- Einleitung
- Kapitel 1 – Ahasveros und Vasti
- Kapitel 2 – Esther als Gemahlin und Königin
- Kapitel 3 – Haman
- Kapitel 4 – Die große Drangsal
- Kapitel 5 – Esther wird gnädig empfangen, Haman wird offenbar
- Kapitel 6 – Geheime Wege der Vorsehung Gottes
- Kapitel 7 – Esther tut ihre Abstammung kund
- Kapitel 8 – Mordokai verwaltet das Reich
- Kapitel 9 – Völlige Rettung
- Kapitel 10 – Schluss
- Zusammenfassung
Einleitung
Die Ereignisse, über die das Buch Esther berichtet, liegen zwischen Esra 6 und 7, das heißt zwischen der Regierung des Darius, des Sohnes des Hystaspes, und der Regierung des Artaxerxes mit dem Beinamen „Langhand“. Der Zwischenraum zwischen diesen beiden Regierungen wird ausgefüllt durch die Herrschaft des Ahasveros (sonst Xerxes genannt, 485–465 v.Chr.), Sohn des Darius und Vater des Artaxerxes. Die im Buch Esther berichteten Tatsachen ereigneten sich also unter Ahasveros (Xerxes).
Jeder Schüler kennt die Macht und den Reichtum des Xerxes sowie die Rolle, die er in seinem Kampf mit Griechenland gespielt hat, wie er im sechsten Jahr seiner Regierung, bei Salamis durch die Flotte seiner Gegner besiegt, floh und in sein Land zurückkehrte. Doch es ist gut, sich daran zu erinnern, dass zum Verständnis des Wortes auch diese elementaren Kenntnisse nicht notwendig sind; eine Stelle in Daniel (Dan 10,20–11,2) genügt, um uns über das, was wir davon wissen müssen, zu unterrichten. Es ist im Gegenteil wichtig, daran zu denken, dass die geräuschvollsten Ereignisse der Weltgeschichte in dem inspirierten Buch oft kaum mitzählen. Gott erwähnt sie nur, insoweit sie auf die eine oder andere Weise die Geschichte seines Volkes berühren oder prophetische Ereignisse vorbilden, Streitigkeiten zwischen Völkern, deren Gegenstand Israel sein wird (Dan 11). Es kommt sogar vor, dass das Wort uns den mächtigen Zusammenstoß von Nationen nur erzählt, um uns die Rettung eines einzigen seiner Geliebten vor Augen zu führen (s. Lot in 1Mo 14).
Diese Wahrheit ist bedeutungsvoll. Die Streitigkeiten zwischen den Völkern in unseren Tagen beschäftigen uns oft in einem Maß, dass unsere Seelen die Gemeinschaft mit dem Herrn dadurch verlieren. Lasst uns das Wort nehmen, um ihren Wert festzustellen, lasst uns die Dinge auf der Waage des Heiligtums wiegen; wie klein werden sie uns vorkommen angesichts der ewigen Ratschlüsse unseres Gottes! Die größten Umwälzungen der mächtigsten Reiche, die die Welt in ihren Grundlagen zu erschüttern scheinen, wiegen nicht mehr als ein Strohhalm auf der Waage Gottes, vorausgesetzt dass nicht sein Volk die Ursache von ihnen ist, sei es, dass es sich um Gericht über sein Volk oder um Rache über seine Gegner handelt. (Vergleiche 5. Mose 32,8.) Man sieht ein Beispiel davon auch im Neuen Testament: Die ungeheure Aufgabe der Zählung der ganzen bewohnten Erde durch den größten römischen Kaiser hat kein anderes Ergebnis, als die Geburt eines Kindes in Bethlehem einzuführen; und am Ende der Zeiten verschwinden die gewaltigen Kämpfe der größten Heerführer und ihrer zahllosen Heere wie ein Hauch bei der Erscheinung eines einzigen Menschen. Im Alten Testament haben die Umgestaltung der Welt durch den Assyrer und alle seine Siege nur insoweit Bedeutung, als sie die Rute Gottes für das untreue Israel bilden; der Sieg Babels über Assyrien ist nur insoweit bedeutungsvoll, als er gleiche Absichten Gottes gegen Juda zur Ausführung bringt.
Das Buch Esther bestätigt das soeben Gesagte. Die sogenannten Perserkriege, die die damalige Welt so viele Jahre lang erschütterten, werden hier einfach übergangen. Das Buch redet weder vom Sieg der Griechen (Javan) noch von der Niederlage der Perser. Derartige Ereignisse mögen den Untergang Persiens, des zweiten Weltreichs, von ferne vorbereitet haben (da dieses Reich das ihm von Gott Anvertraute nicht besser verwaltet hatte, als Babel, das erste Reich, es getan hatte), aber sie berühren nicht das Volk Gottes.
Ein ganz besonderer Zug des Buches Esther wird keinem Leser entgangen sein: Der Name Gottes kommt nicht ein einziges Mal darin vor. Die Ursache davon ist den Juden unverständlich, denn „Israel ist zum Teil Verhärtung widerfahren“ (Röm 11,25) und sie verstehen die Gedanken Gottes in ihren eigenen Schriften nicht. Wir werden sehen, dass die Weglassung dieses Namens mit der völligen Verurteilung des Volkes gleichbedeutend ist; aber das ist es gerade, was Israel nicht erkennen will. Wiewohl das Buch Esther für die Juden heute noch bedeutsam ist unter den heiligen Büchern und anlässlich des Purimfestes immer wieder feierlich gelesen wird, offenbaren sich doch die Gefühle der Zuhörer bei diesem Vorlesen keineswegs in der einen oder anderen Form eines Selbstgerichts, sondern nur in Verwünschungen gegen Haman, seine Frau und seine Söhne. Sie verstehen die Weglassung des Namens Gottes so wenig, dass die griechische Übersetzung der Siebzig (Septuaginta), die einige Jahrhunderte vor Christus durch alexandrinische Juden gemacht worden ist, den Zweck gehabt zu haben scheint, das, was diese für eine Lücke hielten, zu verbessern, indem sie zahlreiche unechte Einschiebungen machten, in denen der Name Gottes sehr häufig erwähnt wird.
Um diese bemerkenswerte Weglassung zu erklären, lasst uns zunächst einen Blick auf die Umstände werfen, in denen die Juden im Buch Esther sich befanden.
Nach dem Erlass des Cyrus (Kores) am Ende der Gefangenschaft zog eine beträchtliche Anzahl Juden, die in diesem Erlass die Erfüllung des Wortes Gottes sah, unter der Führung Serubbabels wieder in ihr Land. Diese Rückwanderung umfasste 42.360 Personen [Esra 2,64; Neh 7,66]. Esra führte später andere zurück. Ohne Zweifel zogen mehrere Male Einzelne von Babel oder anderen Orten des Reiches nach Jerusalem hinauf, um anzubeten oder um Geschenke zu bringen (siehe z.B. Sach 6,9-10); doch im Allgemeinen – sei es aus Gleichgültigkeit gegen Jerusalem und den Tempel, sei es aus Hang zur Bequemlichkeit, aus persönlichen Interessen oder aus irgendeinem anderen Grund – blieb ein großer Teil von Juda und Benjamin in den persischen Provinzen zurück, wo sie sich niedergelassen hatten. Die nach Jerusalem zurückkehrten, entsprachen den Gedanken Gottes. Die anderen schienen das Demütigende ihrer knechtischen Stellung nicht gefühlt zu haben und blieben, wo sie waren. Selbstverständlich nehmen wir von dieser zweiten Klasse solche aus, die, wie Daniel, Esra, Nehemia oder Mordokai, durch ihre amtlichen Stellungen und Pflichten in der unmittelbaren Abhängigkeit von dem persischen Herrscher gehalten wurden. Diejenigen, die nach Jerusalem hinaufgezogen waren, ohne jedoch von Gott als Nation anerkannt zu werden (denn der Urteilsspruch, der sie in Hosea 1,9 als Lo-Ammi bezeichnet hatte, war nicht widerrufen), standen in persönlichen und selbst gemeinsamen Beziehungen zu dem HERRN, auch wenn sie als Nation nicht anerkannt wurden. Es gefiel dem Herrn, diese Beziehungen mit ihnen zu unterhalten, indem Er ihnen zur Stärkung ihres Glaubens und zur Belebung ihres Mutes seine Gedanken durch Führer, Lehrer und Propheten kundtat. Die Absicht Gottes war, sie für den Empfang ihres Messias vorzubereiten und, falls sie Ihn aufnehmen würden, sie als Nation wiederherzustellen und aufs Neue „mein Volk“ zu nennen. Wir wissen, dass alle diese Gnadenabsichten gegen Israel durch die Verwerfung Christi unterbrochen wurde und dass infolge dieser Verwerfung die Kirche durch den Heiligen Geist gebildet und die Wiederherstellung Israels bis auf zukünftige, von den Propheten beschriebene Zeiten hinausgeschoben wurde. Trotz allem waren die Anfänge der Wiederherstellung Judas und Benjamins in besonderer Weise gesegnet, wie dies Esra und Nehemia sowie die Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi bezeugen.
Demgegenüber war der Zustand des Teils des Volkes, der vorgezogen hatte, im Land seiner Gefangenschaft zu bleiben, so traurig wie möglich. Auch wenn er sich eines äußeren Wohlergehens erfreute, so trug er doch nicht nur den Namen Lo-Ammi wie seine in Palästina wiederhergestellten Brüder, sondern er war auch jeder Verbindung mit Gott, welcher Art sie sein mochte, beraubt. Gott war ihm verborgen, Er hatte sein Angesicht abgewandt. Ein einförmiger Schleier von Trauer und Verlassensein lag auf diesem Volk. Man fand bei ihm weder Glaubensenergie (da sie sich bei dem Erlass des Kores nicht gezeigt hatte) noch einen Genuss der persönlichen Beziehungen zu Gott. Israels Sonne war untergegangen. Da war nicht einmal eine Lampe mehr, um in der Nacht, die sie umgab, ihre Schritte zu leiten. Während andere zum Licht wiederaufgestiegen waren oder vielmehr sich ihm wieder genähert hatten, indem sie nach Jerusalem zurückkehrten, waren sie in der Finsternis des Todesschattens sitzen geblieben. Nicht ein Strahl von Gottes Angesicht durchdrang ihn in diesem Augenblick. Das erklärt, warum in gottesdienstlicher Hinsicht im Buch Esther alles in ein geheimnisvolles Dunkel gehüllt ist. Das tägliche Leben wird fortgesetzt, aber die Spannkraft dieses Lebens ist erschlafft, mehr noch, sie ist zerstört.
Außerdem fehlen die Schriften, die in den Büchern Esra und Nehemia eine so große Rolle spielen, hier völlig. Keines der Feste, die durch das Gesetz Moses angeordnet waren und die der Überrest, der nach Jerusalem hinaufgezogen war, gewohnheitsmäßig feierte, ist da; wir hören von keinem Fest, es sei denn vom Purimfest, einer ganz neuen Feier, die erst nach der Rettung des Volkes eingeführt wurde. Die Opfer, das Priestertum, der Dienst – alles ist verschwunden oder es wird wenigstens mit keinem Wort erwähnt, obwohl, wie wir wissen, eine große Zahl von Priestern und Leviten bei dem Erlass des Cyrus und bei anderen Gelegenheiten nicht nach Jerusalem zurückgekehrt war. Und wie die Verbindungen Gottes mit dem Volk fehlen, ebenso wenig sind die des Volkes mit Gott vorhanden. Nicht ein einziges Mal wird das Gebet erwähnt. Als die Not aufs höchste gestiegen war, nahmen sie Zuflucht zu Sack und Asche, ein Fasten wird angeordnet, aber von Gebet oder Flehen hört man nichts. Ich sage nicht, dass solches bei den Treuen nicht vorhanden gewesen sein mag, aber es ist nie die Rede davon. Alles, was man bei ihnen sieht, ist die Sorge um das Volk und, beim Herannahen des letzten Schlages, äußerste Angst und Not mit einem schwachen und durch den Glauben hervorgerufenen Gedanken, dass Hilfe „von einem anderen Ort her erstehen“ werde (Est 4,14).
Die Lage der Zurückgebliebenen war also: Der Himmel ist verschlossen; sie haben keine nationale oder persönliche Verbindung mit Gott, unterscheiden sich hierin also sehr von dem Volk unter Esra oder Nehemia. Sie sind der Verlassenheit der Knechtschaft übergeben, gebeugt unter das drückende Joch der Heiden, äußerlich ohne Gott und ohne etwas anderes als eine schwache Hoffnung. Sie kommen und gehen, sie leben und handeln verachtet, sind von der größten Mehrzahl gehasst und ducken sich, um der Aufmerksamkeit der Feinde zu entgehen. Sie sind unglücklich, aber an das Joch gewöhnt; in ihrer tiefen Erniedrigung bewahren sie das Andenken an ihre vergangene Größe, aber sie sind nicht gestützt – so wie die nach Jerusalem Zurückgekehrten – durch ihre Liebe zum Altar, zum Tempel und zu den Mauern Jerusalems. Obwohl sie eine Anzahl Priester unter sich haben, ist doch keine Möglichkeit vorhanden, das Priestertum auszuüben. Ihr Unglück wird nicht einmal dadurch erleichtert, dass sie es nach außen hin zum Ausdruck bringen können, es sei denn, wenn ihr schreckliches Los entschieden ist. Wenn ich ein Wort hätte, um diesen Zustand auszudrücken, so möchte ich ihn „die Gleichgültigkeit der Unglücklichen“ nennen. Sie waren ohne Vaterland und ohne Hauptstadt, kannten als Stadt nur Susa, die Hauptstadt der Heiden; sie waren ohne Fürst; ohne Priester mit Ephod, Urim und Tummim, durch die man den HERRN hätte befragen können (der Überrest in Palästina hatte wenigstens die Hoffnung darauf, Esra 2,63), aber sie waren auch ohne Götzen und Teraphim (Hos 3,4) – so stehen sie da! Ist das nicht in sittlichem Sinn die Wüste? Ich rede von dem Eindruck, den dieses Buch hervorbringen will, denn das zweite Buch der Psalmen, das uns prophetisch in dieselben Umstände versetzt, zeigt uns, dass in Ermangelung des HERRN der Glaube sich an Gott wendet.
Weil die Verbindung mit Gott völlig fehlt, fällt auf diesen Überrest in der Gefangenschaft die Verachtung der Nationen, denen er unterworfen ist. „Wo ist dein Gott?“ – dieses Wort kennzeichnet das zweite Buch der Psalmen, wo wir den Überrest Judas aus Jerusalem vertrieben und unter den Nationen lebend sehen. Dieses Wort ist in ganz besonderer Weise auf die Umstände des Buches Esther anwendbar: „Man sagt den ganzen Tag zu mir: Wo ist dein Gott? … Wie eine Zermalmung in meinen Gebeinen verhöhnen mich meine Bedränger, indem sie den ganzen Tag zu mir sagen: Wo ist dein Gott?“ (Ps 42,4.11). So heißt es auch im Propheten Joel: „Sie sind den Nationen zur Spottrede. Warum soll man unter den Völkern sagen: Wo ist ihr Gott?“ (Joel 2,17). Doch gerade dieses Verlassensein, diese Leere um sie her, verbunden mit der Todesgefahr, die sie von Minute zu Minute bedroht, lässt sie zu diesem Gott schreien, der sein Angesicht vor ihnen verbirgt: „Viele sagen: Wer wird uns Gutes schauen lassen? Erhebe, HERR, über uns das Licht deines Angesichts!“ (Ps 4,7).[1]
So ist Gott verborgen, und wenn das der Fall ist, dann ist auch alles Übrige verborgen. Das Licht der Welt ist verschwunden; die Nacht ist gekommen, in der niemand wirken kann [vgl. Joh 9,4]. Dieses Licht kann inmitten der Trümmer Jerusalems gleichsam kärglich leuchten, aber es leuchtet doch da, wo das Gewissen wieder aufgewacht ist, wo Seelen, so wie Esra, die Schuld des Volkes bekennen, indem sie Buße tun und sich demütigen. Hier aber ist nichts dergleichen. Die Welt mag in ihrem ganzen irdischen Glanz erstrahlen, aber Israel sitzt in tiefer Finsternis. Das große Licht, von dem der Prophet spricht, wird erst beim Erscheinen des Kindes von Bethlehem aufgehen.
