Die Textgrundlage des Neuen Testaments (15)
Anhang 6: Vermeintliche Widersprüche im Nestle-Aland-Text

Martin Arhelger

© M. Arhelger, online seit: 20.12.2018, aktualisiert: 16.11.2022

Vorbemerkungen

Die inspirierten Originalschriften der neutestamentlichen Apostel und Propheten aus dem 1. Jahrhundert existieren schon seit vielen Jahrhunderten nicht mehr. Aber sie wurden schon früh immer wieder abgeschrieben. Beim Abschreiben traten Abschreibfehler auf, die schon bald zu verschiedenen Lesarten führten. Die Erforschung verschiedener Lesarten und die begründete Beurteilung, welche Lesart die von den Verfassern ursprünglich geschriebene war, nennt man Textkritik. Sie ist nicht mit der Bibelkritik zu verwechseln, die nicht von der göttlichen Eingebung (Inspiration) und damit Fehlerfreiheit der Bibel überzeugt ist.

Seit etwa 200 Jahren sind viele Experten zur Textforschung im Neuen Testament der Ansicht, dass – stark vereinfacht gesagt – eine Handschrift umso mehr Aufmerksamkeit verdient, je älter sie ist. Anders gesagt: In vielen Fällen werden die älteren Handschriften auch die ursprünglicheren Lesarten aufweisen – obwohl man diese Regel nicht mechanisch anwenden darf. Inhaltliche Überlegung stützen diese äußerlichen Kriterien an vielen Stellen. Vertreter dieser Ansicht haben einen entsprechenden griechischen Text herausgebracht, der aber wichtige andere Lesarten in den Fußnoten verzeichnet. Dieser Text wird (nach ihren zwei bekanntesten Bearbeitern) oft kurz als „Nestle-Aland-Text“ bezeichnet.[1] Dieser Text dient den meisten modernen Bibelübersetzungen als Grundlage, auch wenn ihm nur die wenigsten Übersetzer völlig bedingungslos folgen.

Seit einigen Jahren gibt es im deutschen Sprachraum Bewegungen, die andere Ansätze in der Textkritik verfolgen. Die eine Richtung plädiert dafür, das Augenmerk weniger auf das Alter der Handschriften als vielmehr auf deren Anzahl (d.h. die Zahl der heute noch vorhandenen Handschriften) zu legen. Vereinfacht gesagt: Die Lesart, die in der Mehrheit der Handschriften auftritt, wird als ursprünglich betrachtet.[2] Dieser Text wird deshalb „Mehrheitstext“ genannt. Naturgemäß sind heute viel mehr Handschriften aus späteren Jahrhunderten vorhanden (hauptsächlich aus dem 10.–15. Jahrhundert) als aus früheren (die eher vom Nestle-Aland-Text befürwortet werden), so dass sich in beiden Textformen einige Unterschiede finden.

Eine dritte Gruppe bevorzugt den Text, der seit dem Anfang des 16. Jahrhundert gut drei Jahrhunderte lang mit nur relativ geringfügigen Variationen immer wieder gedruckt wurde. Man spricht vom sogenannten Textus Receptus. Da die frühen gedruckten Texte vornehmlich auf jüngeren Handschriften basierten, stimmt der Textus Receptus mit dem Mehrheitstext oft gegen den Nestle-Aland-Text überein.

Die meisten neueren deutschen Bibelübersetzungen basieren heute auf dem Nestle-Aland-Text (manchmal mit einigen Abweichungen). Die meisten Übersetzungen aus älterer Zeit (vor etwa 1850) hatten den Textus Receptus zur Grundlage, zum Beispiel alte Ausgaben der Lutherbibel. Die Übersetzung Schlachter 2000 ist eine der wenigen neueren Übersetzungen auf einer TR-Grundlage. Eine verbreitete deutsche Übersetzung auf Mehrheitstext-Grundlage gibt es bis heute (noch) nicht.

In den letzten Jahren erfolgten vermehrt Angriffe von Mehrheitstext- und Textus-Receptus-Befürwortern gegen den Nestle-Aland-Text. Viele dieser Angriffe sind plakativ abgefasst und argumentieren mehr emotional als sachlich, zum Beispiel indem lange Listen erstellt werden, wo angeblich Worte oder Versteile im Nestle-Aland-Text weggelassen worden seien. Für Laien sind solche Listen nur schwer zu durchschauen, weil man eine gewisse Grundkenntnis über den griechischen Grundtext und Textkritik benötigt, um die einschlägigen Werke benutzen zu können.

Man kann bei vielen Lesart-Varianten aber auch inhaltlich argumentieren: Weil ein von Gott eingegebener (inspirierter) Bibeltext keine Fehler und Widersprüche enthalten kann, ist eine Lesart, die solche Fehler oder Widersprüche enthält, automatisch nicht die ursprüngliche (inspirierte) Textfassung. Allerdings wird diese Argumentation von Mehrheitstext- und Textus-Receptus-Vertretern oftmals überstrapaziert: Ohne intensive Prüfung werden Lesarten des Nestle-Aland-Textes als unbiblisch oder widersprüchlich verworfen und daraus vorschnell pauschal die Minderwertigkeit des Nestle-Aland-Textes gefolgert.

Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, einige Stellen genauer unter die Lupe zu nehmen, die in diesem Zusammenhang immer wieder als angebliche „Widersprüche“ oder „Fehler“ im Nestle-Aland-Text genannt werden.

Um nicht oberflächlich zu argumentieren, wird oft eine ausführliche (detaillierte) Beleuchtung der biblischen und textlichen Fakten notwendig sein – getreu dem biblischen Grundsatz: „Du sollst genau untersuchen und nachforschen und fragen“ (5Mo 13,15; vgl. auch 5Mo 17,4).

Beim genauen Prüfen lässt es sich nicht vermeiden, immer wieder auf die (hebräischen und griechischen) Grundtexte zurückzugreifen. Wenn der Leser diese Sprachen nicht kennt, sollte er die hebräischen und griechischen Wörter und Formen einfach überlesen – die Grundaussagen und Argumente sollten trotzdem verständlich bleiben.

Wie sich zeigen wird, können viele vermeintliche „Widersprüche“ beim genauen Hinsehen gelöst werden, ohne die Lesarten des Nestle-Aland-Textes zu verlassen.

Vermeintliche Einwände

Matthäus 1,10 – Amon oder Amos?

Bis vor etwa 150 Jahren gab es in Deutschland keine einheitliche Rechtschreibung und daher auch keine einheitliche Schreibweise für Eigennamen. Das ist in der Bibel nicht anders. Es wundert also nicht, dass man für manche Personen verschiedene Namensschreibweisen in den griechischen Handschriften und Textausgaben findet.

In Matthäus 1,10 findet sich ein oft genanntes Beispiel: Die Namensform eines alttestamentlichen Königs lautet dort im Textus Receptus und im MT-Text „Amon“ (Ἀμὼν), aber im Nestle-Aland-Text „Amos“ (Ἀμώς). Da die hebräische Namensform des Königs „Amon“ (אָמוֹן) lautet, wird behauptet, der Nestle-Aland-Text habe eine unbiblische und nicht inspirierte Namensform.

Aber die Schreibweise von Namen erfolgt beim Übertragen in andere Sprachen nicht immer strengen Regeln. Man kann und darf nicht erwarten, dass hebräische Namensformen eins zu eins in die griechische Sprache übertragen wurden. Es folgen tabellarisch einige Beispiele[3]:

AT-Aussprache

NT-Aussprache

Chäzron (חֶצְרוֹן) Hesrom (Ἑσρώμ)
Ram (רָם) Aram (Ἀράμ)
Nachschon (נַתְשׁוֹן) Naasson (Ναασσών)
Salma (שַׂלְמָה ) Salmon (Σαλμών)
Jehoschua (יְהוֹשׁוּעַ), in 2Mo 17,9 Iäsus (Ἰησοῦς), Apg 7,45
Moschä (מֹשֶׁה), in 2Mo 2,10 Moüsäs (Μωϋσῆς), Mt 8,4
Jeruschalajim (יְרוּשָׁלַיִם)[4] (H)Ierosolüma (Ἱεροσόλυμα)[5], Mt 2,1
Galil (גָּלִיל), in Jos 20,7 Galilaia (Γαλιλαία), Mt 2,22
Elijahu (אֵלִיָּהוּ), in 1Kön 17,1 Älias (Ἠλίας), Mt 11,14
Jeschajahu (יְשַׁעְיָהוּ), in 2Kön 19,2 Äsaias (Ἠσαΐας), Mt 3,3
Jizchaq (יִצְחָק), in 1Mo 17,19 Isaak (Ἰσαάκ), Mt 1,2
Dammäsäq (דַּמֶּשֶׂק), in 1Mo 14,15 Damaskos (Δαμασκός), Apg 9,2
Baväl (בָּבֶל), in 1Mo 10,10 Babülon (Βαβυλών), Mt 1,11
Schimron (שֹׁמְרוֹן), in 1Kön 13,32 Samareia (Σαμάρεια), Lk 17,11
Jafo (יָפוֹ), in Jos 19,46 Ioppä (Ἰόππη), Apg 9,36

Wie man sieht, können beim Übertragen vom Hebräische ins Griechische Buchstaben wegfallen, dazukommen oder verändert werden. Der deutsche Leser merkt solche Unterschiede meistens nicht so deutlich, weil die Namen in der deutschen Übersetzung vielfach einander angeglichen werden.[6]

Zurück zu Matthäus 1,10: Wenn der alttestamentliche König Amon (אָמוֹן) in Matthäus 1,10 in vielen alten Handschriften (denen auch der Nestle-Aland-Text folgt) „Amos“ (Ἀμώς) genannt wird, dann ist es doch ziemlich mutig, aus diesem Unterschied einen Widerspruch zu konstruieren. Die Tabelle oben listet deutlich unterschiedlichere Namensformen auf. Für die zusätzliche Setzung des Buchstabens „s“ ans Ende eines alttestamentlichen Namens kann man mehrfach in der obigen Tabelle Beispiele finden.

Außerdem wird der König Amon schon in der Septuaginta (der griechischen Übersetzung des Alten Testaments aus vorchristlicher Zeit) manchmal mit „Amos“ (Αμως) übertragen, zum Beispiel in Jeremia 1,2 und 25,3. Warum sollte Matthäus das nicht auch gemacht haben können?

Matthäus 27,34 – Trinkt der Herr Essig oder Wein?

