- Dein Reich komme …
- Gott als König im Alten Testament
- Das Kommen des Reiches
- Der verworfene König
- Die Geheimnisse des Reiches der Himmel
- Die Gleichnisse vom Reich Gottes
- Das Gleichnis von den zehn Pfunden
- Die Verkündigung des Reiches
- Nicht in Worten, sondern in Kraft
- Das Reich des Sohnes seiner Liebe
- Das Reich Gottes und die Gemeinde
- Das Reich der Himmel und das Reich Gottes
- Die Zukunft des Reiches
Dein Reich komme …
Die Lehrerin, die uns als Mittelstufenschüler etwas über Biologie beibringen sollte, war insgesamt nicht sehr engagiert. Doch weil es eine christliche Schule war, musste morgens zu Beginn des Unterrichts gebetet werden. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sie das „Vaterunser“ aus der Bibel vorlas. Einmal hatte sie vermutlich ihre Bibel nicht dabei und musste nach ein paar vergeblichen Versuchen, das Gebet auswendig zu zitieren, einen Schüler fragen, wie es weiterging …
Das „Vaterunser“ ist für viele Menschen so ziemlich das Letzte, was sie noch vom Christentum beibehalten haben. Und in diesem Gebet sprechen sie auch die Worte: „Dein Reich komme.“ Wissen alle, die dieses Gebet sprechen, auch, was sie beten? Dein Reich komme – aber ist das Reich Gottes denn noch nicht da? Und sehnen wir uns danach, dass es kommt? Oder ist es schon da, nur unsichtbar? Oder ist es nicht da und wird es auch nie kommen? Wie steht es um das Reich, das von den Propheten in all seiner Herrlichkeit beschrieben wurde? Wird es noch kommen? Oder leben wir bereits mitten darin? Oder müssen wir vielleicht daran arbeiten, dass es zustande kommt? Kurz gesagt: Was ist nun das Reich Gottes?
Das ist eine ganz grundlegende Frage. Wenn wir über die Stellung nachdenken, die wir als Christen hier auf der Erde einnehmen, kommen wir nicht umhin, uns zu fragen, was das Reich Gottes in der heutigen Zeit ist.
Gott als König im Alten Testament
Für manche mag die Frage, die wir gerade aufgeworfen haben, seltsam erscheinen. War Gott nicht schon immer König? „Der HERR ist König immer und ewig“ (Ps 10,16) – so steht es doch so oft in der Bibel.
In gewisser Weise ist das auch richtig. Wir müssen jedoch unterscheiden, dass die Schrift auf verschiedene Weise vom Reich Gottes spricht (abgesehen von den Texten, die sich auf irdische Reiche beziehen wie Israel, Ägypten, Assur, Babel usw.).
-
In gewissem Sinne war Gott immer König seit Anbeginn der Schöpfung. Er regiert die Erde; Er ist König. Dass wir seine Herrschaft nicht immer verstehen (Pred 8,16-17), ist etwas anderes, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass Gott König ist. „Der HERR thront als König in Ewigkeit“ (Ps 29,10). Er ist der König aller Völker (Jer 10,7) und ganz besonders König über sein Volk Israel (1Sam 12,12; Ps 149,2). Siehe auch Psalm 5,3; 22,29; 24,7-10; 29,10; 44,5; 47,3.7-8; 48,3; 68,25; 74,12; 84,4; 95,3; 98,6; 145,1; 149,2; Jesaja 6,5; 52,7; Jeremia 10,7.10; 46,18; 48,15; 51,57; Sacharja 14,16-17; Maleachi 1,4.
Aber wie übt Gott denn seine Herrschaft aus? Er tut dies im Allgemeinen. Es ist diese verborgene Gottesherrschaft, die uns oft, wie Asaph in Psalm 73, fragen lässt, warum Gott bestimmte Dinge in unserem Leben zulässt. Aber wir dürfen uns bewusst sein, dass alles in Gottes Händen liegt und dass „denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken“ (Röm 8,28).
Gottes Regierung ist also jetzt verborgen. In diesem Sinne kann Sacharja 14,9 von der zukünftigen Königsherrschaft Jahwes sprechen: „Der HERR wird König sein über die ganze Erde“ (vgl. Mich 4,7; Obad 21). Erst in der Zukunft, im Friedensreich, wird Gott seine Herrschaft über die Erde unmittelbar ausüben. Übrigens sprechen viele der oben zitierten Texte, insbesondere aus den Psalmen, eigentlich auch prophetisch von der Zeit, in der Jahwe König über die ganze Erde sein wird.
-
An vielen Stellen im Alten Testament ist vom Gesalbten, dem Messias, die Rede, der König über das Volk sein wird (Hes 37,22). Gott hat seinen König über Zion gesalbt (Ps 2; vgl. Jes 32,1; Sach 9,9). Wir wissen jetzt, wer dieser Messias ist: Es ist Jesus Christus, der Mann aus Nazareth, aus dem Geschlecht Davids, aber gleichzeitig Jahwe selbst und als solcher „das Geschlecht Davids“ (Off 22,16). „Er wird über das Haus Jakobs herrschen in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben“ (Lk 1,33). Zahlreiche Prophezeiungen weisen auf Ihn hin. Man könnte sagen, dass im Alten Testament ein Profil dieses kommenden Königs gezeichnet wird. Manchmal in klaren Prophezeiungen, manchmal in versteckterer Form, wie in den Texten aus dem Buch der Sprüche, in denen vom „König“ die Rede ist (Spr 14,28.35; 16,10.12-15; 19,12; 20,2.8.26.28; 21,1; 22,11.29; 25,2-3.5-6; 29,4.14; 30,31; 31,3-4). Das Alte Testament ist sozusagen ein einziger Ruf an Zion: „Siehe, dein König kommt!“
-
Im Buch Daniel finden wir jedoch eine Prophezeiung, die noch weiter geht. Dieses Buch der Bibel ist von großer Bedeutung, weil es die Situation beschreibt, die entstand, als Gott seine Königsherrschaft über Israel nicht mehr ausüben konnte. Gott hat die Herrschaft über diese Erde an aufeinanderfolgende Weltreiche übertragen (Dan 2); darauf soll hier nicht näher eingegangen werden. Aber schließlich wird „in den Tagen dieser Könige der Gott des Himmels ein Königreich aufrichten, das in Ewigkeit nicht zerstört und dessen Herrschaft keinem anderen Volk überlassen werden wird; es wird alle jene Königreiche zermalmen und vernichten, selbst aber in Ewigkeit bestehen“ (Dan 2,44).
