Eveline Mary Jacob (1871–1954)

Alexis Jacob

© SoundWords, online seit: 03.08.2014, aktualisiert: 29.05.2022

Meine geliebte Schwester Eveline Mary Jacob wurde am 3. November 1871 in Madhopur, Punjab, Nordindien, geboren. Sie war das älteste Kind unseres Vaters Oberst Sydney Long Jacob (R.E., C.I.E.) und unserer Mutter Elizabeth Petronella Jacob, Tochter von Henry Collingwood Selby, dem Rechtsberater der Königin in Ceylon [Queen’s Advocate]. Sie wurde kurz nach dem Ende des zweiten afghanischen Feldzuges geboren, wo unser Vater diente.

Ich besitze das Ehrenschwert meines Vaters, das er für sein beispielhaftes Verhalten in Woolwich erhielt. Er gewann außerdem die Pollock-Goldmedaille, die er als Senior-Offiziersanwärter in Woolwich erhielt, weil er in der Prüfung über 4000 Punkte mehr als der zweite Offizieranwärter erlangt hatte. In späteren Jahren dann wechselte unser Vater zum „Institut für Bewässerung“ der indischen Regierung und entwarf und konstruierte den Lower Chenab Canal. Dieser Kanal hat eine Länge von rund 390 Kilometern und bringt Fruchtbarkeit in Millionen Morgen unfruchtbarer Erde. In Indien sind Kanäle künstliche Flüsse mit fließendem Wasser, um das Land zu bewässern; in England hingegen haben die Kanäle stillstehendes Wasser und dienen dem Gütertransport auf Lastschiffen.

Meine Schwester lebte mit meinen Eltern in Indien, bis sie im Alter von sechs Jahren in England der Obhut unseres Onkels und unserer Tante, Mr. und Mrs. Edwin Burnett, überlassen wurde, die in Dorchester lebten. Sie hatten fünf Kinder, drei Jungen und zwei Mädchen; die Mädchen waren ungefähr im selben Alter wie meine Schwester. Die nächsten sechs Jahre ihrer Kindheit fühlte sie sich unter der liebevollen Fürsorge unseres Onkels und unserer Tante sehr wohl.

All die Jahre war unser Vater Mitglied der Kirche von England. Vater hatte sich als junger Offizier in Chatman im Januar 1867 freilich aufrichtig bekehrt, als er in der Bibel las, „dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, um Sünder zu erretten“ (1Tim 1,15). Er sagte zu sich selbst: „Du versuchst, etwas zu tun, was niemand bisher getan hat und nie jemand schaffen wird, nämlich, dich selbst gut zu machen in der Hoffnung, dass Gott dich annehmen wird. Weißt du nicht, dass Christus für Sünder starb, ja für Sünder?“ Er berichtet: „In einem einzigen Augenblick war die Hoffnungslosigkeit verschwunden: Ich wusste, es war schon alles getan.“

Im Jahr 1868 ging Vater nach Indien und ungefähr ein Jahr später heiratete er. Obwohl er zu Beginn ein fröhlicher Christ war, entfernte er sich von Christus, wie er sagte: „Ich suchte das Vergnügen in der Welt, gab zuletzt das Beten auf und versuchte, die Dinge der Ewigkeit zu vergessen, indem ich mich an den Dingen der Zeit erfreute.“ Nach seiner Rückkehr 1880 aus der Provinz Khyber in Afghanistan war er in Ferozepur in Punjab stationiert. Eines Tages las er dort eine Predigt laut vor, in der Lukas 14,31.32 zitiert wurde: „Oder welcher König, der auszieht, um sich mit einem anderen König in Krieg einzulassen, setzt sich nicht zuvor hin und beratschlagt, ob er imstande sei, dem mit zehntausend entgegenzutreten, der gegen ihn kommt mit zwanzigtausend? Wenn aber nicht, so sendet er, während er noch fern ist, eine Gesandtschaft und bittet um die Friedensbedingungen.“

Über diese Erfahrung schreibt er: „Unweigerlich kam mir folgender Gedanke in den Sinn: Gott hat Truppen zur Verfügung, und nicht zwanzigtausend, sondern unzählige. Ich habe nicht einmal zehntausend, sondern bin ein einsamer, armer Sünder. Ich muss kapitulieren und mich unter seine Gnade stellen. In einem Moment war es getan … ich war wiederhergestellt und wurde wieder in die Gunst des Herrn gebracht.“

Später traf Vater Oberst Beckett und lernte durch ihn die „Brüder“ kennen. Daraufhin entschied Vater sich, die Kirche von England zu verlassen, um sich den „Brüdern“ anzuschließen; unsere Mutter tat es ihm später gleich. Unser Großvater, Generalmajor Herbert Jacob, war darüber sehr verärgert, da seiner Meinung nach die Familienehre herabgesetzt würde, wenn einer von ihnen sich mit den verachteten „Brüdern“ versammelte.

