Leitverse: Matthäus 1,1-6
Mt 1,1-6: Buch des Geschlechts Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams. Abraham zeugte Issak; Isaak aber zeugte Jakob, Jakob aber zeugte Juda und seine Brüder; Juda aber zeugte Perez und Serach von der Tamar; Perez aber zeugte Hezron, Hezron aber zeugte Ram, Ram aber zeugte Amminadab, Amminadab aber zeugte Nachschon, Nachschon aber zeugte Slmon, Salmon aber zeugte Boas von der Rahab; Boas aber zeugte Obed von der Ruth; Obed aber zeugte Isai, Isai aber zeugte David, den König. David aber zeugte Salomo von der, die Urias Frau gewesen war;
Vier Frauen
Die Einführung von vier – und ausschließlich vier – Frauennamen in das Geschlechtsverzeichnis unseres Herrn nach dem Matthäusevangelium hat vielen Erforschern des inspirierten Wortes Material für Untersuchungen geliefert. Jeder, der sich zu Recht für einen solchen hält, bezweifelt nicht, dass dafür eine besondere Absicht vorliegt. Darüber hinaus zeigt schon ein flüchtiger Blick auf die ausgewählten Namen in Verbindung mit der menschlichen Abkunft des Herrn der Herrlichkeit etwas von der Bedeutsamkeit ihrer Erwähnung hier. Es sind genau die Namen, die ein Chronist mit menschlicher Weisheit in dieser Angelegenheit und insbesondere ein recht denkender Jude nicht berücksichtigt hätte. Das ist umso auffälliger, weil offensichtlich keine Notwendigkeit besteht, sie hier herauszustellen. Sie werden überhaupt nicht benötigt, um die Verbindung unseres Herrn mit David oder Abraham herzustellen. Keine anderen Frauennamen – weder diejenigen von Sara, Rebekka, Lea oder sonst einer Frau – werden hier eingeführt. Dabei gab es doch kaum andere, die mehr Recht dazu hatten, erwähnt zu werden. Die aufgezeichneten Frauen waren vor allen anderen, wenn auch in unterschiedlicher Weise, gerade die offensichtlichen Flecken auf der Ahnentafel. Und dabei sehen wir, dass kein Versuch gemacht wird, das, was in Verbindung mit ihnen schimpflich war, zu verbergen. Im Gegenteil werden Umstände, auf die nicht unbedingt hätte angespielt werden müssen, aufgeführt. Es sieht so aus, als solle unsere Aufmerksamkeit gerade auf die Dinge gelenkt werden, welche man sonst vielleicht übersehen hätte.
So wird die Zwillingsgeburt von Serach zusammen mit Perez erwähnt, obwohl er selbst nicht zur Linie des Geschlechtsverzeichnisses gehört, als sollten die Umstände jener Sünde, die ihn ins Dasein brachte, vor aller Augen gestellt werden. Außerdem wird Bathseba noch nicht einmal mit Namen genannt. Sie wird sozusagen einfach in den Zusammenhang gestellt mit all dem Schrecken jener Verbrechen, an die schon allein ihr Name hätte ausreichend erinnern müssen. Sie war die, „die Urias Frau gewesen“.
Doch es liegt etwas sehr Schönes und auch Kennzeichnendes in dieser Furchtlosigkeit eines Schreibers, der hier, wo es sich scheinbar nur um die Aufzählung von Namen handelt, sowie auch bei den ernstesten Abschnitten des Lebens unseres Herrn schrieb, wie Er vom Heiligen Geist geführt wurde. Wenn es einen Flecken auf dem Leben eines Menschen Seines Volkes gibt, zögert der Gott der Wahrheit nie, ihn herauszustellen. Das mag so aussehen, als werde damit jenen eine Gelegenheit geliefert, die eine solche gegen die Wahrheit suchen. Wenn es einen dunklen Flecken gibt – und sei es auf einem der Verbindungsglieder der Ahnenkette des Menschen Christus Jesus, die jedes für sich göttlich eingefügt wurden –, dann legt zuerst der Geist Gottes Seinen Finger darauf, bevor der anmaßende Mensch dasselbe wagen könnte. Der Heilige Geist lädt uns ein, unsere Aufmerksamkeit auf etwas zu richten, was unserer Beachtung würdig ist. Er rechnet damit, dass dadurch im Herzen des Glaubens ehrfurchtsvolle Gedanken und demütige Bewunderung vor einer Weisheit aufsteigt, die niemals enttäuscht und die sich am deutlichsten zeigt, wenn sie alle anderen Menschen verwirrt.
