„Familienglaube“
… am Beispiel Abrahams

John Gifford Bellett

© Beröa-Verlag, online seit: 04.09.2007, aktualisiert: 02.04.2023

Leitverse: 1. Mose 11

Die uns in 1. Mose 11 erzählte Geschichte wirft herzerforschende Fragen vor uns auf.

Sem, einer der drei Söhne Noahs, war der heilige Spross am Stammbaum der Menschen nach der Flut. Bei ihm und seinen Nachkommen fand sich mehr Glauben als bei seinen Brüdern. Aus diesem Spross ging auch das für Gott abgesonderte Volk Israel hervor.

Jedoch schon im Verlauf weniger Generationen schlich sich das Verderben auch in diese Familie des Glaubens ein. Nach kaum 300 Jahren, vielleicht schon früher, „diente sie andern Göttern“ (Jos 24,2). Das ist bis auf den heutigen Tag eine häufige Erscheinung geblieben. Christliche Familien und Versammlungen, die einst bekannt waren für ihren Eifer und hingegebenen Dienst, können in späteren Generationen auf einen ganz schwachen Zustand herabsinken. In den Tagen der achten Generation nach dem Geschlecht Sems besuchte jedoch der Geist Gottes in herablassender Gnade einen Sohn Tarahs. Der Ruf des Gottes der Herrlichkeit gelangte zu Abram und hieß ihn aus dem Verderbnis, aus seinem Land, aus seiner Verwandtschaft und aus seines Vaters Hause herausgehen. Der Geist wollte aus ihm etwas Neues schaffen für den Herrn (Apg 7,2).

Abram scheint seiner Familie von dieser Berufung Kenntnis gegeben zu haben, und diese Mitteilung hat, wie es auch heute noch unter uns geschieht, auf die verschiedenen Familienglieder einen gewissen Einfluss ausgeübt. Daraus ist ein „Familienglaube“ entsprungen. Zuerst erlebt ein Glied die Macht des Evangeliums, und von ihm aus strahlt dann der Einfluss aus. Der Herr will es so haben. Es ist ein schlechtes Zeichen, wenn dies nicht der Fall ist.

So auch hier. Tarah, der Vater, machte sich bereit. Nahor, einer seiner Söhne, stand – wie wir der ganzen Erzählung entnehmen können – nicht so stark unter diesem Einfluss; denn sowohl er als auch seine Frau und seine Kinder blieben alle da, wo sie waren. Aber Abram, seine Frau Sarai und Lot, der Sohn des verstorbenen Bruders Haran, machten sich gemeinsam auf die Reise, die Gott dem Abram geboten hatte. Und Tarah, der Vater, übernahm offenbar die Führung (1Mo 11).

Bevor ich mit dieser Erzählung fortfahre, stelle ich die Frage: Handelte Abram richtig? Er wurde doch herausgerufen! Auf ihn war die absondernde Kraft des Geistes gekommen! Wohl durfte die Familie in den Bereich dieser Energie oder dieses Einflusses gebracht werden, aber war es nicht Abrams Sache, den Platz auszufüllen, den der Geist Gottes ihm zugewiesen hatte? War da Abram nicht mit Fleisch und Blut zu Rate gegangen? Wie hätte sonst Tarah die Führung übernehmen können in diesem großen Aufbruch nach göttlichem Befehl? Dieses, unrichtige Verhalten Abrams mag wohl die Ursache des Aufenthaltes in Haran gewesen sein. Aber Tarah starb dort, und Gott musste eine zweite Energie aufwenden, um Abram aus Haran herauszubringen (1Mo 11,31–12,1).

Das alles dient zu unserer Belehrung. Familienglaube ist schön; aber weder die Ansprüche der Familie, noch irgendwelche anderen menschlichen Forderungen dürfen an die Stelle der Rechte des Geistes gesetzt werden. Es ist eine Freude zu sehen, wie Kornelius oder auch viele andere in ähnlichen Umständen ihre Freunde und Verwandte unter den Einfluss bringen, der ihr Haus heimgesucht hat, aber wenn Fleisch und Blut oder menschliche Beziehungen den Zug des Heiligen Geistes hindern, müssen wir einen Halt in Haran erwarten. Es wird dann in gewissem Sinne ein zweiter Ruf nötig sein, um die Seele erneut auf den Pfad Gottes zurückzubringen.

