Als Gläubige dürfen wir wissen, dass Gott „uns auserwählt hat in Christus vor Grundlegung der Welt“ (Eph 1,4) und dass Er in einer vergangenen Ewigkeit an uns gedacht hat, als Er seinen Vorsatz in seinem geliebten Sohn gefasst hat. Über diesen Vorsatz Gottes können wir allerdings auf eine (a) falsche und auf eine (b) richtige Weise denken:
- Wenn wir Gottes Vorsatz hauptsächlich auf uns beziehen, erlangen wir nicht den Segen, den Gott für uns vorgesehen hat. Zugleich entehren wir Gott, indem wir nicht erkennen, was sein Vorsatz in seinem geliebten Sohn bedeutet.
- Betrachten wir Gottes Vorsatz dagegen aus seiner Perspektive und aus der Perspektive Christi, so ehren wir Gott damit nicht nur, sondern wir sind auch weitaus mehr gesegnet. Unser Verständnis wird ewig sein und durch das, was Gott ist, noch erweitert werden, statt durch die Zeit und unsere Erfahrungen in dieser Welt begrenzt zu werden.
Wann immer der Mensch etwas über Gott oder von Gott wissen soll, muss Gott selbst es ihm in seiner Souveränität offenbaren. Natürlich kann der Mensch aus der Schöpfung etwas über die Herrlichkeit und die Majestät Gottes erfahren, denn „die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes“ (Ps 19,2), und deshalb ist der Mensch „ohne Entschuldigung“ (Röm 1,20). Wenn er Gott jedoch tiefer erkennen möchte, ist er auf göttliche Offenbarung angewiesen. Diese Offenbarung kommt immer von oben nach unten – von Gott zum Menschen. Wenn wir diese Ordnung beachten, bleibt alles in der richtigen Perspektive.
Wie wir über Gott denken
Ein allzu häufiger Fehler ist, dass der Verstand des Menschen jedoch von unten nach oben zu denken beginnt – vom Menschen zu Gott. In diesem Fall nimmt der Verstand des Menschen den Platz der göttlichen Offenbarung ein. Anstatt sich dieser Offenbarung zu fügen, urteilt der Mensch in den Dingen Gottes selbst und zieht Schlussfolgerungen, die auf seinen eigenen Erfahrungen beruhen sowie auf dem, was er um sich herum sieht. Betrachten wir einige Bereiche, in denen dies häufig vorkommt:
Zunächst einmal liebt es der natürliche Mensch ohne Gott, über göttliche Dinge nachzudenken, denn er ist von Natur aus ein religiöses Geschöpf; er ist „im Bild Gottes“ und „im Gleichnis Gottes“ (1Mo 1,27; 5,1) geschaffen. Der Atheist zum Beispiel, der keine Offenbarung von Gott hat, fragt sich, wie ein liebender Gott Leid zulassen kann. Deshalb leugnet er die Existenz Gottes. Manche fragen sich, warum Gott erlaubt hat, dass die Sünde in die Welt gekommen ist. Andere sind schwer krank oder erleben in ihrem Leben Tragödien oder anderes Schweres und sind deshalb wütend und geben Gott die Schuld dafür. Wieder andere haben etwas auszusetzen an der Art und Weise, wie Gott Menschen errettet, und wenden ein, dass es mehrere Wege zur Errettung geben sollte, nicht nur einen einzigen Weg [vgl. Joh 14,6]. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Doch wenn man, auch als Ungläubiger, die richtige Sicht auf die Welt und auf das Leben haben will, muss man sich der göttlichen Offenbarung unterwerfen, die Christus immer einbezieht. Jemand hat einmal gesagt:
Um die richtige Sicht auf alles in dieser Welt zu haben, muss man Christus mit einbeziehen.
Der richtige Schwerpunkt
All dies ist für uns als Gläubige noch wichtiger. Im bekennenden Christentum neigt der Mensch dazu, alles, was er in sich selbst findet, auf sich selbst zu beziehen, statt zu erkennen, dass alles von Gott kommt und Ihm zuteilwerden muss. Um es mit den Worten eines anderen zu sagen:
Unsere Kraft, irgendetwas zu tun, wird in dem Maß vorhanden sein, wie wir mit Gottes Sinn und Vorsatz übereinstimmen.
