Der Prophet Jona (1)
Kapitel 1

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 20.02.2021, aktualisiert: 17.12.2023

Die unliebsame Botschaft

Verse 1.2

Jona 1,1.2: 1 Und das Wort des HERRN erging an Jona, den Sohn Amittais, indem er sprach: 2 Mach dich auf, geh nach Ninive, der großen Stadt, und predige gegen sie; denn ihre Bosheit ist vor mir heraufgestiegen.

Dies war ein höchst unerwarteter und unangenehmer Auftrag für einen Israeliten. So wie das Volk [Israel], für das Jona stand, wurde auch Jona berufen, der Überbringer einer Botschaft von Gott an die Heiden zu sein. Israel war von den Nationen abgesondert worden, nicht, um in einer kalten, formellen Exklusivität und völliger Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal der Völker um sie herum zu wohnen, sondern um ein Licht in einer dunklen Welt zu sein. Sie sollten denen, die in der Finsternis und im Schatten des Todes saßen, den Willen Gottes und den Charakter des HERRN offenbaren.

In der Geschichte von Jona sehen wir Israels Versagen diesbezüglich vorgebildet sowie die Katastrophen, die  aufgrund dieses Versagens über sie hereinbrachen. Außerdem deutet die Geschichte Jonas an, dass das Volk Israel eines Tages wiederhergestellt und wieder in den Segen gebracht wird. Dann wird dem Volk ein weiteres Mal ein Auftrag des Allerhöchsten anvertraut werden.

Zweifellos wurde Jona in seiner Seele am Ende wirklich wiederhergestellt, auch wenn er sich, so wie es hier geschildert wird, bis zuletzt in einer unglücklichen Lage befand. Offenbar schreibt Jona selbst seine Erfahrungen auf, die er durchgemacht hat, und das offensichtlich zu unserer Belehrung. Aber gerade die Art und Weise, wie er von seinen Erfahrungen berichtet, zeigt, dass er dies als ein wiederhergestellter und geläuterter Mensch tut. Es wäre nicht Gottes Weise, wenn Jona sich selbst über diese Seite auslassen würde. Gott lässt uns etwas von Jonas Stolz und Eigenwillen erfahren – und davon, wie der HERR ihn demütigte und ihn wieder näher zu sich zog.

Offensichtlich waren Stolz und Hochmut der Grund für Jonas Eigensinn und Widerspenstigkeit. Er wusste, dass Gott langmütig und von Herzen barmherzig ist. Diese Tatsache teilt er uns am Ende seiner Geschichte mit (vgl. Jona 4,2). Weil er eben um diese Eigenschaften Gottes wusste, fürchtete er um seinen guten Ruf als Prophet. Seine Gedanken waren so weit von den Gedanken des HERRN entfernt, dass er es nicht ertragen konnte, dass einer heidnischen Großmacht Gnade erwiesen werden sollte. Er wusste, dass der HERR die Städte der Ebene [in Sodom] damals verschont hätte, wenn es dort nur zehn Gerechte gegeben hätte. Wenn der HERR damals so gehandelt hätte, wie konnte Jona sich dann darauf verlassen, dass der HERR jetzt seinen Zorn über Ninive ausgießen würde, wenn sich die unglückseligen Bewohner unter das Wort beugen und in Buße vor Ihm niederfallen würden?

Was für ein Bild haben wir in all dem von der Arglistigkeit des menschlichen Herzens, sogar in einem Gläubigen! Und wie oft haben wir uns selbst verurteilen müssen, dass wir denselben bösen Neigungen Raum gegeben haben!

Wie viel leichter ist es zum Beispiel, auf die Verurteilung eines Bruders zu bestehen, wenn er mich in irgendeiner Weise verletzt oder gekränkt hat, als wenn er nur gegen andere oder gegen Gott gesündigt hat! Das Einzige, was dann zählt, ist, dass ich um jeden Preis meinen eigenen Ruf wahren und mich von jeder Schuldzuweisung freisprechen muss, gleichgültig, was das für andere bedeutet!

