Christen und weltliche Musik
Eine Diskussion über das Thema Christ und Kunst

© SoundWords, online seit: 08.05.2005, aktualisiert: 14.09.2022

Anmerkung der Redaktion
Wenn wir diese Diskussion hier wiedergeben, dann wollen wir damit nichts über die Haltung der Redaktion zu diesem Thema aussagen. In der Redaktion haben wir noch keine abschließende Meinung zu diesem Thema gebildet. Wir sind allerdings sehr interessiert, begründete Meinungen und Stellungnahmen, sowohl pro als auch kontra, zu diesem Artikel zu bekommen.

Diese Diskussion zwischen A und B entwickelte sich aufgrund eines Artikels von B über Paganini und seine möglicherweise satanisch beeinflusste Lebens-, Komponier- und Spielweise.

Hierbei geht es um die Position des Christen zu weltlicher Musik (und Literatur).

A: B, ich habe deinen Artikel mit Interesse gelesen! Deine Kernfrage ist, wie ich mit nicht spezifisch christlicher Musik umgehen muss. Du scheinst von dem Gedanken auszugehen, dass alles, was nicht strikt christlich ist, aus dem Teufel ist. Ich denke, dass das nicht wahr ist. Alles, was schön ist, jedes Talent, auch musikalisches Talent, kommt von Gott: Gott hat sowohl Bach als auch Paganini erschaffen. Daher gibt es meines Erachtens auch einen großen Unterschied zwischen teuflisch und nicht spezifisch christlich. Wenn etwas satanisch ist, wollen wir damit zum Ausdruck bringen, dass etwas unter direktem Einfluss des Teufels gemacht ist und den Zuhörer auch unter direkten teuflischen Einfluss bringt. Mir ist dafür im klassischen Bereich kein einziges Vorbild bekannt. Das Repertoire besteht größtenteils aus Musik von Menschen, die auf ihre Weise schöne Musik machen wollten. Unser großes Problem ist, dass uns unser christliches Denken keine Antwort auf die Frage gibt, was wir mit solcher Musik, die „nur schön“ ist, anfangen sollen. Unsere Theologie ist oft stark schwarzweiß: Entweder etwas ist christlich oder es ist teuflisch.

Meines Erachtens stoßen wir hier auf eine Lücke im christlichen Denken. Weißt du, dass bis zur Zeit der Aufklärung Schönheit (auch musikalische Schönheit) als eine Wiedergabe der Schönheit Gottes und des Himmels angesehen wurde? Jede schöne Melodie ist das Echo des himmlischen Liedes, das wir noch nicht gehört haben; jede schöne Melodie lässt ein klein bisschen von Gott und vom Himmel sehen. Gott schenkt dem Menschen Talente, um diese Schönheit vor uns zu entfalten; durch ihre Musik erleben wir etwas von der Harmonie des Himmels. Wenn du ein schönes Konzert gehört hast, fühlst du dich innerlich erquickt. Ich erlebe es wöchentlich, dass Studenten und Kursteilnehmer glücklich den Unterrichtsraum verlassen, weil sie die Musik so genossen haben. Wie erklären wir diese Freude? Unsere Theologie hat keine Antwort darauf. Wir Christen haben zu unserem großen Schaden die Wichtigkeit der Schönheit wegtheologisiert.

Ich kann Gott aufrichtig für Gustav Mahlers Auferstehungssinfonie danken. Ich erlebe in seiner Musik etwas über die Wirklichkeit des Himmels, die ich sonst in keiner christlichen Musik so intensiv erlebe. Malers Musik öffnet mir die Augen für ein bestimmtes Stück der Wirklichkeit Gottes. Ich halte Malers Musik für die geistlichste Musik, die es gibt. Ich sage nicht, dass Maler so ein braver Bruder war. Ich sage wohl, dass er von Gott ein großes Talent und einen großen Geistesreichtum empfangen hatte und dass er damit Musik geschaffen hat, die viel Unsagbares über Gott und über uns moderne Menschen sagt. Du musst auch wohl berücksichtigen, dass Musik aus einem bestimmten Kontext kommt. Mussorgskis Bilder einer Ausstellung und Eine Nacht auf dem kahlen Berg sind im Kontext des russischen Nationalismus entstanden; Stravinskys Le sacre du printemps eigentlich auch. Es ist wichtig, die Stücke selbst und den Kontext darum herum gut zu studieren, denn nur so kann man zu einem ausgewogenen Urteil kommen. Christliches Denken ist nuanciertes Denken. Radikale Auffassungen transportieren viel Reichtum – den Gott in seine Schöpfung hineingelegt hat, um uns Menschen damit zu erfreuen und erquicken – einfach auf den Müllhaufen. Das ist ein Jammer, um nicht zu sagen: Das ist Sünde!

