Das Buch Esra (1)
Kapitel 1

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 15.09.2023, aktualisiert: 21.11.2023

Abgesonderte Gefäße

Einleitung

Es gibt sieben Bücher des Alten Testaments, die aufs Engste miteinander verbunden sind: drei historische, drei prophetische und eines, das sowohl historisch als auch prophetisch ist. Ich beziehe mich auf Esra, Nehemia und Esther in der ersten Gruppe, Haggai, Sacharja und Maleachi in der zweiten; und Daniel steht allein als dritte Gruppe.[1] Alle haben weitgehend mit einem besonderen Werk Gottes zu tun, das nach dem Ende der von Jeremia vorhergesagten siebzigjährigen Gefangenschaft stattfand, in der das Land Palästina seine verlorenen Sabbatjahre nachholen sollte (Jer 25,11-14; 2Chr 36,21; Dan 9,2). Während dieser Zeit der Verwüstung war das Volk zunächst dem König von Babylon und nach dessen Sturz dem König von Persien unterworfen. Babylon war die Quelle des Götzendienstes, und in seiner falschen, von Dämonen inspirierten Anbetung fand sich im Keim jede böse Lehre, die der satanische Einfallsreichtum je ersonnen hat, um ungläubige Menschen von der von Gott in seinem heiligen Wort gegebenen Offenbarung abzuwenden.

Um das Volk Juda von seiner tief verwurzelten Liebe zum Götzendienst zu heilen, gab der HERR es in den Dienst der Chaldäer, „das grimmige und ungestüme Volk“ (Hab 1,6). Mitten unter den Heiden wohnend, von allen Seiten umgeben von den abscheulichsten Schöpfungen des menschlichen Verstandes, die zum Teil von bösen Geistern inspiriert waren, lernten sie in vollem Umfang, wie töricht und erbärmlich es war, dass sie den „Vertrauten ihrer Jugend“ (Spr 2,17) für „viele Götter und viele Herren“ (1Kor 8,5) verlassen hatten. Ihre Erfahrungen in dieser Hochburg heidnischer Verdorbenheit heilten sie wirksam von der Verehrung von Bildern und führten zu einer gnädigen Erweckung unter Gottes guter Hand, die seinem Wort einen Platz in ihren Seelen gab, den es vorher nicht hatte. Unglücklicherweise verlor dieses segensreiche Werk des Geistes Gottes bald seine Kraft und entartete zu einer bloß kalten intellektuellen Bibelverehrung, in der man sich hartnäckig an den Buchstaben des Wortes klammerte, während man den Geist völlig ignorierte. Die pharisäischen Nachfolger der „Männer der großen Synagoge“ (wie Esra und seine Gefährten später genannt wurden) widmeten sich so sehr dem Studium der heiligen Schriften, dass sie sogar die Worte und Buchstaben des Gesetzes zählten, während eine große Menge an erläuternder Literatur entstand, von der das meiste extrem spitzfindig und äußerst phantasievoll war, die aber alle von der Verehrung zeugten, die man der Heiligen Schrift entgegenbrachte. Doch als derjenige, der selbst der Geist des gesamten Alten Testamentes ist und über den Mose und alle Propheten geschrieben haben, in ihrer Mitte erschien, wurde Er nicht durch den Glauben erkannt und von den Nachkommen ebenjenes Überrestes, dessen Eifer für Gott im Buch Esra gelobt wird, verworfen und gekreuzigt. Obwohl Er in Erfüllung der Schriften kam, die sie jeden Sabbat öffentlich und oft auch privat lasen, als das Kind von Bethlehem Ephrata, das Licht Galiläas unter den Völkern und der bescheidene Friedensfürst, der auf einem Esel reitet, erfüllten sie andere Prophezeiungen, indem sie Ihn ablehnten und seine Ansprüche verschmähten.

Infolge dieses gewaltigen Fehlers wird die Masse der Juden an einem noch kommenden und zweifellos sehr nahen Tag auf eine noch niedrigere Form des Götzendienstes herabsinken als je zuvor, wenn sie den Antichristen der Zukunft als Messias Israels und Diener eines Gottes, den ihre Väter nicht kannten, empfangen und das römische Tier anerkennen, das von den abgefallenen Juden und der Christenheit gleichermaßen als „Gott der Festungen“ (Dan 11,38) angebetet werden wird (siehe dazu Daniel 11,36 bis Ende und Offenbarung 13).