In Matthäus 27,34 steht im Nestle-Aland-Text: Die Soldaten „gaben ihm [Christus] Wein, mit Galle vermischt, zu trinken; und als er es geschmeckt hatte, wollte er nicht trinken“. Der Mehrheitstext liest genauso, hat aber „Essig“ statt „Wein“.

Nun soll der Nestle-Aland-Text im Widerspruch zu Matthäus 26,29 stehen. Dort hatte der Herr gesagt: „Ich werde von jetzt an nicht von diesem Gewächs des Weinstocks trinken bis zu jenem Tag, wenn ich es neu mit euch trinke in dem Reich meines Vaters.“ Psalm 69,22 rede ebenfalls von „Essig“. „Und sie gaben in meine Speise Galle, und in meinem Durst gaben sie mir Essig zu trinken.“ Das bestätige den Mehrheitstext und spreche gegen den Nestle-Aland-Text.

Aber dieser Schluss ist vorschnell. Essig ist nichts anderes als sauer gewordener Wein.[7] Wein war zur damaligen Zeit (durch vielfach unzureichende Kühlungsmöglichkeiten) oft schon mit einem gewissen Zusatz an (natürlich entstandenem) Essig durchsetzt. Ein solches Getränk konnte man (je nach Blickwinkel) „Wein“ oder „Essig“ nennen. Es passt zu Soldaten der damaligen Zeit, dass sie nur solchen billigen Essig-Wein hatten, den sie dem Herrn der Herrlichkeit anboten.

Liest man nun die Evangelien genau, so muss man zwei Begebenheiten unterscheiden: Die eine war unmittelbar vor der Kreuzigung, die andere nicht lange vor der Herabnahme vom Kreuz – etwa sechs Stunden später.

Begebenheit 1: Die Soldaten bieten dem Herrn einen Kelch mit (teilweise zu Essig versäuertem) Wein an, der Galle und Myrrhe enthielt. Der Herr schmeckte davon und wollte es nicht trinken (weil Myrrhe eine betäubende Wirkung hat). Folgende Verse beziehen sich auf diese erste Situation:

  • Mt 27,33-25: „Und als sie an einen Ort gekommen waren, genannt Golgatha, das heißt Schädelstätte, gaben sie ihm Wein, mit Galle vermischt, zu trinken; und als er es geschmeckt hatte, wollte er nicht trinken. Als sie ihn aber gekreuzigt hatten …“
  • Mk 15,22-24: „Und sie bringen ihn zu der Stätte Golgatha, was übersetzt ist: Schädelstätte. Und sie gaben ihm Wein, mit Myrrhe vermischt; er aber nahm es nicht. Und als sie ihn gekreuzigt hatten …“
  • Psalm 69,22a: „Und sie gaben in meine Speise Bitteres (Galle).“

Der Zusammenhang beweist, dass diese Situation unmittelbar vor der eigentlichen Kreuzigung stattfand.

Später kam es zu einer zweiten Begebenheit. Der Herr hatte schon sechs Stunden am Kreuz gehangen; es war kurz vor seinem Tod:

  • Mt 27,48: „Und sogleich lief einer von ihnen und nahm einen Schwamm, füllte ihn mit Essig und legte ihn um einen Rohrstab und gab ihm zu trinken.“
  • Mk 15,36: „Einer aber lief und füllte einen Schwamm mit Essig und legte ihn um einen Rohrstab und gab ihm zu trinken.“
  • Joh 19,28-30: „Danach, da Jesus wusste, dass alles schon vollbracht war, spricht er – damit die Schrift erfüllt würde –: Mich dürstet! Es stand nun ein Gefäß voll Essig da. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Ysop und brachten ihn an seinen Mund. Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! Und er neigte das Haupt und übergab den Geist.“

Diese Schrift, die es noch zu erfüllen galt, war Psalm 69,22b: „Und in meinem Durst gaben sie mir Essig zu trinken.“

Lukas 23,36.37 ist noch einzuordnen: „Aber auch die Soldaten verspotteten ihn, indem sie herzutraten, ihm Essig brachten und sagten: Wenn du der König der Juden bist, so rette dich selbst!“ Anscheinend wird auch hier die erste Situation beschrieben, denn es werden ausdrücklich die Soldaten als Täter genannt. Das stellt kein Problem dar, denn Lukas schreibt nicht streng chronologisch.[8]

(Übrigens könnte es sich theoretisch auch um eine weitere, dritte Begebenheit gehandelt haben, die nur bei Lukas und nicht bei Matthäus, Markus und Johannes beschrieben wird. Für die vorliegende aufgeworfene Fragestellung ist das aber jetzt unerheblich.)

Offensichtlich hat der Herr den Essig(-Wein) in der Begebenheit vor dem Kreuz nur geschmeckt, aber nicht getrunken: „Er aber nahm es nicht“ (οὐκ ἔλαβεν, Mk 15,33). In der zweiten Begebenheit kurz vor seinem Tod hat Er den Essig sehr wohl getrunken: „Als nun Jesus den Essig genommen hatte …“ (ἔλαβεν, Joh 19,30). In Johannes 19,30 tut der Herr genau das, was Er in Markus 15,23 ausdrücklich nicht tut: das Getränk zu sich nehmen. Psalm 69,22 macht kein Problem, wenn man sieht, dass der erste Teil dieses Verses unmittelbar vor dem Kreuz, der zweite Teil des Verses sechs Stunden später erfüllt wurde. Weil Psalm 69,22b noch unerfüllt war, musste der Herr ausdrücklich noch einmal rufen: „Mich dürstet.“ Johannes betont, was der Zweck dieses Ausrufes war: „damit die Schrift erfüllt würde“; das zielte auf Psalm 69,22b.[9]

Der Herr hat unmittelbar vor dem Kreuz also nichts getrunken (weder Essig noch Wein noch Wein-Essig[10]), sondern nur etwas „geschmeckt“. Markus sagt ausdrücklich: „Er aber nahm es nicht.“ Matthäus 27,34 sagt zwar: „Als er es geschmeckt hatte[11], wollte er nicht trinken“, aber „schmecken“ steht hier ja gerade im Gegensatz zu „trinken“.

Beim näheren Hinsehen erkennt man außerdem einen grundsätzlichen Fehler in der Essig-Wein-Debatte, der gar nichts mit Lesarten zu tun hat. Der Herr redet in Matthäus 26,29, Markus 14,25 und Lukas 22,18 nicht von „Wein“, sondern vom „Gewächs[12] des Weinstocks“[13]. Welchem Text und welcher Lesart man auch folgt: Es bleibt in jedem Fall eine Tatsache, dass der Herr nach der Zeit von Matthäus 26,29 noch Essig getrunken hat. Essig ist ein Produkt des Weinstocks.[14] Dem Nasiräer im Alten Testament wurde ausdrücklich geboten: Er solle sich „des Weines und des starken Getränks enthalten: Essig von Wein und Essig von starkem Getränk soll er nicht trinken; und keinerlei Traubensaft soll er trinken, und Trauben, frische oder getrocknete, soll er nicht essen“ (4Mo 6,3). Hier werden offensichtlich alle denkbaren Weinstockprodukte aufgezählt, und der Essig gehört selbstverständlich dazu; er wird gleich an zweiter Stelle genannt. Wenn man also mit Hilfe von Matthäus 26,29 einen Widerspruch zur Nestle-Aland-Lesart von Matthäus 27,34 schaffen möchte, dann bestünde dieser Widerspruch genauso zur Lesart des Mehrheitstextes und des Textus Receptus in Matthäus 27,48.

Aber wie ist das Problem des scheinbaren Widerspruchs zu lösen? Der Herr benutzte hier bildhafte Sprache. Er stellt sich sozusagen als den wahren Nasiräer (siehe 4Mo 6) vor, der sich für eine gewisse Zeit des Weines enthält und ihn erst wieder genießt, wenn er es mit ihnen zusammen in seinem Königreich tun kann. Deshalb benutzt Er auch bewusst eine Formulierung, die an 4. Mose 6,4 erinnert. Wein ist in der Bibel oft ein Bild (Symbol) für Freude (Ps 104,15; Ri 9,13). Natürlich meint Matthäus 26,29 nicht, der Herr werde in der Zukunft in seinem Königreich buchstäblichen Wein mit seinen auferweckten Jüngern aus einem buchstäblichen Becher trinken. Aus diesem Grund sagt der Herr dann auch nicht, Er werde im Reich den Wein „aufs Neue“ mit ihnen trinken, sondern Er werde es „neu“ mit ihnen trinken, das heißt in einer ganz neuen Art.[15]

Es spielt für die vorliegende Frage gar keine zentrale Rolle, ob man Matthäus 26,29a („Ich werde von jetzt an nicht von diesem Gewächs des Weinstocks trinken“) buchstäblich auffasst oder nicht – es ergibt sich in keinem Fall ein Widerspruch zum Essigtrinken am Kreuz wenige Stunden später. Die inspirierten Schreiber fügen nämlich hinzu: „von jetzt an“ (ἀπ᾽ ἄρτι in Mt 26,29 bzw. ἀπὸ τοῦ νῦν in Lk 22,18). Eine genaue Untersuchung dieses Ausdrucks beweist, dass er nicht bedeutet „buchstäblich von dieser Sekunde an“. Ein genauerer Blick ins Neue Testament bestätigt das:

  • In Matthäus 23,39 sagt Christus zu den Schriftgelehrten und Pharisäern: „Ihr werdet mich von jetzt an nicht sehen, bis ihr sprecht: ‚Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!‘“ Offensichtlich meint das nicht, die Obersten des Volkes hätten Christus just von der Sekunde an, als Er diese Worte gesprochen hat, nicht mehr gesehen. Sie haben Ihn sehr wohl noch einige Tage lang gesehen, nämlich bis Er am Kreuz hing und dort starb. Anscheinend will der Herr die Zeit als sichtbarer Mensch hier auf der Erde (die bald mit seinem Kreuzestod enden sollte) von der Zeit danach, als Er als Auferstandene nur noch den Seinen erschien und dann in den Himmel aufgenommen wurde, von der (auch heute noch) zukünftigen Zeit trennen. Das „nun“ meint hier also nicht „von dieser Sekunde an“, sondern: „von der Zeit meines [bald erfolgenden] Todes und meiner Himmelfahrt an“.

  • In Lukas 22,69 sagt der Herr zum jüdischen Synedrium: „Von nun an aber wird der Sohn des Menschen sitzen zur Rechten der Macht Gottes.“ Auch hier meint „von nun an“ natürlich nicht „genau von dieser Sekunde an“, sondern erst seit der Zeit, wo Er „in den Himmel gegangen, zur Rechten Gottes ist, indem Engel und Gewalten und Mächte ihm unterworfen sind“ (1Pet 3,22).

