Herrlichkeiten Jesu Christi in Johannes 17 (2)
Moralische Herrlichkeiten

William Henry Westcott

© SoundWords, online seit: 04.05.2004, aktualisiert: 30.03.2020

Leitvers:  Johannes 17,4

Joh 17,4: Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte.

Einleitung

Die – der Zeit nach – zweite Herrlichkeit in Kapitel 17 müssen wir als moralische Herrlichkeit bezeichnen. Sie wird in Vers 4 gefunden, wo es heißt: „Ich habe dich verherrlicht auf der Erde.“ Dies weist nicht auf eine physische oder materielle Entfaltung der Herrlichkeit oder des Glanzes hin, die von den menschlichen Sinnen wahrnehmbar wäre. Es gibt Charaktereigenschaften, die den Geist mehr ergreifen und mit größerer Freude erfüllen, als es die Entfaltung äußerlichen Glanzes zu tun vermag. Ein Nero mag befehlen, allen Prunk und alle Schönheit zu zeigen, die der Macht Roms entsprechen, während das Herz, das einen Sinn für sittliche Werte hat, Geringschätzung, ja Abneigung für den Kaiser hegt, der Mittelpunkt dieser Herrlichkeit ist. Sittliche Vollkommenheit zu finden, mit dem vertraut zu sein, der alles ist, was ein vollkommenes und glückliches Wesen bedarf, eine Person zu kennen, in welcher Aufrichtigkeit und Zuneigung, Erbarmen und Glückseligkeit völlig verwirklicht sind und nicht nur für andere zugänglich, sondern in ihrer eigenen Art in denen wirksam sind, die Ihm hinzugefügt wurden, weit über äußerlichen Glanz.

Gesehen in seinem Leben

In dem Herrn Jesus als Mensch kamen auf dieser Erde alle sittlichen Kennzeichen Gottes zum Ausdruck. Was irgend rechtlich mit den Gedanken Gottes in Verbindung gebracht werden konnte, fand sich in Vollkommenheit in Jesus. Denken wir an Heiligkeit? Er war heilig in seiner Empfängnis und Geburt und heilig in Leben und Wandel. Denken wir an Erbarmen? Wann traf der Schrei nach diesem unbeachtet oder unbeantwortet sein Ohr? An Wahrheit? An Gerechtigkeit? An Zartgefühl? An Demut? An Gehorsam? An Treue? An Vertrauen in Gott? An Autorität? An Macht? An Weisheit? An Liebe? All dieses wird in Jesus gesehen. Nicht nur etwas Gütigkeit oder etwas Gehorsam, nicht nur etwas Erbarmen oder Demut, nein, diese Dinge ihrem Wesen nach, in ihrer wesentlichen Vollkommenheit.

Der erneuerte Geist erreicht nie das Ende seiner Vollkommenheit, als ob diese eine Grenze hätte. Soweit wir in unseren Gedanken irgendeine Gnade verfolgen können, scheinen unermessliche Tiefen und unersteigbare Höhen zu sein – die Geschichte mag immer wieder erzählt werden, doch nie wird sie völlig erzählt sein.

Ihre Sprache ist einfach, von den Geschehnissen seines Lebens sind es nur eine geringe Zahl, die berichtet werden. Etwa einhundertzwanzig Seiten waren nach göttlicher Weisheit genügend, das viermal berichtete Evangelium nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes uns zu überliefern; doch Apostel und Propheten, Heilige und Diener haben seit nahezu zweitausend Jahren in diesen Minen geschürft, und das Wunder dabei ist, dass, obwohl wir genug wissen, um unser Herz mit aufrichtiger und verehrender Anbetung zu füllen, doch noch genug übrigbleibt, um sie in alle Ewigkeit damit zu erfreuen.

Nicht nur, dass der größte Apostel der Nationen das tiefste Verlangen hat, „ihn zu erkennen“ (Phil 3,10), sondern der größte Apostel der Beschneidung ruft auch mit derselben grenzenlosen Freude aus: „… welchen ihr, obgleich ihr ihn nicht gesehen habt, liebt, an welchen glaubend, obgleich ihr ihn jetzt nicht sehet, ihr mit unaussprechlicher und verherrlichter Freude frohlockt.“ Erkennen und lieben: Diese beiden Dinge fassen das zweifache Zeugnis des einzigartigen Wertes des Herrn Jesus zusammen. Ihn zu kennen, bedeutet: Ihn zu lieben, und wenn wir Ihn lieben, dann wünschen wir, Ihn noch mehr zu erkennen. Wir wünschen uns, um seinetwillen in seiner Gemeinschaft zu sein. Solcherart war der Zauber, der in den Fischern und anderen Leuten wirkte und sie Ihm in den vergangenen Tagen nachfolgen ließ, und dieselben Dinge sind es auch heute noch, die uns zu Ihm hinziehen.