In den Tagen Esthers verbirgt sich das geknechtete Volk. Mordokai, der Diener des allmächtigen Königs, offenbart seine Abstammung erst, als er gezwungen wird, sein Verhalten Haman gegenüber zu erklären. Esther verbirgt ihre Abstammung auf den Befehl Mordokais und wagt nicht, sie zu enthüllen, weil das ihr Untergang gewesen wäre. Sie gleicht ein wenig den 7000 Mann, die zur Zeit des Abfalls Israels und des schändlichen Baalsdienstes unbekannt waren. Nur ist im Buch Esther das Volk nicht einem triumphierenden Götzendienst gegenüber verborgen. Die persischen Herrscher verabscheuten die falschen Götter und übten die Religion Zoroasters aus, die die Götzenbilder durchaus verwarf. Es war allerdings eine falsche Religion, aber doch ohne den groben Götzendienst der Chaldäer. Die Lehre Zoroasters erkennt einen höchsten Gott an, Ormuzd, den Gott des Guten, mit seinen guten Geistern, und einen zweiten Gott, den Gott des Bösen, Ahriman, der, gleich jenem von ewigem Bestand und mit derselben Macht bekleidet, mit ihm im Kampf liegt und mit seinen bösen Geistern unaufhörlich die Menschen zu verführen sucht, dessen Macht aber ein Ende haben und dem Gott des Guten den Sieg lassen wird. Dieser Ahriman ist der Teufel, dem es gelungen ist, „die Menschen zu verführen, indem er sie dahin brachte, Früchte zu essen“, und sie dadurch der Verzüge, die sie genossen, beraubte. Man sieht in allem – abgesehen von den groben Irrtümern bezüglich der Natur Gottes – einen gefälschten Widerhall der anfänglichen mündlichen Überlieferungen, deren ursprüngliche Wirklichkeit uns Gott in seinem Wort gegeben hat. Ahasveros hatte fast nur diesen einen gemeinsamen Zug – seine Religion – mit Kores, seinem Vater Darius und seinem Sohn Artaxerxes.
Inmitten dieser Umstände, in diesem kalten Nebel, der die Gefangenen einhüllt, wacht – und das ist der hervortretende Charakterzug des Buches Esther – eine verborgene Vorsehung über sie. Der ganze Bericht ist ein Beweis davon; bei der Behandlung der Einzelheiten werden wir immer wieder Gelegenheit finden, diese Bemerkung zu machen. Das kommt daher, weil Gott treu ist und weil Er doch nie sich selbst verleugnen kann, auch wenn Er gezwungen sein mag, sein Angesicht zu verbergen. Seine Verheißungen sind unbereubar [vgl. Röm 11,29], und mag Er sie zuweilen auch mit gänzlichem Stillschweigen übergehen, so gedenkt Er ihrer doch durchaus. Er kann diesen Charakter nicht offenbaren, solange auf dem Volk das schwere Urteil lastet, das Er im Weg seiner Regierung über sie bringt und dessen Spruch sich in der Ausführung befindet. Wenn Er gegenüber dem nach Jerusalem zurückgekehrten Volk in anderer Weise handelt, so geschieht es im Hinblick auf die Ankunft Christi in ihrer Mitte, wie die drei letzten Propheten es bezeugen; hier im Buch Esther findet sich nichts dergleichen; aber im Schweigen bleibt Gott derselbe, und Gott ist Liebe. Er ist nicht nur der heilige Gott. Er bleibt, was Er immer war: ein Gott, dessen Inneres von Mitleid erregt ist gegen dieses schuldige Volk. Daher die unaufhörliche Fürsorge seiner Vorsehung.
Wir können die Vorsehung Gottes unter zwei Gesichtspunkten betrachten:
- Zunächst haben die Menschen täglich die öffentliche Darstellung, die unbestreitbare Offenbarung dieser Vorsehung, vor Augen, wie der Apostel sagt: „Gott hat sich doch nicht unbezeugt gelassen, indem er Gutes tat und euch vom Himmel Regen und fruchtbare Zeiten gab und eure Herzen mit Speise und Fröhlichkeit erfüllte“ (Apg 14,17).
- Der zweite Gesichtspunkt ist der einer Vorsehung, die in ihren Wegen und ihrem Zweck verborgen ist, so dass die Menschen sie erst durch das endgültige Ergebnis erkennen können. So wurde auch Mose – und es gibt viele solcher Beispiele – durch die Wege der Vorsehung aus dem Wasser gerettet und in gleicher Weise an den Hof des Pharao gebracht, um dann der Retter des Volkes zu werden. Diesem zweiten Charakter der Vorsehung werden wir im Buch Esther fortwährend begegnen. Obwohl die Vorsehung verborgen bleibt, leitet sie doch die Ereignisse; aber nur der Glaube weiß, dass sie am Werk ist, und rechnet auf sie. Darum ist auch Glaube nötig, um dieses Buch zu verstehen. Wir finden in ihm, um es kurz auszudrücken, die geheime Vorsehung, die inmitten der schrecklichsten Gefahren handelt, die das Volk unter dem Zorn der Regierung Gottes bestürmen können, um ihm durch die Rache an ihren Feinden Ruhe zu geben und so das Friedensreich einzuführen.
Es gibt noch ein anderes wichtiges Kennzeichen des Buches Esther, das wir hervorheben müssen. Einer der wunderbarsten Züge des Alten Testamentes – und wir denken hier nicht nur an die prophetischen Schriften, sondern auch an das Gesetz, die geschichtlichen Bücher und alle übrigen Schriften – besteht darin, dass es entweder sittliche Grundsätze vorstellt, die zu allen Zeiten gültig sind und über den Zeitabschnitt, in dem sie aufgestellt wurden, weit hinausgehen, oder aber, dass es kommende Ereignisse und zukünftige Personen vorherzeichnet. Die Sache, von der wir reden, mag, den verschiedenen Schriften entsprechend, nicht immer in gleicher Stärke hervortreten, aber sie ist beständig da. Selbst wenn Gott sich verbirgt, so wie im Buch Esther, fühlt man, dass Er die handelnden Personen auswählt, und man erkennt hinter der Szene den Meister, der in geheimnisvoller Weise das Vorausbild der kommenden Ereignisse oder Persönlichkeiten zubereitet. Für diejenigen, die das Wort Gottes mit Gebet zu erforschen suchen, ist die Tatsache, dass wir sogar in einem Buch wie das Buch Esther Vorausbilder finden, von großer Wichtigkeit. Die ganze Erzählung macht auf unseren Geist einen vertraulichen Eindruck. Dieses Ereignis und jene Person leiten unsere Gedanken auf zukünftige, oft betrachtete Dinge. Die Ereignisse schlingen sich ineinander, die Personen treten auf oder verbinden sich auf charakteristische Weise. Hier ist eine Anspielung, dort ein dem oberflächlichen Leser gleichgültiger Name, die mit einem Schlag einen unerwarteten Wert gewinnen und wie von einem plötzlichen Licht übergossen erscheinen. Und es gehört nicht zu den kleinsten Schönheiten des göttlichen Buches, uns einen Gedanken entdecken zu lassen, der wie ein unterirdisches Wasser still dahinfließt, der Allgemeinheit unbekannt, die über die Oberfläche hinschreitet, ohne eine Ahnung von seinem Dasein zu haben, bis ihm der Geist Gottes einen Ausfluss gibt und es auf einmal, gleich einem artesischen Brunnen, vor den Augen derer hervorsprudelt, die vorher sein Vorhandensein bestritten.
So ist es auch mit dem Buch Esther. Solange man bei der Oberfläche stehenbleibt, scheint es kaum etwas weniger Erbauliches zu geben als diese Geschichte. Aus diesem Grund haben manche Ausleger Gedanken hineingeschoben, die für andere Gelegenheiten sehr nützlich sein mögen, die aber nicht in dem Buch enthalten sind. Andere möchten sich versucht fühlen, ihm die Bücher Esra und Nehemia vorzuziehen, die so voll von erbaulichen und auf unsere jetzigen Umstände anwendbaren Grundsätzen sind, während sie prophetische Vorbilder nicht enthalten, weil diese in den Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi, die alle etwa zur gleichen Zeit lebten, zu finden sind. Doch ich wiederhole: Was für Geheimnisse werden wir entdecken, wenn wir dem Gemurmel des unterirdischen Wassers lauschen? Die göttliche Macht ist in einer Person vereinigt; der Erretter wird zur königlichen Würde erhoben und gekrönt; der geschworene Feind des Vertreters des Volkes wird gerichtet und verurteilt; die heidnische Gemahlin wird verstoßen; die jüdische Gemahlin wird aus ihrer Gefangenschaft herausgeführt und zur Frau des großen Königs erhoben; der Überrest geht durch eine große Trübsal bis zum Einschreiten des Befreiers; Frieden und Freude folgen auf diese Befreiung.
Es ist erstaunlich, dass der Widerspruch der Menschen gegen Christus in ganz besonderer Weise dieses Buch angreift, das sich anscheinend den Grundsätzen, die die Welt regieren, so anpasst. Der Grund: Diejenigen, die es bekämpfen, haben das unbestimmte Gefühl, dass ein Geheimnis in ihm verborgen liegt, das sie weder sehen noch erkennen können, das sie aber nichtsdestoweniger hassen.
Besondere Umstände erklären, warum diese Dinge in einer so geheimnisvollen Weise und mit scheinbar so unvollständigen Vorbildern dargestellt werden und warum diese Vorbilder selbst dem gläubigen Leser, der kein geistliches Verständnis besitzt, unbekannt bleiben. Das Volk besteht, wie wir schon gesagt haben, als solches nicht mehr; jedes Band, wodurch es mit Gott verbunden war, ist abgebrochen: Der Herr der Ernte schläft. Wenn wir hier die große Trübsal, die „Drangsal für Jakob“ (Jer 30,7), an unserem Auge vorübergehen lassen, so entdecken wir, dass der Charakter derer, die sie durchschreiten, ganz verschieden ist von dem, dem wir gewöhnlich in den Psalmen und Propheten begegnen. Wir finden im Buch Esther keinen bußfertigen und gottesfürchtigen Überrest, der die Rechtmäßigkeit seiner Züchtigung anerkennt und nun aus der Tiefe zu Gott schreit in dem Bewusstsein, dass er nicht entrinnen kann, wenn Gott auf seine Sünden achtet. Im Gegenteil: Hier, wo jede Verbindung mit Gott abgebrochen ist, sieht das nicht mehr „geliebte“ Volk keine Möglichkeit der Rettung mehr. Nur ein einzelner Mann, Mordokai, der das Werkzeug der Befreiung sein soll, weiß, dass sie kommen wird. Die im Buch Esther ausgedrückten Gefühle sind ganz anders als die Gefühle des Überrestes, der unter Serubbabel und Esra nach Jerusalem hinaufzog. Dieser ist Lo-Ammi: nicht mein Volk, aber er hat das Bewusstsein seiner Beziehungen zu dem HERRN.
Auch ist im Buch Esther die Angst größer und brennender, obwohl eigentlich der in Jerusalem wohnende Überrest in den zukünftigen prophetischen Zeiten umkommen oder als Märtyrer leiden wird. Hier ist die Not, wie gesagt, beängstigender, sie bewirkt „ein lautes und bitterliches Geschrei“ (Est 4,1), und doch fällt schließlich in dem fremden Land nicht ein Haar von dem Haupt der Israeliten. Ihre Lage ist wie die Lage der Frau, die von dem Drachen verfolgt wurde in Offenbarung 12,13.16, während uns die Lage des Überrestes, der in Juda und Jerusalem zurückgeblieben war, in Offenbarung 12,17 vor Augen gestellt wird. Bei diesem begegnen wir einem tätigen Glauben, einem tiefen Sündengefühl, einem Gefühl der Buße, der Hoffnung, die sich in den Psalmen durch die Worte „Bis wann?“ und der Erwartung der Erscheinung des Messias ausdrückt. Bei der ersten Gruppe, dem Überrest außerhalb von Jerusalem, wird die schreckliche Angst vor einem anscheinend nahen und unvermeidlichen Untergang noch durch das Bewusstsein vermehrt, dass sie einen Teil von Juda und Benjamin bilden; angesichts ihres drohenden Untergangs haben sie keine Gewissheit, aber doch trotz allem einen Hoffnungsschimmer: „Wer weiß …?“, sagt Mordokai (Est 4,14).[2]
Historisch gesehen gehört der Überrest im Buch Esther, der in Persien geblieben war, genauso zu Juda wie die Juden, die nach Palästina zurückgekehrt waren. In den prophetischen Zeiten des Endes wird das ebenso sein. Die einen werden in Jerusalem bleiben, die anderen werden zu den Nationen fliehen (Mt 24,15-19).
Das Wort zeigt uns hier nicht zwei Überreste von Juda, sondern den Überrest Judas in zwei verschiedenen Situationen: Einmal finden wir Glauben und Gehorsam, die nötig waren, damit sie in das Erbteil zurückkehren und den Tempel wieder aufbauen konnten. Auf der anderen Seite finden wir das Volk in seiner Gleichgültigkeit und seinem Unglauben. Nur benutzt Gott die Umstände des in Persien gebliebenen Volkes, um uns im Buch Esther eine Vorstellung von der zukünftigen äußersten Not und Angst Israels zu geben. Das zum Wrack gewordene Schiff hat sein Steuerruder, seinen Kompass, seine Masten und seine Segel verloren; es wird in der Nacht hin und her geschleudert und auf die Riffe geworfen, an denen es im nächsten Augenblick zu zerschellen droht. Nirgends ist Hoffnung, nirgends Hilfe! Aber während dieser Zeit bereitet eine geheime Hand die Rettung durch ein Ereignis vor, das die tobenden Wogen zur Ruhe bringt und das Schiff „in den ersehnten Hafen führt“ (Ps 107,30). Und dieser Hafen ist die Gnade, die das Volk in Frieden in die Freude und Herrlichkeit des Reiches einführen wird.
So ist auf den wenigen Seiten des Buches Esther die ganze prophetische Geschichte Israels im Vorbild zusammengefasst: Die Nation ist verworfen und geknechtet; die jüdische Gemahlin, zuerst eine Sklavin, wird in Gnaden angenommen und wird zur Königin der Nationen; während der großen Trübsal fällt im fremden Land kein Haar vom Haupt des Überrestes; die Widersacher trifft das Gesetz; die Friedensherrschaft wird eingeführt!
Das Buch Esther ist also die Geschichte der zukünftigen Zerstreuung Israels unter die Nationen, und in einem Sinn könnten wir es auf die Zerstreuung anwenden, die auf den Tod Christi bis auf unsere Tage folgte; indes geht die Erzählung, wie wir bereits sagten, weit über die gegenwärtige Zeit hinaus; sie erstreckt sich vorbildlich auf die Geschichte des Überrestes Judas, der an einem zukünftigen Tag unter die Nationen zerstreut sein wird, während ein Teil des Überrestes sein Zeugnis in Jerusalem fortsetzen wird. Alle werden in ihrem Gewissen tief berührt werden, aber das Wort erwähnt im Buch Esther diese innere Übungen nicht, um unsere ganze Aufmerksamkeit hinzulenken auf die unterbrochenen Beziehungen zwischen dem Volk und Gott, auf die Tiefe seiner Not und Angst und auf die Größe der Gnade, die ihre Rettung bewirkt.