Haben wir nicht erlebt, wie ganze Scharen des Volkes Gottes in Kummer und Verwirrung gestürzt wurden, nur weil ein eigensinniger Mann seinen Willen durchsetzen und in seinem Tun gerechtfertigt werden wollte – während die anderen leiden mussten, egal, was sie taten? Das vorliegende Buch zeigt auffallend deutlich, wie schnell auch unser Herz demselben erbärmlichen Stolz verfallen kann. Aus diesem Grund ist es auch zu unserer Ermahnung geschrieben worden.

Vers 3

Jona 1,3: Aber Jona machte sich auf, um vom Angesicht des HERRN weg nach Tarsis zu fliehen; und er ging nach Japho hinab und fand ein Schiff, das nach Tarsis fuhr; und er gab sein Fahrgeld und stieg in das Schiff hinab, um mit ihnen nach Tarsis zu fahren, weg vom Angesicht des HERRN.

Anstatt zu den Heiden zu gehen und möglicherweise seinen guten Ruf zu verlieren, machte Jona sich auf, „um vom Angesicht des HERRN weg nach Tarsis zu fliehen“. Vom Weg des Gehorsams abzukommen bedeutet immer, sich aus der Gegenwart des Herrn zu entfernen. Es handelt sich dabei also um eine selbstgewählte Abwesenheit des Herrn in der eigenen Seele.

Eigentlich war es für Jona unmöglich, dorthin zu gelangen, wo das Auge Gottes nicht auf ihn gerichtet wäre, aber in dem Moment als Jona sich entschloss, ungehorsam zu sein, verlor er in seinem Bewusstsein der Gemeinschaft und der Freude das Gefühl für die Gegenwart des HERRN in seiner Seele.

Als er flieht, geht es für ihn nur noch abwärts! Er ging hinab nach Japho; er ging hinunter in das Schiff; er stieg hinab, als ein Sturm aufkam, und im nächsten Kapitel muss er bekennen: „Ich fuhr hinab zu den Gründen der Berge“ (Jona 2,7). Immer weiter hinab musste er gehen, bis es nicht mehr tiefer ging – bis er am Abgrund des Verderbens angekommen war. Aber in die Grube der Gottverlassenheit hätte er nicht sinken können, denn ungeachtet seines Versagens war er immer noch ein Kind Gottes, und der HERR war im Begriff, ihn auf wunderbare Weise wiederherzustellen.

Dass wir alle diese Wahrheit zu Herzen nehmen würden! Der Weg dessen, der im Eigenwillen handelt, führt immer nach unten, egal, wie hoch das Bekenntnis auch sein mag. Man kann sich rühmen, für Gott zu handeln, und davon reden, seine Zustimmung zu haben, aber wenn man sich selbst dient statt Christus, werden die Füße bald abgleiten, und die Schritte werden abwärts, immer nur abwärts führen – bis die Seele, gedemütigt und bußfertig, zu Gott zurückkehrt und endlich bereit ist, das Unrecht ihres Verhaltens einzusehen und schließlich vor Gott zu bekennen.

In den folgenden Versen erfahren wir, dass Gott seinen gefallenen Diener zu sehr liebte, als dass Er ihn auf seinem törichten und sündigen Weg, der zum Scheitern verurteilt war, verharren zu lassen:

Vers 4

Jona 1,4: Da warf der HERR einen heftigen Wind auf das Meer, und es entstand ein großer Sturm auf dem Meer, so dass das Schiff zu zerbrechen drohte.

Gott hat begonnen zu handeln. Der Mensch mag sich noch so sehr anstrengen, er wird lernen müssen, dass alle seine Kräfte nichts wert sind, wenn er es mit dem Allmächtigen zu tun hat.