So meint der Herr auch in Matthäus 26,29; Markus 14,25 und Lukas 22,18 nicht „genau von dieser Sekunde an“. Er möchte vielmehr die Zeit in drei Abschnitte teilen:

  • Die bisherige Zeit, wo Er sichtbar unter den Menschen lebte.
  • „Von nun an“, das heißt von der Zeit seiner Auferstehung und Himmelfahrt an, wo Ihn die Menschen und kurz darauf auch seine Jünger nicht mehr leibhaftig sehen würden. Diese Zeit dauert nun schon fast 2000 Jahre.
  • Das Reich des Vaters, das auch heute noch zukünftig ist, wo Er eine neue Freude mit seinen Jüngern genießen würde.[16]

Lukas 2,33 – War Joseph der Vater von Jesus Christus?

In Lukas 2,33 heißt es im Nestle-Aland-Text in Bezug auf den Herrn Jesus: „Und sein Vater und seine Mutter …“ Nun wird behauptet: Da Joseph ja nicht der tatsächliche Vater des Herrn Jesus war (Mt 1,16), sei die Lesart des Nestle-Aland-Textes in Lukas 2,33 falsch. Der Mehrheitstext liest dort: „Und Joseph und seine Mutter …“

Aber das Wort „Vater“ wird in der Heiligen Schrift oft in einem viel weiteren Sinn verwendet, als es im Deutschen üblich ist. Das Wort kann nicht nur den leiblichen Großvater (1Mo 28,13) oder Vorfahren allgemein (5Mo 26,5; 1Kön 15,11; Apg 3,13; 7,11; Röm 9,10) bezeichnen, sondern es steht auch oft genug, wenn gar kein Verwandtschaftsverhältnis vorlag, zum Beispiel im Sinn von Oberhaupt, Führer, Berater, Wohltäter (Beispiele: 1Mo 45,8; 2Chr 2,12; 2Kön 6,21; Hiob 29,16; Apg 22,1; 1Kor 4,15). Selbstverständlich konnte man mit „Vater“ auch das bezeichnen, was wir „Ziehvater“ oder „Stiefvater“ nennen. Von der späteren Königin Esther heißt es in Esther 2,7: „Sie hatte weder Vater noch Mutter. … Und als ihr Vater und ihre Mutter gestorben waren, hatte Mordokai sie als seine Tochter angenommen.“ (Siehe auch Esther 2,15.)

Wenn der Herr Jesus in Matthäus 1,1 „Sohn Davids“ genannt wird, dann war dieser Titel zweifellos auch hier nicht im buchstäblichen Sinn als „biologischer Nachkomme“ gemeint, denn Matthäus gibt ja nicht den Stammbaum von Maria (wie Lukas), sondern den von Joseph. Es macht dem Schreiber Matthäus nichts aus, dass Joseph nicht der buchstäbliche Vater von Joseph war – trotzdem ist die Sohnschaft Jesu im Blick auf David über Joseph nachgewiesen. Wer also im Nestle-Aland-Text von Lukas 2,33 einen Widerspruch sieht, der muss ihn ebenso im Mehrheitstext von Matthäus 1,1 sehen.

Wenn das Wort „sein Vater“ hier ein sachlicher Fehler wäre und einen leiblichen Vater bezeichnen würde, dann müsste auch der Ausdruck „seine [= Jesu] Eltern“ (Lk 2,41.43, vgl. auch Lk 2,27) die leiblichen Eltern bezeichnen, was im Blick auf Joseph ja im wörtlichen Sinn ebenfalls falsch wäre.[17] Übrigens sagte Maria in Lukas 2,48 zu dem 12-jährigen Jesus: „Dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ Daran erkennt man den üblichen damaligen Sprachduktus: Obwohl Maria genau wusste, dass ihr Mann Joseph nicht der leibliche Vater war, nennt sie ihn doch einfach „dein[en] Vater“.[18]

Lukas 4,44 – War Christus in Judäa oder in Galiläa?

Im Mehrheitstext und im Textus Receptus von Lukas 4,44 steht: „Er [Christus] predigte den Synagogen Galiläas“; laut Nestle-Aland-Text waren es die Synagogen Judäas. In der Parallelstelle in Markus 1,39 heißt es (in allen drei Textformen): die „Synagogen von ganz Galiläa“. Hier, so sagt man, liege nun ein offensichtlicher geographischer Fehler im Nestle-Aland-Text vor, Judäa liege ja nicht in Galiläa.

Aber diese Schlussfolgerung ist voreilig. Der Ausdruck „Judäa“ (Ἰουδαία) bezeichnet nämlich nicht nur das kleine Gebiet „Judäa“ (im Unterschied von Galiläa, Samaria, Peräa usw.), sondern kann auch „im weiteren Sinn das gesamte Gebiet Palästinas“[19] meinen. Zumindest der Evangelist Lukas scheint das Wort „Judäa“ manchmal in diesem weiteren Sinn verwendet zu haben; zum Beispiel lag (laut Lukas) das Städtchen Nain anscheinend in „Judäa“ (Lk 7,17). König Herodes (der Große) war laut Lukas 1,5 „König von Judäa“; dessen Herrschaftsgebiet umfasst aber auch Galiläa, wie aus Geschichtsquellen bekannt ist. Es ist nicht einzusehen, warum hier nur der Landesteil Judäa gemeint sein soll. Die Hohenpriester werfen dem Herrn Jesus in Lukas 23,5 vor: „Er wiegelt das Volk auf, indem er durch ganz Judäa hin lehrt, angefangen von Galiläa bis hierher.“ Die religiösen Führer wollten die Tätigkeiten des Herrn natürlich als möglichst großflächig beschreiben und verwenden auch hier „Judäa“ im umfassenden Sinn als das ganze Land Juda betreffend. Deshalb umfasste Judäa offenbar auch Galiläa und sie konnten sie ganz natürlich anfügen: „angefangen von Galiläa“. Ähnlich ist wohl auch Apostelgeschichte 10,37 zu verstehen: „das Zeugnis, das, angefangen von Galiläa, durch ganz Judäa hin ausgebreitet worden ist“; demnach begann Judäa schon in Galiläa.

Diese (umfassende) Verwendung des geographischen Ausdrucks „Judäa“ kann man zweifelsfrei auch in außerbiblischen Quellen nachweisen. Ein Beispiel ist der Geograph Strabon, der um 63 v.Chr. bis nach 23 n.Chr., also nur wenige Jahre vor den neutestamentlichen Schreibern, lebte. Strabon schrieb über das Land Israel: Der höher als Phönizien gelegene innere Landesteil „zwischen Gaza und dem Antilibanon bis zu den Arabern hin, wird Judäa (Ἰουδαία) genannt“.[20] Damit hat dieser bekannte Geograph das Wort „Judäa“ ebenfalls im weiten Sinn verwendet.

Übrigens kann es jeder Bibelleser nachprüfen: Namen werden manchmal in einem engen und manchmal in einem weiten Sinn verwendet. Beispielsweise wird der Name „Israel“ teilweise für Jakobs komplette Nachkommenschaft (die 12 Stämme) und deren Land verwendet. An anderen Stellen steht der Name nur für das Nordreich Israel (die 10 Stämme, z.B. 2Sam 2,10 und oft ab 2Kön 12); manchmal bezeichnet „Israel“ sogar nur die 2 Stämme Juda und Benjamin, die nach der Vertreibung der 10 Stämme in die assyrische Gefangenschaft übriggeblieben sind (z.B. in 2Chr 12,6; 21,2; 28,19). Aus solchen verschiedenen Gebrauchsweisen kann und darf man keinen Widerspruch konstruieren.

Das Wort „Kittäer“ (כִּתִּיִּים) ist ein anderes alttestamentliches Beispiel. Dieser Volksname bezeichnet zunächst die Bewohner der griechischen Insel Zypern („Zyprier“), dann aber auch allgemein die Insel- und Küstenbewohner des Mittelmeeres.[21]

Auch der Name „Galatien“ wurde in zweierlei Sinn verwendet:

  • in einem engen Sinn als eine kleine asiatische Landschaft,
  • in einem weiten Sinn als eine römische Provinz, die nicht nur das „Galatien“ im engen Sinn umfasste, sondern auch Isaurien, Zilizien und den nördlichen Teil von Lykaonien.[22]

Auch in vielen anderen Sprachen wurden und werden geographische Begriffe in einem engen und einem weiten Sinn verwendet. Wer im Deutschen von „England“ spricht, meint damit entweder einen Landesteil des Vereinigten Königreichs (südlich von Schottland, östlich von Wales), oder er meint die gesamte Insel Großbritannien (also inklusive Schottland und Wales). Auch der Ausdruck „Holland“ bezeichnet im engen Sinn nur eine Region der Niederlande, aber oft wird dieser Begriff für die gesamten Niederlande benutzt. Man könnte noch viele weitere alte und neue Beispiele anfügen.

Ergebnis: Wenn in Lukas 4,44 die Lesart „Judäa“ richtig ist, dann ist damit nicht das Teilgebiet der Provinz „Judäa“ gemeint, sondern (in einem weiten Sinn) das gesamte jüdische Land, das auch Galiläa umfasste. Für diese Bedeutung des Wortes „Judäa“ (im weiten Sinn) gibt es genügend inner- und außerbiblische Belege. Es besteht kein Widerspruch zwischen Lukas 4,44 und den übrigen Evangelisten – gleichgültig, welche Lesart in Lukas 4,44 ursprünglich ist.

Markus 5,36 – Gehört oder überhört?

Laut Lukas 8,49 hörte der Herr Jesus das an Jairus gerichtete Wort über den Tod von dessen Tochter. In der Parallelstelle Markus 5,36 sagt der Nestle-Aland-Text: „Jesus aber überhörte das Wort, das geredet wurde.“ Hierin soll ein Widerspruch liegen. Der Herr habe das Wort nicht gleichzeitig hören und überhören können.

Um das Problem nicht oberflächlich zu betrachten, muss das verwendete Wort „überhören“ (παρακούω) im Nestle-Aland-Text genauer unter die Lupe genommen werden. Das Wort kann zwei mögliche Bedeutungen haben:

  • „Jesus hörte das Wort nebenbei“, das heißt, die Worte waren zwar nicht an Ihn gerichtet, aber Er hörte sie trotzdem nebenbei. Frei übersetzt: „Jesus fing das Wort auf.“[23]
  • „Jesus überhörte das Wort“, das heißt, Er hörte es, achtete aber nicht darauf. Frei übersetzt: „Jesus verstand das Wort, schenkte ihm aber keine weitere Beachtung.“[24]

Insgesamt scheint mir die zweite Bedeutung hier näherliegender, denn erstens lässt sie sich auch bei Zeitgenossen der neutestamentlichen Zeit nachweisen, und zweitens findet sie sich auch in der Septuaginta.[25] Jedenfalls können beide Bedeutungen problemlos neben Lukas 8,49 stehen, ohne einen Widerspruch zu ergeben.

