Der Prophet Habakuk (1)
Kapitel 1

Stephan Isenberg

© SoundWords, online seit: 11.10.2020, aktualisiert: 17.02.2022

Der fragende Prophet

Vers 1

Hab 1,1: Der Ausspruch, den Habakuk, der Prophet, geschaut hat.

Offensichtlich hat Habakuk nicht nur einen Ausspruch gehört, sondern auch geschaut. Er hat vor allem das nahestehende Gericht des Chaldäers bildlich vor sich gesehen (vgl. Hab 1,6). Der Prophet bringt nie seine eigenen Vorstellungen über die vergangene, gegenwärtige oder zukünftige Geschichte des Volkes Gottes, sondern er ist ein Sprachrohr Gottes.

Das Wort „Ausspruch“ kann auch mit „Last“ übersetzt werden, so dass wir sagen können: Jeder Prophet trägt eine Last, die Gott ihm aufgetragen hat (vgl. Jer 23,35-38; das hier erwähnte Wort „Last“ wird anderswo auch mit „Ausspruch“ übersetzt; z.B. Mal 1,1; Hab 1,1).

Vers 2

Hab 1,2: Wie lange, HERR, habe ich gerufen, und du hörst nicht! Ich schreie zu dir: „Gewalttat!“, und du rettest nicht.

Der Ruf „Wie lange, HERR?“ kann als ein Ruf des Glaubens verstanden werden, weil er das Vertrauen und die Hoffnung auf Erhörung ausdrückt. Wenn der Herr Jesus hingegen ausruft: „Bis wann soll ich euch ertragen?“ (Mk 9,19), dann kommt dort mehr der Unglaube der Jünger zum Ausdruck. Habakuk ruft zum HERRN, scheint aber keine Antwort zu bekommen. Der Prophet sieht um sich herum nur Gewalttat und meint, dass Gott das doch nicht gleichgültig sein kann.

Wie viele Menschen sind an dieser Frage, warum Gott das Leid und die Ungerechtigkeit in der Welt zulässt, gescheitert. Der Bibelausleger Roger Liebi erwähnt in einem Vortrag über den Propheten Habakuk ein Zitat aus der Autobiographie von Charles Darwin (Vater der modernen Evolutionslehre):

Wenn ich den gestirnten Himmel anschaue, kommt es wie eine Macht über mich, dass es doch einen Schöpfergott gibt. Aber wenn ich dann an die Ungerechtigkeit in der Welt denke, geht das wieder von mir weg.[1]

Darwin schaute in die Schöpfung und konnte einen Schöpfer nicht leugnen, aber die Frage der Ungerechtigkeit inmitten dieser Welt ließ ihn scheitern. Hiob ist historisch gesehen das erste Buch der Bibel, und auch Hiob selbst wirft diese existentielle Frage nach dem Leid und dem Warum auf. Wir sehen also, dass das Buch Habakuk mit ganz grundsätzlichen Fragen des Menschen zu tun hat.

Vers 3a

Hab 1,3a: Warum lässt du mich Unheil sehen und schaust Mühsal an?

Wir finden im ersten Kapitel insgesamt vier Fragen (Hab 1,3.12.13.17). Der Prophet schreit zu Gott und hat den Eindruck, dass sein Gebet nicht bei Gott ankommt.

Zu den verschiedenen Warum-Fragen in der Bibel schreibt der Ausleger André Cuendet:

In der ganzen Bibel kommen Warum-Fragen vor. Sie aufzuschreiben gäbe eine lange Liste. Sind diese „Warum?“ nicht ein Zeichen der Unwissenheit, des Nicht-Verstehens, aber auch der Ermüdung und der Entmutigung vonseiten der Menschen? Es ist zu Recht gesagt worden, dass der Gläubige – auch wenn er noch so schwer geprüft wird – sich nicht im Wald der Warums verlieren sollte. Dort verbirgt sich nämlich Satan. Er versucht, Zweifel an der Güte und Liebe Gottes ins Herz zu säen. Und mehr noch, er versucht eine innere Auflehnung bei uns hervorzurufen. Finden unsere Warum-Fragen nicht eine göttliche Antwort in dem großen Warum aus Psalm 22,2: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“[2]

Vers 3b

Hab 1,3b: Und Verwüstung und Gewalttat sind vor mir, und Streit entsteht, und Hader erhebt sich.

Habakuk hat ein Empfinden für den niedrigen Zustand seines eigenen Volkes. Er bittet den HERRN um sein Eingreifen. Er redet diese Worte nicht vor den Ohren der Menschen, sondern schüttet sein Herz vor Gott aus. Er wünscht sich Erweckung und Wiederherstellung. Das Volk sollte in der Blüte (statt „Verwüstung“) vor Gott stehen, gekennzeichnet von Frieden (statt „Streit“) und Eintracht (statt „Hader oder Zwietracht“). Doch sieht er überall Gewalttat und ein Abweichen von Gottes Gesetz. Es gibt verheerende Zustände mit Streit und Hader. Statt „Hader“ können wir auch mit „Zwietracht“ übersetzen, also das Gegenteil von Eintracht.

