Der erste Brief des Paulus an Timotheus (1)
Kapitel 1

Stanley Bruce Anstey

© SoundWords, online seit: 10.08.2022, aktualisiert: 06.07.2023

DER AUFTRAG DES APOSTELS AN TIMOTHEUS

Das erste Kapitel ist die Einleitung des Briefes. Das sehen wir an dem, was Paulus zu Beginn des zweiten Kapitels schreibt: „Ich ermahne nun vor allen Dingen …“ (1Tim 2,1). Ab Kapitel 2 beginnen demnach die Ermahnungen, die die Ordnung des Hauses Gottes betreffen; alles, was vorher steht, ist einleitend. Das erste Kapitel ist der apostolische Auftrag von Paulus an Timotheus.

Gruß (V. 1.2)

Verse 1.2

1Tim 1,1.2: 1 Paulus, Apostel Christi Jesu, nach Befehl Gottes, unseres Heilandes, und Christi Jesu, unserer Hoffnung, 2 Timotheus, meinem echten Kind im Glauben: Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Herrn!

Paulus schreibt an Timotheus als „Apostel“. Er erwähnt sein Apostelamt, weil er Timotheus  einen apostolischen Auftrag erteilen will. Paulus bezeichnet sich selbst als Apostel „Christi Jesu“. Wenn er in seinen Briefen sein Apostelamt erwähnt, spricht er davon, dass er es von „Christus Jesus“ erhalten hat (außer im Titusbrief). Steht der Titel des Herrn („Christus“) vor seinem Namen als Mensch („Jesus“), so bedeutet dies: Christus hat die Erlösung vollendet und ist als verherrlichter Mensch in den Himmel zurückgekehrt; Er hat also sein Menschsein in die Herrlichkeit mitgenommen. Paulus hatte sein Apostelamt von Christus in der Höhe als verherrlichter Mensch empfangen (1Kor 9,1.2).

Petrus hingegen nennt sich selbst einen Apostel „Jesu Christi“. Wird der Name des Herrn als Mensch („Jesus“) seinem Titel Christus vorangestellt, so bezeichnet dies den, der vom Himmel kam, um den Willen Gottes durch seinen Tod am Kreuz zu erfüllen. Bemerkenswerterweise nennt Petrus sich selbst so, denn er empfing sein Apostelamt auf der Erde (Lk 6,13-16).

Paulus wurde nach Befehl „Gottes, unseres Heilandes, zum Apostel. Er erwähnt dies, weil er diesen besonderen Charakter Gottes – seine Gnade gegenüber allen Menschen – noch im Laufe seines Briefes betont. „Christus Jesus“ wird als „unsere Hoffnung“ vorgestellt. Nicht sein Kommen ist hier unsere Hoffnung, sondern Christus selbst, der Mittelpunkt der Ziele und des Ratschlusses Gottes. Das Evangelium ist also nicht nur etwas, was uns von der gerechten Strafe für unsere Sünden befreit; es ist auch das, was uns mit dem ganzen System der Herrlichkeit, wo Christus das Ziel und unsere Hoffnung ist, in Übereinstimmung bringt.

Paulus bezeichnet Timotheus als sein „echtes Kind im Glauben“. Das heißt: Timotheus wurde offensichtlich durch die Bemühungen des Paulus errettet, auch wenn dies in der Apostelgeschichte nicht erwähnt wird. In der Begrüßung werden drei Dinge genannt, die von „Gott, dem Vater, und Christus Jesus, unserem Herrn“ kommen: „Gnade, Barmherzigkeit und Friede“. Das ist sozusagen der Vorrat, aus dem Timotheus schöpfen kann, wenn er seinen besonderen Auftrag erfüllt, den er von dem Apostel bekommen hat. Es gibt:

  • „Gnade“ für jede Situation
  • „Barmherzigkeit“, wenn er auf dem Weg versagt
  • „Frieden“ für die verschiedenen schwierigen Situationen, denen er begegnen würde

Es wird oft angemerkt, dass der Apostel Gnade und Frieden erwähnt, wenn er sich an Versammlungen wendet, nicht aber Barmherzigkeit. Wie bereits erwähnt, gibt es Barmherzigkeit für den Einzelnen, der versagt hat und Buße tut. Die Kirche hingegen steht als verantwortliches gemeinsames Zeugnis in dieser Welt, und wenn die Kirche versagt – und das christliche Zeugnis hat tatsächlich versagt –, gibt es keine Gnade im Sinn einer Wiederherstellung, sondern nur Gericht. Daher wird das öffentliche Zeugnis des Christentums auch nicht wiederhergestellt. Das Christentum wird seinen Lauf in dieser Welt beenden, indem es vom Herrn verworfen und aus seinem Mund ausgespien wird (Röm 11,13-27; Off 3,15).

Der Auftrag und dessen Endziel (V. 3-5)

Verse 3.4

1Tim 1,3.4: 3 So wie ich dich bat, als ich nach Mazedonien reiste, in Ephesus zu bleiben, damit du einigen gebötest, nicht andere Lehren zu lehren 4 noch sich mit Fabeln und endlosen Geschlechtsregistern abzugeben, die mehr Streitfragen hervorbringen als die Verwaltung Gottes fördern, die im Glauben ist:

Paulus kommt sogleich auf das Problem zu sprechen, das der Anlass war, diesen Brief zu schreiben: „Einige“ in Ephesus lehrten fremde und nutzlose Dinge, die die Gläubigen nicht im allerheiligsten Glauben erbauten (Jud 20), und das musste unterbunden werden. Paulus hatte die Ältesten in Ephesus schon früher davor gewarnt, dass es in dieser Gegend zum Abfall kommen würde (Apg 20,29-31). Inzwischen hatte der Abfall begonnen und nahm mit einigen Lehrern unter ihnen immer mehr an Fahrt auf. Als Paulus seinen zweiten Brief an Timotheus schreibt, muss er berichten, dass „alle in Asien“ (dessen Hauptstadt Ephesus war) sich von ihm und seiner Lehre „abgewandt“ haben (2Tim 1,15).

