Wie bewältige ich Angst?
Ratschläge eines gläubigen Psychiaters

Cor Reumerman

© EPV, online seit: 06.03.2006, aktualisiert: 29.10.2022

Leitverse: Psalm 23,4; Matthäus 28,20b; 1. Johannes 4,18.19

Du bist bei mir

Ps 23,4: Auch wenn ich wanderte im Tale des Todesschattens, fürchte ich nichts Übles, denn du bist bei mir.

Was David, dem Psalmisten, besonders groß war in diesem Psalm, war die Person des Herrn. Wir wissen, dass dieser Psalm mit den Worten anfängt „Der HERR ist mein Hirte“ und in kurzen Zügen das ganze Leben eines Gläubigen beschreibt. Ich möchte diese Bibelstelle praktisch betrachten. Ein Mensch hat seinen Weg recht begonnen, wenn er sagen kann: „Der Herr ist mein Hirte.“ Dann hat er den Herrn Jesus als seinen guten und großen Hirten angenommen. Auf den guten Anfang folgt eine gute Entwicklung bis hin zum Ende des Psalms, wo er sagen kann: „Ich werde wohnen im Hause des HERRN auf immerdar.“ Das ist die ewige Ruhe. Und dazwischen gibt es so manche Stufen, so manche Übungen, die wir durchleben müssen. Der Herr weiß das. Schöne Dinge begegnen uns, aber auch weniger schöne. Und jetzt, wenn es sich um Angst handelt, sagt der Psalmist: „Auch wenn ich wanderte im Tale des Todesschattens“ – und David hat es erlebt –, „fürchte ich nichts Übles.“ Warum? „Denn du bist bei mir.“

Dieses Bewusstsein der Gemeinschaft mit dem Herrn, das Empfinden, dass Er bei ihm war, dass Er nicht fern war – das war entscheidend. Wie jemand gesagt hat: „Wenn die Rede vom Tal des Todesschattens ist, dann ist einerseits etwas Schlimmes da, der Tod; aber auf der anderen Seite ist doch nur die Rede von einem Schatten. Wenn wir uns ganz in Finsternis befänden, gäbe es keinen Schatten.“ Aber hier war die Rede vom Tal des Todesschattens. Das bedeutet, dass irgendwo im Tal oder vielleicht am Ende des Tals ein Licht ist, nämlich das Licht des Herrn. Und das wird schließlich dazu führen, dass man aus dem Tal herauskommt, so wie es im Psalm 84 heißt: Wenn wir uns im Tal des Weinens, im Bakatal befinden, wird es zu einem Quellenort. Psalm 87 sagt am Ende: „Alle meine Quellen sind in dir.“ Das ist wunderbar! Auch wenn ich wanderte im Tal des Todesschattens, dann weiß ich, es gibt ein Licht, ein Licht, das vom Herrn ausgeht, und das leuchtet mir – „denn du bist bei mir“.

Ich bin bei euch

Mt 28,20b: Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.

Die Jünger waren furchtsam, wir lesen das mehrere Male in den Evangelien. Es ist nicht von ungefähr, dass der Herr, als Er im Begriff stand, gen Himmel zu fahren, sagt: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zur Vollendung des Zeitalters.“

Dies dürfen wir wissen. Wenn man Angst hat, dann fühlt man dies nicht. Trotzdem ist es eine Tatsache, nicht nur in guten und schönen Tagen, sondern alle Tage. Bis zum Ende unseres Lebens auf der Erde ist der Herr bei einem jeden der Seinen.

Furcht ist nicht in der Liebe

1Joh 4,18-10: Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus, denn die Furcht hat Pein. Wer sich aber fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe. Wir lieben, weil er uns zuerst geliebt hat.