Jakobus fragt im Neuen Testament: „Woher kommen Kriege und woher Streitigkeiten unter euch? Nicht daher: aus euren Begierden, die in euren Gliedern streiten?“ (Jak 4,1). Der Apostel Paulus fragt in einem ähnlichen Zusammenhang: „Denn da Neid und Streit unter euch ist, seid ihr nicht fleischlich und wandelt nach Menschenweise?“ (1Kor 3,3). Streitigkeiten finden ihren Ursprung immer in unserem Fleisch. Allein das Leben im Geist kann uns vor diesen unsäglichen Streitereien bewahren. Leben wir im Geist, nehmen wir uns selbst zurück, nehmen uns selbst nicht so wichtig, achten den anderen höher als uns selbst und sind geduldig und langmütig mit unserem Nächsten. „Die Frucht des Geistes aber ist: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit; gegen solche Dinge gibt es kein Gesetz. Die aber des Christus sind, haben das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und den Begierden“ (Gal 5,22-24).

Vers 4

Hab 1,4: Darum wird das Gesetz kraftlos, und das Recht kommt niemals hervor; denn der Gottlose umzingelt den Gerechten: Darum kommt das Recht verdreht hervor.

Das Gesetz hatte man noch nicht gänzlich abgeschafft, aber es hatte seine Kraft verloren, „das Recht kommt niemals hervor“. Auch in unseren Tagen hat die moderne Theologie das Vertrauen in Gottes Wort maximal verdorben. Und dort, wo wenigstens noch an der Glaubwürdigkeit der Bibel festgehalten wird, fehlt es an Kraft, nach diesem Wort zu leben. Das Wort ist kraftlos geworden, es hat seine Schärfe verloren, vieles kommt nur verdreht hervor. An bestimmten Bibelstellen wird so lange herumtheologisiert, bis sie genau das Gegenteil von dem aussagen, was im ursprünglichen Bibeltext stand. Der Apostel Petrus schreibt über die Schriften von Paulus: „… so wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit euch geschrieben hat, wie auch in allen Briefen, wenn er in ihnen von diesen Dingen redet, von denen einige schwer zu verstehen sind, die die Unwissenden und Unbefestigten verdrehen, wie auch die übrigen Schriften, zu ihrem eigenen Verderben“ (2Pet 3,15.16).

Nehmen wir ein Beispiel aus diesen Schriften des Paulus: In 1. Korinther 14,34 steht, dass die Frauen in der Gemeinde schweigen sollen. Dieser Satz ist nicht schwer zu verstehen und ist jahrhundertelang richtig verstanden worden. Heute passt dieser Vers nicht mehr in unsere von Feminismus und Genderideologie geprägte Zeit. Also wird daran so lange „gearbeitet“, bis geradezu das Gegenteil dabei herauskommt. Der Apostel Paulus ruft auch uns zu: „Ich fürchte aber, dass etwa, wie die Schlange Eva durch ihre List verführte, so euer Sinn verdorben und abgewandt werde von der Einfalt gegenüber dem Christus“ (2Kor 11,3). Achten wir darauf, dass wir es noch schaffen, die Bibel im positiven Sinn „einfältig“ zu lesen.

Wir sind vielleicht noch Hörer des Wortes, aber wir tun es nicht mehr und Jakobus sagt, dass wir uns damit selbst betrügen (vgl. Jak 1,22).

Der Gottlose scheint die Überhand zu haben und der Gerechte das Nachsehen („denn der Gottlose umzingelt den Gerechten“). All das empfindet Habakuk als hochgradig ungerecht, und er fragt sich, wie Gott es zulassen kann, dass der Gottlose scheinbar Erfolg hat und der Gerechte leiden muss. Auch Asaph war einmal an diesem Punkt angekommen: „Siehe, diese sind Gottlose, und immerdar sorglos, erwerben sie sich Vermögen. Gewiss, vergebens habe ich mein Herz gereinigt und meine Hände in Unschuld gewaschen, da ich ja geplagt wurde den ganzen Tag und jeden Morgen meine Züchtigung da war“ (Ps 73,12-14). Asaph brachte seine Bedenken ehrlich vor Gott, ohne Gott in irgendeiner Weise anzuklagen, und er bekam eine Antwort, so wie auch Habakuk eine Antwort bekam. Asaph lernte, weiter zu blicken und auf das Ende der Gottlosen zu sehen: „… bis ich hineinging in die Heiligtümer Gottes und jener Ende gewahrte“ (Ps 73,17). Auch Habakuk sollte eine Antwort erhalten.

