Der Prophet Jona (2)
Kapitel 2

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 01.03.2021, aktualisiert: 16.12.2023

Aus den Tiefen heraus

Als die Schriftgelehrten und Pharisäer heuchlerisch ein Zeichen forderten, damit sie Gewissheit darüber erhielten, ob der Herr Jesus der angekündigte Messias sei, antwortete Er bezeichnenderweise: „Ein böses und ehebrecherisches Geschlecht begehrt ein Zeichen, und kein Zeichen wird ihm gegeben werden als nur das Zeichen Jonas, des Propheten. Denn so wie Jona drei Tage und drei Nächte in dem Bauch des großen Fisches war, so wird der Sohn des Menschen drei Tage und drei Nächte in dem Herzen der Erde sein“ (Mt 12,39-41).

Durch diese ernsten Worte lernen wir zwei wichtige Dinge:

  1. Der Herr Jesus bestätigt die Geschichte von Jona, und
  2. Er entfaltet eine wunderbare typologische Wahrheit, die in diesem Bericht enthalten ist und die wir sonst vielleicht übersehen hätten.

Jonas Erlebnisse sind historische Wirklichkeiten. Dafür bürgt das Wort des Sohnes Gottes. Darüber hinaus waren der Aufenthalt des Propheten in dem großen Fisch und seine anschließende Befreiung als ein Zeichen für die Niniviten und als ein Vorbild für den Tod und die Auferstehung des Herrn Jesus Christus zu verstehen.

Es ist wahr, dass Jona aufgrund seines Ungehorsams gelitten hat, und in Christus betrachten wir mit Anbetung den ewig Treuen, der gelitten hat, um den Willen seines Vaters vollständig zu erfüllen; aber das beweist nur, dass Gott sogar den Ungehorsam eines Menschen zu seiner Verherrlichung beitragen lässt. Auf der anderen Seite wird alles, was nicht dazu beiträgt, beendet werden. Für die Niniviten war Jona ein Mann, der durch den Tod und die Auferstehung gegangen war. Darin stellt er das wunderbare Geheimnis des Evangeliums dar. Er, der jetzt der Gegenstand des Glaubens ist, ist derjenige, der „unserer Übertretungen wegen hingegeben und unserer Rechtfertigung wegen auferweckt worden ist“ (Röm 4,25). Er ging in den Tod, konnte aber nicht von ihm festgehalten werden. In einem umfassenderen Sinn, als Jona ihn je kannte, konnte Er sagen: „Die Wasser umfingen mich bis an die Seele“ (Jona 2,6). Aber Gott hat Ihn aus den Toten auferweckt und damit das Werk seines Sohnes vollkommen anerkannt. Das ist das einzige Zeichen, das dem Menschen gegeben wird. Alle, die auf den auferstandenen Heiland vertrauen, sind für immer vom Zorn und Gericht befreit – von einem Gericht, das sie verdient hatten.

Aber in Jonas Erfahrungen finden wir auch Gottes Handeln mit seiner Seele; und das hat auch für uns eine moralische Bedeutung von größter Tragweite. Es gibt hier auch den Gedanken, wie schon vorher angedeutet, dass Israel der untreue Zeuge war, der die Gnade ablehnte, die sich zu den Heiden ausstreckte. Ihr gegenwärtiger Zustand entspricht dem zweiten Kapitel, wie es der Apostel Paulus beschreibt, wenn er von den Juden schreibt: „Wie auch jene von den Juden, die sowohl den Herrn Jesus als auch die Propheten getötet und uns durch Verfolgung weggetrieben haben und Gott nicht gefallen und allen Menschen entgegen sind, indem sie uns wehren, zu den Nationen zu reden, damit sie errettet werden, um so ihre Sünden allezeit voll zu machen; aber der Zorn ist völlig über sie gekommen“ (1Thes 2,14-16). Nach und nach soll ihre Erlösung kommen, wenn sie bereit sind zuzugeben, dass die Rettung vom Herrn kommt, und das ganz unverdientermaßen. An jenem Tag werden sie die Boten der grenzenlosen Gnade für Millionen von Heiden sein, die einst gehasst und verachtet wurden.

Aber wir wenden uns nun, wie oben angedeutet, den Übungen der Seele des Propheten zu, als er in seinem lebendigen Grab war.

Verse 1-5

Jona 2,1-5: 1 Und der HERR bestellte einen großen Fisch, um Jona zu verschlingen; und Jona war im Bauch des Fisches drei Tage und drei Nächte. 2 Und Jona betete zu dem HERRN, seinem Gott, aus dem Bauch des Fisches und sprach: 3 Ich rief aus meiner Bedrängnis zu dem HERRN, und er antwortete mir; ich schrie aus dem Schoß des Scheols, du hörtest meine Stimme. 4 Denn du hattest mich in die Tiefe, in das Herz der Meere geworfen, und der Strom umschloss mich; alle deine Wogen und deine Wellen fuhren über mich hin. 5 Und ich sprach: Verstoßen bin ich aus deinen Augen; dennoch werde ich wieder hinschauen zu deinem heiligen Tempel.