Alle auf dem Schiff werden sofort geweckt – alle, außer dem Unglücklichen, wegen dessen Sünde der Sturm gekommen ist. Tief unten im Bauch des Schiffes schläft er tief und fest – empfindungslos für die Angst und die Not der anderen, aber verantwortlich dafür, dass er sie über so viele andere gebracht hat, die an seinem Ungehorsam selbst keinen Anteil hatten. Was für ein trauriges Bild von jemand, der den ersten falschen Schritt getan hat und in Selbstgefälligkeit weiterschläft, obwohl die Zucht des HERRN begonnen hat! Noch weiß er nicht, dass die Hand des HERRN bereits gegen ihn ausgestreckt ist! Jona ist bereits verhärtet durch den „Betrug der Sünde“, vor der uns der Apostel warnt (Heb 3,13).

Verse 5-10

Jona 1,5-10: 5 Und die Seeleute fürchteten sich und schrien, jeder zu seinem Gott; und sie warfen die Geräte, die im Schiff waren, ins Meer, um sich zu erleichtern. Jona aber war in den unteren Schiffsraum hinabgestiegen und hatte sich hingelegt und war in tiefen Schlaf gesunken. 6 Und der Obersteuermann trat zu ihm und sprach zu ihm: Was ist mit dir, du Schläfer? Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird der Gott unser gedenken, dass wir nicht umkommen. 7 Und sie sprachen einer zum anderen: Kommt und lasst uns Lose werfen, damit wir erfahren, um wessentwillen dieses Unglück uns trifft. Und sie warfen Lose, und das Los fiel auf Jona. 8 Da sprachen sie zu ihm: Tu uns doch kund, um wessentwillen uns dieses Unglück trifft! Was ist dein Beruf, und woher kommst du? Welches ist dein Land, und von welchem Volk bist du? 9 Und er sprach zu ihnen: Ich bin ein Hebräer; und ich fürchte den HERRN, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat. 10 Da fürchteten sich die Männer mit großer Furcht und sprachen zu ihm: Was hast du da getan! Denn die Männer wussten, dass er vom Angesicht des HERRN wegfloh; denn er hatte es ihnen mitgeteilt.

Nachdem Jona endlich von den unwissenden heidnischen Schiffsleuten geweckt wurde, die alle bekannten Mittel ausgeschöpft hatten, um den eingebildeten Zorn ihrer Götter zu besänftigen, wird Jona vor ihnen allen bloßgestellt. Die ernste Frage: „Was ist mit dir, du Schläfer?“, gefolgt von dem aufrüttelnden Befehl: „Steh auf, rufe deinen Gott an! Vielleicht wird der Gott unser gedenken, dass wir nicht umkommen“ (Jona 1,6), lässt ihn die schrecklichen Umstände erkennen, in denen sich alle befinden; aber es reicht nicht aus, seine Lippen für ein Schuldbekenntnis zu öffnen. Deshalb werfen die Matrosen das Los, und Gott lässt sich herab, dieses Mittel zu benutzen, um den Schuldigen offenbar zu machen: „Das Los wird im Gewandbausch geworfen, aber all seine Entscheidung kommt von dem HERRN“ (Spr 16,33). „Das Los fiel auf Jona“ (Jona 1,7).

Aber selbst dann antwortete er auf die Fragen der ängstlichen Männer nur: „Ich bin ein Hebräer; und ich fürchte den HERRN, den Gott des Himmels, der das Meer und das Trockene gemacht hat“ (Jona 1,9). Er scheint sein Bekenntnis ganz gelassen abgelegt zu haben. Er weiß, dass sein Fall aussichtslos ist. Seine Gefühle sind zweifellos erregt, aber es gibt noch keinen Hinweis darauf, dass sein Gewissen wirklich in Tätigkeit gesetzt worden ist. Er ist wie jemand, der alles auf eine Karte gesetzt hat und nun feststellen muss, dass er verlieren wird; und so beschließt er, sprichwörtlich wie ein Mann zu verlieren, indem er sich selbst sehr gelassen zeigt, weil nichts ihm helfen wird. Das Entsetzen der heidnischen Schiffsleute, als sie den wahren Zustand erkennen, hätte wohl zu seinem Gewissen sprechen und ihn überführen müssen: „Was hast du da getan! Denn die Männer wussten, dass er vom Angesicht des HERRN wegfloh; denn er hatte es ihnen mitgeteilt“ (Jona 1,10).