Diese beiden Beispiele von Habakuk und Asaph sind eine große Ermutigung für uns, mit unseren Fragen ehrlich zu Gott zu kommen. Wir sollten dies nie in einer selbstgefälligen oder überheblichen Art und Weise tun, die Gott für seine Wege verurteilt, und doch können wir es Ihm sagen, wie wir es empfinden. Angesichts der Nöte ist ein Seufzen vor Gott erlaubt, aber kein Murren (Röm 8,22-27). Es ist gut, mit unseren Seufzern zu Gott zu kommen und nicht voreinander und schon gar nicht übereinander zu seufzen. Der Bibellehrer Hamilton Smith (1862–1943) schreibt:

Worte der Klage, die wir aneinander richten, können somit entweder einen verborgenen Geist der Auflehnung gegen Gott offenbaren oder sie können auch ein Versuch sein, uns selbst zu erheben, indem wir andere geringachten. Wie gut ist es deshalb für uns, diesen Fallstricken zu entkommen, indem wir den Schmerz unseres Geistes und die Übungen unserer Seelen vor Gott ausgießen.[3]

Habakuk konnte sich also nicht vorstellen, dass Gott diesem Zustand gegenüber gleichgültig sein würde. Und das stimmte auch, Gott stand diesem Zustand nicht gleichgültig gegenüber. Aber mit der nun folgenden Antwort hatte Habakuk auch nicht gerechnet, denn er wünschte sich von Herzen eine Erweckung und eine Wiederherstellung seines Volkes:

Verse 5.6

Hab 1,5.6: 5 Seht unter den Nationen und schaut und erstaunt, staunt; denn ich wirke ein Werk in euren Tagen – ihr würdet es nicht glauben, wenn es erzählt würde. 6 Denn siehe, ich erwecke die Chaldäer, das grimmige und ungestüme Volk, das die Breiten der Erde durchzieht, um Wohnungen in Besitz zu nehmen, die ihm nicht gehören.

Habakuk sollte das Gericht Gottes über sein Volk „schauen“ (Hab 1,1). Gott würde ein Gericht wirken, das sie nicht glauben würden, wenn man es ihnen erzählte. Die Zeiten einer Erweckung wie unter Josia waren vorbei; Gott hatte auf verschiedene Weise versucht, das Volk zur Umkehr zu bewegen (Naturkatastrophen, Dürrezeiten, Plagen). Vierzig Jahre warnte Jeremia das Volk und ermahnte es, zu Gott umzukehren. Nun würde Gott die Feinde Israels erwecken, um sein Volk zu züchtigen. Habakuk musste nicht nur lernen, dass die Langmut Gottes auch ein Ende kennt, sondern dass hinter den Feinden des Volkes die züchtigende Hand Gottes stand. Nicht allein die Strafe an sich war schwer zu verstehen, sondern das Instrument, durch das diese Strafe erfolgen sollte, würde so unglaublich sein.

Der Apostel Paulus greift auf Vers 5 in Apostelgeschichte 13,40.41 zurück. Dort ging Paulus am Tag des Sabbats in die Synagoge und verkündigte den Juden in Antiochien das Evangelium. Der Apostel ermahnte die Juden am Ende seiner Rede, nicht an dem Werk Gottes vorbeizugehen, das Gott in der Person des Herrn Jesus gewirkt hatte – sie sollten sich an ihren alten Propheten Habakuk erinnern, der ebenfalls etwas verkündigte, was viele nicht glauben wollten, und trotzdem war es wahr und die Prophezeiung erfüllte sich Wort für Wort. Jeder, der das Evangelium nicht annehmen würde, sollte ebenso unter das Gericht kommen wie jene, die zur Zeit Habakuks es nicht für möglich hielten, dass Gott ein derartiges Gericht über sie bestellen würde.

Es kann aber auch sein, dass Paulus bei den Worten „Ich wirke ein Werk in euren Tagen“ nicht zuerst an das Werk auf Golgatha dachte, sondern an das Gericht für alle jene, die das Evangelium ablehnen würden. Denn im Buch Habakuk geht es eindeutig bei dem „Werk“ um das bevorstehende Gericht des Chaldäers und nicht um ein Werk zum Heil für Israel. Das Werk vom Kreuz hat immer diese beiden Seiten: Es bedeutet Gericht für alle, die nicht an das Evangelium glauben, und es bedeutet Heil für alle, die glauben.

Von Zeit zu Zeit müssen auch wir diese Lektion lernen, dass hinter allem, was uns zustößt und passiert, letztlich die (gütige) Hand Gottes steht. Wenn Gott Dinge in unserem Leben zulässt, dann dürfen wir wissen, dass Er etwas in unserem Leben gesehen hat, was noch korrigiert werden muss. Als Christen dürfen wir wissen, dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken werden (vgl. Röm 8,28). Nichts in unserem Leben passiert irgendwie zufällig; wir sind keinem blinden Schicksal ausgeliefert.

Wenn schreckliche Dinge in der Welt oder auch in dem Land, in dem wir leben, geschehen, sollten wir uns die Frage stellen, ob das nicht auch mit dem immer größer werdenden Abfall von christlichen Werten zusammenhängt (2Tim 3,1-5; Röm 1,21-32). Damals hielt man diese Art der Betrachtung nicht für möglich: „Ihr würdet es nicht glauben, wenn es erzählt würde.“ Und heute? Selbst Christen lehnen es oft ab, schreckliche Katastrophen mit dem schlechten Zustand der Christen und der Menschen im Allgemeinen in Zusammenhang zu bringen (vgl. Hiob 9,5-7).