Am 27. Mai 1882 wurde ich in der Schweiz geboren, in Villeneuve. Dort wohnte meine Mutter zusammen mit meiner Schwester Mrs. [Gertrude Petronella] Allen und meinem Bruder Sydney Montague Jacob vorübergehend bei meiner Großmutter Mrs. Selby, die verwitwet war. Einige Monate später kam Vater auf Urlaub von Indien und die ganze Familie ging nach England und lebte ein Jahr in der Rivers Street in Bath.

Während unsere Eltern in Indien lebten, besuchte meine Schwester Eveline mit Onkel und Tante regelmäßig die Kirche von England. Sie wurde im Katechismus gut unterrichtet und vermutete, dass Vater sie darin prüfen würde. Zu ihrer Überraschung fragte Vater sie nicht darüber aus, sondern sagte ihr die gute Nachricht des Evangeliums der Gnade Gottes. Im Nachhinein sagte sie stets, sie sei so überrascht gewesen, dass sie kein Wort davon verstand, aber dennoch aufgemuntert wurde durch das Halbkronenstück, das das Gespräch beendete!

Nach Ablauf des Jahres gingen Vater und Mutter nach Indien und nahmen meinen Bruder Sydney und mich mit sich. Meine Schwestern Eveline und Nella [Gertrude Petronella] ließen sie an Miss Somervilles Schule in Malvern. Hazel Bank war eine der „Brüderschulen“, wie sie damals genannt wurden, doch meine Schwestern waren dort nicht glücklich, besonders weil sie auch den Großteil ihrer Ferien mit Miss Somerville verbringen mussten.

Im Herbst 1889 kamen meine Schwestern nach Indien und die ganze Familie lebte zusammen, auch unsere jüngeren Schwestern Grace und Edith, die in der Zwischenzeit geboren worden waren. Es war für uns alle das erste Mal, dass die ganze Familie zusammenlebte – in Zelten! –, wenn auch nur sechs Monate, denn dann wurden mein Bruder und ich nach England zur Schule geschickt. Auch wir wurden auch an eine „Brüderschule“ geschickt, nach Clevedon in Somerset, die von Mr. D.W. Melhuish geleitet wurde und den Namen Channel View trug.

Meine vier Schwestern durchreisten mit Vater Punjab, ohne einen festen Wohnort zu haben! Sie lebten buchstäblich in Zelten so wie wir Jungen in den kühlen Wintermonaten, während wir im Sommer in die Bergstationen des Himalayas geschickt wurden.

Meine Schwester Eveline war ein wunderschönes Mädchen und hatte viele Verehrer. Es war erstaunlich, wie viele Anträge sie in den folgenden Jahren bekam. Unbeirrt beantwortete sie diese Anträge negativ, obwohl einige der Verehrer feine Männer waren und auch Christen. Eine meiner frühesten Kindheitserinnerungen ist, dass ich unerwartet Zeuge der Bemühungen eines verliebten Bauernburschen wurde, der sich meine Schwester als seine Ehefrau sichern wollte! Ein anderer Verehrer, ein christlicher Doktor, ging sogar so weit zu behaupten, der Herr habe ihm gesagt, dass sie seine Frau werden solle. Darauf antwortete sie ganz unbefangen, es sei seltsam, dass der Herr ihr das nicht gesagt habe!

Während dieser Jahre in Indien machte meine Schwester verschiedenste Erfahrungen. Sie war gut zu Fuß und so lief sie oftmals die zwölf bis sechzehn Kilometer zum nächsten Lager, wenn Vater Kanäle inspizierte. An anderen Tagen ritt sie aus und so manche Aufregung war die Folge, weil die Pferde danach völlig abgekämpft waren. Einmal taumelte ihr Pferd in den Bergen und warf sich selbst den Berghang hinunter, doch meiner Schwester gelang es, trotz Damensattel auf der anderen Seite hinunterzurutschen.

Ein Ausflug nach Kaschmir war eine ihrer liebsten Erinnerungen. Sie kletterte über hohe Bergpässe und „ertrank“ manchmal in Stürmen; eine Erfahrung, die wir später in den Alpen teilten.

