Anschauungsunterricht
In diesem und im ersten Teil des nächsten Kapitels weist Gott den Propheten an, eine bestimmte Methode anzuwenden, mit der die Aufmerksamkeit auf das Wort gelenkt werden sollte, das Hosea verkünden sollte. Man könnte die Methode als „Kindergartenpädagogik“ [kindergarten method] bezeichnen. In einer Art „Anschauungsunterricht“ sollte Hosea Gottes Handeln mit der Stadt Jerusalem und den Häusern Israel und Juda veranschaulichen. Zuerst wird die Belagerung Jerusalems dargestellt:
Verse 1-3
Hes 4,1-3: 1 Und du, Menschensohn, nimm dir einen Ziegelstein und lege ihn vor dich hin, und zeichne darauf eine Stadt, Jerusalem. 2 Und mache eine Belagerung gegen sie und baue Belagerungstürme gegen sie und schütte gegen sie einen Wall auf und stelle Heerlager gegen sie auf und errichte Sturmböcke gegen sie ringsum. 3 Und du, nimm dir eine eiserne Pfanne und stelle sie als eine eiserne Mauer zwischen dich und die Stadt; und richte dein Angesicht gegen sie, dass sie in Belagerung sei und du sie belagerst. Das sei ein Wahrzeichen für das Haus Israel.
Dies alles geschah, um die Aufmerksamkeit der Gefangenen zu erhalten und sie dazu zu bringen, nach der Bedeutung des Zeichens oder Symbols zu fragen. Zu der Zeit, als der Prophet auf diese Weise die Belagerung Jerusalems veranschaulichte, hatten die Heere der Chaldäer einen Ring um die dem Untergang geweihte Stadt gezogen und drängten auf ihre völlige Kapitulation. Falls sie sich nicht ergeben würden, wären sie allen Schrecken einer orientalischen Plünderung ausgesetzt. Falsche Propheten versuchten, die Gefangenen davon zu überzeugen, dass Gott niemals zulassen würde, dass seine heilige Stadt und sein wunderschönes Heiligtum von den götzendienerischen Heeren Nebukadnezars überrannt und zerstört werden würde. Aber diese Optimisten sprachen aus ihrem eigenen Herzen heraus und nicht durch göttliche Offenbarung oder Inspiration. Die Falschheit ihrer Äußerungen sollte bald offenbar werden. Folgende ernste Tatsachen waren zu berücksichtigen: Die Stadt war bereits durch die lasterhaften Praktiken des Volkes von Juda entehrt, und das Heiligtum war seit Jahren durch die Aufstellung von Bildern heidnischer Götter und Göttinnen in seinem heiligen Bereich verunreinigt worden. Deshalb konnte Gott, der ein eifersüchtiger Gott ist und seine Ehre keinem anderen geben will [Jes 42,8], den Ort, an dem sein Name so schrecklich entweiht worden war, nicht in Gerechtigkeit verteidigen. Gott war sehr langmütig und handelte abwartend mit diesem rebellischen und widerspenstigen Volk. Nun hatte seine langmütige Barmherzigkeit ein Ende. Folglich musste Er sich seinem Volk gegenüber wie ein Feind verhalten und gleichsam die Rolle ihrer grausamen Feinde übernehmen, damit Juda für seine Sünden und vielfältigen Übertretungen gezüchtigt werden konnte. Sein Herz gegenüber seinem Volk hatte sich zwar nicht geändert, aber seine Heiligkeit verlangte, dass Er mit ihnen aufgrund ihrer Sünden handeln musste. Durch ihre Bosheit waren sie ihren Feinden hilflos ausgeliefert, und es war keine Kraft da, um sich dem Unterdrücker zu widersetzen.
