Der Prophet Joel (0)
Einleitung

Henri Louis Rossier

© SoundWords, online seit: 15.04.2018, aktualisiert: 22.09.2018

Einleitung

Joel war ausschließlich ein Prophet Judas und Jerusalems. Das letzte Kapitel des Buches Joel zeigt uns dies deutlich. Wir finden dort die Wendung der Gefangenschaft Judas und Jerusalems (Joel 1,1 „Das Wort des HERRN, das an Joel, den Sohn Pethuels, erging.“) – die Kinder Judas und Jerusalems werden den Fremden verkauft (Joel 1,6 „Denn eine Nation ist über mein Land heraufgezogen, mächtig und ohne Zahl; ihre Zähne sind Löwenzähne, und sie hat das Gebiss einer Löwin.“) – und ebenso die Vergeltung: Die Söhne und Töchter der Fremden werden in die Hand der Kinder Judas gegeben (Joel 1,8 „Wehklage wie eine Jungfrau, die wegen des Gatten ihrer Jugend mit Sacktuch umgürtet ist!“), und schließlich lesen wir von der endgültigen Wieder­bevölkerung Judas und Jerusalems (Joel 1,20 „Auch die Tiere des Feldes schreien lechzend zu dir; denn vertrocknet sind die Wasserbäche, und ein Feuer hat die Weideplätze der Steppe verzehrt.“). Überall betont der Prophet die Zukunft gewährter Segnungen Jerusalems (Joel 3,5; 4,16-20); ebenso wird überall der Tempel, das Haus Gottes, er­wähnt (Joel 1,9.13-16; 2,17 (1:9) Speisopfer und Trankopfer sind weggenommen vom Haus des HERRN; es trauern die Priester, die Diener des HERRN.“ „(1:13) Umgürtet euch und wehklagt, ihr Priester; heult, ihr Diener des Altars! Kommt, übernachtet in Sacktuch, ihr Diener meines Gottes! Denn Speisopfer und Trankopfer sind dem Haus eures Gottes entzogen. (1:14) Heiligt ein Fasten, ruft eine Festversammlung aus; versammelt die Ältesten, alle Bewohner des Landes zum Haus des HERRN, eures Gottes, und schreit zu dem HERRN! (1:15) Ach, welch ein Tag! Denn nahe ist der Tag des HERRN, und er kommt wie eine Verwüstung von dem Allmächtigen. (1:16) Ist nicht die Speise vor unseren Augen weggenommen, Freude und Frohlocken vom Haus unseres Gottes?“ „(2:17) Die Priester, die Diener des HERRN, sollen weinen zwischen der Halle und dem Altar und sprechen: Verschone, HERR, dein Volk und gib nicht dein Erbteil der Schmähung hin, dass sie den Nationen zum Sprichwort seien! Warum soll man unter den Völkern sagen: Wo ist ihr Gott?“) und der Berg Zion (Joel 2,1.15.23; 3,5; 4,17 (2:1) Stoßt in die Posaune auf Zion, und blast Lärm auf meinem heiligen Berg! Beben sollen alle Bewohner des Landes; denn es kommt der Tag des HERRN, denn er ist nahe:“ „(2:15) Stoßt in die Posaune auf Zion, heiligt ein Fasten, ruft eine Festversammlung aus!“ „(2:23) Und ihr, Kinder Zions, frohlockt und freut euch in dem HERRN, eurem Gott! Denn er gibt euch den Frühregen nach rechtem Maß, und er lässt euch Regen herabkommen: Frühregen und Spätregen wie zuvor.“ „(3:5) Und es wird geschehen: Jeder, der den Namen des HERRN anrufen wird, wird errettet werden; denn auf dem Berg Zion und in Jerusalem wird Errettung sein, wie der HERR gesprochen hat, und unter den Übriggebliebenen, die der HERR berufen wird.“ „(4:17) Und ihr werdet erkennen, dass ich, der HERR, euer Gott bin, der auf Zion wohnt, meinem heiligen Berg. Und Jerusalem wird heilig sein, und Fremde werden es nicht mehr durchziehen.“). Es ist somit das besondere Gepräge dieses Bu­ches, im Unterschied zu Hosea, der Israel, das Zehn-Stämme-Volk, zum Gegenstand hat, ohne indes das Zwei-Stämme-Volk, Juda, außer Acht zu lassen.