Lukas 9,10 – Wüste oder Stadt?

Im Nestle-Aland-Text von Lukas 9,10 steht: „Und er [Christus] nahm sie [die Jünger] mit und zog sich zurück für sich allein in eine Stadt, mit Namen Bethsaida.“ Hier soll ein Widerspruch zu den anderen Evangelien bestehen, wo besagter Rückzugsort (laut der Übersetzung der Schlachter 2000) eine „Wüste“ war. Ein bewohnter Ort[26] könne ja keine Wüste sein.

Aber wenn man untersucht, welche geographische Ausdehnung eine „Stadt“ haben konnte, löst sich der vermeintliche Widerspruch auf. In Johannes 4,5 heißt es: „Er [Christus] kommt nun in eine Stadt[27] Samarias, genannt Sichar.“ Aber der weitere Zusammenhang macht klar, dass der Herr noch keineswegs in die eigentliche Wohnstadt gekommen sein kann. Das wird aus dem Text bei folgenden Formulierungen deutlich:

  • Joh 4,8: „Denn seine Jünger waren weggegangen in die Stadt, um Speise zu kaufen.“
  • Joh 4,28: „Die Frau nun ließ ihren Wasserkrug stehen und ging weg in die Stadt.“
  • Joh 4,30: „Sie gingen aus der Stadt hinaus und kamen zu ihm.“

Man konnte also „in“ eine Stadt gehen und sich doch noch außerhalb der bewohnten Stadt befinden. Lukas 7,11 ist ein anderer Beleg für diese Ausdrucksweise: „Und es geschah danach, dass er [Christus] in eine Stadt ging, genannt Nain.“ Aber schon der nächste Vers fügt hinzu: „Als er sich aber dem Tor der Stadt näherte, siehe, da wurde ein Toter herausgetragen.“ Demnach war der Herr, als Er noch außen vor dem Tor von Nain war, trotzdem „in“[28] die Stadt Nain gegangen.[29] Nach biblischer Vorstellung besteht eine „Stadt“ aus dem bewohnten Innenteil und einem Bezirk ringsum. Von den Levitenstädten heißt es beispielsweise im Alten Testament: „Und die Bezirke der Städte … sollen von der Stadtmauer nach außen hin 1000 Ellen [ca. 500 m] betragen ringsum; und ihr sollt außerhalb der Stadt auf der Ostseite 2000 Ellen [ca. 1 km] abmessen und auf der Südseite 2000 Ellen und auf der Westseite 2.000 Ellen und auf der Nordseite 2000 Ellen, damit die Stadt in der Mitte sei; das sollen die Bezirke ihrer Städte sein“ (4Mo 35,4.5) Wie auch immer die Formulierung genau zu verstehen ist, so macht sie doch eine Sache unzweifelhaft klar: Nach jüdischen Vorstellungen gehörten Felder und Fluren vor einer Stadt schon zu einer Stadt – und man war in einem gewissen Sinn schon „in“ einer Stadt, wenn man sich auf deren Fluren außerhalb der eigentlichen Wohnstadt befand.

Übrigens läuft der Mehrheitstext von Lukas 9,10 dem Sinn nach auf dasselbe hinaus wie die obige Erklärung. Die Schlachter 2000 übersetzt zwar: „eine Wüste bei der Stadt, die Bethsaida heißt“, aber das Wort „bei“ ist eine Interpretation der Übersetzer, denn dieses Wort steht gar nicht im griechischen Mehrheitstext (oder im Textus Receptus). Wörtlich heißt es dort: „in einen öden Platz einer Stadt [Genitiv] namens Bethsaida“, das heißt, besagte Wüste gehörte zur Stadt Bethsaida. Wie man sich das genau vorzustellen hat, bleibt dem Übersetzer überlassen.

Ergebnis: Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem Nestle-Aland-Text von Lukas 9,10 und den anderen Evangelien. Die Speisung der 5000 könnte auf einer Wiese im Außenbereich der Stadt Bethsaida stattgefunden haben. Nach biblischer Ausdrucksweise befand man sich damit einerseits „in der Stadt Bethsaida“[30], konnte aber andererseits an einem „öden Ort“[31] sein.

Johannes 1,42 etc. – Verschiedene Namen

In Matthäus 16,17 trägt der Vater von Petrus den Namen „Jona“, im Johannesevangelium (Joh 1,42 etc.) heißt er im Nestle-Aland-Text (mit vielen alten Handschriften) „Johannes“. Darin soll ein handfester Widerspruch liegen.

Aber jedem erfahrenen Bibelleser ist bekannt, dass viele biblische Personen mehrere verschiedene Namen hatten. Es folgen einige Beispiele:

  • Esau = Edom (1Mo 25,30; 36,1)
  • Jakob = Israel (1Mo 32,29)
  • Hosea = Josua (4Mo 13,16)
  • Gideon = Jerub-Baal (Ri 6,31.32; 7,1)
  • Eljakim = Jojakim (2Kön 23,34)
  • Mattanja = Zedekia (2Kön 24,17)
  • Hadassa = Esther (Est 2,7)
  • Asarja = Abednego (Dan 1,7)
  • Daniel = Belsazar (Dan 1,7)
  • Hananja = Sadrach (Dan 1,7)
  • Misael = Mesach (Dan 1,7)
  • Simon = Petrus = Kephas (Mt 4,18; Joh 1,42)
  • Saulus = Paulus (Apg 13,9) usw.

Zweitnamen, Zusatznamen und Beinamen waren auch zur Zeit des Neuen Testaments an der Tagesordnung. Weil es noch keine Nachnamen gab, waren solche Zusatznamen oft wichtige Unterscheidungsmöglichkeiten. Kephas hieß nicht nur Petrus, sondern er trug eigentlich den Namen Simon (Mk 3,16; Apg 10,5); der anstelle von Judas berufene Apostel hatte ebenfalls gleich drei Namen: „Joseph, genannt Barsabbas, mit dem Beinamen Justus“ (Apg 1,23), Joseph wurde auch Barnabas genannt (Apg 4,36), Johannes hieß auch Markus (Apg 12,12. 25) usw. usw.

Wenn nun schon Petrus mindestens drei Namen hatte, warum sollte das bei seinem Vater nicht ebenfalls möglich gewesen sein? Er konnte sowohl „Johannes“ als auch „Jona“ heißen und mal wird der eine und mal der andere Name erwähnt.

Es ist aber auch möglich, dass Jona nur eine Kurzform von Johannes (hebräisch eigentlich: Jochanan, יוֹחָנָן) darstellt. In 1. Chronika 5,36 wird das hebräische „Jochanan“ in der Septuaginta mit „Joanas“ (Ιωανας) übertragen; daraus konnte unter Weglassung des „a“ problemlos „Jonas“ (Ιωνας) werden.[32]

Auch wir kennen solche Kurz- und Langformen von Namen. In Deutschland sind beispielsweise Johann, Hannes, Hans, Jan, Jens, Jannik, Jannis und John nur Neben- oder Kurzformen von „Johannes“.

In der Bibel gibt es ebenfalls solche Kurz- und Nebenformen. Der dritte Sohn Isais hieß Schamma (שַׁמָּה in 1Sam 16,9; 17,13), aber an anderer Stelle heißt er „Schimea“ (שִׁמְעָא in 1Chr 2,13; 20,7). Der vorletzte König Judas hieß „Jojakin“ (2Kön 24,8), „Jekonja“ (Jer 27,20) oder nur kurz „Konja“ (Jer 22,24).

Der König Abija, der Enkel Salomos, hat im Alten Testament folgende drei Schreibweisen:

  1. Abijam (אֲבִיָּם in 1Kön 14,31 usw.)
  2. Abija (אֲבִיָּה in 2Chr 3,10 usw.)
  3. Abijahu (אֲבִיָּהוּ  in 2Chr 13,20.21)

Ein anderer König von Juda hat in nur einem einzigen Kapitel, nämlich 2. Könige 15, nicht weniger als vier verschiedene Namensformen:

  1. Asarja (עֲזַרְיָה in 1Kön 15,1.7.17.23.27)
  2. Asarjahu (עֲזַרְיָהוּ in 1Kön 15,6.8)
  3. Usija (עֻזִיָּה in 1Kön 15,13.30) und
  4. Usijahu (עֻזִיָּהוּ in 1Kön 15,32.34)

Man könnte noch viele weitere Beispiele anführen. Der deutsche Leser merkt solche Unterschiede nicht immer, weil die Schreibung der Namen in den Übersetzungen manchmal vereinheitlicht wird.

Ergebnis: Wenn der Vater von Simon Petrus mal „Jona“ und mal „Johannes“ heißt, so ist das kein Widerspruch. Entweder hatte der Vater von Petrus zwei verschiedene Namen oder „Jona“ ist hier nur eine Kurz- oder Nebenform von „Johannes“.

Johannes 6,11 – Wer teilte die Brote aus?

In Johannes 6,11 heißt es bei der Speisung der 5000: „Jesus nun nahm die Brote, und als er gedankt hatte, teilte er sie denen aus, die da lagerten; ebenso auch von den Fischen, so viel sie wollten.“ Bei Matthäus, Markus und Lukas heißt es, dass zuerst der Herr Brot und Fisch seinen Jüngern gab und diese es danach dann an die Volksmengen verteilten. Hier soll nun ein Widerspruch darin liegen, dass einmal der Herr selbst, ein andermal die Jünger den Volksmengen die Brote gaben. (Der Mehrheitstext nennt in beiden Fällen die Jünger als die Verteiler der Brote.)

Aber die Heilige Schrift lässt oft die menschlichen Vermittler einer Handlung aus und nennt nur die verantwortliche göttliche Person. Beispielsweise steht in Johannes 3,22: „Danach kam Jesus mit seinen Jüngern in das Land Judäa, und dort verweilte er mit ihnen und taufte.“ Aber laut Johannes 4,2 hat der Herr die Taufe gar nicht mit eigenen Händen durchgeführt; es waren vielmehr die Jünger: „obwohl Jesus selbst nicht taufte, sondern seine Jünger“. Wer also aus dem Nestle-Aland-Text von Johannes 6,11 schließen wollte, die Jünger seien nicht beteiligt gewesen, müsste ebenso schließen, dass die Jünger an der Taufe in Johannes 3,22 nicht beteiligt waren – und läge damit laut Johannes 4,1.2 daneben. Anders gesagt: Wenn die Nestle-Aland-Lesart von Johannes 6,11 wirklich ein Widerspruch zu den anderen drei Evangelien wäre, dann wäre also auch Johannes 3,22 ein Widerspruch zu Johannes 4,2.

