Ein auserwähltes Gefäß (2)
Das Ende der Geschichte des Menschen

Frederick George Patterson

© SoundWords, online: 27.12.2013, updated: 12.01.2021

Leitvers:  Lukas 13,7

Lk 13,7: Hau ihn ab! Wozu macht er auch das Land unbrauchbar?

Es gab nur einen Menschen auf der Erde, einst ein Kind Adams, der sagen konnte: „Seid miteinander meine Nachahmer“ (Phil 3,17); und das ohne jegliches einschränkendes Wort. Dieser Mann war der Apostel der Heiden – Saulus von Tarsus, später Paulus genannt. Hier spricht er nicht als ein Apostel zu uns, gerüstet mit der Macht und Autorität Christi, sondern als ein Christ – als Anführer oder Stellvertreter der gesamten bekennenden Christenheit; und niemand wusste besser als er, wann es an der Zeit war, sein Apostelamt geltend zu machen und zu beweisen, und niemand wusste besser als er, wie und wann er es beiseitelegen sollte. Hier bei dieser bemerkenswerten Äußerung legt er es beiseite, sowie auch generell in dem Brief, in dem sie zu finden ist.

Es gibt andere Schriftstellen, wo er eine Sprache allem Anschein nach von ähnlicher Tragweite verwendet, wo er aber einige einschränkende Worte hinzufügt, zum Beispiel: „Seid meine Nachahmer, wie auch ich Christi Nachahmer bin!“ (1Kor 11,1 usw.; dieser Vers gehört eigentlich zum Ende von Kapitel 10 und zu der dort angesprochenen Wahrheit). Aber der Unterschied ist sehr groß, auch ohne auf die Bedeutung der Wörter in der Originalsprache einzugehen. Hier im Korintherbrief lehrt er das Aufgeben aller Dinge zum Vorteil anderer: Dies tat Christus stets und darin folgte Paulus Ihm. Aber im Philipperbrief (Phil 3,7-14) rennt er das christliche Rennen auf das Ziel zu, indem er alles hinter sich wirft und danach strebt, Christus zu gewinnen und in Ihm gefunden zu werden [Phil 3,8.9], um wie Er zu sein, in völliger Übereinstimmung! Er rennt, um am Ende alles zu ergreifen bzw. zu erlangen. Das tat Christus nie. Er gab zwar alles auf, aber Er rannte nie, um etwas zu erlangen, denn Er war immer Er selbst – sei es hier oder in der Höhe.

Ich muss nicht näher auf die Tatsache eingehen, die natürlich klar ist: dass Paulus’ Schriften, ob er nun sein Apostelamt geltend machte oder es beiseitelegte, allesamt die gleiche Autorität haben, nämlich als Wort Gottes. Diese feinen und bewegenden Unterschiede wird man nur umso mehr wertschätzen, wenn man sie mit geistlicher Gesinnung begreift. Wir wollen ihn nun als Christen betrachten; als himmlischen Menschen [1Kor 15,49]; als Gefäß des Erbarmens [Röm 9,23]; als Werkzeug, das Gott sich auserwählte [Apg 9,15]; als Stellvertreter oder vorbildhaften Menschen für die gesamte Christenheit; als ein vom Geist erfülltes Gefäß, das sagen kann: „Seid miteinander meine Nachahmer, Brüder, und seht auf die, welche so wandeln, wie ihr uns zum Vorbild (tu,poj) habt!“ [Phil 3,17].

Zuerst einmal wollen wir den Augenblick in der Weltgeschichte betrachten, an dem das „auserwählte Gefäß“ berufen wurde. Dieser verleiht der Art und Weise seiner Berufung große Bedeutung sowie auch dem Zustand der Menschheit zu dieser Zeit, von der er für Christus abgesondert wurde.