Nun ist für einen Glauben, der kennzeichnenderweise „an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt“ (Röm 4,5), die Einführung der Namen von Tamar und Bathseba in den inspirierten Bericht von den menschlichen Vorfahren des Herrn voller Andeutungen, um die lebhaftesten Gefühle hervorzurufen. Jede dieser Frauen mit einem entehrten Namen und einem schimpflichen Angedenken hatten also in besonderer Weise ein Recht, sich jener Worte, welche von Israels höchstem Stolz berichten, zu bedienen: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn uns gegeben“ (Jes 9,5). Das menschliche Empfinden – denn auch das lag neben manchem anderen in dieser Handlungsweise –, welches der Mutter unseres Herrn eine „unbefleckte Empfängnis“ zuschreibt, würde auf jeden Fall für einen untadeligen Charakter der Linie Seiner natürlichen Abkunft gesorgt haben. Und jenes Empfinden hätte auch gesagt: Er soll nur die Reinsten und Edelsten, die man finden kann, als Verwandtschaft haben! So zeigen sich wieder menschliche Gedanken als Torheit vor der Weisheit Dessen, der von Anfang an den Samen des Weibes bestimmt hatte, um der Schlange den Kopf zu zermalmen (1Mo 3) und alle zu heilen, die vom Teufel überwältigt waren (Apg 10,38). Und diese Verheißung wurde sofort, nachdem Eva in Übertretung gefallen war, gegeben! Nach göttlicher Weisheit werden so in jenem Teil des Geschlechtsregisters unseres Heilandes, den kein Jude leugnen konnte – denn niemand konnte abstreiten, dass der Christus von David abstammen sollte –, diese Namen festgehalten, um das Teil der Nationen an dem geborenen Kind zu verteidigen; denn zweifellos waren drei und vielleicht sogar alle Frauen heidnischen Ursprungs. Ebenso treten sie auf gegen die Anmaßung menschlicher Gerechtigkeit, um das Recht von Sündern an Ihm zu stützen, dem ein Leib bereitet worden war (Heb 10,5), um für Sünder zu sterben.
So ist also die Bedeutung dieser Namen in der Verbindung, in welcher wir sie hier finden, klar genug. Ihr Platz im Geschlechtsverzeichnis braucht nicht gerechtfertigt zu werden; denn es ist nur eine andere Note der Harmonie in jenem Lied des Preises, welchen Sein Wort sowie auch alle anderen Seiner Werke ununterbrochen singen. Sie sind ein Same, um in das Herz des Betrübten Musik zu säen in der Gewissheit, dass die Seufzer der Gefangenen vor den Herrn hinaufgestiegen sind (Ps 102,21).
Doch was erwartet uns erst, wenn wir weitergehen und nicht allein zeigen können, dass es so ist, sondern auch dass jeder der vier vorgestellten Namen seine eigenen besonderen Gesichtszüge zu jenem Bild beisteuert, das als Ganzes wirklich eine vollständige und gesegnete Darlegung der Geschichte der Gnade und des Heils liefert? Dass jeder Name an seinem Platz etwas hinzufügt, was noch fehlt, bis alles vorgestellt ist? Ist es nicht Gottes würdig, so zu reden und nicht nur Vorbilder und Gleichnisse, sondern sogar die Namen eines Geschlechtsregisters eine Geschichte erzählen zu lassen, die Er nicht müde wird, ständig zu wiederholen, so schwerfällig auch der Mensch ist, sie zu hören?
Lasst uns also die Geschichte dieser vier Namen, soweit sie mit der inspirierten Ahnentafel in Verbindung stehen, betrachten und versuchen, die Lehren daraus zu entnehmen, die uns in ihrer Einfügung hier gegeben werden!
Tamar
Die Geschichte Tamars finden wir in 1. Mose 38. Es ist eines dieser dunklen Kapitel menschlicher Verworfenheit, welche das Wort Gottes mit seiner gewohnten Deutlichkeit und ungeschminkten Offenheit vor uns ausbreitet. Die Ungläubigen sprechen von ihm als einen Flecken auf dem Buch, in dem es steht, und wenige Menschen pflegen es zu lesen – und auf keinem Fall laut! Und doch ist es eine Geschichte, die eines Tages vor der glänzendsten Versammlung, welche die Erde und die Himmel jemals sahen oder sehen werden, wieder erzählt werden wird. Und wie viele ähnliche Geschichten werden dann bekannt werden – meine Geschichte, lieber Leser, und auch deine Geschichte. Und diese Geschichten sind vielleicht nicht sehr viel anders als diejenige Tamars. Und der reine, ewige Tag wird dann seine Lichtstrahlen nicht zurückhalten und die Nacht diese Geschichten nicht mit ihrer Finsternis verhüllen.
