Der Brief des Paulus an die Römer (7)
Kapitel 7

Stanley Bruce Anstey

Online începând de la: 20.09.2022, Actualizat: 06.01.2024

Das Gesetz und Christus

Nachdem in Römer 6 die Wahrheit von der Befreiung dargelegt worden ist, könnte man fragen: „Gilt diese Befreiung auch für das Gesetz Moses?“ Diese Frage betrifft vor allem die Gläubigen aus dem jüdischen Volk; die Heiden standen, wie wir wissen, nie in dieser rechtlichen Beziehung zu Gott. Die Antwort lautet: Ja, die jüdischen Gläubigen stehen nicht mehr unter dem Gesetz. Indem Paulus dies aufgreift, wendet er sich speziell an seine jüdischen Brüder. Dies wird durch eine seiner Aussagen deutlich: „Ich rede zu denen, die das Gesetz kennen.“

Es gibt einen offensichtlichen Unterschied zwischen der Befreiung von der Sünde (Röm 6) und der Befreiung vom Gesetz (Röm 7). Die Sünde ist etwas Schlechtes, das durch das Versagen des Menschen in die Welt gekommen ist. Das Gesetz jedoch ist „heilig, gerecht und gut“ (Röm 7,12) und wurde von Gott selbst gegeben. Es ist leicht, einzusehen, warum wir von der Sünde befreit werden müssen. Aber wir könnten uns fragen, warum jemand von etwas befreit werden muss, was gut ist. Die Antwort ist: Das Gesetz ist in der Tat gut – gut für den Zweck, für den es geschaffen wurde: nämlich den Menschen zu zeigen, was sie getan haben und was sie sind. Das Gesetz kann jedoch kein heiliges Leben hervorbringen. J.N. Darby sagt, dass es drei Dinge gibt, die das Gesetz nicht tun kann:[1]

  • Es gibt kein Leben.
  • Es gibt nicht die Kraft, seine Forderungen zu erfüllen.
  • Es gibt uns keinen Gegenstand für unser Herz.

Daher ist es ein großes Missverständnis, zu denken, das Gesetz wäre gegeben worden, um dem Menschen zu helfen, in der Heiligkeit zu wandeln. Es ist nicht – und war nie – Gottes Absicht, durch das Gesetz Heiligkeit im Menschen zu erzeugen.

Der Irrtum, dass nichtjüdische Gläubige unter das Gesetz gestellt werden sollten, wurde von den Aposteln und Ältesten in Jerusalem entschieden ausgeräumt. Dies ist in Apostelgeschichte 15 festgehalten. Aber die Frage blieb: „Stehen diejenigen, die aus den Juden kommen und nun Gläubige an den Herrn Jesus sind, noch unter dem Gesetz?“ Paulus beantwortet diese Frage hier.

Die zwei Ehemänner

In diesem Abschnitt erklärt Paulus, warum das Gesetz nichts mit den Christen zu tun hat – egal, ob es sich um Judenchristen oder Heidenchristen handelt. In Römer 7,1-3 legt er das Prinzip dar, indem er ein hypothetisches Beispiel dafür gibt. Er stellt dar, wie unwahrscheinlich es ist, dass eine Frau mit zwei Männern gleichzeitig verheiratet ist. In Römer 7,4-6 wendet er diesen Grundsatz an und zeigt: Die Christen sind mit Christus gestorben, und das Band, das sie (die jüdischen Gläubigen) einst an die Verpflichtungen des Gesetzes gebunden hat, ist zerrissen.

Verse 1-3

Röm 7,1-3: 1 Oder wisst ihr nicht, Brüder (denn ich rede zu denen, die das Gesetz kennen), dass das Gesetz über den Menschen herrscht, solange er lebt? 2 Denn die verheiratete Frau ist durch Gesetz an den Mann gebunden, solange er lebt; wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie losgemacht von dem Gesetz des Mannes. 3 Also wird sie denn, während der Mann lebt, eine Ehebrecherin genannt, wenn sie eines anderen Mannes wird; wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie frei von dem Gesetz, so dass sie keine Ehebrecherin ist, wenn sie eines anderen Mannes wird.

Paulus setzt hier das Gesetz in die Position eines Ehemannes und die Juden (bevor sie errettet wurden) in die Position einer Ehefrau. Die Frau würde in dieser Situation bestimmte Verpflichtungen gegenüber ihrem Mann haben. Paulus sagt: „Die verheiratete Frau ist durch Gesetz an den Mann gebunden, solange er lebt.“ F.B. Hole sagt:

Jeder Jude fand den alten Ehemann – das Gesetz – streng und unbeugsam, gleichsam ein „Frauenschläger“. Dennoch mussten sie zugeben, dass sie reichlich verdienten, was sie empfingen.[2]

Unter dem Gesetz hatten sie eine Last zu tragen. Sie waren „schwer beladen“ mit ihren Bemühungen, alles zu tun, was es gebot. Außerdem mussten sie noch Zusätze verrichten, die die Rabbiner dem Gesetz hinzufügten (Mt 11,28; 23,2-4).

Dann sagt Paulus: „Wenn aber der Mann gestorben ist, ist sie losgemacht von dem Gesetz des Mannes.“ Mit dieser Aussage erklärt Paulus das Gesetz nicht als gestorben – auch wenn er sich auf den verstorbenen Ehemann bezieht. Der springende Punkt ist hier, dass der Tod die Herrschaft des Gesetzes beendet. Das Band, das in dieser rechtlichen Beziehung besteht, wird mit dem Tod gebrochen.

Vers 4

Röm 7,4: Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus, um eines anderen zu werden, des aus den Toten Auferweckten, damit wir Gott Frucht brächten.

Hamilton Smith weist darauf hin, dass in dieser Darstellung der Ehemann stirbt. Aber in der Anwendung des Prinzips ist es die Frau, die stirbt. In Römer 7,1 hat Paulus etwas deutlich gemacht: Diejenigen, die sich in dieser rechtlichen Beziehung befanden und nun mit Christus einsgemacht sind, haben im Tod ein Ende gefunden. Er sagt, „dass das Gesetz über den Menschen herrscht, solange er lebt“. Er sagt nicht, dass das Gesetz über einen Menschen herrscht, solange das Gesetz lebt, sondern „solange er [der Mensch unter dem Gesetz] lebt“.

Paulus wendet hier also das Prinzip der Hauptschaft Christi über ein Menschengeschlecht auf die jüdischen Gläubigen in ihrer rechtlichen Beziehung zu Gott an. Er zeigt, dass sie, weil Christus gestorben ist, das Recht haben, sich ebenfalls als tot zu betrachten. Er sagt: „Also seid auch ihr, meine Brüder, dem Gesetz getötet worden durch den Leib des Christus.“ Wer an den Herrn Jesus Christus glaubt, ist also nicht nur tot für die Sünde (Röm 6), sondern auch tot für das Gesetz (Röm 7). Das Gesetz hat keine Herrschaft mehr über diejenigen, die in dieser Beziehung waren und glauben, denn sie werden als tot und verschwunden angesehen – und das Gesetz hat keine Herrschaft über einen toten Menschen. J.N. Darby sagt:

Er stirbt für das, worin er gehalten wurde. Das Gesetz konnte seinen Anspruch auf den Menschen nur durch ein lebendes Kind Adams geltend machen. Das „Gesetz hat Macht über einen Menschen, solange er lebt“; aber ich bin dem Gesetz tot durch den Leib Christi. Die Bindung an das Gesetz hat absolut, vollständig und notwendigerweise aufgehört, denn der Mensch ist tot; und das Gesetz hat nur Macht über ihn, solange er lebt.[3]

Der „Leib Christi“, von dem Paulus hier spricht, ist nicht der sinnbildliche Leib Christi, dessen Glieder wir sind (1Kor 12,12.13), sondern der persönliche (physische) Leib Christi, den Er hatte, als Er Mensch wurde (Heb 10,5; Kol 1,22). Durch seinen Leib, in dem Er starb, brachte Er die Gläubigen durch ihre Einsmachung mit Ihm in den Tod.

Das Wort „verheiratet“ steht nicht im griechischen Text. Es sollte heißen: „Einem anderen gehörend“ (Kelly-Übersetzung), denn unsere Beziehung zu Christus ist gegenwärtig die einer Verlobten zu einem Ehemann. Wir warten noch auf die Hochzeit, die in der Zukunft stattfinden wird (Off 19,7-10). (Es stimmt, dass in Epheser 5 die Kirche bereits in der Vereinigung mit Christus gesehen wird, aber dieser Brief stellt die Wahrheit aus der Perspektive der ewigen Absicht Gottes dar – als etwas Vollständiges und außerhalb der Zeit.)