In 1. Johannes 4 werden Furcht und Liebe einander gegenübergestellt. In der Liebe liegt Vertrauen, Liebe setzt Vertrauen voraus. Wenn man jemand liebt, vertraut man ihm. Zum Beispiel ist in der Liebe zwischen Mann und Frau kein Platz für Misstrauen und für Furcht. So wird auch hier gesagt: Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Die vollkommene Liebe erleben wir, wenn wir uns geliebt wissen in dem Sohn Gottes, angenehm gemacht in dem Geliebten (Eph 1,6). Wir lieben, weil Er, der Vater, uns zuerst geliebt hat. Aber ich bin überzeugt, dass dieser Vers einen Grundsatz enthält. Auch hier geht es um Vertrauen. Und Vertrauen steht im Gegensatz zur Furcht. Die Furcht hat Pein. Das ist für uns alle wichtig, damit wir nicht zu leichtfertig darüber hinwegreden, wenn wir sehen, dass jemand von Angst belastet ist. Es gibt viele Arten von Angst, und sie kann sich auch in vielfältiger Weise äußern. Jedes Mal aber ist Pein damit verbunden, ein Leiden. Das ist für ein Kind Gottes schlimm. Wenn jemand erst sagen kann: „Alles sei dir übergeben, du sollst Rat und Helfer sein … Dein Weg trägt in die Länge den erwünschten Sieg davon“, dann ist die Angst bewältigt. Leidet jemand aber unter Angst, dann kann er das nicht von Herzen sagen, auch wenn er es weiß. In der Furcht ist die Pein, und wer sich fürchtet, ist nicht vollendet in der Liebe. Der Herr möchte aber einen jeden von uns vollenden, auch in dieser Hinsicht. Vielleicht geht es durch praktische Übungen. Der Herr will uns dabei helfen.

Das Beispiel von Elia

Elia ist hiervon ein Beispiel. Er, der auf dem Berg Karmel mit großer Entschiedenheit auftrat, wird im nächsten Kapitel von großer Angst befallen – er flieht vor einer Frau. Wie ist das möglich? Aber so ist der Mensch, auch ein Gläubiger. Das kann auch unser Bild sein. Auch Petrus, der einmal das Schwert gebrauchen wollte, wenn auch auf verkehrte Weise, ließ sich von einer Frau verleiten, seinen Herrn zu verleugnen. Auch wir können so schwach sein wie Elia. Er flüchtete vor einer gottlosen Frau. Ein Christ, der eben auf dem Höhepunkt seines Glaubenslebens stand, kann ganz schwach werden. Das finden wir oft beieinander: Höhepunkt und Tiefpunkt.

Das Beispiel von David

David hat das auch erlebt. „In meiner Bedrängnis rief ich zum HERRN, und ich schrie zu meinem Gott; er hörte aus seinem Tempel meine Stimme und mein Schrei vor ihm kam in seine Ohren“ (Ps 18,6). David rief also in seiner Bedrängnis, er hatte Angst. „Die Ängste meines Herzens haben sich vermehrt, führe mich heraus aus meinen Drangsalen“ (Ps 25,17). „Furcht und Zittern kamen mich an und Schauder bedeckte mich. Und ich sprach: O dass ich Flügel hätte wie die Taube! Ich wollte hinfliegen und ruhen“ (Ps 55,5.6). Das ist nur eine kleine Auswahl. David kannte Angst. In Psalm 55 wollte er am liebsten flüchten, wegfliegen, um einen Ruheplatz zu finden, weit fort von der Ursache der Angst.

Das Beispiel der Zwölfe

Auch die Jünger hatten Angst, zum Beispiel in Markus 10,32: „Sie waren aber auf dem Wege hinauf nach Jerusalem, und Jesus ging vor ihnen her; und sie entsetzten sich und, indem sie nachfolgten, fürchteten sie sich.“ Wie ist das möglich? So fragen wir. Er ging vor ihnen her, Er war selber bei ihnen. Wie oft haben wir alle wohl gedacht, wenn doch der Herr Jesus hier wäre, persönlich, körperlich anwesend, dann gäbe es keine Furcht. Aber hier war der Herr Jesus bei den Jüngern – und doch hatten sie Angst. Sie entsetzten sich, und indem sie nachfolgten, fürchteten sie sich. Sie folgten nach. Und was sagen wir oft, wenn jemand Angst hat? Da stimmt etwas mit dem Glauben und mit der Nachfolge nicht! Doch die Schrift sagt deutlich: „Indem sie nachfolgten, fürchteten sie sich.“ Also ist Furcht in der Nachfolge Christi möglich. Das kann uns vor einem voreiligen Urteil bewahren.