Es ist daher sehr heilsam, unter Gebet einige der Handlungen Gottes mit einem Überrest aus alter Zeit nachzuvollziehen, damit wir von neuem erfahren, was Er mit seinem Volk heute vorhat. In diesem Sinne wollen wir uns dem Bericht des Schriftgelehrten Esra zuwenden, einem Teil der Heiligen Schrift, der einen äußerst praktischen Charakter hat und für Gläubige aller Zeitalter eine Fülle von anregenden Lektionen enthält.

Die ersten zweieinhalb Verse des ersten Kapitels werden aus dem Schluss von zweite Chronika zitiert, was darauf hindeutet, dass Esra vielleicht das auserwählte Instrument war, um den früheren Bericht zu vervollständigen, den Gott nicht ohne eine Verheißung der Wiederherstellung abgeschlossen hätte.

Daniel verstand „in den Schriften“ (Dan 9,2) dass die siebzig Jahre der Trübsal fast abgelaufen waren. Er war ein Student der Prophetie, und als er die ernsten Botschaften Jeremias studierte, erkannte er, dass die Zeit für ihre Erfüllung des Wortes über die Wiederherstellung nahe war. Was ist die Folge? Es zwingt ihn auf die Knie. Er war kein bloßer intellektueller Bibelstudent wie so viele heutzutage. Die Heilige Schrift hatte Macht über seine Seele und brachte ihn zu Gebet und Buße. Er machte die bevorstehende Befreiung zu einer Angelegenheit des ernsten Flehens, verbunden mit einer Selbstverurteilung, die das Ergebnis der Gegenwart Gottes war. Er bekannte seine eigene Sünde und die Sünde seines Volkes. Es gab keine harsche Kritik an anderen, während er sich selbst zu seiner eigenen Treue beglückwünschte. Er war zweifellos treu gewesen, aber er erhebt darauf keinen Anspruch. Er bekennt das Versagen des Volkes, dem er angehört, und erkennt ihre Sünde als seine eigene an. „Wir haben gesündigt“ (Dan 9,5) ist sein Ausruf, nicht: „Sie haben gesündigt.“

Vers 1

Und was ist das erfreuliche Resultat von all dem? Wir erfahren es am Anfang von Esra:

Esra 1,1: Und im ersten Jahr Kores’, des Königs von Persien – damit das Wort des HERRN aus dem Mund Jeremias erfüllt würde – erweckte der HERR den Geist Kores’, des Königs von Persien; und er ließ einen Ruf ergehen durch sein ganzes Königreich, und zwar auch schriftlich, indem er sprach: …

So hatte Gott begonnen, das Gebet seines Dieners zu erhören und zu beantworten, in Erfüllung seines eigenen Wortes, das Er durch Jeremia verkündet hatte.

Die Menschen sind oft verunsichert, was die Beziehung zwischen dem Gebet und den Absichten Gottes betrifft. Wenn Gott einen Ratschluss gefasst hat, wird Er ihn dann nicht in die Tat umsetzen, ob wir nun beten oder nicht? Die Antwort ist, dass das Gebet ein Teil von Gottes Absicht ist. Er will handeln, wenn sein Volk betet. Einer der ersten Beweise dafür, dass Er im Begriff ist, etwas Bestimmtes zu tun, ist, dass der Geist des Gebets und des Flehens in Bezug auf dieses besondere Werk über sein Volk ausgegossen wird. Hier bewegt Er das Herz eines Königs in seinem Palast, um sein Wort zu erfüllen, nachdem Daniel es zu einem Gebetsanliegen gemacht hatte.

Verse 2-4

Kores erlässt ein Dekret:

Esra 1,2-4: 2 So spricht Kores, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde hat der HERR, der Gott des Himmels, mir gegeben; und er hat mich beauftragt, ihm ein Haus zu bauen in Jerusalem, das in Juda ist. 3 Wer irgend unter euch aus seinem Volk ist, mit dem sei sein Gott, und er ziehe hinauf nach Jerusalem, das in Juda ist, und baue das Haus des HERRN, des Gottes Israels (er ist Gott), in Jerusalem. 4 Und jeden, der übrig bleibt an irgendeinem Ort, wo er sich aufhält, den sollen die Leute seines Ortes unterstützen mit Silber und mit Gold und mit Habe und mit Vieh, außer den freiwilligen Gaben für das Haus Gottes in Jerusalem.

