Wie wird Christus für die Seele eine lebendige Wirklichkeit?
Das Christentum ist eine Person!

Walter Bligh Westcott

© SoundWords, online seit: 30.01.2023, aktualisiert: 28.12.2023

Leitvers: Galater 2,20

Dass Christus gelebt hat und gestorben ist – diese historischen Tatsachen über Christus werden heute allgemein anerkannt.

Was das Wesen seiner Person sowie den Wert seines Lebens und seines Todes betrifft – darüber gibt es seit jeher zahlreiche und widersprüchliche Spekulationen und Kontroversen. Und doch bezweifeln nur wenige Menschen, dass Er tatsächlich gelebt hat.

So bedeutend eine historische Persönlichkeit auch sein mag – weder berührt sie mein Herz noch weckt sie meine Zuneigung. Womöglich bewundere ich ihr Leben und versuche sogar, ihr Leben nachzuahmen, aber das ist auch alles.

Mit Christus ist das jedoch anders. Tausende haben ihr Leben für Ihn hingegeben und in diesem Moment lieben Zehntausende Ihn mehr als alles andere. Warum? Weil Er lebt und weil Er liebt. Cäsar ist tot, Mohammed ist tot, Napoleon ist tot, doch Jesus lebt.

Diese wichtige Tatsache müssen wir festhalten, wenn wir wollen, dass Christus für unsere Seele Wirklichkeit wird. Das Christentum ist weder ein Glaubensbekenntnis noch eine Sammlung von Sprüchen, sondern eine Person, die wir kennen und lieben. Der Einfluss dieser Person zeigt sich auch heute noch in dem veränderten Leben von Menschen, die von neuem geboren sind.

Es ist erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt, dass es heutzutage viele Männer und Frauen gibt, deren Leben und Wege gelenkt werden von einer Person, die sie nie gesehen haben! Das wäre völlig unwirklich und rührselig, wenn diese Menschen nicht aufgrund vertrauenswürdiger Beweise die Gewissheit hätten, dass diese Person real, lebendig und mächtig ist. Dieses Wissen haben sie aus dem Buch gewonnen, das so ausführlich von Ihm spricht und das der Heilige Geist ihnen auslegt, dessen Aufgabe es ist, Christus bekannt zu machen.

Wie wird nun der Herr Jesus Christus für mich Wirklichkeit? Auf dieselbe Weise, wie schon viele Menschen in heidnischen Ländern seine Kostbarkeit und Größe erfuhren: Ihre Herzen wurden gewonnen, weil sie dem Bericht über seine Größe, seine Liebe und den Wert seines kostbaren Blutes glaubten. Nie zuvor hatten sie eine solche Botschaft gehört, und das Staunen darüber erfüllte ihre Seelen. Denken wir doch einmal nach über das Leben und den Tod, über die Auferstehung und die Herrlichkeit dessen, der für uns gestorben ist; denken wir einmal darüber nach, als wäre diese Wahrheit ganz neu für uns.

Schon ein einziger Satz reicht aus, um unser Herz in Staunen zu versetzen und anzurühren:

Gal 2,20: Der Sohn Gottes hat mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben.

Die Ewigkeit selbst wird nicht ausreichen, damit wir vollständig erfassen, was diese wunderbaren Worte bedeuten. Wenn du möchtest, dass Christus für deine Seele Wirklichkeit wird, dann denke immer wieder über diese Worte nach – ob in deiner Freizeit oder während deiner Arbeit. Und denk immer daran, dass Er die Seinen bis ans Ende liebt (Joh 13,1) und dass Er gestern, heute und in Ewigkeit derselbe ist (Heb 13,8) – gestern, als Er für dich starb; heute, weil Er für dich lebt; und morgen, wenn Er kommt, um dich zu sich zu holen und für immer bei sich zu haben.

