott sei gedankt! Und daher kann ich sagen: „Seht, welch eine Liebe uns der Vater gegeben hat, dass wir Kinder Gottes heißen sollen“ (1Joh 3,1), und auch: „So viele durch den Geist Gottes geleitet werden, diese sind Söhne Gottes“ (Röm 8,14).

Glauben wir, dass Gott uns wie ein Wohltäter behandelt? Niemals! Das könnte uns selbst anstehen, aber Ihm niemals. Gott handelt so: Er hat Kinder, die durch Ihn in seine Familie hineingeboren sind, mit der Natur, die sie durch ihre Geburt erhalten haben; und für diese Kinder nimmt Gott gern seine Verantwortung als Vater wahr. Ich erkenne vollkommen an, dass Er weiß, was ich brauche, und dass Er sich aus Gnaden um mich kümmert. Doch ich weiß auch, dass Er Beweggründe zum Eingreifen hat, die eigentlich nichts mit meinen gegenwärtigen Bedürfnissen zu tun haben. Diese seine Beweggründe kommen aber bei solchen Gelegenheiten zum Vorschein.

Erstaunlicherweise profitieren nur wenige von dieser Beziehung. Ich finde, dass verhältnismäßig wenige in der Freude dieser Stellung leben, in die Gott sie versetzt hat. Es ist doch so ein wunderbarer Stand! Und doch sehen wir jene, die in all dieses gebracht worden sind – und die Angst steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Man könnte meinen, sie hätten alles verloren, da wäre keine Vaterhand hinter der dunklen Wolke und kein liebender Vater, der für sie sorge.

Ich weiß, dass es nicht eine Frage der Art und Weise seines Eingreifens ist, was das Problem auch sei; das ist nicht das Maß, das zeigt, was in seinem Herzen vorgeht. Und doch denken viele Leute, dass es wunderbar ist, sagen zu können: Oh, ich kann dem Herrn vertrauen und ich weiß, dass mir nichts mangeln wird. – Es ist ohne Zweifel eine Gnade, zu wissen, dass uns nichts mangeln wird; aber ist das das Höchste, was Gott für mich hat? Was ist das Beste, was Gott für mich tun kann? Meine Nöte und Bedürfnisse können nicht ein Maß für seine Macht sein; wir können seine Macht nicht messen; das Herz Gottes ist das eigentliche Maß. Wenn ich zu Ihm komme, finde ich seine Fülle. Es ist wunderbar, zu sagen, dass wir aus Gott geboren sind und dass Er uns in seiner Gnade beisteht, weil Er unser Vater ist, mit allen Gefühlen und der Liebe eines Vaterherzens. Was muss ich dann tun? Meine Hand in die seine legen und vertrauend [meinen Weg] weitergehen.

Was sind Sorgen? Sorgen schnüren uns die Kehle zu und drosseln das geistliche Leben der Seele. Darf ich mich den Sorgen hingeben, da doch all diese Liebe für mich zur Verfügung steht? Des Herrn Absicht ist es, mich aufrechtzuhalten – Sorgen ziehen mich nach unten. Und was hält mich aufrecht? Es ist nicht eine Frage seiner Hilfe, auch nicht eine Frage der Zeit, die zwischen dem Auftreten der Not und der Hilfe verstreicht; es ist auch nicht die Frage, wann Er eingreift – sondern es geht um die wunderbare Tatsache, dass Er darum weiß; deshalb können wir das Wann, das Wie, das Wodurch, einfach alles, Ihm überlassen.

Lk 12,32: Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben.

Lasst uns jetzt kurz den nächsten Punkt betrachten. Hier sehen wir, dass die Antwort auf unsere Sorgen in der Tatsache liegt, dass der Vater uns kennt (Lk 12,32); der Vers gibt Antwort auf Probleme mit der Angst: „Es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben.“ Es ist eine kleine Herde, denn Gottes Kinder sind nicht zahlreich im Verhältnis zu der Menge draußen. „Es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben“, das heißt, es gefällt dem himmlischen Vater, seine väterliche Verantwortung wahrzunehmen. Ist das nicht ein wunderbares Wort? Es ist dasselbe Wort, das über Christus gesagt wird, als die Stimme vom Himmel kam: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17). Gott hat Wohlgefallen daran, uns als Vater zu begegnen und uns das Reich zu geben. Das Bewusstsein dieser Tatsache nimmt die Furcht hinweg.