Angesichts des bevorstehenden Glaubensabfalls fordert Paulus Timotheus auf, den Lehrern in der Versammlung zu „gebieten“, „nicht andere Lehren zu lehren“ als nur solche, die zur göttlichen Erbauung dienen. Paulus führt die fremden Lehren, die hineinkamen, auf zwei Quellen zurück:

  • Die erste Quelle bezeichnet er als „Fabeln“. Das waren eitle Vorstellungen, die von bekehrten Heiden aus ihrem früheren heidnischen Glauben hineingebracht wurden. Sie waren vor allem griechischen Ursprungs.
  • Die zweite Quelle nennt er „endlose Geschlechtsregister“. Es handelte sich um belanglose Details aus der Historie, die von bekehrten Juden hineingebracht wurden.

Mit diesen Dingen soll Timotheus sich „nicht abgeben“, denn sie würden weder ihm noch den Gläubigen in Ephesus geistlich helfen; sie „bringen  nur Streitfragen hervor“ und „fördern nicht die Verwaltung Gottes, die im Glauben ist“. „Fabeln“ sind falsche Vorstellungen, die der menschlichen Phantasie entspringen, die sich in geistliche Angelegenheiten einmischt. Sie sind das Produkt eines ungerichteten Geistes, der sich mit den Dingen Gottes beschäftigt. „Endlose Geschlechtsregister“ sind im Grunde nur bedeutungslose historische Fakten und Belanglosigkeiten, die die Gläubigen nur ermüden, anstatt sie mit geistlicher Nahrung zu versorgen.

Wir dürfen nicht meinen, diese Probleme hätten zwar die frühe Kirche beunruhigt, wären in unserer Zeit jedoch bedeutungslos. „Fabeln“ und „Geschlechtsregister“ sind immer noch eine Gefahr im christlichen Dienst. Haben wir nicht schon gehört, wie manche, deren Denken nicht den gesunden Grundsätzen biblischer Auslegung unterworfen ist, phantasievolle Auslegungen der Schrift vorgebracht haben, die reine Einbildung sind? Und hat es uns nicht geschmerzt, etwas anzuhören, was sich als Predigt ausgibt, jedoch nur natürliche, irdische und historische Gedanken enthält und nichts, was geistlich ist? Solche Inhalte mögen manchen Zuhörern gefallen, doch sie legen in den Seelen kein Fundament der Wahrheit, wodurch sie im Glauben befestigt werden (Röm 16,25; Kol 2,7).

Es ist durchaus möglich, die Zeit im Dienst mit Dingen zu verbringen, die die Gläubigen nicht in der Wahrheit erbauen. Timotheus soll diese Art von nutzlosem Dienst tadeln und diejenigen, die in der Versammlung dienen, „auffordern“, „nicht andere Lehren zu lehren“ als die, die „Gottes Verwaltung fördern“.

Die „Verwaltung Gottes zu fördern“ bedeutet, die christliche Offenbarung der Wahrheit so darzulegen, dass die Gläubigen ihre Berufung in Christus und ihre jeweiligen Verantwortlichkeiten im Haus Gottes verstehen, und zwar sowohl individuell als auch kollektiv. Die besondere Offenbarung der Wahrheit im Christentum, die den Gläubigen in Verbindung mit der gegenwärtigen Berufung der Kirche überliefert ist, hat himmlischen statt irdischen Charakter (Jud 3). Sie ist etwas Neues und unterscheidet sich vom System des Gesetzes in der mosaischen Haushaltung, und sie sollte der Schwerpunkt des Dienstes im Haus Gottes der christlichen Zeitepoche sein. Die gegenwärtige Verwaltung wird nicht nur dadurch gefördert, dass lehrmäßige Wahrheiten über die Kirche gelehrt werden, sondern sie schließt auch praktische Aspekte mit ein, die die moralische Ordnung des Verhaltens im Haus Gottes betreffen. (Ein Beispiel für die Förderung der Verwaltung Gottes in diesem praktischen Sinn sehen wir in Kapitel 2, wo Paulus über die Stellung von Mann und Frau im Haus Gottes lehrt.) Während das Ziel des christlichen Dienstes darin besteht, Christus in seiner Herrlichkeit und Schönheit darzustellen, besteht der Zweck des christlichen Dienstes darin, „die Verwaltung Gottes“ in den Seelen der Gläubigen zu fördern.

Vers 5

1Tim 1,5: Das Endziel des Gebotes aber ist: Liebe aus reinem Herzen und gutem Gewissen und ungeheucheltem Glauben, …

Das „Endziel“, das der Apostel mit seinem „Gebot“ (dem Auftrag) an Timotheus verfolgt, besteht darin, dass die Gläubigen sich in einem guten geistlichen Zustand befinden sollen, so dass sie ihr Glaubensleben gemäß der Ordnung führen, die dem Haus Gottes angemessen ist. Auf diese Weise würden sie vor der Welt ein gutes Zeugnis von dem wahren Charakter Gottes ablegen.

