Einleitung
Der Titusbrief ist einer von vier „Hirtenbriefen“ (1. und 2. Timotheus, Titus und Philemon), die der Apostel Paulus unter göttlicher Inspiration schrieb. Sie werden so genannt, weil sie nicht an Versammlungen oder Gruppen von Menschen, sondern an Einzelpersonen geschrieben sind und ihnen persönlichen Rat und Unterweisung geben. (Der Apostel Johannes schrieb ebenfalls zwei Hirtenbriefe: den zweiten und dritten Johannesbrief.)
Dies ist der einzige Brief, der an jemand aus den Nationen gerichtet ist; es gibt auch nur zwei Bücher in der Bibel, die von jemand aus den Nationen (Lukas) geschrieben wurden: das Lukasevangelium und die Apostelgeschichte. W. Kelly sagt, dass dieser Brief, dem internen Beweis nach zu urteilen, nach dem ersten Brief des Paulus an Timotheus, aber vor seinem zweiten Brief an ihn geschrieben worden zu sein scheint.[1] Er ähnelt dem ersten Timotheusbrief insofern, als sich beide Briefe mit der Ordnung im Haus Gottes und dem Verhalten befassen, das dieser Ordnung angemessen ist. Der Titusbrief ist jedoch keine Wiederholung des Timotheusbriefs. In Verbindung mit der Notwendigkeit einer gesunden Lehre besteht der Titusbrief auf „guten Werken“, die die Realität des eigenen Glaubens zeigen. Gute Werke werden in jedem Kapitel erwähnt (Tit 1,16; 2,7.14; 3,1.8.14), und deshalb wird dieser Brief auch „Brief der guten Werke“ genannt.
Es ist nicht bekannt, wie das Evangelium nach Kreta kam. Es könnte durch die kretischen Juden dorthin gekommen sein, die Petrus am Pfingsttag in Jerusalem predigen hörten (Apg 2,11). Zur Zeit der Abfassung dieses Briefes gab es auf der Insel bereits eine Reihe von christlichen Versammlungen.
Die persönliche Geschichte des Titus
Titus taucht in den göttlichen Aufzeichnungen zum ersten Mal in Antiochia als heidnischer Bekehrter des Apostels Paulus auf (Gal 2,1-3). Er wurde als „Testfall“ nach Jerusalem gebracht, um die Frage zu klären, ob gläubige Heiden beschnitten werden müssen. Auf dem Apostelkonzil wies Jakobus anhand der Heiligen Schrift darauf hin, dass Gott bei der Bekehrung der Heiden im kommenden Reich des Messias Israels diese Vorschrift nicht auferlegen wird (Apg 15). Jakobus schloss daraus, dass es für gläubige Heiden in der kommenden Welt (dem Tausendjährigen Reich) nicht notwendig sein wird und dass es auch für gläubige Heiden heute nicht notwendig ist, wenn Gott diejenigen herausruft, die die Kirche bilden. Titus war also nicht gezwungen, sich beschneiden zu lassen.
Das nächste Mal, als Titus in der Schrift erwähnt wird, sehen wir ihn zusammen mit Paulus bei der Aufnahme des ersten Briefes des Paulus an die Korinther arbeiten (2Kor 2,13; 7,5-7.13-14). Er überbrachte auch den zweiten Brief des Paulus an die Korinther und kümmerte sich unter ihnen um die Sammlung für die armen Gläubigen in Judäa (2Kor 8,6.16.17.23; 12,18).
Das nächste Mal, wenn wir von Titus lesen, ist er mit Paulus auf Kreta und wird dort zurückgelassen, um Älteste anzustellen (Tit 1,5). Danach sollte er Paulus in Nikopolis im Westen Griechenlands treffen (Tit 3,12).
Titus wird zuletzt mit Paulus in Rom gesehen, wo Paulus zum zweiten Mal gefangen gehalten wurde und kurz vor seiner Hinrichtung durch die römischen Behörden stand. Von dort aus ging Titus nach Dalmatien (2Tim 4,10).
Als treuer Diener des Herrn nannte Paulus Titus seinen „Bruder“ (2Kor 2,13), seinen „Genossen“, seinen „Mitarbeiter“ (2Kor 8,23) und sein „echtes Kind nach unserem gemeinschaftlichen Glauben“ (Tit 1,4). Obwohl Paulus Titus sehr schätzte, spricht er mit ihm nicht so vertraulich wie mit Timotheus. Dennoch war Titus ein sehr vertrauenswürdiger Mann, und deshalb übertrug Paulus ihm die Verantwortung, die Kollekte von den Versammlungen aus den Nationen zu denen in Judäa zu bringen. Die Sorge des Paulus, dass die Integrität von Titus vor allen gewahrt bleibt, führte dazu, dass er „einen Bruder“ (2Kor 8,18) mit ihm schickte, damit die Übergabe der Gelder über jeden Verdacht erhaben war und Titus in diesen Geldangelegenheiten nicht der Nachlässigkeit oder des Diebstahls bezichtigt werden konnte (2Kor 13,1).