Das Beispiel von Paulus

Auch Paulus kannte Furcht. „Der Herr aber sprach durch ein Gesicht in der Nacht zu Paulus: Fürchte dich nicht, sondern rede und schweige nicht! Denn ich bin mit dir, und niemand soll dich angreifen, dir Übles zu tun; denn ich habe ein großes Volk in dieser Stadt“ (Apg 18,9.10). Paulus brauchte die Ermunterung, er hatte Furcht. Etwas später, in Apostelgeschichte 23,11, lesen wir: „In der folgenden Nacht aber stand der Herr bei ihm und sprach: Sei guten Mutes! Denn wie du von mir in Jerusalem gezeugt hast, so musst du auch in Rom zeugen.“ Paulus war depressiv geworden, er war sehr niedergeschlagen und hatte auch Angst; das liegt oft dicht beieinander. Wenn man niedergeschlagen ist und die Schwierigkeiten nicht mehr bewältigen kann, kommt die Angst, ein Gefühl der Ohnmacht. So schreibt derselbe Apostel in 1. Korinther 2,3: „Ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und in vielem Zittern.“ Wie ist das möglich? Er ließ sich davon aber nicht aufhalten, und etwas weiter sagt er (1Kor 2,4): „Meine Rede und meine Predigt war nicht in überredenden Worten der Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, damit euer Glaube nicht beruhe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.“

Hieraus können wir deutlich entnehmen, dass Furcht und Zittern zusammen mit Gottes Kraft einhergehen können. Bei Paulus war es so. Gerade den Korinthern, die menschliche Weisheit schätzten, sagt Paulus: „Wie war ich unter euch? Menschlich betrachtet schwach.“ Wie eindrucksvoll! Schwachheit, Furcht und Zittern! Das sind drei Dinge, die einen Menschen, der reden soll, stark behindern. Paulus sagt: Gerade daran konntet ihr erkennen, dass die Botschaft überhaupt nicht aus meiner eigenen, menschlichen Kapazität hervorkam, sondern aus der Kraft Gottes. – Es war der deutlichste Beweis, dass der Herr durch ihn redete. Andererseits ließ sich der Apostel auch nicht durch seine Furcht zurückhalten.

Angst kann Schutz sein

Noch etwas Allgemeines zur Angst. An und für sich ist Angst eine normale Reaktion. Sie kann sogar nützlich sein, zum Beispiel als Schutz vor Gefahren. Wenn ein Kind Angst hat vor dem, was es nicht kennt, dann hat Gott das hineingelegt. Es gibt demnach eine normale, nützliche Angstreaktion. Der Herr macht zum Beispiel in Johannes 10 davon Gebrauch, wenn Er sagt: Meine Schafe hören meine Stimme, aber auf die Stimme eines Fremden hören sie nicht, sie fliehen. – Man flieht, wenn man Angst hat, wenn man nicht vertraut. Das ist die positive Seite der Angst. Wir betrachten Angst oft nur negativ. In Johannes 16,33 steht: „In der Welt habt ihr Drangsal, aber seid guten Mutes, ich habe die Welt überwunden.“ Luther übersetzt hier das Wort Drangsal mit Angst. Drangsal ist also da, aber der Herr hat die Welt überwunden. Durch die Angst werden wir gewarnt, etwas zu unternehmen oder etwas an uns herankommen zu lassen, was gefährlich ist.

Übersteigerte Angst

Angst kann aber auch übersteigert sein. Als allgemeine Reaktion kann sie auf alle Funktionen des Körpers einen starken Einfluss ausüben. Übersteigerte Angst, die nicht nur eine normale Fluchtreaktion ist, kann Herzklopfen, Schwindel, Nervosität und Zittern bewirken. Der Betroffene kann nicht mehr essen, hat Last mit dem Magen, ja die ganze Verdauung kann gestört sein usw. Alle möglichen Funktionen können durch Angst beeinträchtigt sein. Wenn jemand plötzlich erschrickt, kann er wie gelähmt dastehen, kann nicht mehr denken. Wenn ein Kind zum Beispiel Angst vor dem Lehrer hat und etwas gefragt wird, weiß es gar nichts mehr. Ich habe es selbst bei einem Zwischenexamen erlebt. Mein Prüfer flößte mir Angst ein und mein Wissen war völlig blockiert. Auch Kinder Gottes bleiben von extremer Angst nicht immer verschont. Sie ist intensiver, währt länger und der Einflussbereich weitet sich aus. Es ist durchaus normal, dass bestimmte Situationen Angst einflößen. Aber wenn die Reaktion unnormal geworden und verstärkt ist, dann sieht man schließlich gar keinen Zusammenhang mehr zwischen Angstreaktion und der ursprünglichen Ursache der Angst.