Verse 11-16

Jona 1,11-16: 11 Und sie sprachen zu ihm: Was sollen wir mit dir tun, damit das Meer von uns ablässt? Denn das Meer wurde immer stürmischer. 12 Und er sprach zu ihnen: Nehmt mich und werft mich ins Meer, so wird das Meer von euch ablassen; denn ich weiß, dass dieser große Sturm um meinetwillen über euch gekommen ist. 13 Und die Männer ruderten hart, um das Schiff ans Land zurückzuführen; aber sie konnten es nicht, weil das Meer immer stürmischer gegen sie wurde. 14 Da riefen sie zu dem HERRN und sprachen: Ach, HERR, lass uns doch nicht umkommen um der Seele dieses Mannes willen, und lege nicht unschuldiges Blut auf uns! Denn du, HERR, hast getan, wie es dir gefallen hat. 15 Und sie nahmen Jona und warfen ihn ins Meer. Da ließ das Meer ab von seinem Wüten. 16 Und die Männer fürchteten sich vor dem HERRN mit großer Furcht, und sie schlachteten dem HERRN Schlachtopfer und taten Gelübde.

Selbst ein natürliches Gewissen sieht von Natur aus mit Sorge, was ein abtrünniges Kind Gottes mit einem gewissen Maß an Gleichmut übersehen kann. Das ist die schreckliche Auswirkung, wenn man mit Gott hadert und den Heiligen Geist betrübt. In ihrer Verzweiflung wandten sich die Seeleute an Jona, als sie sahen, dass all ihre Bemühungen vergeblich waren, und erkundigten sich, was sie tun sollten, damit der Sturm aufhöre. Jona wies sie an, ihn ins Meer zu werfen, und gab zu, dass er wusste, dass der Sturm um seinetwillen geschickt worden war. Sein Gewissen wurde nun offensichtlich wach, aber in welchem Ausmaß, ist schwer zu sagen. Die Männer zögerten, sein Wort auszuführen, aber als sich schließlich all ihre Bemühungen, das Schiff an Land zu bringen, als vergeblich erwiesen, machten sie sich bereit, zu tun, was er ihnen befahl. Sie flehten den HERRN an, dass Er es ihnen nicht zur Last legen solle, und erkannten die Souveränität an, die Jona praktisch verleugnet hatte („Du, HERR, hast getan, wie es dir gefallen hat“; Jona 1,14). Und so nahmen sie Jona und warfen ihn ins Meer. Sofort beruhigte sich das Wasser, und „die Männer fürchteten sich vor dem HERRN mit großer Furcht, und sie schlachteten dem HERRN Schlachtopfer und taten Gelübde“ (Jona 1,16). Obwohl sie im Dunkeln saßen und unwissend waren, reagierten ihre Herzen auf die Barmherzigkeit Gottes, der ihnen auf diese Weise eine so bedeutende Errettung gewährt hatte.

Auch für seinen unwürdigen Knecht hatte Gott Barmherzigkeit; dennoch musste Gott in seinen Regierungswegen mit Jona handeln, wobei das Endergebnis sein würde, dass Gott sich selbst in der Errettung und Wiederherstellung des Umherirrenden verherrlichen wird: „Der HERR bestellte einen großen Fisch, um Jona zu verschlingen; und Jona war im Bauch des Fisches drei Tage und drei Nächte“ (Jona 2,1). Im Hinblick auf die Lehre der Haushaltungen ist Israel wegen seines Versagens als Zeuge Gottes auf der Erde in das Meer der Heiden geworfen worden; doch trotz all ihrer Unbeständigkeit hat der HERR sie wunderbar bewahrt, und sie werden noch einmal Zeugen seiner Herrlichkeit für die ganze Welt sein.

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Originaltitel: „Notes on the Prophecy of Jonah“
aus Notes on the Minor Prophets, 1909

Übersetzung: Mildred Böhnlein


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