Was dann erzählt werden muss, darf auch heute erzählt werden. Das Licht, welches auf böse Taten scheint, wird durch diese nicht verunreinigt. Wenn Tamars Geschichte einfach zur Vergangenheit gehören würde und folgenden Generationen nichts zu sagen hätte, dann wäre es ohne Zweifel nutzlos, sie wieder vor Augen zu stellen. Aber jetzt lasst uns vielmehr Ihm dafür danken, dass Er es getan hat, welcher uns eine Seite der menschlichen Geschichte zeigt, die so finster ist, dass uns davor schaudert, und so schmutzig, dass wir dabei erröten. Mein Leser, ich frage dich noch einmal: Gibt es keine Seite in deinem Leben, dass du über sie, wenn sie die gewissenhafte Hand Gottes aufgeschrieben hätte, nicht in gleicher Weise erröten müsstest?
In der ganzen Geschichte Tamars trifft mich am meisten, dass es hier keinen Ansatzpunkt von ihrer Seite für eine Erlösung gibt. Wenn ich die Berichte lese, die von den anderen Frauen, die neben ihr Platz in diesem Geschlechtsregister gefunden haben, erzählen, dann finde ich vielleicht in jedem Fall etwas, was die Finsternis ein wenig durchbricht. Doch nichts Vergleichbares wird von Tamar berichtet. Sie tritt vor mich als eine Sünderin und nichts anderes. Sie war nacheinander die Ehefrau zweier Männer, die wegen ihrer Schlechtigkeit durch ein göttliches Gericht umgebracht wurden. Und doch wagte sie es, in Person durch ein ähnliches Verbrechen das göttliche Gericht herauszufordern. Aber das unübertreffliche Wunder liegt darin, dass es gerade diese Sünde ist, die ihren Namen in das Geschlechtsregister des Herrn hineinbringt. Durch diese Sünde wurde sie die Mutter des Perez, eines der direkten Ahnen Christi.
Hat uns das nichts zu sagen? Spricht das vom Gott des Gerichts oder nicht vielmehr vom Gott der Gnade, dem Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus? Natürlich, wenn ich allein den alttestamentlichen Bericht ansehe, dann soll es mir, wie es auch geschehen ist, die Zeit vor die Blicke stellen, in welcher die Ereignisse aufgezeichnet und offenbar gemacht werden. Wenn ich mich jedoch zum Neuen Testament wende und den Namen Tamars als ersten Frauennamen im Geschlechtsverzeichnis des Herrn finde – und zwar eine Tamar, die wegen ihrer Sünde in diesen Zusammenhang gestellt wurde –, dann beschäftigt das sofort meine Seele mit einer Szene des Gerichts. Es ist eine Szene des schwersten Gerichts, wo der Heilige Gottes für die Unheiligen eintrat und wo Barabbas’ Kreuz, der Ort für den größten der Sünder, die Last Dessen trug, der allein all unsere Schulden auf Sich nahm und durch dessen Striemen uns Heilung geworden ist (Jes 53,5).
Oh, gesegnete Lektion und würdig unseres Gottes, der sie gibt! Tamars Sünde bildet ihre Verbindung zum Herrn des Lebens und der Herrlichkeit! Und seht, Geliebte, knüpft nicht auch unsere Sünde diese Verbindung? Starb Er nicht für Sünder? Geschah es nicht, als wir unsere Sünden bekannten und unsere Münder verstopft wurden (Röm 3,19), indem wir unseren Platz vor Gott als Ungöttliche und Kraftlose einnahmen, dass wir die wunderbare Wahrheit entdeckten, dass Christus für die Ungöttlichen und Kraftlosen gestorben ist? Und gerade weil wir Sünder waren und Christus für uns starb, „ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und uns reinigt von aller Ungerechtigkeit“ (1Joh 1,9).