Hamilton Smith kommentiert:

Jedoch trotz des Unglaubens des Menschen geht das Werk Gottes, sei es in Gnade oder in Regierung, weiter. So wird dem Propheten in seinen Tagen gesagt, dass Gott die Babylonier erweckt habe, um sein Werk der Regierung auszuführen. Die Babylonier werden kaum daran gedacht haben, dass sie zum Höhepunkt ihrer Macht gelangten, nur um ein Instrument in der Hand Gottes zu sein zur Züchtigung seines Volkes und zur Eindämmung des Bösen unter den Nationen. Doch so war es in den Tagen des Propheten, und so ist es stets in der Geschichte dieser Welt gewesen, wenn skrupellosen Tyrannen für eine Zeit erlaubt wurde, ihre Laufbahn der Aggression über die umliegenden Völker zu verfolgen.[4]

So wie der Babylonier nicht mehr als ein Werkzeug in der Hand Gottes war – obwohl das Werkzeug nicht ahnte, durch welch eine Hand es geführt wurde –, so war es auch zur Zeit der Geburt des Herrn Jesus, als Augustus eine Einschreibung befahl und dabei nicht ahnte, dass dadurch die Prophezeiung aus Micha 5,1 in Erfüllung gehen würde, dass der Messias in Bethlehem geboren würde. Was muss nicht heute alles passieren, damit Gott auch mit unserem Leben ans Ziel kommt?

Nur in Vers 6 wird der Name der Chaldäer erwähnt. Bereits in der Einleitung haben wir gesehen, dass es sich hierbei um das gerade auftretende Weltreich der Babylonier handelte. Dieses Volk wird hier als ein grimmiges und ungestümes Volk beschrieben, das die Erde durchzieht und in Besitz nimmt, was ihnen nicht gehört. Außerbiblische Berichte sprechen von den Grausamkeiten und der Erbarmungslosigkeit der Babylonier.

Verse 7-11

Hab 1,7-11: 7 Es ist schrecklich und furchtbar; sein Recht und seine Hoheit gehen von ihm aus. 8 Und schneller als Leoparden sind seine Pferde und rascher als Abendwölfe; und seine Reiter sprengen daher, und seine Reiter kommen von fern, fliegen herbei wie ein Adler, der zum Fraß eilt. 9 Sie kommen allesamt zur Gewalttat; das Streben ihrer Angesichter ist vorwärts gerichtet, und Gefangene rafft es zusammen wie Sand. 10 Und es verspottet Könige, und Fürsten sind ihm ein Gelächter; es lacht jeder Festung, und es schüttet Erde auf und nimmt sie ein. 11 Dann fährt es daher wie der Wind und zieht weiter und macht sich schuldig: Diese seine Kraft ist sein Gott!

Die Chaldäer werden als grausame Nation beschrieben, die nur ihr eigenes Recht kannten. Da sie nichts und niemanden anerkannten und auch vor keiner Form der Gewalttat zurückschreckten, sanken sie unter die Würde eines Menschen. Ihre Vorgehensweise wird mit wilden Tieren verglichen, mit Leoparden, Abendwölfen und Adlern, die zum Fraß eilen. Sie raffen alle weg, ohne einen Unterschied zu machen. Sie kennen nur ein einziges Programm: Gewalttat. Gegen diese Gewalttaten waren die Menschen Judas allerdings Heilige. Habakuk sprach in Vers 3 von der Gewalttat in Juda, aber diese war nicht zu vergleichen mit der Gewalttat der Babylonier.  

Über sechshundert Jahre später sollten Menschen sich wiederum wie Bestien, wie wilde Tiere verhalten. Als der Sohn Gottes am Kreuz hängt, erfüllte sich, was wir in Psalm 22 finden: „Viele Stiere haben mich umgeben, gewaltige Stiere von Basan mich umringt. Sie haben ihr Maul gegen mich aufgesperrt wie ein reißender und brüllender Löwe … Denn Hunde haben mich umgeben, eine Rotte von Übeltätern hat mich umzingelt … Errette vom Schwert meine Seele, meine einzige von der Gewalt des Hundes; rette mich aus dem Rachen des Löwen! – Ja, du hast mich erhört von den Hörnern der Büffel“ (Ps 22,13.14.17.21.22). Im Anblick dieser Macht tierischer Instinkte konnte der Sohn Gottes nur klagen: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mann, der Menschen Hohn und der vom Volk Verachtete“ (Ps 22,7).

Die Chaldäer beteten ihre eigene Macht und Stärke an („Diese seine Kraft ist ihr Gott“; Hab 1,11). In Daniel 4,27 lesen wir von Nebukadnezar: „Ist das nicht das große Babel, das ich zum königlichen Wohnsitz erbaut habe durch die Stärke meiner Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit?“ Aber auch Nebukadnezar musste lernen, dass er letztlich nur die Zuchtrute in der Hand des HERRN war. Sein Hochmut ließ ihn für sieben Jahre wie ein Tier werden (vgl. Dan 4,28).

