Ich mache Politik ... (2)
... indem ich Himmelsbürger bin!

Willem Johannes Ouweneel

© SoundWords, online: 18.09.2004, updated: 17.11.2022

Anmerkung der Redaktion
Dieser Artikel ist aus dem Holländischen übersetzt (Übersetzungsfehler nicht auszuschließen). Er berücksichtigt selbstverständlich die holländische und nicht die deutsche politische Situation. So gibt es in den Niederlanden keine 5-Prozent-Hürde, die für kleine (auch christliche) Parteien von besonderer Bedeutung ist. Insofern wird auch dem Zeugnischarakter von christlichen Parteien in Deutschland ein größerer Stellenwert zukommen als in den Niederlanden. Und das Wählen einer bibeltreuen Partei hat neben dem symbolischem Wert oft nur die Bedeutung, dass man – durch die Wahlkampfkostenrückerstattung – diese Parteien finanziell unterstützt.

Leitverse: Philipper 3,20; 1. Petrus 2,11

Phil 3,20: Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten.

1Pet 2,11a: Geliebte, ich ermahne euch als Fremdlinge und als solche, die ohne Bürgerrecht sind …

Kann das funktionieren?

Nun mag man anfügen: „Ja, aber ist es überhaupt möglich, christliche Politik zu betreiben? Als Christ kann ich wohl eine Ehe schließen mit einem Christen (also „im Herrn“), und in meiner christlichen Familie kann ich unverkürzt christliche Grundsätze zur Geltung bringen. Und wir können selbst Betriebe und Schulen aufbauen, worin wir das Recht und die Möglichkeit haben, christliche Grundsätze völlig gelten zu lassen (z.B. dadurch, dass wir nur christliche Arbeitnehmer einstellen). Und wo ich das nicht mehr kann, gebe ich die Idee einer christlichen Schule oder Betriebes einfach auf und arbeite für etwas anderes. Genauso kann ich als Bürger gut in einem unchristlichen Land leben, aber politisch kann ich dort nicht aktiv sein, gerade weil es unmöglich ist, in solch einem Land christliche Grundsätze zur Geltung zu bringen.“

Stimmt diese Argumentation? Ich glaube nicht. Nehmen wir die Ehe: „im Herrn“, klar, aber es kann vorkommen, dass die Partner ungläubig geheiratet haben und dass einer später zum Glauben gekommen ist. Stellt sich da nicht vom Grundsatz her dieselbe Frage: Wie kann ich diese Ehe nach göttlichen Prinzipien führen, wie kann ich dieser Ehe Gestalt geben, dass ich die göttlichen Prinzipien mit hinein nehme? So ist es auch in einer Familie, wo einer der Eltern ungläubig ist oder wo beide Elternteile ungläubig und einige der Kinder gläubig sind. Genauso ist es in einem Betrieb oder einer Schule, wo ein gläubiger Arbeitgeber auch ungläubige Arbeitnehmer in seinem Dienst hat oder ein gläubiger Arbeitnehmer bei einem ungläubigen Arbeitgeber arbeitet. In all diesen gemischten Situationen kann man die entsprechende Gemeinschaft auch nicht ganz unter die Autorität des Wortes Gottes bringen (aber man macht doch ein Teil dieser Gemeinschaft aus), und so tun sich meines Erachtens dieselben Probleme auf, wie wenn ein Christ in einem Staat politisch aktiv sein will.

Christliche Politiker mögen in solchen Situationen idealistisch nach so etwas wie einem biblischen Staat streben (was das auch immer ist; siehe unten), aber in der Praxis ist es schon schön, wenn in einem Staat danach gestrebt wird, dass eine Anzahl christlicher „Grundwerte“ (sozial, ökonomisch, ethisch) verwirklicht werden, mit denen auch Nichtchristen leben können. Das ist genau dasselbe, was ein gläubiger Arbeitgeber von ungläubigen Arbeitnehmern fordert. Er fordert nicht, dass sie Christen werden oder christlich leben, wohl aber, dass sie einer Anzahl christlicher Grundregeln genügen, und dann auch nur solchen, die mit dem Betrieb zu tun haben. Umgekehrt braucht ein gläubiges Kind in einer ungläubigen Familie oder ein gläubiger Arbeitnehmer im Dienst eines ungläubigen Arbeitgebers nicht danach streben, dass es eine christliche Familie bzw. Betrieb oder Schule wird, aber man kann versuchen und mit daran arbeiten, dass eine Anzahl christlicher bzw. ethischer Grundwerte praktiziert werden, mit denen man als Christ leben kann. Klappt das nicht, dann kann man natürlich weggehen, aber das muss man bei Weitem nicht immer; man kann sich dann der Mitverantwortlichkeit entziehen (z.B. Betriebsrat) oder nur für sich selbst an den gewünschten Grundwerten festhalten.