In dieser erneuten Energie des Geistes setzt Abram seine Reise fort, und Sarai, seine Frau, wie auch sein verwaister Neffe begleiten ihn. Es ist immer noch eine Angelegenheit des Familienglaubens. Und in Lot sehen wir einen Menschen, der sich innerhalb der Grenzen dieses allgemeinen Einflusses der Familie befand. Wir lesen von keinem an ihn ergangenen Ruf noch von einem Opfer, das er dafür gebracht hätte. Er war zwar nicht nur ein bloßer Bekenner oder einer, der sich aus einem bestimmten Grund dem Volke Gottes anschließt. Nein: Er war ein gerechter Mann und hatte eine lebendige Seele, die gequält werden konnte durch das, was Lot bei den Gesetzlosen sah und hörte. Aber bei seinem Eintritt in den Haushalt des Glaubens war keine Energie zu sehen. Sein Mitgehen war eine Sache der Familienzugehörigkeit, wie es auch heute tausendfach der Fall ist. Das ist zwar an sich gut. Es ist ja durchaus zu begrüßen, wenn Sarai, die Frau, oder Tarah, der Vater, oder Lot, der Neffe, in den heutigen Tagen mit unseren Abrams gehen wollen. Sie betreten damit einen Segenskreis, in welchem Gott, der Vater, die Seele „zieht“ und belehrt. Und Lot war ebenso gewiss ein Auserwählter wie Abram. Aber die Energie der Berufung war bei ihm nicht so sichtbar wie bei seinem Onkel – ein Unterschied, den wir nicht deutlich genug hervorheben können. Bei Abram war es eine typisch persönliche Sache; bei Lot aber eine typisch familiäre Angelegenheit. Daher wird schon bei der ersten Entscheidung, wo Lot persönlich handeln muss, seine Schwachheit offenbar.

Abram überlässt ihm die Wahl des Landes. Und Lot wählt. Aber unsere Herzen tadeln ihn nicht so sehr deswegen, dass er sich das Beste ausgesucht, sondern dass er überhaupt eine Wahl getroffen hat. In jeder Hinsicht wäre es doch Abram zugestanden zu bestimmen, wo er sich mit seinen Herden niederlassen wollte. Er war der Onkel und auch der Ältere an Jahren. Er war das Haupt dieser Expedition, die sie in ein fernes Land gebracht hatte, und Lot war nur sein Begleiter. Abram war edel und nachgiebig; er überließ seine Rechte dem Jüngeren. Lot sah das alles nicht. Und wenn er schon in dieser Gesinnung an die Wahl herantrat, so war es auch ganz natürlich, dass er sie nach weltlichen Grundsätzen vollzog. Er entschied sich im Hinblick auf seine Herden für die wasserreiche Ebene, obwohl er dort in die Nähe einer verruchten Stadt zu wohnen kam (1Mo 13).

So war also das Verhalten Lots in dieser ersten Belastungsprobe ein trauriges Zeugnis gegen ihn. Es enthüllte die Schwachheit seines Glaubens. Abrams Weg war ganz anders; denn er hatte die Stimme des Gottes der Herrlichkeit in Kraft vernommen. Sie trennte ihn von der Welt, an welcher Lot immer noch hing. Oh, wie hat uns dieses alles so viel zu sagen!

Es wurde bald offenbar, was für eine enttäuschende Welt sich Lot erwählt hatte. Die wasserreiche Ebene verwandelte sich bald in ein Schlachtfeld, und wenn es nicht einen Abram oder, besser, einen Gott Abrams gegeben hätte, wäre Lot um seine Freiheit und um seinen ganzen Besitz gekommen.

Aber noch viel trauriger als dieses alles ist die Tatsache, dass diese erste Enttäuschung ihm die Augen nicht zu öffnen vermochte. Er hat seine unheilige Verbindung nicht gelöst. Er zog ein zweites Mal in die Ebene Sodoms und wohnte darin, bis er durch die Hand Gottes selbst gezwungen wurde, daraus zu fliehen. Da Lot trotz der schmerzlichen Erfahrung des Krieges, in den er verwickelt wurde, den Charakter der Welt nicht erkennen wollte und sie immer noch nicht freiwillig verließ, musste er seine Lektion an dem Tage lernen, da Gott das Feuer des Gerichtes über sie fallen ließ.

Welch düstere Katastrophe! Schändliches Ende eines irdisch gesinnten Gläubigen! Wie sollte dies zu uns reden! Hier war einer, der gerettet wurde, „doch so wie durchs Feuer“, wie einer, der aus einem brennenden Haus flieht. Welch unrühmliches Verlassen der Welt! Wir können uns dies als Warnung zu Herzen nehmen, damit wir uns vor dem ersten Blick auf die wasserreichen Ebenen Sodoms hüten lernen (1Mo 14–19).