Kapitel 1 – Ahasveros und Vasti
Die Erzählung beginnt mit der Beschreibung der selbst für unsere Zeit beispiellosen Festlichkeiten, die vom König Ahasveros (Xerxes) in Susa, der Hauptstadt des persischen Reiches, sechs Monate lang gefeiert wurden. Der Prophet Daniel hatte diese Pracht vorher mit den Worten angekündigt: „Siehe, … der vierte (König von Persien) wird größeren Reichtum erlangen als alle; und wenn er durch seinen Reichtum stark geworden ist, wird er alles gegen das Königreich Griechenland aufreizen“ (Dan 11,2). „Das dritte Jahr seiner Regierung“ (Est 1,3) stimmt nach der Geschichte mit dem Jahr überein, in dem der furchtbare Kriegszug des Xerxes gegen Griechenland, das schon seinem Vater Darius siegreichen Widerstand geleistet hatte, beschlossen wurde. Wir zweifeln nicht daran, dass die ganze Entfaltung von Pracht und Macht nur den Zweck hatte, diesen Zug vorzubereiten, indem der König die Gelegenheit benutzte, um sich mit den Fürsten, den Edlen und Anführern der 127 Provinzen dieses ungeheuren Reiches zu verabreden. Eine besondere Bezeichnung, die einige Männer kennzeichnet, scheint uns diese Absicht anzudeuten. Es ist die Rede von Mächtigen, die in erster Linie nach den Fürsten des Reiches kommen. Dieses Wort „die Mächtigen“ bedeutet eigentlich die bewaffnete Macht, das heißt die Anführer oder Generäle des Heeres. Außer dieser Einzelheit wird nicht die geringste Andeutung über den Zweck dieses prunkvollen Empfanges gemacht. Wie wir schon in der Einleitung gesagt haben, haben alle die ungeheuren Vorbereitungen in dem Wort nur insoweit Interesse, wie sie das Volk Gottes angehen oder – wie es hier der Fall ist – wie sie den Sturz des Reiches der Nationen vorbereiten, nachdem die Nationen der Absicht Gottes nicht entsprochen haben, der ihnen infolge der Untreue seines Volkes die unumschränkte Macht anvertraut hatte. Wie verkleinert diese Tatsache für den Gläubigen alle politischen Pläne der Menschen! Gott braucht zu dem Meer, das die Welt wieder zu bedecken droht, nur zu sagen: „Bis hierher … und nicht weiter!“ (Hiob 38,11), und seine Kraft erlahmt wie der Wind, der es entfesselt hat. Und Gott verfährt so, weil Er inmitten dieses nie dagewesenen Prunks – denn neben seinem fabelhaften Reichtum regierte Ahasveros über 127 Provinzen, während Darius der Meder, so mächtig er auch war, nur 120 unter seinem Zepter vereinigt hatte (Dan 6,1-2) – an ein zerstreutes, zu nichts gemachtes Volk dachte, an einen Gegenstand der Verachtung und des Hasses seiner Unterdrücker. Dieses Volk werden wir gleich auf dem Schauplatz erscheinen sehen.
Lasst uns vorher noch einige Worte über Ahasveros sagen und sehen, wie das Wort ihn uns schildert. Sein natürlicher Charakter tritt in diesem Buch in treffender Weise ans Licht, und die Ähnlichkeit des biblischen Bildes könnte, wenn das nötig wäre, durch das bestätigt werden, was die Geschichte über ihn mitteilt. Ahasveros zeigt eine eigentümliche Mischung von Stolz und Schwäche. Sein Stolz wird durch den bei jeder Gelegenheit von den Großen und Statthaltern betonten Brauch genährt, dass das Gesetz der Meder und Perser unwiderruflich sei. Dieser Brauch erweckte bei dem König die falsche Meinung, dass er selbst eine geheiligte, unveränderliche Persönlichkeit sei, während er zugleich den Großen ein Mittel in die Hand gab, sich der Willkür des Thrones zu entziehen. Darauf hatten sich einst die Großen unter Darius, dem Meder, berufen, um den Propheten Daniel zu verderben. Binnen zwanzig Tagen sollte in dem ganzen Reich nur von Darius etwas erbeten werden, was ihn, als Herrscher, zu göttlichem Rang erhob.
Der Stolz des Ahasveros treibt ihn an, den übertriebensten Prunk zu entfalten, um seine Großen und sein Volk zu blenden. Es wird außerdem bestimmt, dass, wenn jemand unaufgefordert vor ihm erscheine, er getötet werden solle. Niemand kann das Angesicht eines Gottes sehen und am Leben bleiben, es sei denn, dass der König, ein neuer Beweis seines selbstherrlichen Willens, ihm sein goldenes Zepter reiche und ihn in Gnaden empfange.
Das stolze Bewusstsein von seiner Allmacht ist bei Ahasveros mit einem schrecklichen Jähzorn verbunden, der ausbricht, wenn sich auf seinem Weg ein Hindernis oder ein Widerstand zeigt. Oftmals lesen wir in dieser Erzählung, dass der König ergrimmte und sein Zorn in ihm entbrannte (Est 1,12; 2,1; 7,7.10). Jähzorn ist nie das Zeichen von Kraft, sondern zeigt im Gegenteil die Schwäche eines Mannes, der unfähig ist, sich selbst zu beherrschen. Diese Schwäche offenbart sich weiter in der Tatsache, dass Ahasveros, obwohl er sich anmaßt, ein gottähnlicher Herrscher zu sein, der Spielball seiner Günstlinge ist; er erlaubt ihnen, sich seinen Platz zuzueignen, ist aber bereit, sie seine Rache fühlen zu lassen, wenn sie einmal sein Missfallen erregt haben sollten. Fügen wir noch hinzu, dass der König, als er bezüglich der Königin Vasti eine Entscheidung zu treffen hatte, die nur ihn angeht, sich mit Ratgebern umgibt, die ihn überzeugen, dass die Handlung der Königin sogar die Staatseinrichtung berühre.
Doch wie Ahasveros schwach und jähzornig ist, so ist er auch gleichgültig gegen das Elend seiner Untertanen; er heißt die grausamsten Handlungen gut, wenn sie ihm nur die Mühe einer Untersuchung ersparen, und liefert Tausende von Köpfen in seinem Reich einem Bösen, seinem Günstling, aus. Wirklich, dieser schreckliche Mensch ist ohne Charakter, trotz des Anscheins der Allmacht.
Und doch, so seltsam es lautet, finden wir in Ahasveros, der sich göttliche Vorrechte anmaßt, ein Abbild der Macht Gottes; denn zu einer Zeit, wo Gott sein Angesicht vor seinem Volk verbirgt, hat Er die Oberherrschaft den Häuptern der Nationen anvertraut. Also, Gott benutzt diesen Herrscher – dessen zügelloser Ehrgeiz nichts anderes sucht, als sich Ihm gleichzustellen, indem er seinen Leidenschaften freien Lauf lässt –, um uns zu zeigen, wie Er seine göttliche Autorität und Macht in unumschränkter Weise ausübt in der Absicht, seinem Volk Gnade zu erweisen und die ausübende Macht dem Mann seiner Wahl zu übertragen. So hat auch der Höchste allein das Recht, Gnade zu üben; und diese unter Schatten verborgene Wahrheit brachte diesem unglücklichen und elenden Volk einigen Trost. Wir können dies hier nicht genug betonen. Während Gott sich von seinem Volk abgewandt hatte, blieb, dem Auge des Glaubens erkennbar, ein Autoritätsgrundsatz – das Recht, zu erhöhen und zu erniedrigen, das Recht, Gnade zu erweisen – in der Person des wegen Untreue des Volkes von Gott bestimmten Hauptes bestehen. So besitzt Ahasveros, der in Wirklichkeit den Platz Gottes widerrechtlich einnahm, vorbildlicherweise die göttliche Autorität und stellt sie dar. Er hat die höchste Gewalt; das wird uns bildlich in diesem Buch mitgeteilt, in dem Gott verborgen ist, in dem Er uns aber, wo es Ihm gefällt, zeigt, dass seine Autorität trotz allem besteht. Ahasveros ist, wie wir später sehen werden, auch die bildliche Darstellung der göttlichen Macht gegenüber der Esther und für den Mordokai.
Diese Wahrheit, die denen bekannt ist, die mit den Vorbildern des Alten Testamentes vertraut sind, führt uns zu anderen Feststellungen. In dem vorliegenden Kapitel sehen wir, dass Vasti, die heidnische Gemahlin, sich widerspenstig und ungehorsam gegen den zeigt, dessen Gunst sie auf den Thron gehoben hatte. Stolz auf ihre Stellung und ihre Vorrechte fürchtet sie sich nicht, ihre Unabhängigkeit gegenüber dem Haupt, von dem sie abhängig ist, an den Tag zu legen, und weigert sich, ihre Schönheit öffentlich zu zeigen. Diese Empörung hat ihre Verstoßung als Gemahlin zur Folge, und die gefangene jüdische Jungfrau wird berufen, einen Platz einzunehmen, den sie nie gehabt hat, nämlich den der Gemahlin des großen Königs.
Nach dem Urteil der Weisen, die Ahasveros umgeben, würde die Empörung Vastis, wenn man sie duldete, dahin führen, dass überall im Reich die persönliche Unabhängigkeit gutgeheißen wurde. Es war deshalb nötig, dass der Befehl gegeben wurde: Die heidnische Gemahlin ist völlig verstoßen. Und das ist es, was mit der aus den Nationen hervorgegangenen Kirche geschehen wird, betrachtet in ihrer Stellung als verantwortliche Christenheit. Sie wird ihrem Schicksal überlassen werden und für den Höchsten nicht mehr gelten als die geringste der Huren. Sie wird verschwinden und nie mehr erwähnt werden.
Auch vom sittlichen Gesichtspunkt aus hat das Kapitel Esther 1 seine Unterweisung. Die grenzenlose Macht des Ahasveros wird durch eine schwache Frau, das ihm widersteht, in Schach gehalten. Ein Sandkorn macht den ganzen Stolz dieses unermesslichen und so gut eingerichteten Reiches zuschanden. Vasti kann verstoßen werden, aber ihre Tat bleibt bestehen, und der gedemütigte König ist nicht imstande, sie zum Erscheinen zu zwingen. Wenn sie sich gebeugt hätte, was würde die Folge davon gewesen sein? Hier finden wir von Anfang an die verborgene Vorsehung Gottes am Werk. Der Mensch ist voll von großartigen Plänen; ein siebentägiges Fest, die Krönung dieser langen Reihe von Festlichkeiten, führt die Auflehnung Vastis gegen die Bestimmung des Königs herbei. Ihre festgesetzte und unwiderrufliche Verstoßung geht erst bei der Rückkehr des Ahasveros in Erfüllung, wenn die durch die Vorsehung bereitete jüdische Gemahlin auf dem Schauplatz erscheinen kann und im gewollten Augenblick an die Stelle der heidnischen Gemahlin gesetzt wird.
Kapitel 2 – Esther als Gemahlin und Königin
Esther 1 war eine Einleitung, die besonders dazu bestimmt ist, uns die Verstoßung der heidnischen Gemahlin vor Augen zu führen, weil sie sich geweigert hatte, ihre Schönheit den Nationen zu zeigen. Esther 2 bringt die beiden Hauptpersonen des Buches auf den Schauplatz und lässt uns sehen, wie die Vorsehung im Geheimen die Wege bereitet, die die jüdische Gemahlin öffentlich zum Königtum über die Nationen erheben sollen. Die erste dieser beiden Personen ist Mordokai.
Mordokai war der Urenkel des Kis; er war ein Mann aus dem Stamm Benjamin, der unter Jojakim (Jekonja) gefangen von Jerusalem[3] nach Babel weggeführt worden war. Dieser Kis war, wie sein Name anzeigt, ohne Zweifel aus dem Geschlecht Sauls, denn in 1. Chronika 9,36 begegnen wir schon einem Kis, des Vaters Sauls. Allerdings wird dieser Name auch erwähnt als ein Name, der Gliedern der levitischen Familie[4] gehörte, die aber wahrscheinlich in dem Gebiet Benjamins wohnten. Wie dem auch sei, der Name Kis war berühmt durch seine Verbindung mit dem Königtum, das einst von Gott in Israel errichtet, aber wegen seiner Untreue von Ihm verworfen worden war; und wir können annehmen, dass der Urgroßvater Mordokais diesem entthronten königlichen Geschlecht angehört hatte. Während bei dem Erlass des Kores der letzte Vertreter der Familie Davids, Serubbabel, mit dem treuen Teil Judas wieder nach Jerusalem gezogen war, war ein Vertreter der Familie Sauls bei dem verderbten und verworfenen Volk geblieben, wie es einst sein untreuer König getan hatte.
Mordokai war selbst in Knechtschaft. Er hatte nicht Gebrauch gemacht von dem Erlass des Kores, wieder nach Jerusalem hinaufziehen,[5] nicht etwa aus Gleichgültigkeit, sondern weil er, wie Daniel und Nehemia, am Hof ein Amt bekleidete und sich nicht ohne besondere Erlaubnis entfernen konnte und weil ihm wahrscheinlich seine Stellung untersagte, um diese Erlaubnis zu bitten. Er saß „im Tor des Königs“ (Est 2,19.21; 6,12).
Man sieht, dass auch Daniel diesen Platz einnahm (Dan 2,49) in dem Augenblick, als er großgemacht und als Herrscher über die Landschaft Babel und zum Obervorsteher über alle Weisen von Babel eingesetzt worden war. Es war zweifellos eine Stellung, die Unterordnung erforderte, aber es war auch ein Vertrauensamt, das, wie man im Verlauf unserer Geschichte sieht, eine besondere Überwachung der Person des Herrschers in sich schloss. So stand es mit diesem Mann und seiner Amtsverrichtung; wir werden später seinen Charakter kennenlernen.
Mordokai erzog bei sich als seine Tochter Esther[6], die Tochter seines Oheims, eine vater- und mutterlose Waise. Zwischen diesen beiden Personen, dem Adoptivvater und der Adoptivtochter, bestand eine enge Herzensverbindung. Esther wurde vor allem durch ihren Gehorsam gegenüber den Anordnungen Mordokais gekennzeichnet, ob sie deren Tragweite begriff oder nicht. Er hatte ihr verboten, ihr Volk und ihre Abstammung kundzutun. Esther gehorchte, denn sie „tat, was Mordokai sagte, wie zur Zeit, als sie bei ihm erzogen wurde“ (Est 2,20). Die Zeit, ihre Herkunft zu offenbaren, war noch nicht gekommen.
Nachdem Ahasveros von seinem Kriegszug zurückgekehrt war (denn seit den im ersten Kapitel erzählten Ereignissen waren einige Jahre vergangen, siehe Esther 1,3 und 2,16), denkt er an das, was Vasti getan hatte. Mit anderen Sorgen und dringenderen Sachen beschäftigt, hatte er seinem Zorn Zeit gelassen, sich zu legen. Jetzt hat er Muße, an sein Haus und an die bürgerliche Einrichtung seines Reiches zu denken. Auf den Vorschlag seiner Ratgeber werden aus allen Gegenden seines Reiches junge Mädchen, Jungfrauen und schön von Ansehen, nach Susa zusammengebracht, damit die Wahl des Königs auf eine von ihnen zum Ersatz für Vasti falle. Esther erfüllte mit vielen anderen diese Bedingungen. Hatte sie Vorzüge, die sie von allen ihren Gefährtinnen unterschieden? Sicher würde ihre Abstammung sie von vornherein ausgeschieden haben; und Mordokai, der sich der Erniedrigung seines Volkes bewusst war, wusste dies sehr gut. Esther ist also gleichsam nur eine verborgene Gemahlin, aber ihre Anmut und Schönheit gefällt Hegai, dem Hüter der Frauen, und sie erlangt Gunst vor ihm und vor allen, die sie sehen. Sie gefällt dem König „mehr als alle Frauen“ (Est 2,17) und wird in ihrem noch geheimen Charakter zur Würde als Königin der Nationen an Vastis Stelle erhoben.
In diesem allem sehen wir eine Vorsehung, die nach ihrem Willen die Gedanken und Herzen der Menschen, die Gedanken und das Herz des Königs lenkt, um ihre Gnadenabsichten in Bezug auf das Volk auszuführen. Die einzige Gemahlin, die an die Stelle der heidnischen treten kann, ist die jüdische Gemahlin, die einem verstoßenen Volk angehört; und der Herr wird das offenbar machen, wenn die Zeiten vollendet sein werden. Doch während nun diese Wege der göttlichen Vorsehung Israel gegenüber im Verborgenen die zukünftige Herrschaft dieses Volkes über die Nationen vorbereiten, welch eine Erniedrigung sehen wir da gleichzeitig in seiner tatsächlichen Lage! Die jüdische Frau ist zwangsweise dem König der Heiden unterworfen, wie eine Sklavin, über die man verfügt, ohne sie zu fragen! Ihr Wille gilt nichts in diesem Ehebündnis; sie wird dazu gezwungen. Eine solche Stellung konnte für alle Jungfrauen des Reiches im höchsten Grad begehrenswert sein; für Esther war sie es nicht. Was eine jüdische Frau kennzeichnete, das war die freiwillige Unterwerfung und Abhängigkeit einer Rebekka, als sie sagte: „Ich will gehen“ (1Mo 24,58); das war die ehrerbietige Zuneigung der Sara, der heiligen Frau, die aus sich selbst Abraham ihren „Herrn“ nannte (1Mo 18,12; 1Pet 3,6); das war die begeisterte Liebe der Abigail, die sich David zu Füßen warf und, um ihm zu dienen, begehrte, eine Dienerin seiner Knechte zu werden (1Sam 25); das war die Tochter in Psalm 45,11, die „ihr Ohr neigt und ihres Volkes und ihres Vaters Hauses vergisst“, die schön ist in einer Schönheit der Entsagung, die sie dem König begehrenswert macht, sobald sie, Ihm huldigend, seine allmächtige Oberherrlichkeit anerkannt hat!