Der Anlass des Briefes
In jenen Tagen befanden sich die Versammlungen auf Kreta in einem Zustand der Verwirrung, weil judaisierende Lehrer falsche Lehren und Praktiken einbrachten. Diese Männer hatten sich in diesen Versammlungen in führende Positionen vorgearbeitet, aber leider waren sie nicht wirklich um das geistliche Wohl der Gläubigen besorgt, wie es wahre Hirten sein sollten. Anstatt die Gläubigen in der Nachfolge Christi zu führen, beuteten sie sie aus, um Geld zu verdienen! Zu der Verwirrung kam noch das Problem des Charakters der Kreter hinzu – sie waren „Lügner“ und „faule Bäuche“ (Tit 1,12). Es ist unnötig, zu sagen, dass sich dies negativ auf ihr Zeugnis als Christen auswirkte.
Titus sollte diese Dinge korrigieren, indem er Älteste ernannte, die in der Lehre gesund waren und deren Leben einen tadellosen Charakter hatte. Diese Männer sollten das Wort treu bewahren und darauf bestehen, dass die Wahrheit in den Versammlungen gelehrt wird, und so die Verleumder widerlegen. Neben der Ernennung von Ältesten sollte Titus die Gläubigen in einem Verhalten unterweisen, das der moralischen Ordnung Gottes in der Versammlung (Tit 1), im Haus (Tit 2) und vor der Welt (Tit 3) entsprach.
Die praktische Relevanz des Briefes in unserer Zeit
Die praktische Anwendung dieses Briefes ist heute von großer Bedeutung, denn es gibt eine wachsende Zahl von christlichen Versammlungen, die Männer in der Leitung haben, denen das Wohl der Herde nicht am Herzen liegt. Diese Personen müssen entfernt und durch Männer ersetzt werden, die moralisch und geistlich qualifiziert sind, örtliche Versammlungen zu leiten. Die Frage ist: „Wie soll das geschehen, da es heute auf der Erde keine Apostel oder Delegierte von Aposteln gibt, die sie ernennen könnten?“ Die Schrift weist nicht darauf hin, dass dies auf die Art und Weise geschehen sollte, wie Versammlungen nach kongregationalistischem Vorbild funktionieren – indem man die Menschen wählen lässt, wen sie als Leiter der Versammlung haben möchten. So gut das auch gemeint sein mag, Demokratie ist nicht Gottes Art der Gemeindeleitung. Die Heilige Schrift weist auch nicht darauf hin, dass dies so geschehen sollte, wie es die episkopalen Denominationen tun – mit einem sogenannten „Bischof“, der Autorität über eine Gruppe von Versammlungen in einer Region hat und in diesen Versammlungen alles vorschreibt und anordnet. Eine von Menschen geschaffene Hierarchie ist ebenfalls nicht Gottes Art der Gemeindeleitung.
Die Antwort liegt in den Bemerkungen des Paulus zu zwei Versammlungen, die keine ernannten Ältesten hatten: Korinth und Thessalonich. In Korinth war die Versammlung in einem so fleischlichen Zustand, dass der Apostel davon absah, jemand zu ernennen, als er dort war. In Thessalonich waren sie alle Neubekehrte, die erst vor wenigen Wochen gerettet worden waren (Apg 17,1-9), und als solche war keiner von ihnen reif genug für diese Aufgabe (1Tim 3,6). Aber als er einige Zeit später an diese Versammlungen schrieb, gab er ihnen einen Grundsatz an die Hand, wie die Gläubigen die echten Leiter erkennen und sie somit als solche anerkennen konnten, auch wenn sie nicht offiziell zu diesem Amt ernannt worden waren.
Es ist wichtig, zu verstehen, dass – unabhängig davon, ob Apostel (oder Delegierte von Aposteln) zur Verfügung stehen, um offiziell Älteste zu ernennen – Gott immer noch Männer durch den Heiligen Geist erweckt, um diese Arbeit an verschiedenen Orten zu tun (Apg 20,28). Und in Tagen der Schwachheit und des Versagens sollten die Gläubigen deren Führung folgen, auch wenn diese Männer nicht alle moralischen Qualifikationen haben, um offiziell in dieses Amt berufen zu werden, wenn sie sich wenigstens aufrichtig um die Herde kümmern (1Kor 16,15.16; 1Thes 5,12.13). Alles, was von den Gläubigen verlangt wird, ist, dass sie sich in einem richtigen Seelenzustand befinden, um diese Männer als solche anzuerkennen, die sie sind, und sie daher „über die Maßen in Liebe zu achten um ihres Werkes willen“ (1Thes 5,13) und sich ihnen unterzuordnen (Heb 13,17) und ihrer Leitung zu folgen (1Thes 5,12; 1Tim 5,17). Wenn das geschieht, wird die Gemeinde die richtigen Männer haben und das Problem der Gemeindeleitung wird gelöst sein.
Originaltitel: „Introduction“ aus The Epistle of Paul to Titus
Quelle: www.bibletruthpublishers.com
Übersetzung: Stephan Isenberg
Anmerkungen
[1] W. Kelly, The Epistles of Paul, S. 131.