Verse 4-8
Das nächste Zeichen hatte einen anderen Charakter und stand doch in engem Zusammenhang mit dem vorangegangenen Zeichen:
Hes 4,4-8: 4 Und du, lege dich auf deine linke Seite und lege darauf die Ungerechtigkeit des Hauses Israel: Nach der Zahl der Tage, die du darauf liegst, sollst du ihre Ungerechtigkeit tragen. 5 Denn ich habe dir die Jahre ihrer Ungerechtigkeit zu einer Anzahl Tage gemacht: 390 Tage. Und du sollst die Ungerechtigkeit des Hauses Israel tragen. 6 Und hast du diese erfüllt, so lege dich zum zweiten Mal auf deine rechte Seite und trage die Ungerechtigkeit des Hauses Juda 40 Tage; je einen Tag für ein Jahr habe ich dir auferlegt. – 7 Und du sollst dein Angesicht und deinen entblößten Arm gegen die Belagerung Jerusalems hin richten, und du sollst gegen sie weissagen. 8 Und siehe, ich lege dir Stricke an, dass du dich nicht von einer Seite auf die andere umdrehen kannst, bis du die Tage deiner Belagerung erfüllt hast.
Die genaue Bedeutung der hier angegebenen Zeiten lässt sich nur schwer nachvollziehen. J.N. Darby kommentiert:
Offenbar beziehen sich diese Zeitbestimmungen weder auf die Dauer des von Juda getrennten Reiches Israel noch auf diejenige des Reiches Juda; denn erstere betrug nur etwa 254 Jahre, während das Reich Juda noch 134 Jahre nach dem Fall Samarias bestanden hat.
Er schlägt daher vor:
Danach scheint der erwähnte längere Zeitraum von der Trennung der zehn Stämme unter Rehabeam bis zur babylonischen Gefangenschaft gerechnet zu sein, wobei jene Jahre deswegen als solche Israels gelten, weil dieses von dem Augenblick der Trennung an unabhängig dastand und den Hauptteil der Nation umfasste, während andererseits unter der Regierung Salomos, welche vierzig Jahre währte, Juda gleichsam alles war. Von der Zeit der Regierung Salomos ab würde dann Juda unter dem allgemeinen Namen Israel mit einbegriffen sein. Dies entspricht der Gewohnheit Hesekiels, obgleich er auch bei bestimmten Veranlassungen, zum Beispiel um der Stellung Zedekias willen und dann wieder im Blick auf zukünftige Handlungen Gottes, Juda von Israel unterscheidet.[1]
Dies ist vielleicht die beste Erklärung für die Zahl der Tage, in denen Hesekiel, stellvertretend für die Jahre, erst auf der einen und dann auf der anderen Seite lag, während das Volk in der Gefangenschaft zusah. Er sollte ihr Zeichen sein, das von der langen Geduld Gottes mit ihren Vätern erzählte und andeutete, dass dieser Tag seiner Barmherzigkeit sich nun rasch seinem Ende zuneigte. Die Hand des HERRN sollte auf ihm ruhen und ihn befähigen, diese mühsamen Mahnwachen zu erfüllen, die sonst für Fleisch und Blut nahezu unmöglich gewesen wären.
Verse 9-17
Das dritte Zeichen sollte die Abscheu des HERRN über die ekelhaften Gräueltaten ausdrücken, die mit den götzendienerischen Praktiken verbunden waren, denen sein Volk von Zeit zu Zeit verfallen war:
Hes 4,9-17: 9 Und du, nimm dir Weizen und Gerste und Bohnen und Linsen und Hirse und Hartweizen, und tu sie in ein Gefäß; und mache dir Brot daraus nach der Zahl der Tage, die du auf deiner Seite liegst: 390 Tage sollst du davon essen. 10 Und deine Speise, die du essen wirst, soll nach dem Gewicht sein: 20 Sekel für den Tag; von Zeit zu Zeit sollst du davon essen. 11 Und Wasser sollst du abgemessen trinken: Ein sechstel Hin; von Zeit zu Zeit sollst du trinken. 12 Und wie Gerstenkuchen sollst du sie essen, und du sollst sie auf Ballen von Menschenkot vor ihren Augen backen. 13 Und der HERR sprach: So werden die Kinder Israel ihr Brot unrein essen unter den Nationen, wohin ich sie vertreiben werde. 14 Da sprach ich: Ach, Herr, HERR! Siehe, meine Seele ist nie verunreinigt worden, und weder Aas noch Zerrissenes habe ich von meiner Jugend an bis jetzt gegessen, und kein Gräuelfleisch ist in meinen Mund gekommen. 15 Und er sprach zu mir: Siehe, ich habe dir Rindermist statt Menschenkot gestattet; und darauf darfst du dein Brot zubereiten. 16 Und er sprach zu mir: Menschensohn, siehe, ich will in Jerusalem den Stab des Brotes zerbrechen; und sie werden Brot nach dem Gewicht und in Angst essen und Wasser abgemessen und in Entsetzen trinken, 17 weil Brot und Wasser mangeln werden und sie miteinander verschmachten und in ihrer Ungerechtigkeit hinschwinden werden.