So offenbart Tamars Name als erster in diesem Geschlechtsregister auch die erste dieser einfachen Evangeliumswahrheiten, die es enthält. Tamar ist eine Sünderin, von der ich nichts erfahre als ihre Sünde. Und dass ihre Sünde sie in besonderer Weise mit dem Christus in Verbindung brachte, der für Sünder kam, ist Licht, Freude und Glückseligkeit für meine Seele.
Rahab
Doch wir müssen uns jetzt Rahab zuwenden! Hier befinden wir uns auch nicht in achtbarer Gesellschaft. Rahab war eine Kanaaniterin, das Glied einer verfluchten Rasse; und Rahab war eine Hure, eine Sünderin unter Sündern. Es scheint uns bestimmt zu sein, diesen Weg weiterzuverfolgen. Zu ihren Gunsten wird nur eines berichtet, und das ist ihr Glaube. Dass dieser Glaube auch Früchte brachte, kann keiner bezweifeln. Sie ist eine Person, die Jakobus anführt, wenn er uns fragt: „Ist … nicht auch Rahab, die Hure, aus Werken gerechtfertigt worden, da sie die Boten aufnahm und auf einem anderen Weg hinausließ?“ (Jak 2,25). Doch selbst hier ist die Angelegenheit, auf die er anspielt, nicht das, was sie in den Augen der Menschen zu einer „Heiligen“ macht. Sie zeigte keine strahlende Hingabe, keine wunderbare Opferbereitschaft und war nicht besonders gut, wie man so landläufig sagt. Sogar in der Sache, in der sie ihren Glauben zeigte, sprach sie eine Lüge aus und schied so Glauben und Ehrlichkeit voneinander. So gibt sie uns nachdrücklich ein Bild des Glaubens, der „nicht wirkt“ (Röm 4,5) und die Seele ohne Hoffnung als Sünder zurücklässt, der nicht gerechtfertigt werden kann, außer vor einem Gott, „der den Gottlosen rechtfertigt“.
Wer kann bezweifeln, dass Rahabs Glaube sie in das Geschlechtsregister einführte, ähnlich wie die Sünde Tamar einführte? Ohne Glauben wäre sie mit denen, die in Jericho eingeschlossen waren – eine verfluchte Frau in einer verfluchten Rasse –, umgekommen. Der Glaube entfernte diesen Fluch von ihr. Der Glaube führte sie in das Volk Gottes. Vielleicht gewann er ihr auch das Herz Salmons, so dass wir auf dem direktesten Weg zu jenen Worten im Geschlechtsregister kommen: „Salmon aber zeugte Boas von der Rahab.“
So lehrt uns also diese zweite Frau eine Lektion, die genauso lieblich und notwendig ist wie die erste. Unwillkürlich erinnern wir uns an die Worte „Dem aber, der nicht wirkt, sondern … glaubt“ (Röm 4,5), wenn wir an Rahab denken. Es war Glaube, der sich als echt erwiesen hatte. Dennoch musste seine Besitzerin als eine Ungöttliche gerechtfertigt werden, und zwar durch Glauben an Den, der nur auf der Grundlage des Glaubens rechtfertigt. Es war Glaube, der folglich nicht auf sich selbst blickte und seine eigenen Werke geltend machte, sondern die Seele dahin führte, ausschließlich den Platz der Gottlosigkeit einzunehmen, weil es nur für den Gottlosen eine Rechtfertigung gibt.
Das ist sehr lieblich und wunderbar. Es ist wunderbar, wenn wir finden, wie durch die einfache Einfügung eines Namens in eine Liste der Gott der Gnade die Gedanken Seines Herzens aussprechen kann. Und es ist sehr lieblich, wenn wir sehen, wie vor Seinem Herzen ständig der Gedanke an unsere Not und Seine Barmherzigkeit steht. Genauso lieblich ist es auch, wenn Er sozusagen durch gerade dieses Wunder unsere trägen, kalten Herzen plötzlich zum Glauben an Seine Barmherzigkeit führt.