Paulus schließt seine Überlegungen mit den Worten: „damit wir Gott Frucht brächten“. Die „Frucht“, auf die er sich hier bezieht, ist praktische Gerechtigkeit, die sich in einem heiligen Leben manifestiert. Dies ist Gottes Ziel der Befreiung des Gläubigen von Sünde und Gesetz. Wahre Frucht kann jedoch nur durch ein Leben hervorgebracht werden, das im bewussten Genuss des ewigen Lebens mit dem „aus den Toten Auferweckten“ ist. Wenn wir in dieser neuen Sphäre des Lebens bei Christus bleiben, ist der Geist Gottes frei, in uns zu wirken. Er kann das Fleisch im Zaum halten und in unserem Leben Frucht in Form von praktischer Gerechtigkeit bringen. Paulus erläutert dies in Kapitel 8 näher.

Vers 5

Paulus erinnert die jüdischen Gläubigen daran, dass ihre Bemühungen, das Gesetz zu halten, als sie „im Fleisch“ unter dem Gesetz standen, nicht zur Heiligkeit in ihrem Leben führten. Das Gesetz kontrollierte das Fleisch nicht, stattdessen bewirkte es vielmehr das Gegenteil – es erregte das Fleisch. Paulus erwähnt dies, indem er sagt:

Röm 7,5: Denn als wir im Fleisch waren, wirkten die Leidenschaften der Sünden, die durch das Gesetz sind, in unseren Gliedern, um dem Tod Frucht zu bringen.

Sobald dem Fleisch gesagt wird, es solle etwas nicht tun, wird es genau dies tun, was es tun will. J.N. Darby sagt:

Wenn ich zu jemand, der das Geld liebt, sagen würde: „Du sollst das Gold nicht begehren“, würde das nur das Verlangen wecken.[4]

Gläubige aus dem Judentum sollten dies besser als jeder andere wissen, da sie ausdrücklich unter dem Gesetz standen.

Auch wenn wir nicht unter dem Gesetz standen, wissen das auch wir alle aus Erfahrung. Wenn wir das Fleisch irgendwie einschränken wollen, rebelliert es sofort dagegen, „weil die Gesinnung des Fleisches Feindschaft ist gegen Gott, denn sie ist dem Gesetz Gottes nicht untertan, denn sie vermag es auch nicht“ (Röm 8,7). Daher ist es kontraproduktiv, uns gesetzlichen Zwängen zu unterwerfen, um die Heiligkeit zu vervollkommnen. Denn das Halten des Gesetzes bringt nur den moralischen „Tod“ in denen hervor, die sich seinen Anforderungen unterwerfen. Gesetzliche Christen wissen das offensichtlich nicht und stellen ihre Bekehrten weiterhin unter das Gesetz. Je eher wir das lernen, desto besser, denn nur dann werden wir aufhören, den Erfolg im Halten des Gesetzes zu suchen.

Paulus verwendet hier eine Formulierung, die in seiner Lehre einzigartig ist („im Fleisch“). Es gibt noch andere solcher Ausdrücke:

  • „In Adam“ ist unsere alte Stellung vor Gott (1Kor 15,22).
  • „In Christus“ ist unsere neue Stellung vor Gott (Röm 3,24).
  • „Im Fleisch“ ist unser alter Zustand (Röm 7,5).
  • „Im Geist“ ist unser neuer Zustand (Röm 8,9).

Zu beachten ist: Wir sind zwar nicht im Fleisch, aber das Fleisch ist noch in uns. Es wird erst verschwinden, wenn wir beim Herrn sind.

Vers 6

Paulus fasst das Vorangegangene zusammen, indem er sagt:

Röm 7,6: Jetzt aber sind wir von dem Gesetz losgemacht, da wir dem gestorben sind, in dem wir festgehalten wurden, so dass wir in dem Neuen des Geistes dienen und nicht in dem Alten des Buchstabens.

Damit fasst er das Prinzip zusammen, mit dem sich diese Kapitel grundlegend beschäftigen. Es ist einfach so: Wir können nicht in dem lebendig sein, dem wir gestorben sind – sei es in Verbindung mit der Sünde oder dem Gesetz. Das Gesetz ist nicht aufgehoben, nichtig oder verschwunden; es ist der Gläubige, der verschwunden ist. Er ist tot, weil er mit dem Tod Christi einsgemacht ist. Der jüdische Gläubige steht also nicht mehr unter dem Gesetz.

Gottes Weg der praktischen Heiligung führt also nicht über das Halten des Gesetzes. Das Halten des Gesetzes zur Heiligung ist ein fleischliches Prinzip, das davon ausgeht, der Mensch hätte die Kraft, Gutes zu tun. Es ist nicht Gottes Weg der praktischen Heiligung. Der gesetzliche Christ argumentiert, der Gläubige könne das Gesetz halten, weil er eine neue Natur und den innewohnenden Heiligen Geist hat, die ihn dazu befähigen würden. Es stimmt, dass die neue Natur (die uns das rechte Verlangen gibt) und der Heilige Geist (der die Kraft gibt) den Gläubigen befähigen, in Heiligkeit zu wandeln. Aber der Gläubige tut es nicht aufgrund gesetzlicher Forderungen, sondern weil Christus sein Ziel ist. Wenn er sich mit Christus beschäftigt, geht der Gläubige in der Praxis weit über die moralischen Anforderungen des Gesetzes hinaus. In Galater 5,22.23 zählt Paulus eine Reihe von Dingen auf, die „Frucht des Geistes“ im Gläubigen sind: „Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit“. Dann fügt er hinzu: „Gegen solche Dinge gibt es kein Gesetz.“ Das heißt: Es gibt kein Gesetz, das dem Gläubigen auferlegt werden kann, das diese Dinge hervorbringen könnte! In Gottes System der Gnade bewegt sich der Gläubige auf einer viel höheren Grundlage als dem gesetzlichen Gehorsam im Gesetz des Mose.

Eine Darstellung der Macht der Liebe

Die folgende Illustration gibt den Sinn dieses neuen Grundsatzes des christlichen Lebens wieder. Ein Mann mit beträchtlichem Vermögen stellt ein Hausmädchen ein, das sein Haus putzen soll, während er an seinem Arbeitsplatz ist. Ihre Pflichten sind auf einer detaillierten Liste festgehalten, die er an der Wand anbringt. Zehn Aufgaben stehen darauf. Gemäß dieser vertraglichen Vereinbarung ist sie verpflichtet, diese Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen zu erledigen. Dafür wird sie entsprechend bezahlt. Nach und nach findet der Mann Gefallen an dem Mädchen. Sie verlieben sich und heiraten. Nach ihrer Rückkehr aus den Flitterwochen reißt er die Liste von der Wand, da ihre Beziehung nun nicht mehr auf einem Vertrag beruht. Doch als er von der Arbeit zurückkehrt, stellt er fest, dass sie genau diese Dinge auf der Liste getan hat, obwohl sie nicht mehr an diesen Vertrag gebunden ist! Sie hat sogar Dinge für ihn getan, die nicht einmal auf der Liste standen! Und das alles mit mehr Begeisterung und Freude als je zuvor! Was ist hier geschehen? Die Macht der Gnade und der Liebe wurde dem Mädchen von dem Mann zuteil, der ihr Herz gewonnen hatte. Das brachte sie dazu, ihm gefallen zu wollen – und es machte ihr Freude, dies zu tun.

So haben wir durch die Gnade, die durch die Gerechtigkeit im Herzen des Gläubigen regiert, Gottes Weg der Heiligung: Er wird durch die Kraft des Heiligen Geistes bewirkt. Nach diesem Prinzip sind wir in der Lage, „in dem Neuen des Geistes zu dienen und nicht in dem Alten des Buchstabens“.

Ein kurzer Blick auf die Lehre der Befreiung in Römer 5,12–7,6

Bei der Betrachtung der vielen Details, die Paulus in diesem Teil des Briefes behandelt hat, ist es gut möglich, dass man den Faden seiner Lehre über die Befreiung verloren hat. Daher ist ein kurzer Rückblick angebracht:

  • In Römer 5,12-21 lehrt Paulus uns, wie wir die Sündennatur bekommen haben, von der wir so dringend Befreiung brauchen: durch Adams Fall. Er lehrt uns auch: Wir als Gläubige an den Herrn Jesus Christus stehen nicht mehr unter Adams Haupt und sind somit nicht mehr Teil dieses alten Geschlechts, was unsere Stellung vor Gott betrifft. Er erklärt, dass wir jetzt „als Gerechte eingesetzt“ sind und zu einem neuen Menschengeschlecht gehören, das unter dem Haupt Christi steht und in dem die Gnade durch die Gerechtigkeit zum ewigen Leben regiert.

  • In Römer 6,1-10 erklärt Paulus, wie dieser Übergang von Adams Haupt hin zu Christus für den Gläubigen vollzogen worden ist. Als unser Haupt hat sich Christus durch seinen Tod von dem gesamten System der Sünde unter Adam getrennt. Damit hat Er auch uns von diesem System getrennt. Durch unsere Einsmachung mit dem Tod Christi sieht Gott uns als „tot“ an und damit als getrennt von Adams Geschlecht und dem Prinzip der Sünde, das es beherrscht (Röm 6,7). Paulus benennt unsere Taufe als Zeichen dieser großen Veränderung. Er weist auch auf das Kreuz als den Ort hin, an dem Gott diese ganze sündige Ordnung der Dinge durch die Kreuzigung des „alten Menschen“ gerichtet hat. Darüber hinaus ist Christus durch seine „Auferweckung von den Toten“ in eine neue Sphäre des Lebens eingetreten, in der „er Gott lebt“. Und dieser Ort steht nun allen offen, die zu seinem neuen Geschlecht gehören; dort können sie „mit ihm“ in Freiheit von der Sünde leben (Röm 6,8-10).

