Der Prophet Hesekiel (9)
Kapitel 9

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 30.11.2024

Der Mann mit dem Schreibzeug

Es ist ein Kennzeichen der in der Seele wirkenden Gnade, wenn man von einem heiligen Entsetzen vor der Sünde und Unreinheit, die einen umgeben, geprägt ist. Damit ist nicht eine „Steh-zu-dir,-denn-ich-bin-heiliger-als-du“-Haltung gemeint, sondern eine Anerkennung der Tatsache, dass man selbst Teil eines ungerechten und gotteslästerlichen Volkes ist. Ist jemand wie Daniel, Nehemia und Esra, so trägt er die Sünden seines Volkes in seinem Herzen und macht sich eins mit ihnen im Bekenntnis vor Gott.

Als der HERR zur Zeit Hesekiels auf das Volk Juda blickte, sah Er kaum Anzeichen für diesen Geist der Selbstverurteilung. Er, der früher die Städte der Ebene verschont hätte, wenn zehn Gerechte in Sodom gefunden worden wären [1Mo 18,32], hatte vergeblich nach einer nennenswerten Gruppe in Juda gesucht, die vor Ihm wegen des überhandnehmenden Übels klagten. Er würde solche von der abgefallenen Nation absondern und sich im Gericht über die Übrigen zu ihnen bekennen. In einer außergewöhnlichen Vision wurde dies dem Propheten klar vor Augen geführt:

Verse 1-4

Hes 9,1-4: 1 Und er rief vor meinen Ohren mit lauter Stimme und sprach: Tretet herzu, ihr Aufseher der Stadt, jeder mit seinem Werkzeug der Zerstörung in seiner Hand! 2 Und siehe, sechs Männer kamen auf dem Weg vom oberen Tor, das nach Norden sieht, jeder mit seinem Werkzeug zum Zerschlagen in seiner Hand; und ein Mann war in ihrer Mitte, in Leinen gekleidet, mit einem Schreibzeug an seiner Hüfte; und sie kamen und stellten sich neben den kupfernen Altar. 3 Und die Herrlichkeit des Gottes Israels erhob sich von dem Cherub, über dem sie war, zur Schwelle des Hauses hin. Und er rief dem in Leinen gekleideten Mann, der das Schreibzeug an seiner Hüfte hatte, 4 und der HERR sprach zu ihm: Geh mitten durch die Stadt, mitten durch Jerusalem, und mache ein Zeichen an die Stirn der Leute, die seufzen und jammern über alle Gräuel, die in ihrer Mitte geschehen.

Man kann hierin die Inspiration für John Bunyans (1628–1688) anschauliches Bild des Aufrufs zur Hingabe an die Schlachten des Herrn sehen, wie es der Pilger im Haus des Auslegers erlebt. Bunyans ganzes Wesen war von der Heiligen Schrift durchdrungen, die sein gesamtes Denken und Schreiben prägte.

Aus dem Heiligtum ertönt eine Stimme, die die Verantwortlichen in Jerusalem auffordert, mit den Schwertern des Gerichts in der Hand heranzutreten. Diesem Ruf folgten in der Vision sechs Männer; jeder von ihnen war bewaffnet, um gegen Verstöße gegen das Gesetz Gottes vorzugehen. Unter ihnen befand sich ein Sekretär oder Schreiber. Dieser war mit Leinen bekleidet, dem Symbol der Gerechtigkeit, und hatte Schreibzeug an seiner Seite, wie es in jenen Tagen üblich war. Alle diese Männer nahmen ihren Platz vor dem ehernen Altar ein, der vom Kreuzeswerk unseres Herrn Jesus Christus spricht und in dessen Licht die ganze unbußfertige Welt gerichtet werden soll.

Der Prophet sieht die Herrlichkeit des Gottes Israels, die von ihrem gewohnten Platz zwischen den Cherubim über dem Gnadenthron aufgestiegen war, nun über der Schwelle des Hauses schweben. Der Thron Gottes ist nicht mehr ein Thron der Gnade, sondern des Gerichts, denn die Gnade war verschmäht und die Heiligkeit Gottes missachtet worden.

Die Stimme ist wieder zu hören und wird als die des HERRN erkannt. Er befiehlt dem in Leinen gekleideten Mann, der das Schreibgerät hatte, mitten durch die Stadt Jerusalem zu gehen und ein Zeichen an die Stirn derer zu machen, die in ihrer Seele beunruhigt waren, indem sie seufzten und weinten wegen der vielfältigen Gräuel, die von allen Seiten verübt wurden. Man wird an die 144.000 aus allen Stämmen Israels erinnert, die an ihren Stirnen versiegelt werden sollen, kurz bevor die große Trübsal in all ihrem schrecklichen Zorn über die Welt hereinbricht [Off 7,2-8]. Und wir denken heute an diejenigen, die sich in Buße zu Gott bekehrt haben, an den Herrn Jesus Christus glauben und durch den Heiligen Geist versiegelt und so von denen abgesondert sind, die bei der Ankunft des Herrn – Anathema Maranatha – dem Gericht ausgeliefert sein werden. Die Art des Zeichens auf den Stirnen der in dieser Vision Versiegelten wird nicht angegeben, aber es war sicherlich ein Zeichen dafür, dass sie sich vor Gott selbst gerichtet hatten und an Gottes Seite standen in seiner Haltung gegenüber den Missetaten Judas. 