B: Deine Kritik über meinen Artikel ist des Nachdenkens wert, aber bei bestimmten Punkten habe ich doch Probleme. Es sieht so aus, als ob du selbst persönliche Sünden von Künstlern gutheißt.

A: Das ist natürlich das Letzte, was ich möchte. Wenn ich mir gute Musik anhöre, selbst wenn sie von ungläubigen oder unmoralischen Komponisten kommt, dann sehe ich die Musik als solche als eine Gabe Gottes an, für die ich Ihm von Herzen danken kann. „Wenn ich mit Danksagung teilhabe, warum werde ich gelästert über das, wofür ich danksage?“ (1Kor 10,30).

B: Dem stimme ich zu. Es gibt Menschen, die alles, was nicht biblisch ist, Sünde nennen und deshalb auch allerlei Arten von weltlicher Musik. Ich gebe ehrlich zu, dass ich bis vor kurzem selbst in meinem Innern damit gekämpft habe. Ehrlich, ich bekenne, dass ich oft abends vor dem Zubettgehen zu viel (klassische) Musik gehört habe. Andererseits: Leute, die sich den ganzen Tag erbauliche Chorlieder anhören, achten bald auch nicht mehr auf den Text, sondern konzentrieren sich auf die Melodie. Aber gut, du hast mich zum Nachdenken gebracht! Ich habe immer gedacht, dass ich dadurch geistlich „verunreinigt“ werde, wenn ich mich mit weltlicher Literatur beschäftige. Ich habe selbst moderne Literatur in Grenoble studiert und habe dort in der Gemeinde, die ich besuchte, einige Schwierigkeiten damit gehabt. Auch meine Vorliebe für Musik wurde nicht immer dankbar aufgenommen. Aber klar: Wie kann ich auch unter Gottes heiligen Augen zum Beispiel in Goethes Werk über Faust und den Teufel Mephisto lesen oder Dvoraks Oper The Devil and Kate anhören?

A: Warum sollen wir uns „unter Gottes heiligen Augen“ nicht mit dem Teufel beschäftigen können? Wenn es nur mit einer guten Einstellung geschieht! Aber ich gebe zu: Ich durfte das früher auch nicht, weil man mir erzählt hat, dass es verkehrt war. Aber niemand hat mir erklärt, was daran so verkehrt war. Seit ich mich nun einige Jahre intensiver mit dieser Materie beschäftige, habe ich erkannt, dass das strengere Pharisäertum gegen Kunst, worin ich groß geworden bin, aus totaler Unkenntnis in Bezug auf Kunst hervorkommt und aus dem Unvermögen, damit umzugehen.

B: Natürlich muss man gut aufpassen, nicht völlig in der Kunst aufzugehen. Wenn ich zwanzig Minuten mit geschlossenen Augen Beethovens Tripelkonzert Rondo alla polacca in einer Ausführung mit Oistrach (Viola), Rostropovich (Cello) und Svatoslav Richter (Piano) anhöre, dann fühle ich mich ein bisschen schuldig hinterher. Auf der einen Seite habe ich dann wohl zwanzig Minuten auf Engelsflügeln verbracht, auf der anderen Seite kann ich in dieser Zeit auch bequem drei Kapitel aus dem Johannesevangelium lesen … Wie denkst du darüber? Zeitmanagement? Ist das Frömmigkeit am falschen Platz, oder liegt das an dem Unterricht in unseren Gemeinden?

A: Der Punkt ist meiner Meinung nach, B, dass wir geistliches Leben auf Gehorsam und die Bibel zu einem Gesetzbuch reduziert haben. Glauben ist viel mehr, als nur gehorsam zu sein. Mindestens genauso wichtig ist, dass wir entdecken, wie wir Menschen sind, und damit meine ich: sich selbst sein vor Gottes Angesicht.

B: Einverstanden! Wirklich Mensch sein beinhaltet unter anderem, dass wir alle unsere Talente im Dienst des Königs gebrauchen. Wenn ein Christ ein musikalisches Ohr hat, kann er das in den Dienst des Herrn stellen, denke ich.