Und wer wird der Herrscher in diesem Reich sein? Dazu müssen wir Daniel 7 aufschlagen. Dort ziehen erneut die Weltreiche an uns vorbei: das Babylonische Reich (Dan 7,4), das Persische Reich (Dan 7,5), das Griechisch-mazedonische Reich (Dan 7,6) und schließlich das Römische Reich (Dan 7,7-8). Doch diese Weltreiche werden nicht immer die Bühne beherrschen (Dan 7,12). Wir lesen dann:
„Ich schaute, bis Throne aufgestellt wurden und ein Alter an Tagen sich setzte: Sein Gewand war weiß wie Schnee und das Haar seines Hauptes wie reine Wolle, sein Thron Feuerflammen, dessen Räder ein loderndes Feuer. Ein Strom von Feuer floss und ging von ihm aus; tausendmal Tausende dienten ihm, und zehntausendmal Zehntausende standen vor ihm. Das Gericht setzte sich, und Bücher wurden geöffnet. … Ich schaute in Gesichten der Nacht: Und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie eines Menschen Sohn; und er kam zu dem Alten an Tagen und wurde vor ihn gebracht. Und ihm wurde Herrschaft und Herrlichkeit und Königtum gegeben, und alle Völker, Völkerschaften und Sprachen dienten ihm; seine Herrschaft ist eine ewige Herrschaft, die nicht vergehen wird, und sein Königtum ein solches, das nie zerstört werden wird“ (Dan 7,9-10.13-14).
Was ist nun das Besondere an dieser Ankündigung? Lesen wir noch einmal Vers 13: „Und siehe, mit den Wolken des Himmels kam einer wie eines Menschen Sohn.“ Das hatte noch kein Prophet angekündigt! Dass Jahwe König über die ganze Erde ist und bald sein Königtum direkt ausüben wird und dass der Messias König über Israel sein wird, das wussten die Propheten. Aber dass einem Menschen eine ewige Herrschaft über „alle Völker, Nationen und Sprachen“ gegeben werden wird, das ist etwas ganz Besonderes! Wir brauchen nicht zu raten, wer dieser Menschensohn ist. Aus den Evangelien wissen wir, wie oft unser Herr sich selbst so bezeichnete. Ja, Er wird bald die Herrschaft ausüben, nicht nur als Messias, als gesalbter König über Israel, sondern als Menschensohn über die ganze Erde. Der Ausdruck „Menschensohn“ bezeichnet nicht den Messias als Sohn Davids aus dem israelitischen Königshaus, sondern er bezeichnet Ihn als einen Menschen. Dadurch ist Er mit dem gesamten Menschengeschlecht verbunden, nicht nur speziell mit dem Volk Israel. Daniel 7 zeigt auch, dass der Menschensohn und Jahwe im Grunde vollkommen gleich sind (Dan 7,22; siehe auch Mich 2,13; 5,1; Sach 14,3.5).
Das Kommen des Reiches
Der König ist gekommen. Jesus Christus wurde in der Stadt Davids aus dem Geschlecht Davids geboren. Sein Herold, Johannes der Täufer, ging vor Ihm her. Schließlich trat Er selbst in Erscheinung, als Er seinem Volk Israel verkündete: „Das Reich der Himmel ist nahe gekommen“ (Mt 3,2; 4,17; Mk 1,15); und Er sandte seine Jünger aus, dieselbe Botschaft zu predigen (Mt 10,7; Lk 10,9). Das Reich war nahe; das einzige Problem war noch: Wäre das Volk bereit, den König zu empfangen? Wenn sie Ihn annähmen, dann käme das Reich Gottes in all seiner irdischen Herrlichkeit, wie es von den Propheten vorhergesagt worden war. Heute wird es oft so dargestellt, als hätte der Herr das gar nicht gewollt. Ja, die Jünger dachten, dass der Herr Jesus ein irdisches Reich wollte! Sie wollten doch gerne zu seiner Rechten und zu seiner Linken in diesem Reich sitzen, oder? Er wollte kein irdisches Reich, sondern ein geistliches Reich. Er wollte nicht König werden über ein irdisches Reich, sondern König in den Herzen der Menschen. Wie dumm, dass die Jünger – und die Juden im Allgemeinen – das nicht verstanden!
Aber wenn wir so argumentieren, vergessen wir alle alttestamentlichen Prophezeiungen, die eindeutig ein irdisches Reich angekündigt hatten. Wiederholt weisen sie darauf hin, dass es beim Kommen des Reiches tatsächlich darum ging, dass diese Prophezeiungen erfüllt würden (z.B. Mt 1,23; 2,5.15.23; 3,3; 4,12-16; 8,17; 11,10; 12,17-21). Aber hatte der Herr Jesus selbst seinen Jüngern nicht verboten zu sagen, dass Er der Gesalbte sei (Mt 12,16; 16,20)? Gewiss, aber dafür gab es einen ganz besonderen Grund. Zu dem Zeitpunkt, als der Herr dies sagte, war die Zeit vorbei, dass Er sich dem Volk als König präsentierte. Er war verworfen worden, und nun erwartete Ihn nur noch Leiden (Mt 16,21). Diese Verwerfung des Königs ist ein dunkles Kapitel in der Geschichte des Reiches Gottes. Dieses Kapitel müssen wir jedoch genau studieren, um zu verstehen, welchen Platz das Reich jetzt einnimmt.
Der verworfene König
Das Matthäusevangelium beschäftigt sich vor allem mit dem Herrn Jesus als dem kommenden König. Wie es bei Königen üblich ist, wird sein Stammbaum aufgeführt: Er stammte von David und Abraham ab (Mt 1,1-16). Weise aus dem Osten kamen, um den König der Juden anzubeten (Mt 2,1-12). Als die Zeit kam, dass der Herr öffentlich auftreten sollte, trat zuerst sein Herold hervor (Mt 3,1-12). Nach der Versuchung in der Wüste berief der Herr seine Jünger und ging überall hin, um „das Evangelium des Reiches“ zu predigen (Mt 4,23; vgl. Mt 9,35; 13,19; 24,14; Lk 4,43; 8,1; 9,2.11.60; 16,16). In Matthäus 5 bis 7 steht dann die Bergpredigt, eigentlich eine Art Verfassung für das Reich Gottes. Durch Wunder und Zeichen bewies der Herr, dass Er der Messias war (Mt 9), und sandte seine Jünger aus, damit auch sie das Evangelium des Reiches Gottes verkündeten.