Ich sehe auch hier wieder keinen prinzipiellen Unterschied zur Politik. Ein christlicher Politiker kann und muss danach streben, dass gesetzliche Grundwerte eingeführt werden, die aus seiner christlichen Weltanschauung hervorgehen, aber die auch für Mit-Politiker aufgrund ihrer Prinzipien vertretbar sind. Dabei mag er auf idealistische Weise nach dem Maximalen streben, aber er ist schon zufrieden mit dem Optimalen. In der Praxis dieser gefallenen Welt können wir oft nicht alle christlichen Grundsätze durchsetzen, die wir so gerne in dem Zusammenleben zur Geltung gebracht haben wollen. Gut, dann müssen wir uns mit weniger begnügen, genauso wie in einer gemischten Ehe oder Familie oder in einer Schule oder Betrieb mit gläubigen und ungläubigen Arbeitnehmern. Erst wenn es dem christlichen Politiker unmöglich gemacht wird, überhaupt nach der Verwirklichung von christlichen Grundsätze zu streben – zum Beispiel dadurch, dass antichristliche Bedingungen gestellt werden, um überhaupt in der Politik mitzuarbeiten, zum Beispiel durch Unterzeichnen einer gottlosen Erklärung –, dann erst muss er sich der weiteren Mitverantwortlichkeit entziehen. Aber solch eine Situation entsteht in keiner Demokratie – gerade per Definition nicht. Wo sich solch eine Grenzsituation darstellt, kann eigentlich von Demokratie keine Rede mehr sein.

Christliche Politik

Ich habe schon angekündigt, dass ich ein paar Punkte noch mehr zuspitzen möchte. Als Erstes: Was ist nun eigentlich „christliche Politik“ (oder bescheidener: „nach christlichen Grundsätzen ausgeübte Politik“)? Bedeutet das zum Beispiel, dass, wenn christliche Parteien eine Mehrheits-Regierung bilden könnten, sie Nichtchristen das Verbot von Ehebruch auferlegen könnten? Einige evangelische Christen sind nun gerade deswegen gegen Teilnahme an der Politik oder gegen die Idee einer „christlichen“ Politik, weil sie glauben, dass dies die Konsequenz „christlicher“ Politik sei. Sie meinen, dass eine christliche Mehrheit nicht einer unchristlichen Minderheit eine christliche Lebensweise aufzwingen darf. Nun, dieser Meinung bin ich auch! Aber das ist auch überhaupt nicht das, was ich unter „christlicher Politik“ verstehe. Der Staat darf kein Verbot des Ehebruchs verkünden aufgrund der ureigenen Struktur des Staates an sich. Der Staat hat sich nicht um zahllose Sachen zu kümmern, die mit dem Hoheitsgebiet anderer Lebensgemeinschaften (z.B. Ehe und Familie) zu tun haben, und dazu gehört auch Ehebruch. Der Staat muss wohl seine Bürger beschützen vor allerlei Bösem und deswegen zum Beispiel Vergewaltigung, Sex mit Kindern, Abtreibung und dergleichen verbieten. Aber was das Übrige angeht, wäre es unrecht, sich in die Privatsphäre des Bürgers zu begeben und dort beurteilen, was und was nicht im Schlafzimmer passieren darf.

Die Grenzlinie liegt hier zwischen der Privatsphäre und der Sphäre der öffentlichen Gerechtigkeit. In der Praxis mag die Grenze oft schwierig zu ziehen seien, aber prinzipiell ist sie äußerst wichtig. So würde ich zum Beispiel ein allgemeines gemeindliches Fluchverbot ablehnen, aber ich kann mir wohl ein Verbot von offenbarer Gotteslästerung vorstellen. Wenn schon der gute Name eines jeden Bürgers im Gesetz gegen Lästerung geschützt wird, dann doch umso mehr der Name Gottes. Genauso geht es zum Beispiel bei einer Prostitutionsgesetzgebung wieder primär um den Schutz des öffentlichen Lebens: also keine halbnackten Prostituierten …, strenge hygienische Bedingungen und dergleichen (damit sind auch viele Nichtchristen einig!). Als Staat Prostitution zu verbieten, mag noch kein Eingriff in das Privatleben bedeuten (z.B. Privatclubs), aber im Rahmen öffentlicher Gerechtigkeit kann das öffentliche Anbieten von unzüchtiger „Kaufware“ sehr wohl verboten werden. Prostitution in der strikten Privatsphäre wird durch Gottes Wort natürlich genauso streng verurteilt wie offenbare Unzucht, aber der Staat muss sich von Ersterem zurückhalten (von der Prostitution im Privaten!). Christen müssen ganz laut die Verwerflichkeit von Unzucht verkündigen und das mag auch im Parlament gut sein. Und die Kirche darf und muss Übertreter auf sexuellem Gebiet unter Zucht stellen. Aber der Staat würde aus seinem Befugnisbereich heraustreten, wenn er jede Unzucht in der Privatsphäre gesetzlich verbieten würde. Ich würde darum politisch grundsätzlich nicht aktiv sein wollen in einem Staat, der solche Dinge verbietet (wie es z.B. in bestimmten islamistischen Staaten geschieht), weil das nicht Demokratie, sondern Totalitarismus wäre (oder dazu neigen würde). Aber ich würde wohl politisch aktiv sein können in einem Staat, der seine Bürger beschützt, auch gegen sexuelle Gewalt, denn das gehört zu dem eigentlichen Auftrag des Staates (die „Schwertmacht“ von Römer 13).