Wie viele Menschen haben diesen Gott der Babylonier? Sie vertrauen nur ihrer eigenen Kraft, ihren eigenen verstandesmäßigen Kapazitäten. Sie vertrauen auf sich selbst oder auf die Mittel, die sie verwenden. So lesen wir es in Habakuk 1,16: „Darum opfert er seinem Netz und räuchert seinem Garn.“ Das sind ihre wahren Götzen (Götter).

Auch als Christen müssen wir uns die Frage gefallen lassen, ob wir wirklich als Gerechte erkannt werden, die im Vertrauen auf Gott leben und gelernt haben, mit dem Apostel Paulus anzuerkennen, wenn der Herr Jesus spricht: „Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht“ (2Kor 12,9). Haben wir wirklich anerkannt, dass wir ohne den Herrn nichts vermögen? Dass wir völlig kraftlos sind? Bedenken wir es gut, dass „Christus, da wir noch kraftlos waren, zur bestimmten Zeit für Gottlose gestorben ist“ (Röm 5,6). Habakuk wurde dahin geführt zu beten: „Der HERR, der Herr, ist meine Kraft“ (Hab 3,19).

In den Versen 5 bis 11 haben wir also die Antwort des HERRN auf die Seelennot des Propheten. Gott greift ein, aber nicht sofort und schon gar nicht, wie wir uns das vorgestellt haben. Das ist heute immer noch so. Gott schaut sich vieles sehr lange Zeit an; Er ist sehr langmütig gegen uns, weil Er nicht will, dass irgendjemand verlorengeht (vgl. 2Pet 3,3.4.9).

Habakuk sollte hinter der kurz bevorstehenden Invasion des Chaldäers die Hand Gottes zur Züchtigung seines Volkes erkennen. Dies war eine schwere Lektion für Habakuk, wie wir in der Folge sehen werden.

Vers 12

Hab 1,12: Bist du nicht von alters her, HERR, mein Gott, mein Heiliger? Wir werden nicht sterben. HERR, zum Gericht hast du es gesetzt, und, o Fels, zur Züchtigung es bestellt.

In diesen Versen redet der Prophet wieder zu Gott. Zuerst ist es großartig, wie Habakuk sich an Gott wendet. Seine persönliche Beziehung zu Gott kommt in den Worten zum Ausdruck: „Bist du nicht von alters her, HERR, mein Gott, mein Heiliger?“ Er ist nicht überrascht, dass das Volk unter die züchtigende Hand Gottes kommt. Er ist sich bewusst; Egal, was passieren würde, die alten Verheißungen für das Volk Israel sind deshalb nicht verloren. Deshalb fügt er hinzu: „Wir werden nicht sterben.“[5] Es ist Habakuk bewusst, dass der Chaldäer lediglich Gottes Werkzeug zum Gericht und nicht zur gänzlichen Vernichtung sein sollte („HERR, zum Gericht hast du es gesetzt, und, o Fels, zur Züchtigung es bestellt“).

Jeremia war möglicherweise ein Zeitgenosse Habakuks. Er schreibt im Zusammenhang mit dem neuen Bund: „So spricht der HERR, der die Sonne gesetzt hat zum Licht bei Tag, die Ordnungen des Mondes und der Sterne zum Licht bei Nacht, der das Meer aufwühlt, und seine Wogen brausen, HERR der Heerscharen ist sein Name: Wenn diese Ordnungen vor meinem Angesicht weichen werden, spricht der HERR, so soll auch die Nachkommenschaft Israels aufhören, eine Nation zu sein vor meinem Angesicht alle Tage. So spricht der HERR: Wenn die Himmel oben gemessen und die Grundfesten der Erde unten erforscht werden können, so will ich auch alle Nachkommen Israels verwerfen wegen all dessen, was sie getan haben, spricht der HERR“ (Jer 31,35-37). Nein, Israel wird nicht sterben, es sei denn, dass die Ordnungen des Himmels weichen oder die Grundfesten der Erde in ihrer Gänze erforscht werden können. Davon ist der Mensch heute noch weit entfernt.

Habakuk erkennt an, dass dieses fremde Volk von Gott zur Züchtigung bestellt würde, aber dann erinnert er Gott daran, dass diese böse Nation der Chaldäer doch viel böser sei als Israel. Habakuk hatte ein sehr deutliches Empfinden für den Niedergang in seinem eigenen Volk, aber dass Gott den noch böseren Chaldäer als Zuchtrute senden würde, passte mit Habakuks Verständnis über Gerechtigkeit nicht zusammen. Deshalb appelliert er an Gott mit den Worten: „Warum schaust du Räubern zu, schweigst, wenn der Gottlose den verschlingt, der gerechter ist als er?“

Vers 13

Hab 1,13: Du bist zu rein von Augen, um Böses zu sehen, und Mühsal vermagst du nicht anzuschauen. Warum schaust du Räubern zu, schweigst, wenn der Gottlose den verschlingt, der gerechter ist als er,

Zuerst beklagt sich Habakuk, dass Gott angesichts der Gewalttat und Korruption in Israel nicht auf sein Gebet hören würde. Angesichts dieser Ungerechtigkeit konnte Gott doch nicht einfach schweigen (Hab 1,2). Nun bringt Habakuk eine weitere Klage gegen Gott hervor: Warum schweigst du? Nun geht es nicht um die Ungerechtigkeit des Volkes Gottes, sondern um die Ungerechtigkeit des Volkes der Chaldäer. Gott kann doch diesen Räubern nicht einfach zusehen, die bei ihren Raubzügen noch grausamer waren als jede Gewalttat im Land Juda. Habakuk wollte die Antwort auf seine Klage abwarten, wollte auf seine Warte treten.