Dies ist umso bemerkenswerter, weil Joel den Assyrer als den vor allen anderen hervortretenden Feind Judas bezeichnet, dessen Einfall in Palästina und endgültige Vernichtung das zweite Kapitel beschreibt. Nun ist aber der historische Assyrer der Feind des Zehn-Stämme-Volkes, Israel, und das Werkzeug zu ihrer Nie­derlage und endgültigen Zerstreuung. Dem Zwei-Stämme-Volk, Juda, gegenüber ist er ein besiegter Feind, denn es gelingt ihm nicht, Jerusalem einzunehmen (vgl. die Geschichte Hiskias). Der große Feind und Zerstörer Jerusalems war geschichtlich Nebukadnezar, der König von Babel (vgl. Jeremia). Babel ist aber in unserem Propheten gänzlich außer Acht gelassen; daraus müs­sen wir schließen, dass der Assyrer Joels in keinem direkten Zu­sammenhang mit dem historischen Assyrer und seinen aufeinan­derfolgenden Einfällen steht. Die Geschichte des Niedergangs der zehn Stämme entspricht der Prophezeiung Hoseas, die damit erfüllt ist. Daraus erhellt, dass uns Joel den prophetischen Assyrer vor Augen stellt, von dem der historische Assyrer – der übrigens zur Zeit Joels auch noch zukünftig gewesen zu sein scheint – nur ein schwaches Vorbild ist. Gog, der prophetische Assyrer, wird ohne Zweifel dieselben Gebiete einnehmen wie der Assyrer des Altertums, jedoch wird seine Herrschaft unendlich viel aus­gedehnter sein, denn dieser gewaltige Feind wird fast alle Völker Asiens unter seinem Zepter vereinigen, und auf diesen, den Fürsten Gog, weisen die zahlreichen Prophezeiungen, die vom historischen Assyrer reden, unaufhörlich hin. Wenn sich nun der Prophet Joel ausschließlich mit Juda und Jerusalem beschäftigt, so steht somit in seiner Prophezeiung der Assyrer als der zukünftige Feind Jerusalems im Mittelpunkt. Jedoch müssen wir bei­fügen, dass im Endgericht der Völker in Kapitel 4 alle Nationen mit ihm eingeschlossen sind.

Hieran schließt sich eine weitere Bemerkung: Ein beson­derer Zug unterscheidet Joel von allen andern Propheten. Da er nur von einem zukünftigen Feind redet, gibt er kein einziges historisches Datum an. Wir finden in seinem Buch in der Tat weder eine Erwähnung der Könige, unter deren Regierung Joel weissagte – wie dies sonst die meisten Propheten tun –, noch irgendwelche Hinweise auf historische Ereignisse, wie zum Beispiel Hese­kiel, Obadja, Jona, Nahum und Habakuk. In dieser Hinsicht steht Joel ganz allein unter den Sehern. Wir wissen auch nicht, wann das große Unglück stattfand, von dem im ersten Kapitel die Rede ist. Ein anderes Ereignis, das Erdbeben, das wie jenes der Ordnung der Naturereignisse angehört, hat in den Tagen Ussias stattgefunden (Amos 1,1 „Worte des Amos, der unter den Hirten von Tekoa war, die er über Israel geschaut hat in den Tagen Ussijas, des Königs von Juda, und in den Tagen Jerobeams, des Sohnes Joas’, des Königs von Israel, zwei Jahre vor dem Erdbeben.“; Sach 14,5 „Und ihr werdet in das Tal meiner Berge fliehen, und das Tal der Berge wird bis Azel reichen; und ihr werdet fliehen, wie ihr vor dem Erdbeben geflohen seid in den Tagen Ussijas, des Königs von Juda. Und kommen wird der HERR, mein Gott, und alle Heiligen mit dir.“); die wiederholten Einfälle von Heuschrecken in so kurzen Intervallen und die gleich­zeitige Hungersnot werden sonst nirgends erwähnt. Man hat an­genommen, dass diese Plagen Darstellungen der vier Einfälle des Assyrers in das Gebiet Israels seien, die Joel somit miterlebt hätte. Nichts ist weniger erwiesen als dies, und wir können nicht umhin, zu betonen, dass, wenn dem so wäre, der Charakter der Prophe­zeiung Joels erheblich anders geworden wäre. Der Prophet sieht das von ihm angekündigte Gericht sich in einer fernen Zukunft abwickeln. Sein Seherblick schweift von einem unerhörten, zwar naturgemäßen Unglück, das an den Tag Jahwes gemahnte, auf Ereignisse, die noch für lange Zeit hinter dem Vorhang der Zukunft verborgen bleiben sollten und von dem dieses Unglück ein Vorbild ist. Joel lüftet den Vorhang und reiht die damaligen Ereignisse denen des Endes an; aber er überspringt sozusagen die Gerichte über Israel durch den Assyrer – die zu seiner Zeit noch zukünftig, jedoch vor der Tür sein mochten –, übergeht die zahlreichen Regierungswege Gottes mit seinem Volk, die Hosea mit vielen Einzelheiten beschreibt, in einem einzigen Sprung in die volle Endzeit, zum großen Tag Jahwes.