Verse 5.6

Hes 9,5.6: 5 Und zu jenen sprach er vor meinen Ohren: Geht hinter ihm her durch die Stadt und schlagt; euer Auge verschone nicht, und erbarmt euch nicht. 6 Mordet bis zur Vertilgung Greise, Jünglinge und Jungfrauen und kleine Kinder und Frauen! Aber kommt niemand nahe, an dem das Zeichen ist; und bei meinem Heiligtum sollt ihr anfangen. Und sie fingen an bei den alten Männern, die vor dem Haus waren.

Beim Lesen kommen wir nicht umhin, diese Worte mit der ernsten Botschaft aus 1. Petrus 4,17.18 zu verbinden: „Die Zeit ist gekommen, dass das Gericht anfange bei dem Haus Gottes; wenn aber zuerst bei uns, was wird das Ende derer sein, die dem Evangelium Gottes nicht gehorchen! Und wenn der Gerechte mit Not errettet wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen?“

Den bewaffneten Vollstreckern der Gerechtigkeit wurde befohlen, durch Jerusalem zu ziehen und alle zu erschlagen, die das Siegel nicht an der Stirn trugen. Das Wort lautete: „Bei meinem Heiligtum sollt ihr anfangen.“ So begann das Gericht am Priester des HERRN, der den Namen Gottes entweiht hatte. Genauso wird Gott an allen strenge Vergeltung üben, die sich heute zu seinem Namen bekennen, aber nur „eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen“ (2Tim 3,5). Der Herr wird die bekennende Kirche nicht verschonen, wenn ihre Gieder sein Wort verschmähen und seine Gnade mit Füßen treten, indem sie diese Gnade „in Ausschweifung verkehren“ (Jud 4).

Vers 7

Hes 9,7: Und er sprach zu ihnen: Verunreinigt das Haus und füllt die Vorhöfe mit Erschlagenen; geht hinaus! Und sie gingen hinaus und schlugen in der Stadt.

Weil das Volk Juda den Tempel durch seinen Götzendienst entweiht hatte, wollte Gott ihn durch die Leichen derer, die sich gegen Ihn aufgelehnt hatten, weiter verunreinigen lassen.

Verse 8-11

Hes 9,8-11: 8 Und es geschah, als sie schlugen und ich allein übrig blieb, da fiel ich nieder auf mein Angesicht und schrie und sprach: Ach, Herr, HERR! Willst du den ganzen Überrest Israels verderben, indem du deinen Grimm über Jerusalem ausgießt? 9 Und er sprach zu mir: Die Schuld des Hauses Israel und Juda ist über die Maßen groß, und das Land ist mit Gewalttat erfüllt, und die Stadt ist voll Beugung des Rechts; denn sie sagen: Der HERR hat das Land verlassen, und der HERR sieht uns nicht! 10 So auch ich – mein Auge soll nicht verschonen, und ich werde mich nicht erbarmen; ihren Weg will ich auf ihren Kopf bringen. 11 Und siehe, der in Leinen gekleidete Mann, der das Schreibzeug an seiner Hüfte hatte, brachte Antwort und sprach: Ich habe getan, wie du mir geboten hast.

Hesekiel war von dieser Vision des Abschlachtens der Priester und des Volkes (das bald von den chaldäischen Heeren durchgeführt werden sollte) zutiefst erschüttert und fiel vor Gott auf sein Angesicht nieder. Er flehte Ihn an, nicht den ganzen Überrest Israels zu vernichten, wenn Er seinen Zorn über Jerusalem ausgießen würde. Gott antwortete, dass die Umstände so seien, dass das Gericht nicht länger aufgeschoben werden könne. Da das ganze Volk von Ihm abgewichen sei und alle Bitten, umzukehren und sein Angesicht zu suchen, abgelehnt habe, müsse das Gericht ohne Gnade über sie verhängt werden.

Aber das bedeutete nicht, dass Er die wenigen im Lande vergessen hatte, die seufzten und weinten wegen Zuständen, die sie nicht ändern konnten. Er hatte den Verderbern bereits befohlen, indem Er sagte: „Aber kommt niemand nahe, an dem das Zeichen ist“ (Hes 9,6). Dies war ein deutliches Zeichen seiner Fürsorge für den treuen Überrest.

Als der erste Teil der Vision zu Ende war, berichtete der Mann mit dem Schreibzeug: „Ich habe getan, wie du mir geboten hast.“ Dies sollte den Propheten in Bezug auf diejenigen beruhigen, die sich vor Gott gedemütigt und wegen der Sünde Judas getrauert hatten.

Vorheriger Teil


Originaltitel: „Chapter Nine: The Man With The Inkhorn“
in Expository Notes on Ezekiel, 1949
Quelle: https://plymouthbrethren.org

Übersetzung: Samuel Ackermann


Hinweis der Redaktion:

Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

Bibeltexte im Artikel anzeigen