Viele andere Stellen weisen in die gleiche Richtung. War es etwa falsch, als Petrus den Juden in Apostelgeschichte 2,36 und 4,10 über Christus sagte: „den ihr gekreuzigt habt“? Wer wird hier kritisieren wollen, die Kreuzigung sei doch nicht durch die Juden, sondern durch römische Soldaten durchgeführt worden? Waren es nicht trotzdem die Juden, die (indirekt) diese Kreuzigung zu verantworten hatten, auch wenn sie nicht die direkten Ausführer der Kreuzigung waren?

Ist es etwa ein Widerspruch in der Heiligen Schrift, wenn es in 2. Samuel 24,1 heißt, der HERR habe David angereizt, Israel zu zählen, aber die Parallelstelle in 1. Chronika 21,1 genauso deutlich sagt, es sei Satan gewesen? Schließt das eine wirklich das andere aus? In Jeremia 38,23 weissagt Jeremia gegenüber dem König Zedekia: „Du wirst diese Stadt [= Jerusalem] mit Feuer verbrennen“ – aber gemeint ist natürlich, dass Zedekia daran schuld ist, dass Jerusalem verbrannt wird, und nicht etwa, dass Zedekia selbst Feuer an seine Residenz legen würde.

Auch in den Evangelien findet man solche Schreib- und Denkweisen. Da heißt es beispielsweise in Matthäus 20,32 im Blick auf die zwei Blinden in Jericho: „Jesus … rief sie.“ Aber in der Parallelstelle in Markus 10,49 steht: „Jesus … sprach: Ruft ihn!“ (Schlachter: „Jesus … ließ ihn rufen“). Also rief er den Blinden (bzw. die Blinden), aber Er tat das offensichtlich durch die Vermittlung anderer.[33]

In Matthäus 10,20 sagt der Herr Jesus zu seinen Jüngern: „Nicht ihr seid die Redenden, sondern der Geist eures Vaters, der in euch redet.“ Wenn ein Jünger im Auftrag Gottes redete, konnte man auch sagen, dass der Geist Gottes selbst redete. Laut 1. Könige 5,19 und 1. Könige 8,18 sprach der Herr zu David über den Tempelbau. Aber 2. Samuel 7,11 und 1. Könige 8,15.16 zeigen, dass es durch Vermittlung von Nathan geschah. Wenn es in Jesaja 7,10 heißt, Gott habe zu Ahas geredet, dann macht der Kontext deutlich, dass es durch dieses Reden durch die Person von Jesaja erfolgte.

Für einen Orientalen ist es oft gar nicht wichtig, wer als Werkzeug für eine Handlung gebraucht wurde. Entscheidend ist, wer der eigentliche Urheber war. Das macht sich manchmal auch im sprachlichen Ausdruck bemerkbar. Beispielsweise heißt es in Johannes 19,1 buchstäblich: „Dann nahm nun Pilatus Jesus und geißelte ihn.“ Für uns klingt das tatsächlich so, als habe Pilatus selbst die Peitsche gegen den Herrn Jesus erhoben. Natürlich ist das nicht gemeint – und kein gesunder Ausleger hat das jemals so verstanden. Aus diesem Grund übersetzen auch fast alle alten und neuen Übersetzungen: „Er ließ ihn geißeln“; für diese abscheuliche Tat hatte Pilatus seine Diener, die seine Befehle durchführen mussten.[34]

Nun bleibt allerdings noch eine Frage: Welchen Zweck verfolgte der Heilige Geist damit, die Jünger in Johannes 6,11 gar nicht zu erwähnen, sondern nur den Herrn selbst zu nennen? Wer die vier Evangelien genauer untersucht, wird bald feststellen, dass sie jeweils bestimmte Schwerpunkte setzen. Johannes zeigt den Herrn Jesus besonders oft als den, der selbst Gott ist, wie gleich im ersten Vers dieses Evangeliums betont wird („und das Wort war Gott“). So wundert es nicht, dass es gerade Johannes ist, der die menschlichen Vermittler der Brotvermehrung in Johannes 6 auslässt. Johannes stellt den Herrn Jesus hier als den vor, der das Volk selbst mit Nahrung versorgte, so wie der HERR (Jahwe) das zur Zeit des Alten Testaments in der Wüste mit Manna getan hatte. Deshalb erwähnt auch nur der Evangelist Johannes die nachfolgende Rede mit den Juden (Joh 6,25-59), bei der immer wieder das Brot aus dem Himmel vorkommt, das Gott seinem Volk im Alten Testament gab (2Mo 16).

Ergebnis: Der vermeintliche Widerspruch im Nestle-Aland-Text von Johannes 6,11 ist haltlos. Die Besonderheit im Nestle-Aland-Text, die den Charakter des Johannesevangeliums besonders verdeutlicht, geht im Mehrheitstext und im Textus Receptus leider verloren.

Johannes 7,8 – Geht der Herr zum Fest oder nicht?

In Johannes 7 soll im Nestle-Aland-Text folgender Widerspruch vorliegen: Laut Vers 8 sagt der Herr zu seinen leiblichen Brüdern: „Ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest; denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt.“ Laut Vers 10 ging Er dann aber doch zu dem Fest. Dieser angebliche „Widerspruch“ liege im Mehrheitstext nicht vor, denn dort sagt der Herr in Vers 8: „Ich gehe noch nicht hinauf zu diesem Fest.“

Wer einen solchen „Widerspruch“ in Johannes 7,8-10 konstruiert, argumentiert ebenso wie der neuplatonische Philosoph und Christenfeind Porphyrius in seiner Kampfschrift Gegen die Christen im 3. Jahrhundert.[35] Aber ein Widerspruch läge nur vor, wenn der Herr gesagt hätte: Ich gehe nie zu diesem Fest. Aber das „nicht“ von Vers 8 einfach auf Vers 10 zu erweitern, ist unzulässig. Vielmehr sagt der inspirierte Text: „Nachdem er aber dies zu ihnen gesagt hatte, blieb er in Galiläa“ (Joh 7,9). Er ging erst hin, als seine Brüder schon hinaufgegangen waren (d.h. nach Jerusalem), also mehrere Tage später, denn der Weg von Nazareth nach Jerusalem dauerte seine Zeit.

Schon in der normalen menschlichen Ausdrucksweise würde so etwas nicht als widersprüchlich empfunden. Ein Beispiel: Es ist Montag. Der Sohn bittet seinen Vater, ihn ins Schwimmbad zu begleiten. Der Vater sagt: „Ich gehe nicht mit dir ins Schwimmbad. Die Zeit ist noch nicht gekommen.“ Aber am Mittwoch geht er dann mit ihm zum Schwimmen. Wer würde das ein widersprüchliches Verhalten nennen? Hätte der Vater wirklich sagen müssen: „Ich gehe noch nicht mit dir ins Schwimmbad?“ Ein widersprüchliches Verhalten des Vaters läge nur vor, wenn er gesagt hätte: „Ich gehe nie mit dir ins Schwimmbad!“

Im vorliegenden Text von Johannes 7,8 macht der erklärende Zusatz „denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt“ klar, worum es geht: Der Vater hatte ihm den Auftrag (jetzt) nicht gegeben, aber sobald seine Zeit gekommen war, würde er kommen. Das „noch“ im Nachsatz erklärt den Vordersatz.

Schon in Vers 1 desselben Kapitels heißt es bezüglich des Herrn Jesus: „Er wollte nicht in Judäa wandeln, weil die Juden ihn zu töten suchten“ (Joh 7,1) Darf man daraus schließen, dass Er nie mehr danach in Judäa wandeln wollte? Schon wenige Verse später werden wir eines Besseren belehrt. Dort geht der Herr hinauf nach Jerusalem, das in Judäa lag. Ist es nun ein Widerspruch, wenn der Evangelist Johannes schreibt: „Er wollte nicht in Judäa wandeln“? Hätte er dann nicht richtiger schreiben müssen: „Er wollte noch nicht in Judäa wandeln“?

Zusammenfassung: Der Nestle-Aland-Text von Johannes 7,8 steht in keinem Widerspruch zu Johannes 7,10. Das „nicht“ von Vers 8 ist nicht absolut gemeint, sondern wird durch die Beifügung „denn meine Stunde ist noch nicht gekommen“ erklärt. Sobald diese Stunde gekommen war [d.h., sobald Er vom Vater den Auftrag dazu bekommen sollte], würde Er hinaufgehen.

Apostelgeschichte 7,30 – EIN Engel oder DER Engel des Herrn?

In Apostelgeschichte 7,30 ist von einem Engel die Rede. Im Nestle-Aland-Text heißt es, dass Mose „ein Engel“ erschien. Im Mehrheitstext und im Textus Receptus steht, es sei „(der) Engel des Herrn“ gewesen.

Hier ist es schwierig, den behaupteten Fehler im Nestle-Aland-Text überhaupt nachzuvollziehen, denn ein „Engel des Herrn“ ist ja eben auch „ein Engel“. Es ist zweifellos wahr, dass der Engel des Herrn (Jahwes) in 2. Mose 3 mit Mose sprach und Stephanus sich darauf bezieht. Die Frage ist aber, ob diese Tatsache auch in Apostelgeschichte 7,30 ausdrücklich betont werden soll. Nicht immer dann, wenn von dem Engel des Herrn die Rede ist, wird er nämlich auch so genannt. In Sacharja 1,8 wird der Engel des Herrn sogar zunächst nur als „ein Mann“ (אִישׁ) bezeichnet, erst später mit seinem vollen Namen (Sach 1,11). In 4. Mose 20,16 steht: „Da schrien wir zu dem HERRN, und er hat unsere Stimme gehört und einen Engel gesandt und uns aus Ägypten herausgeführt.“ Die Person, die hier einfach nur „ein Engel“ (מַלְאָךְ) genannt wird, war trotzdem niemand anderes als der Engel des Herrn, wie 2. Mose 14,19 und Richter 2,1 beweisen. Der volle Name „der Engel des Herrn“ wird aber in 4. Mose 20,16 nicht ausdrücklich genannt, weil hier der König von Edom angesprochen wird, der mit der Bezeichnung „der Engel des Herrn“ wohl nicht viel hätte anfangen können. Das heißt aber doch nun nicht, dass in 4. Mose 20,16 ein Textfehler vorliegt.