In der Tat beschränkt sich die Prophezeiung Joels auf den Tag Jahwes, so dass sie darnach betitelt werden könnte. Wir wer­den im Lauf unserer Betrachtung Gelegenheit haben, im Einzelnen darauf zurückzukommen. Hier genügt es, zu bemerken, dass der Tag Jahwes ein Tag offenbarer und vielfältiger Gerichte sein wird, ohne die der Zugang zu den Segnungen des Tausendjährigen Reiches nicht geöffnet werden könnte. Diesen offensichtlichen Gerichten gehen solche der Vorsehung voraus, die, ohne der Tag Jahwes selbst zu sein, einen Vorgeschmack davon geben. Ein solches Gericht war auch das Ereignis in Joel 1; ebenso sind es die Ereignisse, die die Welt heute zu durchkosten hat. Der Zweck aller Endgerichte ist:

  • den Namen Gottes zu verherrlichen, der durch das Verhalten der Menschen, und zwar im Besonderen von seinem irdi­schen Bundesvolk Israel verunehrt worden ist; und

  • den Hochmut der Nationen zu beugen, die sich gegen Ihn auflehnen (Obad 15 „Denn der Tag des HERRN ist nahe über alle Nationen: Wie du getan hast, wird dir getan werden; dein Tun wird auf dein Haupt zurückkehren.“; Jes 2,12-19), und damit die „Bewohner des Erdkreises Gerechtigkeit lernen“ (Jes 26,9). So wird dieser Tag ein Tag des Schreckens sein für die, die gegen Jahwe gesündigt haben (Zeph 1,14-18 (14) Nahe ist der große Tag des HERRN; er ist nahe und eilt sehr. Horch, der Tag des HERRN! Bitterlich schreit dort der Held. (15) Ein Tag des Grimmes ist dieser Tag, ein Tag der Drangsal und der Bedrängnis, ein Tag des Verwüstens und der Verwüstung, ein Tag der Finsternis und der Dunkelheit, ein Tag des Gewölks und des Wolkendunkels, (16) ein Tag der Posaune und des Kriegsgeschreis gegen die festen Städte und gegen die hohen Zinnen. (17) Und ich werde die Menschen ängstigen, und sie werden umhergehen wie die Blinden, weil sie gegen den HERRN gesündigt haben; und ihr Blut wird verschüttet werden wie Staub, und ihr Fleisch wie Kot; (18) auch ihr Silber, auch ihr Gold wird sie nicht retten können am Tag des Grimmes des HERRN; und durch das Feuer seines Eifers wird das ganze Land verzehrt werden. Denn ein Ende, ja, ein plötzliches Ende wird er mit allen Bewohnern des Landes machen.“). Es wird ein Tag der Zerstö­rung (Jes 13,6-9 (6) Heult, denn nahe ist der Tag des HERRN! Er kommt wie eine Verwüstung vom Allmächtigen. (7) Darum werden alle Hände erschlaffen, und jedes Menschenherz wird zerschmelzen. (8) Und sie werden bestürzt sein, Wehen und Schmerzen werden sie ergreifen, sie werden sich winden wie eine Gebärende; einer starrt den anderen an, ihre Angesichter glühen. (9) Siehe, der Tag des HERRN kommt grausam mit Grimm und Zornglut, um die Erde zur Wüste zu machen; und ihre Sünder wird er von ihr vertilgen.“), der Rache (Jes 61,2; 63,4 (61:2) auszurufen das Jahr des Wohlgefallens des HERRN und den Tag der Rache unseres Gottes und zu trösten alle Trauernden;“ „(63:4) Denn der Tag der Rache war in meinem Herzen, und das Jahr meiner Erlösung war gekommen.“; Jer 46,10 „Aber dieser Tag ist für den Herrn, den HERRN der Heerscharen, ein Tag der Rache, um sich zu rächen an seinen Widersachern; und fressen wird das Schwert und sich sättigen und sich laben an ihrem Blut. Denn der Herr, der HERR der Heerscharen, hat ein Schlachtopfer im Land des Nordens, am Strom Euphrat.“), des Zornes (Zeph 2,2 „ehe der Beschluss gebiert – wie Spreu fährt der Tag daher –, ehe denn die Glut des Zorns des HERRN über euch kommt, ehe denn der Tag des Zorns des HERRN über euch kommt!“), der Finsternis (Amos 5,20 „Wird denn nicht der Tag des HERRN Finsternis sein und nicht Licht, und Dunkelheit und nicht Glanz?“) sein. Alle diese Gerichte werden durch Jahwe selbst ausgeführt werden, darum wird dieser Tag „der Tag Jahwes“ genannt. Nun, Christus ist Jahwe: „Denn Gott hat einen Tag gesetzt, an dem er den Erd­kreis richten wird in Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat allen den Beweis davon gegeben, indem er ihn auferweckt hat aus den Toten“ (Apg 17,31). Diese Gerichte werden den ganzen bewohnten Erdkreis treffen (Off 3,10 „Weil du das Wort meines Ausharrens bewahrt hast, werde auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die über den ganzen Erdkreis kommen wird, um die zu versuchen, die auf der Erde wohnen.“), wie dies auch im Lauf der Ereignisse der Offenba­rung gesehen werden kann; nur müssen wir, wenn wir Joel be­trachten, verstehen, dass die Weissagung hier nicht über den eng­ begrenzten Kreis von Juda und Jerusalem hinausgeht, sich also im gleichen Rahmen bewegt wie die Kapitel 12–14 in Sacharja.