Schon in diesen frühen Jahren begannen sich ihre Fähigkeiten als Krankenschwester zu entwickeln. Obwohl sie nicht ausgebildet war, pflegte sie mit Erfolg unsere Mutter, die sich eine ernste Lungenentzündung zugezogen hatte. Auch ihre mütterlichen Instinkte zeigten sich, und zwar bei Familie A.G. Norman mit ihren neun Kindern. Sie und Mrs. Norman wurden lebenslange Freundinnen. Eine andere Bekanntschaft machte sie auf einer frühen Reise nach Indien, als General Alec Campbell, damals Hauptmann, recht erfolglos versuchte, sein erstgeborenes Baby zu versorgen, da seine Frau durch die Seekrankheit völlig außer Gefecht gesetzt war. Meine Schwester sorgte für das arme Kind, und damit begann eine Freundschaft, die ein Leben lang hielt.

General Campbell hatte drei Söhne: Brigadegeneral Donald Campbell, Vizeadmiral Jock Campbell und Leutnant Kommandeur Andrew Campbell. Meine Schwester kümmerte sich in ihrem Urlaub oft um sie, wenn ihre Eltern in Indien waren. Sie nahm sie in ihr großes Herz auf wie adoptierte Neffen.

Dieser mütterliche Instinkt fand einen noch tieferen Ausdruck, als meine Schwester im Herbst 1919 nach Indien ging und Mrs. Allen [ihrer jüngeren Schwester Gertrude Petronella] zur Hand ging. Nach dem plötzlichen Tod von Mr. Henry Deacon Allen in Cawnpore half sie Mrs. Allen, ihre Kinder im Frühjahr 1920 nach England zu bringen. Es war damals eine sehr schwere Zeit, um eine Schiffsreise nach Hause zu bekommen. Die Gruppe musste aufgeteilt werden: Meine Schwester Eveline brachte zwei Kinder über Italien nach England und Mrs. Allen brachte die anderen zwei Kinder in einem anderen Schiff nach England. Danach sorgte meine Schwester viele Male für ihre Nichten und ihren Neffen, wenn Mrs. Allen zu Besuch in Indien war und auch wenn die jungen Leute in London zur Schule gingen. Sie liebte sie alle innig und wurde beinahe eine zweite Mutter für sie.

Doch wir müssen zu den früheren Tagen zurückkehren, um ein vollständiges Bild vorzulegen. Im Jahr 1893 kamen Vater und die Familienmitglieder, die mit ihm in Indien waren, für ein Jahr nach England, und 1896 nochmals für sechs Monate; beide Male hatten wir Zimmer in Clevedon. Die ganze Familie war wieder vereint, und mein Bruder und ich wurden wieder zu Tagesschülern an derselben Schule. Erst im September 1898 mietete Vater ein Haus in England. Für jeden von uns war es das erste richtige „Zuhause“. Vater hatte ein Haus in Highbury Hill 71 gewählt, um die Versammlung in der Park Street besuchen zu können. Selbst dann hörten Vater und Mutter nicht auf, für die sechs Wintermonate nach Indien zu reisen. Sie ließen Eveline zurück, die nun zuständig war für eine herumtobende fünfköpfige Familie, denn wir waren keinesfalls „Heilige“. Was für eine Aufgabe für eine schmale, hübsche Frau von 26 Jahren, die keine Erfahrung darin hatte, einen Haushalt in England zu führen! Ich erinnere mich, wie sie einmal sagte, dass sie, als unser Mädchen für alles einmal nach einer Kaminplatte fragte, keine Ahnung hatte, was überhaupt gemeint war, da solche Platten in Indien niemals benutzt wurden. Trotz allem erfüllte sie ihre Aufgaben im Haushalt in bewundernswerter Weise; durch pure Willenskraft verwandelte sie sich in eine Meisterin der Hauswirtschaft. In den nächsten 49 Jahren würden Hunderte Besucher dieses Hauses gern bereitwillig von ihrer Fähigkeit zeugen, einkaufen zu gehen, zu kochen, zu nähen und das Haus instand zu halten; und darüber hinaus bereitete sie jedem, der in die Tür trat, ein herzliches Willkommen, mit der ruhigen Güte und Höflichkeit, die in den längst vergangenen Tagen das Siegel einer wahren „Lady“ waren.

Meine Schwester Mrs. Allen war die Erste, die Interesse an der Sonntagsschule in der Park Street hatte. Sie übernahm 1899 die Kleinkindergruppe und brachte die lebhaften Kinder bald zur Ordnung – eine mir unmögliche Aufgabe für die wenigen Male, in der ich sie vertrat. Sie tat diesen Dienst bis 1904, dann verließ sie England, um dem Herrn in Indien zu dienen; dort lernte sie Mr. H.D. Allen kennen und heiratete ihn im nächsten Jahr. Beide dienten dem Herrn in Cawnpore, Mussoorie, Panahpur und an anderen Orten bis zu Mr. Allens Tod im Jahr 1919.