  • In Römer 6,11.12 ermahnt Paulus den Gläubigen, mit Gott zu „rechnen“ (= „es für wahr zu halten“). Wir sollen verstehen, dass diese Dinge, die für Christus gelten, auch für uns gelten. Aufgrund unserer Einsmachung mit dem Tod Christi dürfen wir uns also als „tot für die Sünde“, aber „lebendig für Gott“ betrachten in der neuen Sphäre des Lebens, in der Christus für Gott lebt.

  • Römer 6,13.14: Nachdem wir uns mit Christus und seinen Interessen beschäftigt haben, wo Er in der Auferstehung für Gott lebt, werden wir ermahnt, uns Ihm hinzugeben. Wir sollen damit beginnen, Gerechtigkeit zu praktizieren, eine Tat nach der anderen. Und durch die Regelmäßigkeit guter Gewohnheiten werden wir zu Dienern der Gerechtigkeit. Nach dem Prinzip der Ersetzung wird dem Fleisch also keine Gelegenheit gegeben, in unserem Leben zu wirken.

  • In Römer 6,15-23 warnt Paulus uns davor, unser Leben im Fleisch zu leben, da das Fleisch so die Kontrolle über uns erlangt und wir unter seine Knechtschaft geraten. Deshalb ist es unerlässlich, dass wir praktisch in der richtigen Sphäre des Lebens leben, in der es neue Dinge gibt („das, was des Geistes ist“, Röm 8,5), die unsere Herzen beschäftigen. Er zeigt auch, dass der Wandel in der Heiligkeit eine fortschreitende Sache ist: Je mehr wir die Gerechtigkeit als Gewohnheit praktizieren, desto heiliger werden wir.

  • Schließlich wird in Römer 7,1-6 der Grundsatz der Einsmachung des Gläubigen mit dem Tod Christi auf die Menschen angewandt, die unter dem Gesetz sind. Da sie mit Christus tot sind und das Gesetz keine Herrschaft über einen toten Menschen hat, ist der Gläubige von der Knechtschaft des Gesetzes befreit.

EIN EINSCHUB (Röm 7,7-25): DER PROZESS DER ERFAHRUNG, DEN EINE SEELE DURCHLÄUFT, WENN SIE LERNT, DIE GRUNDSÄTZE DER BEFREIUNG ANZUWENDEN

An dieser Stelle des Textes wird eine lange Klammer eingefügt, um uns zu zeigen, dass wir die Befreiung von der Macht und dem Wirken der Sündennatur nicht aus eigener Kraft erreichen können. Dies ist eine wichtige Lektion, die wir lernen müssen, und in den meisten Fällen wird sie nur langsam gelernt. Der Grund dafür: Wir verstehen nicht, dass wir nicht nur schlechte Dinge getan haben, sondern auch selbst durch und durch schlecht sind. Es gibt nichts, was uns von Natur aus zu einem heiligen Leben befähigen könnte. Daher ist es sinnlos, in uns selbst nach Erlösung von der Sünde zu suchen. Das müssen wir lernen. Das Problem: Wir sehen unsere Machtlosigkeit nur langsam ein. Wir glauben, noch etwas Gutes in uns zu finden – sei es auch nur ein bisschen –, und versuchen deshalb, den Prozess zu unterstützen. Aber das ist eine Formel zum Scheitern. Deshalb ist es notwendig, eine praktische Erfahrung mit der wahren Verdorbenheit unseres Fleisches zu machen. So können wir uns von uns selbst abwenden und uns Christus zuwenden, um praktische Befreiung zu erlangen. In diesem Einschub veranschaulicht Paulus den Prozess, den ein Mensch durchläuft, wenn er lernt, sich selbst aufzugeben und Gottes Prinzipien der Befreiung (wie in Römer 6 beschrieben) anzuwenden. Diese führen zur Befreiung und zur praktischen Heiligung.

Der Zweck des Gesetzes

Paulus hat uns gerade gelehrt, dass Gläubige an den Herrn Jesus Christus nicht unter dem Gesetz stehen, weil sie mit Christus gestorben sind (Röm 7,1-6). Viele Christen akzeptieren diese Wahrheit intellektuell, glauben aber, es wäre eine gute Lebensregel, die sie für ein heiliges Leben befolgen sollten. Mit guten Absichten versuchen sie vielleicht, nach den Zehn Geboten oder einem anderen selbstauferlegten Regelwerk zu leben. Das ist gut gemeint, aber es ist nicht Gottes Weg der praktischen Heiligung.

Wer so argumentiert, hat nicht gelernt, was Paulus uns in Römer 7,5 gelehrt hat: Alle derartigen Bemühungen sind kontraproduktiv und erregen nur das Fleisch. Diejenigen, die gesetzliche Prinzipien anwenden, um das Fleisch zu zügeln, werden erleben, wie das Fleisch sein hässliches Haupt stärker denn je erhebt! Da wir diese Wahrheit nicht nur lehrmäßig, sondern auch praktisch lernen müssen, demonstriert Paulus diesen Vorgang in Römer 7,7-25.

Dieser ganze Einschub ist in der ersten Person Singular geschrieben. Das betont die Tatsache, dass jeder Gläubige für sich selbst lernen muss, die Befreiung von der Macht der Sünde nicht in eigener Anstrengung zu suchen. Vers 14a ist eine Ausnahme, weil er von normaler christlicher Erkenntnis spricht: „Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist“ (Röm 7,14a). In der Regel ist es so: Wenn Paulus von dem spricht, was die Christen gemeinsam haben – entweder in Bezug auf unsere Stellung und unseren Zustand oder auf unser Wissen –, sagt er: „Wir haben“ (Röm 5,1.2.11 usw.), oder: „Wir wissen“ (Röm 7,14; 8,22). Abgesehen von dieser einen Ausnahme verwendet der Apostel im gesamten Text „ich“. So stellt er hier einen Menschen dar, der ein Kind Gottes ist; seine Erfahrungen aber sind nicht normale christliche Erfahrungen.

Wer ist die Person in dem Kampf, der in Römer 7 beschrieben wird?

Viele denken, dass Paulus sich auf seine eigenen persönlichen Erfahrungen bezieht, weil er in der ersten Person spricht. Aber das kann nicht sein, denn er sagt: „Ich aber lebte einst ohne Gesetz“ (Röm 7,9). Paulus war vor seiner Errettung nie in dieser Position gewesen. Er wurde als strenger Pharisäer erzogen, der von Geburt an unter dem Gesetz lebte (Apg 23,6; 26,5; Phil 3,5). Wenn es nicht Paulus selbst ist, auf wen bezieht er sich dann? Ist es ein Ungläubiger? Nein, ein Ungläubiger kann es nicht sein, denn er sagt: „Ich habe Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen“ (Röm 7,22). Ein solches Verlangen kann nur ein Mensch mit einer neuen Natur haben – also jemand, der wiedergeboren ist. Spricht er also von einem Christen? Nicht ganz. Dieser Mensch ist zwar aus Gott geboren und daher ein Kind Gottes, aber der Zustand, in dem er sich befindet, ist sicher nicht der eines Christen. Er sagt: „Ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft“ (Röm 7,14). In der Knechtschaft der Sünde zu sein, so wie dieser Mensch, kann kaum ein christlicher Zustand sein. Ein Christ ist jemand, der auf dem vollendeten Werk Christi ruht und weiß, dass seine Sünden weg sind. Der Heilige Geist wohnt in ihm. Dadurch hat er Frieden mit Gott und Befreiung von der Sünde. Dieser Abschnitt beschreibt keine Person in diesem Zustand.

Erweckt, aber noch nicht errettet

Was für einen Menschen beschreibt Paulus dann? Es ist eine erweckte Seele (ein Kind Gottes), die noch keinen Frieden und keine Befreiung hat. Sie wurde noch nicht mit dem Heiligen Geist versiegelt. Das Werk Gottes hat in der Seele des Menschen begonnen, aber es ist noch nicht vollendet. Daher ist die Person zwar erweckt, aber noch nicht errettet. Wie bereits erwähnt, hat „errettet“ – im Bezug auf Handeln Gottes an den Seelen, um sie von der Strafe ihrer Sünden zu befreien – nach Paulus folgende Bedeutung: Ein Gläubiger kommt im Vertrauen auf das vollendete Werk Christi zur Ruhe und wird mit dem Heiligen Geist versiegelt (Eph 1,13). Diese beispielhafte Person ist noch nicht so weit. So seltsam es auch klingen mag, sie ist weder errettet noch verloren! Das mag für evangelikale Christen ein Schock sein, denn sie lehren und predigen: Alle Menschen sind entweder errettet oder verloren und es gibt nichts dazwischen. Dies ist jedoch das, was die Schrift lehrt. In Bezug auf diesen Mann in Römer 7 sagt Clifford Henry Brown (1884–1973): „Er ist halb errettet!“ Er ist sicher, was sein ewiges Schicksal angeht (weil er göttliches Leben hat), aber er ist nicht errettet in der paulinischen Bedeutung des Wortes. Kornelius ist ein Beispiel aus dem echten Leben für eine Person, die sich in diesem Zwischenstadium befindet. Bevor Petrus ihm begegnete, war er nicht verloren. Er war offensichtlich aus Gott geboren, denn er war ein gottesfürchtiger frommer Mann, ein Mann, dessen Gebete von Gott angenommen wurden (Apg 10,2-4). Er war ein Mann, von dem der Herr zu Petrus sagte, dass Er ihn gereinigt hatte (Apg 10,15.28). Aber er war nicht errettet! Petrus sollte ihm „Worte“ sagen, durch die er und sein ganzes Haus „errettet“ werden könnten (Apg 11,14). Diese Tatsache unterstreicht diese Behauptung.