Wir werden als Erstes über das Gleichnis vom Feigenbaum sprechen, der in einem Weinberg gepflanzt war. Dieses Gleichnis verwendete der Herr Jesus in Lukas 13. Die Stunde des Gerichts über Israel nahte schnell heran; doch die Augen der Israeliten waren solche, die „nicht sahen“ [vgl. Ps 69,24; Jer 5,21; Hes 12,2; Mt 13,13]. Sie hatten den Herrn zu ihrem „Gegner“ (Mt 5,25; Lk 12,58) gemacht, indem sie Ihn verwarfen, und Er gab ihnen den Rat, sich in diesem Fall schnell mit ihrem Gegner zu vertragen, solange sie noch mit ihm auf dem Weg wären, damit ihr Gegner sie nicht, wenn das Ende des Weges käme, dem Richter überliefern würde und dieser dem Gerichtsdiener, der sie ins Gefängnis werfen würde, aus dem es kein Entkommen geben würde, bis auch der letzte Pfennig bezahlt wäre. Als Er so dabei war, vom Gericht zu sprechen, erwähnten einige ein Teil-Gericht, das über die Galiläer hereingebrochen war, die Pilatus getötet hatte [Lk 13,1]. Sie sprachen davon wie von gewöhnlichen Nachrichten des Tages mit dem durchaus nicht ungewöhnlichen Gedanken, dass eine derartige besondere Heimsuchung durch Gottes Hand nur deutlich machte, dass diejenigen, die sie traf, sie mehr verdienten als ihre Landsmänner. Sie meinten, dass das nach außen hin deutlich sichtbare Zeichen dafür, dass Gott über die Welt herrschte, solcher Art war, so dass sie es billigen oder verstehen konnten. Der Herr überträgt diesen Vorfall sofort auf alle Umstehenden und appelliert an ihr Gewissen; wie auch den Fall der achtzehn Leute, auf die der Turm in Siloah fiel. Er sagt, dass das Gericht nun umfassend und nicht nur teilweise kommen würde und dass sie alle ebenso umkommen würden, wenn sie nicht Buße täten, und nicht nur diejenigen ihrer Brüder, die sie zur Sprache brachten, damit Er sie richten sollte.

Dann erzählt er das Gleichnis von dem Feigenbaum, der in einem Weinberg gepflanzt war (Lk 13,6-9). Dies war ein Bild dessen, was zu der Zeit geschah, und von seinem Ende. Drei Jahre lang war der Herr gekommen in seinen Dienst und hatte Früchte auf seinem Feigenbaum gesucht – und weil Er keine fand, sagte Er zu dem Weingärtner: „Siehe, drei Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine. Hau ihn ab! Wozu macht er auch das Land unbrauchbar?“ Hier war das gerechte Urteil. Der Feigenbaum war nicht nur ertraglos, sondern auch schädlich: Er belastete den Boden, laugte ihn aus, machte ihn unbrauchbar. Aber die Gnade sagte: „Lass ihn noch dieses Jahr, bis ich um ihn graben und Dünger legen werde! Und wenn er künftig Frucht bringen wird, gut, wenn aber nicht, so magst du ihn abhauen.“ Diese zusätzliche Probezeit war der neue Dienst des Heiligen Geistes, der zu Pfingsten herabgesandt wurde, und endete mit dem Märtyrertod des Stephanus, als sie schließlich Christus in Herrlichkeit ablehnten. Dies beendete die Geschichte von Israel als des Menschen unter dem Handeln Gottes.

Dieses zusätzliche Jahr der Gnade zeichnete sich durch jedes Zeichen und Bitten des Herrn an sein Volk aus, bis all das abgelehnt wurde. Wenn wir die Apostelgeschichte öffnen (Apg 1), sehen wir den auferstandenen Herrn Jesus unter seinen Jüngern. Ihre Herzen verweilten noch bei den Hoffnungen Israels – unsicher über das Ende. „Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?“ [Apg 1,6]. Er antwortete: „Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seiner eigenen Vollmacht festgesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde“ [Apg 1,7.8].

Bei der Verordnung der Gesetze eines Landes ist es so: Wenn ein Gesetz veraltet ist, weil sich die Umstände geändert haben, unter denen es erlassen wurde, dann hebt die Legislatur das alte Gesetz auf und erlässt dann ein neues an die neuen Zustände angepasstes Gesetz.