Zu Beginn des Jahres 1904 brauchte die Bibelklasse der jungen Frauen in der Versammlung in der Park Street eine neue Lehrerin, und meine Schwester wurde gebeten, diesen Posten anzunehmen. Sie nahm ihn mit einiger Zurückhaltung an, doch schon bald zeigte sich, dass sie eine wahre Berufung für ihre geistlichen Talente gefunden hatte. Ihre Klasse wuchs und wuchs, bis sie zu groß war, um mit den anderen Kinderklassen in den Raum in Park Street zu passen. Eine Schwester der Versammlung, Miss Fear, die einen Arbeitsraum in der Nähe am Canonbury Square hatte, bot diesen Raum freundlicherweise für die Klasse an, was meine Schwester dankbar annahm. Die Klasse hielt sich dort und wuchs stetig bis zu der schrecklichen Tragödie der Glanton-Trennung unter den Brüdern im Herbst 1908. Als die Trennung stattfand, fühlte Miss Fear sich nicht frei, meiner Schwester den Raum länger zu überlassen. Auch ich verlor meine Jungenklasse der Park-Street-Sonntagsschule.

Meine Schwester und ich warteten in dieser Angelegenheit auf den Herrn und fühlten uns geleitet, ein Haus zu suchen und zu mieten, um so die Bibelklassen dort fortzusetzen; und ich fühlte mich dazu geleitet, eine Bibelklasse für junge Männer zu eröffnen. Wir fanden das Haus Nr. 5 in der Canonbury Street in Highbury, renovierten es außen und innen und begannen dort mit der Arbeit. Die meisten Schülerinnen aus der Bibelklasse meiner Schwester folgten ihr dorthin und andere kamen hinzu, so dass unsere gemeinsame Freude im Herrn von Jahr zu Jahr wuchs. In dieser Zeit wurden viele junge Frauen zum Herrn geführt, und manche besuchen die Klasse bis heute [im Jahr 1954]. Welche Freude hatten wir in diesen glücklichen Tagen! Meine Schwester bot jedem, der bleiben wollte, Tee an, eine Angewohnheit, die sie zwei Weltkriege hindurch fortsetzte, trotz der Schwierigkeiten durch die Nahrungsmittelrationierung. Es war ein Wunder, das beinahe vergleichbar war mit der Witwe, die nur eine Handvoll Mehl und einen Tropfen Öl besaß. Während des Ersten Weltkrieges 1914 bis 1918 bot mir einmal ein Freund Datteln an, die er nicht wollte; zu meinem Erstaunen erreichten mich zwei große Kartons mit gepressten Datteln, die jeweils um die 13 Kilogramm beinhalteten. Für das berühmte Teegebäck waren sie ein Geschenk Gottes.

Unsere Mutter entschlief im Januar 1910 in Cawpore, Indien, und Vater setzte seinen Dienst für den Herrn in Indien fort, kam aber für den Sommer 1910 nach England. Im Oktober ging er nach Indien zurück und reiste direkt nach Travancore, wo er einen schweren Herzanfall erlitt. Mit Mr. und Mrs. Allen schaffte er es, nach England zu kommen. Im Juli 1911 starb er in Highbury Hill 71. Meine Schwester Eveline und ich lebten und arbeiteten von nun an glücklich 43 Jahre zusammen.

Ich kann mich nicht erinnern, in welchem Jahr unsere fröhlichen jährlichen Ausflüge begannen. Ursprünglich fanden diese Ausflüge im August zum Bankfeiertag statt, doch später wurden sie auf Pfingstmontag verschoben, da viele unserer Schüler im August selbst ihren Jahresurlaub nahmen. In der ersten Zeit, als ich bei Wolseley Motors war und mir ein Auto zur Verfügung stand, fuhr ich gewöhnlich die Kranken und nahm das Essen im Auto mit; meine Schwester geleitete den Großteil der Teilnehmer im Zug. Oh, was für eine Aufgabe sie hatte, wenn sie ihre Herde auf dem Nachhauseweg zusammentrieb, unterstützt von Scrap, unserem treuen irischen Terrier! Später hatten wir zwei Doppeldeckerbusse und schließlich den Luxus von Reisebussen. Leider beendete der Zweite Weltkrieg 1939 bis 1945 diese heiteren Ausflüge. Unser letztes Pfingstmontagsfest hatten wir 1940 im Garten von Hamiltion Park 68, kurz bevor die Bombardierung Londons begann. Gewöhnlich hatten wir immer wunderbares Wetter, doch einmal gingen wir in den Wald nahe Otford, Kent, und dort gab es solch einen Regenguss, dass wir allesamt bis auf die Haut durchnässt waren. Ein freundlicher Besitzer eines Bauernhauses öffnete jedoch für uns eine winzige Kapelle und unsere Familie quetschte sich buchstäblich hinein. Wir versuchten dann, den Petroleumkocher in Gang zu setzen, um Tee zu kochen; diese Erinnerung wird mir immer im Gedächtnis bleiben.