Leider breitet sich die Furcht wie ein Ölflecken auf immer weitere Gebiete aus. Schließlich hat man vor allem Angst, sogar vor der Angst selbst. Das ist eine Angst, die sich verselbständigt hat; man weiß nicht mehr, wovor man sich ängstigt. Auch die sogenannten Hyperventilationsbeschwerden hängen damit zusammen. Der Leidende beginnt, viel zu tief ein- und auszuatmen. Dadurch wird das Gleichgewicht im Blut gestört. Die Folgen sind Zittern, Schwindelgefühl und das Gefühl, sterben zu müssen. Die Atmung wird unregelmäßig. Meist ist damit eine panische Angst verbunden. Eigentlich gibt es keinen Grund, Angst zu haben, der Kranke weiß es selbst. Aber er hat diese Angst vor bestimmten Gegenständen, Situationen oder Räumen (Platzangst). Es gibt viele Arten von Angst. Diese unbegründete Angst hängt meistens mit einem tief einschneidenden Erlebnis zusammen, das nicht verarbeitet wurde. Oft trat dieses in früher Jugend ein, wurde aber verdrängt. Nach vielen Jahren stellt sich plötzlich diese unerklärliche Angst ein, vor Wasser, vor Menschen usw.

Reflektion aus der Kindheit

Der Gegenstand der Angst kann oft ein Symbol für das sein, wovor der Kranke sich als Kind fürchtete. Vor nicht langer Zeit war eine gläubige Frau bei mir, die diese Art Angst hatte. Ich fragte sie: Waren Sie einmal als Kind eingeschlossen?, weil ich den Eindruck hatte, es könnte damit zusammenhängen. Sie hatte nie daran gedacht. Jetzt sagte sie „ja“. „Als Kind von fünf Jahren wurde ich von größeren Jungen zwei Stunden lang eingesperrt, und ich dachte, ich müsse sterben, das ist mein Tod.“ Furchtbare Angst! Darüber hatte sie nie geredet. Die Sache wurde verdrängt – und viele Jahre später brach diese Angst aus.

Wie wichtig ist es, dass man den Zusammenhang entdeckt! Dadurch ist dieser unterschwellige Einfluss zu beheben, und man kann weiterhelfen.

Verschiedene Arten von Angst

Es gibt viele Arten von Angst. Der besseren Übersicht wegen unterscheide ich vier verschiedene Gruppen:

1. Lebensangst

Es gibt Personen, auch gläubige, die eigentlich in ihrem ganzen Leben Angst haben, Angst vor dem Leben mit seinen Schwierigkeiten und Hindernissen und vor unvorhersehbaren Ereignissen. Wie kommt das? Häufig hat dieser Erwachsene als Kind nicht gelernt, mit seinen Problemen fertigzuwerden. Die Eltern haben in ihrer Liebe die Kinder zu sehr beschützt, ihnen zu viel abgenommen, zu viele Entscheidungen für die Kinder getroffen. Sie haben dem Kind keine Gelegenheit zum Erwachsenwerden gegeben. Wachstum setzt Übung voraus, auch die Möglichkeit, einmal etwas verkehrt zu machen. Das Kind muss lernen, selbständig Entscheidungen zu treffen. Bekommt es diese Gelegenheit nicht, weiß es später nicht mit dem Leben fertigzuwerden. Dafür ist ein Mensch letztendlich verantwortlich. Dann entsteht diese Angst. Ich kenne Fälle, in denen es mit der Ehe anfing, bei anderen mit einem Arbeitsplatz, der Verantwortlichkeit mit sich brachte. Diese Menschen können das Leben nicht bejahen, können nicht im Leben stehen. Das ist die Lebensangst!

2. Ichhafte Angst

Menschen mit dieser Angst denken nur an sich. Sie sind so besorgt vor der ungewissen Zukunft, dass dadurch Angst entsteht. Das sind solche, die zum Beispiel einen großen Teil ihres Einkommens für Versicherungen verwenden. Sie sind sehr besorgt, keinen Fehler zu machen. Sie wagen nicht, ein Risiko einzugehen. Ich sage nicht, dass man sich nicht vorbereiten soll, auch nicht, dass man ruhig etwas vernachlässigen soll – jeder hat seine Verantwortlichkeit. Wir dürfen aber beten, dass der Herr uns bewahrt.

