Die Textgrundlage des Neuen Testaments (2)
Woher kennen wir den Text des Neuen Testaments?

Martin Arhelger

© M. Arhelger, online seit: 25.09.2006, aktualisiert: 21.11.2020

Es gibt eine große Anzahl von Quellen, aus denen man den Text des Neuen Testaments erkennen kann. Bedeutsam sind Handschriften, alte Übersetzungen und Zitate bei alten Schriftstellern.

Handschriften

Man kann die Handschriften insgesamt in drei große Gattungen aufteilen:

  1. Die Papyri. Sie wurden aus Papyrus hergestellt und waren daher in der Regel nicht sehr beständig. Die wenigen erhaltenen neutestamentlichen Exemplare (wir kennen heute 118[1]) sind zum größten Teil sehr alt (die meisten stammen aus dem 3.–5. Jahrhundert) und wurden fast alle innerhalb der letzten hundert Jahre gefunden.

  2. Die Majuskeln. In den Majuskeln ist der griechische Text mit Großbuchstaben (meistens auf Pergament) geschrieben worden. Majuskeln stammen aus dem 3.–11. Jahrhundert, der größte Teil aus dem 4.–8. Jahrhundert. Von ihnen sind heute noch etwa dreihundert erhalten, viele davon jedoch nur in Bruchstücken. Die Majuskeln aus dem 4. und 5. Jahrhundert sind für die Textforschung sehr wichtig, nicht nur, weil sie alt sind, sondern auch, weil sie meist große Teile des Neuen Testaments umfassen.

  3. Die Minuskeln. Sie stammen aus späterer Zeit (9.–16. Jahrhundert) und verwenden kleingeschriebene Buchstaben in einer Art „Schreibschrift“. Die meisten uns bekannten griechischen Handschriften sind Minuskeln.

Alte Übersetzungen

Das Christentum breitete sich schnell aus über Jerusalem, Israel und das frühere Kleinasien hinaus. Um allen Christen die Möglichkeit zu geben, den neutestamentlichen Text in ihrer Muttersprache zu lesen, wurden auch schon bald Übersetzungen dieser Schriften nötig. Aus diesen alten Übersetzungen können indirekt Rückschlüsse gezogen werden, welcher griechische Text von den Übersetzern benutzt wurde. Solche Rückschlüsse sind jedoch nicht zweifelsfrei, da auch von den Übersetzungen keine Originalmanuskripte existieren. Zudem lässt eine Übersetzung insbesondere dann, wenn sie nicht sehr wörtlich ist, die verwendete griechische Grundlage nicht immer eindeutig erkennen. Manchmal gibt es auch bei einzelnen Übersetzungen unterschiedliche, frühe Lesartvarianten.

Von besonderem Wert für die Textforschung sind Übersetzungen in drei Sprachen:

  • Die lateinischen Übersetzungen: Dazu zählen die altlateinische Übersetzung und später die sogenannte Vulgata.

  • Die syrischen Übersetzungen: Hier gibt es vier wichtige Ausgaben: die Vetus Syra, die Peschitta, die Philoxeniana und die Harklensis. Alter, Entstehungszeit, gegenseitige Abhängigkeit und Güte dieser Übersetzungen sind jedoch immer noch umstritten und werden momentan immer noch intensiv erforscht. Diese Übersetzungen kennt man teilweise nur in Bruchstücken.

  • Die koptischen Übersetzungen: Koptisch war die Sprache Ägyptens, bis es in ein islamisches, arabisch sprechendes Land verwandelt wurde. Aber schon das Koptische wurde in mehreren Dialekten gesprochen. Auch hier sind Alter und gegenseitiger Zusammenhang der Übersetzungen teilweise noch nicht eindeutig geklärt.

Übersetzungen in weitere Sprachen (ins Armenische, Georgische, Gotische, Äthiopische, Altkirchenslawische usw.) sind meist von geringerem Wert oder noch sehr wenig erforscht. Spätere Übersetzungen wurden meistens aus dem Lateinischen unternommen und sind dann für die Erforschung des griechischen Neuen Testaments kaum von Bedeutung.

Bibelzitate bei alten Schriftstellern

Wir besitzen heute eine große Anzahl an Schriften alter, kirchlicher Schriftsteller. Darin finden sich viele Bibelzitate und -auslegungen. Manchmal lassen solche Zitate erkennen, welche Textvariation der Schriftsteller benutzt hat. Wenn es sich um einen sehr alten Schriftsteller[2] handelt, ist eine solche Bezeugung in aller Regel von besonderem Wert. Allerdings muss auch hier (wie bei den alten Übersetzungen) gefragt werden: Ist die (spätere) Überlieferung dieses Kirchenschriftstellers zuverlässig oder hat vielleicht ein späterer Abschreiber den verwendeten Bibeltext so „verbessert“, wie er ihn aus den ihm zur Verfügung stehenden Handschriften kannte? Daher sind auch Zitate von frühen, kirchlichen Schreibern nur mit Umsicht und Bedacht zu verwenden.

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Anmerkungen

[1] P117 und P118 wurden im Jahr 2004 offiziell der Papyrusliste zugefügt. P118 ist ein Fragment, das wenige Verse aus Römer 15 und 16 enthält und aus dem 3. Jahrhundert stammt.

[2] Einige Beispiele: Clemens Alexandrinus (starb 215), Hippolytus (starb 235), Irenaeus (2. Jahrhundert), Justinus (starb ca. 165), Novatianus (starb 251), Origines (starb 254), Polycarp von Smyrna (starb 156), Tertullian (starb nach 220).


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