Ruth
Und jetzt kommen wir zu Ruth. „Boas aber zeugte Obed von der Ruth.“ Was sollen wir von Ruth sagen? Hier mögen wir auf den ersten Blick den Eindruck haben, dass der Text unsere Ausführungen nicht mehr stützt und dass wir die Gesellschaft der Sünder verlassen. Man mag sagen: Schrieb nicht der Heilige Geist ein ganzes Buch, um von Ruth zu erzählen? Und tatsächlich kann man auch über sie, obwohl sie wie Rahab und Tamar eine Heidin war, die Worte unseres Herrn über einen anderen Heiden wiederholen: „Selbst nicht in Israel habe ich so großen Glauben gefunden“ (Mt 8,10). Über ihrem Kopf hing kein Schwert des Gerichtes wie bei Rahab. Es verband sie nichts mit Israel als die Erinnerung an einen toten Gatten, der es verlassen hatte, und an die Hungersnot im Land, die ihn hinausgetrieben hatte. Ihre einzige Begleitung war eine alte Frau, die ein bitteres Schicksal, wie sie urteilte, veranlasste, ihren Namen von Noomi in Mara umzuwandeln. So kam Ruth in das Land und zum Gott Israels. Sie war zufrieden damit, dort Garben aufzusammeln. Glaube nicht, mein Leser, dass ich ihre Würde herabsetzen oder den guten Ruf von Ruth, der Moabitin, beflecken möchte! Dass sie eine Heidin war, erhöhte nur ihre Ehre, indem ihre Gottesfurcht unter den Gottlosen heranwuchs. Außerdem war sie treu, als Israels Kinder ihr ein Beispiel von Untreue gaben.
Doch ist es ohne Bedeutung, dass wir in Gesellschaft der Namen von Sündern unter Sündern einen Namen finden, der sozusagen als Heiliger unter Heiligen erscheint? Was bedeutet das, wenn der Name Ruths in Gesellschaft solcher Namen wie Tamar, Rahab und Bathseba aufgezählt wird? Ist das nicht eine ähnliche Wahrheit wie die, welche wir erhalten, wenn uns das Wort von einem Mann erzählt, der „viele Almosen gab und allezeit zu Gott betete“ und trotzdem zu einen Mann in Joppe senden sollte, damit dieser ihm mitteilte, wie er errettet werden konnte (Apg 10)? Denken wir nicht daran, wie Zachäus, der vor dem Herrn stand und sagte: „Siehe, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen“, die bedeutsamen und milden Worte – man kann sie kaum als Tadel bezeichnen – hörte: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, da ja auch er ein Sohn Abrahams ist; denn der Sohn des Menschen ist gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist“ (Lk 19)?
Wir brauchen also mit keinem Wort die tadellose Gesinnung Ruths herabzusetzen, sondern dürfen in vollstem Maße alles hinzuziehen, was zu ihren Gunsten spricht, und doch lernen wir aus der Gesellschaft, in der wir ihren Namen finden, eine Lektion voller Belehrung und Schönheit. Wenn Tamar, Rahab und Ruth Seite an Seite im Geschlechtsregister stehen, erhalten wir eine Verdeutlichung jener Vision Jesajas, welche durch die Mission des Täufers erfüllt wurde: „Jedes Tal wird ausgefüllt und jeder Berg und Hügel erniedrigt werden …; und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen“ (Lk 3,5.6). Ja, das Heil Gottes wurde von der einen wie von der anderen Frau im gleichen Maß und in gleicher Weise benötigt. So ist es auch mit der Gnade; Ruth, die Moabitin, brauchte sie genauso wie Rahab oder Tamar.
Wir sind jedoch noch nicht zu dem gekommen, welches diesem Namen seine vollste Bedeutung im Geschlechtsregister gibt. Auf dieser Ruth in all ihrer Lieblichkeit und Tadellosigkeit lag ein Bann, der gegen die anderen Frauen in vergleichbarer Weise nicht bestand. Sie war eine Moabitin; und gegen dieses Volk gab es eine ausdrückliche Bestimmung im Gesetz. „Kein Ammoniter oder Moabiter soll in die Versammlung des HERRN kommen; auch das zehnte Geschlecht von ihnen soll nicht in die Versammlung des HERRN kommen in Ewigkeit“ (5Mo 23,4). So stand Ruth unter dem Verbot des Gesetzes. Es ist auffallend, dass sich das Gesetz gegen diese demütige, liebenswerte Frau stellte. Gott hatte weder gegen Tamar noch gegen Rahab in solch unmissverständlicher Weise den Charakter des Gesetzes verkündigt. Es wurde nicht eingeführt – und dabei würden hier die Herzen der Menschen so gerne zustimmen! –, um die Sünder und Huren zu verdammen. Nein, es enthielt Bestimmungen, welche die Frömmigkeit einer Ruth ausschloss. So lehrt dieses Beispiel nachdrücklich, dass der Mensch schon in seiner Eigenschaft als Mensch nicht zu Gott kommen kann. Es geht nicht einfach nur um seine Sünden, sondern sogar um seine Gerechtigkeit. Wenn wir auf diesem Boden stehen, dann sind „alle unsere Gerechtigkeiten wie ein unflätiges Kleid“ (Jes 64,5).