Im AT war der Sohn Gottes noch nicht im Fleisch offenbart worden – und Er konnte in seiner Manifestation als „der Engel Jahwes (des HERRN)“ auftreten. Aber im Neuen Testament ergab eine solche Manifestation des Engels des Herrn keinen Sinn mehr, denn der Herr Jesus, das Wort selbst, war Fleisch geworden – der eingeborene Sohn, der in des Vaters Schoß ist, hat Ihn kundgemacht (Joh 1,18). Eine zusätzliche Offenbarung in Form des Engels Jahwes (wie im AT) wäre nicht nur überflüssig, sondern gegen göttliche Prinzipien gewesen. Gott hat am Ende dieser Tage zu uns im Sohn geredet. Ein Blick ins Neue Testament bestätigt das: Außer der fraglichen Stelle von Apostelgeschichte 7,30 kommt der Ausdruck ἄγγελος κυρίου noch an folgenden zehn Stellen vor: Matthäus 1,20; 2,13.19; 28,2; Lukas 1,11; 2,9; Apostelgeschichte 5,19; 8,26; 12,7.23. Aber an keiner dieser Stellen ist der aus dem AT bekannte „Engel Jahwes“ gemeint – und folgerichtig übersetzt auch die Schlachter 2000 an solchen Stellen nie „der Engel des Herrn“, sondern immer korrekt „ein Engel des Herrn“.[36]

Nun kann man natürlich einwenden, dass es in Apostelgeschichte 7,30 ja gar nicht um die Zeit des Neuen Testaments geht, sondern der Blick in die Vergangenheit gerichtet wird. Trotzdem bleibt die Frage, ob es der Geist Gottes gewollt hat, dass Stephanus ausgerechnet hier die Person des Engels des Herrn aus dem AT ins Blickfeld rücken wollte. Wollte Stephanus das Auge seine Zuhörer nicht vielmehr auf den im Fleisch gekommenen Sohn Gottes lenken? Hätte die besondere Erwähnung des Engels des Herrn nicht eher von seinem Hauptthema abgelenkt?

Es wäre auch aus einem anderen Grund wenig sinnvoll gewesen, die Person des Engels des Herrn in Apostelgeschichte 7,30 zu sehr in den Mittelpunkt zu rücken: Stephanus richtet seinen Blick besonders auf zwei alttestamentliche Personen: Joseph und Mose. Dies tut er deshalb, weil beide Personen auffallende Ähnlichkeiten zum Leben Jesu Christi auf Erden aufweisen: Sie sind Vorbilder auf den Herrn Jesus – besonders in seiner Verwerfung durch sein eigenes Volk. Stephanus betont das, weil er den Juden und ihren Führern vorhalten möchte: Ebenso wie eure Vorfahren Joseph und Mose verwarfen, ebenso verwerft ihr euren Messias Jesus Christus. Christus wurde sozusagen in Joseph und Mose vorgeschattet. Nun wäre es verwirrend gewesen, neben Mose als dem Vorbild (Typos) auf Christus noch den Engel des Herrn als alttestamentliche Vorschattung Christi in den Mittelpunkt zu stellen. Betont werden sollte doch, dass der ehedem von seinem Volk verworfene Mose später mit einem göttlichen Auftrag als Retter des Volkes gesendet wurde.[37] Übrigens wird im Mehrheitstext auch in den folgenden Versen in Apostelgeschichte 7 nie mehr ausdrücklich vom „Engel des Herrn“ gesprochen (Apg 7,35.38).

Zusammenfassung: In Apostelgeschichte 7,30 ist die Lesart „ein Engel“ sachlich nicht anzufechten und passt obendrein inhaltlich besser im Konzept des Neuen Testaments.

1. Timotheus 3,16 – Wer ist „offenbart im Fleisch“?

Hier steht im Mehrheitstext das Wort „Gott“, aber im Nestle-Aland-Text ein Relativpronomen („der“). Es wird nun behauptet, hier liege im Nestle-Aland-Text eine Anormalität der griechischen Grammatik vor, weil es zu dieser Formulierung keine Analogie gebe.

Diese Kritik ist jedoch nicht haltbar. Warum findet man diese Lesart in vielen alten Handschriften und Übersetzungen, wenn sie angeblich so unnormal ist? Das unmittelbar vorher genannte „Geheimnis der Gottseligkeit“ ist ein direkter Hinweis auf die Person Christi selbst – und auf diese göttliche Person konnte problemlos mit dem Pronomen „der“ (ὃς) Bezug genommen werden. Der Hinweis auf die verschiedenen Geschlechter von „Geheimnis“, „Gottseligkeit“ und „der“ ist nicht stichhaltig, weil es sich ja um eine Sinnkonstruktion handelt (Constructio ad sensum), zu der es manche Parallele im Neuen Testament gibt.[38]

1. Petrus 2,2 – Wachsen zur Errettung?

In 1. Perus 2,2 nimmt man Anstoß an dem Ausdruck „Wachsen zur Errettung“, der nach fast allen alten Handschriften und Übersetzungen hier zu lesen ist. In späteren Handschriften fehlt dieser Zusatz oft. Die Kritik lautet, die Worte „zur Errettung“ stelle das Heil aus Glauben allein in Frage und mache es von einem Wachstumsprozess abhängig. Das könne nicht sein, weil die Petrusbriefe an Menschen gerichtet sind, die durch Glauben an Christus bereits im Besitz des Heils sind.

Nun spricht die Heilige Schrift tatsächlich manchmal von „erretten“ oder „Errettung“, wenn sie die ein für alle Mal erlangte Vergebung der Sünden in der Vergangenheit meint. Die vielleicht deutlichste Stelle in diesem Sinn ist 2. Timotheus 1,9, wo von Gott gesagt wird, dass er „uns errettet hat“ (nicht: „rettet“ oder „retten wird“, sondern „gerettet hat“, σώσαντος). Auch Epheser 2,5 und 8 sagt das: „Durch (die) Gnade seid ihr errettet.“ Wörtlich steht hier: „Ihr seid Gerettet-worden-Seiende (ἐστε σεσῳσμένοι).“ Die benutze Form des griechischen Perfekts bezeichnet eines Sache, die in der Vergangenheit geschah, deren Auswirkung aber in die Gegenwart hineinreicht. Umschreibend könnte man sagen: Ihr habt schon in der Vergangenheit die Errettung empfangen und besitzt sie heute. Auch Titus 3,5 redet in diesem Sinn.

Aber manchmal wird das Wort „Errettung“ (oder „erretten“, „Erretter“) in der Bibel auch für die Gegenwart und für die Zukunft benutzt – und man darf diese verschiedenen Sichtweisen nicht gegeneinander ausspielen, sonst behält man nur einen Teil der Wahrheit. Wir sollten immer bereit sein, biblische Wahrheit zu lernen, auch wenn sie unseren bisherigen Überzeugungen zu widersprechen scheint.[39]

Es folgen zwei Schriftstellen, in denen die Errettung als gegenwärtig zu sehen ist:

  • Heb 7,25: „Daher vermag er diejenigen auch völlig zu erretten, die durch ihn Gott nahen, indem er allezeit lebt, um sich für sie zu verwenden.“
  • 1Kor 1,18: „Das Wort vom Kreuz ist denen, die verlorengehen, Torheit; uns aber, die wir errettet werden, ist es Gottes Kraft.“ Paulus sagt nicht: „uns aber, die wir errettet worden sind“, sondern er beschreibt es als eine gegenwärtige Sache: Wir werden (jeden Tag durch Gottes Güte) errettet, das heißt vor Gefahren bewahrt und aus ihnen befreit.

Auch an anderen Stellen werden die Gläubigen als solche genannt, die „errettet werden“, und nicht als solche, die „errettet worden sind“ (z.B. 2Kor 2,15).

Es gibt auch Stellen, die von einer zukünftigen Errettung sprechen, zum Beispiel Römer 13,11. Dort schreibt Paulus, „dass die Stunde schon da ist, dass wir aus dem Schlaf aufwachen sollen; denn jetzt ist unsere Errettung näher, als damals, als wir gläubig wurden“. Hier wird der Zeitpunkt, als wir gläubig wurden, klar vom Zeitpunkt unserer Errettung getrennt. Es war „damals“, als wir gläubig wurden, aber heute ist unsere Errettung noch nicht gekommen, sondern erst nahe. Sie ist deshalb schon „nahe“, weil das Kommen des Herrn nahe bevorsteht. Aber so nahe die Errettung auch sein mag – erlangt haben wir sie (im Sinn von Römer 13,11) offensichtlich noch nicht. Wenn eine Mutter zu ihrem ungeduldigen Kind sagt: „Heute ist dein Geburtstag näher als gestern!“, dann folgt daraus, dass der Geburtstag weder gestern noch heute ist, sondern noch in der Zukunft liegt. Im Blickwinkel von Römer 13,11 sind Gläubige also noch keineswegs im Besitz des Heils (der Errettung).

Eine ähnliche Stelle ist Philipper 3,20: „Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten.“ Wir erwarten Christus „als Heiland“, das heißt, Er wird dann, wenn Er in der Zukunft für uns kommen wird, die Funktion des Erretters (Heilands) haben. Wir leben in einer uns umgebenden feindlichen Welt, und sein Kommen wird uns aus dieser gefahrvollen Situation befreien, also „erretten“. Dass diese Sicht richtig ist, wird auch in Hebräer 9,28 bestätigt: Christus wird „zum zweiten Mal denen, die ihn erwarten, ohne Sünde erscheinen zur Errettung“. Die Grammatik (die die Zukunftsform ὀφθήσεται benutzt) und der Sinn zeigen, dass dieses Ereignis noch zukünftig ist. Christus ist den Seinen bis heute noch nicht erschienen, und in diesem Sinn haben sie die völlige Errettung noch nicht, sondern werden sie erst dann bekommen. In 1. Thessalonicher 5,7-9 ist von der Errettung als einer „Hoffnung“ die Rede und als etwas, was erst erlangt werden wird. So auch in Römer 5,9.

Wie ist es nun im ersten Petrusbrief? Petrus schreibt an die gläubigen Briefempfänger, dass sie „durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werde[n] zur Errettung, die bereit ist, in der letzten Zeit offenbart zu werden“ (1Pet 1,5). Hier steht nicht, dass sie schon bewahrt wurden, sondern, dass sie (gegenwärtig) bewahrt werden (Präsens-Form). Es heißt auch nicht, dass sie die Errettung schon erlangt haben, sondern dass diese erst bereitsteht, offenbart zu werden; sie war also noch nicht gekommen; erst beim Kommen Christi – also in der Zukunft – wird sie offenbar werden.