Doch kehren wir zurück: Wir setzten unsere Arbeit in der Canonbury Street 5 fort bis zum Ende des Jahres 1917. Damals schien der Erste Weltkrieg endlos, also verlegten wir die Klassen nach Highbury Hill 71. Als der Krieg zu Ende war, gedieh die Bibelklasse meiner Schwester unter Gottes Hand wunderbar. Sie wuchs so sehr, dass die Jüngeren auf Fußbänken sitzen mussten, da wir in unserem großen Wohnzimmer keinen weiteren Platz für Stühle hatten. Welche Freude es ihr machte, über diese Klasse zu wachen und für ihre große Herde zu beten – sie liebte sie und gab sich ihnen völlig hin, und sie liebten sie ebenso. Im Jahr 1937 kauften wir schließlich Hamilton Park 68 und verlegten unsere Klassen nach dort.

Wir müssen nun dennoch noch einmal zum Ersten Weltkrieg zurückkehren. Unmittelbar nach dessen Ausbruch schloss meine Schwester sich der Krankenschwesternabteilung des Roten Kreuzes an und widmete sich mit aller Kraft der Pflege verwundeter Soldaten. Zu Beginn wurde sie dem Royal Northern Hospital zugeteilt. Dann wurde ein Rot-Kreuz-Krankenhaus in Crouch Hill eröffnet, in einem großen alten Haus, das dem Zweck entsprach. Der Leiter ihrer Einheit bat sie, dort zu arbeiten, was sie dann für etwas über ein Jahr tat. Als sie dort war, brauchte sie einmal heißes Wasser und ging in die Küche, um es zu holen. Ihr bot sich ein Herd voll mit Asche und ein Rauchabzug verstopft mit Ruß! Unerschrocken begann sie ihre Arbeit und säuberte den Abzug und den Kamin, machte Feuer und wartete, dass das Wasser kochte, als die Oberschwester erschien und sagte: „Oh, Schwester, das hätten sie nicht zu tun brauchen!“ Darauf antwortete meine Schwester bezeichnenderweise: „Aber Oberschwester, da gab es keinen anderen, der es gemacht hat, da habe natürlich ich es gemacht!“ Das war ganz ihre Art.

Später kehrte sie zum Royal Northern Hospital zurück, doch während ihrer Arbeit dort wurde die Tochter unserer Freundin Mrs. Losada schwer krank und Eveline verschaffte sich eine Freistellung, um Beryl zu pflegen. Dieses Mädchen wurde so anhänglich und liebte seine Pflegerin so sehr, dass es keine andere Pflegerin haben wollte. Das arme Mädchen war zu krank, um geheilt zu werden, und starb kurz darauf.

Insgesamt verbrachte meine Schwester über vier Jahre damit, Tag und Nacht Kranke zu pflegen, nebenher den Haushalt zu führen, ihre Bibelklasse zu unterrichten und vielen anderen Aktivitäten nachzugehen. Sie legte die Zusatzprüfung für Schwestern des Roten Kreuzes ab und erhielt den begehrten blauen Streifen. Sie pflegte die Soldaten nicht nur, sie lud sie auch oft zum Tee in unser Haus ein: Ich habe eine Menge Fotos von Männern, die ich im Garten aufgenommen habe. Einige von ihnen konnten in meine Bibelklasse kommen, und zwei oder drei haben sich, Gott sei Dank, bekehrt. Im späteren Verlauf des Krieges war es sehr schwer, Schwestern für die Frauenstation zu bekommen. Daher wurde meine Schwester von der Oberschwester gefragt, ob sie diese Art der Pflege übernehmen wolle. Sie stimmte zu und widmete sich mit ganzer Kraft diesem Dienst. Sie setzte diesen Dienst auch nach dem Krieg fort, bis eine furchtbare Grippeepidemie sie außer Gefecht setzte. Das war nach meiner Erinnerung das erste Mal, dass sie krank im Bett lag. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wollte sie mit ihren 68 Jahren wieder als Schwester arbeiten und war sehr aufgebracht, als man ihr sagte, sie sei zu alt!