A: Aber Musik ist auch ein Geschenk an dich selbst! Du hörst zwanzig Minuten Beethovens Tripelkonzert an und bist zwanzig Minuten selig. Gott hat dir diese Musik geschenkt, damit es dich glücklich machen soll. Natürlich hättest du auch drei Kapitel aus Johannes lesen können, aber wärest du dann die zwanzig Minuten genauso glücklich gewesen?

B: Rein empirisch erscheint mir das wahr zu sein, geistlich habe ich damit mehr Schwierigkeiten.

A: Was ich sagen will, ist, dass wir einander in unseren Gemeinden weismachen, dass ich für mein geistliches und emotionales Wohlsein an der Bibel allein genug habe, um nicht zu sagen: genug haben muss. Aber wenn das so ist, musst du dann heiraten? Musst du dich dann auch schuldig fühlen, wenn du mit deiner Frau geschlafen hast, weil du das intensiv genossen hast? Paulus sagt, dass Lehrer aufstehen werden, die „verbieten zu heiraten und gebieten, sich von Speisen zu enthalten, die Gott geschaffen hat, damit sie mit Danksagung genommen werden“ (1Tim 4,3). Damit meint er, dass Menschen da sein werden, die Gottes irdische Segnungen für Gläubige verbieten würden! Ich versuche, Mensch vor Gottes Angesicht zu sein, was einerseits bedeutet, dass ich die Bibel lesen muss. Aber anderseits muss ich auch gut aufpassen, wie Gott mich geschaffen hat, das heißt welches Verlangen Er in meine Seele gelegt hat. Wenn ich bemerke, dass ich eine große Liebe für Musik empfangen habe, bin ich es Ihm schuldig, mich selbst gut zu versorgen, dadurch dass ich regelmäßig die Wohltat guter Musik in Anspruch nehme. Wenn ich das nicht tue, bekomme ich Probleme. Die Probleme löse ich nicht damit, dass ich Johannes lese, sondern dadurch, dass ich Musik höre. Musik ist ein Vorrecht, das Gott mir schenkt und das andere mir nicht nehmen können.

B: Und wenn du in deiner freien Zeit mehr Musik hörst, als du dich mit praktischem Christentum beschäftigst? Ich habe selbst Musik studiert, genauso wie ich auch Literatur studiert habe. Was mich quält, ist: Hat dieses ganze Kunststudium wohl Bedeutung für die Ewigkeit?

A: Damit stellst du eigentlich die Frage, ob Schönheit wohl Bedeutung für die Ewigkeit hat. Für mich gibt es da keinen Zweifel, aber das wird mir nicht jeder nachsprechen. Aber klar, Umgang mit Kunst erfordert nun einmal eine bestimmte Empfänglichkeit; ich muss dafür eine Antenne haben, sowohl für die schöne Form als auch für den Inhalt. Ein Werk wie Goethes Faust bietet dir, wenn du dafür offen bist, ein eindringliches Bild des modernen Menschen, der von Gott losgekommen ist und sich doch nach Kenntnis und Sinn des Lebens ausstreckt.

B: Musst du dafür dieses und andere Werke durcharbeiten? Kannst du dann nicht genauso gut eine Studie des Buches Prediger machen?

A: Natürlich! Aber es geht darum, dass es nicht sündig ist, Faust zu lesen. Wenn du lieber Prediger liest, ist dagegen nichts einzuwenden. Du bist wiederum auch nicht verpflichtet, Faust zu lesen!

B: Ich habe in Parerga und Paralipomena von Schopenhauer entdeckt, dass Goethe, genauso wie er selber, nicht ehrlich und vertrauenswürdig in seiner Glaubensüberzeugung war. Deswegen mein Widerwille, Faust durchzuarbeiten …

A: Das kann ich schon nachvollziehen, aber ein verkehrter Glaube des Autors oder Komponisten macht ein Kunstwerk nicht selbstredend wertlos. Schopenhauer und Goethe waren durch Gott begabt mit einer Scharfsinnigkeit, die zahllosen Christen fremd ist. Auch von einem Nichtchristen kannst du doch viel lernen! So verkörpert Mephistopheles die geistlichen Gefahren, die Faust bei seiner Suche bedrohen.