Am Anfang dieser Proklamation sehen wir, wie offensichtlich Kores vom HERRN inspiriert wurde, und zwar schon bei der Bezeichnung des HERRN selbst. Er ist der „Gott des Himmels“. Dies ist der Name, unter dem Er in der oben erwähnten Reihe von Büchern allgemein bekannt ist. Diesen Titel nahm Er an, als sein Thron von der Erde entfernt wurde und Er sein Volk in die Hände der Heiden übergab. Er ging und „kehrte an seinen Ort zurück“[2], wie Hosea es ausdrückt. Er verließ den Tempel in Jerusalem, löste die Theokratie auf und wurde „der Gott des Himmels“. Das ist Er immer noch für sein altes Volk, und so wird Er es auch bleiben, bis Er nach Jerusalem zurückkehrt, um seinen Thron wieder aufzurichten als „der Herr der ganzen Erde“ (Sach 4,14).

Es ist ebenfalls bemerkenswert, dass Kores niemand befiehlt, nach Jerusalem zurückzukehren. Diese Bewegung hat nichts Gesetzliches an sich. Sie muss das Ergebnis der Gnade sein, die in der Seele wirkt. Der König gibt also die Erlaubnis, und alle, die ein Herz dafür haben, sind frei, an den Ort hinaufzugehen, an den der HERR einst seinen Namen gesetzt hat.

Von Natur aus gab es wenig, was irgendjemand nach Jerusalem lockte. Es lag als verbrannter Trümmerhaufen inmitten eines Landes der Verwüstung. Aber für den Glauben gab es eine Anziehungskraft, die die Natur nicht verstehen konnte. Es war die Stadt Gottes, der Ort des Namens – der einzige Ort auf der Erde, an dem ein dankbares Volk seine Opfergaben gemäß der Schrift darbringen und an dem die Schuldigen ein Opfer für die Sünde bringen konnten.

Für die Gläubigen gibt es in dieser Welt keinen solchen geheiligten Ort: „Weder auf diesem Berg noch in Jerusalem“ (Joh 4,21) ist unser Ort der Anbetung. Aber unser Herr hat gesagt: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich in ihrer Mitte“ (Mt 18,20). Wo Er als alleiniges Haupt und Herr anerkannt wird und seine Erlösten zu Ihm versammelt sind, das entspricht dem Ort, an den Er seinen Namen von alters her gesetzt hat. Wenn sie so versammelt sind, führt Er seine Heiligen in das himmlische Heiligtum und zieht dort ihre Herzen an, um das Opfer des Lobes und der Danksagung darzubringen. Zu dieser Einfachheit, wie sie am Anfang war, zurückzukehren, mag der Wunsch unserer Herzen sein. Seit dem Licht der Reformation hat es unter den Kindern Gottes solche Regungen des Herzens und des Gewissens gegeben – die Sehnsucht nach mehr von der Einfachheit der frühen Tage, mit einer größeren Wertschätzung Christi, einer Trennung von dem Unheiligen und Profanen.

Es wäre ein großer Fehler, die Ereignisse von Esra als typisch für eine bestimmte Bewegung in der Christenheit anzusehen. Vielmehr enthält es suggestive Lektionen, von denen die Heiligen profitieren können, wenn ein besonderes Werk der Sammlung zu Christus in der Kraft des Geistes im Gange ist. Und dies ist eine der ersten und wichtigsten Lektionen. Eine solche Bewegung muss aus dem Wirken der Gnade kommen. Sie kann keine gesetzliche Sache sein, sonst geht ihre ganze Frische und Kraft verloren. Daher ist es unklug, zu versuchen, Menschen in eine Position zu zwingen, in die die Gnade sie nicht gezogen hat.

Vers 5

Esra 1,5: Und die Häupter der Väter von Juda und Benjamin machten sich auf, und die Priester und die Leviten, jeder, dessen Geist Gott erweckte, hinaufzuziehen, um das Haus des HERRN in Jerusalem zu bauen.

In manchen Kreisen ist es üblich, gegen menschliche Systeme zu wettern und den Austritt aus ihnen als Pflicht auf das Gewissen der Menschen zu legen. Auf diese Weise nehmen viele einen äußerlichen Platz der Trennung ein, die nicht wirklich zu Christus hingezogen sind. Daraus folgt, dass solche sehr wahrscheinlich hart und gesetzlich in ihren Wegen und Worten sind und wenig von jener Herzensregung und Anziehung zu dem Herrn selbst wissen, die wir hier bei Esra gezeigt bekommen haben. Der Vers 5 sagt uns, dass einige der Obersten der Väter von Juda und Benjamin, zusammen mit Priestern und Leviten und „jedem, dessen Geist Gott erweckte“, sich aufmachten, „hinaufzuziehen, um das Haus des HERRN in Jerusalem zu bauen“. Dies war für Gott sehr wertvoll. Die Freiwilligkeit war ein schöner Beweis für die in ihren Seelen wirkende Gnade.

