Der Prophet Habakuk (3)
Kapitel 3

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 18.09.2018, aktualisiert: 17.01.2021

Das Gebet Habakuks

Das wahre Ziel göttlichen Dienstes ist es, die Seele in der Gegenwart des Herrn zu beugen und das Herz in Anbetung und Verehrung Ihm entgegenzustrecken. So ging es Habakuk. Er wurde in die geheimen Ratschlüsse Gottes eingeweiht. Gottes Wort hat seine Seele mit Macht erreicht. Das Ergebnis davon ist, dass er vor Gott in Gebet und Anbetung niederfällt. Sein Gebet in Gedichtform ist einer der erhabensten Abschnitte des Alten Testamentes. Während er auf der einen Seite von dem Eindruck der Majestät und der Allmacht Gottes überwältigt ist, so dass er vor Ihm erzittert, schaut er dennoch voller Zuversicht auf den Einzigen, der dem gezüchtigten Volk, das wegen seiner Sünde zu Recht Gottes Rute spürt, Erweckung und Segen bringen kann.

Vers 1

Hab 3,1: Gebet Habakuks, des Propheten. Nach Schigjonot.

Das Wort „Schigjonot“ im Einführungsvers lässt vermuten, dass Habakuks Gebet vertont war. Wie gesegnet ist es, wenn alle unsere Gebete und unser Flehen so beschaffen sind, dass sie den Charakter von Lob in sich tragen! Uns wird gesagt: „Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden; und der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christus Jesus“ (Phil 4,6.7). Dank und Lob geziemen sich für Lippen von Sündern, die durch die souveräne Gnade Gottes errettet worden sind, einerlei, wie schwierig und verwirrend ihre Lebensumstände manchmal sein mögen.

David konnte einen Psalm im selben Rhythmus komponieren, als er in tiefer Bedrängnis war. Psalm 7 wird beschrieben als „Schiggajon, von David, das er dem HERRN sang wegen der Worte des Benjamiters Kusch“ (Ps 7,1). Man nimmt gewöhnlich an, dass Kusch ein anderer Name für Simei ist, der David verfluchte, als er vor seinem Sohn Absalom floh. „Schiggajon“ ist die Einzahl von „Schigjonot“. Die wirkliche Bedeutung ist nicht sicher bekannt; man sagt, es sei eine „Ode des Umherirrens“. In diesem Rhythmus schüttet der Prophet sein Herz vor dem All-Herrlichen aus, der seit jeher der Retter und die Hilfe seines erlösten Volkes war.

Vers 2

Hab 3,2: HERR, ich habe deine Kunde vernommen, ich fürchte mich; HERR, belebe dein Werk inmitten der Jahre, inmitten der Jahre mache es kund; im Zorn gedenke des Erbarmens!

Als Habakuk etwas von der Verdorbenheit seines eigenen Herzens und dem Zustand seines Volkes erkennt, erfüllt das Wort des Herrn ihn mit Furcht. Wie Jesaja konnte er ausrufen: „Wehe mir! Denn ich bin verloren; denn ich bin ein Mann von unreinen Lippen, und inmitten eines Volkes von unreinen Lippen wohne ich“ (Jes 6,5). Auf der Grundlage von Verdiensten kann er nichts geltend machen. Aber als er sich darauf besinnt, mit wem er es zu tun hat, kann er mit Zuversicht und Gewissheit demütig für Erneuerung und Segen bitten.

Es besteht kein Grund, in Verzweiflung niederzusinken und anzunehmen, dass der Leuchter weggenommen worden und das gemeinschaftliche Zeugnis erloschen ist, nur weil ein Volk sich wegen seines Versagens, den Willen Gottes zu tun, unter der mächtigen Hand Gottes befindet. Unglaube, nicht göttliche Unterordnung, führt Gläubige dazu, diesen Standpunkt einzunehmen. Das lässt vielleicht an jene Bewegung[1] denken, die [in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts] dadurch entstanden ist, dass man viele kostbare Wahrheiten wiederentdeckt hat, die über Jahrhunderte als toter Buchstabe behandelt worden waren. In der praktischen Umsetzung dieser Wahrheit ist zweifellos sehr demütigendes Versagen zutage getreten. Gott hat als Folge davon erlaubt, dass Trennung und Streit den Platz von glücklicher Einheit und heiliger Gemeinschaft einnehmen. All das sollte uns Grund zur Beugung und Zerbrochenheit sein, aber kein Grund zu völliger Entmutigung. Welches Versagen es auch immer gegeben hat, Gott und seine Wahrheit bleiben bestehen. „Was von Anfang war“ (1Joh 1,1), haben wir noch immer, damit wir unsere Wege danach ausrichten. Versagen zu einem Grund für weitere Untreue zu machen, hieße, in Eigenwillen zu wandeln und die Kraft gerade der Lektion zu verlieren, die Gott uns lehren wollte. Wie Habakuk, so haben auch wir allen Grund, uns tief zu beugen; aber wir dürfen, wie er, auf Gott zählen, dass Er an diesem niedrigen Platz bei uns ist.