In diesem Zustand, der hier in Römer 7 beschriebenen wird, bemüht sich der Mensch, die Anforderungen des Gesetzes (oder eine Reihe selbstauferlegter Regeln) zu erfüllen. Er scheitert aber, weil seine alte Natur die Oberhand gewinnt. Sein Problem: Er sucht die Befreiung durch seine eigenen Anstrengungen und das ist nicht möglich. Das muss er aus Erfahrung lernen.

„Wiedergeboren“ und „errettet“ sind keine synonymen Begriffe

Die Schrift unterscheidet zwischen „wiedergeboren“ (erweckt) und „errettet“. Die Wiedergeburt hat mit der Verleihung des göttlichen Lebens an einen Menschen zu tun (Joh 3,3-5; Jak 1,18; 1Pet 1,23). Sie ist der Beginn von Gottes Werk in einer Seele. Die Errettung hingegen ist die Vollendung dieses Werkes und wird als solche dadurch bestätigt, dass der Gläubige mit dem Geist versiegelt wird (Eph 1,13). Die Befreiung von der Macht der Sünde ist mit der Errettung einer Seele im vollen christlichen Sinn des Wortes verbunden, wie wir noch sehen werden. J.N. Darby sagt:

Eine innere Erweckung wird in der Schrift nie als Errettung bezeichnet; die Idee der Wiedergeburt ist verlorengegangen. Kornelius war zweifellos erweckt worden, aber ihm wurde gesagt, er solle Männer zu Petrus schicken, damit er Worte hörte, durch die er errettet werden kann. […] Ich kann nicht sagen, dass ein Mensch errettet wird, wenn sein Gewissen nicht gereinigt ist. Die Kirche hat den Gedanken an die Errettung verloren. Die Menschen glauben, es reiche aus, von neuem geboren zu werden. Die Wiedergeburt wird mit dem Leben verwechselt. […] Ein Verlangen nach Heiligkeit wäre ein Beweis für eine belebte Seele. Ich sage nicht, dass er errettet ist; die Schrift sagt das nicht.[5]

Kelly sagt:

In der Tat glaube ich, es ist ein großer Fehler, Errettung zu billig und zu gewöhnlich zu machen. Sie werden viele Evangelikale finden, die ständig sagen, ein Mensch sei errettet, wenn er sich bekehrt hat – obwohl es wahrscheinlich verfrüht ist, dies zu sagen. Wenn er sich wirklich bekehrt hat, wird er errettet sein. Aber es ist nicht gerechtfertigt, zu sagen, jeder bekehrte Mensch sei errettet. Denn er kann vielleicht noch unter Zweifeln und Ängsten leiden. „Errettung“ befreit von jeglichem Gefühl der Verdammnis – sie bringt einen zu Gott, wissend, frei in Christus zu sein, nicht nur mit dem ernsten Wunsch nach Gottesfurcht. Eine Seele ist nicht bekehrt, wenn sie nicht im Gewissen zu Gott gebracht wird. Aber dann könnte man in diesem Zustand noch elender und fast verzweifelt sein. Erlaubt uns die Schrift, einen solchen Menschen „errettet“ zu nennen? Gewiss nicht. Wer „errettet“ ist, ist durch den Glauben gerechtfertigt und hat Frieden mit Gott. […] Daher ist es ein Fehler, eine Person als errettet zu betrachten, die nicht durch unseren Herrn Jesus Christus in eine glückliche Beziehung zu Gott gebracht worden ist.[6]

Die Person, die Paulus in diesem Abschnitt in Römer 7 hypothetisch beschreibt, befindet sich in dem Zustand, von dem Darby und Kelly sprechen. Sie befindet sich, was ihre Erfahrung betrifft, zwischen der Wiedergeburt und der Errettung. Zu beachten ist: Es wird hier nicht erwähnt, ob die Person auf das vollendete Werk Christi vertraut oder ob sie das innewohnende Siegel des Geistes hat. In der Tat kann man diesen Abschnitt nicht lesen, ohne dass einem das Fehlen dieser beiden Aspekte auffällt. Dennoch gibt es einen untrüglichen Beweis dafür, dass sie aus Gott geboren ist (Röm 7,22).

Vier Entdeckungen

Wie bereits erwähnt, beschreibt Paulus in diesem Abschnitt den Prozess, den eine erweckte Seele durchläuft, um Befreiung zu erlangen. Es ist wirklich eine Reihe von vier Entdeckungen, die ein Mensch macht, wenn er errettet wird – auch wenn er sich dessen nicht völlig bewusst ist. (Wir sagen dies, weil diejenigen, die in der Kindheit errettet wurden, diesen Kampf normalerweise erst dann in nennenswertem Umfang erleben, wenn sie auf das Werk Christi vertrauen. Oft machen sie eine ähnliche Form davon irgendwann nach ihrer Errettung durch. Galater 5,16.17 beschreibt dies. Es ist ähnlich, aber nicht genau dasselbe. Galater 5 beschreibt eine Person mit dem Heiligen Geist, während die Person in Römer 7 den Geist nicht hat.)

Diese Entdeckungen werden in der zweiten Hälfte von Kapitel 7 wie folgt beschrieben:

1. Er entdeckt die Anwesenheit und Aktivität der sündigen Natur in seiner Seele

Im vorangegangenen Abschnitt, der sich mit den Sünden befasst hat, erklärt Paulus, dass das Gesetz das Gewissen der Menschen erleuchtet und ihnen zeigt, dass sie gesündigt haben (Röm 3,19.20). Es bezeugt die Tatsache, dass alle gesündigt haben und der Herrlichkeit Gottes nicht gerecht werden (Röm 3,23; 1Tim 1,8-10; Jak 2,9.10). In diesem Abschnitt, der sich nun mit dem Thema Sünde (der bösen Natur im Menschen) befasst, zeigt Paulus: Das Gesetz veranlasst auch eine erweckte Seele dazu, das Vorhandensein der sündigen Natur in sich selbst zu erkennen und sich so bewusstzumachen, dass sie in einem sündigen Zustand vor Gott ist.

Verse 7.8

Wie bereits erwähnt, ist das erste Werk Gottes in unserer Seele die Verleihung des göttlichen Lebens durch die Wiedergeburt (Erweckung). Dadurch wird uns Gott auf eine neue Weise bewusst. Das Ergebnis des göttlichen Lebens ist ein echtes Streben nach Gott und nach Heiligkeit. Wenn ein Mensch eine Erziehung erfahren hat, in der er dem Gesetz ausgesetzt war – wie Paulus hier annimmt –, wird er ernsthaft versuchen, die Forderungen des Gesetzes zu erfüllen. Da er nur begrenzte Einsicht hat, wird er annehmen, das Halten des Gesetzes sei der Weg zur Heiligkeit, ohne zu wissen, dass dies nicht Gottes Weg der praktischen Heiligung ist.

Da das Halten des Gesetzes nicht Gottes Weg zur Heiligkeit ist, könnte man daraus schließen: Das Gesetz ist nutzlos, ja sogar sündhaft. Paulus nimmt diese fehlerhafte Annahme vorweg und sagt:

Röm 7,7.8: 7 Was sollen wir nun sagen? Ist das Gesetz Sünde? Das sei ferne! Aber die Sünde hätte ich nicht erkannt als nur durch Gesetz. Denn auch von der Begierde hätte ich nichts gewusst, wenn nicht das Gesetz gesagt hätte: „Du sollst nicht begehren.“ 8 Die Sünde aber, durch das Gebot Anlass nehmend, bewirkte jede Begierde in mir.