Dieser Charakter wird in der Zukunft der Charakter Israels sein, wenn es bei dem Herrn der Herrlichkeit, dem zukünftigen König Israels, wieder Gnade erlangt hat. Aber welch einen Gegensatz haben wir hier! Die unfreiwillige, gezwungene Unterwerfung unter ein Joch, das die Folge der Sünde des Volkes ist. Das Gesetz verbot diese Ehen (5Mo 7,3); es schrieb dem Israeliten vor, seine Tochter keinem Heiden zu geben. Aber hier ist alles verändert: Die Könige der Nationen herrschen über die untreuen Juden; Gott hat sich zurückgezogen und Nehemia muss sagen: „Siehe, wir sind heute Knechte; … und die Könige, die du um unserer Sünden willen über uns gesetzt hast, … herrschen über unsere Leiber … nach ihrem Wohlgefallen“ (Neh 9,36-37). Es wird uns also in diesem unpassenden Verhältnis zweierlei gezeigt: Auf der einen Seite finden wir diese Tochter Israels in Knechtschaft, was sie in die Notwendigkeit versetzt, ihre Abstammung zu verbergen; auf der anderen Seite haben wir ihre Erhöhung zur königlichen Würde. Ist das nicht das Bild der zukünftigen Gemahlin, die zuerst vor aller Augen verborgen ist, dann aber öffentlich anerkannt wird von dem Herrn, dem großen König der Nationen, dessen Wege alle gerecht und wahrhaftig sind (Off 15,3)?
Esther zeigt sich den Anweisungen ihres Ratgebers unterwürfig. Sie zeigt Furcht gegenüber Ahasveros, aber gegen Mordokai Unterwerfung und Abhängigkeit – „Sie tat, was Mordokai sagte, wie zur Zeit, als sie bei ihm erzogen wurde“ (Est 2,20) –, und zwar verbunden mit der Weisheit, die in allen Dingen das unterscheidet, was sich geziemt; mit der Klugheit, die weder ihren Adoptivvater noch ihr Volk bloßstellt; mit der Geduld, die den gegebenen Augenblick abzuwarten weiß; mit der Entschiedenheit, die die Gelegenheit ergreift; mit dem Vertrauen, das sich in jedem Punkt auf die Unterweisungen Mordokais verlässt, dessen Wort für Esther wie das Wort Gottes ist. Im Blick hierauf ist es (worauf wir schon hingewiesen haben) sehr merkwürdig, dass zu einer Zeit, in der die Schriften unter den Juden gekannt waren und gelehrt wurden, dieses Buch nicht ein einziges Mal erwähnt wird. Indessen besteht bei Esther der Glaube an das Wort, das durch einen Menschen verkündigt worden war, der freilich nur entfernte Ansprüche darauf gehabt hätte, sich Gehör zu verschaffen, der aber für das Herz Esthers die göttliche Autorität darstellt. Wie kennzeichnet das alles so trefflich dieses Buch, in dem sogar weder Gebet noch Flehen erwähnt werden; denn diese konnten nicht an einen Gott gerichtet werden, der sich von dem Volk, das Ihn verunehrte, abgewandt hatte. Doch bestand trotz allem das Band; es war aber nur für Gott allein sichtbar.
Unter dieser ganzen Oberfläche von Wüste in sittlichem Sinn und fremder Knechtschaft finden wir den verborgenen Strom wieder, den das Auge des Adlers nicht sieht, wohl aber das Auge des Glaubens, das ihm in seinen geheimen Windungen folgen kann und nur auf den Augenblick harrt, wo er an dem großen Tag, nämlich bei der Wiederherstellung Israels, hervorsprudeln wird. Überall begegnen wir diesem Geheimnis wieder. Die Welt setzt ihren Lauf vor aller Augen fort, die Großen fassen ihre Entschlüsse, der König billigt sie, und doch wird das alles in geheimnisvoller Weise von dem entschieden, der nach seiner Einsicht den Geist, die Pläne, die Entscheidungen der Menschen leitet und nichts davon zulässt, es sei denn, um seine Absichten auszuführen und schließlich deren öffentliche Darstellung zu bewirken. Mordokai selbst wacht im Geheimen über Esther mit rührender Sorgfalt (Est 2,11), was ihn jedoch nicht hindert, auch über den König zu wachen, den Gott wegen der Sünde des Volkes ihm zum Herrn gegeben hat. Alles das ist sehr schön und bekundet bei Mordokai ein großes Verständnis für die Gedanken Gottes, eine seltene Unterwerfung unter seinen Willen. Als die Verschwörung der beiden Kämmerer zu seiner Kenntnis kommt, während er „im Tor des Königs sitzt“, zögert er keinen Augenblick, sie durch Esther zu enthüllen und so das Leben des Ahasveros zu beschützen (Est 2,21-22).
In diesem Kapitel beginnt der schöne Charakter dieses Mannes Gottes sich zu zeigen. Er nimmt die Stelle der Eltern ein, die Esther verloren hatte, und nimmt sie bei sich auf. Das ist in einem Sinn eine göttliche Rolle: „Hätten mein Vater und meine Mutter mich verlassen, so nähme doch der HERR mich auf“ (Ps 27,10). Er erzieht sie sorgfältig und wacht über sie mit mütterlicher Fürsorge; dann wacht er in seinen Beziehungen zum Hof offen über den König, indem er im Tor sitzt, um jede Gefahr von der Person des Königs abzuwenden. Da das Schicksal Esthers mit dem Leben des Ahasveros verbunden ist, wird Mordokai der Retter Ahasveros. Dann tritt er in die Stille zurück, indem er nichts für sich selbst begehrt und sich der Leitung der Vorsehung überlässt, dem Einzigen, was seiner unterdrückten Nation noch bleibt. Diese Vorsehung hatte die Türhüter dahin geleitet, ihre Pläne in Gegenwart Mordokais zu enthüllen; sie hatte Esthers Ohr bereitet, um diese Mitteilung zu empfangen; und sie hatte dafür gesorgt, dass diese Dinge in des Königs Gegenwart in das Buch der Chroniken eingeschrieben wurden. Immer weiter verfolgt der verborgene Strom seinen unterirdischen Lauf, bis er uns schließlich zu der endgültigen Befreiung unter einer Herrschaft des Friedens und der Gerechtigkeit führt.
Esther, die Jüdin, ist die Gemahlin dessen geworden, der die höchste Gewalt ausübt, und wird von dem König öffentlich anerkannt, der die Krone auf ihr Haupt setzt und ihr zu Ehren ein großes Gastmahl, „das Gastmahl Esthers“ (Est 2,18), veranstaltet. Doch auch wenn sie als Königin anerkannt wird, so ist doch noch nicht offenbart, was sie in Wirklichkeit ist. Mordokai, der tatsächlich jede Autorität über sie besaß, hatte ihr geboten, ihre Abstammung nicht kundzutun. Am Ende der Zeiten wird es ebenso sein. Noch bevor der Herr die Herkunft seiner jüdischen Gemahlin, des Gegenstandes der Verheißungen und der Ratschlüsse Gottes, nach denen sie das Königtum über die Nationen haben soll, öffentlich anerkennt, wird Er diese Gemahlin besitzen, aber noch nicht öffentlich kundgemacht als solche, sondern unter der Gestalt eines verachteten und verfolgten Überrestes, der dennoch bei manchen Gnade finden wird; aber ihre Schönheit wird von ihrem Gemahl gekannt sein, bevor Er sie der Welt darstellen kann. Dann wird die jüdische Gemahlin nicht ungehorsam sein, wie es die heidnische Gemahlin war; sie wird auf der Erde der reine Abglanz der Herrlichkeit ihres Gemahls sein, wie die wahre, verherrlichte Kirche es im Himmel sein wird.
Kapitel 3 – Haman
Wenn wir nun zur Betrachtung von Esther 3 übergehen, dürfen wir Verbindung dieses Kapitels mit den vorhergehenden Kapiteln nicht unbeachtet lassen. Der Hauptgegenstand von Esther 1 ist, wie wir hörten, der Ungehorsam der heidnischen Gemahlin. „Nach diesen Dingen“ (Est 2,1) tritt in Esther 2 die jüdische Gemahlin auf. Sie ist bezüglich der Abstammung noch vor aller Augen verborgen, wird aber von dem Herrscher schon vor der großen Trübsal, die über den Überrest von Juda und Benjamin kommen wird, geliebt und anerkannt. „Nach diesen Dingen“ (Est 3,1) haben wir in Esther 3 das Auftreten des Erbfeindes, der von dem Haupt der Nationen unterstützt wird und von diesem seine Machtbefugnis erhält. Er wird unter Mitschuld des Reiches der Urheber der großen Trübsal; doch die Gnade Gottes rettet das Volk aus der Hand des Feindes, um Mordokai und Esther den ersten Platz im Königreich zu geben.
Suchen wir jetzt über die Herkunft und den Charakter Hamans Klarheit zu erlangen. Er war ein Sohn Hammedatas, des Agagiters (Est 3,1). Agag ist der Titel der amalekitischen Könige und wahrscheinlich ein Gattungsname wie „der Pharao“, der Titel des Königs von Ägypten. (Vergleiche 1. Samuel 15,9.32; 4. Mose 24,7.) Haman war also aus königlichem Geschlecht. Amalek, das Volk Hamans, stammte durch Eliphas von Esau ab: Ursprünglich ein Fürst, wird er hernach ein Volksstamm von Edom. (Siehe 1. Mose 36,12.16.) Unter Hiskia sieht man tatsächlich, dass der Überrest von Amalek unter den Edomitern wohnte, das heißt auf dem „Gebirge Seir“, dem Wohnsitz der Edomiter (1Chr 4,41-43). Amalek bewohnte die südöstliche Gegend der Berge von Seir und wahrscheinlich einen Teil der Wüsten Sin und Paran.
Diese geographische Lage erklärt das große Interesse, das Amalek daran hatte (2Mo 17), sich dem Zug Israels nach Kanaan in den Weg zu stellen; er bewohnte die ersten Ausläufer der Berge Palästinas und verteidigte dessen Südgrenze (4Mo 13,29; 14,45; 1Sam 15,7; 27,8), von woher dieses Land am leichtesten zugänglich war.
Wiederholt sehen wir Amalek mit anderen Völkern gegen Israel verbündet; so in Richter 3,12-13 mit Moab, was die Erwähnung Agags in der Weissagung Bileams gegen Balak, den König von Moab, erklärt (4Mo 24,7). In Richter 6,3 erscheint er in gemeinsamem Hass gegen das Volk Gottes mit Midian verbunden. Die Amalekiter wurden von Saul (1Sam 15) und schließlich von David (1Sam 27; 30) geschlagen gemäß der Weissagung Bileams über „den Stern, der hervortritt aus Jakob, und das Zepter, das sich erhebt aus Israel“. Weiterhin sagt der Prophet: „Die erste der Nationen war Amalek, aber sein Ende ist zum Untergang“ (4Mo 24,17.20). Die Weissagung von diesem Stern ist bereits in David erfüllt, sie ist noch zukünftig in Christus, dem Sohn Davids.
Wir haben es also bei Amalek mit dem Feind des Volkes Gottes zu tun. Amalek war der Erste, der sich dem Zug Israels, als es aus Ägypten auszog, in den Weg stellte (2Mo 17), und der die Schwachen, die Nachzügler eines von dem Weg durch die Wüste ermatteten Volkes, ohne Barmherzigkeit verfolgte und niederschlug. Er ist, mit einem Wort, der Feind, das Bild Satans, des Feindes im vollen Sinn des Wortes; er widersetzt sich den Gnadenabsichten Gottes gegen sein Volk.
Ohne die Fürsprache Moses auf dem Berg und ohne Josua hätte er das Volk vernichtet. Als dieses dann von dem Land Besitz ergriffen hatte, suchte er das Vernichtungswerk im Einzelnen fortzusetzen. Schließlich, von David endgültig besiegt, hält er den Kampf noch immer nicht für beendet. Jetzt, wo das Volk in Gefangenschaft und durch seine Untreue aufs tiefste erniedrigt ist, treibt Satan Haman den Agagiter an, die armseligen Überreste dieses Volkes auszurotten. Ja, sein geheimer Zweck ist – und das wollen wir nicht vergessen –, Israel Christus, dem König der Ratschlüsse und Verheißungen Gottes, zu entreißen. Kann es einen schlimmeren Plan satanischer List geben als diesen? In seinen Bemühungen getäuscht, wie dieses Buch uns zeigt, hält sich Satan dennoch nicht für geschlagen. Er wagt sich an das Haupt Israels selbst, an Christus. Er versucht, Ihn bei seiner Geburt töten zu lassen durch einen neuen Agag, den Mörder von Bethlehem. Aufs Neue enttäuscht, wiegelt er am Kreuz die ganze Welt gegen Christus auf; aber gerade in dem Augenblick, wo er im Tod zu triumphieren glaubt, wird er endgültig besiegt. Dennoch wird er bis zum Ende hin gegen den HERRN, gegen seinen Gesalbten und gegen sein Volk auftreten. Deshalb hat der HERR geschworen: „Krieg hat der HERR gegen Amalek von Geschlecht zu Geschlecht!“ (2Mo 17,16). Israel sollte nicht vergessen, „das Gedächtnis Amaleks unter dem Himmel auszutilgen“ (5Mo 25,19), ein schreckliches Gericht, dem nichts im Wort zu vergleichen ist, es sei denn das Gericht Edoms, von dem Amalek einen Teil bildete!
Kehren wir jedoch zum Buch Esther zurück. Israel ist in Knechtschaft, ohne Schutz und verstoßen; nur einer, der Spross einer königlichen, aber verworfenen Familie, widersteht dem Agagiter. Alles muss dessen Absichten fördern. Aber wenn er das Volk hasst, so ist dessen Haupt, an das er will, der Einzige, der sich weigert, das Knie vor ihm zu beugen und ihm zu huldigen; ein schwaches Bild von dem, der in einer späteren Zeit sich weigert, Satan anzuerkennen, als dieser Ihm von der Höhe des Berges „alle Reiche der Welt“ zeigte (Mt 4,8). Wird dieser Nachkomme Agags, der plötzlich, man weiß nicht woher, auf dem Schauplatz erscheint, aber gleich mit der höchsten Würde bekleidet wird von dem König der Nationen, der ihn erhebt und seinen Stuhl über alle Fürsten stellt, dieser geschworene Feind Israels – wird dieser Böse mit seinen Plänen Gelingen haben? Wenn wir uns an das Ende der prophetischen Geschichte Israels versetzen, werden wir uns noch genauer von allem, was diese Szene bedeutet, Rechenschaft geben können. Wir finden in der Offenbarung eine Art satanischer Dreieinheit, die gegen Christus und sein Volk verbündet ist. Da ist zunächst Satan, dessen Geist die Mächte der Welt beseelt; dann das Haupt des vierten Weltreichs, wie Ahasveros das Haupt des zweiten ist; und schließlich der Antichrist. Dieser wird, wie Haman von Ahasveros, von dem Herrscher des vierten Reiches erhöht werden. Wird Israel, dieser arme, furchtsame Vogel, dem Netz des Vogelstellers entrinnen können? Ja. Wir erfahren durch die Prophezeiung, dass der ganze satanische Plan, den Überrest Israels zu vernichten, ebenso wenig gelingen wird, wie er in Esthers Geschichte gelungen ist.