Es gab einige, vielleicht die Mehrheit, die nicht hinaufzogen, und es steht uns nicht zu, sie deswegen zu richten; denn wir können nicht sagen, welche natürlichen Hindernisse es gegeben haben mag. Aber das Buch Esther bezeugt, dass Gott an denen, die zurückblieben, nicht dieselbe Freude hatte wie an denen, die „für den Namen“ (3Joh 7) nach Jerusalem hinaufzogen. Er wachte immer noch über sie, aber Er verband seinen Namen nicht offen mit ihnen, wie Er es mit den anderen tat.

Vers 6

Esra 1,6: Und alle, die um sie her wohnten, unterstützten sie mit silbernen Geräten, mit Gold, mit Habe und mit Vieh und mit Kostbarkeiten, außer allem, was freiwillig gegeben wurde.

Es herrschte keine Feindschaft oder ein Geist des Verurteilens zwischen den beiden Gruppen. Diejenigen, die zurückblieben, halfen ihren Brüdern, die hinaufzogen.

Verse 7-11

Esra 1,7-11: 7 Und der König Kores ließ die Geräte des Hauses des HERRN herausbringen, die Nebukadnezar aus Jerusalem gebracht und in das Haus seines Gottes gelegt hatte. 8 Und Kores, der König von Persien, ließ sie herausbringen unter der Aufsicht Mithredats, des Schatzmeisters; und dieser zählte sie Sesbazar, dem Fürsten Judas, vor. 9 Und dies ist ihre Zahl: 30 goldene Becken, 1000 silberne Becken, 29 Messer, 10 30 goldene Becher, 410 silberne Becher von zweiter Gattung, 1000 andere Geräte. 11 Alle Geräte aus Gold und aus Silber waren 5400. Das alles brachte Sesbazar hinauf, als die Weggeführten aus Babel nach Jerusalem hinaufgeführt wurden.

Die Handlung von Kores, auf die unsere Aufmerksamkeit als Nächstes gelenkt wird, indem er die Gefäße, die früher zu dem Tempel des HERRN gehörten, von den Schätzen der Könige trennt, die den heidnischen Göttern geweiht waren, ist sehr aufschlussreich und erinnert uns an das Wort des Herrn in 2. Timotheus 2,20 über die Unterscheidung zwischen Gefäßen zur Ehre und Gefäßen zur Unehre. Was von und für Gott war, muss aus der Vermischung herausgelöst werden. Und das gilt auch für heute.

Die abgesonderten Gefäße werden alle gezählt und Sesbazar übergeben, der im Allgemeinen Serubbabel (ein Fremder in Babel), der Fürst von Juda, genannt wird. Es ist bemerkenswert, dass dieser Fürst aus dem Geschlecht Davids keine Ehre aufgrund seiner beachtlichen Abstammung beansprucht. Es war ein Tag der Schwäche und der kleinen Dinge. Serubbabel nimmt daher seinen Platz als einer ein, dessen Glauben andere folgen können, aber er beansprucht nichts – als Sohn und Erbe Davids.

Dies mag zu den Herzen derer sprechen, die heute über das Fehlen von Zeichengaben beunruhigt sind und sich etwas Großes wünschen, das die Augen sehen können. Die Zeit für große Dinge ist vorbei, die Haushaltung schließt sich mit dem Versagen des Menschen in Bezug auf alles, was ihm anvertraut ist. Diejenigen, die wirklich „Einsicht in die Zeiten“ (1Chr 12,33) haben, müssen mit der Anmaßung aufhören und sich in Einfachheit mit den Niedrigen zusammenschließen. „Er leitet die Sanftmütigen im Recht und lehrt die Sanftmütigen seinen Weg“ (Ps 25,9).


Engl. Originaltitel: „Chapter 1: Separated Vessels“
in Notes on the Books of Ezra, Nehemiah, and Esther.
Quelle: https://plymouthbrethren.org

Übersetzung: Samuel Ackermann

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Anmerkungen

[1] Anm. d. Red: Die Anmerkungen von Ironside zu den Büchern Haggai, Sacharja und Maleachi wurden auch auf Soundwords veröffentlicht.

[2] Anm. d. Red: Angelehnt an Hosea 5,15.


Hinweis der Redaktion:

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