Neben ihren anderen Aktivitäten gab es die geliebte Arbeitsgruppe. Ihr Interesse wurde durch Miss Bellamy für das Mildway Mission Hospital geweckt und jahrein, jahraus mühte sie sich, um den Royal-Service-Stand zum Erfolg zu führen. Diese Arbeit kam zu ihren zunehmenden Pflichten für die beiden Missionen in Belgisch-Kongo hinzu. Herausragend aus ihren Arbeiten dort waren ihre Stickereien, die von Freunden weit und breit begehrt waren. Selbst an Feiertagen, wenn sie die Berge erklomm, trug sie ihre Handarbeit im Rucksack bei sich und arbeitete nach dem Mittagessen am Berghang an einer Stickerei, während ich ihr aus einem Buch vorlas. Einmal rettete diese Angewohnheit sie vor einem üblen Unfall. Sie kletterte gerade zwischen Felsenbrocken, als sie ausrutschte und rückwärts in eine Lücke zwischen die Felsen fiel. Ich stürmte herbei und befürchtete, sie müsse ernsthaft verletzt sein, doch stattdessen sah ich ihr erstaunt zu, wie sie recht unverletzt herauskletterte. Nach genauerem Nachdenken kamen wir zu dem Schluss, dass der harte Aufschlag auf den Rücken wohl von ihrem Rucksack abgefangen wurde, der dick mit Stickereien ausgepolstert war! Wie viel sie und ihre Helfer durch ihre Handarbeiten für das Krankenhaus verdienten, ist schwierig abzuschätzen. Sie liebte das Krankenhaus und bis zu ihrem Heimgang interessierte sie sich für die Arbeit dort und betete für diese Arbeit. Sogar im Bett, während ihrer letzten Wochen, sprach sie oft von den Vorbereitungen, die für den nächsten Wohltätigkeitsbasar zu machen waren.

Dann gab es noch die berühmte Marmelade; eine Familie bestand sogar darauf, dass die Mutter „Jacobs Marmelade“ besorgen solle und keine andere. Dieses Unternehmen hatte ein trauriges Ende. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach und Lebensmittel rationiert wurden, schrieb sie an das Ministerium für Ernährung mit der Bitte, Zucker kaufen zu dürfen. Sie wurde an das Lebensmittelbüro in London-Islington verwiesen. Als sie dort mit dem Beamten sprach, war dieser aufrichtig erstaunt über ihre Bitte und fragte sie, ob sie dies tun wolle, um Profit zu erzielen. Darauf erwiderte sie: „Natürlich nicht!“ – „Was wollen Sie dann damit tun?“ – „Nun, ich verkaufe die Marmelade, um Geld für das Krankenhaus zu verdienen.“ – „Ah, also eine Art Fabrik.“ Worauf sie empört das Büro verließ. Später sagte sie zu mir: „Denk dir nur, dieser Mann dachte, ich leite eine Fabrik!“ Die Folge war leider: kein Zucker!

Ihre tiefe Liebe zu Tieren aller Art darf ich nicht unerwähnt lassen. Ihre besondere Liebe galt Hunden. Sie hörte niemals auf, an ihren geliebten Scrap zu denken, der so ein vollkommener Hund war, dass er gewöhnlich sogar die Wortverkündigung in Bedford Hall besuchte; Mr. A.E. Walker pflegte ihn als „bekehrten“ Hund zu bezeichnen.

Außerdem liebte sie die Brüder, die in der Mission tätig waren, und das Werk des Herrn, das sie ausführten. Unser Vater starb im Juli 1911 und von da an schrieb meine Schwester 43 Jahre lang all die Briefe an die Spender des Missionsfonds, verschickte Quittungen und führte das Kassenbuch. Außerdem unterhielt sie eine umfangreiche Korrespondenz mit den Brüdern der Mission und deren Kindern. Man kann den ganzen Umfang ihrer Dienste an ihnen gar nicht erfassen. Gewöhnlich lieferten die Antworten, die sie auf ihre Briefe erhielt, den nötigen Stoff für die Rundbriefe. Und nicht nur auf diese Weise kümmerte sie sich; auch wenn die Brüder zu Hause waren, begrüßte sie sie in Highbury Hill 71 und kümmerte sich liebevoll um alles, was sie brauchten. Dies war allgemein bekannt, und so ergab es sich einmal, dass ein völlig Fremder an die Tür klopfte. Er erzählte meiner Schwester, dass er informiert worden sei, dies sei „das Haus, in dem Missionaren Gastfreundschaft entgegengebracht wird“! Ein anderes Mal kam ein fremder Bruder aus Amerika und lebte neun Monate mit uns und wurde liebevoll umsorgt! Einige haben tatsächlich ohne ihr Wissen Engel beherbergt.

Ferien! Wie sie die Berge liebte, die Blumen, die Ruhe. Blumen waren ihre besondere Freude und manche Stunde verbrachte sie damit, Blumen zu pflücken: Alpenrosen, Enzian, Blaue Kugeldistel oder ein Edelweiß, wenn wir denn eins finden konnten. Die Muster für ihre wunderschön bestickte Kleidung entnahm sie all den Blumen um sie herum.