Bis hierher haben wir uns mit der negativen Seite befasst, doch gibt es auch eine positive Seite dieser Wahrheit. Jesus sagt in Vers 33:

Lk 12,33: Verkauft eure Habe.

Das heißt: Lasst die irdischen Dinge fahren! Geliebte Freunde, sind wir dazu bereit? Viele würden zwar freudig antworten: „Gott sei Dank, ich brauche keine Angst zu haben“, aber sind wir willig, Dinge abzugeben? Ich meine hiermit ganz einfach Folgendes: Wenn ich die tiefe Bedeutung seiner gütigen Natur verstehe und dass Er seinen Charakterzügen folgt, um sein eigenes Herz zu befriedigen, dann habe ich alles genug und bin bereit, Dinge abzugeben.

Aber wir sagen: Was würde geschehen, wenn ich alles verlöre? – Dann hättest du umso weniger zu tragen! Es gibt nichts auf dieser Erde, was nicht mit Komplikationen verknüpft ist. Sogar der Besitz von rechtmäßigen, begründeten Dingen, einfach alles, bringt Schwierigkeiten mit sich; das gehört dazu. Ich meine nicht Dinge, die an sich falsch sind, sondern Dinge, die absolut rechtmäßig sind. Nehmen wir beispielsweise die von Gott gegebenen Bande im Leben wie die zwischen Vater, Mutter, Ehemann, Ehefrau, Schwester, Bruder, Kind. Alles, was ich dazu sagen kann, ist: Diese Beziehungen sind von Gott eingerichtet. Wer diese Beziehungen verachtet, verachtet das, was Gott gegeben hat.

Nehmen wir zum Beispiel eine Mutter und ihr Kind. Sie liebt es, sie zieht es groß, sie passt auf ihr Kind auf – aber hegt sie nicht in ihrem Herzen eine unbestimmte Angst um ihr Kind? Hat sie nicht Angst, dass sie es verlieren könnte, dass es sterben könnte? Da sind zumindest die Motte und der Dieb, die sich seiner bemächtigen wollen. Da ist der Tod, der Dieb, der in jedes Haus eintritt; kein Riegel kann ihn draußen halten. Wenn es bei mir nicht so wäre, hätte ich weniger Grund, über Angst und Sorgen zu reden.

Doch jetzt komme ich zu etwas, was viel erdgebundener ist: irdischer Besitz; da gilt das Gleiche. Nehmen wir an, die Menge unserer Segnungen wäre größer und der Bereich ausgedehnter. Dann wäre allerdings auch die Zielscheibe für den Tod, für Motten und Diebe größer.

Wie wunderbar, dass wir etwas haben, was der Tod nicht antasten kann; etwas, was unser Herz anzieht und es festhält! Frage dich: Was ist dein Schatz? Ich glaube, dass wir alle viel zu sehr die Neigung haben, Christus als Diener für unsere Belange anzusehen. Ich weiß, dass Er das ist. Ich weiß, dass Er der willige Diener für meine Bedürfnisse ist, aber zu viele Menschen begnügen sich damit; Er ist nicht der Schatz ihrer Seele. Die Frage stellt sich: Wo ist dein Schatz? Denn wo dein Schatz ist, da wird auch dein Herz sein. Das Herz muss alle Gefühle im Zaum halten.

Ich glaube, dass wir alle froh sind, den Himmel wie eine Art Zufluchtsstätte vor dem Sturm und vor den Drangsalen des Lebens zu haben. Aber leider sehen wir ihn kaum als unsere Heimat, die Heimstätte unseres Herzens an. Wir wissen, dass der Himmel ein Zufluchtsort vor den Nöten auf Erden ist, und wenn wir nichts anderes mehr haben, lenken wir unsere Gedanken dorthin. Und Gott ist bereit, uns zu empfangen, obwohl wir Ihn nur als Schutz vor dem Sturm ansehen. Er weist zwar niemand ab, der zu Ihm kommt, doch Er möchte, dass die Zuneigung unseres Herzens Ihm gehört.