Wenn die Verkündigung des Evangeliums also fruchtbar sein soll, muss es immer von Gott zu den Menschen kommen. Ja, der Mensch ist bedürftig [– denn er ist ein Sünder und braucht einen Erretter –], und diese Bedürftigkeit muss ihm bewusst gemacht werden. Wenn die Verkündigung des Evangeliums jedoch den Schwerpunkt auf die Bedürftigkeit und die geistliche Not des Menschen legt sowie auf die Art und Weise, wie Gott seiner Not begegnet ist, dann schauen wir schon wieder auf uns selbst statt auf Gott. Natürlich können Menschen errettet werden, wenn eine Predigt diesen Schwerpunkt hat, und wir danken Gott dafür, denn Er ist gnädig. Aber Gottes größter Gedanke ist es, sich selbst bekanntzumachen. Und obwohl es dem Menschen sicherlich Segen bringt, verpassen wir viel, wenn unsere Gedanken hauptsächlich auf uns selbst gerichtet sind.
Paulus begann jede Betrachtung über das Evangelium üblicherweise mit einem Hinweis auf Gottes Vorsatz in Christus; zum Beispiel in Römer 1,1-4: „Paulus …, abgesondert zum Evangelium Gottes … über seinen Sohn (der … erwiesen ist als Sohn Gottes …), Jesus Christus“. Seine Verkündigung war „für Gott ein Wohlgeruch Christi“ (2Kor 2,15), ob die Menschen das Evangelium nun annahmen oder ablehnten.
Das Evangelium wird nicht in erster Linie verkündigt, damit der Mensch Segen empfängt, sondern weil der Herr Jesus des Lohnes seiner Leiden würdig ist [vgl. Jes 53,11a]. Es sollte uns wichtiger sein, daran zu denken, dass der Herr würdig ist, als daran, was der Mensch braucht und was seine Not ist. Wenn unser Hauptanliegen bei der Verkündigung des Evangeliums ist, dass der Mensch Nutzen daraus zieht, dann stellen wir den Menschen in den Mittelpunkt und nicht Gott.
Wenn wir dagegen vor allem Gott und seine Interessen im Blick haben, dann schmälert das in keiner Weise unsere Sorge um verlorene Seelen oder unseren Eifer, sie zu erreichen. In unserer Liebe zu den Verlorenen wäre uns dann bewusst, dass wir für Gott sprechen und nicht lediglich zum Wohl des Menschen. Die Verkündigung eines Evangeliums, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt, hat in christlichen Kreisen durch die Jahrhunderte hindurch großen Schaden angerichtet, und der Aufstieg des säkularen Humanismus hat dies noch beschleunigt, selbst unter wahren Gläubigen.
Unsere Segnungen in Christus
Aus der Schrift wissen wir, dass uns alle christlichen Segnungen gehören, aber sie gehören „uns … in Christus“ (Eph 1,3). Sie sind nicht nur mit uns selbst verbunden, sondern auch mit der Offenbarung, dass Gott einmal „alles unter ein Haupt zusammenbringen wird in dem Christus, das, was in den Himmeln, und das, was auf der Erde ist“ (Eph 1,10). Erst nachdem Gott diese gewaltige Aussage gemacht hat – eine Wahrheit, die im Alten Testament nicht bekannt war –, sagt Er, dass wir „in Christus auch ein Erbteil erlangt haben“ (Eph 1,11). Gottes Vorsatz in Christus ist vorrangig; erst danach heißt es, dass wir hineingebracht sind, damit wir daran teilhaben!
Wenn wir als Gläubige meinen, dass sich unsere Segnungen in erster Linie auf uns richten, messen wir unsere Freude, unseren Genuss an diesen Segnungen daran, wie und ob wir diese Segnungen wahrnehmen, und an unserer seelischen Verfassung. Unser geistlicher Zustand erlebt dann ein ständiges Auf und Ab, weil der Maßstab, an dem wir diese Segnungen messen, unser eigener Friede und unsere eigene Ruhe ist.
