Der Prophet Micha (3)
Kapitel 3

Henry Allen Ironside

© SoundWords, online seit: 13.09.2021, aktualisiert: 29.04.2023

Abgefallene Fürsten und Priester

Vers 1

Mich 3,1: Und ich sprach: Hört doch, ihr Häupter Jakobs und ihr Fürsten des Hauses Israel: Ist es nicht an euch, das Recht zu kennen? –

Der zweite Teil des Buches beginnt mit einer Aufforderung an die Häupter und Fürsten Israels, auf den Tadel des Propheten zu hören. Es wird nicht mehr das einfache Volk angesprochen, sondern die Fürsten oder Richter (Mich 3,1-4) und die Propheten (Mich 3,5.6). Dann werden beide zu einer Gruppe zusammengefasst, wobei die Priester als „Häupter des Hauses Jakob“ mit einbezogen werden (Mich 3,9-12).

Es ist sehr ernst, wenn die Führer des Volkes Gottes es in die Irre gehen lassen und wenn die, die ein Bollwerk für die Wahrheit sein sollten, sich davon abwenden und „verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her“ (Apg 20,30).

Gerade die, die das Gericht hätten kennen sollen und die von Gott erweckt worden waren, um die Nation in Gerechtigkeit zu regieren, führten die Masse in die Irre. In der Geschichte der Kirche und Israels war das oft der Fall. Daher ist es unabdingbar, alles, was gelehrt und praktiziert wird, an dem untrüglichen Maßstab, dem unfehlbaren Wort Gottes, zu prüfen. Wenn Christen sich damit zufriedengeben, als „Laien“ bezeichnet zu werden, und ihre geistlichen Belange in die Obhut ihrer Führer geben, sind sie selbst schuld, wenn sie auf falsche Wege geführt werden. Jeder ist selbst dafür verantwortlich, sich in der Gottseligkeit zu üben und die Dinge zu prüfen, die vom Wort Gottes abweichen.

Zu oft werden Führer anmaßend und hochmütig, weil sie sich selbst als „Klerus“ betrachten, dem es zustehe, mit dem „Dienst“ seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Sie vergessen dabei, dass „Dienst“ bedeutet, zu dienen und nicht über Besitz zu herrschen. Kein Hochmut ist schlimmer als geistlicher Hochmut. Keine Anmaßung ist mehr zu verabscheuen als kirchliche Anmaßung. Doch es fehlt nie an eitlen, selbstbezogenen Menschen, die schnell bereit sind, sich selbst hochklingende Titel und Befugnisse anzueignen, wenn die Leute es so haben wollen. Und es ist in der Tat ernst, dass es meist das Volk selbst ist, das dafür verantwortlich gemacht werden muss. Das liegt daran, dass sie bereitwillig das Ipse dixit[1] irgendeines begabten, nichtinspirierten Mannes akzeptieren, anstatt selbst im Wort Gottes zu forschen, um darin den Weg zu finden, der für sie vorgezeichnet ist.

Verse 2.3

Mich 3,2.3: … 2 die ihr das Gute hasst und das Böse liebt; die ihr ihnen die Haut abzieht und das Fleisch von ihren Gebeinen; 3 und die ihr das Fleisch meines Volkes fresst und ihre Haut von ihnen abstreift und ihre Gebeine zerbrecht und zerstückelt wie in einem Topf und wie Fleisch inmitten des Kessels.

Hier war das Volk gleichgültig, und die Fürsten lebten rücksichtslos, verachteten die „unteren Klassen“ und blühten in ihrer Anmaßung und Habgier auf. Anstatt für die Herde Gottes zu sorgen „als solche, die Rechenschaft geben werden“ (Heb 13,17), betrachteten die Fürsten sie als ihre rechtmäßige Beute, der sie „die Haut abzogen“. Dies erinnert an den makabren Scherz von Papst Leo X. [1513–1521], der zu den Kirchenfürsten in seinem Gefolge gesagt haben soll: „Welchen Profit hat uns doch dieses Märchen von Jesus Christus eingebracht!“ (Vgl. Apg 8,18.19.) Und dies war nur möglich gewesen, weil die Bibel den Leuten vorenthalten worden war, und sie waren entschlossen, dass dies so blieb.