Ich lerne aus Werken wie Goethes Faust viel über den zeitgeschichtlichen Zusammenhang, in dem sie entstanden sind, und wie Gott und Mensch in dieser Zeit einander gegenüberstanden. Dieses hilft mir, meine eigene Zeit zu verstehen. Dass sich so viele Komponisten des 19. Jahrhunderts mit der Faust-Thematik beschäftigt haben, hängt meiner Meinung nach damit zusammen, dass sie sich in Goethes rastlosem Suchen wiederfanden. Ganz faszinierend ist in diesem Zusammenhang die Faust-Sinfonie (1854) von Franz Liszt.

B: Tja, 1881 war er noch mit der Thematik beschäftigt; dann schrieb er den Mephisto-Walzer.

A: Stimmt. Die Faust-Sinfonie besteht aus drei Charakterstücken, nämlich von Faust, Gretchen und Mephistopheles. Im dritten Teil ist es so, dass Mephistopheles kein eigenes Thema hat, sondern dieser Teil beschäftigt sich damit, das Thema aus dem ersten Teil zu karikieren. Aus den wenigen übriggebliebenen Aussagen von Liszt über Goethes Faust können wir vorsichtig anmerken, dass er Mephisto auffasste als eine Personifizierung des Niedrigen und Trivialen in Faust. Eigentlich meint Liszt: „Das Problem sitzt zutiefst in uns selbst!“ Nicht dass ich das ohne Liszt nicht auch wüsste. Aber er gibt dieser Wahrheit in seiner Sinfonie in eindringlicher Weise Gestalt und so erlebe ich diese Tatsache viel intensiver, als ich das erfahren würde, wenn ich dieses in einer Predigt hören würde. Bei der Kunst geht es darum, Fragen aufzustellen und auf diese Weise dem Leben mehr Tiefe und Bedeutung zu geben. So musst du dann auch damit umgehen und nicht wie ein Schiedsrichter, der seine Karte hoch hält, wenn er meint, dass ein Fußballer ein Foul begangen hat. Aus allem sieht man, dass du ein großer Musikliebhaber bist, B! Pass auf, dass du dein Leben nicht in das Korsett einer strengen, unnuancierten Theologie presst. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass du dir dadurch großen emotionalen und geistlichen Schaden einhandeln kannst, und den möchte ich dir gerne ersparen.

B: Fragen aufrufen kann die Kunst wirklich gut. Sie weckt bei mir mehr Fragen auf, als sie Antworten gibt. In der Bibel scheint mir das genau andersherum zu sein. Aber du hast recht, A: Meine Theologie steht meiner Musik wohl im Weg. Ich habe viel den Autor XYZ gelesen und ich tue das noch täglich, weil es wirklich geistliche Perlen sind, DSL-Verbindungen zum Himmel, aber ach so wenig praktisch und illustrativ …

A: Das kommt daher, dass XYZ ein Mensch vor Gottes Angesicht war: Er schrieb über das, was ihn beschäftigte. Du kannst viel von ihm lernen, aber du darfst nicht den strategischen Fehler machen, diesen Mann zu deinem Leiter für dein ganzes Leben zu machen. Gehe weise und nuanciert mit XYZ und seinem Erbe um. Gerade er hat viel geschrieben über das, was du gerade nanntest: das „Verunreinigtwerden“ durch weltliche Dinge wie Musik. Es ist verständlich, dass du selbst auch Angst davor hast, weil es innerhalb der reformierten Kirchen und Gemeinden bis vor kurzem gebräuchlich war, alles, was mit Kunst zu tun hatte, ohne irgendeine Nuance der bösen Welt zuzuschreiben, und davon musst du dich fernhalten. Aber Glauben ist viel mehr, als sich darum kümmern, dass man nicht beschmutzt wird. Aus deinen Worten meine ich zu erkennen, dass du dies auch schon gründlich im Auge hast.


Mit freundlicher Genehmigung von www.vergadering.nu 
(Artikel erschien dort auf Niederländisch)


Hinweis der Redaktion:

Die SoundWords-Redaktion ist für die Veröffentlichung des obenstehenden Artikels verantwortlich. Sie ist dadurch nicht notwendigerweise mit allen geäußerten Gedanken des Autors einverstanden (ausgenommen natürlich Artikel der Redaktion) noch möchte sie auf alle Gedanken und Praktiken verweisen, die der Autor an anderer Stelle vertritt. „Prüft aber alles, das Gute haltet fest“ (1Thes 5,21). – Siehe auch „In eigener Sache ...

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