Wenn wir aber nicht getan haben, was wir konnten, dann sollten wir nicht damit rechnen, dass der Herr das ausgleicht, obwohl seine Gnade oft groß ist. Der Herr hat uns die Möglichkeiten, die Fähigkeit und den Verstand zum Handeln gegeben. Er erwartet, dass wir auch Gebrauch davon machen.

Die ichhafte Angst ist schlimm. Es dreht sich im Grunde alles nur um das eigene Ich. Mitunter liegen die Ursachen in der Jugend oder in der Erziehung.

3. Schuldbedingte Angst

Angst kann auch durch Schuld entstehen. Die ersten Menschen, bei denen wir das finden, sind Adam und Eva. Sobald sie in Sünde gefallen waren, hatten sie Furcht – Angst vor Gott. Anfangs verkehrten sie mit Gott im Garten Eden, aber nachdem sie gesündigt hatten, kam Angst in ihr Leben. Und so können wir verstehen, dass als Folge von Sünde Angst entstehen kann. Dabei müssen wir natürlich zwischen sogenannter Pseudoschuld und echter Schuld unterscheiden. Man kann das Gefühl haben, man hätte gesündigt. Man hat es auch bekannt, aber in Wirklichkeit lag gar keine Sünde vor. Dieser Unglückliche hatte nur den Eindruck und will sich nun bestrafen. Das hat mit echter Schuld nichts zu tun.

4. Krankhafte Angst

a) Angeborene Angst

Für viele psychische Krankheiten gibt es eine Veranlagung. So gibt es Personen, die von Geburt an ängstlich sind. Wir wissen, dass Kinder schon von Geburt an verschieden sind.

b) Erlebnisbedingte Angst

Sie ist nicht angeboren, sondern entsteht durch das Vorbild der Eltern. Um ein Beispiel zu nennen: Beide Eltern haben Angst vor Gewittern und sie verbergen sich im Haus. Ihre Kinder nehmen dies wahr und denken, dass Gewitter immer gefährlich sind. So werden auch sie ängstlich. Es braucht oft viel Mühe, davon frei zu werden. Diese Angst kann sich auch durch andere Ereignisse einstellen.

c) Schwermut

Das ist eine Krankheit, die mit ständiger Angst und Sorge einhergeht. Es ist schwierig, die Ursachen im Einzelnen festzustellen.

Allgemein können wir sagen: Es gibt körperlich bedingte Gründe. Hormonstörungen und Schilddrüsenüberfunktionen zum Beispiel können Ängste hervorrufen. Eine Frau, die in den Übergangsjahren ist, kann plötzlich unerklärliche Ängste bekommen; das ist hormonbedingt. Andere Ursachen hängen mit dem Geist zusammen:

  • manisch-depressive Psychose, eine meistens endogene psychische Krankheit
  • Angstneurose
  • Schizophrenie, eine tief eingreifende Geisteskrankheit

Für Schwermut gibt es aber auch emotionelle oder seelische Erklärungen: So entstehen zum Beispiel Minderwertigkeitsgefühle durch eine ständige übermäßige Kritik. Wenn Eltern bei Schulaufgaben nur auf die Fehler achten, dagegen das Gute nicht anerkennen, so kann hier der Keim für spätere seelische Störungen gelegt werden. Wie wichtig ist es daher, dass Eltern bei ihren Kindern auch das Anerkennenswerte erwähnen und loben. Ich sage nicht, dass man das Verkehrte nicht beim Namen nennen soll, aber es sollte doch zuerst das Gute hervorgehoben werden.

Ein vollkommenes Beispiel finden wir bei dem Herrn Jesus. In den Briefen an die Versammlungen in Kleinasien beginnt der Herr mit dem Lob, kommt dann auf die Fehler zu sprechen und endet im Allgemeinen wieder mit dem Positiven. Das können und dürfen wir nachahmen.

Angst vor Misserfolg

Es gibt Angst vor Misserfolg. Durch negative Erfahrungen ist man mutlos geworden.