Inzwischen war jedoch der Widerstand der Pharisäer deutlich geworden (Mt 11,1-6). Sie bezeichneten den Messias als „Fresser und Weinsäufer“ (Mt 11,19). Selbst die Städte, in denen Er die meisten Wunder gewirkt hatte – Chorazin, Bethsaida und Kapernaum –, hatten sich nicht bekehrt (Mt 11,20-24). Diejenigen, die sich für „weise und klug“ hielten, hatten Ihn verworfen; deshalb sprach der Herr nun zu „Kindern“, zu den wenigen, die einen kindlichen Glauben an Ihn hatten, und offenbarte ihnen den Vater (Mt 11,21-30).
In Matthäus 12 kommt dann der endgültige Bruch. Christus musste die Pharisäer scharf verurteilen (Mt 12,1-13), und sie berieten, wie sie Ihn umbringen könnten (Mt 12,14). Ja, sie gingen sogar so weit, dass sie das, von dem sie wussten, dass es das Werk des Heiligen Geistes war, dem Satan zuschrieben (Mt 12,22-37). Für diese Lästerung des Heiligen Geistes gab es keine Vergebung; einem so bösen und ehebrecherischen Geschlecht konnte auch kein Zeichen mehr gegeben werden (Mt 12,39). Das Haus Israel war „gekehrt und geschmückt“ (Mt 12,44); sie hielten die Gesetze ganz genau ein, doch nun, da sie den Herrn Jesus verworfen hatten, konnten sie nur noch sieben böse Geister erwarten, wodurch es ihnen am Ende schlimmer ergehen würde als am Anfang.
Kein Wunder, dass der Herr in Matthäus 12,46-50 deutlich macht, dass seine familiären Bindungen zum Volk Israel von nun an keine Rolle mehr spielen. Als seine Brüder und Verwandten will Er fortan nur noch diejenigen anerkennen, die eine moralische Verbindung zu Ihm haben: „Wer irgend den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter“ (Mt 12,50). Damit wird der Charakter, den das Reich nun annehmen würde, deutlich angegeben. In Matthäus 13 erklärt der Herr Jesus dann in Form von sieben Gleichnissen, wie das Reich aussehen wird, nachdem der König verworfen worden ist.
Die Geheimnisse des Reiches der Himmel
Was für eine traurige Geschichte! Der König war verworfen worden; wie die Bürger aus dem Gleichnis von den Talenten riefen die Juden sozusagen: „Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche“ (Lk 19,14). Nicht, dass die Juden keinen König wollten. Bei einer früheren Gelegenheit musste der Herr Jesus sich an einen einsamen Ort zurückziehen, um zu verhindern, dass sie Ihn mit Gewalt zum König machten (Joh 6,15). Doch schon am nächsten Tag zeigte sich: Sobald der Herr sie darauf hinwies, dass sie kein Leben in sich hatten, und Er ihr Gewissen berührte, „drückten“ sie sich: „Diese Rede ist hart, wer kann sie hören?“ (Joh 6,60).
Nein, solange das Volk sich nicht bekehrte, konnte Christus die Königsherrschaft über Israel nicht annehmen. Vor Pilatus bezeugte Er: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wenn mein Reich von dieser Welt wäre, hätten meine Diener gekämpft, damit ich den Juden nicht überliefert würde; jetzt aber ist mein Reich nicht von hier“ (Joh 18,36). Bedeutet das, dass der Herr nie wieder König über diese Welt sein wird? Nein, das bedeutet es nicht; in Zukunft werden laute Stimmen im Himmel sagen: „Das Reich der Welt unseres Herrn und seines Christus ist gekommen, und er wird herrschen von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Off 11,15; vgl. Off 12,10).
Bedeutet das nun, dass der Herr erst in der Zukunft König sein wird? Auch das ist nicht gemeint, denn der Herr Jesus sagt zu Pilatus: „Du sagst es, dass ich ein König bin“ (Joh 18,37). Der Herr Jesus ist also sehr wohl ein König. Das Reich Gottes ist sehr wohl gekommen; aber es ist (noch) kein Reich mit einem weltlichen, sichtbaren Machtbereich; das wird es erst in der Zukunft sein. Es ist ein Reich, das (noch) nicht in derselben Weise sichtbar ist wie beispielsweise das Babylonische, das Medo-persische, das Griechisch-mazedonische oder das Römische Reich. Aber das Reich ist sehr wohl da! Und der König hat sehr wohl Untertanen. Denn auch wenn sein Volk Ihn verworfen hat, auch wenn die Mächtigen dieser Welt Ihn gekreuzigt haben, so gibt es doch auch in dieser Zeit Menschen, die diesem verworfenen Christus gehorsam sein wollen. Sie bilden das Reich Gottes in dieser Zeit, und wir werden uns nun damit beschäftigen, was dieses Reich beinhaltet.
Zunächst müssen wir uns dazu Matthäus 13 zuwenden, denn dort macht der Herr deutlich, welche Gestalt das Reich während der Zeit der Ablehnung des Königs annehmen wird. Dabei wird uns klarwerden, dass dies ein Geheimnis war, eine verborgene Form des Reiches, von der im Alten Testament noch nicht die Rede war (Mt 13,35).
Die Gleichnisse vom Reich Gottes
Ich beabsichtige hier nicht, Matthäus 13 vollständig zu erläutern; dazu verweise ich gern auf andere Bücher zu diesem Thema. Es wird jedoch notwendig sein, aus jedem dieser sieben Gleichnisse Aspekte des Reiches Gottes in dieser Zeit herauszuarbeiten..[1]
-
Das Gleichnis vom Sämann (Mt 13,1-9.18-23) macht deutlich, auf welche Weise das Reich Gottes errichtet werden würde: nicht durch Gewalt oder Zwang, sondern durch die Verkündigung des Wortes Gottes. Nicht bei allen, die das Wort hören würden, würde es Frucht bringen; nur bei einem Teil würde es „auf guten Boden fallen“ und Frucht bringen. Und auch diese Frucht würde nicht bei allen gleich sein: bei einigen hundert Prozent, bei anderen sechzig Prozent und bei wieder anderen nur dreißig Prozent.