Dieser gute geistliche Zustand, den Paulus bei den Gläubigen anstrebt, lässt sich in drei Eigenschaften zusammenfassen: „Liebe aus reinem Herzen“, ein „gutes Gewissen“ und „ungeheuchelter Glaube“. Ein Gläubiger in einem guten geistlichen Zustand zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus:

  • Liebe aus reinem Herzen:
    Das ist ein Herz voller Liebe zu allen Menschen mit aufrichtigen Beweggründen. Unreine und hinterhältige Motive behindern wahre christliche Liebe.
  • Ein gutes Gewissen:
    Ein gutes Gewissen erlangt man nicht dadurch, dass man darauf achtet, in seinem christlichen Wandel nie zu versagen. Wenn das so wäre, hätte niemand ein gutes Gewissen, denn „wir alle straucheln oft“ (Jak 3,2). Vielmehr geht es darum, ein aufrichtiges Herz zu haben, das sich regelmäßig selbst beurteilt (vgl. 1Kor 11,28).
  • Ungeheuchelter Glaube:
    Ungeheuchelter Glaube ist ein unerschütterliches Vertrauen in die Güte Gottes.

Das Ziel des Auftrags besteht also nicht nur darin, dass die Gläubigen in der Lehre rechtgläubig sind, sondern auch, dass sie moralisch dem Charakter Gottes entsprechen. Was Paulus damit sagen will, ist klar: Wenn man den Gläubigen gesunde Lehre bringt, die die Verwaltung Gottes fördert,  so wirkt sich das bei ihnen in ihrer Praxis aus. Dies bestätigt das alte Sprichwort: „Unsere Lehre formt unseren Wandel.“ Gesunde Lehre führt zu gutem Lebenswandel; falsche und nutzlose Lehre tut dies nicht, sie führt vielmehr zu Gottlosigkeit (2Tim 2,16). Aus diesem Grund besteht Paulus in diesem Brief siebenmal auf „gesunder Lehre“ (1Tim 1,10; 4,1.6.13.16; 5,17; 6,1).

Zusammengefasst lautet der Auftrag an Timotheus: Er soll „die Verwaltung Gottes fördern“, indem er die Gnade Gottes verkündet. Das „Endziel“ ist, dass die Gläubigen in einem Zustand gefunden werden, der sie zu einem Wandel befähigt, der der Ordnung des Hauses Gottes angemessen ist.

EIN EINSCHUB

Die richtigen und falschen Wege, um ein moralisches Verhalten zu erzielen, das dem Haus Gottes angemessen ist (V. 6-17)

Paulus unterbricht seine Ausführungen über seinen Auftrag an Timotheus und zeigt in einem Einschub, dass es einen richtigen und einen falschen Weg gibt, wie man bei den Gläubigen angemessenes moralisches Verhalten erreicht: Er stellt Gesetz und Gnade einander gegenüber und zeigt, dass Gnade der einzige Weg ist, um die moralischen Eigenschaften zu erreichen, die er in Vers 5 nennt.

Dieser Exkurs ist notwendig, weil viele die falsche Vorstellung hatten, dass sie praktische Heiligkeit und größere Geistlichkeit erreichen, wenn sie in ihrem Leben gesetzliche Prinzipien befolgen. Paulus zeigt auf, dass so eine Ansicht ein Missbrauch des Gesetzes ist und dass Gesetzlichkeit in den Gläubigen nichts bewirkt, was reell und dauerhaft ist. Dann verweist er auf sein eigenes Leben, um zu verdeutlichen, was Gnade bewirken kann; sie verwandelte den unmöglichsten Fall in der Geschichte: Die Gnade machte aus dem Ersten der Sünder einen Musterchristen, dessen Leben ein Leitbild ist für alle, die nach ihm zum Glauben kommen.

Verse 6.7

1Tim 1,6.7: … 6 wovon einige abgeirrt sind und sich zu leerem Geschwätz gewandt haben; 7 die Gesetzeslehrer sein wollen und nicht verstehen, weder was sie sagen noch was sie fest behaupten.

„Einigen“ fehlten die moralischen Eigenschaften aus Vers 5, und sie hatten sich von der Gnade Gottes, die Gottes Verwaltung fördert, „abgewandt“. Diese Menschen förderten eine andere Richtung, die Paulus als „leeres Geschwätz“ bezeichnet. Dieses Element war jüdischen Ursprungs (judaisierende Lehrer) und war in der frühen Kirche der Fluch des christlichen Zeugnisses; viele Briefe warnen vor dem Irrtum, Gesetz und Gnade miteinander zu vermischen. Bedauerlicherweise sind jüdische Prinzipien auch heute noch in vielen christlichen Kreisen weit verbreitet.

Diese judaisierenden Lehrer bildeten sich ein, „Gesetzeslehrer“ zu sein, doch sie „verstanden“ selbst nicht, was sie lehrten. Sie „behaupteten fest“, Christen müssten das Gesetz halten. Diese Männer lehrten aus dem alttestamentlichen mosaischen Gesetz, doch sie wandten es völlig falsch an. Es ist demnach möglich, in der biblischen Belehrung Worte und Sätze aus der Heiligen Schrift zu verwenden und dennoch nicht ihre wahre Bedeutung und Anwendung zu kennen. Achten wir also darauf, dass wir bei der Auslegung der Heiligen Schrift „das Wort der Wahrheit recht teilen“ (2Tim 2,15).