Wir haben bereits den Charakter des Ahasveros und den der Esther zu schildern gesucht und uns vorbehalten, den Charakter Mordokais nachher im Laufe der Geschichte näher zu beleuchten und dann kurz zusammenzufassen; doch wir können sogleich das Bild des Feindes zeichnen, der hier so unvermutet auftritt. Dieses Bild setzt sich zusammen aus unbeugsamem Stolz, Überhebung, Selbstvergötterung und grausamem Hass gegen das Volk Gottes und dessen Vertreter. Um sich an diesem zu rächen, will er die ganze Nation opfern. Das Bild wird vervollständigt durch die List und die teuflische Klugheit, die Haman bei diesem Massenmord anwendet. Mit einem Wort: Er ist die Verkörperung des Geistes des Bösen. Meint man nicht die Stimme dessen zu hören, der sagt: „Kommt und lasst uns sie vertilgen, damit sie keine Nation mehr seien, damit nicht mehr gedacht werde des Namens Israels!“ (Ps 83,5)? Wird Mordokai, der arme, schutzlose Mann, widerstehen können? Wird die wunderbare Rettung des Volkes sich wiederholen, jetzt, wo Israel nicht mehr das Volk Gottes ist, wo es keinen Mose und keinen Aaron mehr gibt, der für das Volk Gottes ins Mittel tritt, keinen Josua mehr, der es führt, und wo ein einziger Befehl des Königs genügt, es ganz zu vernichten? Wird Amalek hier triumphieren, wo Israel ohne Waffen und ohne Hilfsmittel ist?
Hat der Feind über Christus triumphiert, sei es in Bethlehem oder in der Wüste oder am Kreuz? Bei allen diesen Gelegenheiten ist der Sieg Christi vollkommen gewesen, und zwar zugunsten seines Volkes: am Kreuz durch die Hingabe Seiner selbst, in der Wüste durch die einfache Abhängigkeit von dem Wort Gottes. Doch für Mordokai ist das Wort Gottes stumm. Man findet es nirgends in dieser Erzählung erwähnt, und das aus guten Gründen (obwohl es tatsächlich inmitten des Volkes vorhanden war). Hat Mordokai nun ein Mittel, um dem Tod zu entrinnen? Nichts leichter als das, könnte man sagen. Er braucht ja nur das Gebot des Königs anzunehmen und Haman zu huldigen. Aber nein: Mordokai denkt daran, dass für immer Krieg sein soll gegen Amalek. Er wird sich ebenso wenig vor dem Agagiter niederwerfen wie Daniel einst vor Darius. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Männern ist, dass es Daniel verboten wurde, sich vor Gott niederzuwerfen, während Mordokai geboten wird, sich vor Haman in den Staub zu beugen. Als ein wahres Vorbild von Christus weigert Mordokai sich dessen; er kann wie sein Meister sagen: „Geh hinter mich, Satan!“ (vgl. Mt 16,23; Mk 8,33). Er hat beständig Krieg mit Amalek.
Freilich kann er seiner Umgebung keinen anderen Grund für seine Weigerung angeben als die Tatsache, „dass er ein Jude ist“ (Est 3,4). Er kann nicht, wie Daniel, durch sein Verhalten öffentlich bezeugen, dass er ein Knecht Gottes ist, denn alle könnten zu ihm sagen: „Wo ist dein Gott?“ Das gibt uns die Erklärung dafür, dass Mordokai, obwohl er Esther verbietet, ihre Abstammung kundzutun, gehalten ist, seine Abstammung kundzumachen.[7] Diese Kundmachung lässt uns an das schöne Wort des Herrn in Gethsemane denken: „Ich bin es“ (Joh 18,6). Aber während dies das Gericht über Christus allein bringt zur Befreiung der Seinen, zieht das Bekenntnis Mordokais seinem ganzen Volk die Rache zu. Dieses Verhalten Mordokais ist keineswegs Stolz; er erkennt die Rechte des Hauptes der Nationen über ihn und sein Volk, Rechte, die von Gott als Züchtigung angeordnet sind, völlig an, nicht aber die Rechte Amaleks. Obwohl er unter dem Gericht steht, obwohl er mit dem verworfenen königlichen Geschlecht dem Fleisch nach verwandt ist und Gott dieses nicht mehr anerkennt, gehorcht er dennoch dem Wort Gottes, das er in seinem Herzen bewahrt hat, dadurch dass er sich nicht vor Amalek beugt.
Der Charakter Mordokais ist von großer Schönheit. Wir haben bereits seine liebevolle und zartfühlende Fürsorge für die gefangene Tochter Israels gesehen; wir sehen jetzt seinen mutigen Entschluss, dem Gebot Gottes zu gehorchen, indem er, was es ihn auch kosten möge, fest und unerschütterlich in der Würde eines Israeliten wandelt, der allerdings so tief wie nur möglich gesunken ist, trotz allem aber der Gegenstand der unbereubaren Verheißung und der Auserwählung Gottes bleibt.
Ähnlich der Wut des Antichristen gegen die, die seine Macht und Autorität nicht anerkennen und seine Malzeichen nicht an Stirn und Hand annehmen wollen (vgl. Off 13,16-17), kennt die Wut gegen einen Mann, der seine Person verachtet und sein Joch nicht auf sich nehmen will, keine Grenzen. Doch es wäre in seinen Augen eine verächtliche Sache gewesen, Mordokai allein umzubringen; er soll in seinem ganzen Volk getroffen werden. Haman wirft das Pur (das Los), um zu erfahren, wann diese Ausrottung stattfinden soll. Er glaubt an diesen abergläubischen Brauch, ähnlich wie der Antichrist später den „Gott der Festungen“ um Rat fragen wird (Dan 11,38), denn der ungläubigste Mensch, der Gottesleugner und abergläubisch zugleich ist, muss eine Religion haben; diese Tatsache kann man jeden Tag beobachten.
Vasti hatte sich im dritten Jahr des Ahasveros empört, Esther wird die Gemahlin des Königs im siebten Jahr, und das Los wird am Beginn des zwölften Jahres seiner Regierung geworfen. Das Pur weist für die Ermordung der Juden den zwölften Monat an. Warum nicht den dritten oder den vierten, um dem unterdrückten Volk jede Möglichkeit des Entrinnens zu nehmen? Leitet nicht auch hier wie immer die verborgene Vorsehung alles? Was vermag „der Widersacher der Juden“ (Est 3,10) gegen die geheimen Ratschlüsse der Vorsehung? Er ist gezwungen, dem Los, das er befragt hat, zu gehorchen. Hier beginnt bereits sein reißend schneller Lauf dem Tod und Gericht entgegen. Es kostet ihn keine Mühe, den König von der Notwendigkeit, die Juden umzubringen, zu überzeugen. „Da ist ein Volk“, sagt er ihm, „zerstreut und abgesondert unter den Völkern in allen Landschaften deines Königreichs; und ihre Gesetze sind von denen jedes anderen Volkes verschieden, und die Anordnungen des Königs tun sie nicht; und es ist für den König nicht geziemend, sie gewähren zu lassen“ (Est 3,8). Haman macht dem König den Vorschlag, ihn durch die Vertilgung dieses Volkes zu bereichern. „Ich will 10.000 Talente Silber in die Hände derer abwiegen, die die Geschäfte besorgen, damit sie es in die Schatzkammern des Königs bringen“ (Est 3,9). Ahasveros weist das Geld zurück und liefert das Volk dem Haman aus, „um mit ihm zu tun, wie es gut ist in seinen Augen“ (Est 3,11). Welch eine Gleichgültigkeit und Herzenshärtigkeit bei diesem König! Der Name Israel hat für ihn keine Bedeutung: Er erklärt dem HERRN, den seine Väter gekannt hatten, den er aber nicht kennt, den Krieg, und das Schicksal einer Menge seiner Untertanen ist ihm völlig gleichgültig. Ein Günstling, ein böser Mensch, hat – es ist schrecklich – in den Augen eines Herrschers, dem an seinen Völkern gelegen sein sollte, größeres Gewicht als das Bestehen einer ganzen Nation! Wie ganz anders geartet ist er als sein Vater Darius und Vorfahr Kores! Dieser Befehl, der alle Provinzen des Reiches umfasst, wird ohne Zweifel auch den Überrest in Jerusalem treffen und vertilgen, der auf Befehl des Kores wieder dorthin gebracht und durch seine Nachfolger dort erhalten worden ist. Aber der König denkt daran nicht. „Tue, wie es gut ist in deinen Augen“, sagt er. Das heißt: Tue das Böse ungestraft! Der königliche Ring schmückt Hamans Hand, die damit das Siegel auf die Mordbefehle drückt.
Haman schreibt „im Namen des Königs“ (Est 3,12) und gibt sich damit den Anschein, als ob er in dem, was er selbst beschlossen hat, der ergebene Diener des Königs sei. Ähnliche Umstände werden sich am Ende der Zeiten wiederholen. Der Antichrist wird sich zum Diener des römischen Tiers machen (Off 13,14-16), um seine eigenen Pläne zur Ausführung zu bringen. Der satanische Plan Hamans hat zum Ausgangspunkt den Stolz und Ehrgeiz des Menschen, der lieber alles unter seine Füße zertreten will, als es Christus unterworfen zu sehen. Der Erlass gelangt schnell in die Provinzen des ungeheuren Reichs durch eine für die damalige Zeit bewunderungswürdige Beförderungsart.
„Der König und Haman saßen und tranken“ während dieser Zeit (Est 3,15). Auf der einen Seite war Gewissenlosigkeit, auf der anderen satanische Freude am Bösen. Der Wein, aus dem der Mensch Vergessen schöpft, der ihn in seiner Gleichgültigkeit erhält, der Gewalttat erzeugt und Freude an dem sittlichen Verderben auf dem Trümmerfeld, das der Mensch geschaffen hat, der Wein besiegelt dieses vertrauliche Bündnis zwischen dem Fürsten der Finsternis und dem vergötterten Herrscher der Nationen.
Die Stadt Susan – an alles andere als an solche Schlächtereien gewöhnt, die Stadt des Prunks, der Vergnügungen und einer verfeinerten Kultur – war in Bestürzung, während die große Zahl der dort wohnenden Juden durch diese unerwarteten Nachrichten buchstäblich zermalmt wurde.
Noch zwölf Monate und das Morden wird vorüber sein. Alle Beute des Volkes wird dem Amalekiter gehören. Noch zwölf Monate … doch der vor aller Augen verborgene Gott wacht und sein Gericht ist nahe.
Kapitel 4 – Die große Drangsal
Das Todesurteil ist gesprochen. Der ganze Überrest von Juda und Benjamin wird von diesem Verderben bedroht, und kein menschliches Gesetz kann etwas daran ändern, denn der Erlass ist unwiderruflich.[8]
Mordokai läuft mit zerrissenen Kleidern, mit Sacktuch bedeckt und mit Asche auf seinem Haupt durch die Stadt und macht seinem Schmerz durch „ein lautes und bitterliches Geschrei“ Luft (Est 4,1). Er hat selbst keinen Zutritt mehr in das Tor des Königs, denn Trauer und Seufzer werden in Gegenwart des Königs nicht geduldet. Überall in den Landschaften ist Trauer bei den Juden, Fasten, Weinen und Wehklage. Esther selbst gerät sehr in Angst. Erblicken wir hier nicht ein schwaches Bild von der zukünftigen „großen Drangsal, wie sie seit Anfang der Welt bis jetzt nicht gewesen ist und auch nicht wieder sein wird“, so dass, „wenn jene Tage nicht verkürzt würden, kein Fleisch errettet werden würde“ (Mt 24,21-22)? Doch wie kann man überhaupt von Hilfe reden, wenn es keine Hilfe gibt und wenn jeder Zugang zu einem gerechterweise erzürnten Gott abgeschnitten ist? Das ist es, was tatsächlich das Wesen dieser beispiellosen Drangsal ausmachen wird. Wenn das Haupt der Nationen, gleichgültig gegenüber dem Bösen, die Juden den Händen ihres herz- und gewissenlosen Feindes überliefert – zu wem sollen sie dann ihre Zuflucht nehmen? Da ist kein Hoffnungsstrahl mehr!
Doch ein Hoffnungsstrahl bleibt noch, allerdings ein sehr schwacher, nämlich dass Esther „zum König hineingehe, ihn um Gnade anzuflehen und vor ihm für ihr Volk zu bitten“ (Est 4,8). Mordokai gebietet es ihr; doch wozu nutzt dieses Gebot, da selbst der Zugang zum König verschlossen ist? Esther trägt ihrem Boten auf, diese Tatsache Mordokai mitzuteilen: „Alle Knechte des Königs und das Volk der Landschaften des Königs wissen, dass für jeden, Mann und Frau, der zu dem König in den inneren Hof hineingeht, ohne dass er gerufen wird, eine Anordnung gilt, nämlich, dass er getötet werde; denjenigen ausgenommen, dem der König das goldene Zepter entgegenreicht, dass er am Leben bleibe; ich aber bin seit nunmehr dreißig Tagen nicht gerufen worden, um zum König hineinzugehen“ (Est 4,11). Wenn Esther vor Ahasveros erscheint, ohne dazu aufgefordert zu sein (und er hat sie seit dreißig Tagen vernachlässigt), so wird sie getötet werden, es sei denn – eine schwache Möglichkeit –, dass es dem König gefallen sollte, ihr das goldene Zepter entgegenzureichen. Das einzige Mittel zu entrinnen, ist also die Gnade dessen, der mit der höchsten Gewalt bekleidet ist. Kann aber Esther auf diese Gnade rechnen? Keineswegs; alles hängt vom Wohlgefallen des Königs ab. Kann man aber auf das Wohlgefallen eines Mannes hoffen, der gerade mit einem Wort ein ganzes Volk von der Liste der Lebenden gestrichen hat? Soll man sich an Gott wenden? Gott verbirgt sich. Sich demütigen? Ja, gewiss, trauern, seufzen, klagen, die Sünde anerkennen, die das Volk, das früher das Volk Gottes genannt wurde, in eine so schreckliche Lage gebracht hat. Wird aber auch das „laute und bitterliche Geschrei“ ein Echo finden? Wer weiß es?
Diese Drangsalszeit kann also nur durch ein aus dem Mund des höchsten Richters kommendes Wort der Gnade beendet werden. Mordokai versteht das. „Denke nicht in deinem Herzen“, sagt er, „dass nur du im Haus des Königs von allen Juden entkommen wirst“, wenn du nicht das eine und alleinige Mittel dazu ergreifst. „Denn wenn du in dieser Zeit schweigst, so wird Befreiung und Errettung für die Juden von einem anderen Ort her erstehen; du aber und deines Vaters Haus, ihr werdet umkommen“ (Est 4,13-14). Hier zeigt sich der Glaube Mordokais: Er hält entschlossen an der Rettung fest, wie und woher sie auch kommen möge. „Und wer weiß, ob du nicht für eine Zeit wie diese zum Königtum gelangt bist?“ (Est 4,14). Könnte es nicht sein, dass die verborgenen Wege der Vorsehung dich im Blick auf diese Zeit der höchsten Not auf den Thron gebracht haben? Esthers Antwort an Mordokai zeigt ihre Weisheit, ihren Glauben, ihre Hingabe, ihre Aufopferung und Liebe für ihr Volk: „Geh hin, versammle alle Juden, die sich in Susan befinden; und fastet um meinetwillen, und esst nicht und trinkt nicht drei Tage lang, Nacht und Tag; auch ich werde mit meinen Mägden ebenso fasten. Und dann will ich zum König hineingehen, was nicht nach der Anordnung ist; und wenn ich umkomme, so komme ich um!“ (Est 4,16). Der ungewisse, aber durch anscheinend unübersteigliche Schwierigkeiten versperrte Ausweg, dass sie vielleicht Gnade finde, lässt sie das Gesetz als nicht bestehend betrachten, und wenn sie keine Gnade findet, will sie, wenn es sein muss, den Tod, den das Gesetz androht, erleiden. Esther gehorcht dem Befehl Mordokais, und dieser tut nach allem, was Esther ihm geboten hat.
Fürwahr, ein wunderbares Schauspiel! Die Drangsal erweckt in den Herzen dieser Gläubigen eine völlige Gemeinschaft und alle die Gefühle der Hingabe und Aufopferung, die Gott billigen und anerkennen kann. Die Wege Gottes mit ihnen bringen bei diesen Heimgesuchten den Glauben hervor, da sie nur in der Gnade eine noch ungewisse Hilfsquelle haben, deren sie sich nicht würdig fühlen. Doch wie dem auch sei, „der Glaube ist eine Verwirklichung dessen, was man hofft“ (Heb 11,1), und das Wort Mordokais „Befreiung und Errettung … wird von einem anderen Ort her erstehen“ (Est 4,14) ist der Beweis davon. Ist es nicht das Gegenstück der Worte „Bis wann?“, die in den Psalmen unter ähnlichen Umständen so oft wiederkehren?