-
Das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker (Mt 13,24-30) macht deutlich, dass der Böse nicht untätig ist, wenn das Wort verkündet wird. Während die Menschen schliefen (und wie wenig wachsam waren wir Christen oft!), bekam der Feind Gelegenheit, Unkraut mitten unter den Weizen zu säen, ein Unkraut, das dem Weizen so sehr ähnelt, dass es kaum von ihm zu unterscheiden ist. So sieht das Reich jetzt aus: Dort, wo das Wort gepredigt wurde – grob gesagt das Gebiet all derer, die sich Christen nennen –, befinden sich wahre Gläubige (der Weizen), aber dazwischen auch Unkraut: Menschen, die nur dem Anschein nach Christen sind. Sie sind getauft, zahlen treu ihre Kirchensteuer und gehen jeden Sonntag in ihren gepflegten Anzügen zur Kirche, doch sie haben kein Leben aus Gott; von Bekehrung und Glauben an den Herrn Jesus haben sie keine Ahnung. Wer kann jedoch in das Herz eines anderen sehen? Wer kann sagen, ob jemand wirklich von neuem geboren ist oder nicht? Erst bei der „Ernte“, bei der Wiederkunft Christi, wird sich zeigen, wer ein echter Christ war und wer nur eine christliche Fassade hatte.
-
Das Gleichnis vom Senfkorn (Mt 13,31-32) zeigt, dass noch mehr geschehen würde: Das Reich würde zu einem „großen Baum“ heranwachsen. Bäume sind in der Schrift immer ein Bild für eine große irdische Macht (Hes 17,22-24; 31,1-18; Dan 4,7-13). Ist es nicht genauso mit dem Christentum gegangen? Die Christen haben vergessen, dass sie nicht auf die Erde gehören, und seit den Tagen Konstantins des Großen ist das Christentum zu einer bedeutenden politischen Macht geworden. Bald wird das große Babylon, das verdorbene Christentum, von Gott gerichtet werden, weil es „eine Behausung von Dämonen geworden ist und ein Gewahrsam jedes unreinen Geistes und ein Gewahrsam jedes unreinen und gehassten Vogels“ (Off 18,2).
-
Aus dem Gleichnis vom Sauerteig (Mt 13,33) geht hervor, dass das Böse (für das der Sauerteig in der Schrift immer ein Bild ist[2]) schließlich auf verborgene Weise das ganze Reich durchdringen wird. Wenn man das Christentum seiner Verantwortung überlässt, wird es völlig versagen; wir brauchen uns nur umzuschauen, um den traurigen Beweis dafür zu finden, dass dies tatsächlich geschehen ist.
-
Glücklicherweise finden wir jedoch in dem Gleichnis vom Schatz im Acker (Mt 13,44) etwas anderes. Innerhalb des Reiches befindet sich ein Schatz, der für den Herrn Jesus so wertvoll ist, dass Er alles, was Er hatte, aufgab und den ganzen Acker kaufte, um diesen Schatz zu besitzen. Dieser Schatz ist die Versammlung,[3] die für Christus so unendlich kostbar ist, dass Er sein Leben für sie hingegeben hat (Eph 5,25); die Versammlung, die in dieser Zeit im Reich verborgen ist (vgl. 2Kor 4,3). Wer erkennt in der gegenwärtigen verwirrenden Situation noch die wahre Gemeinde, die aus allen wahren Gläubigen besteht? Sie ist verborgen, aber sie ist da, und zu dieser Gemeinde geht die Liebe des Herrn Jesus aus.
-
In dem Gleichnis von der kostbaren Perle (Mt 13,45-46) wird uns deutlich gemacht, dass der Herr Jesus nicht nur die ganze Welt gekauft hat, sondern besonders diese eine kostbare Perle, die seinem Herzen teuer war. Es ist übrigens bemerkenswert, dass Christus diese letzten drei Gleichnisse seinen Jüngern gesondert erzählte (Mt 13,36). Daraus geht klar hervor, dass diese Gleichnisse sich nicht auf die öffentliche und für alle sichtbare Seite des Reiches beziehen, sondern auf die verborgeneren Aspekte.
-
Schließlich zeichnet das Gleichnis vom Fischernetz (Mt 13,47-50) das endgültige Schlussbild: Am Ende werden „die Bösen aus der Mitte der Gerechten ausgesondert“ werden. Doch jetzt ist das Reich noch ein Durcheinander von „guten und schlechten Fischen“, von Gläubigen und Ungläubigen.
Das Gleichnis von den zehn Pfunden
Das Gleichnis von den zehn Pfunden, das der Herr Jesus seinen Jüngern kurz vor seinem Einzug in Jerusalem erzählte (Lk 19,11-27), ist besonders aufschlussreich, damit wir den Zustand des Reiches in dieser Zeit sowie unseren Platz darin verstehen. Es war notwendig, dass die Jünger gewarnt wurden, denn das Reich Gottes würde noch nicht sofort in seiner ganzen Herrlichkeit offenbar werden, wie die Jünger meinten (Lk 19,11). Der Herr macht deutlich, dass Er zuerst die Erde verlassen und in den Himmel gehen müsse.
„Ein gewisser hochgeborener Mann zog in ein fernes Land, um ein Reich für sich zu empfangen und wiederzukommen“ (Lk 19,12). Damit wird auch der besondere Charakter des Reiches in dieser Zeit deutlich: Das Reich ist auf der Erde, aber der König befindet sich im Himmel. „Seine Bürger“ (Lk 19,14, die Juden) hatten Ihn abgelehnt; sie wollten nicht, dass Er ihr König sei. Aber auf Erden hat der König seine „Knechte“ (Lk 19,13), denen Er zehn Pfund gibt mit dem Auftrag: „Handelt, bis ich komme.“ Die Wiederkunft des Königs wird ihnen in Aussicht gestellt, und das soll für sie der Antrieb sein, ihrem Herrn zu dienen. Damit wird unser Platz auf der Erde als Christen in der heutigen Zeit deutlich illustriert: Wir haben den Auftrag erhalten, unserem Herrn zu dienen, bis Er kommt (vgl. 1Thes 1,9-10).