Doch bevor wir mit Habakuk auf seine Warte treten, wollen wir uns noch die Frage stellen: Haben auch wir manchmal den Eindruck, dass Gott schweigt?

Das ist eine wichtige Lektion für Habakuk und ebenso für uns. Warum schweigt Gott? Oder schweigt Gott nur scheinbar? Kann nicht auch manchmal das Schweigen Gottes eine Antwort sein? Denken wir an Psalm 22,3: „Mein Gott! Ich rufe am Tag, und du antwortest nicht; und bei Nacht, und mir wird keine Ruhe.“ Dieses Schweigen Gottes, als der Herr Jesus am Kreuz ausruft: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“, ist gleichzeitig eine Antwort, die wir auch im Psalm 22,4 finden: „Doch du bist heilig.“ Gott musste schweigen, weil seine Heiligkeit es erforderte. Wenn Habakuk den Eindruck hatte, dass Gott schweigen würde, dann war es auch wegen der Heiligkeit Gottes. Habakuk hätte sich gewünscht, Gott würde sein Volk erwecken, aber Gott würde Habakuk klarmachen müssen, dass es für eine Erweckung zu spät und das Gericht nicht mehr abzuwenden war.

Exkurs: Wenn Gebete nicht erhört werden ...

Wir wollen einen kleinen Exkurs zum Thema Gebet machen. Viele haben den Eindruck, dass ihr Gebet nur bis zur Zimmerdecke geht. Deshalb wollen wir einige seelsorgerliche Aspekte überdenken.

Wenn Gott scheinbar schweigt, kann es sein, dass Er schon längst durch sein Wort geredet hat. Wir warten auf eine Antwort, doch Gott hat schon deutlich Stellung zu unserer Frage genommen. Du bist jung, hast noch keine Ausbildung und kannst eine Familie nicht ernähren. Nun fragst du, ob Gott möchte, dass du diese oder jene Person heiraten sollst. Du bekommst scheinbar keine Antwort. Die Wahrheit ist, dass Gott längst eine Antwort in seinem Wort gegeben hat: „Besorge draußen deine Arbeit und bestelle sie dir auf dem Feld; danach magst du dann dein Haus bauen“ (Spr 24,27). Oder deine Ehe ist eine einzige Katastrophe; vielleicht bist du sogar für eine Zeit ausgezogen und nun lernst du einen Mann oder eine Frau kennen, die so viel netter ist als dein Ehepartner. Du fragst Gott, ob es erlaubt ist, sich in solchen Fällen scheiden zu lassen. Scheinbar erhältst du keine Antwort. Die Wahrheit ist, dass Gott sich schon längst in seinem Wort festgelegt hat (vgl. 1Kor 7,10.11; Mt 19,3-10).

Wenn Gott schweigt und du vor einer langen Liste nicht erhörter Gebete stehst, kann es noch andere Gründe dafür geben:

  • Manchmal schweigt Gott, weil wir zwar alles getan haben, nur nicht gebetet (Jak 4,2: „Ihr habt nichts, weil ihr nicht bittet“). Wir haben anderen gesagt, dass wir für dieses oder jenes beten würden, taten es aber nie. Wir haben ein größeres Problem und fragen hier und fragen dort, üben uns im „positiven Denken“, lesen Selbsthilfebücher usw. Aber haben wir wirklich ernsthaft und ausdauernd für unser Problem gebetet? Oft werden unsere Gebete nicht erhört, weil wir nicht ausdauernd und ernsthaft beten. Habakuk bekam über einen längeren Zeitraum scheinbar keine Antwort, dennoch hörte er nicht auf zu beten.

  • Oder bestimmte Sünden haben eine Scheidung gemacht zwischen uns und Gott, und deshalb schweigt Gott (vgl. Jes 59,2: „Eure Ungerechtigkeiten haben eine Scheidung gemacht zwischen euch und eurem Gott, und eure Sünden haben sein Angesicht vor euch verhüllt, dass er nicht hört“). Nicht bekannte Sünde trennt unsere Verbindung zu Gott. Wenn wir Gott betrügen, wenn wir Ihm nur halbherzig dienen, wenn wir Ihm von unserer Zeit und unseren Möglichkeiten nur das Kranke und Lahme geben wie die Israeliten in der Zeit des Propheten Maleachi (Mal 1,8.13), warum sollte Gott dann die Fenster des Himmels für uns öffnen?