In 1. Petrus 4,18 sagt Petrus, dass der Gerechte „mit Not errettet wird“. Er meint hier nicht die Errettung, die ein Gläubiger bei seiner Hinwendung zu Gott schon erlangt hat, sondern er denkt daran, dass wir beständig Gottes Hilfe und Rettung nötig haben, wenn wir diese gefahrvolle Welt durchschreiten.

In seinem zweiten Brief fordert Petrus die Leser auf: „Erachtet die Langmut unseres Herrn für Errettung“ (2Pet 3,15). Diese Aufforderung wäre sinnlos, wenn Petrus hier an die bei der Bekehrung erlangte Errettung in der Vergangenheit gedacht hätte. Dazu wäre keine gegenwärtige „Langmut“ des Herrn mehr notwendig. Aber diese Langmut war umso wichtiger bei der täglich immer neu zu erfahrenden Errettung aus allen widrigen Umständen hier auf der Erde.

Bibelabschreiber, denen diese Sicht von Errettung nicht geläufig war, konnten es (fälschlicherweise) als eine „Verbesserung“ ansehen, die Worte „zur Errettung“ beim Abschreiben wegzulassen, um einen vermeintlichen Fehler zu korrigieren. So ist es leichtverständlich, weshalb die Worte „zur Errettung“ in späteren Handschriften weggelassen wurden.

Ergebnis: „(Er-)Rettung“ oder „(er-)retten“ meint an vielen Bibelstellen etwas, was der Gläubige gegenwärtig erfährt. In den Petrusbriefen ist das die häufigste Sichtweise, und so ist auch das Wachsen „zur Errettung“ in 1. Petrus 2,2 gemeint.

Offenbarung 1,4 – Macht Johannes hier einen Grammatikfehler?

Die Offenbarung ist seit jeher ein „Schlachtfeld“ der Textkritik gewesen. Nicht nur, dass dieses Bibelbuch in der 2000-jährigen Kirchengeschichte seiner vermeintlichen Unverständlichkeit wegen oft stiefmütterlich behandelt wurde oder ganz unbeachtet blieb. Auch die Textüberlieferung des Buches folgt anderen Regeln, als man sie von den übrigen Büchern des NT gewohnt ist. Ein weiterer Grund ist die ungewöhnliche Ausdrucksweise, die der Schreiber Johannes in diesem Buch an den Tag legt. Kein Buch des Neuen Testaments ist mit so vielen Anspielungen und Andeutungen aus dem Alten Testament durchsetzt wie die Offenbarung – es gibt auch kein anderes neutestamentliches Buch, das so ungewöhnliche, oft hebraisierende Ausdrucksweisen verwendet. In der Offenbarung schreibt Johannes griechisch, aber er denkt semitisch (hebräisch). Es wundert daher nicht, dass man in der Offenbarung auch manchen ungewöhnlichen grammatischen Ausdrücken begegnet. Spätere griechische Abschreiber konnten (bis auf ganz wenige Ausnahmen) kein Hebräisch und haben die ungewöhnlichen Wort- und Grammatikformen von Johannes (bewusst oder unbewusst) in die üblichere griechische Form verwandelt. Es wundert also nicht, dass spätere griechische Handschriften (und mit ihnen der Mehrheitstext und der Textus Receptus) weitgehend die üblicheren grammatischen und sprachlicheren Formen aufweisen.

Nun hat man einige ungewöhnliche Ausdrucksweisen von Johannes, die in späteren Abschriften geglättet wurden, benutzt, um dem Nestle-Aland-Text als (grammatisch oder sprachlich) fehlerhaft darzustellen und so zu diskreditieren.[40] Am Beispiel von Offenbarung 1,4 soll das – stellvertretend für andere Stellen – einmal genauer beleuchtet werden.

Hier steht der Segenswunsch „Gnade euch und Friede von dem, der da ist (ἀπὸ ὁ ὢν).“ Nach der griechischen Präposition „von“ (ἀπὸ) folgt eigentlich der Genitiv, hier steht im Nestle-Aland-Text aber der Nominativ. Im Textus Receptus und im Mehrheitstext wurde das Wort „Gott“ im Genitiv eingefügt, so dass die grammatische Schwierigkeit behoben ist: ἀπὸ θεοῦ ὁ ὢν.

Der vermeintliche Grammatikfehler im Nestle-Aland-Text kann aber auch ein besonderes sprachliches Stilmittel sein. Angenommen jemand sagt: „Ich habe dir der Hammer geliehen.“ Auf den ersten Blick enthält dieser Satz einen offensichtlichen Grammatikfehler der deutschen Sprache; korrekt wäre: „Ich habe dir den Hammer geliehen.“ Aber der Sprecher könnte auch meinen: „Ich habe dir Der Hammer geliehen“, und dabei könnte Der Hammer ein feststehender Ausdruck sein, zum Beispiel ein Buch mit diesem Titel.[41]

Beim näheren Hinsehen entpuppt sich Offenbarung 1,4 als ein ähnlicher Fall: „Der da ist, der da war und der da kommt“ ist anscheinend hier als fester Gottestitel gemeint, der bewusst undeklinierbar und deshalb im Nominativ geschrieben worden ist.

Einen vergleichbaren Fall stellt 2. Mose 3,14 im Hebräischen dar: Dort steht wörtlich „Ich bin, er sandte mich“ (אֶהְיֶה שְׁלָחַנִי). Auch das ist grammatisch auf den ersten Blick inkorrekt, denn ein dekliniertes Verb der ersten Person (אֶהְיֶה) kann nicht Subjekt eines Verbs in der dritten Person sein. Aber beim näheren Hinsehen versteht man, dass „Ich bin“ hier als unveränderlicher Gottesname verwendet wird: „(Der Gott namens) ‚Ich bin‘ hat mich gesandt.“

Ergebnis: Die Ausdrucksweise von Johannes (oder besser gesagt: des Heiligen Geistes durch Johannes) in Offenbarung 1,4 ist eine besondere sprachliche Figur und kein Grammatikfehler.

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Anmerkungen

[1] Im Folgenden wird bewusst nicht der Ausdruck „kritischer Text“ für den Nestle-Aland-Text verwendet, weil dadurch leicht suggeriert wird, ein „kritischer“ Text kritisiere das Wort Gottes; dadurch würde der Verwechslung von Textkritik und Bibelkritik Vorschub geleistet. Übrigens sind ja auch Mehrheitstext und Textus Receptus in gewisser Hinsicht „kritisch“ – nämlich gegenüber den von ihnen abweichenden Textformen.

[2] Diese Regel wird fast mechanisch angewendet. Nur dann, wenn der Mehrheitstext in zwei oder mehr nahezu gleichgroße Gruppen zerfällt, besteht ein gewisser Spielraum.

[3] Ich lasse hier natürlich solche Fälle weg, wo das NT eine ganz andere Namensform hat als das AT, zum Beispiel beim Land Ägypten, das im AT durchgehend „Mizrajim“ (מִצְרַיִם in 1Mo 12,10) heißt und im NT „Aigüptos“ (Αἴγυπτος, Mt 2,13). Es muss auch betont werden, dass es selbstverständlich viele Namen gibt, deren Form im AT und NT (fast) dieselbe Aussprache aufweisen, zum Beispiel „Adam“ (אָדָם bzw. Ἀδάμ). Ich gehe hier auch nicht auf die Frage ein, wie die griechischen und hebräischen Buchstaben ursprünglich wirklich ausgesprochen wurden.

[4] Daneben gibt es weitere Formen.

[5] Auch hier gibt es eine weitere Form.

[6] Nicht selten haben sich – aus historischen Gründen – im Deutschen auch Namensformen eingebürgert, die aus der lateinischen Bibel stammen (z.B. „Petrus“ statt „Petros“).

[7] Chemisch gesehen handelt es sich einfach um eine Weiteroxidation von Ethanol zu Ethansäure.

[8] Lukas schreibt bei Details oft nicht chronologisch, sondern gruppiert thematisch. Offensichtlich sollen in Lukas 23,35.36 die beiden Gruppen, die Ihn verspotteten, bewusst nebeneinander genannt werden, weil sie beide gleich verdorben waren: Ob Jude, ob Heide – beide verspotteten den Herrn der Herrlichkeit.

[9] שׁקה im Hiphil (Ps 69,22b) legt die Betonung auf die Person, die jemandem zu trinken gibt (tränkt), was in Psalm 69,22 auch klar ist, denn die Bosheit und Niedertracht der Feinde soll dort herausgestellt werden. Trotzdem kann der Ausdruck nur gesagt werden, wenn die getränkte Person die Flüssigkeit auch trinkt. Unser deutscher Ausdruck „zu trinken geben“ mag sinngemäß als „zu trinken anbieten“ verstanden werden. Aber der hebräische Ausdruck (שׁקה im Hiphil) bedeutet „machen (= dahin bringen), dass jemand trinkt“.

[10] Während der zweite Teil von Psalm 69,22 ausdrücklich sagt, dass der dort Leidende (der prophetisch auf den Herrn hinweist) von dem Essig zu trinken bekam, steht im ersten Versteil nicht, dass der Leidende die Galle „getrunken“ habe, sondern nur, dass man sie in seine Speise mischte. Wie genau ist die Schrift! Man kann das immer wieder bewundern.

[11] Die Schlachter 2000 übersetzt: „Und als er davon gekostet hatte …“ Diese Übersetzung darf aber nicht so verstanden werden, als habe der Herr eine gewisse Menge zu sich genommen. Eigentlich bedeutet das Wort nur „schmecken“, was auch ohne Aufnahme der Nahrung möglich ist.

[12] Ich gehe jetzt nicht auf die Frage ein, ob die Lesart γένημα („Ertrag, Frucht, Gewächs“, Nestle-Aland-Text) oder γέννημα (wörtlich: „Gezeugtes, Sprössling“, Mehrheitstext) den Vorzug verdient. Für die vorliegende Frage ist das nicht ausschlaggebend.

[13] Es nützt gar nichts, auf das Wort „diesen“ in Matthäus 26,29 zu verweisen, als wolle es aussagen, es gehe nur um diese Sorte Weinstockgewächs, also nur um Wein (der ja beim Passah getrunken wurde). Abgesehen davon, ob ein solches Verständnis des Ausdrucks (das in der deutschen Sprache möglich sein mag) im Griechischen möglich ist, hat der Herr laut Markus 14,25 und Lukas 22,18 besagten Satz auch ganz allgemein formuliert.