Das zeigt, dass das Gesetz durchaus einen Nutzen hat. Das zehnte Gebot, das Paulus hier zitiert, unterscheidet sich von den anderen neun, da es sich nicht auf eine böse Handlung bezieht, sondern auf eine Begierde im Herzen. Wir werden durch dieses Gebot verurteilt, ohne eine konkrete Sünde begangen zu haben. So wird uns bewusst, dass wir eine verdorbene Natur haben. Das Gesetz spricht zwar die Sünden (böse Taten) an, aber wir brauchen es kaum, um uns zu sagen, dass wir Unrecht getan haben, denn wir haben ein Gewissen. Aber das Gewissen wird uns nicht unseren inneren Zustand der Sünde offenbaren. Das Gesetz hingegen veranlasst die erweckte Seele, das Vorhandensein ihrer bösen Natur zu entdecken. J.N. Darby bemerkt:

Das Gesetz hat seinen Nutzen, nämlich das Bewusstsein dafür zu bekommen, was wir sind – was unser Zustand ist. War es die Schuld des Gesetzes, diese Herrschaft der Sünde, während wir unter ihr waren? Nein, es war die Schuld der Sünde und der Begierde, die das Gesetz verdammte. Aber der Apostel sagt: „Denn auch von der Begierde hätte ich nichts gewusst, wenn nicht das Gesetz gesagt hätte: ,Du sollst nicht begehren.‘“ Hätte er gemordet, so hätte er es gewusst; sein natürliches Gewissen hätte es zur Kenntnis genommen. Aber wir sprechen jetzt nicht von Sünden (wie zuvor), sondern von der Sünde. Das hätte ich nicht gewusst, wenn nicht das Gesetz seine ersten Handlungen als böse behandelt hätte. Viele begehen keine Verbrechen – weder morden sie noch stehlen sie noch begehen sie Ehebruch. Aber wer hat noch nie begehrt? […] Hier geht es darum, die böse Natur durch ihre erste Regung – die Lust – zu erkennen. Nicht, was wir getan haben, sondern was wir sind.[7]

Wenn wir also zulassen, dass das zehnte Gebot des Gesetzes uns prüft, wird es uns zeigen, wie wir vor Gott sind, was unsere Natur betrifft.

Paulus sagt: „Denn ohne Gesetz ist die Sünde tot.“ Das heißt, bevor das Gesetz auf die Seele eines Menschen einwirkt, ist er sich des Vorhandenseins und der Aktivität seiner Sündennatur nicht bewusst. In diesem Zustand ist er sich des Wirkens der Sünde in seinem Innern nicht bewusst, weil sein Gewissen noch nicht von der autoritativen Stimme der heiligen Forderungen Gottes durchdrungen ist. Der Mensch lebt nach der unwiderstehlichen Energie der Sünde und wird unbewusst von ihrer Kraft mitgerissen. In diesem Zustand ist es ihm nicht möglich, die Gegenwart der Sündennatur wahrzunehmen, weil er mit ihr „absolut einsgemacht“ ist.

Verse 9.10

Röm 7,9.10: 9 Ich aber lebte einst ohne Gesetz; als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf; 10 ich aber starb. Und das Gebot, das zum Leben gegeben war, dieses erwies sich mir zum Tod.

Paulus sagt (hypothetisch): „Ich aber lebte einst ohne Gesetz.“ Das heißt, im Zustand des „Sündentodes“ lebte er hier auf der Erde unter dem Diktat der Sünde, aber ohne sich ihrer Macht und Knechtschaft bewusst zu sein. Doch als Gott begann, in seiner erweckten Seele zu wirken, änderte sich alles. Er sagt: „Als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf; ich aber starb.“ Als die Stimme Gottes im Gesetz zu seiner erweckten Seele kam, rief sie die Sünde auf den Plan: „Die Sünde lebte auf.“ Das Gesetz zog eine Grenze und verbot ihm, sie zu überschreiten. Es sagte: „Du sollst nicht begehren.“ Die Sünde reagierte prompt, indem sie diese Grenze überschritt. Der Mensch begehrte in seinem Herzen genau das, was das Gesetz verbot. Und als Folge des Gesetzesbruchs verurteilte ihn das Gesetz als Übertreter zum Tod. Daher sagt er: „Ich aber starb.“ Er schlussfolgert: „Und das Gebot, das zum Leben gegeben war, dieses erwies sich mir zum Tod.“ Das heißt, das Gesetz stellt uns das Leben vor Augen, indem es sagt: „Tu dies, und du wirst leben“ (Lk 10,28). Aber da er seine Forderungen nicht erfüllte, verurteilte es ihn zum Tod. Melmoth Caulfield Gahan (1845–1916) sagt:

Ein Schwimmer, der träumend mit der Strömung treibt, nimmt die Kraft der Strömung nicht wahr, während er so mit ihr hinuntertreibt, da er in Bewegung und absolut mit ihr verbunden ist. Jede Bewegung der Strömung ist seine eigene Bewegung. Ihre lebendige Energie ist für ihn nur eine tote und unbekannte Größe. Doch während er so lustlos die vergehenden Augenblicke genießt, erreicht ihn eine Stimme vom Ufer und warnt ihn ernst und eindringlich vor dem verborgenen Wasserfall, zu dem ihn die tückische Strömung mit Sicherheit hintreibt. Und was nun? Um es noch einmal mit den Worten der Heiligen Schrift zu sagen: „Als aber das Gebot kam, lebte die Sünde auf; ich aber starb.“ Wenn man die Warnung beherzigt, ist die Trägheit im Handumdrehen verschwunden. Der Schwimmer, erschrocken über die plötzlich entdeckte Gefahr, versucht, mit aller Kraft gegen die Strömung anzukommen, die ihn einst völlig ungestört auf ihrem Schoß trug. Ihrer lebendigen Kraft ist er sich nun vollkommen bewusst geworden. Sie ist nun in unbesiegbare Macht für ihn, und mit ihr ist das Todesurteil. Denn die eigene Anstrengung erweist sich als völlig vergeblich: „Ich aber starb.“[8]

Verse 11-13

Röm 7,11-13: 11 Denn die Sünde, durch das Gebot Anlass nehmend, betrog mich und tötete mich durch dasselbe. 12 Also ist das Gesetz heilig und das Gebot heilig und gerecht und gut. 13 Gereichte nun das Gute mir zum Tod? Das sei ferne! Sondern die Sünde, damit sie als Sünde erschiene, indem sie mir durch das Gute den Tod bewirkte, damit die Sünde überaus sündig würde durch das Gebot.

Paulus sagt (hypothetisch), die Sünde hatte ihn völlig „betrogen“, indem sie ihn unempfänglich für seinen beklagenswerten Zustand machte. Außerdem habe sie ihn durch das zehnte Gebot „getötet“. Die Frage ist: „Wer ist schuld an diesem Tod?“ Man könnte meinen, dass das Gesetz eine böse Sache sein muss, da es Lust in der Seele hervorruft und den Tod verursacht. Paulus beschreibt das Gesetz allerdings keineswegs als böse, sondern als „heilig, gerecht und gut“. Das Gesetz ist also nicht schuld an diesem Tod. Dann fragt er: „Gereichte nun das Gute mir zum Tod?“ Das heißt, war es das Gesetz, das gestorben ist? Er antwortet: „Das sei ferne!“ Nicht das Gesetz ist gestorben, sondern er selbst ist gestorben! Das Gesetz (insbesondere das zehnte Gebot) lässt die Sünde nur so „erscheinen“, wie sie wirklich ist. Es bringt den wahren Charakter der Sündennatur als „äußerst sündhaft“ ans Licht.

Das Gesetz wird also nicht nur dazu führen, dass ein Mensch entdeckt, dass er gesündigt hat. Es wird es ihm auch zeigen, dass sein Zustand auch äußerst sündhaft ist – wenn es richtig verstanden wird. J.N. Darby sagt:

Das Gesetz gilt für den Menschen im Fleisch. Wir aber sind gestorben, wir sind nicht im Fleisch: Als wir im Fleisch waren, galt es. Es galt für das Fleisch, provozierte die Sünde und verdammte den Sünder. Aber er starb, als er unter dem Gesetz war – er starb unter dem Gesetz in Christus.[9]

Das zeigt: Das Gesetz erfüllt einen Zweck. Indem es die Lust im menschlichen Herzen verurteilt, zeigt es, dass alle Menschen eine sündige Natur haben – denn wer hat nicht begehrt? Und wenn der Mensch das Gesetz nicht hält, verurteilt es ihn zum Tod. Da das Gesetz aber den Tod in ihm bewirkt hat, kann es nicht mehr auf ihn angewandt werden, denn es hat einem toten Menschen nichts mehr zu sagen. Er ist also frei von ihm (Röm 6,7)! Diese Erkenntnis ist wichtig, um Befreiung zu erlangen, denn diese wird nicht durch das Gesetz erfolgen. Es erkennt die Begierde, aber es wird sie nicht beseitigen.

2. Er entdeckt, dass er in sich selbst keine Macht hat, seine sündige Natur zu kontrollieren

Vers 14

Röm 7,14: Denn wir wissen, dass das Gesetz geistlich ist, ich aber bin fleischlich, unter die Sünde verkauft; denn was ich vollbringe, erkenne ich nicht.

Nachdem wir das Vorhandensein und die Aktivität der sündigen Natur in unserer Seele entdeckt haben, sind wir oft langsam dabei, den wahren Charakter des Fleisches zu akzeptieren: dass es unverbesserlich schlecht ist. Da dies aber der Fall ist, müssen wir diese traurige Tatsache durch Erfahrung lernen – und das kann bitter und furchtbar demütigend sein.