Vers 4

Doch die Stunde des Gerichts kommt, wenn all jene für ihr unheiliges Verhalten vor dem großen Hirten der Schafe Rechenschaft geben müssen:

Mich 3,4: Dann werden sie zu dem HERRN schreien, und er wird ihnen nicht antworten; und er wird sein Angesicht vor ihnen verbergen zu jener Zeit, ebenso wie sie ihre Handlungen böse gemacht haben.

Vers 5

Mich 3,5: So spricht der HERR über die Propheten, die mein Volk irreführen, die mit ihren Zähnen beißen und Frieden rufen; und wer ihnen nichts ins Maul gibt, gegen den heiligen sie einen Krieg:

Im zweiten Abschnitt sind es „die Propheten, die mein Volk irreführen“, die aufgerufen werden, das Wort des HERRN zu hören. Die Fürsten herrschten durch schiere Macht, weil man sie fürchtete. Die Propheten verdrehten die Worte des HERRN und legten den Menschen falsche Bürden auf [die der HERR nicht geboten hatte], um sie daran zu hindern, nach dem Weg des Lebens zu fragen. Fürst und Prophet waren jahrhundertelang in einer prunkvollen Hierarchie verschmolzen, aber in unserer Zeit sind sie weitgehend getrennt. Daher können wir leicht unterscheiden zwischen denen, deren Macht auf der Anmaßung eines Kirchenstatus beruht, und denen, die aufgrund einer angeblichen geistlichen Erkenntnis die Menschen in die Irre führen. Diese ihre „Erkenntnis“ berechtige sie dazu, als Repräsentant der Wahrheit gehört zu werden, während sie das Wort Gottes in Wahrheit nur verdrehen oder beiseiteschieben.

Doch so unterschiedlich ihre Systeme auch sein mögen, sie haben alle ein gemeinsames Merkmal: „Solche dienen nicht unserem Herrn Christus, sondern ihrem eigenen Bauch, und durch süße Worte und schöne Reden verführen sie die Herzen der Arglosen“ (Röm 16,18). Das war es, was die falschen Propheten zu Michas Zeiten und auch in allen Tagen davor und danach kennzeichnete: „Wenn sie mit ihren Zähnen etwas zu beißen haben, rufen sie: Frieden; doch sie heiligen einen Krieg gegen den, der ihnen nichts ins Maul gibt“ – so lautet Leesers anschauliche Übersetzung von Vers 5, der in der englischen Authorized-King-James-Bibel nicht so eindeutig ist.

Dem wahren Propheten des HERRN geht es nicht um finanzielle oder andere Belohnung. Er geht hinaus in Abhängigkeit von dem, der ihn gesandt hat. Daher ist er frei, Gottes Wort weiterzugeben, „nicht um Menschen zu gefallen, sondern Gott, der unsere Herzen prüft“ (1Thes 2,4). Jedes falsche religiöse System ist durch Habsucht nach dem schnöden Mammon gekennzeichnet, und seine Anhänger handeln nach dem Gedanken, der im Herzen Simon des Zauberers so leicht Einzug hielt: „dass die Gabe Gottes durch Geld zu erwerben sei“ (Apg 8,20). Das ist der Irrtum Bileams und er ist besonders charakteristisch für die letzten Tage (vgl. Jud 11).

Verse 6.7

Mich 3,6.7: 6 Darum soll es Nacht für euch werden, ohne Gesicht, und Finsternis für euch, ohne Wahrsagung. Und die Sonne wird über den Propheten untergehen und der Tag über ihnen schwarz werden. 7 Und die Seher werden beschämt und die Wahrsager zuschanden werden, und sie werden allesamt den Lippenbart verhüllen, weil keine Antwort Gottes da ist.

Indem die falschen Propheten die Wahrheit auf diese Weise zu ihrem persönlichen Gewinn verdrehen, „verdunkeln sie den Rat mit Worten ohne Erkenntnis“ (Hiob 38,2). Doch so wie sie das Licht vor anderen verborgen haben, so werden sie selbst schließlich in die Finsternis gehen. Vers 6 und 7 sind äußerst ernst und könnten falsche Lehrer sehr wohl erzittern lassen. Unsagbar schrecklich wird das Erwachen sein, wenn denen, die sich vor ihren Mitmenschen als Orakel göttlicher Wahrheit ausgegeben haben, die Augen aufgehen dafür, dass sie für ewig verloren sind. Und obwohl sie in der Qual ihrer Verzweiflung schreien werden, wird Gott nicht antworten!