Habakuk bittet flehentlich um Erweckung – eine Erweckung, von der wir wissen, dass es Gott gefiel, sie zu schicken, als sein Volk durch die Züchtigung dafür bereit war. Der Überrest, der aus Babylon zurückkehrte, erkennt die Gnade des Herrn darin an, dass Er sie „ein wenig aufleben“ ließ (Esra 9,8). So können auch wir gewiss sein: Es gefällt Gott, uns jetzt Erweckung zu schenken – auch wenn die Zeit schon fortgeschritten ist –, wenn Er unter uns denselben gebeugten Geist der Unterwerfung unter seinen Willen entdecken kann.

Verse 3-6

Hab 3,3-6: 3 Gott kommt von Teman her und der Heilige vom Gebirge Paran. – Sela. Seine Pracht bedeckt die Himmel, und die Erde ist voll seines Ruhmes. 4 Und es entsteht ein Glanz wie das Licht der Sonne; Strahlen sind zu seinen Seiten, und dort ist die Hülle seiner Macht. 5 Vor ihm her geht die Pest, und die Seuche zieht aus, seinen Füßen nach. 6 Er stand da und machte die Erde schwanken, er schaute und machte die Nationen aufbeben; und es zerbarsten die Berge der Vorzeit, es senkten sich die ewigen Hügel; seine Wege sind die Wege vor alters.

Während der Prophet um Gnade für die Gegenwart bittet, denkt er daran, wie wundersam der HERR einst Jakob wie eine Herde durch die Wüste leitete, als Er von Teman kam und vom Berg Paran leuchtete, während seine Herrlichkeit die Himmel bedeckte und sein Ruhm die Erde füllte. Lebhaft beschreibt Habakuk den Fußmarsch des Mächtigen Israels durch die Wüste, wie Er Schrecken und Bestürzung unter den Heiden verbreitete und seine Erlösten mit Jubel und Frohlocken erfüllte. Er, der sich bisher so um sein Volk gekümmert hatte, würde sich auch weiterhin um sie sorgen, einerlei, wie sehr der Feind auch wütete.

Verse 7-16

Hab 3,7-16: 7 Unter Trübsal sah ich die Zelte Kuschans, es zitterten die Zeltbehänge des Landes Midian. 8 Ist der HERR gegen die Ströme entbrannt? Richtet sich etwa dein Zorn gegen die Ströme, dein Grimm gegen das Meer, dass du einherziehst auf deinen Rossen, deinen Wagen der Rettung? 9 Entblößt, entblößt ist dein Bogen – Zuchtruten, geschworen durch dein Wort! – Sela. 10 Zu Strömen spaltest du die Erde. Es sahen dich, es zitterten die Berge; eine Wasserflut fuhr daher, die Tiefe ließ ihre Stimme erschallen, zur Höhe erhob sie ihre Hände. 11 Sonne und Mond traten in ihre Wohnung beim Licht deiner Pfeile, die daherschossen, beim Glanz deines blitzenden Speeres. 12 Im Grimm durchschreitest du die Erde, im Zorn stampfst du die Nationen. 13 Du zogst aus zum Heil deines Volkes, zum Heil deines Gesalbten: Du zerschmettertest das Haupt vom Haus des Gottlosen, entblößtest den Grund bis zum Hals. – Sela. 14 Du durchbohrtest mit seinen eigenen Spießen die Häupter seiner Scharen, die heranstürmten, um mich zu zerstreuen, deren Frohlocken war, den Elenden im Verborgenen zu verschlingen. 15 Du betratest das Meer mit deinen Rossen, den Schwall großer Wasser. – 16 Ich vernahm es, und es zitterte mein Leib; bei der Stimme bebten meine Lippen; Morschheit drang in meine Gebeine, und wo ich stand, erzitterte ich: Ich werde ruhen am Tag der Drangsal, wenn derjenige gegen das Volk heranzieht, der es angreifen wird.

Wie ein herrliches Panorama entfaltet sich das Bild vor seinen Augen. Habakuk sieht die Feuersäule, wie sie voranging, um die feindlichen Nationen zu vertreiben und einen Weg für die Heere des Herrn zu finden. Er sieht, wie die Fluten zurückrollen und die Erwählten des HERRN trocken Fußes durch das Flussbett ziehen. Er erinnert sich des geheimnisvollen Flusses, der aus dem geschlagenen Felsen hervorkam. Er singt das Lied aus dem Buch Jaschar, als die Sonne und der Mond der Stimme eines Menschen gehorchten und still standen in ihrer Behausung [Jos 10,13]. Er hört den Schrei des Siegers und das Heulen der Besiegten. Und als er erkennt, dass der Hirte Israels treu bleibt, obwohl Er so schrecklich verunehrt wird, da ist sein Innerstes erschüttert, und seine Lippen beben, als er die Stimme der göttlichen Majestät hört. Fäulnis kommt in sein Gebein, alles Selbstvertrauen ist verschwunden, er erbebt vor Angst, hoffend, dass er in Frieden ruhen wird in den Tagen des Übels, die bald über das Land kommen werden, ja, die sogar schon begonnen haben, weil der Angreifer mit seinen Truppen schon angerückt ist. All das beweist, dass zumindest in Habakuks Seele die Erweckung bereits stattgefunden hat. O dass wir doch mehr von demselben Geist hätten!