Der Gedanke „Schaffe ich das wohl, was ich tun muss?“ flößt Angst ein. Bestimmte Erlebnisse in der Vergangenheit können eine nachwirkende Angst hinterlassen, zum Beispiel wenn ein heranwachsendes Kind bei seinen Eltern häufig Streit miterlebt hat. Es hat Fälle gegeben, dass die Kinder dann nicht heiraten wollten. Wie ernst, wenn das unter Kindern Gottes vorkommt. Die Ehe sollte doch ein Bild von Christus und der Versammlung sein. Aber auch ein schlimmes Erlebnis, zum Beispiel ein Sterbefall, kann unvorhergesehene Folgen haben. Eines der Lieben stirbt. Für ein Kind kann das der Großvater oder die Großmutter sein, es hing an ihnen. Die Alten hatten so viel Zeit, konnten schöne Geschichten erzählen oder was es auch sei. Nun sind sie nicht mehr. Das kann tief eingreifen. Unerklärliche Angst kann die Folge sein. Auch ein Unfall kann Angst bewirken. Wie viel Veranlassungen kann es geben!

Was kann man gegen Schwermut tun?

Was kann man nun dagegen tun? Wenn es sich um körperliche Abweichungen handelt – darauf möchte ich nachdrücklich hinweisen –, sollte zunächst eine ärztliche Untersuchung stattfinden. Vielleicht lässt sich die Krankheitsursache beheben. Hormonelle Abweichungen sollten behandelt werden. Auch gegen eine Schilddrüsenüberfunktion lässt sich etwas tun. Im Übrigen ist es wichtig, dass man einem etwaigen Ereignis aus der Vergangenheit auf die Spur kommt. In einem vertrauensvollen Gespräch, in dem sich der Leidende einem Bruder oder einer Schwester öffnet.

Es genügt manchmal schon, wenn er sich aussprechen kann. Der so Angesprochene könnte nach Erlebnissen fragen, zum Beispiel nach Dingen in der Jugend, die tief einschneidend waren. Wenn man auch vieles vergisst, Schlüsselerlebnisse, die uns geprägt haben, vergessen wir nicht. Liegt wirkliche Schuld vor, so muss sie bekannt werden (1Joh 1,9). Auch David sagte: „Ich tat dir kund meine Sünde.“ Danach kam seine Freude zurück und die Angst war gewichen.

Wichtig ist auch, dass wir versuchen, das geistliche Wachstum zu fördern. Schon dadurch wird die Angst gemindert. Der andere muss das Bewusstsein bekommen: Der Herr ist bei mir, ich fürchte nichts Übles. Dieses ständige Nahesein des Herrn brauchen wir alle. Unbedingte Voraussetzung ist auch, den Gesprächspartner ernst zu nehmen und auf ihn einzugehen. Worte wie: „Du brauchst keine Angst zu haben, der Herr Jesus ist doch bei dir, und alles kommt schon in Ordnung“, richten nichts aus.

Wie kann die Angst bewältigt werden?

Zunächst muss der Betroffene den festen Entschluss fassen, die Angst überwinden zu wollen! Angst muss ernst genommen werden, und es braucht diesen ernsten Entschluss. Es geht nicht anders. Im Allgemeinen wird die Angst nicht einfach weggenommen oder weggeredet, sie muss bewältigt werden. Das geht nicht ohne aktiven Einsatz.

Ferner muss der Leidende sich selbst gegenüber ehrlich sein. Vielleicht verbirgt sich Egoismus hinter seinem Verhalten. Er ängstigt sich vor sich selber. Jemand sagte: „Es wäre gut, wenn man mehr über sich selbst lachen könnte.“ Wir sind oft so empfindlich. Wenn ein anderer etwas über uns sagt, können wir das nicht ertragen. Wichtig ist es, vor sich selbst ehrlich zu sein. Was ist der Grund für meine Angst?

Notwendig ist auch, die Angst richtig einzuordnen. Wie kommt es, dass ich mich von der Angst beherrschen ließ? Wo gehört diese Angst eigentlich hin? Weshalb habe ich diese Angst? Und was habe ich noch? Und dabei können wir einander helfen und darauf aufmerksam machen. Nicht die Angst einfach ablehnen, sondern auch auf das Gute hinweisen, wie wir das bei den biblischen Beispielen gesehen haben.

Auch das Denken und Reden muss kontrolliert und korrigiert werden. Sobald der Geängstigte anfängt, sich mit dem zu beschäftigen, was unter dem Einfluss der Angst steht, muss er lernen, das zu korrigieren, zu ändern und zu kontrollieren. Das fängt mit dem Reden an. Es gibt Leute, die entweder ihre Angst vertuschen – das hilft auch nichts –; andere wieder reden andauernd davon und geben damit zu verstehen: Ihr müsst auf mich Rücksicht nehmen! Das ist dann ein Kokettieren mit der Angst; man will sie immer präsentieren. Wie kann ein solcher darüber hinwegkommen?