Vers 8

1Tim 1,8: Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn jemand es gesetzmäßig gebraucht, …

Paulus zeigt nun, dass „das Gesetz gut ist“, wenn es richtig angewendet wird. Er bezeichnet die Früchte der menschlichen Phantasie zu Recht als bloße Fabeln (1Tim 1,4), aber vom Gesetz konnte er das nicht sagen. Es war Gottes Gesetz und war „heilig und gerecht und gut“ (Röm 7,12). Der Christ kann das Gesetz benutzen, um das Böse zu verurteilen und zu zeigen, dass das Gericht Gottes sich gegen die richtet, die Böses tun. Es ist also ein nützliches Werkzeug, um jemand zu zeigen, dass er ein Sünder ist. Aber, so sagt Paulus, „für einen Gerechten ist das Gesetz nicht bestimmt“ (1Tim 1,9) – das heißt, das Gesetz ist nicht bestimmt für jemand, den Gott für gerecht erklärt hat, weil er an das Evangelium glaubt (Röm 3,22; 4,5). In der Heiligen Schrift gilt der Christ als dem Gesetz gestorben (Röm 7,4-6). Weil das Gesetz einem toten Menschen nichts mehr zu sagen hat, hat es auch keinen Anspruch mehr auf den Gläubigen (Röm 6,14). Die Gesetzesgelehrten in Ephesus wussten das offensichtlich nicht und versuchten, den Christen die Vorschriften des Gesetzes aufzuerlegen und damit das mosaische Gesetz zur Richtschnur oder zum Maßstab für das christliche Leben zu machen. Doch das Gesetz ist nicht der Maßstab für den Christen; sein Maßstab ist Christus. Die Richtschnur für das christliche Leben ist das Leben Christi, das in seinem moralischen Charakter viel höher ist als die mosaischen Gesetze. Indem wir „das Gesetz Christi“ erfüllen, das heißt, indem wir Christus in unserem Wandel und Verhalten nacheifern (Gal 6,2), gehen wir weit über „die Rechtsforderung des Gesetzes“ hinaus (Röm 8,4; 14,8-10).

Obwohl „das Gesetz gut ist, wenn jemand es gesetzmäßig gebraucht {d.h. richtig anwendet}“, kann es auch missbraucht werden; und wenn es falsch gebraucht wird, richtet es Unheil unter den Gläubigen an, wie der Brief des Paulus an die Galater zeigt. Das Gesetz war nicht dazu bestimmt, dem Menschen Heiligkeit zu verleihen; das Gesetz verlangte sie von ihm, aber es hatte nicht die Macht, sie in ihm zu erzeugen. Wer darauf pocht, dass der Gläubige in seinem Leben das Gesetz einhalten müsste, der missversteht die wahre Bedeutung und den richtigen Gebrauch des Gesetzes.

Das Gesetz verurteilt Sünder (V. 9-11)

Verse 9-11

1Tim 1,9-11: … 9 indem er dies weiß, dass für einen Gerechten das Gesetz nicht bestimmt ist, sondern für Gesetzlose und Zügellose, für Gottlose und Sünder, für Unheilige und Ungöttliche, für Vaterschläger und Mutterschläger, für Menschenmörder, 10 Hurer, Knabenschänder, Menschenräuber, Lügner, Meineidige und wenn etwas anderes der gesunden Lehre entgegen ist, 11 nach dem Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes, das mir anvertraut worden ist.

Der richtige Gebrauch des Gesetzes wird im nächsten Abschnitt erklärt. Sein Hauptzweck ist nicht (und war nie), die Menschen zu einem gerechten Wandel zu bewegen, sondern zu zeigen, dass das Gericht Gottes gegen jedes böse Prinzip im Menschen gerichtet ist. Das Gesetz ist ein Schwert für das Gewissen, das den Menschen zur Erkenntnis führt, dass er gesündigt hat (Röm 3,20); aber es hat keine Kraft, das Gute im Menschen hervorzubringen (Röm 3,19; Gal 3,19).

Paulus veranschaulicht diesen Gedanken, indem er eine Reihe von Vergehen aufzählt, die das mosaische Gesetz verurteilt. Neun der zehn Gebote sind in dieser Aufzählung enthalten. „Gesetzlose und Zügellose, Gottlose und Sünder, Unheilige und Ungöttliche“ – das bezieht sich auf diejenigen, die die erste Tafel der Gebote ganz allgemein übertreten. Die erste Tafel (die ersten vier Gebote) hat mit der Verantwortung des Menschen gegenüber Gott zu tun. „Gottlose“ sind Menschen, die ein Leben ohne Gott führen. „Unheilige und Ungöttliche“ – das hat mit der Verderbnis heiliger Dinge zu tun, die Gott betreffen.

Der Rest der Liste bezieht sich auf die zweite Tafel des Gesetzes und hat mit der Verantwortung des Menschen gegenüber seinen Mitmenschen zu tun:

  • „Vaterschläger und Mutterschläger“:
    Dies verstößt gegen das fünfte Gebot: „Ehre deinen Vater und deine Mutter“ (2Mo 20,12).
  • „Menschenmörder“:
    Dies verstößt gegen das sechste Gebot: „Du sollst nicht töten“ (2Mo 20,13).
  • „Hurer“ und „Knabenschänder“:
    Dies verstößt gegen das siebte Gebot: „Du sollst nicht ehebrechen“ (2Mo 20,14).
  • „Menschenräuber“:
    Dies verstößt gegen das achte Gebot: „Du sollst nicht stehlen“ (2Mo 20,15).
  • „Lügner“ und „Meineidige“:
    Dies verstößt gegen das neunte Gebot: „Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen“ (2Mo 20,16).

Der letzte Teil von Vers 10 („und wenn etwas anderes der gesunden Lehre entgegen ist“) fasst alle Gebote zusammen und schließt in gewisser Weise das zehnte Gebot ein: „Du sollst nicht begehren“ (2Mo 20,17). Die anderen Gebote beziehen sich auf Handlungen, doch dieses Gebot hat mit der Gesinnung zu tun. Paulus schien irgendwann nach seiner Bekehrung zur Einsicht gekommen zu sein, dass er das zehnte Gebot übertreten hatte (Röm 7,7-9). Viele Ausleger glauben, dass er dies lernte, als er nach Arabien ging und die Übungen aus Römer 7,7-25 durchlief, und dass er auf diese Weise praktische Befreiung von der innewohnenden Sündennatur fand.