Verse 8-10

Mich 3,8-10: 8 Ich hingegen, ich bin mit Kraft erfüllt durch den Geist des HERRN und mit Recht und Stärke, um Jakob seine Übertretung kundzutun und Israel seine Sünde. 9 Hört doch dies, ihr Häupter des Hauses Jakob und ihr Fürsten des Hauses Israel, die ihr das Recht verabscheut und alles Gerade krümmt; 10 die ihr Zion mit Blut baut und Jerusalem mit Unrecht.

Wie ganz anders steht es mit dem wahren Diener des HERRN! In schlichter Zuversicht konnte Micha sagen: „Ich hingegen, ich bin mit Kraft erfüllt durch den Geist des HERRN und mit Recht und Stärke, um Jakob seine Übertretung kundzutun und Israel seine Sünde.“ Unbeirrt von Menschenfurcht, die „einen Fallstrick legt“ (Spr 29,25), konnte er treu die Gedanken Gottes verkünden, die ihm der Heilige Geist offenbart hatte. Er war ein Knecht nicht von Menschen, sondern vom HERRN der Heerscharen [vgl. Gal 1,10]; und seinen Dienst übte er mit der Energie des Glaubens aus, also in der mächtigen Kraft Gottes.

Vers 11

Der letzte Abschnitt von Kapitel 3 fasst zunächst alles zusammen, bevor dann in Kapitel 4 die frohe Botschaft des zukünftigen Segens verkündet wird.

Die Herrscher, die das Recht verabscheuten und die Gerechtigkeit verdrehten, bauten Zion mit Blut; doch mit der größten Unverfrorenheit behaupteten sie, der HERR sei in ihrer Mitte und billige ihr Tun:

Mich 3,11: Seine Häupter richten für Geschenke und seine Priester lehren für Lohn, und seine Propheten wahrsagen für Geld; und sie stützen sich auf den HERRN und sagen: Ist nicht der HERR in unserer Mitte? Kein Unglück wird über uns kommen!

So machten sie Ihn zum Diener der Ungerechtigkeit und verwiesen alle, die versuchten, das Gewissen der Herrscher zu erreichen, auf seinen heiligen Namen.

Die Gläubigen sind aufgerufen, „nach Gerechtigkeit zu streben“ (2Tim 2,22). Wenn dies nicht beachtet wird, ist es reine Anmaßung, davon zu sprechen, man habe die Gegenwart des Herrn und stehe in der Linie des Zeugnisses des Herrn. Es lohnt sich, Micha 3,11 im Zusammenhang mit Jeremia 6,13 zu betrachten („Von ihrem Kleinsten bis zu ihrem Größten sind sie allesamt der Gewinnsucht ergeben; und vom Propheten bis zum Priester üben sie allesamt Falschheit“). Dort hatte sich der Zustand einige Jahre später nicht verbessert, sondern verschlechtert. So ist es immer der Fall, wenn das Böse ungerichtet bleibt.

Vers 12

Mich 3,12: Darum wird euretwegen Zion als Feld gepflügt werden, und Jerusalem wird zu Trümmerhaufen und der Berg des Hauses zu Waldeshöhen werden.

Wegen dieses verstockten Zustands sollte Zion wie ein Acker gepflügt und Jerusalem zerstört werden; der Berg des Hauses des HERRN sollte wie die götzendienerischen Höhen der Aschera behandelt werden. Wenn die Gläubigen Gerechtigkeit nicht aufrechterhalten, wird Gott ihren Leuchter wegnehmen und ihre Anmaßungen zunichtemachen. Er, der Heilige und Wahrhaftige, wird Ungerechtigkeit nicht dulden.


Originaltitel: „Notes on the Prophecy of Micah“
aus Notes on the Minor Prophets, 1909
Quelle: http://www.plymouthbrethren.org/article/4846

Übersetzung: Christa Kern

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Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Ipse dixit (lat.) = „Er hat es selbst gesagt“, das heißt eine unbegründete Behauptung. Führt jemand diese Behauptung an, will er damit sagen, dass die Lehrautorität einer bestimmten Person in einer bestimmten Sache nicht in Frage gestellt werden darf.


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