Doch das alles führt zu dem Schluss, dass es jetzt nötig ist, dass Esther sich zu erkennen gibt: Die große Drangsal bringt den Charakter des jüdischen Überrestes ans Licht. Bis dahin war Esther verborgen geblieben, aber jetzt in der Prüfung wird ihre Herkunft offen zutage treten. In dem Augenblick, wo Gott einschreitet, wird die Nation öffentlich anerkannt werden. Das Zeugnis der Gemahlin sprosst aus der Verfolgung hervor, wird in seiner ganzen Schönheit erglänzen und entsteht in der Drangsal; aber es ist gegründet auf die Gnade.
Die Stunde wird endlich schlagen, wo die Nationen nicht mehr sagen werden: „Wo ist dein Gott?“ (vgl. Ps 42,4.11).
Kapitel 5 – Esther wird gnädig empfangen, Haman wird offenbar
Lasst uns im Blick auf das, was nun folgt, noch einmal hervorheben, dass das Buch Esther – und hierin unterscheidet es sich von seinen Zeitgenossen, den Büchern Esra und Nehemia – Vorbilder darbietet, aber in Verbindung mit seinem ganzen Charakter mehr oder weniger verborgene Vorausbilder. Wenn dieses Buch nicht da wäre, so gäbe es in den göttlichen Schriften eine Lücke. Ich frage nun: Ist während der großen Drangsal, deren Vorausbild wir in dieser Erzählung sehen, eine Hilfsquelle für den Überrest vorhanden, der fern von Jerusalem und unter die Nationen zerstreut ist? Ja. Wir sehen da eine jüdische Gemahlin gnädig empfangen von dem, der die höchste Autorität darstellt, und das, nachdem die heidnische Gemahlin verstoßen ist. Infolge der ihr gewährten Gunst wird diese Gemahlin, was ihre Herkunft betrifft, öffentlich anerkannt und in Würden und Ehren erhoben werden als die jüdische Königin der Nationen, sie, der Gegenstand der Liebe ihres Gemahls, deren Hofdamen Königstöchter sein werden (Ps 45,10). Esther stellt den jüdischen Überrest nach dem Herzen des HERRN dar, der der Mittelpunkt des erneuerten Volkes wird. Doch weiter wird uns in dem vorliegenden Buch während dieser Drangsalszeit ein Retter des Volkes gezeigt: Mordokai, der allen Folgen der Untreue Israels unterworfen ist und unter dem Joch der Nationen steht, unternimmt es ganz allein, Haman, dem Agagiter, dem Widersacher der Juden, zu widerstehen. Er widersteht ihm auf Gefahr seines eigenen Lebens, doch er wird vom Tod gerettet, den er nur von weitem sieht.
Hierin unterscheidet Mordokai sich weit von dem, der allein den Tod in seiner schrecklichen Wirklichkeit schmecken und siegreich daraus hervorgehen konnte. Mordokai wird gerettet, um, wie wir sehen werden, auf den höchsten Ehrenplatz erhoben zu werden und schließlich seinem Volk den Frieden zu verschaffen. Alles das ist mehr oder weniger dunkel und muss es sein zu einer Zeit, wo Gott sein Angesicht von seinem Volk abgewendet hat; aber dieses Volk findet in der Gnade des Höchsten ein Hilfsmittel, das nur durch den Glauben ergriffen werden kann. Auf diese Weise wird der Überrest aus der großen Drangsal gerettet. Wenn aber nun auch der Glaube allein dieses Hilfsmittel erkennen und ergreifen kann, so hängt die Ausführung dieser Rettung doch auch von der Treue Esthers ab.
Geradeso ist es in den Psalmen, die den Schrei des Glaubens, der auf die Gnade Gottes rechnet, zugleich aber auch die Rechtschaffenheit der Herzen enthalten, die den Worten und den Geboten Gottes treu sind. So gehorcht Esther dem Gebot Mordokais, wie groß das Wagnis ihres Schrittes auch sein mag. Die Rettung ist also einerseits abhängig von der unumschränkten Gnade und andererseits von dem Glauben und der Treue der jüdischen Gemahlin.
Im Vertrauen auf das Wort Mordokais erscheint Esther vor dem König. Kaum hat der König sie gesehen, so reicht er ihr das goldene Zepter entgegen. Sie wird gnädig empfangen! Wie wird da ihr Herz vor Freude übergeströmt sein! Zwar ist die Rettung noch nicht vollendet, aber die Gnade, die sie herbeigeführt hat, ist den Augen Esthers erschienen. „Was hast du, Königin Esther?“, fragt der König, „und was ist dein Begehr? Bis zur Hälfte des Königreichs, und es soll dir gegeben werden!“ (Est 5,3). Vom ersten Augenblick an ist sie sicher, dass die Hälfte von dem, was der König besitzt, ihr gehört. Ihre Bitten können weit über das Maß dessen, was sie erbitten wollte, hinausgehen. Doch solange der Feind mächtig ist, muss die Schlangenklugheit mit der Taubeneinfalt gepaart gehen. Esther verschiebt ihr Gesuch bis auf später, lädt den König und Haman zu ihrem Mahl ein und gibt so dem König Gelegenheit, sein Versprechen zu bestätigen. (Siehe Esther 5,3 und 6.) Und ein bestätigtes Versprechen, zu dem der König ganz von selbst sich verpflichtet, kann nicht aufgehoben werden.
Wie verschieden ist diese Szene von der, die wir in Markus 6 sehen! Da spricht auch ein König, Herodes, die gleichen Worte zu der Tochter der Herodias: „Was irgend du von mir erbittest, werde ich dir geben, bis zur Hälfte meines Reiches“ (Mk 6,23). Doch Herodes spricht aus einem von bösen Leidenschaften entzündeten Herzen, und die, die ihm antwortet, will die Ermordung des Vorläufers, des Zeugen und Propheten des großen Königs. Satan ist der Urheber von allem, er, der Mörder, der durch die Lüste des Fleisches regiert. Welch einen Gegensatz haben wir hier! Die Zuneigung des Königs wird geweckt durch die Anmut seiner Gemahlin. Sie zeigt sich ihm, und er begehrt sie, er, der gesetzmäßige Anrechte an sie hat. Freilich hat er sie eine Zeitlang vernachlässigt. Aber als sie nun nach dreitägigem Fasten mit den Spuren der Angst und der Leiden auf ihrem Angesicht wieder zu ihm kommt, da wird sein Interesse rege, sein Herz schlägt ihr entgegen, er bewilligt ihr alles im Voraus, und sie hat nur zu bitten, in der vollen Gewissheit, beim ersten Wort die Antwort zu empfangen. Wir entdecken Gott hinter dieser Szene. Und wenn Ahasveros, der berufen ist, Gott darzustellen, im Grunde auch nur ein unwürdiges, durch seine unumschränkte Macht verderbtes Wesen ist, so benutzt Gott, der Gott Israels, dennoch diese Macht und darauf ihr berufendes Begnadigungsrecht, um seinen eigenen Charakter zu zeigen und seine Pläne auszuführen.
Wir haben bereits gesagt, dass Esther unter göttlicher Eingebung die Klugheit der Schlange besitzt. Damit aber das Gericht über Haman komme, muss der Stolz und der Hass dieses Mannes seinen Höhepunkt erreichen und er selbst sich dem Geschlecht gegenübergestellt sehen, das er vertilgen will, aber dessen Verteidigung Gott übernommen hat. Das erste Mahl Esthers lässt seinen Stolz nur noch größer werden. „Aber“, sagt er, „dies alles gilt mir nichts, solange ich Mordokai, den Juden, im Tor des Königs sitzen sehe“ (Est 5,13). So ist es immer mit dem, was Satan den Menschen anbietet, um sie zu verführen. Wenn sie es besitzen – wie Haman, nachdem er die Befriedigung seines Stolzes erlangt hat –, so gilt es ihnen nichts, solange nicht eine neue Begehrlichkeit befriedigt worden ist. So werden die Sünder von einer Begierde zur anderen, von einem Trugbild zum anderen geleitet bis zum Tag des Gerichts. So bringt hier der Hass Hamans, der nur durch die Ermordung Mordokais befriedigt werden kann, ihn in unmittelbare Berührung mit dem rächenden Gott, dem Beschützer seines treuen Knechtes. Was wird dann das Los des Agagiters sein? Sein Sturz bereitet sich vor, wie der von Schebna, von dem es heißt: „Dort sollst du sterben, und dorthin sollen deine Prachtwagen kommen, du Schande des Hauses deines Herrn! Und ich werde dich von deinem Posten wegstoßen, und von deinem Standort wird er dich herunterreißen“ (Jes 22,18-19).
Der satanische Hass Hamans ist noch größer als sein Stolz. Seine ganze Herrlichkeit hat keinen Wert mehr, solange er nicht seine Rache befriedigt sieht. Freunde und Frau ermuntern ihn: „Geh mit dem König fröhlich zum Mahl!“ (Est 5,14). Er empfängt so all die Glückwünsche, die die Welt darbieten kann, eine Welt, die sich, nachdem sie seinen Begehrlichkeiten geschmeichelt hat, nicht scheut, ihm zu sagen: „Du wirst ganz und gar vor ihm fallen“ (Est 6,13).
Das alles ist ein Bild, nicht nur von dem Kampf zwischen Haman und Mordokai, sondern zwischen Satan und Christus. Der Gegner muss sich in seiner wahren Gestalt zeigen, bevor Gott einschreitet. Am Kreuz hat Satan gleichsam gesagt: Alles gilt mir nichts, solange ich nicht Christus beseitigt habe. Er fürchtet, sehen zu müssen, dass Christus die ganze Macht und Obergewalt an sich nimmt, dass in seinem eigenen Reich der Heilige und Gerechte an seine Stelle tritt; er fürchtet, sehen zu müssen, dass der Herr seine Gnadenabsichten zum Heil seines Volkes ausführt, und diese Furcht zwingt ihn, sich am Kreuz ganz zu enthüllen, indem er Jesus zum Tod bringt. Und wie im Buch Esther, so vollzieht sich diese Szene gerade in dem Augenblick, wo Gott sein Angesicht vor Christus verbirgt! Hier wie dort handelt es sich um einen einzigen Menschen. In seiner Laufbahn der Erniedrigung hatte Christus „andere gerettet“ (vgl. Mt 27,42; Mk 15,31), wie Mordokai den König selbst gerettet hatte. Und was hatte dieser Mann, was hatte Mordokai gefordert, was hatte er zur Belohnung erhalten? Nichts, nicht mehr als der Heiland, von dem er ein schwaches Bild ist. In seiner Liebe hatte Mordokai für die Tochter seines Volkes in zärtlicher Weise Sorge getragen und sie in sein Haus aufgenommen, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt [vgl. Mt 23,37]. Was hatte er dafür bekommen? Nichts. Der Galgen ist für ihn zugerichtet, fünfzig Ellen hoch; er kann ihn sehen, wie er über den Palast der Stadt Susan emporragt. Was tut er, um ihm zu entgehen? Nichts. Dieser Mann wandelt in Rechtschaffenheit, führt ein verborgenes Leben, beachtet das Gesetz, widmet sich dem Dienst anderer, leidet und weint über ihre Leiden und findet am Ende seines Weges nur einen Galgen. Und wie in unserer Geschichte, so offenbart sich Satan am Kreuz, und Gott bleibt verborgen. Gott scheint dem Triumph des Bösen gegenüber schwach zu sein. Sein Knecht ist schwach gegenüber der furchtbaren Macht des Feindes. Doch das Schwache Gottes ist stärker als die Menschen, als Satan selbst, und Gott verherrlicht sich schließlich durch das Gericht über den Gegner, durch die Erhöhung Christi und durch die Rettung seiner Geliebten.
Kapitel 6 – Geheime Wege der Vorsehung Gottes
In diesem Kapitel tritt in äußerst beachtenswerter Weise die geheime Vorsehung Gottes zugunsten seines Volkes zutage. Die Welt nennt das Zufall, der Gläubige sieht Gott darin und betet Ihn an. Aber wenn er nun auch mit Dankbarkeit die tausend Gelegenheiten seines Lebens wieder durchgeht, wo Gott durch scheinbar zufällige Umstände ihn bewahrt oder ohne sein Wissen ihn geleitet hat, was sind diese persönlich erfahrenen Hilfen verglichen mit dem, was wir hier sehen? Gott deckt seine Hand über einen Menschen, um ein ganzes Volk zu retten, und Er rettet Mordokai, damit Israel gerettet werden kann. Nun, wir haben schon in diesem Buch gesehen, das scheinbar so einfach und in Wirklichkeit doch so voller Geheimnisse ist, dass Mordokai ein Vorbild von Christus ist. Vergessen wir jedoch nicht, dass Christus allein durch den Tod wirklich hindurchgegangen ist, um uns zu retten; denn da alle im Tod lagen, musste Er für alle sterben:
- Ein Isaak geht nicht über das Todesurteil hinaus.
- Ein David ist unter der Bedrückung seines Feindes alle Tage dem Tod preisgegeben.
- Ein Jona gerät, lebendig verschlungen, in den Bauch eines Fisches und kommt lebend wieder daraus hervor, nachdem er bildlich durch den Tod gegangen ist.
- Ein Mordokai sieht den fünfzig Ellen hohen Galgen, ohne jemals daran gehängt zu werden, und kann also nur insoweit, gleich vielen anderen vorbildlichen Personen, uns ein Bild von Christus geben.
Christus allein ist an das Holz gehängt worden, um unsere Sünden zu tragen, um für uns zum Fluch gemacht zu werden, die zerstreuten Kinder Gottes in eins zu versammeln und alle zu sich zu ziehen. Doch diese Bilder erläutern in wunderbarer Weise die Gedanken Gottes und lassen in deren Tiefen sehen. Ganz anders als Mordokai machte Christus in seiner Seele in Gethsemane die Drangsal Israels unter dem Zorn der Regierung Gottes durch; weit mehr als jener stieß Christus „das laute und bitterliche Geschrei“ aus gegenüber dem, der Ihn und sein Volk aus der Finsternis des Todes zu erretten vermochte; weit mehr als jener wurde Christus „wegen seiner Frömmigkeit erhört“ [Heb 5,7].
Andererseits, wieder ganz anders als bei Mordokai, waren seine gesegneten Beziehungen zu Gott, seinem Vater, nie unterbrochen. Mit Ausnahme der drei Stunden der Finsternis blieben sie immer unverletzt. Selbst in Gethsemane sagte Jesus: „Abba, Vater“ (Mk 14,36), als Er in ringendem Kampf im Voraus die Drangsal seines Volkes durchmachte. Auf dem Kreuz sagte Er vor den finsteren Stunden des Verlassenseins: „Vater, vergib ihnen“ (Lk 23,34), und nachher: „Vater, in deine Hände übergebe ich meinen Geist“ (Lk 23,46). Wenn Er in Gethsemane die Drangsal in ihrer ganzen Heftigkeit durchmacht (s. Ps 102), so tut Er es als ein heiliges, unschuldiges, unbeflecktes Wesen, indem Er freiwillig den Platz seines Volkes einnimmt, wogegen der Überrest Israels die Drangsal als die Folge seiner persönlichen und gemeinsamen Sünden erleiden wird. Die innere Drangsal in Gethsemane ist die Tat eines einzelnen Menschen, der prophetisch in Gnade den Platz des zukünftigen Überrestes einnimmt, damit dieser ermutigt werde durch die Erkenntnis, dass sein Stellvertreter befreit worden ist und dass es infolgedessen für die Seinen eine Befreiung gibt. Außerdem aber ist die Drangsal Israels in den Wegen Gottes dazu bestimmt, bei diesem Volk die Buße hervorzubringen. Der Glaube Mordokais verwirklicht dies durch das Fasten in Sack und Asche, allerdings nur dunkel, denn er kann nicht einen einzigen Augenblick die Stellung verlassen, in der der gerechte Unwille des HERRN ihn und seine Nation gestellt hat; er wagt nicht einmal (wir reden hier von dem, was wir im Buch Esther finden) seine Stimme zu Gott zu erheben, wie Jesus es in Gethsemane tat.
Kehren wir jedoch zurück zu dem Hauptgegenstand unseres Kapitels, den geheimnisvollen Wegen der Vorsehung Gottes mit seinem Volk. Hier drängen sich die Fragen geradezu auf unsere Lippen, und das Ergebnis dieser Ereignisse ist allein imstande, uns die Antwort darauf zu geben. Der Galgen für Mordokai ist aufgerichtet; der mit so viel Geschicklichkeit ersonnene Plan Hamans scheint seiner gewissen Verwirklichung nahegerückt zu sein.