In seiner Bedrängnis schreit Jona zu dem, vor dem er sich zu verstecken suchte. Das göttliche Leben sucht die richtige Umgebung, wie das Wasser die richtige Ebene sucht. Weil Jona trotz seiner Schwächen immer noch ein Kind Gottes ist, wendet er sich in der Stunde, in der er erkennt, dass er der Gegenstand göttlicher Züchtigung ist, instinktiv an den, den er betrübt hat. Ein Mensch ist auf dem Weg zur Heilung weit vorangekommen, wenn er bereit ist, die Rechtmäßigkeit seiner Züchtigung anzuerkennen, und wenn er einsieht, dass er unter der Hand Gottes steht. Nachdem Jona bereits vor den Seeleuten anerkannt hat, dass dies der Fall ist, schreit er nun zu dem, der ihn erhört, und das sogar „aus dem Bauch der Hölle“:

Verse 6-8

Jona 2,6-8: 6 Die Wasser umfingen mich bis an die Seele, die Tiefe umschloss mich, das Meergras schlang sich um mein Haupt. 7 Ich fuhr hinab zu den Gründen der Berge; die Riegel der Erde waren hinter mir auf ewig. Da führtest du mein Leben aus der Grube herauf, HERR, mein Gott. 8 Als meine Seele in mir verschmachtete, erinnerte ich mich an den HERRN, und zu dir kam mein Gebet in deinen heiligen Tempel.

Es ist in der Tat ein Segen, wenn die Seele unter der Züchtigung des Herrn nicht verzagt und sie auch nicht geringschätzt, sondern zu Gott aufschaut und auf seine Gnade vertraut, wie sehr auch das Gefühl der verdienten Bedrängnis auf das Gewissen drücken mag.

Aber für die Errettung muss es mehr geben als das, und eine Zeitlang scheint Jona sie nicht zu erreichen. Er geht hinunter bis zu den Gründen der Berge, aber er kann in der Hoffnung des Glaubens sagen: „Da führtest du mein Leben aus der Grube herauf, HERR, mein Gott“ (Jona 2,7). Seine Seele war vielleicht verzagt, aber er erinnert sich an den HERRN und ist sich sicher, dass seine Gebete erhört werden und in Gottes heiligen Tempel dringen werden. Er befindet sich hier [sinnbildlich] an dem Ort, an dem sich der zukünftige Überrest aus Israel in seinen Erfahrungen befinden wird [in der großen Drangsal], wenn die gegenwärtige Decke aufgehoben ist; weit weg, aber doch, gemäß dem Gebet Salomos [1Kön 8,35-53], zum Tempel des HERRN blickend, obwohl er in Trümmern liegt, wie an dem Tag, an dem Daniel seine Fenster nach Jerusalem öffnete [Dan 6,11].

Verse 9-11

Jona 2,9-11: 9 Die auf nichtige Götzen achten, verlassen ihre Gnade. 10 Ich aber werde dir opfern mit der Stimme des Lobes; was ich gelobt habe, werde ich bezahlen. Bei dem HERRN ist die Rettung. 11 Und der HERR befahl dem Fisch, und er spie Jona an das Land aus.

Jona ruft aus: „Die auf nichtige Götzen achten, verlassen ihre Gnade [KJV: They that observe lying vanities forsake their own mercy].“ Er gab seine eigene Barmherzigkeit auf, als er versuchte, vor der Gegenwart des HERRN zu fliehen. Er kennt also den Zustand der Heiden aus eigener Erfahrung. Jetzt aber ist er zuversichtlich, dass er nicht mehr umherirren wird, obwohl, wie wir wissen, seine Zuversicht bisher fehl am Platz war. Auf sein Herz konnte er sich nicht mehr verlassen, nachdem er im Bauch des Fisches gewesen war. Als er ruft: „Ich aber werde dir opfern mit der Stimme des Lobes“, und hinzufügt: „Was ich gelobt habe, werde ich bezahlen“, antwortet Gott immer noch nicht. Jona ist noch nicht am Ende seiner Kräfte. Wie bei der Bekehrung eines Sünders, so ist es auch bei der Wiederherstellung eines Heiligen: Er muss mit sich selbst zu Ende kommen, bevor der Herr sich seiner Sache annimmt. Der Sünder muss lernen, dass er keine Kraft hat, und der irrende Heilige muss lernen, dass er in sich selbst keinen Deut besser oder stärker ist als andere Menschen, bevor Gott seine Gnade offenbart.

So ist es hier: Nachdem Jonas Gebete, Gelübde und Schwüre nichts genützt haben und der Höhepunkt der Krise erreicht ist, bekennt er nur noch: „Bei dem HERRN ist die Rettung!“ (Jona 2,10). Dann, und erst dann, „befahl der HERR dem Fisch, und er spie Jona an das Land aus“ (Jona 2,11). Jona ist also, bildlich gesprochen, durch Tod und Auferstehung hindurchgegangen. Er ist nun bereit, in die große und gottlose Stadt der Niniviten zu gehen und ihnen das Wort Gottes zu verkünden.

Dass er mit sich selbst noch nicht ganz fertig ist, wird später deutlich; aber er ist jetzt in der Schule Gottes und er wird einen geduldigen und gnädigen Lehrermeister haben.

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Originaltitel: „Notes on the Prophecy of Jonah“
aus Notes on the Minor Prophets, 1909

Übersetzung: Stephan Isenberg


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