Wir sind Knechte des Herrn: seine „Sklaven“, und wir sind gute Knechte (Lk 19,17) oder böse Knechte (Lk 19,22), je nachdem, ob wir dem Herrn so dienen, wie Er es gern sieht. Die Frage, ob alle Knechte auch wahre Gläubige sind, wird hier nicht behandelt; es ist genau das Bild des Reiches, in dem sich alle befinden, die Jesus als Herrn anerkennen, ob sie nun von neuem geboren sind oder nicht. Das zentrale Thema dieses Gleichnisses ist das Kommen des Herrn. Der einst Verworfene wird bald zurückkehren, um sein Reich in Empfang zu nehmen. Dann wird der Himmel von Hallelujas widerhallen, wenn „der Herr, unser Gott, der Allmächtige, die Herrschaft angetreten“ hat (Off 19,6).
Diesem Tag werden große Gerichte vorausgehen, denn der, der jetzt von der Welt verworfen ist, wird sein Reich erst in Besitz nehmen können, nachdem Er sein Herrschaftsgebiet von allen Flecken gereinigt hat. Aber – und das geht auch aus dem Gleichnis von den zehn Pfunden deutlich hervor – wenn Er bald König sein wird, werden wir mit Ihm regieren. Jetzt sind wir noch Knechte, aber bald wird der König zu denen, die Ihm gut gedient haben, sagen: „Habe Gewalt …!“ (Lk 19,17). Mit Ihm werden wir herrschen (2Tim 2,12); mit Ihm werden wir auf seinem Thron sitzen (Off 3,21); mit Ihm werden wir die Welt und sogar die gefallenen Engel richten (1Kor 6,2-3). Solange der König verworfen ist, sind wir seine Knechte; wenn Er wiederkommt, werden wir seine Mitregenten sein.
Die Verkündigung des Reiches
Nachdem die Verwerfung des Herrn in seinem Tod am Kreuz ihren Höhepunkt erreicht hatte, wurde die Verkündigung des Reiches Gottes fortgesetzt. Zwar war es nicht mehr die Botschaft, dass das Reich Gottes nahe gekommen sei (wie in Mt 3,2; 4,17; 10,7; Mk 1,15; Lk 10,9.11; 21,21) – denn das Reich war da; es würde nun jedoch vorübergehend eine ganz andere Form annehmen. Dennoch ließen die Apostel das Thema des Reiches nicht ruhen. Es ging schließlich nicht nur darum, den Menschen zu verkünden, dass Jesus der Heiland war, sondern auch, dass Er der Herr war (Apg 2,36)! Daran änderte auch seine Verwerfung durch die Welt nichts. Seine Autorität musste verkündet werden; und jeder, der Jesus als Herrn bekannte und dies durch die Taufe öffentlich bezeugte, stellte sich damit unter seine Autorität und trat sozusagen in den Machtbereich des Reiches ein (siehe z.B. Apg 8,12-13).
Wir müssen daher vorsichtig sein, wenn wir sagen, dass Christus nicht unser König ist. Zwar nennt die Schrift Ihn nirgendwo bei diesem Namen, wenn es um unsere Beziehung zu Ihm geht – aber andererseits ist unsere Stellung in dieser Welt gerade die Unterordnung unter seine Autorität! Während die ganze Welt seine Autorität ablehnt, nehmen wir als Christen diese Autorität an. Und genau das ist mit dem Reich Gottes gemeint.
In seiner Rede, die der Apostel Paulus in Milet vor den Ältesten von Ephesus hielt, legte er dar, dass sein Dienst in ihrer Mitte aus drei Teilen bestanden habe:
- Er hatte „sowohl Juden als auch Griechen die Buße zu Gott und den Glauben an unseren Herrn Jesus Christus bezeugt“. Das war „das Evangelium der Gnade Gottes“ (Apg 20,21.24).
- Darüber hinaus hatte er jedoch das Reich Gottes gepredigt (Apg 20,25): Er hatte den Ephesern erklärt, welche Stellung sie nun auf der Erde nach ihrer Bekehrung einnahmen und wie sie unter der Herrschaft Christi standen. Ihm mussten sie gehorchen, Ihm mussten sie in der täglichen Praxis ihres Glaubenslebens dienen.
- Drittens hatte der Apostel den Ephesern „den ganzen Ratschluss Gottes“ verkündet (Apg 20,27). Diese Lehre ist uns im Epheserbrief bewahrt geblieben (siehe z.B. Eph 1,9-12.20-23; 2,7-9.19-22; 3,4-21).
Das Reich Gottes hat unmittelbar mit unserem täglichen Leben auf dieser Erde zu tun. Wir dürfen dieses Thema nicht vernachlässigen, sonst fügen wir unserem Glaubensleben Schaden zu. Es ist nicht gut, wenn wir nur an das Werk denken, das Christus für uns vollbracht hat, und nur an die ewigen Ratschlüsse Gottes zu unseren Gunsten. Wenn wir in unserem Lebenswandel nachlässig werden, wird dies zu unermesslichem geistlichem Schaden für uns selbst und zu großer Schande für den Namen des Herrn führen. Deshalb predigten die Apostel (und ihre Mitarbeiter; siehe Kol 4,11) das Reich Gottes. Siebenmal wird davon in der Apostelgeschichte gesprochen (Apg 1,3; 8,12; 14,22; 19,8; 20,25; 28,23.31).
Und die Ergebnisse? Gottes Geist wirkte auf großartige Weise. In Ephesus zum Beispiel war es überdeutlich, wie die Verkündigung des Reiches Gottes durch Paulus gewirkt hatte. War nicht die Tatsache, dass die Christen ihre okkulten Bücher (im Wert von 50.000 Silberstücken!) zusammenbrachten und verbrannten (s. Apg 19,19; vgl. Apg 19,9), ein mächtiger Beweis dafür, dass der Herr die Macht über ihr Leben erhalten hatte? In der Tat: Dadurch „wuchs das Wort des Herrn mit Macht und nahm überhand“ (Apg 19,20).