  • Oder in unserem Leben gibt es zerbrochene Beziehungen, die wir in Ordnung bringen sollten, bevor wir das Angesicht Gottes suchen (vgl. Mt 5,23.24: „Wenn du nun deine Gabe zum Altar bringst und dich dort erinnerst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar und geh zuvor hin, versöhne dich mit deinem Bruder; und dann komm und bring deine Gabe dar“). Lebst du vielleicht in ständigem Konflikt mit einem Familienangehörigen, Mitarbeiter in der Gemeinde oder sonst einem Freund? Der Apostel Petrus schreibt in Bezug auf das eheliche Gebet von Mann und Frau: „Ihr Männer ebenso, wohnt bei ihnen nach Erkenntnis als bei einem schwächeren Gefäß, dem weiblichen, ihnen Ehre gebend als solchen, die auch Miterben der Gnade des Lebens sind, damit eure Gebete nicht verhindert werden“ (1Pet 3,7). Ungelöste Ehekonflikte können eine Gebetserhörung verhindern. Natürlich können wir nicht immer mit jedem in Frieden leben, da der Friede nicht nur von uns abhängig ist, aber der Apostel Paulus schreibt an die Römer: „Wenn möglich, soviel an euch ist, lebt mit allen Menschen in Frieden“ (Röm 12,18).

  • Auch muss Gott schweigen, wenn wir etwas von Ihm erwarten, was nur zu unserer eigenen Belustigung dient (vgl. Jak 4,3: „Ihr bittet und empfangt nichts, weil ihr übel bittet, damit ihr es in euren Begierden vergeudet“). Kennen wir die Gebete, in denen es eigentlich nur um uns und unsere Bedürfnisse geht? Wenn wir unsere Gebetslisten einmal durchgehen, offenbart sich da nicht viel Selbstsucht? Stell dir vor, du müsstest deine Gebetsliste im Internet veröffentlichen? Welche Gebete würdest du streichen, welche hinzunehmen? Der Herr Jesus hat seine Jünger gelehrt zu beten, und sie sollten sprechen: „Unser Vater, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name; dein Reich komme; dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf der Erde“ (Mt 6,9.10). Erst dann heißt es: „Unser nötiges Brot gib uns heute“ (Mt 6,11).

  • Oder wir verstopfen unser Ohr „vor dem Schrei der Armen“. Auch dann werden wir „rufen und nicht erhört werden“ (Spr 21,13: „Wer sein Ohr verstopft vor dem Schrei des Geringen, auch er wird rufen und nicht erhört werden“). Gleichgültigkeit gegenüber der Not des anderen kann die Erhörung unserer Gebete verhindern (vgl. Jes 58,3-9).

  • Auch der Zweifel und ein Mangel an Vertrauen kann dazu führen, dass Gott scheinbar schweigt: „Er bitte aber im Glauben, ohne irgend zu zweifeln; denn der Zweifelnde ist gleich einer Meereswoge, die vom Winde bewegt und hin und her getrieben wird. Denn jener Mensch denke nicht, dass er etwas von dem Herrn empfangen werde“ (Jak 1,6.7). Es scheint eine gute Gewohnheit zu sein, dass wir uns an die großen Taten Gottes erinnern, bevor wir niederknien. Gott hat auf vielerlei Weise in der Geschichte des Volkes Gottes wundersam eingegriffen. Er teilte das Rote Meer und ließ das Wasser des Jordan stehen. Er sorgte einmal dafür, dass die Sonne nicht unterging. Gott hat unendlich viele Möglichkeiten, unseren Problemen zu begegnen. Wenn wir Glauben haben, kann Er diesen oder jenen Berg voller Nöte und Probleme versetzen (vgl. Mk 11,23). Die Naturgesetze gehorchen nicht der Natur, sondern dem Schöpfer. Der Herr Jesus trägt alles durch das Wort seiner Macht, alle Dinge bestehen durch Ihn. Er sitzt zur Rechten der Macht und wir dürfen mit Ihm verbunden sein. Wir dürfen also glaubensvoll beten. Er kann einen Sturm in unserem Leben zum Schweigen bringen und dafür sorgen, dass wir auf dem Wasser gehen können.

Kehren wir nach diesem Exkurs nun zum Propheten Habakuk zurück. Habakuk sollte durch das Schweigen Gottes nicht entmutigt werden. Gott würde ihm in Kapitel 2 zeigen, dass er lernen sollte, auch dann zu vertrauen, wenn er auf seine Fragen nicht sofort Antwort bekommt und den Eindruck hat, dass Gott seiner persönlichen Not gleichgültig gegenübersteht. Gott teilt ihm sehr deutlich mit: Er wird handeln, aber zu seiner Zeit! – Was für eine Lektion für uns alle!

Habakuk bringt eine weitere Klage vor den HERRN: „Warum schaust du Räubern zu, schweigst, wenn der Gottlose den verschlingt, der gerechter ist als er?“ Ja, Israel war böse, aber doch nicht böser als die Chaldäer! – Ist der Eindruck Habakuks wirklich wahr? Ist nicht das Volk Gottes viel schuldiger, weil es mit dem wahren Gott in Verbindung steht und gegen besseres Wissens gehandelt hat?