Eine erweckte Seele, die Befreiung sucht, wird ein echtes Verlangen haben, Gott zu gefallen. Sie wird mit einem ehrlichen Versuch reagieren, die Aktivität ihrer sündigen Natur zu kontrollieren. Da dieser Mensch in diesem Stadium seiner Erfahrung nur ein begrenztes Verständnis von Gottes Weg der Befreiung hat, wird er denken, es sei seine Pflicht, das Fleisch zu bekämpfen, um es niederzuhalten. So beginnt ein ernsthafter Kampf. Aber dabei muss er eines immer wieder entdecken, und das fand auch schon Philip Melanchthon (Martin Luthers engster Freund). Er sagte: „Der alte Adam ist zu stark für den jungen Philip!“ Auch wenn Melanchthons Verwendung von „Adam“ – anstelle von „Fleisch“ – lehrmäßig nicht korrekt ist, verstehen wir sehr gut, was er meinte.

Das eigentliche Bild hier ist das eines Menschen (in Bezug auf sein Gewissen), der unter dem Gesetz steht und im Fleisch darum kämpft, die Forderungen des Gesetzes zu erfüllen, aber ständig versagt. Anstatt Befreiung zu finden, bringt das Fleisch ihn umso mehr in die Gefangenschaft, je mehr er sich abmüht. Auf diesem Weg findet er keine Befreiung. In seinem Unvermögen, den Anforderungen des Gesetzes zu entsprechen, rechtfertigt er das Gesetz zu Recht, indem er erklärt, es sei „geistlich“; das Problem, so folgert er zu Recht, liegt bei ihm selbst – er ist „fleischlich“ und „verkauft“ (als Sklave) „unter die Sünde“ (seinen Herrn).

Verse 15-18

Paulus beschreibt den Kampf:

Röm 7,15-18: … 15 Denn was ich vollbringe, erkenne ich nicht; denn nicht das, was ich will, tue ich, sondern was ich hasse, das übe ich aus. 16 Wenn ich aber das, was ich nicht will, ausübe, so stimme ich dem Gesetz bei, dass es recht ist. 17 Nun aber vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde. 18 Denn ich weiß, dass in mir, das ist in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt; denn das Wollen ist bei mir vorhanden, aber das Vollbringen dessen, was recht ist, finde ich nicht.

(Bevor wir fortfahren, sollten wir etwas bedenken: Es handelt sich hier nicht um einen Kampf um Vergebung, Rechtfertigung und Erlösung von der Strafe für die eigenen Sünden. Vielmehr ist es ein Kampf um die Befreiung vom Wirken seiner sündigen Natur. Er sucht also nicht nach Befreiung von der ewigen Strafe für die Sünde, sondern von der gegenwärtigen Macht der Sünde.) Es gibt gute Dinge, die er tun möchte, aber schließlich tut er sie nicht. Und es gibt schlechte Dinge, die er nicht tun will, die er dann aber doch tut! Durch wiederholtes Versagen wird er frustriert und extrem unglücklich mit sich selbst, weil er immer wieder die Dinge tut, die er hasst, und er nicht die Kraft findet, damit aufzuhören! F.B. Hole sagt:

Erinnern wir uns an das, was wir in Kapitel 6 gelernt haben, denn dort wird uns der Weg gezeigt. Wenn wir uns im Glauben vergegenwärtigen, dass wir mit Christus in seinem Tod einsgemacht sind, verstehen wir, dass wir uns selbst der Sünde für tot halten, Gott aber leben sollen, und folglich haben wir uns selbst und unsere Glieder Gott darzustellen zu seinem Willen und Wohlgefallen. Unsere Herzen stimmen dem voll zu als recht und angemessen, und wir sagen zu uns selbst, vielleicht sogar mit lebhafter Begeisterung: „Genau! Das werde ich tun.“

Wir versuchen aufrichtig, den Entschluss in die Tat umzusetzen, und siehe da, wir erleiden einen sehr unangenehmen Schock. Unser Vorsatz ist bestens, aber irgendwie haben wir keine Kraft, ihn auszuführen. Wir sehen das Gute und anerkennen es in unserem Geist, aber wir versagen darin, es zu tun. Wir erkennen auch das Böse und missbilligen es, und doch sind wir darin verstrickt – eine sehr schmerzliche und demütigende Lage.[10]

Wir sehen: Der Wunsch, die im Gesetz vorgeschriebenen guten Dinge zu tun, reicht nicht aus, um dem Menschen die Kraft zu geben, sie zu tun. Sein Wunsch ist gut, aber es fehlt ihm an Kraft. Sein Problem: Er versucht aus eigener Kraft, das Gesetz zu halten und zu tun, was richtig und gut ist. Das zeigt sich in der wiederholten Verwendung der Pronomen der ersten Person – ich, mein, mich –, die in dieser Klammer über vierzigmal vorkommen! Jemand sagte einmal: „Er hat eine Überdosis Vitamin Ich zu sich genommen.“ Sein Fehler ist, etwas von sich selbst zu erwarten, was diese Befreiung bewirkt – oder zumindest dazu beiträgt. Im Grunde versucht er, es im Fleisch zu tun. Aber er merkt nicht, dass das Fleisch immer noch das Fleisch ist. Er versucht, etwas zu erreichen, was Gott für völlig unmöglich erklärt hat – nämlich das Fleisch dem Gesetz Gottes untertan zu machen (Röm 8,7). Das zeigt uns: Ein Mensch kann vielleicht ganz klar verstehen, dass die Befreiung von der Strafe für seine Sünden nicht durch eigene Anstrengungen erreicht werden kann. Aber dennoch ist es irgendwie möglich, zu denken, die Befreiung von der Macht der innewohnenden Sünde wäre etwas, was er durch seine eigenen Anstrengungen erreichen könnte. Die Wahrheit ist: Alle Aspekte der Erlösung geschehen durch Gott – in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – durch seine Gnade, und nur durch diese.

Wie bereits erwähnt, besteht das Problem darin, dass die hier dargestellte Person an der falschen Stelle nach der Kraft zur Befreiung sucht. Sie muss lernen, dass die Heilung nicht in ihr selbst, sondern in einem anderen liegt. Leider unterliegt ein Großteil der heutigen christlichen Psychologie und Seelsorge dieser Fehlinterpretation. Sie konzentriert sich auf die Person und ihr Problem, was das Problem nicht löst, sondern in manchen Fällen sogar noch verschlimmert. Durch Selbstbeobachtung wird es keinen Sieg geben. Die Person muss den Blick von sich selbst abwenden. Sie wird sich jedoch erst dann selbst aufgeben und aufhören, dort nach einer Lösung zu suchen, wenn sie ihre wahre Verdorbenheit versteht. Sie muss verstehen, dass sie nicht nur schlechte Dinge getan hat (Sünden), sondern dass sie selbst durch und durch schlecht ist (Sünde). Das ist eine wichtige Lektion, und diese zu lernen ist oft schmerzhaft. J.N. Darby sagt:

Die Lektion, zu lernen, dass ich keine Kraft habe, ist viel demütigender als die Tatsache, dass ich in einem vergangenen Lebensabschnitt bestimmte Sünden begangen habe.[11]

H. Smith sagt:

Drittens lernen wir in diesem Kampf eine weitere, ernste Wahrheit: Wir haben keine Kraft. Das ist vielleicht die schwierigste und demütigendste Wahrheit, die es zu lernen gilt.[12]

Aber wir müssen sie lernen. Wir könnten fragen: „Wie lernt ein Mensch seine völlige Verdorbenheit?“ Die Antwort lautet: „Indem er versucht, ein gutes und heiliges Leben zu führen.“ Das ist der eigentliche Grund, warum Gott zulässt, dass ein Mensch, der Befreiung sucht, durch diesen Kampf geht. Dabei darf die Person alles Menschenmögliche versuchen (aus ihrer eigenen Kraft heraus), um den Sieg über das Fleisch zu erringen. Dabei wird sie feststellen, dass es nichts gibt, was das bewirken kann. Dann erst wird sie anfangen, woanders nach Hilfe zu suchen. Je ernsthafter dieser Mensch im Fleisch versucht, das Richtige und Gute zu tun, desto besser wird er die Lektion lernen – denn dann wird er die Wahrheit über sich selbst herausfinden und die Suche in sich selbst aufgeben. In diesem Zusammenhang sagt J.N. Darby:

Lerne diese vier Worte gut: „Das Fleisch nützt nichts“ (Joh 6,63).[13]

Wenn wir dies bis zu einem gewissen Grad gelernt haben, werden wir mit Überzeugung sagen: „Denn ich weiß, dass in mir (d.h. in meinem Fleisch) nichts Gutes wohnt“ (Röm 7,18), und aufhören, in unserem Inneren nach der Lösung zu suchen. Beachte: Er sagt nicht: „Ich tue nichts Gutes“, sondern: „Ich weiß, dass in mir … nichts Gutes wohnt.“ Das zeigt wiederum, dass es nicht darum geht, was wir getan haben (Sünden), sondern was wir sind (Sünde). Diese große Tatsache über uns selbst zu erkennen, ist wichtig, denn es kann keinen wirklichen Fortschritt in der Heiligkeit geben, solange wir das nicht gelernt haben. Diese Erkenntnis an sich ist jedoch nicht das, was Befreiung bringt. Aber sie ist notwendig für diesen Prozess.