  • Vergessen wir jedoch nicht, dass sich die Ratschlüsse Gottes niemals auf die Gerichte beschränken, sondern immer über diese hinausgehen. Das dritte Ziel der Gerichte Gottes ist die Befreiung seines irdischen Bundesvolkes Israel, das nur auf diesem Weg vom Joch der Nationen, die es zertreten, befreit werden kann. Endlich wird das letzte Ergebnis des schrecklichen Tages Jahwes das sein, dass der getreue Überrest, der durch die Gerichte hindurch bewahrt worden ist, in die Segnungen des Tausendjährigen Reiches eingeführt wird. Im Neuen Testament finden wir noch etwas anderes. In 2. Petrus 3,10-13 (10) Es wird aber der Tag des Herrn kommen wie ein Dieb, an dem die Himmel vergehen werden mit gewaltigem Geräusch, die Elemente aber im Brand werden aufgelöst und die Erde und die Werke auf ihr werden verbrannt werden. (11) Da nun dies alles aufgelöst wird, welche solltet ihr dann sein in heiligem Wandel und Gottseligkeit! – (12) indem ihr erwartet und beschleunigt die Ankunft des Tages Gottes, dessentwegen die Himmel, in Feuer geraten, werden aufgelöst und die Elemente im Brand zerschmelzen werden. (13) Wir erwarten aber nach seiner Verheißung neue Himmel und eine neue Erde, in denen Gerechtigkeit wohnt.“, wo dieser Gegenstand besonders behandelt wird, kann man bemerken, dass dort der „Tag des Herrn“ (es ist derselbe wie der „Tag Jahwes“) über das Tausendjährige Reich hinausgeht und bis zur Auflösung aller Dinge führt, was im Alten Testament nie der Fall ist. In die­sem zweiten Brief des Petrus wird das Tausendjährige Reich nicht als zum Tag des Herrn gehörig gerechnet; es ist gleichsam eine Einschaltung, danach nimmt der Tag des Herrn seinen wei­teren Verlauf, und dann werden „die Erde und die Werke auf ihr verbrannt werden“, um dem „Tag Gottes“, dem Neuen Himmel und der Neuen Erde Platz zu machen, „in denen Gerechtigkeit wohnt“. Somit schließt der Tag des Herrn im Neuen Testament mit dem Aufgang des Tages Gottes, während er im Alten Testa­ment mit dem Tausendjährigen Reich endet; das prophetische Gesicht also nie bis zum Tag Gottes geht. Das Tausendjährige Reich des Christus wird ein „ewiges Reich“ genannt, einfach des­halb, weil dann der Ewige regiert.

Joel zeigt uns, zwar in sehr beschränktem Maß, diese drei Ziele der Gerichte Gottes, die wir soeben dargestellt haben. Hier ist der Assyrer allein die Zuchtrute gegen Juda und Jerusalem, die den Herrn verunehrt haben. Sobald sein Zweck erreicht ist, wird Gott diesen Feind vernichten, weil „sich die Axt wider den gerühmt hat, der mit ihr geschlagen hat“ (Jes 10,15), und wird mit demselben Schlag alle Nationen richten, die gegen Jerusalem hinaufgezogen sind (Joel 4). Dann wird das Volk auf dem Weg der Buße in die endgültige Segnung ein­geführt werden.

Nächster Teil


Französischer Originaltitel: Le Livre du prophète Joël


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