Aber das Gesetz konnte Ruth nicht draußen lassen. Obwohl sie eine Moabitin war, durfte sie in die Versammlung Gottes kommen. Das Gesetz wurde zu ihren Gunsten beiseitegesetzt. Ihre Nachkommen wurden nicht bis in das zehnte Glied ausgeschlossen. Stattdessen saß ihr Kind aus der dritten Generation auf dem Thron Israels und hörte die Verheißung, welche diesen Thron seinen Erben in den folgenden Generationen zu sprach.
So wird hier ein anderer Grundsatz strahlend herausgestellt. Wenn Gott den Sünder und die Hure auf dem Grundsatz der Gnade aufnimmt, dann wird durch diese Handlung das Gesetz beiseitegestellt. „Das Gesetz aber ist nicht aus Glauben“ (Gal 3,12). „Jetzt aber ist, ohne Gesetz, Gottes Gerechtigkeit offenbart worden … Gottes Gerechtigkeit aber durch Glauben an Jesus Christus gegen alle [und auf alle], die da glauben“ (Röm 3,21.22). Davon ist Ruth ein Zeugnis. Die Moabitin kommt in die Versammlung des Herrn, obwohl das Gesetz ausdrücklich gegen sie ist, um sie draußen zu halten. Und in all diesem finden wir wieder einen neuen Ausdruck der gleichen Geschichte der Gnade, welche unser Gott in so vielen Weisen mit großer Freude erzählt.
Ein Name bleibt noch übrig; eine Wahrheit muss noch ausgedrückt werden. Gott nimmt also die Sünder durch den Glauben an; und das Gesetz ist beiseitegesetzt. Der Glaube wird zur Gerechtigkeit gerechnet (Röm 4,9). Das bedeutet nicht, dass Glaube und Gerechtigkeit dasselbe oder gleichwertig sind. Nein, dass wäre etwas ganz anderes! Gott, der, menschlich gesprochen, Gerechtigkeit durch das Gesetz erwartet hatte, erwartet es jetzt nicht mehr. Das Gesetz hatte Ihm die Antwort gegeben: „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer“ (Röm 3,10). Nein, der Grundsatz wurde geändert. Glaube wurde zur Gerechtigkeit gerechnet. Dieser Glaube erhob nicht den geringsten Anspruch auf eigene Gerechtigkeit; denn er glaubte an Den, „der den Gottlosen rechtfertigt“ (Röm 4,5).
Doch wenn Gott Sünder aufnimmt – wozu nimmt Er sie auf? Erhalten sie eine vollkommene Errettung, oder müssen noch Bedingungen erfüllt werden, bevor das Endziel erreicht und ihre Sicherheit vollständig ist? Kurz gesagt: Worauf beruht die völlige Errettung des Gläubigen? Offensichtlich muss diese Frage beantwortet sein, bevor die Seele völlig beruhigt ist und Frieden findet. Es ist eine Sache zu wissen, dass man jetzt in der Gunst Gottes steht, und eine andere, dass man diese niemals verlieren kann. Wenn die Gunst Gottes von mir abhängen würde, müsste ich, falls ich mich selbst anschaue, ständig fürchten, sie zu verlieren.
Es gibt viele Gläubige, die eine freie augenblickliche Erlösung durchaus anerkennen, aber nicht zugeben wollen, dass eine solche uns auch bedingungslos Sicherheit für alle Zeiten gibt. Für diese Menschen wird der Sünder ohne Werke gerechtfertigt, der Heilige jedoch nicht. Nachdem die Gesetzlichkeit an der einen Tür ausgeschlossen wurde, lässt man sie durch eine andere wieder ein. Das Ergebnis ist in beiden Fällen gleich: Die Überheblichkeit wird gefördert; das Misstrauen gegen sich selbst führt zur Verzweiflung; das Werk Christi wird praktisch aus seiner Stellung, der Seele Ruhe zu geben, verrückt und die Gnade Gottes nachdrücklich geleugnet.