Für einen frommen Juden wäre die Art und Weise, wie die Nahrung des Propheten nach dem ersten Gebot des HERRN zubereitet werden sollte, unsagbar abscheulich gewesen. Gottlose Menschen verstehen diese Anweisungen falsch und wettern gegen die Annahme, dass ein heiliger Gott jemals eine solche Anweisung gegeben haben könnte. Der Grund hierfür war, dass man die Anweisung, das Essen mit menschlichen Exkrementen zuzubereiten, fälschlicherweise so verstanden hat, als ob sie bedeutete, unreinen Dreck mit dem Gemüse zu vermischen, das der Prophet essen sollte.[2] Aber die Ausscheidungen sollten als Brennmaterial verwendet werden, nicht als Nahrung. Und als Hesekiel (wie Petrus in Cäsarea [Apg 10,13-14]) beteuerte, dass nie etwas Unreines in seinen Mund gekommen sei, ordnete Gott aus Mitleid mit seinem Diener an, dass stattdessen der Dung von Rindern verwendet werden sollte. Jeder, der in den USA in den westlichen Präriegebieten schon einmal ein Feuer mit getrockneten Kuhfladen gemacht hat, versteht sofort, was damit gemeint ist. Das Essen selbst wäre nicht wirklich verunreinigt, aber die Art der Zubereitung sollte den Gefangenen vor Augen führen, dass Gott alles verabscheut, was mit der Anbetung der falschen Götter der Völker zusammenhängt. Götzendienst ist immer unrein und so überaus widerlich, dass nichts zu schmutzig sein kann, um dessen abscheulichen Charakter in den Augen des HERRN darzustellen.
In Zeiten der Hungersnot tun Menschen die abscheulichsten Dinge, um ihren Hunger zu stillen. In einer solchen Notlage befand sich Jerusalem, und je länger die Belagerung andauerte, desto schlimmer wurden die Zustände. Jedoch konnten die Leiden Judas nicht gemildert werden, solange sie sich weigerten, auf die Stimme Gottes zu hören, der durch seine Diener (die Propheten) sprach. Zur gleichen Zeit gab Jeremia in der heiligen Stadt ein ähnliches Zeugnis wie Hesekiel unter den Gefangenen in Chaldäa. Doch das Volk weigerte sich, auf ihn zu hören, und so musste das Gericht seinen Lauf nehmen.
Originaltitel: „Chapter 4: Teaching by Object Lessons“
in Expository Notes on Ezekiel, 1949.
Quelle: www.bibletruthpublishers.com
Übersetzung: Samuel Ackermann
Anmerkungen
[1] J.N. Darby, Betrachtung über den Propheten Hesekiel (Synopsis), Kapitel 4–7. Online verfügbar auf bibelkommentare.de.
[2] Anm. d. Red.: Dies Missverständnis kann bei einem zu flüchtigen Lesen des Vers 12 in der King-James-Übersetzung entstehen. Dort lautet der Vers: And thou shalt eat it as barley cakes, and thou shalt bake it with dung that cometh out of man, in their sight. Auf Deutsch: „Und du sollst sie essen wie Gerstenkuchen und sollst sie mit Dung backen, der von Menschen stammt, vor ihren Augen.“