Verse 17-19

Hab 3,17-19: 17 Denn der Feigenbaum wird nicht blühen, und kein Ertrag wird an den Reben sein; und es trügt die Frucht des Olivenbaumes, und die Getreidefelder tragen keine Speise; aus der Hürde ist verschwunden das Kleinvieh, und kein Rind ist in den Ställen. – 18 Ich aber, ich will in dem HERRN frohlocken, will jubeln in dem Gott meines Heils. 19 Der HERR, der Herr, ist meine Kraft und macht meine Füße denen der Hirschkühe gleich und lässt mich einherschreiten auf meinen Höhen. Dem Vorsänger. Mit meinem Saitenspiel.

Die letzten drei Verse sind der Ausdruck eines wirklich erneuerten Mannes, der gelernt hat, dass alle seine Quellen in Gott sind. Der Apostel spricht sehr ähnlich im vierten Kapitel des Philipperbriefes. Tatsächlich ähneln Paulus’ Worte so sehr dem, was wir hier lesen, dass – wie wir schon in der Einleitung festgestellt haben – es so scheint, als hätte Paulus gerade ebendiese Verse im Sinn, als er seinen Brief schrieb.

Wie groß ist doch der Unterschied zwischen den Eröffnungs- und Schlussaussagen von Habakuk! Er beginnt als ein Mann, der verwirrt, voller Fragen und Ratlosigkeit ist; er schließt als jemand, der Antwort auf alle seine Fragen und die Zufriedenheit seiner Seele in Gott selbst gefunden hat. Welche Seligkeit. Als ein Mann von gleichen Gemütsbewegungen wie auch wir musste er durch unterschiedliche Erfahrungen hindurchgehen, bis der Herr allein das Sehen seiner Seele erfüllte, all sein Verlangen stillte und ebenso alle seine Zweifel und Schwierigkeiten ausräumte. Wenn uns nun erlaubt ist, in diese Erfahrungen Einblick zu nehmen, bekommen wir eine Ahnung davon, was die erhaltende Kraft unserer Herzen ist, wenn wir Ihm nur erlauben, seinen Willen mit uns in allem umzusetzen. Ernten mögen ausbleiben, Herden mögen zerstört werden, Felder mögen unfruchtbar und das Vieh mag weggerafft sein, aber Gott bleibt und in Ihm überströmende Versorgung, um all unseren Mangel auszufüllen. Er ist der Gott unserer Rettung. Er ist die Kraft unserer Herzen. Wonach sonst könnten wir uns sehnen?

Glücklich in diesem herrlichen Bewusstsein können sowohl Habakuk als auch wir im Glauben auf Höhen wandeln, weit über dem Nebel und den Fallstricken der Erde. Wie die Steinböcke in Psalm 104,18 werden wir in der Lage sein, die Gipfel der Felsen zu ersteigen und in den hohen Bergen zu wohnen. Wenn ein Kind Gottes, das in der Abenddämmerung des letzten Heilszeitalters lebte, sich so über alle Lebensumstände erheben und triumphieren konnte, so können auch wir, die wir im vollen Glanz des Tages der Gnade leben, zu heiliger Eifersucht bewegt werden, um beständig in den „himmlischen Örtern“ zu weilen und durch die Kraft des Glaubens täglich Überwinder zu sein.

Der Schlusssatz ist die Widmung und unaussprechlich kostbar. Der Vorsänger mit Saitenspiel ist für uns niemand anderes als unser Herr Jesus Christus, der als der Auferstandene jetzt das Lob seiner Erlösten leitet. Wenn seine Hand die wunderbaren Saiten in den Herzen seines Volkes berührt, grüßen Klänge himmlischer Melodien das Ohr Gottes, unseres Vaters, und unzählbare himmlische Heerscharen, die durch die Gemeinde die mannigfaltige Weisheit Gottes lernen. „Inmitten der Versammlung will ich dir lobsingen“ (Heb 2,12), hat unser Herr gesagt, wie sein Geist durch den prophetischen Dichter in Psalm 22,26 sprach. Wann auch immer sein Volk in seinem unvergleichlichen Namen versammelt ist, ist Er in der Mitte sowohl als der Leiter ihrer Anbetung als auch als der Gegenstand ihrer Verehrung.

Leider sind so viele Herzen so oft falsch gestimmt! Nur wenn wir ständig Selbstgericht üben und sorgfältig im Geist wandeln, werden wir in passendem Zustand bewahrt bleiben, um etwas zur Harmonie des großen Orchesters unseres Vorsängers beizutragen!


Originaltitel: „Notes on the Prophecy of Habakkuk“
aus Notes on the Minor Prophets, 1909

Übersetzung: Anne Brust

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Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Der Autor bezieht sich hier auf die Brüderbewegung.


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