Paulus fügt hinzu, dass dieser richtige Gebrauch des Gesetzes „nach dem Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes“ ist, das er verkündete. Dies zeigt: Das Gesetz stimmt mit dem Evangelium völlig überein in dem Sinn, dass beide die Heiligkeit Gottes hochhalten. Der Maßstab der Heiligkeit, der im Evangelium verkündet wird, ist jedoch viel höher als der im Gesetz, denn das Evangelium der Herrlichkeit Gottes stellt einen verherrlichten Christus in den Mittelpunkt. Deshalb sagt Paulus in seiner Evangeliumsverkündigung: „Alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes“ (Röm 3,23). Er sagt nicht: „Alle haben gesündigt und sind dem Gesetz nicht gerecht geworden.“

Wenn Paulus von dem „Evangelium des seligen Gottes“ spricht, bezieht er sich auf den höchsten und umfassendsten Charakter des Evangeliums, das in der christlichen Epoche gepredigt wird. An anderer Stelle sagt er, dass er „das Evangelium der Gnade Gottes“ predigt (Apg 20,24). Es handelt sich nicht um zwei verschiedene Evangelien, sondern um zwei Aspekte desselben Evangeliums:

  • Das Evangelium der Gnade Gottes verkündet, dass Gott in der Person Christi herabgekommen ist und dass Christus die Erlösung für die ganze Menschheit vollbracht hat.[1]
  • Das Evangelium der Herrlichkeit Gottes verkündet, dass Gott Christus aus den Toten auferweckt und Ihn zu seiner Rechten in der Herrlichkeit gesetzt hat.

Dieser zweite Aspekt der Botschaft besagt, dass es einen verherrlichten Menschen zur Rechten Gottes gibt und dass der Gläubige dort in Ihm von Gott angenommen ist. Die anderen Apostel predigten das Evangelium der Gnade Gottes; auch Paulus predigte es, doch er hatte einen besonderen Auftrag, nämlich das Evangelium der Herrlichkeit Gottes zu predigen, und deshalb nennt er es „mein Evangelium“ (Röm 2,16.25; 2Tim 2,8).

Die Aussage, dass Gott „der selige Gott“ ist, stimmt mit dem Anliegen des Apostels in diesem Brief überein. „Selig“ bedeutet „glücklich“. Die Vorstellung von Gott als einem glücklichen Gott, der den Segen seiner Geschöpfe will, entspricht dem „Zeugnis, das zu seiner Zeit“ – dem Tag der Gnade – „verkündigt“ werden sollte (1Tim 2,6). Die Auffassung von einem „seligen Gott“ ist das genaue Gegenteil der heidnischen Gottesvorstellungen. Die Heiden entwerfen ihre Götzen und Götzenbilder nach ihren eigenen Vorstellungen von Gott und stellen Gott immer als traurig oder zornig dar. Das Evangelium hingegen stellt Gott so dar, wie Er wirklich ist: ein „seliger“, glücklicher Gott, der den Segen seiner Geschöpfe will.

Gnade bekehrt und verwandelt Sünder (V. 12-17)

Verse 12-14

1Tim 1,12-14: 12 Ich danke Christus Jesus, unserem Herrn, der mir Kraft verliehen hat, dass er mich für treu erachtet hat, indem er den in den Dienst stellte, 13 der zuvor ein Lästerer und Verfolger und Gewalttäter war; aber mir ist Barmherzigkeit zuteilgeworden, weil ich es unwissend im Unglauben tat. 14 Über die Maßen aber ist die Gnade unseres Herrn überströmend geworden mit Glauben und Liebe, die in Christus Jesus sind.

Das Gesetz verurteilt die Sünder; im Gegensatz dazu bekehrt die Gnade die Sünder! Paulus verweist auf seine eigene Bekehrung als herausragendes Beispiel für die Kraft der Gnade. Die Gnade bekehrte ihn; das Gesetz vermochte das nicht. Die Forderungen des Gesetzes sind unbeugsam und können einen Menschen nur zum Tod verurteilen, wenn er sie nicht erfüllt. Doch die Erhabenheit des „Evangeliums der Herrlichkeit“ brachte Paulus (damals Saulus von Tarsus) dazu, sich selbst in einem Licht zu sehen, das er nie zuvor gesehen hatte: Er sah sich als einen Sünder, der dieser großen Herrlichkeit nicht gerecht geworden war (Apg 9,3-6). Bis zu diesem Tag dachte er nämlich, dass er das Gesetz gehalten hätte (Apg 23,1); doch als die Herrlichkeit Gottes in seine Seele schien, machte er zwei große Entdeckungen:

  • Erstens war er „ein Lästerer und Verfolger und Gewalttäter“. (Ein „Lästerer“ hatte die erste Tafel des Gesetzes gebrochen; „ein Verfolger und Gewalttäter“ hatte auch die zweite Tafel gebrochen; Jak 2,10.)
  • Zweitens ist Christus der Retter der Sünder.

Das Evangelium erleuchtete ihn; es führte ihn dazu, sich selbst als Sünder zu sehen und Christus als den Erretter zu erkennen. Das Evangelium brachte Paulus dazu, sich selbst so zu sehen, wie Gott ihn sah, und wandte ihn demjenigen zu, den er verworfen hatte, indem er Ihn als „Herrn“ bekannte (Apg 9,5). Zwei göttliche Dinge wirkten nun in seiner Seele: „Barmherzigkeit“ (1Tim 1,13) und „Gnade“ (1Tim 1,14). Diese beiden Dinge kann das Gesetz Menschen, die erkennen, dass sie gegen Gott gesündigt haben, nicht bieten (vgl. Heb 10,28).