Diese Wahrheit – dass es im Menschen, im Fleisch nichts Gutes gibt – unterscheidet das Christentum von allen anderen Religionen der Welt. Die Religionen der Welt lehren, in jedem Menschen würde etwas Gutes stecken. Sie glauben, der Mensch wäre von Natur aus gut, auch wenn er schlechte Dinge tut. Das „Evangelium Gottes“ (Röm 1,1) hingegen verkündet: Der Mensch im Fleisch ist so unheilbar schlecht, dass Gott nicht versucht, die gefallene Natur des Menschen zu reparieren oder zu rehabilitieren. Stattdessen fängt Er neu an, indem Er dem Menschen durch die Wiedergeburt ein neues Leben und eine neue Natur verleiht. Dann arbeitet Er mit diesem neuen Leben und dieser neuen Natur (in den Gläubigen), um sie in den Segen einzuführen. In der Tat können beide Naturen (die alte und die neue) nicht verbessert werden! Die alte Natur ist so schlecht, dass sie nicht verbessert werden kann (deshalb verurteilt Gott sie, Röm 8,3). Die neue Natur (die das Leben Christi selbst ist) ist so gut und vollkommen, dass sie ebenfalls nicht verbessert werden kann! Die falschen Religionen der Welt gehen von der irrigen Annahme aus, der Mensch wäre von Natur aus gut. Sie lehren, Religion und religiöse Praktiken wären das, was der Mensch im Fleisch braucht – und dass diese Praktiken (ihrer Meinung nach) das Gute im Menschen zum Vorschein bringen und die Welt dadurch zu einem besseren Ort wird. Die Bibel lehrt jedoch, dass der Mensch nicht die Religion braucht, sondern ein neues Leben mit einer neuen Natur!

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der hier dargestellte Mensch im Zusammenhang mit dieser zweiten Entdeckung zwei Dinge lernt:

  • Es gibt nichts Gutes in ihm – er ist also völlig sündig.
  • Er hat keine Kraft, das Fleisch zu kontrollieren – er ist also völlig hilflos.

Das Problem des in diesem Einschub beschriebenen Menschen ist, dass er etwas Gutes in dem sucht, was Gott als nicht gut verurteilt hat (Röm 8,3). Er mag zwar innerlich der Wahrheit zugestimmt haben, dass keiner da ist, der Gutes tut, auch nicht einer (Röm 3,12; Pred 7,20), aber er hat offensichtlich nicht gelernt, „dass in mir, das ist in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt“ (Röm 7,18). Das zeigt: Das Anerkennen bestimmter Wahrheiten (oder vielleicht sogar das Aussprechen dieser Wahrheiten) sind nicht unbedingt dasselbe, wie sie zu kennen. Das Wort „wissen“ in diesem Vers ist oida im Griechischen und bezeichnet ein inneres, bewusstes Wissen und nicht ein bloßes, oberflächliches Wissen. Es besteht also ein Unterschied zwischen dem intellektuellen Verständnis dieser Wahrheit über uns selbst und dem Wissen, das sich aus der praktischen Umsetzung ergibt. Ein Beispiel dafür ist eine Gruppe von Studenten in einer Bibelschule, die sich mit dem Sündenfall befasste. Als der Lehrer hereinkam, sagten sie zu ihm: „Wir haben die Erbsünde in der Bibel gefunden!“ Er antwortete: „Aber habt ihr sie in euren Herzen gefunden?“ Das ist die Lektion, die der Mensch in diesem Kapitel lernen muss.

3. Er entdeckt, dass er zwei Naturen hat

Verse 19-23

Im Laufe des Kampfes macht der Mensch eine weitere Entdeckung: Er hat zwei widersprüchliche Naturen. Er sagt:

Röm 7,19-23: 19 Denn nicht das Gute, das ich will, übe ich aus, sondern das Böse, das ich nicht will, das tue ich. 20 Wenn ich aber das, was ich nicht will, ausübe, so vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde. 21 Also finde ich das Gesetz für mich, der ich das Rechte ausüben will, dass das Böse bei mir vorhanden ist. 22 Denn ich habe Wohlgefallen an dem Gesetz Gottes nach dem inneren Menschen; 23 ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das dem Gesetz meines Sinnes widerstreitet und mich in Gefangenschaft bringt unter das Gesetz der Sünde, das in meinen Gliedern ist.

Er erkennt also zwei gegensätzliche Prinzipien, die in seiner Seele wirken, und er kann sie klar unterscheiden: Es gibt das „Ich“, das gern Gutes tut, und das „Ich“, das Böses tut. Die Menschen nennen dies eine gespaltene Persönlichkeit, aber die Bibel führt dies darauf zurück, dass die von Gott Geborenen zwei Naturen haben. Das macht sie zu den einzigartigsten aller Geschöpfe Gottes. Engel, gefallene Menschen und alle Tiere in der unteren Schöpfung haben nur eine Natur, aber der Christ hat zwei Naturen. Eine seiner Naturen ist niedriger als die eines Tieres, die andere höher als die eines Engels!

Infolge dieser Entdeckung sieht sich der Mensch dann als getrennt von dem bösen Prinzip in ihm. Er sagt: „So vollbringe nicht mehr ich es, sondern die in mir wohnende Sünde.“ Er weigert sich nicht, die Verantwortung für die Sündhaftigkeit seiner gefallenen Natur zu übernehmen und sich selbst zu entschuldigen. Er identifiziert einfach das böse Prinzip, das in ihm wohnt, als eine andere Sache. (Natürlich müssen wir die Verantwortung für die Sünden, die wir tun, übernehmen und sie als unsere Sünden bekennen, wenn die alte Natur handelt [1Joh 1,9].) Indem er dies tut, kommt der Mensch an einen Punkt, an dem er die alte Natur nicht mehr „Ich“ nennt. Stattdessen nennt er sie „die in mir wohnende Sünde“ (Röm 7,20), „das Böse“ (Röm 7,21), „ein anderes Gesetz in meinen Gliedern“ (Röm 7,23) und „das Fleisch“ (Röm 7,25). Während er diese Dinge sagt, redet er von der neuen Natur weiterhin in der Ich-Form. Dies deutet auf einen Fortschritt in seinem Verständnis hin. Dieser Fortschritt stimmt mit dem überein, was Paulus in Römer 6 lehrt (im Zusammenhang mit unserer Einsmachung mit dem Tod Christi, dem Haupt des neuen Menschengeschlechts, zu dem wir gehören): Wir haben das Recht, nicht mehr aus der Position unseres alten Adamstandes und unserer alten fleischlichen Natur heraus zu argumentieren, sondern aus unserer neuen Stellung in Christus und unserer neuen Natur.

4. Er entdeckt, dass es eine göttliche Person außerhalb seiner selbst gibt, die ihn erlösen kann

Vers 24

Röm 7,24: Ich elender Mensch! Wer wird mich retten von diesem Leib des Todes?

Indem er das Fleisch als eine von ihm getrennte Einheit ansieht, mit dem er aber immer noch belastet ist, haben wir in diesem Menschen ein Bild des neuen Lebens und der neuen Natur. Diese neue Natur verabscheut die alte und sehnt sich danach, von ihr loszukommen. Er spricht von der alten Natur und ihrer Vergänglichkeit, als hätte er einen verwesenden menschlichen Körper auf dem Rücken. Das neue Leben ist in diesem Zustand alles andere als glücklich. Das veranlasst ihn zu dem Ausruf: „Ich elender Mensch!“

Nachdem er gelernt hat, dass es keine Hilfe von innen gibt, sucht er nach jemand, der ihn aus diesem Zustand befreit. Er sagt: „Wer wird mich retten von diesem Leib des Todes?“ Er sucht nicht einfach nur nach Erlösung, sondern nach einem Erlöser. Das ist wichtig, denn wenn wir einfach nur nach Befreiung suchen würden, könnten wir geneigt sein, irgendein Selbsthilfeprogramm auszuprobieren oder nach einem „Schlüssel“-Gedanken zu suchen, von dem wir glauben, er würde uns den sofortigen Sieg über das Fleisch geben. Viele wahre Gläubige sind in dieser Hinsicht verwirrt und streben die Befreiung vom Fleisch durch Askese, Gesetzlichkeit usw. an. Aber die Frage lautet nicht: „Wie soll ich befreit werden?“, sondern: „Wer wird mich befreien?“

Wenn alle eigenen Hoffnungen und Bemühungen, ein gottgefälliges Leben zu führen, zunichtegemacht sind und er im Glauben auf „Jesus Christus, unseren Herrn“ schaut, findet er Befreiung. Daraufhin jubelt er Gott zu und dankt: „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn!“ (Röm 7,25). Das zeigt uns also: Befreiung kommt nicht durch unsere Gebete oder durch unsere Kenntnis der Schrift oder durch den Versuch, uns von bösen Gedanken abzuwenden, uns zu schelten usw. Sie kommt einfach dadurch, dass wir von uns selbst weg auf Christus schauen und uns von Ihm und seinen Interessen erfüllen lassen. Was den Sieg über diesen inneren Feind (das Fleisch) betrifft, so müssen wir verstehen, dass alles, was getan werden muss, bereits durch den Herrn Jesus Christus getan worden ist.