Nicht in Worten, sondern in Kraft
Als Gläubige können wir oft sehr schön reden. Aber im Reich Gottes kommt es darauf nicht an. Dort geht es um unsere Taten, um unsere Nachfolge Christi, um das Jüngersein. Ebendas sollte das Kennzeichen aller Christen sein: Jünger und Nachfolger des Meisters im Reich Gottes. Sehr oft wird Jüngerschaft mit dem Reich Gottes in Verbindung gebracht. Ich nenne nur einige Beispiele:
- Als Barnabas und Paulus in Lystra, Ikonium und Antiochien über das Reich Gottes sprechen, heißt es, dass sie „viele zu Jüngern gemacht hatten“ (Apg 14,21-22).
- In seiner Predigt in Ephesus sprach Paulus über das Reich Gottes, und dann heißt es, dass er die Jünger absonderte (Apg 19,8-9). In seiner bereits erwähnten Rede in Milet warnte er, dass „Männer aufstehen würden, die verkehrte Dinge redeten, um die Jünger abzuziehen hinter sich her (Apg 20,30); vgl. Apg 20,25).
Reden ist leicht, aber es kommt auf die praktische Nachfolge an:
- 1Kor 4,20: Das Reich Gottes besteht nicht im Wort, sondern in Kraft.
Und dabei geht es nicht um äußere Dinge. In Römer 14 legt Paulus dar, dass man als Christ unterschiedlicher Meinung darüber sein kann, ob man bestimmte Dinge tun soll oder nicht. Natürlich sind manche Dinge für alle ohne Weiteres falsch, wie zum Beispiel Hurerei; aber es gibt auch „strittige Überlegungen“ (Röm 14,1), über die man unterschiedlicher Meinung sein kann. Ob man zum Beispiel bestimmte Feiertage einhält oder nicht (Röm 14,6), ist eine Frage, die jeder für sich selbst nach seinem Gewissen entscheiden muss. Wir dürfen einander wegen solcher Dinge nicht verurteilen, sondern müssen vielmehr auf die Schwächen des anderen Rücksicht nehmen.
„Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist“ (Röm 14,17). Es geht um moralische Fragen, um gerechtes Handeln in dieser Welt, um inneren Frieden und auch um Frieden untereinander, um Freude im Glaubensleben – und das alles durch die Kraft des Heiligen Geistes. Das ist Dienst für Christus (Röm 14,18); das ist praktische Unterordnung unter seine Autorität; darin besteht das Reich Gottes.
Das Reich des Sohnes seiner Liebe
Dass wir uns im Reich Gottes befinden, bedeutet also, dass wir dem König gehorchen müssen. Aus Römer 14 geht hervor, dass dieser Gehorsam jedoch kein Kadavergehorsam ist. Es ist nicht der Gehorsam des Gesetzes: „Du sollst, du sollst nicht, du sollst nicht …“ Das zeigt sich sehr schön in dem wunderbaren Ausdruck „das Reich des Sohnes seiner Liebe“ (Kol 1,13). Wir sind mit dem Sohn der Liebe Gottes verbunden, den wir als unseren Erlöser kennen. In Ihm haben wir die Erlösung, die Vergebung der Sünden (Kol 1,14), ja, wir haben alles in Ihm: „Ihr seid vollendet in ihm“ (Kol 2,10).
Mehr als in jedem anderen Brief schildert der Apostel Paulus im Brief an die Kolosser die persönliche Herrlichkeit Jesu Christi, des Schöpfers und Erhalters aller Dinge, in dem die ganze Fülle Gottes wohnt und der uns durch das Blut seines Kreuzes bereits versöhnt hat und einmal alle Dinge versöhnen wird (Kol 1,15-21). Im Licht dieser Herrlichkeit ergeht der Aufruf an uns, „würdig des Herrn zu wandeln zu allem Wohlgefallen, in jedem guten Werk Frucht bringend und wachsend durch die Erkenntnis Gottes, gekräftigt mit aller Kraft nach der Macht seiner Herrlichkeit, zu allem Ausharren und aller Langmut mit Freuden“ (Kol 1,10-11). Das ist kein sklavischer Dienst. Es muss uns eine Freude sein, Ihm auf der Erde zu dienen – Ihm, der uns so mit sich verbunden und uns zu Teilhabern seiner eigenen Herrlichkeit gemacht hat.
Das Reich Gottes und die Gemeinde
Wir haben also gesehen, dass das Reich Gottes in dieser Zeit eine geistliche Wirklichkeit ist. Alle, die Jesus als Herrn bekennen – und das, obwohl die Welt derzeit seine Königsherrschaft ablehnt –, sind Teil davon. Grob gesagt besteht das Reich also aus der Christenheit, denn jeder, der sich Christ nennt, bekennt – zumindest mit dem Mund – die Autorität des Herrn. Wir haben jedoch in Matthäus 13 auch gelesen, dass im Reich Unkraut unter den Weizen gesät werden würde und dass das Verderben schließlich wie Sauerteig das ganze Reich durchdringen würde. Erst in der Vollendung des Zeitalters werden die Bösen von den Gerechten getrennt werden.
An dieser Stelle ist es wichtig, kurz auf den Unterschied zwischen dem Reich Gottes und der Gemeinde hinzuweisen. Denn die Gemeinde erhält ausdrücklich den Befehl, die Bösen aus ihrer Mitte hinauszutun (1Kor 5,13); und wenn es um die Gemeinde geht, werden wir durchaus dazu angehalten, uns von den falschen Dingen zu trennen, die wir innerhalb der Christenheit vorfinden (2Tim 2,19-22). Für das Reich Gottes gilt jedoch der Befehl, den der Herr der Ernte seinen Knechten gegeben hat: „Lasst beides [das Unkraut und den Weizen] zusammen wachsen bis zur Ernte“ (Mt 13,30). Das Reich Gottes umfasst leider viel mehr als nur wahre Gläubige. Die Gemeinde ist sozusagen ein kleiner Kreis innerhalb des viel größeren Kreises des Reiches;[4] sie besteht aus allen wahren Gläubigen. Leider ist von der Gemeinde nicht viel mehr zu sehen. Aber alle, die inmitten einer gespaltenen Christenheit in Gehorsam gegenüber Gottes Wort dennoch die Einheit der Gemeinde erleben und ausdrücken wollen, indem sie das Abendmahl des Herrn an seinem Tisch feiern; alle, die auch heute die Vorschriften Gottes über die Ordnung der Gemeinde befolgen wollen – all diese Gläubigen müssen beachten, was Gottes Wort unter anderem in 1. Korinther 5 sagt: Im Haus Gottes, der Gemeinde, muss die Zucht aufrechterhalten werden.