- Warum flieht gerade in dieser Nacht den König der Schlaf ?
- Warum kommt er, um seine Schlaflosigkeit zu beseitigen, auf den Gedanken, sich das Gedächtnisbuch der Chronik vorlesen zu lassen (Est 6,1)?
- Warum fällt der Vorleser gerade auf die Stelle, die sich auf Mordokai bezieht (Est 6,2)?
- Warum erkundigt sich der König nach den seinem Retter erwiesenen Auszeichnungen (Est 6,3)?
- Woher seine Frage: „Wer ist im Hof?“(Est 6,4).
- Warum ist genau in diesem Augenblick Haman da, der kommt, um von seinem Herrn die Hinrichtung Mordokais zu fordern (Est 6,5)?
- Warum gibt der König seiner Frage an ihn eine Wendung, die seinen Günstling in die Schlinge fallen lässt (Est 6,6)?
- Warum wird Haman gezwungen, selbst der Herold des Mannes zu werden, den er mit der ganzen Kraft seiner Seele hasst (Est 6,10-11)?
Sollte das Volk gerettet werden, so musste zunächst Mordokai Rettung finden. Wozu konnte fortan der errichtete Galgen dienen, da ja Mordokai öffentlich als derjenige anerkannt worden war, an dessen Ehre der Herrscher Gefallen hatte? Ein einzelner Mann musste (und hier finden wir wieder in Mordokai das so interessante Vorausbild auf Christus) der Befreier des Volkes werden; und zu diesem Zweck musste er, nachdem er bis zur untersten Stufe der Erniedrigung, unter Sack und Asche, hinabgestiegen war, zur höchsten Würde erhoben werden; deshalb machte der Allmächtige ihn (bildlich) zum Herrn und Christus. Doch alle Ehrenbezeugungen, die ihm erwiesen werden, hindern Mordokai nicht daran, seinen Platz als Diener zu bewahren: Er „kehrte zum Tor des Königs zurück“ (Est 6,12). Wahrlich, ganz verschieden von Haman, der in seinem maßlosen Stolz sich erhob und von allen bedient werden wollte, vollendet Mordokai hier das Vorbild von Christus. Christus nahm Knechtsgestalt an, allerdings nicht gezwungen wie Mordokai, sondern freiwillig, aus Liebe, indem Er kam, um sich zu unterwerfen, zu dienen und sein Leben zu lassen. Wie Mordokai wurde Er im Voraus auf dem heiligen Berg erhöht, und von da stieg Er hinab, um sogleich seinen Dienst wiederaufzunehmen. Doch noch mehr. Nachdem Er das Kreuz erduldet hatte, wurde Er erhöht zur Rechten des Vaters, und Er setzt seinen Dienst fort, indem Er von dort die Füße seiner Jünger wäscht. Ja, schließlich, wenn Er von allen völlig anerkannt sein wird, wird Er immer noch fortfahren, seinem himmlischen und seinem irdischen Volk zu dienen, „wohlgefällig der Menge seiner Brüder“ (Est 10,3).
Den Freunden Hamans, seinen Weisen und selbst seiner Frau beginnen die Augen aufzugehen: „Wenn Mordokai, vor dem du zu fallen angefangen hast, vom Geschlecht der Juden ist, so wirst du nichts gegen ihn vermögen, sondern du wirst ganz und gar vor ihm fallen“ (Est 6,13). Wo ist ihr Mitgefühl mit dem, der „traurig und mit verhülltem Haupt“ (Est 6,12) vor ihnen steht? Sie, die ihm noch am Abend vorher gesagt hatten: „Geh … fröhlich zum Mahl“ (Est 5,14), haben kein Wort des Trostes mehr für den niedergeschmetterten Bösen. „Du hast angefangen zu fallen, … du wirst ganz und gar vor ihm fallen“ (Est 6,13). Bitterer Schmerz wird all seinem Herzeleid in dem Augenblick hinzugefügt, wo die Drangsal ihn selbst erreicht. Kann man von der Sehnsucht natürlicher Herzen etwas anderes erwarten? Wenn das Übel nur nicht sie trifft, was kümmert es sie dann? Derjenige, der ihnen Gunstbeweise austeilte, kann nichts mehr für sie tun. Keiner von ihnen versucht auch nur ein Mittel anzuraten, durch das er seinem Schicksal entfliehen könnte. Alles um ihn her bricht zusammen. Von außen hat er keine Stütze mehr, und die innere Stütze seines Stolzes hält auch nicht stand. Wohl oder übel muss er sein Schicksal tragen; denn gerade in diesem Augenblick „kamen die Hofbeamten des Königs herbei und führten Haman unverzüglich zu dem Mahl, das Esther vorbereitet hatte“ (Est 6,14). Das Wort „Auch für morgen bin ich mit dem König von ihr geladen“ (Est 5,12) wendet sich gegen ihn; die Sonne seiner Herrlichkeit erlischt. Dieses Mahl ist die schwere Gewitterwolke, aus der der Blitz auf sein schuldiges Haupt fallen wird!
Kapitel 7 – Esther tut ihre Abstammung kund
Die Stunde des Mahles ist gekommen, Ahasveros wiederholt Esther gegenüber zum dritten Mal das Anerbieten der Hälfte seines Reiches. Was auch geschehen mag, sie kann volles Vertrauen haben, da das Versprechen durch den Mund des Königs zweimal bestätigt worden ist. Daher fasst sie sich denn gleich ein Herz und sagt: „Wenn ich Gnade gefunden habe in deinen Augen, o König, und wenn es der König für gut hält, so möge mir mein Leben geschenkt werden auf meine Bitte hin und mein Volk auf mein Begehren hin. Denn wir sind verkauft, ich und mein Volk, um vertilgt, ermordet und umgebracht zu werden; und wenn wir zu Knechten und Mägden verkauft worden wären, so hätte ich geschwiegen, obgleich der Bedränger nicht imstande wäre, den Schaden des Königs zu ersetzen“ (Est 7,3-4). Der Augenblick ist gekommen, wo die jüdische Gemahlin vor der heidnischen Macht, deren Gunst sie erlangt hat, ihre Abstammung offenbart.
Wir haben hier den zweiten Abschnitt der Geschichte Esthers, der Geschichte des Überrestes. Im ersten Abschnitt befindet sich Esther unter der Knechtschaft der Nationen; ihre Schönheit und Anmut lassen diese Knechtschaft nur noch mehr hervortreten. Es ist ihr untersagt, sich zu erkennen zu geben, bis die ungerechte Macht, die durch Haman dargestellt wird, auf dem Gipfelpunkt angelangt ist. Aber als Mordokai, in dem wir ein Vorausbild auf Christus gesehen haben, vom Feind angegriffen wird, der sich seiner zu entledigen sucht, als die Pläne des durch die höchste Gewalt schon erhöhten Gegners gegen ihn der Erfüllung nahe zu sein scheinen, da offenbart sich Esther und tut, weil sie Haman nicht den Sieg davontragen lassen kann, ihre Verwandtschaft mit dem Volk Gottes kund, das sie „mein Volk“ nennt; und zwar tut sie dies vor dem Herrscher, der ihr unendlich gewogen ist und sie zärtlich liebt. Sie ist sozusagen all den Stufen gefolgt, durch die Mordokai gegangen ist. Als er verborgen war, war sie es ebenfalls, obgleich sie damals schon einen Lieblingsplatz im Herzen des Herrschers einnahm und noch niemand wusste, dass sie eine Jüdin war. Wenn Mordokai erhöht wird, bevor er die höchste Gewalt über die Nationen erlangt hat, bekennt Esther sich sofort als Glied des Volkes dessen, der die Regierung der Nationen noch nicht in der Hand hat, aber vor aller Augen erhöht und als der Mann offenbart ist, der das Recht auf die königliche Würde besitzt. Die bestimmte Zeit ist gekommen: Der HERR wird aufstehen und sich über Zion erbarmen (Ps 102,14) Die Stunde hat geschlagen. Schon hat sich die Herrlichkeit Mordokais gezeigt, auch wenn seine Regierung noch nicht errichtet ist. Warum soll man jetzt nicht öffentlich erklären, dass man dem Volk Gottes angehört?
Die erste Offenbarung der Herrlichkeit ist noch nicht die Errichtung der Regierung. Von ihr wird in Sacharja 2,12 gesagt: „Nach der Herrlichkeit hat er mich zu den Nationen gesandt, die euch geplündert haben; denn wer euch antastet, tastet seinen Augapfel an.“ So wird auch nach der Herrlichkeit Mordokais Esther als die jüdische Gemahlin anerkannt, und die Feinde Israels fallen dem Volk zur Beute, das sie unterjocht hatten. Wenn es sich nur darum gehandelt hätte, die Knechtschaft Israels noch dadurch zu erschweren, dass man sie „zu Knechten und Mägden verkauft“ hätte, so hätte Esther schweigen können; aber kann sie noch schweigen, wenn ihr Beschützer zur Würde erhoben ist und ihr Volk vertilgt werden soll? In diesem Augenblick wird Haman, der Agagiter, gerichtet. Das wird auch der Augenblick sein, wo der Antichrist, in dem Satan sich verkörpert, von seiner Höhe herabgestürzt und in den Abgrund geworfen werden wird.
Danach folgt der dritte Abschnitt der Geschichte Esthers: der friedliche Besitz des Reichs unter der höchsten Gewalt und unter der Verwaltung Mordokais, eines Vorausbildes auf Christus, dem diese Verwaltung anvertraut werden wird. In unserem Kapitel befinden wir uns indes noch im zweiten Abschnitt, in dem der Königin Esther als Unterpfand des ihr Versprochenen die Rache an dem Feind zuteilwird, der schließlich erfüllt wird, als „der Bedränger, der Feind, der Böse“ (Est 7,6), Namen, die im Wort Gottes Satan und dem Antichristen gegeben werden. Es ist jetzt für ihn zu spät. Todesangst überfällt diesen Menschen, der nach dem Tod des Gerechten getrachtet hatte und dessen Torheit so weit gegangen war, sich an dem Beschützer Israels zu vergreifen! Der Zorn des Königs legt sich erst, als Haman an den Galgen gehängt ist, den dieser für Mordokai bestimmt hatte. Das Gericht Hamans wird, wie es mit dem des Antichristen der Fall sein wird, ausgeführt, bevor Gott zur völligen Befreiung seines Volkes eingeschritten ist. Jedoch wird Esther (der Überrest von Juda) in ihrer königlichen Würde und als zum Volk Gottes gehörend anerkannt, ehe der Antichrist gestürzt wird.
Kapitel 8 – Mordokai verwaltet das Reich
Die Rettung naht. Doch vorher tut Esther kund, was Mordokai ihr ist, nicht allein ihre Herkunft und das Volk, zu dem sie gehört. Das ist das höchste Bekenntnis der jüdischen Gemahlin. Sie verkündet öffentlich die Bande, die sie mit dem verbinden, der die Waise erzogen, der sie beraten und in allen ihren Ängsten aufgerichtet hat. Mordokai war, weil er „Gutes für den König geredet hatte“ (Est 7,9), schon vor den Augen aller Bewohner von Susan mit der königlichen Würde bekleidet worden; aber diese Würde war bis dahin gleichsam nur sittlicher Art. Gleich nahm er seine Stellung als Diener im Tor des Königs wieder ein (Est 6,12). Fortan aber ist er nicht mehr „im Tor“; er kommt vor den König. Seine Würde wird wirklich und amtlich. Er trägt „königliche Kleidung von purpurblauer und weißer Baumwolle und eine große goldene Krone“ (Est 8,15) und empfängt den königlichen Ring, der ihm die Verwaltungsbefugnis über die Völker verleiht. Das alles ist ohne Zweifel lediglich ein verborgenes Bild so wie alle Bilder in diesem Buch; aber der Glaube entdeckt darin den Menschen Jesus Christus, der bekleidet ist mit den Kennzeichen, den Vorrechten und Pflichten der höchsten Macht seitens des Oberherrn, der die Macht besitzt.[9] Wahrhaftig, Christus als Mensch ist von Gott abhängig; Er wird von Ihm die Zügel der Regierung empfangen und wird sie in die Hände seines Vaters zurückgeben, nachdem Er das Reich zu seiner Verherrlichung verwaltet hat.
Mordokai wird fortan zugunsten des Volkes Gottes die Anordnungen treffen, so wie Haman, der satanische Mensch, sie bisher zu dessen Vernichtung getroffen hatte. Esther erkennt ihm das Recht über alles zu, was Haman gehört hatte; er nimmt als Befreier den Platz ein, den sich der Unterdrücker der Juden angemaßt hatte. Doch Esther hat noch eine Pflicht gegen den, der die höchste Gewalt besitzt. Sie redet mit Ahasveros, wirft sich ihm zu Füßen, weint und fleht ihn an. Früher hatte sie gefastet und drei Tage lang weder gegessen noch getrunken; jetzt beugt sie sich vor dem Herrscher nieder und ruft seine Gnade an. Er allein, ihr gesetzmäßiger Gemahl, kann das Unheil abwenden. Er reicht Esther das goldene Zepter entgegen. Dann bringt sie ihre Bitte vor in dem Bewusstsein, dass die Erfüllung gänzlich von der Gnade abhängt: „Wenn es der König für gut hält und wenn ich Gnade vor ihm gefunden habe und die Sache vor dem König recht ist und ich ihm wohlgefällig bin, so werde geschrieben, die Briefe zu widerrufen, nämlich den Plan Hamans“ (Est 8,5). Das wird auch die Haltung der jüdischen Gemahlin an dem zukünftigen Tag sein, wenn das Böse, das die Menschen gegen das Volk geschmiedet haben, im Begriff stehen wird, es zu treffen. Die Gnade allein wird das Gericht aufhalten können. Doch wie ist das möglich? Ist der Herrscher nicht durch seine eigenen Beschlüsse gebunden? Er ist nicht ein Menschensohn, der etwas bereut; was Er gesagt hat, wird Er ausführen. Das Gericht muss ausgeübt werden; aber anstatt auf Esthers Volk zu fallen, wird es über dessen Feinde kommen. Das Gericht bleibt, aber durch die Gnade wird es vom Haupt derer abgewandt, die jetzt der Tröstung bedürfen, nachdem sie durch die Hand des HERRN Zwiefältiges empfangen haben für alle ihre Sünden. Die Gnade redet zu ihrem Herzen und sagt ihr, dass die Zeit der Mühsal vollendet ist. (Vergleiche Jesaja 40,1-2.)
Diese ganze Szene scheint in gewissem Maß dem zu entsprechen, was uns in Offenbarung 12 von Israel gesagt wird. Dort wirft die Schlange aus ihrem Maul Wasser wie einen Strom, einen Strom von Nationen, die unter ihrem Einfluss stehen, um das Volk des Messias zu verschlingen und zu vernichten. Doch die Erde, der Schauplatz der göttlichen Ordnung in der Welt, tut ihren Mund auf und verschlingt den Strom. Geschieht hier nicht das Gleiche? Die Nationen werden verschlungen, nicht aber das Volk Gottes, sobald die Regierung in die Hände des Einen gelegt wird, der würdig ist, sie auszuüben. So tut es uns dieses geheimnisvolle Buch Esther kund.
Auf diese Weise wird der für den Untergang Israels bestimmte Tag zum Tag seiner Befreiung, jedoch durch das Gericht und die Rache an seinen Feinden. Der König macht sich eins mit allen, was geschieht. Er, der alle Bitten Esthers gnädig aufgenommen hat, indem er ihr das goldene Zepter entgegenreichte, bestätigt sein Wort, indem er alles, was er versprochen hat, unverzüglich erfüllen wird (Est 8,14).
Welch eine Veränderung der Szene! Für die in die Nacht der Verzweiflung versenkten Seelen ist die Sonne aufgegangen; es gibt Licht für die Juden „zur Zeit des Abends“ (Sach 14,7). Wo Furcht und Schrecken herrschten, findet man nur Freude und Jubel. Es ist ein Tag des Gastmahls, ein Festtag. Ein einziger Mann, Mordokai, ist das Werkzeug und der Veranstalter dieser außerordentlichen Rettung gewesen. Die Freude teilt sich der Hauptstadt der Nationen mit: „Die Stadt Susan jauchzte und war fröhlich“, als sie den, der ihre Stadt bereits als Retter durchzogen hatte, erscheinen sah mit Macht bekleidet, in königlicher, blauer und weißer Kleidung, mit einer großen goldenen Krone und einem Mantel von Byssus und Purpur (Est 8,15). Aber auch fällt Furcht vor den Juden auf viele; sie werden Juden, um dem Gericht zu entrinnen.