Vers 15

1Tim 1,15: Das Wort ist gewiss und aller Annahme wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, um Sünder zu erretten, von denen ich der erste bin.

Die Schlussfolgerung: „Das Wort ist gewiss“, dass die Barmherzigkeit und Gnade Gottes im Evangelium verherrlicht wird, und ist „aller Annahme wert“. Das heißt, das Wort ist es wert, dass es von allen Menschen angenommen wird. Wenn Gott durch seine Barmherzigkeit und Gnade den „ersten“ der Sünder erretten kann, dann kann Er jeden erretten, der die Botschaft des Evangeliums im Glauben annimmt!

Vers 16

1Tim 1,16: Aber darum ist mir Barmherzigkeit zuteilgeworden, damit an mir, dem ersten, Jesus Christus die ganze Langmut erzeige, zum Vorbild für die, die an ihn glauben werden zum ewigen Leben.

Paulus nennt noch einen Grund, warum ihm „Barmherzigkeit zuteilwurde“: Seine Bekehrung sollte ein Vorbild („Muster“) sein „für die, die an Jesus Christus glauben werden zum ewigen Leben“. Die Barmherzigkeit und Gnade Gottes bewahrte Saulus von Tarsus nicht nur vor der Hölle, sondern machte ihn auch zu einem Vorbild für Christen! Durch die Macht Gottes wurde aus dem größten der Sünder der größte Heilige. Dies geschah durch Gnade, nicht durch das Gesetz. Die gute Nachricht ist: Dieselbe Gnade kann alle verwandeln, die an das Evangelium der Herrlichkeit glauben. Weil das christliche Leben des Paulus ein Vorbild für uns ist, ist es nicht falsch, wenn wir danach trachten, den Glauben, die Hingabe und die Selbstaufopferung usw. des Paulus durch die Gnade nachzuahmen (Eph 5,1; Phil 3,17).

Vers 17

1Tim 1,17: Dem König der Zeitalter aber, dem unvergänglichen, unsichtbaren, alleinigen Gott, sei Ehre und Herrlichkeit von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Paulus erinnert sich an die unermessliche Barmherzigkeit und Gnade Gottes ihm gegenüber und bricht in einen Lobgesang aus auf den „König der Zeitalter …, den unvergänglichen, unsichtbaren, alleinigen Gott“. Gott ist „der König der Zeitalter“: Er ist „unvergänglich“, was seine göttliche Natur betrifft, und „unsichtbar“, was seine unergründlichen Wege betrifft. Wenn Timotheus diese große Person vor Augen hätte, würde es ihm nicht an Hingabe oder Energie fehlen, um den apostolischen Auftrag des Paulus auszuführen.

Dieser Exkurs lehrt uns also Folgendes: Die Gläubigen können den Zustand, den sie brauchen, um so zu wandeln, wie es der Ordnung des Hauses Gottes entspricht, nicht erreichen, indem sie das Gesetz befolgen, sondern indem sie die Gnade empfinden, die im Herzen wirkt.

Der Auftrag wird fortgesetzt (V. 18-21)

Vers 18

1Tim 1,18: Dieses Gebot vertraue ich dir an, mein Kind Timotheus, gemäß den vorher über dich ergangenen Weissagungen, damit du durch diese den guten Kampf kämpfst, …

Nach dem Exkurs kehrt Paulus zu seinem eigentlichen Anliegen zurück und nimmt den Auftrag, den er in den Versen 3 bis 5 begonnen hat, wieder auf. Er fügt dem, was er Timotheus bereits gesagt hat, noch etwas hinzu: Er erinnert Timotheus daran, dass Gott ihn für dieses Werk auserwählt hat. Es waren „Weissagungen“ ergangen, dass Timotheus eine Gabe empfangen hatte und nützlich sein würde im Dienst des Herrn. In der Kraft des Heiligen Geistes hatten Brüder geweissagt, dass Gott Timotheus in seinem Dienst gebrauchen würde. Die Ältesten erkannten dies ebenfalls und gaben ihm die rechte Hand der Gemeinschaft (1Tim 4,14). Paulus erwähnt dies hier, weil Timotheus möglicherweise Zweifel geäußert hatte, ob er für diese Arbeit geeignet wäre. Da Paulus jedoch wusste, dass Gott durch den Geist über ihn gesprochen hatte und dass die Ältesten dem zugestimmt hatten, konnte er sicher sein, dass Gott ihm die Gnade geben würde, den Auftrag auszuführen.

Glaube und ein gutes Gewissen (V. 19)

Vers 19

1Tim 1,19: … indem du ˹den˺ Glauben bewahrst und ein gutes Gewissen, das einige von sich gestoßen und so, was den Glauben betrifft, Schiffbruch erlitten haben; …

Aber da war noch etwas anderes: Wenn Timotheus die Gläubigen zu einem Verhalten leiten soll, das dem Haus Gottes angemessen ist, muss er auf den Zustand seiner eigenen Seele achten, indem er „˹den˺ Glauben bewahrt und ein gutes Gewissen“. Derselbe moralische Zustand, auf den Timotheus bei den Gläubigen hinarbeiten soll, muss auch bei ihm selbst zu finden sein. Der Grund, warum Paulus hier nicht wie in Vers 5 von „Liebe aus reinem Herzen“ spricht, liegt vielleicht darin, dass es offensichtlich ist, dass Timotheus die Gläubigen innig liebt und für sie sorgt (Phil 2,20).