Andererseits werden Gläubige nicht versuchen, den Zustand im Reich Gottes, in der Christenheit im Allgemeinen, zu verbessern. Nicht nur, weil das unmöglich ist, sondern auch, weil der Herr selbst gesagt hat, dass Weizen und Unkraut bis zur Ernte zusammen wachsen sollen. Wir würden Chaos anrichten, wenn wir versuchten, das Unkraut aus der Christenheit zu entfernen; wir könnten uns leicht irren und beim Sammeln des Unkrauts versehentlich auch den Weizen ausreißen. Bald wird das geschehen; dann wird „der Sohn des Menschen seine Engel aussenden, und sie werden aus seinem Reich alle Ärgernisse zusammenlesen und die, welche die Gesetzlosigkeit tun; und sie werden sie in den Feuerofen werfen: Dort wird das Weinen und das Zähneknirschen sein“ (Mt 13,41-42).
Das Reich der Himmel und das Reich Gottes
Es fällt auf, dass Matthäus fast immer den Ausdruck „Reich der Himmel“ verwendet (Mt 3,2; 4,17; 5,3.10.19-20; 7,21; 8,11; 10,7; 11,11-12; 13,11.24.31.33.44.47.52; 16,19; 18,1.3-4.23; 19,12.14.23; 20,1; 22,2; 23,13; 25,1), während die anderen Evangelien gleichbleibend von „dem Reich Gottes“ sprechen.[5] Das ist natürlich nicht ohne Bedeutung. Der Sinn dieses Unterschieds ergibt sich aus zwei Tatsachen:
- In der Apostelgeschichte und in den Briefen kommt nur der Ausdruck „Reich Gottes“ vor; nirgendwo lesen wir dort vom Reich der Himmel. An diesen Textstellen geht es zweifellos um diesen Aspekt des Reiches, dass es das Reich Gottes ist, in dem die moralische Ordnung herrschen muss, die dem Wesen Gottes entspricht.
- In einigen Stellen in Matthäus ist vom „Reich Gottes“ die Rede (Mt 6,33; 12,28; 19,24; 21,31). Aus dem Zusammenhang geht hervor, dass es dabei ebenfalls um das Reich in seinen moralischen, geistlichen Aspekten geht.
Der Ausdruck „Reich der Himmel“ bezeichnet vielmehr die himmlischen Grundsätze, auf denen das Reich gegründet werden sollte. Gerade im Matthäusevangelium, wo sich der Herr Israel als Messias vorstellt, ist dies angebracht. Die Juden erwarteten ein irdisches Reich, und das zu Recht. Sie glaubten jedoch auch, dass dieses Reich auf rein irdischen Grundsätzen beruhte – und genau das war der Grund, warum sie den König verwarfen, denn Er wollte himmlische Grundsätze in sein Reich einführen (siehe z.B. Mt 5,12.16.45.48; 6,1.9.14.19-21.26.32; 7,11.21).
Einige haben freilich suggeriert, das Reich der Himmel sei größer als das Reich Gottes; das Reich Gottes würde dann nur wahre Gläubige umfassen. Dafür werden zwei Argumente angeführt:
-
Erstens wird darauf hingewiesen, dass das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker zwar bei Matthäus, nicht aber bei Markus und Lukas vorkomme. Die Schlussfolgerung wäre dann, dass im Reich Gottes nicht (wie im Reich der Himmel) Gläubige mit Ungläubigen, Unkraut mit Weizen vermischt seien. Dieses Argument ist jedoch nicht stichhaltig. Auch in den Gleichnissen bei Markus und Lukas nimmt das Senfkorn größere Ausmaße an als normal, was darauf hindeutet, dass das Reich Gottes mehr umfasst, als beabsichtigt war. Sowohl bei Markus als auch bei Lukas (Mk 4,3-20; Lk 8,5-15) finden wir außerdem das Gleichnis vom Sämann. Auch dort ist von Menschen die Rede, die „nicht glauben und nicht errettet werden“ (Lk 8,12) und „in der Zeit der Versuchung abfallen“ (Lk 8,13).
-
Ein zweites Argument basiert im Wesentlichen auf Johannes 3,3.5: „Wenn jemand nicht von neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. … Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, so kann er nicht in das Reich Gottes eingehen.“ Daraus wird geschlossen, nur von neuem geborene Menschen befänden sich im Reich Gottes. Bei näherer Betrachtung ist diese Schlussfolgerung jedoch zu voreilig:
-
Bei der Verkündigung des Reiches Gottes und des Reiches der Himmel wird immer gesagt, dass nicht jeder hineingehen kann; niemals wird das Reich Gottes so gepredigt, als ob eine äußere Form ausreichen würde, um hineinzukommen. „Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Reich der Himmel eingehen“ (Mt 18,3; siehe auch Mt 5,20; 7,21; 11,12; 19,23; 23,13; vgl. weiter Mt 5,3.10; 19,14). Dass später dennoch Böses hineingeschlichen ist, war nie Gottes Absicht. Niemals hat Gott die Tür zum Reich ausdrücklich für Nichtwiedergeborene geöffnet!
-
Die Frage ist außerdem, was es eigentlich bedeutet, „in das Reich Gottes einzugehen“. Es ist noch gar nicht sicher, dass dies in Johannes 3 auf diese Zeit hinweist.
Aus Apostelgeschichte 14,22 („durch viele Trübsale in das Reich Gottes eingehen“) folgt, dass „in das Reich Gottes eingehen“ manchmal eine viel weitergehende Bedeutung hat, als in dieser Zeit Teil des Reiches Gottes zu sein. Die Menschen, zu denen Paulus und Barnabas sprachen, erfüllten die Bedingung aus Johannes 3: Sie waren von neuem geboren. Aber um tatsächlich „einzugehen“, wenn „das Reich der Welt unseres Herrn und seines Christus“ gekommen wäre (Off 11,15), mussten sie (und wir) zuerst durch Leiden gehen. „Wenn wir leiden[6], werden wir auch mitherrschen“ (2Tim 2,12). Als der Herr mit Nikodemus sprach, konnte diese Unterscheidung noch nicht getroffen werden, da das Reich noch nicht die Zwischenform angenommen hatte, die es heute hat.