Das Gleiche wird am Ende der Zeiten geschehen. „In jenen Tagen“, sagt Sacharja, „da werden zehn Männer aus allerlei Sprachen der Nationen ergreifen, ja, ergreifen werden sie den Rockzipfel eines jüdischen Mannes und sagen: ‚Wir wollen mit euch gehen, denn wir haben gehört, dass Gott mit euch ist‘“ (Sach 8,23). Noch ehe die Rache ausgeübt ist, sind die Juden voll Freude. Eine Ruhe, ein vollkommenes Vertrauen entsteht in ihren Herzen mit der Erscheinung dessen, der allein den Zorn vom Haupt des Volkes abwenden kann. So wird die Erscheinung Christi der großen Drangsal ein Ende machen, noch ehe der endgültige Schlag selbst geschehen sein wird. Vertrauen wird die Herzen erfüllen, weil derjenige, der die Jungfrau Israel geliebt hat, der das gefangene Volk auf seinem Herzen getragen hat, der „in all ihrer Bedrängnis bedrängt war“, jetzt die Allmacht hat, um die herrlichen Ratschlüsse seiner Liebe auszuführen.
Kapitel 9 – Völlige Rettung
Dieses Kapitel führt uns zur völligen Rettung. In Esther 6 hatte die Furcht vor den Juden viele dazu getrieben, Juden zu werden, um dem Gericht zu entrinnen. In Esther 9,2 kann „niemand vor ihnen bestehen, denn die Furcht vor ihnen war auf alle Völker gefallen“. Man sieht hier wieder das verborgene Wirken der Vorsehung Gottes zugunsten seines Volkes. Die Völker des Reiches hätten sich gegen die schwache jüdische Minderheit, die in ihrer Mitte wohnte, zusammentun können, aber niemand setzt sich vor dieser Furcht den Juden gegenüber zur Wehr. Ja, noch mehr, „alle Fürsten der Landschaften und die Satrapen und die Landpfleger und diejenigen, die die Geschäfte des Königs besorgten, unterstützten die Juden; denn die Furcht vor Mordokai war auf siegefallen“ (Est 9,3). So wird es auch am Ende des Zeitalters sein; die Furcht, die der Messias einflößen wird, wird bewirken, dass „Könige ihren Mund über ihn verschließen“ (Jes 52,15), sobald sie Ihn sehen, und dass sie Ihm gehorchen müssen. Um die ganze Schärfe der Unterdrückung zu verstehen, muss man sich der Gefühle erinnern, die alle Völker des Reichs gegen die Juden beseelten. Als das Gericht ausgesprochen war, wurden sie von Furcht ergriffen. Aber das war nicht der Fall, als ihre feindlichen Gefühle gestillt zu werden schienen. In jenem Augenblick waren sie „Feinde“ der Juden und „hofften, sie zu überwältigen“; sie „hassten“ sie und „suchten ihr Unglück“ (Est 9,1-2). Dieser Hass musste naturgemäß seine gerechte Vergeltung empfangen, und als der Augenblick gekommen war, brachte allein „die Furcht vor Mordokai“ (Est 9,3) die Großen dahin, den Juden beizustehen. „Wegen der Größe deiner Stärke“, heißt es von Christus, „unterwerfen sich deine Feinde mit Schmeichelei. … Die Söhne der Fremde unterwarfen sich mir mit Schmeichelei“ (Ps 66,3; 18,44).
Was Mordokai betrifft, so „war er groß im Haus des Königs, und sein Ruf ging durch alle Landschaften; denn der Mann Mordokai wurde immer größer“ (Est 9,4). Er ist eine gute Darstellung des Herrn, wie Er in zunehmender Kraftentfaltung Besitz nimmt von der irdischen Gewalt. Wie bei David bei seiner Thronbesteigung, wird auch diese Oberhoheit nicht mit einem Schlag errichtet. Es ist noch nicht die endgültige Aufrichtung des Königtums; es ist noch in der Bildung begriffen und wird erst gültig sein, wenn der letzte Sieg über den letzten Feind davongetragen ist; aber die Oberhoheit des Herrn wird anerkannt werden, ehe alle Nationen Ihm unterworfen sind.
Der Unterdrücker der Juden wird gerichtet samt seinem ganzen Geschlecht (Est 9,6-10); ebenso wird das abgefallene Geschlecht des Antichristen an einem zukünftigen Tag umkommen, denn die Stunde der Rache hat geschlagen. Aber das Volk „legte seine Hand nicht an die Beute“ (Est 9,10.15-16) in Übereinstimmung mit den Vorschriften bezüglich Amaleks oder der Feinde Israels (Jos 6,19-20; 1Sam 15,0). Es handelt sich nur darum, das Gericht Gottes zu vollziehen, ohne dass die Vollstrecker irgendeinen Nutzen davon haben. Ahasveros nimmt die Rache als eine Notwendigkeit hin. Seine Hauptstadt, wo der Anschlag gegen die Juden ersonnen worden war, fällt einen Tag länger dem Gericht Gottes anheim als die anderen Städte des Reiches. Der vierzehnte und der fünfzehnte Tag werden überall Tage der Freude und des Gastmahls und der Ruhe.
So schließt das Jahr der großen Drangsal. Der König der Nationen erscheint nicht mehr auf dem Schauplatz, außer in Abhängigkeit von Esther und Mordokai; nur von ihnen ist bis zum Schluss des Kapitels die Rede. Mordokai ordnet, wie der zukünftige Messias es tun wird, die Freude und Ruhe an. „Und die Juden nahmen als Brauch an, was sie zu tun angefangen und was Mordokai ihnen geschrieben hatte“ (Est 9,23). Sie unterwarfen sich dem Wort, das von dem geschrieben wurde, der allen und auch ihnen unbekannt gewesen war und den Gott jetzt vor aller Augen erhöht hatte.[10]
Das Andenken an diese Tage setzt sich fort von Jahrhundert zu Jahrhundert. Ein einziges Fest, das Purimfest, wird in diesem Buch erwähnt, ein neues Fest, das Jahr für Jahr währt im Andenken an die Errettung des irdischen Volkes Gottes. Zwischen Esther und Mordokai und dem Volk besteht völlige Übereinstimmung; was Esther und Mordokai festsetzen, beschließt das Volk für sich selbst (Est 9,31). Das, was bei Gelegenheit ihres Fastens und ihrer Wehklage „in ein Buch geschrieben“ worden war (Est 9,32), wird in allen Geschlechtern gefeiert. So endet diese Erzählung, die uns bis an den Anbruch der herrlichen Zeit bringt, die der Befreiung folgt, und uns zur prophetischen Schwelle des Tausendjährigen Reiches Christi führt.
Kapitel 10 – Schluss
Esther 10 ist wie ein Anhang, indem es das Endergebnis der vorhergehenden Ereignisse in einigen Worten zusammenfasst. Die höchste Macht, deren Stellvertreter Ahasveros ist, sieht infolge der Befreiung der Juden das ganze Land, ja über dieses hinaus auch die Meeresküsten, die ursprünglich dem König nicht gehörten, sich unterwerfen und Tribut bezahlen – ein schwaches Bild des Reiches Christi über die ganze Welt.
Mordokai ist groß, erhoben von dem König, der zweite nach Ahasveros, das heißt, er nimmt eine untergeordnete Stellung gegenüber der höchsten Macht ein. So wird es auch mit der Erhöhung Christi als Haupt der Nationen sein. Wie Jesaja sagt: „Siehe, mein Knecht wird einsichtig handeln; er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein. Wie sich viele über dich entsetzt haben – so entstellt war sein Aussehen, mehr als irgendeines Mannes, und seine Gestalt, mehr als der Menschenkinder –, ebenso wird er viele Nationen in Staunen setzen, über ihn werden Könige ihren Mund verschließen. Denn sie werden sehen, was ihnen nicht erzählt worden war; und was sie nicht gehört hatten, werden sie wahrnehmen“ (Jes 52,13-15; s.a. Mal 1,11).
Indessen wird der Charakter Mordokais seinem Volk gegenüber hier noch besonders geschildert: „Er war groß bei den Juden und wohlgefällig der Menge seiner Brüder“ wie einst der Sohn Isais (1Sam 18,5); „er suchte das Wohl seines Volkes“, wie David, der Gesalbte, das Beste Jerusalems suchen will (Ps 122,9) oder wie der HERR dem Haus Juda Gutes zu tun gedenken wird (Sach 8,15); und „er redete zum Frieden {o. Wohlergehen} seines ganzen Geschlechts“ (Est 10,3). Dieses Buch schließt also in dem Augenblick, wo das Reich des Friedens beginnt. Das ganze einst unterdrückte Volk wird anerkannt als das Geschlecht (oder der Same) Mordokais. Welch ein Ende! So wird in gewissem Maß das Wort verwirklicht: „Friede auf der Erde, an den Menschen ein Wohlgefallen!“ (Lk 2,14).
Zusammenfassung
Fassen wir den Inhalt dieses Buches und den Charakter der Hauptperson noch in einigen Worten zusammen:
In einer Zeit, wo Gott sein Angesicht seinem Volk noch verbirgt, wird die Gemahlin aus den Nationen verstoßen, und die Jungfrau Israel nimmt ihren Platz ein im Herzen des Herrschers. Was ihre Herkunft betrifft, so ist sie noch verborgen; sie wird seine Gemahlin, um Königin der Nationen zu werden. Der Widersacher erweckt eine große Trübsal über das Volk, aber er wird von dem Befreier Israels besiegt, der von allen seinen Gütern Besitz ergreift, während ihn selbst das Los ereilt, das er dem Gegenstand seines Hasses zugedacht hatte. Die jüdische Gemahlin wird als solche öffentlich anerkannt; die Feinde des Volkes werden die Gegenstände der Rache, die sie gegen die Juden ausüben wollten. Die Verwaltung des Reichs wird dem Mann anvertraut, der einst der Diener aller war und der schließlich das Reich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Freude feierlich einweiht.
In diesem Buch zieht Mordokai ganz besonders unsere Aufmerksamkeit auf sich. Man kann an ihm zwei Arten oder Ordnungen von Eigenschaften unterscheiden: seinen sittlichen und seinen amtlichen Charakter.
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Sein sittlicher Charakter ist ein kostbares, treffendes Gemälde von dem des Heilands. Seine zärtliche Liebe, das Zartgefühl seines Herzens, die innige Zuneigung zu seiner Familie, seine beständige Sorgfalt für die Waise – alles das fesselt unsere Aufmerksamkeit. Aber er ist ebenso bemerkenswert durch Gerechtigkeit und Geradheit, durch Mut und Entschiedenheit sowie durch eine unerschütterliche Anhänglichkeit an das Wort Gottes. Indem er den Platz des Überrestes Israels einnimmt, weigert er sich nicht, ein Knecht zu sein, er, der als ein Großer vor aller Augen dargestellt werden sollte; dabei lehnt er es aber ab, vor dem Gegner das Haupt zu beugen, und widersteht dem Feind um den Preis seines eigenen Lebens. Er macht sich eins mit der höchsten Not seines Volkes und erduldet sie in seiner Seele, aber er ist geduldig in Hoffnung, und das ist der Triumph des Glaubens, wenn der Feind allmächtig ist und Gott sein Angesicht verbirgt.
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Sein amtlicher Charakter ist ebenso beachtenswert. Mordokai wacht am Tor des Königs und wird so der Retter der Nationen; er wird als solcher anerkannt in dem Augenblick, wo der satanische Gegner gestürzt wird. Er ist der Retter seines Volkes und trägt als Verwalter des Reichs selbst die Zeichen des Königtums und die große Krone. Er macht sich einen gefürchteten Namen im Gericht und übt die Rache aus, aber nur als Vorspiel der Ruhe, und er regiert in Gerechtigkeit. Er trifft die Einrichtungen bei der Freude und dem Jubel, die er seinem Volk verschafft hat. Er ordnet alles an in Gemeinschaft mit der jüdischen Gemahlin, seiner angenommenen Tochter, die über die Nationen herrscht und sein Interesse für sein Volk teilt. Er wird der Fürst der Könige der Erde, angenehm Gott und seinen Brüdern, ein großer Mann; und indem er seinem königlichen Charakter entsprechend in allem das Wohl seines Volkes sucht, führt er schließlich die Friedensregierung ein.
Unser Herr, das große vollkommene Gegenbild Mordokais, ist es, auf den der Geist Gottes uns im Buch Esther hinweisen will.
Zuerst erschienen in Botschafter des Heils in Christo,
Jg. 22, 1914: S. 197–207, 235–240, 253–260, 281–289, 309–323;
Jg. 23, 1915: S. 13–21, 38–48, 67–73.
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Anmerkungen
[1] Diese Tatsache zeigt uns schon (aber wir werden darauf zurückkommen), dass das Buch Esther ein typologisches Buch ist, das heißt ein Buch der Vorausbilder, ein Buch von bildlicher Bedeutung. Wir werden bei der Untersuchung des Charakters der darin gezeichneten Persönlichkeiten Ahasveros, Basti, Esther, Haman und Mordokai immer mehr hiervon überzeugt werden. Das ist umso bemerkenswerter, weil die Bücher Esra und Nehemia, wiewohl sie voll Unterweisungen für die Gegenwart und für alle Zeiten sind, diesen Charakter, Dinge typologisch vorauszubilden, nicht tragen. Darum hätte auch das Buch Esther nicht mit dem Buch Esra verbunden werden können, in das es geschichtlich eingeschaltet werden müsste; ohne von der Tatsache zu reden, dass es, weil es von der Zerstreuung der Juden unter die Nationen handelt, den Überrest auf einen ganz anderen Boden stellt.
[2] Man vergleiche bezüglich der großen Trübsal Jeremia 30,4-11; Daniel 12,1; Matthäus 24,21-22.
[3] Jerusalem war das gemeinsame Besitztum von Juda und Benjamin (1Chr 8,28.32).
[4] 1. Chronika 15,17; 6,44; 13,21-22; 24,28-29; 2. Chronika 29,12.
[5] Der Mordokai von Esra 2,2 und Nehemia 7,7 kann nicht dieselbe Person sein.
[6] Der Name Esthers war Hadassa, was Myrte bedeutet. Im Alten Testament sind die Namen so oft symbolisch, dass ich nicht zögere, in diesem das Unterpfand der Wiederherstellung des Volkes zu sehen.
[7] Dieses schöne Bekenntnis ist das einzige Zeugnis, das er als Beweis für seine Verbindung mit dem Gott Israels ablegen kann, aber ein Zeugnis, das genügt, den Zorn des Feindes gegen ihn zu entfesseln.
[8] Wie wir weiter oben gesagt haben, wird in dem Buch Esther – und das entspricht dem ganzen Plan dieses Buches, das eine bildliche Zwischenhandlung in der Geschichte des gefangenen Volkes darstellt – von dem Volk, das nach Judäa zurückgekehrt war, nicht geredet. Dennoch unterliegt es keinem Zweifel, dass auch dieses von dem Blutbad betroffen werden soll; denn man sieht in Esra und Nehemia den eingefleischten Hass seiner Feinde.
[9] Wir können nicht oft genug wiederholen, dass Ahasveros, was seinen natürlichen Charakter betrifft, einer der traurigsten Herrscher Persiens ist. Er ist gewalttätig, aber ohne festen Willen, ausschweifend, je nach den Einflüssen, unter denen er steht, dem Bösen wie dein Guten unterworfen; er ist sich seines Wankelmutes nicht bewusst, wenn er seinen Entschluss ändert; er schreibt niemals sich selbst, sondern anderen das Böse zu, das er, wenn auch nicht ausgeübt, so doch geduldet und gefördert hat. (Vergleiche Esther 8,7.) Doch ist – ganz unabhängig von seinen Verdiensten und seinem Charakter – die Macht in seinen Händen, und so wird er uns bei gewissen Gelegenheiten nicht als das vorgestellt, was er sittlich ist, sondern als der Träger der höchsten Macht. In diesem Sinn wird auch gesagt: „Ihr seid Götter“ (Ps 82,6), und: „Es gibt keine Obrigkeit außer von Gott“ (Röm 13,1).
[10] Das von Mordokai geschriebene Wort nimmt eine bis dahin ganz unbekannte Wichtigkeit an in einem Buch, in dem das Gesetz nicht einmal erwähnt wird.