Gesehen in seinem Tod

Aber was sollen wir sagen, wenn wir zum Abschluss seines Lebens hier auf Erden kommen? Was sollen wir sagen von seinem Kreuz und seiner Schmach? Was von seinem Leiden und seinem Tod? Was von seinem Gehorsam dem Willen Gottes gegenüber und von seiner Aufopferung, sein Wohlgefallen zu tun? Was von seiner Liebe? Was können wir sagen über das Tragen des göttlichen Gerichtes für die Sünde? Was von dem, dass Er am Kreuz zur Sünde gemacht wurde? Was davon, dass Er dem Tod ins Angesicht sah, der unsere Strafe und die schreckliche Grenze der Macht Satans war?

Denn durch alle diese Dinge wurde seine Vollkommenheit geprüft und erprobt. In Jesus haben wir nicht nur einen vollkommenen Menschen vor uns, sondern Einen, der in Umständen erprobt wurde, wie sie vorher nie eingetreten sind. Der Beste der Menschen bricht bei irgendeiner Gelegenheit zusammen, Christus nirgends. Das Herz kommt in seinem Suchen nach einem vollkommenen Gegenstand bei Ihm zum Ziel und erfreut sich unveränderlicher Ruhe in dem Sohn Gottes, während das Gewissen seine dauernde Ruhe in seinem Versöhnungswerk hat.

Hier ist Gott in Wahrheit verherrlicht, nicht nur in der Darstellung jeder sittlichen Schönheit in der höchsten Vollendung, sondern in Bezug auf seine heiligen Ansprüche hinsichtlich der Sünde und des Sünders. Denn das Wort des Herrn Jesus: „Ich habe dich verherrlicht auf der Erde, das Werk habe ich vollbracht, welches du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte“, ist gewiss vorgreifend im Blick auf seinen Tod ausgesprochen worden. Es schließt sein ganzes Leben bis zu dem Augenblick ein, wo Er es aussprach, dies wissen wir. Aber der ganze Abschnitt – Kapitel 13 bis 17 – beschreibt im Voraus seinen Ausgang aus dieser Welt zu dem Vater und redet von den Umständen, die dadurch eintreten würden. Am Schluss des 16. Kapitels sagt Er, seinen Pfad zusammenfassend und auf sein nahes Ende hinblickend: „Ich habe die Welt überwunden.“ So gewiss, wie dieses Wort die letzte Stunde seiner Erprobung einschließt, so gewiss bezieht sich der Ausspruch „Ich habe dich verherrlicht auf der Erde“ auf seinen Tod, mit dem sein Weg auf der Erde endete, und schließt diesen mit ein.

Den Vater verherrlicht

Doch nach diesem allen liegt der Nachdruck der Worte unseres Herrn, die wir betrachten, auf dem „dich“. „Ich habe dich verherrlicht“, was gleichbedeutend ist mit: „Ich habe dich herrlich gemacht.“ In diesem Evangelium wird uns im Besonderen mitgeteilt, wie der Herr in seinem Leben und Zeugnis ans Licht bringt, wer und was sein Vater ist, so dass – während wir den Sohn in seiner eigenen, einzigartigen Vollkommenheit und Herrlichkeit sehen und dadurch notwendigerweise zu Ihm hingezogen werden – unsere Gedanken und Zuneigungen gleicherweise auf den Vater übergehen. Christus bleibt, doch der Vater ist so genau derselbe in seinem Charakter, seiner Gnade und seiner Liebe, dass, wer Ihn gesehen, den Vater gesehen hat. So lauten seine eigenen Worte zu Philippus im 14. Kapitel.

Ist in unseren durch die Gnade erleuchteten Augen Jesus so unübertrefflich anziehend und bewunderungswürdig? Dann ist es auch der Vater, der Ihn gesandt hat. Obwohl der Vater an sich unsichtbar ist, kennen wir Ihn doch als lieblich, ehrerbietend und anbetungswürdig. Er ist in Christus völlig enthüllt, und jeder Zug seines Charakters, jede Eigenschaft seines Wesens, jede Tiefe seiner Natur erweckt in unseren Herzen entsprechende Zuneigung und Anbetung. Jeder Strahl dieser Herrlichkeit spricht seine eigene, wundervolle, gesegnete Sprache zu uns; wir sind dankbar, dass wir geschaffen wurden, um einen solchen Gott kennenzulernen. Die Gnade, die uns von unseren Sünden befreit, hat uns so nahegebracht, dass des Vaters Haus das Heim unserer Herzen und des Vaters Liebe die Freude unseres Geistes geworden ist. Was wir von dem Sohn sagten, müssen wir auch von dem Vater bekennen: Den Vater zu kennen, ist, Ihn zu lieben. Ihn lieben bewirkt das Verlangen, Ihn mehr zu erkennen. Die Hoffnung, Ihm sittlich gleich zu sein, wird eines Tages das wirkliche Teil einer jeden Seele, die den Vater kennengelernt hat im Sohn.

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Originaltitel: „Glories. A Meditation on John 17. Moral Glory“
aus Scripture Truth, Jg. 18, 1926, S. 91–92


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