Wie dem auch sei: Habakuk ist offensichtlich verwirrt, denn wie kann jemand bestraft werden von jemandem, der noch schlimmer ist als er selbst, und das soll auch noch gerecht sein!? Normalerweise wird eine schuldige Person von einem ordentlichen Gericht verurteilt und bestraft. Habakuk ist mit der Antwort Gottes nicht einverstanden und erinnert Gott weiter an das „schreckliche und furchtbare“ (Hab 1,7) Verhalten der Chaldäer:

Verse 14-17

Hab 1,14-17: … 14 und machst die Menschen den Fischen des Meeres gleich, dem Gewürm, das keinen Herrscher hat? 15 Er hebt sie alle mit der Angel herauf, er zieht sie herbei mit seinem Netz und sammelt sie in sein Garn; darum freut er sich und frohlockt. 16 Darum opfert er seinem Netz und räuchert seinem Garn, denn durch sie ist sein Teil fett und seine Speise feist. 17 Soll er deshalb sein Netz ausleeren und beständig darauf ausgehen, Nationen schonungslos hinzumorden?

In unserer Zeit gilt es als normal, dass es einen gewissen Respekt unter den Herrschern verschiedener Nationen gibt. Auch wenn die Respektlosigkeiten in unserer Zeit zunehmen, so würde der Chaldäer die Nationen lediglich als Fische im Wasser betrachten, ja als „kriechende Kreaturen“, wie man das hebräische Wort für „Gewürm“ auch übersetzen könnte. Obwohl diese Nationen natürlich alle einen König und Fürsten hatten, wurden diese jedoch überhaupt nicht ernst genommen. So wie ein Fischer nicht über die Fische nachdenkt, die in sein Netz gehen, so dachte der Chaldäer nicht über das Leben der Menschen nach, die er tötete, ausbeutete oder für sein bequemes Leben ausnutzte.

Vers 16 bedeutet, dass sie keinen Gott über sich anerkennen, ihr wahrer Gott heißt: Erfolg. Es heißt: „Darum opfert er seinem Netz und räuchert seinem Garn.“ Der Chaldäer betet nicht nur sich selbst und seine eigene Kraft an (vgl. Hab 1,11: „Diese seine Kraft ist sein Gott!“), sondern auch das, was er sich durch seine scheinbar eigene Kraft zu eigen gemacht hat. Die Chaldäer überrannten eine Nation nach der anderen, bemächtigen sich der Schwachen und Hilflosen, um sich selbst ein Leben im Luxus zu ermöglichen.

Die Frage von Habakuk in Vers 17 zeigt, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass diese Grausamkeit der Chaldäer immer so weitergehen würde.

In der heutigen Zeit gehen oft große Firmen so mit ihren Mitarbeitern um; der wahre Gott heißt hier längst: Erfolg und Gewinnoptimierung. Dazu werden Arbeitnehmer ausgenommen und in den Burn-out getrieben. In vielen Ländern, wo es keine Gewerkschaften und Betriebsräte gibt, geht es oft erbärmlich und unmenschlich zu. Aber so wie das Babylonische Reich nicht von Dauer war und es lediglich Zuchtrute in Gottes Hand war, so werden auch alle, die andere unmenschlich behandeln, früher oder später ernten, was sie gesät haben.

Der Bibelausleger Warren Wendall Wiersbe (1929–2019) kommentiert zusammenfassend:

Bevor wir aber Gottes ermutigende Antwort hören, müssen wir innehalten und unsere eigenen Herzen prüfen. Haben wir uns Gott ganz übergeben und lassen wir es zu, dass Er nach seinem Willen mit uns und denen, die wir lieben, verfährt? Es ist nicht verkehrt, mit den Problemen des Lebens zu ringen und ein besseres Verständnis für Gottes Willen erlangen zu wollen, aber wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit Gott streiten und versuchen, seinen Willen zu ändern.

Wir bewundern Habakuk dafür, dass er ein anständiger Mann ist und möchte, dass Gott das Volk verschont, das er liebt. Wir wollen ihm in seiner Offenheit, seiner Aufrichtigkeit und seinem geduldigen Warten auf Gottes Antwort nacheifern. Aber wir wollen auch an das denken, was Paulus den Gläubigen in Rom geschrieben hat:

O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Gerichte und unergründlich seine Wege! Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer ist sein Mitberater gewesen? Oder wer hat ihm zuvor gegeben, und es wird ihm vergolten werden? Denn von ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge; ihm sei die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen“ (Röm 11,33-36).[6]

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Anmerkungen

[1] https://www.sermon-online.de.

[2] A. Cuendet, „Der Prophet Habakuk“ in Halte fest, Beröa-Verlag, Jg. 55, 2012, S. 20ff.; http://haltefest.ch/1397-der-prophet-habakuk.

[3] H. Smith, „Der Prophet Habakuk“; https://www.soundwords.de/a181.html.

[4] H. Smith, „Der Prophet Habakuk“; https://www.soundwords.de/a181.html.

[5] Luther übersetzt hier mit: „Lass uns nicht sterben.“

[6] W.W. Wiersbe, Sei erstaunt, Dillenburg (CV) 2005, S. 129.

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