Doch nicht jede unserer Klettertouren war von Sonnenschein begleitet. Um 9 Uhr morgens stiegen wir auf mit unseren Rucksäcken, mit Verpflegung und dem Spirituskocher, wanderten 10 bis 16 Kilometer, kletterten 300 oder 1500 Meter hoch, hatten unser Mittagessen, machten eine Rast und kamen pünktlich bis 18:30 abends zurück, um uns frisch zu machen und unser Abendessen einzunehmen. Manchmal ertranken wir förmlich! Wir starteten am Petit Mont Blanc bei strahlendem Sonnenschein und tranken oben in einer Höhe von 2700 Metern Tee, während Sturzbäche von Regen in unsere Tassen und in unseren Nacken fielen. Doch sie liebte es; sie wollte schon immer ein Spartaner sein. Schon als kleines Mädchen saß sie unter einem Schirm im Garten, während der Gartenschlauch bis zum Anschlag aufgedreht war, so dass sie klatschnass wurde. Einmal in St. Anton in Österreich war es bitterlich kalt und wir brachen auf zu einem Gebirgspass und marschierten schnell, um warm zu werden. An diesem Tag liefen wir 64 Kilometer. Selbst 1953, im Alter von beinahe 82 Jahren, wanderte sie 240 Kilometer in drei Wochen und erklomm insgesamt 3600 Höhenmeter.

Einmal waren wir auf einem Gletscher zwischen Adelboden und dem Gemmipass. Es war ein schlechter Morgen und der 2640 Meter hohe Pass war mit Wolken bedeckt. In der Nähe des höchsten Punktes nahmen wir unser Mittagessen ein, und ich betete ernstlich darum, dass die Wolken aufklaren, da wir auf diesem Weg nie vorher gewesen waren, den Gletscher aber überqueren mussten. Als wir dann da so saßen, verzogen sich allmählich die Wolken, und eine Stunde später überquerten wir sicher den Gletscher.

Der höchste Gipfel, den meine Schwester und ich zusammen bestiegen, war der Clocher de Bertol mit 3343 Metern Höhe. Eine ihrer bemerkenswertesten Heldentaten war das Besteigen des 3290 Meter hohen Gornergrates von Zermatt aus im Alter von 76 Jahren. Doch unser Urlaub diente nicht nur der Freude oder gar der Gesundheit. Überall gab es Möglichkeiten, den Samen des Wortes Gottes auszustreuen. Eine gesegnete Begebenheit der Güte Gottes möge genügen:

Im August 1929 waren wir zum ersten Mal in Österreich. Wir wohnten in einem kleinen Dorf in den Bergen namens Ferleiten. Dort trafen wir ein junges Paar aus Wien, Dr. und Mrs. Josef Eisenstein, und freundeten uns mit ihnen an. Sie gaben uns ihre Adresse in Wien und meinten, sie würden uns Wien zeigen, wenn wir jemals dorthin kämen. Wir reisten nie nach Wien, sandten uns aber gegenseitig Grüße zu Weihnachten. Neun Jahre später, 1938, erhielten wir einen tragischen Brief von ihnen: Es stellte sich heraus, dass sie österreichische Juden waren, was wir nicht gewusst hatten. Sie fragten, ob wir ihnen ein Visum für England beschaffen könnten, später wollten sie dann von dort aus nach Amerika abreisen. Wir fühlten, dass es ein Auftrag Gottes war, und nach vielen Bemühungen gelang es uns, das Visum zu bekommen. Sie kamen im April 1939 an und wohnten sieben Monate bei uns bis Dezember 1939 und wurden liebevoll von meiner Schwester umsorgt. In dieser Zeit lernten sie den Retter kennen und lieben und wurden im Oktober auf den Namen des Herrn Jesus Christus getauft. Heute leben sie in New Rochelle, nahe New York; sie erfreuen sich an Jesus Christus und streben danach, ihn bekannt zu machen. Ja, Ferien können eine wunderbare Zeit sein, um für Gott zu arbeiten, wenn wir bereit dazu sind.

Und so kommen wir zum glücklichen Höhepunkt. Wer der damals Anwesenden könnte jemals die Feier zum Goldenen Jubiläum der Bibelklasse meiner Schwester vergessen, die am 6. März 1954 in Hargrave Hall, Highgate, stattfand. Die, welche dieses Treffen durchdacht, geplant und ausgeführt haben, mögen meine tiefste und aufrichtigste Dankbarkeit entgegennehmen. Es fand genau zum richtigen Zeitpunkt statt, denn meine geliebte Schwester konnte es in seiner ganzen Fülle genießen und ihre Freude war grenzenlos. Eine große Freude waren für sie die Zeugnisse, wie der Herr sie gebraucht hatte, um junge Frauen für Christus zu gewinnen und sie zu schulen, andere zu belehren. Besonders berührt war sie davon, dass Männer und Frauen von weither kamen, um bei diesem Treffen dabei zu sein. Sicherlich war dieses Erlebnis von Gott – ein kleiner Vorgeschmack auf die größere Herrlichkeit, die bald folgen sollte.