Durch diese einfache Geschichte empfangen wir in der Tat wichtige Belehrungen zu unserem Trost, aber auch zu unserer Ermahnung. Sie zeigt uns, dass der Familienglaube eine gute Sache ist und dass auch in den Häusern der heutigen Abrams wahre Frömmigkeit beginnen kann. Aber jeder Einzelne in einer solchen Familienatmosphäre sollte ernstlich darauf bedacht sein, die Kraft der Gottseligkeit in einer ganz persönlichen Weise zu pflegen, sonst würde durch die Schwachheit seines „Glaubens“ früher oder später deutlich offenbar werden, dass es bei ihm nur der Einfluss seiner Umgebung und nicht persönliches Gut war. Unter Abram konnte sich der Familienglaube ausbreiten, aber nicht unter Lot; denn in seiner Frau wohnte weiterhin der Geist Sodoms, und sie wurde ein Warndenkmal für die Vorübergehenden. Ihre zwei Töchter gaben sich der Schande hin und wurden die Mütter von zwei derart verderbten Völkern, dass es ihnen ausdrücklich untersagt war, in die Versammlung des HERRN zu kommen (5Mo 23,5). Als Lot seine beiden Schwiegersöhne auf das drohende Gericht aufmerksam machte, verlachten sie ihn. Er erschien ihnen als einer, der Scherz treibt oder von Sinnen ist.

Hier haben es unsere Seelen ohne Zweifel mit einer sehr ernsten Sache zu tun. Wenn unser Glaube oder unser Bekenntnis zu Christus unter dem Einfluss der Familie seinen Anfang nahm, werden wir hier aufgerufen, uns nach einer tiefen und persönlichen Kraft der Gottseligkeit auszustrecken, in heiliger Furcht und im Bewusstsein der schwachen Wurzel einer solchen Pflanze.

Wenn unser Bekenntnis zu Christus nicht – wie im Falle Abrams – einen segensreichen Einfluss für die Familie darstellt, so haben wir Ursache uns zu beugen. Dann ist zu befürchten, dass unser Glaube sich nicht als sieghafte und absondernde Kraft geäußert hat.

Diese kurze Geschichte zeigt uns also, dass wir das Mittel zur Ausbreitung eines Familienglaubens sein können. Wenn wir aber selber die Gegenstände eines solchen Einflusses sind, so haben wir in den erwähnten Beispielen ernste Mahnungen zur Wachsamkeit. Denn dann haben wir alle Ursache, uns zu fragen: Habe ich einen persönlichen Glauben? Ist er lebendig? Führt er mich zur Absonderung von der Welt? Bin ich bereit, die Opfer, die er von mir fordert, zu bringen? Das Wort Gottes sagt: „Ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk, und dann wird er an sich selbst allein und nicht an dem andern Ruhm haben“ (Gal 6,4), und auch: „Ihr Väter, reizet eure Kinder nicht zum Zorn, sondern ziehet sie auf in der Zucht und Ermahnung des Herrn“ (Eph 6,4). Der Herr ehrt also den Familienglauben, aber er soll zu einem persönlichen, lebendigen Glauben werden, dessen Kraft sichtbar wird. Die Väter sollen den Kindern die Wahrheit bekanntmachen (Jes 38,19), aber jeder Mensch muss von neuem geboren werden, sonst wird er das Reich Gottes nicht sehen.

Es ist erfreulich, in drei verschiedenen Generationen der gleichen Familie „ungeheuchelten Glauben“ wohnen zu sehen: bei der Großmutter Lois, bei der Mutter Eunike und auch bei dem Kind Timotheus (2Tim 1,3-5). Aber ganz besonders sprechen die Tränen und die Zuneigungen, die wir beim Vertreter der dritten Generation wahrnehmen können, zu unseren Herzen. Sie geben davon Ausdruck, dass der Glaube des Timotheus nicht nur anerzogen und nicht nur Nachahmung war, sondern, dass sich die kostbare Kraft des Reiches Gottes in seiner Seele festgesetzt hatte.

„Was wir gehört und erfahren und unsere Väter uns erzählt haben, wollen wir nicht verhehlen ihren Söhnen, dem künftigen Geschlecht erzählend den Ruhm des HERRN und seine Stärke und seine Wunderwerke, die er getan hat“ (Ps 78,3.4).


Originaltitel: „Familien-Glaube“
aus Halte fest, Jg. 1, 1958, S. 161–167
Engl. Originaltitel: „Family Religion“
in The Bible Treasury, Jg. 8, 1870, S. 209


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