  • Erstens soll Timotheus „den Glauben bewahren“. Dies bezieht sich auf seinen persönlichen Glauben – seine Seele soll auf Gott vertrauen. Diesen Glauben soll er klar und einfach aufrechterhalten, und zwar nicht, um sein Seelenheil zu bewahren – das ist für immer sicher –, sondern um sich vor Zweifeln zu schützen, die der Feind in sein Herz säen würde und die sein Vertrauen in Gott erschüttern würden. Es sollte uns nicht überraschen, dass Satan versucht, den Glauben der Christen zu zerstören – besonders bei denen, die im Dienst des Herrn stehen. Oft benutzt Satan schwierige Lebensumstände, um in unserem Herzen die Frage zu erwecken, ob Gott sich wirklich um uns kümmert und für uns sorgt. Wenn solche Zweifel aufkommen – und das werden sie mit Sicherheit –, müssen wir „den Schild des Glaubens“ erheben und diese „feurigen Pfeile auslöschen“ (Eph 6,16), indem wir daran denken, dass „denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken“ (Röm 8,28). Das erste Anzeichen dafür, dass der Glaube eines Menschen unter dem Druck des Feindes auf diese Weise ins Wanken gerät, ist, dass er auf seinem Glaubensweg entmutigt wird. Lasst uns auf der Hut sein (1Pet 5,8).

  • Zweitens soll Timotheus „ein gutes Gewissen“ bewahren. Dieses erhält man nicht dadurch aufrecht, dass man nie sündigt. Das wäre wirklichkeitsfremd, denn „wir alle straucheln oft“ auf die eine oder andere Weise (Jak 3,2). Ein gutes Gewissen erhält man sich dadurch, dass man sich regelmäßig selbst beurteilt. Tägliches Selbstgericht, selbst in den kleinsten Dingen, ist unerlässlich, um nicht auf die Klippen zuzutreiben und geistlichen Schiffbruch zu erleiden. Wenn wir in wahrer Buße unsere Sünde aufrichtig bekennen, so bringt das die Seele wieder in die Gemeinschaft mit Gott zurück (1Joh 1,9). Gott im Alltag immer wieder Rechenschaft abzulegen (und nicht auf einen anderen, günstigeren Zeitpunkt zu warten, um Ihm eine Sünde zu bekennen), ist notwendig, um einen guten Seelenzustand zu bewahren.

Ein „gutes“ Gewissen unterscheidet sich von einem „gereinigten {o. vollkommenen}“ Gewissen (Heb 9,9.14; 10,1.2.12-14). Das „gute“ Gewissen bezieht sich auf unseren Zustand und das „gereinigte“ Gewissen auf unsere Stellung vor Gott. Sobald jemand das vollbrachte Werk Christi verstanden hat und im Glauben darauf ruht, nimmt der Geist Gottes Wohnung in ihm und gibt ihm ein gereinigtes Gewissen in Bezug auf die ewige Strafe für seine Sünden. Aber ein Gläubiger mit einem gereinigten Gewissen kann sein gutes Gewissen verlieren, wenn er Sünde in seinem Leben zulässt. Zwar verliert er nicht sein Heil, doch seine Gemeinschaft mit Gott ist unterbrochen; und deshalb sind Bekenntnis und Buße notwendig, um sie wiederzuerlangen.

Wenn ein Mensch sein gutes Gewissen ablegt, indem er sich weigert, sich selbst zu richten, wie Paulus das über einige sagt, dann wird er,  „was den Glauben betrifft, Schiffbruch erleiden“. J.N. Darby merkt an, dass sich die zweite Verwendung des Wortes „Glauben“ in Vers 19 („was den Glauben betrifft“) auf das Glaubensgut bezieht, das heißt, auf die Offenbarung der Wahrheit, die den Heiligen einmal überliefert worden ist (Jud 3). Wenn der Artikel „der“ im Text vor dem Wort „Glauben“ steht (wie hier beim zweiten Vorkommen von „Glauben“), so bezieht sich der Begriff auf die christliche Offenbarung der Wahrheit, das Glaubensgut. Steht der Artikel dort nicht,[2] bezieht sich „Glaube“ auf den persönlichen Glauben an Gott. Schiffbruch zu erleiden in Bezug auf „den Glauben“ bedeutet also, dass jemand in Bezug auf die christliche Wahrheit vom Kurs abweicht. Am Anfang mag das noch geringfügig sein, aber mit der Zeit wird die Abweichung immer offensichtlicher. Nicht die Wahrheit an sich erleidet Schiffbruch, sondern das, was so jemand an Lehre vertritt, wird fehlerhaft. Weil schlechte Lehren selten allein reisen, wird seine Theologie im Laufe der Zeit immer mehr falsche Elemente anhäufen.

Dass ein Christ sündigt, ist schon schlimm genug; aber noch schlimmer ist es, wenn er nicht bereit ist, Sünde zu verurteilen. Das ist der Grund, warum jemand auf einen Kurs gerät, der zum Schiffbruch führt. Es beginnt damit, dass er eine Sünde, und sei sie noch so klein, nicht verurteilt. Infolgedessen verliert er sein gutes Gewissen und wird unruhig, weil er ständig damit beschwert ist. Fast ausnahmslos wird er seine Lehre ändern, um sie an seinen Kurs anzupassen und zu rechtfertigen – aber das führt zu seiner geistlichen Zerrüttung, soweit es sein persönliches Zeugnis über die Wahrheit betrifft.

Vers 20

1Tim 1,20: … unter denen Hymenäus ist und Alexander, die ich dem Satan überliefert habe, damit sie durch Zucht unterwiesen würden, nicht zu lästern.