Wenn in Philipper 4 über Sorge oder Angst gesprochen wird, dann wird in den nächsten Versen beschrieben, was wir bedenken und was wir tun sollen. Das sind alles positive Erwägungen. Es ist sehr wichtig, das festzuhalten. Fange an zu danken! David war in einer schwierigen Situation, wie die Überschrift von Psalm 34 anzeigt. Er sagt dann in Vers 2: „In dem HERRN soll sich rühmen meine Seele; hören werden es die Sanftmütigen und sich freuen.“ Das sagt er einfach gleichsam zu sich selbst: Meine Seele soll sich rühmen im Herrn. Dann tut er es auch. Das ist wichtig. In Epheser 5,20 heißt es: „Danksagend allezeit für alles dem Gott und Vater im Namen unseres Herrn Jesus Christus.“ Danksagen für alles – wir meinen, das ist schwierig. Es kann keine Rede davon sein, dass uns alle Fügungen einleuchten. Es gibt so vieles, das wir nicht verstehen. Trotzdem wird einfach gesagt: Danksaget! Das hilft. Wenn jemand, der zum Glauben gekommen ist, später an seiner Errettung zweifelt, dann ist es sehr oft hilfreich, wenn er anfängt zu danken. Dann bekommt er Sicherheit. So wird es uns hier empfohlen. Wir werden zum Tun aufgerufen. Es muss etwas getan werden, ohne das geht es nicht. Etwas tun, um Angst zu bewältigen. Was denn? In Jesaja 43,2 lesen wir: „Wenn du durchs Wasser gehst, ich bin bei dir, und durch Ströme, sie werden dich nicht überfluten; wenn du durchs Feuer gehst, wirst du nicht versengt werden, und die Flamme wird dich nicht verbrennen.“ Dieses Schriftwort kennen wir vielleicht alle, auch in prophetischer Bedeutung. Aber ich möchte nur dieses hervorheben: Der Herr setzt voraus, dass etwas getan wird, „wenn du durchs Wasser gehst“, also nicht wartest, bis der Herr geholfen hat. Einfach gehen, auch durchs Wasser – und dann wird Er helfen. Gefordert ist – Aktivität! Auf Handeln steht die Verheißung. Das ist zugleich auch die Schwierigkeit.

Wir werden also zum Tun aufgerufen. Aber es geht nicht so einfach, das muss ich leider sagen. Es gibt kein Zauberwort, um die Angst wegzubekommen. Dazu ist Übung notwendig, mit Fallen und Aufstehen. Auf diesem Weg kann die Angst ganz sicher bewältigt werden. Es muss anstelle der alten Haltung eine neue eingeübt werden. Alte, eingefahrene Gleise zu verlassen, ist nicht leicht. Wir wissen vielleicht alle: Etwas zu verlernen und umzulernen ist viel schwieriger, als etwas Neues dazuzulernen. Um verkehrte Gewohnheiten zu verändern, braucht bekanntlich jeder von uns viel Geduld und Übung. Aber es ist möglich. Und weiter braucht man: Mut zum Vertrauen. Um Vertrauen zu haben, dort wo Angst regierte, braucht es Mut. Gottes Verheißungen sind es wert, dass wir uns darauf stützen und uns an sie klammern. Wie oft versagen wir alle, nicht nur aus Angst, auch in vieler anderer Hinsicht. Aber der Herr will, dass wir Mut zum Vertrauen haben!

Mut zum Vertrauen

Ein kleines Kind kann uns darin zum Vorbild sein. Ist es nicht so, dass, wenn der Vater mit seinem kleinen Söhnchen irgendwo spazieren geht, das Kind auf einer hohen Mauer laufen möchte? Es geht hinauf – wenn Papa bei mir ist, habe ich keine Angst. Und der Vater sagt: Spring mal! Und das Kind springt – in die Arme seines Vaters. Das ist Mut zum Vertrauen! Das brauchen wir auch! Der Herr sagt nicht umsonst: „Werdet wie die Kindlein.“ Wir können viel von ihnen lernen.