-
Die Verse in 1. Korinther 5,10; 15,50 sowie in Epheser 5,5 (die oft ebenfalls angeführt werden) beziehen sich ebenso auf das zukünftige Erbe im Reich Gottes. Es ist klar, dass ein Unzüchtiger usw. kein Miterbe Christi sein kann. Dies gilt nur für wahre Gläubige, die abgewaschen sind (1Kor 6,11). Auf diesen zukünftigen Aspekt müssen wir noch näher eingehen.
Die Zukunft des Reiches
Der König wird nicht immer verworfen bleiben. Das Reich Gottes wird nicht ewig in der verborgenen Form fortbestehen, in der es jetzt existiert. Die Ankunft des Reiches in Kraft und Herrlichkeit ist jetzt nicht unser Thema, aber wir gehen dennoch kurz darauf ein. Wir haben dies bereits zuvor angesprochen: Der „hochgeborene Mann“ (der Herr Jesus), der in ein fernes Land gereist ist, um ein Reich für sich zu empfangen, wird zurückkehren (Lk 19,12). Und uns, die wir glauben, ist „der Eingang in das ewige Reich unseres Herrn Jesus Christus“ verheißen (2Pet 1,11).
Wir werden darin unser Erbe empfangen (Mt 5,5; 1Kor 6,9-10; 15,50; Gal 5,21; Eph 1,14.18; 5,5; Kol 3,24; Heb 9,15; Off 21,7). Die Schrift nennt uns „Erben“ (Röm 8,17; Gal 3,29; 4,1.7; Tit 3,7; Jak 2,5). Wir sind Miterben Christi (Röm 8,17), weil Christus selbst der wahre Erbe ist (Mt 21,38; Mk 12,7; Lk 20,14; Heb 1,2). Das Lamm, das geschlachtet ist, der Löwe aus dem Stamm Juda, der überwunden hat, wird bald das Erbe aus Gottes Hand empfangen (Off 5,11-14). Dann werden alle alttestamentlichen Prophezeiungen in voller Herrlichkeit erfüllt werden. Dann wird das Reich in seiner vollen Wirklichkeit realisiert werden. Christus wird herrschen und wir werden mit Ihm herrschen. Er ist der König, aber Er hat uns zu Königen gemacht (Off 1,6; vgl. 1Pet 2,9). „Viele von Osten und Westen kommen und werden mit Abraham und Isaak und Jakob zu Tisch liegen in dem Reich der Himmel“ (Mt 8,11).
Das ist eine großartige Aussicht! Doch Gott hat uns dies nicht nur offenbart, damit wir uns davon ermutigen lassen. Die Grundsätze, die der Herr Jesus bald seinem Reich zugrunde legen wird, sollten bereits jetzt Richtlinien für unser Leben sein, in dieser Zeit, in der das Reich noch in verborgener Form existiert und solange der König verworfen ist. Wenn wir beispielsweise bald die Welt richten werden, sind wir dann nicht in der Lage, die Uneinigkeit zu schlichten, die wir als Gläubige untereinander haben (1Kor 6,1-11)? Wenn wir wissen, dass „des HERRN die Erde und ihre Fülle“ ist – so steht es in Psalm 24,1, einem Psalm, der prophetisch auf das tausendjährige Friedensreich hinweist, wenn Gott die Erde als sein Eigentum für sich beanspruchen wird –, müssen wir dann noch ein Problem daraus machen, ob bestimmte Arten von Lebensmitteln für uns annehmbar sind oder nicht (1Kor 10,23-31)? Was auch immer wir tun, ob wir essen oder trinken oder etwas anderes tun – wir dürfen es bereits in dieser Zeit zur Ehre Gottes tun. In Gehorsam gegenüber dem Herrn können wir bereits jetzt die Grundsätze des Reiches, das erst später in voller Herrlichkeit auf Erden errichtet werden wird, verwirklichen.
Originaltitel: „4 – Het koninkrijk van God“
in Hemelburgers op Aarde: De levenspraktijk van christenen in deze wereld,
Vaasen: Medema, 1980, S. 49–73.
Übersetzung: Stephan Winterhoff
Anmerkungen
[1] Darüber hinaus gibt es eine deutliche Parallele zwischen Matthäus 13 (die sieben Gleichnisse) und Offenbarung 2 und 3 (die sieben Gemeinden). In beiden Fällen geben alle drei Kapitel die Geschichte des Zeugnisses Gottes auf Erden wieder. Ich überlasse es dem Leser, diese Parallele zu entdecken; sie ist hier nicht Thema.
[2] Für diejenigen, die nur die übliche Auslegung dieses Gleichnisses kennen („der Sauerteig“ als Bild für die Kraft des Reiches, der als heiligendes und verbesserndes Prinzip die ganze Welt durchdringt), ist es vielleicht notwendig, darauf hinzuweisen, dass „Sauerteig“ in der Bibel überall ein Symbol für das Böse ist (siehe Mt 16,6.11-12; Lk 12,1; 1Kor 5,6-8; Gal 5,9). Die traditionell calvinistische Erklärung findet sich unter anderem bei Dr. Herman Ridderbos, Korte verklaring van de Heilige Schrift. Mattheüs (1), Kampen: Kok, S. 261.
[3] Andere Ausleger sehen in dem Schatz im Acker das Volk Israel und in der kostbaren Perle die Gemeinde. Siehe Arno C. Gaebelein, Zie uw koning komt: Beschouwing over het Evangelie naar Mattheüs, Bd. I, Den Haag: J.N. Voorhoeve, 1954, S. 218.
[4] So auch Dr. Herman Ridderbos (1909–2007), De komst van het koninkrijk. Jezus’ prediking volgens de synoptische evangeliën, Kampen: J.H. Kok, 21972, S. 306–307.
[5] Ich lasse nun die anderen Ausdrücke wie „Reich des Vaters“ (Mt 6,10.33; 13,43; 26,29; Lk 11,2; 12,31) und „Reich des Sohnes“ (Mt 13,41; 16,28; 20,21; Lk 1,33; 22,29-30; 23,42; Eph 5,5; 2Tim 4,1.18; Heb 1,8 [„Königtum“]; 2Pet 1,11; Off 11,15; 12,10) unberücksichtigt.
[6] Anm. d. Red.: Die CSV-Elberfelder übersetzt hier mit „ausharren“.