„Wer ist dieses ‚mich‘?“, fragt Martin Luther und bezieht sich dabei auf den oben zitierten Vers Galater 2,20. Er sagt weiter:

Christus hat sich für mich hingegeben, ja für mich, der ich ein so elender und erbärmlicher Sünder bin. Sag „mich“ mit all deiner Kraft und präge dieses Wort „mich“ – denn das Wort ist für dich geschrieben –, präge dieses Wort „mich“ unauslöschlich auf dein Herz und du hast das Evangelium Christi.[1]

Wenn Christus Wirklichkeit für meine Seele werden soll, muss ich sicher sein, dass ich eine Wirklichkeit für Ihn bin. Mit anderen Worten: dass Er ein persönliches Interesse an mir hat – an meiner Erlösung, an meinen Wegen, an meinem Dienst. Wenn ich so denke, werde ich nicht von dem Gedanken erfüllt sein, dass ich selbst wichtig bin, sondern mein Herz wird überfließen vor Lob für Christus, der, obwohl Er so groß und herrlich ist, sich herabgelassen hat, sogar mich zu beachten, zu lieben und für mich zu sterben.

Sehr hilfreich ist es auch, wenn ich es mir zur Gewohnheit mache, dem Herrn Jesus Christus alles anzuvertrauen, was mich interessiert. Nichts ist zu klein, als dass ich es Ihm nicht sagen könnte, und niemand ist so wahrhaftig, so weise, so liebevoll wie Er.

Es ist wohl unnötig, zu sagen, dass ich ohne den Heiligen Geist weder mit Christus Umgang haben noch seine Gegenwart erfahren kann. Deshalb ist es so wichtig, dass ich den Heiligen Geist, der in mir wohnt, nicht betrübe (Eph 4,30). Wenn ich sündige, dann fällt sofort ein Schatten auf meinen Geist und der Herr zieht sich zurück. Wenn ich wiederhergestellt werden möchte, muss ich also meine Sünde bekennen, denn es steht geschrieben: „Ohne Heiligkeit wird niemand den Herrn schauen“ (Heb 12,14).

Das Gebet vernachlässigen; die Bibel nur flüchtig und nachlässig lesen; im Dienst träge oder aber auch übermäßig aktiv sein; einen sektiererischen oder verbitterten Geist haben; schlechte Gewohnheiten dulden; eine weltliche Gesinnung haben – das sind einige Dinge, die Christus dem Herzen, das Er gern sättigen möchte, entfremden. Und doch ist Folgendes wahr:

Trüben Wolken meine Blicke,
ist es finster um mich her,
leuchtet mir doch Deine Klarheit;
trägt mich Deine Liebʼ, o Herr![2]

Im Zusammenhang mit unserer Frage, wie Christus Wirklichkeit für unsere Seele wird, muss betont werden, dass eins unabdingbar ist: Wenn Christus für mich Wirklichkeit werden soll, dann muss ich viel mit Ihm allein sein. Gottesdienst, die Gemeinschaft der Gläubigen, die allgemeinen Zusammenkünfte zum Gebet oder zur Anbetung – nichts davon kann die stille Zeit ersetzen, in der der Herr selbst zu mir spricht, so wie es kein anderer tun kann.


Engl. Originaltitel: „How may Christ become a living Reality to the Soul?“
in Scripture Truth, Jg. 1, 1909, S. 46–47

Übersetzung: Gabriele Naujoks

Anmerkungen

[1] Anm. d. Übers.: Übersetzt aus dem Englischen. Vergleiche folgenden Kommentar von Luther zu Galater 2,20:

Wer ist dieser „mich“? Ich verlorener Sünder bin so geliebt von dem Sohne Gottes, dass er sich für mich dahingab. […] Lies du also mit großem Nachdruck diese Worte „mich“, „für mich“, und gewöhne dich, dass du dieses „mich“ mit gewissem Glauben fassen und auf dich anwenden kannst. (Hermann Kleinknecht, Hrsg., D. Martin Luthers Epistel-Auslegung, Bd. 4: Der Galaterbrief, Göttingen [Vandenhoeck & Ruprecht] 21987; zitiert aus den Absätzen 296 und 299.)

[2] Anm. d. Übers.: Aus dem Lied „Unwandelbare Liebe“ aus Geistliche Gesänge, Zürich (Müller-Kersting) 1948. Der Autor zitiert in seinem Text aus dem Lied „O Lord, Thy Love’s unbounded“ von J.N. Darby (1800–1882): Still sweet ‘tis to discover, | if clouds have dimmed my sight, | when passed, Eternal Lover, | towards me, as e’er, Thou’rt bright.


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