Zwei Männer – „Hymenäus und Alexander“ – werden angeführt als Beispiele für Gläubige, die in ihrem christlichen Zeugnis Schiffbruch erlitten. Sie dienen als Warnung für alle, die nicht darauf achten, „Glauben zu bewahren … und ein gutes Gewissen“. Diese Männer kamen unter das Urteil des Apostels und wurden „dem Satan überliefert, damit sie durch Zucht unterwiesen würden, nicht zu lästern“. Sie waren so sehr vom Kurs abgekommen, dass sie die Dreistigkeit besaßen, Dinge zu lehren, die die Personen der Gottheit herabsetzten – und das ist Lästerung. Der Apostel schloss sie aus der Gemeinschaft aus und überließ sie der Welt, wo Satan sich mit ihnen befassen konnte.

Wir sehen darin: Es gibt einen Aspekt der praktischen Errettung vor dem Feind unserer Seelen, dadurch dass wir in der Versammlung sind, also „drinnen“. Diese Männer wurden außerhalb der Versammlung gestellt, und so verloren sie diesen Schutz. J.N. Darby sagt:

Satan hat in der Versammlung (wenn sie in ihrem regelrechten Zustand ist) keine derartige Macht. Sie ist vor ihm geborgen als die Wohnstätte des Heiligen Geistes und wird durch Gott und die Macht Christi beschützt. Satan kann uns persönlich versuchen, aber er hat kein Recht über die Glieder der Versammlung als solche. Sie sind „drinnen“, und so schwach sie auch sein mögen, kann doch Satan dort nicht eindringen. Wohl können sie ihm überliefert werden zu ihrem Heil, und die Geschichte Hiobs beweist, dass dies zu allen Zeiten stattfinden kann. Aber die Versammlung sollte die Kenntnis der Wege Gottes mit den Seinen haben und die Bewahrerin und das Werkzeug zur Erfüllung dieser Wege sein. Innerhalb der Versammlung ist der Heilige Geist, und Gott wohnt durch den Geist in ihr als in seinem Haus; außerhalb derselben ist die Welt, deren Fürst Satan ist. Der Apostel hatte vermöge der ihm verliehenen Macht (denn es ist eine Handlung wirklicher Macht) diese zwei Männer, Hymenäus und Alexander, der Macht des Feindes überliefert, sie also des Schutzes, den sie in der Versammlung genossen, beraubt.[3]

Wenn wir der Bedeutung der Namen dieser beiden Männer etwas entnehmen können, was auf ihren Charakter hinweist, erhalten wir eine ernste Warnung:

  • Hymenäus bedeutet „Hochzeitslied“. Das deutet darauf hin, dass Hymenäus ein angenehmes Auftreten hatte. Wir sollten zwar alle danach streben, in unserem Charakter Christus ähnlich zu sein, aber wenn unser Charakter nicht echt ist, kann er auch trügerisch sein. Es besteht die Gefahr, dass wir angetan sind von Menschen, die freundlich reden und sich gut benehmen. Wir könnten dadurch überrascht werden. Vielleicht konnte dieser Mann sich sehr gut in Szene setzen, doch er vertrat gotteslästerliche Lehren! Lasst uns vor solchen Menschen gewarnt sein.

  • Alexander (wahrscheinlich dieselbe Person, die in 2. Timotheus 4,14.15 erwähnt wird) bedeutet „Verteidiger des Menschen“. Dieser Mann stand in direkter Opposition zum Dienst des Paulus, der dem ersten Menschen in den Dingen Gottes keinen Platz einräumt. Sein Name deutet darauf hin, dass er sich der Wahrheit widersetzte und versuchte, dem natürlichen Menschen im Fleisch einen Platz in der Kirche Gottes zu geben.

Kurz gesagt besteht Paulus auf zwei Dingen, die wesentlich sind, um einen guten Seelenzustand im Dienst für den Herrn aufrechtzuerhalten:

  • „Glaube“, der Gott miteinbezieht
  • „ein gutes Gewissen“, das sich selbst richtet und die Sünde meidet

Ohne diese beiden Dinge wäre Timotheus nicht in der Lage, „einen guten Kampf zu kämpfen“. Er wäre nicht in der Lage, im Glaubenskampf vor dem Feind zu bestehen – und das werden auch wir nicht.

Der apostolische „Auftrag“, den Paulus dem Timotheus gibt, besteht also nicht darin, hinauszugehen und Wunder zu vollbringen oder irgendetwas zu tun, was die Aufmerksamkeit auf ihn lenkt. Der Auftrag besteht einfach darin, die Gläubigen zu einem Verhalten anzuleiten, das der Ordnung des Hauses Gottes angemessen ist. Dies soll dadurch erreicht werden, indem Timotheus die Gnade Gottes lehrt, die Gottes gegenwärtige Verwaltung im Christentum fördert. Das „Endziel“ des apostolischen Auftrags: Die Gläubigen sollen in einem passenden Zustand gefunden werden und gemäß der Ordnung des Hauses Gottes wandeln. Timotheus soll ihnen also das Muster des Hauses darlegen, dem sie folgen sollen. Dies wird in den folgenden Kapiteln des Briefes gelehrt.


Quelle: The First Epistle of Paul to Timothy: The Order of God’s House
E-Book Version 1.5 (März 2019)

Übersetzung: Stephan Isenberg

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Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Siehe dazu die Ausführungen von Anstey zu „Lösegeld“ in  1. Timotheus 2,6.

[2] Anm. d. Red.: Siehe das erste Vorkommen von „Glauben“ in Vers 19: „indem du ˹den˺ Glauben bewahrst“. In der CSV-Elberfelder steht der Artikel vor „Glauben“ in Kleindruck (hier online in eckigen halben Klammern). Das bedeutet, dass der Artikel im griechischen Grundtext nicht vorhanden ist.

[3] J.N. Darby, Betrachtung über 1. Timotheus (Synopsis), zu Kapitel 1. Quelle: bibelkommentare.de.

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