Richten wir unseren Blick dagegen auf Christus, werden wir es weit mehr wertschätzen, dass wir Ihm nahe sind, eine vertraute Beziehung zu Ihm haben und Ihn kennen, und wir werden Ihn immer besser kennenlernen wollen. Wir werden wie Paulus danach streben, „mit allen Heiligen völlig zu erfassen, welches die Breite und Länge und Höhe und Tiefe sei, und zu erkennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus“ (Eph 3,18-19).
Es traurig, zu sehen, wie leicht wir als Gläubige dahin kommen können, Gott als Menschenfreund und Wohltäter zu betrachten, der mit seiner Fülle an Gütigkeiten zur Stelle ist und jederzeit bereit, zu geben, wenn wir uns mit einem Bedürfnis an Ihn wenden. Viele bekannte und beliebte Kirchenlieder verbreiten heute diese Philosophie, diese Sichtweise. Das Ergebnis: Wieder neigt der Gläubige dazu, sich selbst im Mittelpunkt zu sehen. Habe ich nur die Gütigkeiten vor Augen, so ist mein Blick nicht ungeteilt auf den Herrn gerichtet. Ohne es vielleicht zu merken, werde ich auf subtile Weise in den Strom der Welt hineingezogen. Ich beschäftige mich dann mit dem, was zeitlich ist, statt mit dem, was ewig ist [vgl. 2Kor 4,18].
Gott erkennen
Es ist für uns sehr lehrreich, in diesem Zusammenhang die Charakterbeschreibung eines Vaters im ersten Johannesbrief zu betrachten. Zweimal werden „Väter“ erwähnt, und es heißt lediglich, dass die Väter „den erkannt haben, der von Anfang an ist“ (1Joh 2,13-14). Es gibt nichts Höheres, denn wenn wir „den erkennen, der von Anfang an ist“, erkennen wir auch alles andere. Es ist gut, wenn „Jünglinge … stark sind und das Wort Gottes in ihnen bleibt“, und ebenso gut ist es, wenn „Kinder … den Vater erkannt haben“. Doch geistlich reif zu sein, ein „Vater“ zu sein, bedeutet, dass wir „den erkannt haben, der von Anfang an ist“ (1Joh 2,14). Paulus schrieb den Ephesern, was sein Herzensanliegen war: dass sie „alle hingelangen zu der Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes“ (Eph 4,13). Christus und alles, was Er ist, sowie der Vorsatz Gottes in Ihm müssen alles sein!
Achten wir darauf, dass wir unser Herz mit den Interessen Christi und den Gedanken Christi beschäftigen. Allzu leicht sind wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt, werden wir von unseren eigenen Gedanken, unseren eigenen Zielen, unserem Ehrgeiz und unseren Wünschen in Beschlag genommen – alles Dinge, die mit „den Beschäftigungen des Lebens“ zu tun haben (2Tim 2,4). Zweifellos sind all diese Dinge nötig, aber sie sollen ein Mittel zum Zweck sein und nicht zum Selbstzweck werden. Nur wenn ich mit Gott wandle, kann ich seine Gedanken kennen, und nur wenn ich seine Gedanken kenne, kann ich Ihm von ganzem Herzen nachfolgen.
Paulus konnte über die Gläubigen sagen: „Wir aber haben Christi Sinn“ (1Kor 2,16), was grundsätzlich für jeden Gläubigen gilt. Doch nur demjenigen, der sich wirklich für Christi Sinn interessiert, wird Christi Sinn offenbart [vgl. Ps 25,14]. Nur wenn wir das „Geheimnis Gottes“ völlig verstanden haben, können wir „alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis“ finden (Kol 2,2-3), denn es ist „Christus Jesus, der uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und Heiligkeit und Erlösung; damit, wie geschrieben steht: ,Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn‘“ (1Kor 1,30-31; [vgl. Jer 9,23]).
Originaltitel: „The Purposes of God in Christ – Practical Effects“
in The Christian, Juli 2014.
Quelle: www.bibletruthpublishers.com
Übersetzung: Gabriele Naujoks