Er wird uns nicht zurückweisen, auch wenn wir nur kommen, wenn alles andere gescheitert ist. Aber es ist etwas anderes, wenn wir so wie Ruth sagen: „Wohin du gehst, will ich gehen, und wo du weilst, will ich weilen; … wo du stirbst, will ich sterben, und dort will ich begraben sein. So soll mir der HERR tun und so hinzufügen, nur der Tod soll scheiden zwischen mir und dir!“ Die Person Christi sollte unserem Herzen so nahe sein, dass Er uns mehr als alles andere bedeutet. Selbst wenn alles um uns her gut verläuft, sollten wir sagen können, dass es noch etwas Vorzüglicheres gibt, dem unser Herz gehört. Das Ergebnis wäre, dass wir, anstatt Besucher dort und Einwohner hier zu sein, Besucher hier und Einwohner dort wären.

Lk 12,36: Seid Menschen gleich, die auf ihren Herrn warten, wann irgend er aufbrechen mag von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich öffnen.

Hier ist der zweite Aspekt eines vorbereiteten Herzens; er bezieht sich auf die Wiederkunft Christi. In diesem Vers fühlt man die Abwesenheit Christi. Ich glaube nicht, dass irgendjemand von uns seine Abwesenheit als eine Belastung seiner Seele empfindet. Vielleicht verspüre ich den schrecklichen Zustand der Welt, durch die wir gehen; aber spüre ich, dass Er abwesend ist? Ich weiß, dass Er im gewissen Sinn hier ist, ja, aber das meine ich jetzt nicht. Ich spreche von dem Empfinden, dass Er nicht hier ist; dass allein seine Gegenwart die Leere füllen kann, die durch seine Abwesenheit entstanden ist. Das wird uns dahin bringen, zu wachen und zu warten – sein Kommen jeden Moment zu erwarten. Haben wir nicht einen bedauernswerten Mangel in dieser Hinsicht?

„Seid Menschen gleich, die auf ihren Herrn warten …“ Das ist die richtige Haltung des Gläubigen, damit die Welt an unserem Verhalten erkennen kann, dass wir hier Fremde sind, die auf ihren abwesenden Herrn warten. Die Welt versteht das nicht – sie weiß nichts über die biblische Lehre –, aber die Welt kann verstehen, ob die Menschen, die an diese Lehre glauben, sie praktizieren oder nicht. Hat die Welt das in uns gesehen? Ich fürchte, dass wir ein jämmerliches Zeugnis davon abgegeben haben. Ich fürchte, dass die Heiligen Gottes kein gutes Zeugnis für das Evangelium waren, so wie es sich gehört hätte. Das Evangelium ist so klar und deutlich wie überhaupt möglich. Es gibt Menschen, die vorgeben, daran zu glauben und es anzuerkennen. Und doch fehlt das praktische Zeugnis, das daraus entspringen sollte. Es ist eine ernste Sache, sich vorzustellen, dass die arme Welt, die in den Armen des Bösen liegt, sich umdrehen und sagen kann: „Ich höre alles, was du mir sagst, aber ich sehe es nicht in der Praxis. Mit anderen Worten: Ich sehe die nicht, die so aussehen, als ob sie auf ihren Herrn warten.“

Der Herr gebe uns ein geübtes Gewissen und ein geübtes Herz. Möge sein Wort unsere Seele so erfüllen, damit wir aufstehen und den Staub und die beschmutzenden Einflüsse dieses Zeitalters abschütteln, um Ihm entgegenzugehen und Ihn willkommen zu heißen – den, der sagt: „Siehe, ich komme bald.“


Originaltitel: „Cares and Fears“, gekürzte Fassung
aus der Zeitschrift Christian Truth for the Household of Faith, Jg. 4, 1951;
ursprünglich veröffentlicht unter dem Titel „Under Fire“ in Occasional Helps, Jg. 1, 1875

Übersetzung: Christel Schmidt


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