Dabei spricht die Schrift über diesen Gegenstand genauso entschieden wie über jeden anderen. Auf die Rechtfertigung durch das Blut Christi baut sie die vertrauensvollste Sicherheit bezüglich der Zukunft. Sie sagt uns, „dass Christus, da wir noch Sünder waren, für uns gestorben ist. Viel mehr nun, da wir jetzt durch sein Blut gerechtfertigt sind, werden wir durch ihn gerettet werden vom Zorn. Denn wenn wir, da wir Feinde waren, mit Gott versöhnt wurden durch den Tod seines Sohnes, so werden wir viel mehr, da wir versöhnt sind, durch sein Leben gerettet werden“ (Röm 5,8-10).
Bathseba
Und wenn ich mich zu der letzten dieser vier Frauen wende und lese: „der, die Urias Frau gewesen“, indem sie zusammen mit Tamar, Rahab und Ruth ihren Platz im Geschlechtsregister des Herrn einnimmt, dann erscheint es mir, als würde der gerade zitierte Text in meinem Ohr erklingen. In dem Augenblick, wenn ich an Bathseba denke, tritt ein größerer Name als der ihre, mit dem sie auf seltsame Weise in dem Verbrechen, an das sie erinnert, verbunden ist, vor meine Blicke und verdrängt sie fast ganz aus meinen Gedanken. Ich denke an David[1] – David, das Kind Gottes, Israels lieblicher Psalmist, mit dessen geistvollen Worten die Seelen der Heiligen jedes Zeitalters ihr Sehnen nach dem „lebendigen Gott“ zum Ausdruck gebracht haben! David war gefallen. David war so tief gefallen, dass wir uns nicht wundern, seinen Namen neben dem der Tamar zu sehen. David, der Mann nach dem Herzen Gottes (Apg 13, 22)! Oh, wie vielen der Feinde des Herrn hast du zum Lästern Anlass gegeben (2Sam 12,14)! Wie viele aus dem Volk Gottes mussten über dich trauern! War das das Zeugnis, welches das Herz Gottes anerkennen konnte? War das die Sehnsucht deiner Seele nach Ihm? Was, du hast einen Mann inmitten seines treuen Dienstes, den er voller Eifer für dich geleistet hat, ermordet, um deinen Ehebruch zu verbergen? Warst du der Mann, dem auf der Flucht vor dem Angesicht seines Feindes, als die Vorsehung diesen in deine Gewalt gegeben hatte, schon sein Herz schlug, weil er ihm den Zipfel vom Oberkleid abgeschnitten hatte? (1Sam 24). Ach, wir sind trauriger als dein Herz es jemals über Saul sein konnte und nehmen deine eigenen Worte, um über dich zu klagen: „Wie sind die Helden gefallen, und umgekommen die Rüstzeuge des Kampfes“ (2Sam 1,27).
Und wahrhaftig, o Herr, unser Gott, in Deiner Gegenwart kann kein Fleisch sich rühmen! Wenn David es nicht konnte, können wir es etwa? Ach, wenn ich mich selbst kenne, was kann ich dann anders tun, als meinen Mund in den Staub legen und auf ewig stumm sein vor dem Herrn! „Alles Fleisch ist wie Gras, und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume“ (1Pet 1,24). Und, „wer zu stehen meint, sehe zu, dass er nicht falle“ (1Kor 10,12). Die Stimme, die durch die Sünde Davids an mein Ohr gelangt, enthält unendlich mehr als eine Verurteilung Davids. Es ist meine eigene. Kann ich sagen, ich sei besser? Darf ich meine Hand von seiner blutbefleckten zurückziehen? Ach, nein! Ich anerkenne in ihm meine eigene Verdammung – und das nicht nur als Sünder, sondern auch als Heiliger. Vom Anfang bis zum Ende stellt der Bericht von Davids Fall mir die Gewissheit vor Augen, dass allein die Rechtfertigung des Gottlosen die Art meiner Rechtfertigung sein kann. Es ist wie jene Stimme Gottes bei der Sintflut, welche die Menschen seltsam und widersprüchlich nennen. Obwohl Gott vor der Flut Sein Urteil über den Menschen aussprach und die Lebewesen vernichtete, weil „alles Gebilde der Gedanken seines Herzens nur böse den ganzen Tag“ war (1Mo 6,5), erklärt Er nach der Flut: „Nicht mehr will ich fortan den Erdboden verfluchen um des Menschen willen; denn das Sinnen des menschlichen Herzens ist böse von seiner Jugend an; und nicht mehr will ich fortan alles Lebende schlagen, wie ich getan habe“ (1Mo 8,21).