Mal nebenbei: Hier liegt ein großer Unterschied zwischen SGP einerseits und RPF und die GPV anderseits [christliche Parteien in Holland]: die erste strebt (oder: strebte) nach einer echten Theokratie, und das ist in seiner äußersten Konsequenz ein totalitärer Grundsatz, so wie zum Beispiel in der Zeit von David und Salomon – etwas total anderes als das, was nach meiner Meinung christliche Politik in einem demokratischen Rahmen beinhaltet. Wenn die SGP an die Macht kommen würde, müsste sie nach ihren eigenen Grundsätzen nicht nur Ehebruch, Prostitution, Fluchen usw., sondern sogar streng genommen den Islam, die römisch-katholische Kirche und wahrscheinlich selbst die evangelischen Gruppen verbieten. Das ist etwas, womit RPF und GPV – aber auch viele SGBer! – zu Recht nicht übereinstimmen; nicht nur aus praktischen Überlegungen heraus, sondern auch mehr aufgrund ihrer grundsätzlich anderen Staatsvision.

Es geht um das Herz

Viele evangelische Christen haben in der Vergangenheit viel zu viel Nachdruck nur auf „das Herz“ gelegt; zu viel allein auf das Innerliche und viel zu wenig auf die Veränderung des äußerlichen Lebens, unter dem Slogan: Es geht nicht um die Veränderung der Welt, sondern um Veränderung des Herzens oder so was ähnliches. Das scheint wieder eine typische Verwirrung von Struktur und Richtung zu sein. Sicher, wir können nicht „die Welt“ (in dem Sinn von „das Reich Satans“) bekehren; aber verändert die Glaubenserneuerung des Herzens nicht auch das Zusammenleben der Menschen? Mal extrem gefragt: Wenn alle Menschen in einer Stadt sich bekehren würden (denk an die Niniviten in den Tagen Jonas!), wird sich dann das Zusammenleben in der Stadt nicht auch radikal verändern bis hin zur Leitung der Stadt? Sollen die gerade Bekehrten sich dann aus der Politik wieder herausbegeben und Ungläubige bitten, die Regierung zu übernehmen? Weniger extrem (und mehr realistisch): Wenn in einem Land eine relativ große Minderheit an Christen besteht, setzen die nicht einen Stempel auf das Zusammenleben? Stärker noch: Kann eine Handvoll echter prinzipientreuer und mutiger Christen das Zusammenleben selbst nicht viel stärker verändern als aufgrund ihrer Anzahl zu erwarten wäre?

Manifestiert sich das Reich Gottes wirklich allein in der Ausrichtung der Herzen und nicht auch in der Ausrichtung der Lebensgemeinschaften? Wir haben keine Mühe mit dem Gedanken von christlichen Familien (auch wenn nicht alle Familienmitglieder bekehrt sein müssen). Aber warum nur christliche Familien? Wird in einer christlichen Schule – gerade als Schule – nicht wohl auch etwas von dem Reich Gottes sichtbar (selbst wenn nicht alle Dozenten – ganz zu schweigen von allen Schülern – gläubig sind)? Und so auch in den Betrieben, die durch den Glauben des Unternehmers geleitet werden. Und so war es zum Beispiel auch in dem niederländischen Staat des 17. Jahrhunderts, als christliche Grundsätze einen sehr kräftigen und umfangreichen Stempel gesetzt hatten (und wann ging es unserem Volk besser?). Je mehr eine Lebensgemeinschaft oder ein Staat durch christliche Grundsätze beherrscht wird, desto christlicher ist der Staat, anders gesagt, desto deutlicher wird das Reich Gottes darin sichtbar.

Das wird immer eine unvollkommene Situation bleiben. Es geht eigentlich um Schatten oder Vorboten, denn noch gibt es nicht die direkte Regierung des Sohnes des Menschen – aber doch … überall, wo Christen auch in der Politik christliche Grundsätze zur Geltung zu bringen versuchen, manifestiert sich das Königreich Gottes. Die Autorität Gottes manifestiert sich primär in dem erneuerten Leben der wiedergeborenen Christen; aber es findet in dieser Lebensgemeinschaft wohl auch zu gleicher Zeit Eingang durch äußerliche Macht. So werden Kinder (bekehrt oder nicht) in einer christlichen Familie in der Zucht und Ermahnung des Herrn erzogen (Eph 6,4). Es geht in der Tat nicht darum, Unwiedergeborene zu biblisch normiertem Betragen zu zwingen. Sie können allerdings wohl „gezwungen“ werden, sich an Staatsgesetze zu halten, die durch einen demokratischen Konsens erreicht wurden und woran die Christen aus ihrem spezifisch biblischen Standpunkt heraus kräftig Einfluss genommen haben.

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Originaltitel: „Vreemdelijkschap en politiek“, in einer Zusammenstellung von Aufsätzen zum Thema Politik von J.J.Frinsel sr. e.a., 1994

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