Vers 25

Nachdem er die Befreiung durch den Blick auf Christus erfahren hat, sagt er:

Röm 7,25: Also nun diene ich selbst mit dem Sinn dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde.

Diese letzte Aussage in dem Einschub zeigt, dass die Seele, die Befreiung erfährt, immer noch zwei Naturen hat. Und sie wird diese beiden widersprüchlichen Prinzipien in sich tragen, bis der Herr kommt oder bis sie stirbt. Einige Christen (die Heilsarmee, die Heiligungsbewegung, der Methodismus usw.) denken fälschlicherweise, die Sündennatur würde aus dem Gläubigen „ausgebrannt“ werden, wenn er Befreiung erfährt. Es ist jedoch ein Irrtum, zu denken, das Fleisch würde von uns genommen, wenn wir von der Sünde befreit werden. Die Befreiung bezieht sich nicht auf die Gegenwart der Sünde, sondern auf die Macht der Sünde. Nochmals: Er verwendet das Pronomen „Ich“, wenn er von der neuen Natur spricht, weigert sich aber, es zu benutzen, wenn er sich auf die alte Natur bezieht. Er nennt seine alte Natur „das Fleisch“, will sie aber nicht als „ich“ bezeichnen.

Die alte Sündennatur mag uns noch locken, aber wir haben die Macht, ihr nicht nachzugeben. Wir können taub sein für ihre Befehle, blind für ihre Verlockungen und unempfänglich für ihre Macht. Zur Veranschaulichung eine Allegorie: Eine Segelmannschaft ist mit ihrem Kapitän auf See, und aus irgendeinem Grund verliert der Kapitän den Verstand und läuft Amok. Die Mannschaft kann ihm in diesem Zustand nicht als Kapitän vertrauen, denn er könnte das Schiff vom Kurs abbringen und sie alle ertrinken lassen. Sie setzen ihn also ab, sperren ihn in seine Kabine und ernennen einen anderen Kapitän. In seinem Wahn ruft der alte Kapitän seiner Mannschaft durch das Fenster seiner Kajüte noch immer Befehle zu. Aber sie hören nicht auf ihn, weil sie ihn nicht mehr als ihren Kapitän betrachten und sich ihm nicht unterordnen. Sie haben sich ein für alle Mal dem neuen Kapitän unterworfen.

Wann macht ein Mensch diese Erfahrung in seiner Geschichte mit Gott?

J.N. Darby sagt:

Einige Christen zwingen Seelen dazu, die Erfahrung aus Kapitel 7 zu machen, damit die Erlösung aus Kapitel 5 wahr wird. Sie kann vorher kommen. Wenn dies der Fall ist und die Annahme in Christus in Einfachheit gesehen wird, ist das ganze nachfolgende christliche Leben eine sichere Gnade, außer in Fällen besonderer Disziplin. Aber die Annahme in Kapitel 5 kann zuerst durch sich selbst erkannt werden (aber dann bezieht sich die Rechtfertigung auf die Vergebung für das, was wir getan haben, und nicht auf unser Sein, die Gerechtigkeit Gottes in Christus): Wenn aber dies der Fall ist, müssen wir die Selbsterkenntnis und unsere Stellung in Christus erst nachher lernen.[14]

Ich glaube nicht, dass man jemals aus Römer 7 herauskommt, bevor man nicht hineingekommen ist. Perfektionisten sagen, man könnte es überspringen. Tatsache ist, Rechtfertigung und Befreiung von der Sünde kann man erst dann erlangen, wenn man feststellt, dass es keine Hoffnung für einen gibt.[15]

Drei Seelenkonflikte

Römer 7 beschreibt zwar keine christliche Erfahrung im eigentlichen Sinn, aber viele Christen erleben sie in abgewandelter Form. Oft erleben sie tatsächlich den in Galater 5,16.17 erwähnten Kampf, der ähnlich ist, und denken, es handelt sich um die Erfahrung aus Römer 7. Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen diesen beiden Seelenkonflikten. Römer 7 beschreibt einen Konflikt zwischen den beiden Naturen in einem Kind Gottes, die gegeneinander kämpfen aufgrund dessen, weil es nicht die Innewohnung des Geistes hat. In Galater 5,16.17 hingegen wird jemand beschrieben, der den Geist hat. Der Kampf findet zwischen dem Fleisch und dem Geist statt. Dieser Gläubige wandelt nicht im Geist, weil er sich in einem schlechten Seelenzustand befindet. Daraus resultiert dieser Konflikt. Beide Konflikte sind kein normales Christentum. Was die in Römer 7 beschriebene Erfahrung angeht, so ist die Person nicht mit dem Geist versiegelt und befindet sich daher nicht in der vollen christlichen Position. Die Person, die sich in Galater 5 abmüht, hat den Geist, aber sie befindet sich nicht in einem Seelenzustand, der ein normales christliches Leben kennzeichnen sollte.

Epheser 6,10-18 beschreibt einen dritten Seelenkonflikt, der für das Christentum normal ist. Er beschreibt einen Gläubigen, der nicht nur den Geist hat, sondern auch im Geist wandelt – sich also in einem guten Seelenzustand befindet und so seinen himmlischen Anteil in Christus genießt. Da dies der Fall ist, sind Satan und seine Abgesandten gegen ihn aufgestellt und versuchen, ihm die Freude an diesen Dingen zu verderben.


Übersetzt aus The Epistle of Paul to the Romans. God’s Righteousness declared in the Gospel, displayed in His dispensational ways and demonstrated in practical life“
Surrey, Kanada (Christian Truth Publishing) 2015, First Edition, Version 1.1

Übersetzung: Tirza Winterhoff

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Anmerkungen

[1] J.N. Darby, „Deliverance“ in Collected Writings, Bd. 31, S. 155. Online auf: www.stempublishing.com.

[2] F.B. Hole, Grundzüge des Neuen Testaments, Bd. 3: Römerbrief. Korintherbriefe, Hückeswagen (CSV) 1995, S. 47.

[3] J.N. Darby, „Law“ in Collected Writings, Bd. 10, S. 9. Online auf: www.stempublishing.com.

[4] J.N. Darby, „Exposition oft he Epistle tot he Romans“ in Collected Writings, Bd. 26, S. 157. Online auf: www.stempublishing.com.

[5] J.N. Darby, „Outline of the Revelation“ in Collected Writings, Bd. 28, S. 368, 369. Online auf: www.stempublishing.com.

[6] W. Kelly, Lectures Introductory to the Study of the Minor Prophets. Zephania, S. 375–379. Online auf: www.stempublishing.com.

[7] J.N. Darby, „Exposition of the Epistle to the Romans“ in Collected Writings, Bd. 26, S. 158. Online auf: www.stempublishing.com.

[8] M.C. Gahan, „A Scripture Study, ‚Death by Sin’, ‚Sin Dead’ etc.“ in The Christian’s Friend and Instructor, Jg. 23, 1896, S. 157.

[9] J.N. Darby, „Law“ in Collected Writings, Bd. 10, S. 9. Online auf: www.stempublishing.com.

[10] F.B. Hole, Grundzüge des Neuen Testaments, Bd. 3: Römerbrief. Korintherbriefe, Hückeswagen (CSV) 1995, S. 50.

[11] J.N. Darby, „Deliverance“ in Collected Writings, Bd. 31, S. 156. Online auf: www.stempublishing.com.

[12] H. Smith, The Epistle to the Romans. An Expository Outline, 1935. Deutsche Übersetzung: Der Brief an die Römer, „Kapitel 7: Erlösung von dem Gesetz“. Quelle: bibelkommentare.de.

[13] J.N. Darby, „Gideon – Godʼs Mighty Man of Valour“ in Collected Writings, Bd. 19, S. 356. Online auf: www.stempublishing.com.

[14] J.N. Darby, „Exposition of the Epistle to the Romans“ in Collected Writings, Bd. 26, S. 145. Online auf: www.stempublishing.com.

[15] J.N. Darby, „Romans compared with other Epistles“ in Collected Writings, Bd. 34, S. 407. Online auf: www.stempublishing.com.


Nota redacţiei:

Redacţia SoundWords este răspunzătoare pentru publicarea articolului de mai sus. Aceasta nu înseamnă că neapărat ea este de acord cu toate celelalte gânduri ale autorului publicate (desigur cu excepţia articolelor publicate de redacţie) şi doreşte să atragă atenţia, să se ţină seama de toate gândurile şi practicile autorului, pe care el le face cunoscut în alte locuri. „Cercetaţi toate lucrurile, şi păstraţi ce este bun” (1 Tesaloniceni 5.21).

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