Samstag, der 15. Mai 1954 war ein unvergesslicher Tag. Unsere Nachbarn luden uns liebenswürdigerweise in ihr Haus ein, damit wir in ihrem Fernseher die Rückkehr der Queen nach England sehen konnten, und bewirteten uns mit Tee. Welch ein spontanes Willkommen die Queen hatte, nachdem sie so würdig ihre Mission auf ihrer langen Weltreise erfüllt hatte. Es war ein schöner Nachmittag; den Abend verbrachten wir, wie gewöhnlich, gemeinsam allein zu Hause.

Als der Sonntagmorgen anbrach, beschienen die Strahlen der aufgehenden Sonne die Baumwipfel im Garten. Das erinnert mich daran, wie meine geliebte Schwester und ich still und in heiliger Ehrfurcht auf dem Gipfel des Gemmipasses saßen, als der goldene Glanz die Gipfel der Walliser Alpen beschien, bis die Sonne in ihrer ganzen Majestät aufging. Ich ging ins Schlafzimmer meiner Schwester; sie lag in ihrem Bett und sah aus, als wäre sie bereits in die Herrlichkeit abberufen worden. Ich rannte die Treppe hinunter und rief den Doktor an, und dann kniete ich allein in der Gegenwart meines Gottes und Vaters. In diesem heiligen Moment sagte Er zu mir: „Mein Kind, ich nehme von dir die Sehnsucht deiner Augen.“ Ich erwiderte: „O mein Vater, alles, was Du tust, ist gut, und wenn es Dein Wille ist, so ist es gut.“ Trotzdem weinte ich.

Was soll ich über die letzten Wochen sagen: Sie sind zu heilig, um darüber zu berichten. Nach dem 16. Mai verließ sie das Schlafzimmer nicht mehr, doch saß sie lieber in ihrem großen Lehnstuhl, als im Bett zu liegen. Zum ersten Mal begann sie davon zu sprechen, „fortzugehen, um bei Jesus zu sein“. Wieder und wieder sprach sie von ihren „lieben Mädchen“. Als ich an einem Sonntagmorgen nach London aufbrach, wusste sie nicht, welche Worte sie wählen sollte, und sagte langsam: „Ich möchte, dass du meinen Mädchen predigst.“ Ja, sie liebte sie bis ans Ende; viele werden sie in der Herrlichkeit wiedersehen, und sie werden ihre KRONE DER FREUDE sein.

Am Montag, den 28. Juni 1954, kehrte ich gegen 7 Uhr abends von der Firma zurück. Sie erkannte mich und gab mir einen Kuss; es war ein Abschiedskuss. Meine geliebte Schwester saß, abgestützt durch Kissen, in einem Lehnstuhl in ihrem Schlafzimmer und blickte in den Garten. Goldene Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten die Schönheit der Blumen, die sie so sehr liebte. Die Sonne ging gerade unter, aber der Glanz eines langen und großartigen Lebens, das sich dem Ende zuneigte, überstieg noch ihr Strahlen.

Bald schlief sie ein, und während Mrs. Allen und deren Töchter, Mrs. Broomhall und Mrs. Perry, und ich an ihrer Seite saßen, begann sie immer leiser zu atmen, bis sie in den ewigen Armen ruhte. Und so erklangen die Posaunen auf der anderen Seite, um das geliebte Kind Gottes und die treue Dienerin unseres Herrn Jesus Christus zu Hause willkommen zu heißen.

„Bis der Tag anbricht und die Schatten fliehen.“

Meine geliebte Schwester hatte eine Karte in ihrem Schlafzimmer an der Wand hängen, auf der dieser schöne Spruch über die Liebe stand. Ihr Leben war ein fortwährendes Zeugnis für die Liebe, die in ihr strahlte:

Liebe
Liebe gibt immer, vergibt immer und bleibt immer
und immer hat sie offene Hände;
Und während sie lebt, gibt sie,
denn das ist das Vorrecht der Liebe:
geben, geben, geben.

 

Verwendete Quellen

www.myjacobfamily.com/favershamjacobs/evelynjacob.htm
www.myjacobfamily.com/authors/evelynbook1.pdf
Das Foto stammt mit freundlicher Genehmigung von Kenneth W. Jacob. Herzlichen Dank!


Übersetzung: Simone Storek

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