Gepriesen sei Sein Name, der die Sicherheit Seiner Errettung nicht meinen Händen überlässt! Mein Leben hängt von dem Leben des Einen ab, der Seinen Platz im Himmel eingenommen hat, nachdem Er durch Sich Selbst die Reinigung meiner Sünden bewirkte. In der Herrlichkeit ist Er genauso für mich wie am Kreuz. Er wurde von Gott angenommen und in Ihm auch ich. „Weil ich lebe, werdet auch ihr leben“ (Joh 14,19).
Wenn es David möglich gewesen wäre, durch seine Sünde aus der Hand Gottes zu fallen, dann wäre es bestimmt in dieser Sache geschehen. Aus der Erwähnung jener Frau, der Mitteilnehmerin an seiner Sünde, im Geschlechtsregister erkenne ich, dass das nicht möglich war. Noch einmal, ähnlich dem Fall Tamars, sehe ich, wie die Sünde mit dem Heiland der Sünder verbindet. Gott verbarg keineswegs Seinen Abscheu über das Böse und machte ihn in einer besonderen Weise bekannt. In Wirklichkeit war es ausschließlich Gnade, die Ihn so handeln ließ. „Was irgend ein Mensch sät, das wird er auch ernten“ (Gal 6,7). Es ist deshalb kein Wunder, wenn Ehebruch und Mord sich immer wieder auf dem Weg Davids erhoben. Kein Wunder, dass das Schwert von seinem Haus nicht wich und dass seine Frauen angesichts der Sonne entehrt wurden. Doch inmitten dieser wachsenden Dornen und Disteln, der Frucht und Folge der Sünde, entspringt eine kleine Blume diesem verfluchten Boden als Zeugnis von der Gnade, die da, wo die Sünde überströmend geworden ist, sich noch überschwänglicher erweist (Röm 5,20). Aus der Verbindung dieses Davids mit dieser Bathseba, welche die Sünde zusammengebracht hatte, entsprang ein Kind, dessen Name als nächster in der Ahnenreihe des Herrn steht. Es erhält, als sollte es die geschilderten Wahrheiten noch bestätigen, den besonderen Namen „Jedidjah“ (Fußnote: „Geliebter Jahs“) (2Sam 12,25).
Und ist es Einbildung oder Wirklichkeit, wenn wir annehmen, dass in dem Namen, dem anderen Namen des neugeborenen Kindes, etwas liegt, das mit all diesem harmoniert? Wenn der Name „Salomo“, „der Friedliche“, in Verbindung mit einer so traurigen Geschichte vielleicht seltsam erscheint, so ist er keineswegs unpassend in der Folge dieser Ahnentafel. Er ist nicht unangebracht in Verbindung mit Tamar, Rahab, Ruth oder Bathseba. Und es ist ein gesegneter Name, um die Geschichte von vier Namen abzuschließen – Namen, durch die Gott, wenn Er sie aufzählt, über das spricht, was Er darzustellen liebt. Anderenfalls hätte Er kaum eine solch sonderbare Gelegenheit genutzt, um uns an sie zu erinnern.
Wenn es irgendjemand nach all dem, was wir gesehen haben, zu wunderbar erscheint, dass dieses eine Darlegung seitens Gottes sein könnte, dann möchte ich ihn daran erinnern, wie einst ein brennender Dornbusch zu einem ähnlichen Wunder gemacht wurde, um die Aufmerksamkeit eines Vorübergehenden zu wecken. Als dieser dann herzutrat, hörte er eine Stimme aus dem Busch, die verkündete, dass Gott wirklich dort war. Ebenso sollte es nicht seltsam sein, wenn Er auch jetzt durch eine Art von Wunder jeden anzieht, der bereit ist, eine Geschichte zu hören, die Er gerne erzählt. Und alle, die beiseitetreten, um das Wunder zu sehen, dürfen, damals wie heute, dieselbe Stimme vernehmen.
Aus A Study of the Psalms and other Papers, 5. Aufl., Winschoten/NL, S. 193–204;
The Bible Treasury, N 11 (1916), S. 54–59.
Anmerkungen
[1] Unsere Stelle stützt diesen Übergang bei der Betrachtung von Bathseba zu David; denn beachten wir, dass der Name Bathseba überhaupt nicht genannt wird! (Übs.)