Viele kennen das Lied: „Alles sei dir übergeben …“ So zu singen, ist eine Sache, aber es auch in schwierigen Verhältnissen wirklich zu tun, eine andere. Aber auch das kann der Herr bewirken.

Beispiel für Angstbewältigung

Ich möchte an einem Patienten zeigen, dass das möglich ist. Ein Vater von drei Kindern, von Beruf Buchprüfer, hatte dauernde Angst, eine Phobie, so schlimm, dass er nicht auf Besuch zu gehen wagte und auch nie in Urlaub ging. Er war schon 15 Jahre verheiratet. Er wagte auch nicht, zur Kirche zu gehen. Er kam zu mir, und wir führten viele Gespräche. Es war nicht immer einfach, aber er wollte gern herauskommen. Und jetzt, nach vielen Gesprächen, macht er Besuche – es ist kein Problem mehr. Inzwischen ging er in Urlaub, zuerst nach Holland, in seiner Nähe; dann letztes Jahr in Deutschland; in diesem Jahr ist er sogar in Dänemark gewesen. Wir durften auch viel über geistliche Dinge reden. Er hatte viele Fragen, und er merkte, wie der Herr wirkte. (Bevor er zu mir kam, war er schon viele Jahre bei einem ungläubigen Psychiater, den ich kannte, in Behandlung gewesen, aber dieser arbeitete ohne den Herrn.) Trotz des Handelns des Herrn musste auch er etwas beitragen, aber der Herr wirkte weiter, und sein Interesse für geistliche Dinge wuchs, auch bei seiner Frau. Und schließlich habe ich erleben dürfen, dass er und seine Frau sich taufen ließen – er, der früher so ängstlich war. Jetzt nimmt er am Brotbrechen teil. Kürzlich sind zwei von seinen drei Kindern getauft worden, ich durfte dabei sein. Wie wunderbar ist das! Welch ein Sieg! Und wie ermutigend, wenn man so etwas erleben darf.

Wie kann man helfen?

Was können wir dazu beitragen? An erster Stelle: dass wir Verständnis zeigen und nicht einfach sagen: „Das ist ja nicht schlimm, du brauchst keine Angst zu haben. Es steht doch in der Bibel: Fürchte dich nicht.“ Das ist an sich eine Verurteilung, denn der Gläubige weiß das selbst. Und wenn er könnte, hätte er längst die Angst abgelegt. So aber fühlt er sich innerlich abgelehnt. Wir müssen den Menschen, sein Problem und sein Leiden ernst nehmen. Wenn möglich, müssen wir der Ursache auf die Spur kommen. Vielleicht liegt sie in der Vergangenheit, in einem unverarbeiteten Erlebnis. Sehr wichtig ist eine Aussprache. Wenn man das Gespräch selbst nicht führen kann, könnte man einen weisen, erfahrenen Bruder oder eine Schwester hinzuziehen und sie bitten, mit dem Betreffenden zu sprechen. Auf keinen Fall sollte man die Sache liegen lassen. Wenn der Kranke sieht, dass seine Phobie oder seine Angst mit Erlebnissen im Krieg oder in der Jugend zusammenhängen, dann kann er das verstehen und auch eher bewältigen.

Ein aktiver Einsatz ist aber erforderlich. Dabei können wir helfen. Wir können unterstützen, ermuntern, besonders mit dem Wort Gottes und seinen Verheißungen. Diese Zusagen Gottes sind wichtig, nicht Ermahnungen. Der Herr sagt: „Ich bin mit dir, ich will dir helfen, ich will bei dir sein!“ Das Ergebnis darf dann sein: „Der Herr ist mein Helfer, und ich will mich nicht fürchten; was wird mir ein Mensch tun?“ (Heb 13,6). „Auch wenn ich wanderte im Tale des Todesschattens, fürchte ich nichts Übles, denn du bist bei mir.“ Wenn der Betreffende dann wieder das Bewusstsein hat, dass der Herr bei ihm ist, dass Licht da ist, auch wenn es noch Schatten gibt, das Licht bleibt – dann kann er weitergehen. Und er wird erfahren, dass die erlebte Not eine Zeit der geistlichen Reife gewesen ist.


Originaltitel: „Wie bewältige ich Angst?“
aus Hilfe und Nahrung, Ernst-Paulus-Verlag, 1985, S. 104–122
Zwischenüberschriften teilweise von SoundWords


Hinweis der Redaktion:

Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

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