[14] Auch Wein ist kein direktes Weinstockprodukt, sondern wird erst durch Pressen und Vergären des Traubensaftes gewonnen.

[15] Das verwendete griechische Wort ist καινός (Mt 26,29; Mk 14,25).

[16] Lukas stellt diesen heute noch zukünftigen Aspekt nicht heraus – im Einklang mit der besonderen Darstellung seines Evangeliums. Für die vorliegende Frage ist das aber ohne Belang.

[17] Der Textus Receptus hat genau diesen vermeintlichen Anstoß ebenfalls beseitigt und „Eltern“ durch … ersetzt.

[18] Man hat dagegen eingewandt, dass Maria hier die übernatürliche Geburt des Herrn Jesus vergessen oder nicht beachtet habe. Aber der Zusammenhang macht klar, dass das hier nicht der Punkt ist, den Lukas betonen möchte.

[19] So formuliert es W. Bauer: Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur, Berlin 19886, Spalte 768.

[20] Strabon: Geographie, Band 16, Kapitel 2, Abschnitt 21. Im griechischen Original steht: ἡ δ᾽ ὑπὲρ ταύτης μεσόγαια μέχρι τῶν Ἀράβων ἡ μεταξὺ Γάζης καὶ Ἀντιλιβάνου Ἰουδαία λέγεται. Siehe die gedruckte griechische Fassung auf folgender Internetseite: https://archive.org/details/strabonisgeogra06stragoog (S. 1055). Deutsche Übersetzung: https://archive.org/details/straboserdbesch01forbgoog (S. 32). Eine moderne englische Übersetzung von Strabons Text steht auf folgender Webseite: http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Strabo/16B*.html. Auch das theologische Wörterbuch zum Neuen Testament, Band III, S. 384, Zeile 45ff. erwähnt diesen Beleg.

[21] Zum genaueren Nachweis dienen die einschlägigen hebräischen Wörterbücher. Vergleiche auch die Fußnote der Elberfelder Bibel zu Jeremia 2,10.

[22] Es ist hier nicht unser Ziel, die Frage zu klären, wie Paulus (Gal 1,2; 1Kor 16,1; 2Tim 4,10) und Petrus (1Pet 1,1) das Wort „Galatien“ jeweils verstanden und verwendet haben. Es soll nur betont werden, dass solche doppelten Bedeutungen – gerade von geographischen Eigennamen – keine Seltenheit sind.

[23] Diese Wortbedeutung lässt sich bei dem griechischen Autor Aristophanes (ca. 445 bis ca. 380 v.Chr) und bei Platon (ca. 428 bis ca. 348 v.Chr.) nachweisen.

[24] Diese Wortbedeutung lässt sich bei Plutarch (um 45 bis 125 n.Chr.) nachweisen.

[25] Zum Beispiel in Jesaja 65,12: „Ich habe geredet und ihr habt es überhört [d.h. hier: nicht beachtet und nicht befolgt].“

[26] Bethsaida wird 7-mal im NT erwähnt (Mt 11,21; Mk 6,45; 8,22; Lk 9,10; 10,13; Joh 1,44; 12,21). Aus diesen Bibelstellen geht hervor, dass es damals ein bewohnter Ort gewesen sein muss. Das wird durch außerbiblische Quellen bestätigt.

[27] Genau der gleiche Ausdruck wie in Lukas 9,10 (εἰς πόλιν).

[28] Auch hier steht genau der gleiche Ausdruck wie in Lukas 9,10 (εἰς πόλιν).

[29] Man könnte auch noch weitere Beispiele aus dem Alten Testament anführen, zum Beispiel Josua 5,13, wo es von Josua wörtlich heißt, er sei dort „in Jericho“ (בִּירִיחוֹ; Septuaginta: ἐν Ιεριχω) gewesen – obwohl die Wohnstadt von Jericho ja erst in Josua 6 eingenommen wurde, so dass sich Josua höchstens im Außenbereich der Stadt befunden haben konnte.

[30] Am Rand sei vermerkt, dass die Nennung des Stadtnamens hier sicher mehr als nur eine geographische Information ist. Der Name „Bethsaida“ bedeutet nämlich „Haus der Speise“ (zusammengesetzt aus בֵּית, dem Genetiv vonבַּיִת  = „Haus“ und צַיִד  = „Speise, Wegzehrung, Lebensmittel“) und deutet damit schon in seinem Namen auf einen Ort hin, an dem man Speise erlangen konnte. Es ist sicher auch kein Zufall, dass das zugehörige Wort auch in der prophetischen Stelle Psalm 132,15 vorkommt: „Seine Speise (צֵידָהּ) will ich reichlich segnen, seine Armen mit Brot sättigen.“

[31] Wenn die Schlachter 2000 den Ausdruck τόπον ἔρημον in Lukas 9,10 (Mehrheitstext) mit „eine Wüste“ übersetzt, dann kann das den deutschen Leser in die Irre führen, denn bei „Wüste“ denkt man leicht an ein großes, fast vegetationsloses mit Sand bedecktes Gebiet. Laut Markus 6,39 und Johannes 6,10 gab es hier aber viel grünes Gras, auf dem sich die Volksmengen lagern konnten. Deshalb übersetzt man den Ausdruck τόπον ἔρημον besser mit „öder Platz“, das heißt eine Stelle, an dem sich keine oder nur wenig Menschen befanden. Der Zusammenhang macht das auch verständlich, denn der Herr suchte für sich und seine Jünger einen von wenigen Menschen besuchten verlassenen Platz, wo sie etwas ausruhen konnten (siehe Mk 6,31); vegetationslos musste der Ort deswegen nicht sein.

[32] In dem zwar nicht kanonischen, aber unter sprachlichen Aspekten interessanten apokryphen Buch 1. Esdras findet man in Kapitel 9,23 ebenfalls eine Person namens „Joanas“ (Ιωανας), bei der eine andere Lesart „Jonas“ (Ιωνας) lautet.

[33] Es ist übrigens bewundernswert, wie genau beide Verse mit dem allgemeinen Charakter des Evangeliums übereinstimmen. Matthäus stellt uns den König Israels vor, der in eigener Macht Blinde zu sich ruft – so wie damals David den lahmen Mephiboseth zu sich rief. Markus zeigt uns den Diener, der andere Menschen (auch uns!) daran erinnert, dass es unsere ausdrückliche Aufgabe ist, Hilfsbedürftige zu Ihm zu rufen. Lukas ergänzt: „Jesus … befahl, ihn zu sich zu führen.“ Man soll also nicht nur rufen, sondern auch bei der Umsetzung, dem Hinführen zu Jesus, behilflich sein.

[34] Man kann noch weitere solche Beispiele bringen. In Matthäus 2,16 steht buchstäblich: Herodes „tötete alle Knaben“; aber schon das zugefügte Wort „sandte“ macht unzweifelhaft klar, dass es sich um einen von ihm befohlenen Auftrag zur Tötung handelte und dass er nicht selbst das Schwert in die Hand genommen hat. In Matthäus 14,10 steht buchstäblich, Herodes habe Johannes enthauptet (nicht: enthaupten lassen, obwohl das natürlich gemeint ist), oder in Apostelgeschichte 12,2 steht buchstäblich, Herodes habe Jakobus mit dem Schwert getötet. Matthäus 27,60 sagt wörtlich, Joseph von Arimathia habe seine neue Gruft „in den Felsen ausgehauen“ – aber eine solche Knochenarbeit hat in damaliger Zeit ganz sicher kein angesehener Ratsherr selbst durchgeführt, sondern es wurde von ihm in Auftrag gegeben und von anderen durchgeführt.

[35] Am Rand sei vermerkt, dass Porphyrius dieses „Argument“ natürlich nur benutzen konnte, weil damals (Ende des 3. Jahrhunderts n.Chr.) der verbreitete Text kein „noch“ in Johannes 7,8 hatte – sonst wäre seine Argumentation ja sinnlos gewesen.

[36] Selbst in Matthäus 1,24, wo „der Engel des Herrn“ ( ἄγγελος κυρίου) steht, ist nicht der aus dem AT bekannte Engel des Herrn gemeint, sondern der Artikel weist einfach auf den vier Verse vorher erwähnten Engel hin. Vergleiche auch den Ausdruck, dass der „Herr seinen Engel gesandt hat“ (Apg 12,11; Off 22,6).

[37] Es gibt hilfreiche Bücher, die Joseph als Vorbild von Christus entfalten, beispielsweise die folgenden:

   - Barker, E.: Joseph—A Type of Christ
   - Bremicker, E.-A.: Durch Leiden zur Herrlichkeit. Aus dem Leben Josephs
   - Chater, E.H.: Joseph, Typical of Christ
   - Helling, A.: Joseph, der Patriarch
   - Knapp, C.: Joseph: A fruitful Bough, a Type of Christ
   - Lincoln, W.: Joseph and Jesus
   - MacDonald, W.: Joseph erinnert mich an Jesus
   - Smith, H.: Joseph: Offenbarer von Geheimnissen – Retter der Welt

Leider ist entsprechende Literatur zum Vorbild von Mose auf Christus rar. Manchmal wird eingewendet, Mose habe den Ägypter in fleischlichem Eigenwillen erschlagen und könne deshalb kein Vorbild auf Christus sein. Aber dieser Einwand ist nicht stichhaltig. Menschliche Vorbilder sind immer sündig gewesen. Jona gelangte gerade wegen seines Ungehorsams gegenüber Gott in den Fischbauch – und war doch ein Vorbild auf Christus (Mt 12).

[38] Für Einzelheiten vergleiche man zum Beispiel die Grammatik von D.B. Wallace: Greek Grammar Beyond the Basics, S. 33ff.

[39] Ein empfehlenswerter, vertiefender Artikel dazu ist „The Three Aspects of Salvation“, in: The Evangelist, 1873, S. 225ff., vgl. die Internetseite https://www.cw-archive.org/de/magazines/TE/N07/?external=1.

[40] Am Rand sei vermerkt, dass solche Versuche nicht zu erklären vermögen, warum solche vermeintlichen Grammatikfehler (a) sich bis heute noch in vielen Handschriften finden und (b) in der Offenbarung gehäuft auftreten, aber nicht im übrigen NT.

[41] Im Deutschen würde man den Unterschied durch die Großschreibung des Artikels, abgehobenen Druck oder durch Setzung von Anführungszeichen deutlich machen – im Altgriechischen gibt es solche Möglichkeiten nicht.


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