Als der Herr die Zwölf ausgesandt hatte, damit sie Israel das Reich der Himmel predigten (Mt 10), war der Auftrag eng begrenzt. Der Herr war „ein Diener der Beschneidung um der Wahrheit Gottes willen, um die Verheißungen der Väter zu bestätigen“ (Röm 15,8). Alle Verheißungen für Israel waren in Ihm erfüllt. Der Auftrag an die Jünger lautete: „Geht nicht auf einen Weg der Nationen [= Heiden; es gab noch kein Wort für sie] und geht nicht in eine Stadt der Samariter.“ Diese Mischrasse, halb heidnisch, halb jüdisch, hatte genauso wenig wie die Heiden irgendwelche Verheißungen von Gott. „Geht aber vielmehr“, sagte der Herr, „zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Sie waren das Ziel dieses engen, aber notwendigen und vorbereitenden Auftrags. Und dennoch umfasst er noch nicht einmal ganz Israel, „denn nicht alle, die aus Israel sind, die sind Israel“ (Röm 9,6). Nein, sondern: „Wenn ihr aber in eine Stadt oder in ein Dorf einkehrt, so forscht, wer darin würdig ist.“ So eingeschränkt galt dieser Auftrag nur den Würdigen: dem gottesfürchtigen Überrest des Volkes. Doch nachdem das Volk Jesus verworfen hatte und sein Sühnewerk an dem Kreuz vollbracht war, wo sein eigenes Volk Ihn durch die Hände der Heiden hingebracht hatte, war – zumindest was die Grundlage der Verheißungen anging – für Israel nun alles vorbei.

Aber Christus war auferstanden; siegreich über alle seine Feinde. Die grenzenlose Gnade Gottes war freigesetzt, um alle Menschen in Gerechtigkeit durch sein Werk am Kreuz zu segnen. Die alte Verordnung aus Matthäus 10 musste nun geändert werden. Der Wirkungskreis war zu eng für diese hervorströmende Gnade; und während seine Schritte sozusagen leichter wurden, als Er sich dem Gipfel des Ölbergs näherte, drehte Er sich um zu einer verlorenen und verdorbenen Welt von Sündern – und gab seinen Jüngern in der Weite seines Herzens ihre neue und frische Verordnung. Sie sollten in Jerusalem beginnen, wo der Glaube tot war; dann sollten sie den Auftrag weitertragen nach Samaria, wo der Glaube seit Jahrhunderten entstellt war; und schließlich zum Ende der Erde, wo überhaupt kein Glaube vorhanden war [Apg 1,8]! Und die große Antwort auf jeden Zustand des Menschen würde in einem auferstandenen Christus zu finden sein, dessen Zeugen sie sein würden.

Können wir nicht sagen, dass diese drei konzentrischen Kreise uns den Schlüssel zu den Taten der Apostel in den folgenden 27 Kapiteln geben? Die Mission begann in Jerusalem (Apg 2–7); sie ging hinaus nach Samaria (Apg 8) und dann in den folgenden Kapiteln bis zum Ende der Apostelgeschichte durch Paulus prinzipiell zum Ende der Erde bzw. zu der ganzen Schöpfung (vgl. Kol 1,23).

Dies waren Jesu letzte Worte auf Erden, seine Abschiedsworte: „Und als er dies gesagt hatte, wurde er vor ihren Blicken emporgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg. Und als sie gespannt zum Himmel schauten, wie er auffuhr, siehe, da standen zwei Männer in weißen Kleidern bei ihnen, die auch sprachen: Männer von Galiläa, was steht ihr und seht hinauf zum Himmel? Dieser Jesus, der von euch weg in den Himmel aufgenommen worden ist, wird so kommen, wie ihr ihn habt hingehen sehen in den Himmel“ (Apg 1,9-11). Das besondere Jahr der Gnade sollte dem Feigenbaum gewährt werden; deshalb wollte der Herr sie noch nicht endgültig aus ihren jüdischen Hoffnungen herausreißen. Die Augen dieser „Männer von Galiläa“ werden vom Himmel weggelenkt, auf den sie schauten. Sie sollten ihre Augen nach unten auf die Erde richten. Jesus würde „so“ wieder zu ihnen kommen; außerhalb der Wolke würde Er zu sehen sein und seine Füße würden auf dem Ölberg stehen (Sach 14,4), von dem aus Er gerade eben vor ihren Augen in die Höhe gefahren war. Dies würde sein Kommen nach Israel mit den Abzeichen des Reiches und der irdischen Herrlichkeit sein.

Sie konnten noch nicht (durch den vom Himmel herabgesandten Heiligen Geist) das Innere der Wolke sehen, das Stephanus sah, als er vom Geist erfüllt wurde und die Himmel geöffnet sah, als er fest zum Himmel schaute (avteni,zw). Alles war dann schließlich zu Ende, und statt dass Engel seine Augen vom Himmel weglenken wie in Kapitel 1, lenkt der Heilige Geist seine Augen zum Himmel hin als zu dem Ort, zu dem er jetzt gehört; und Jesus, der ihn zuerst in den Händen seiner Mörder stärkte, nimmt seinen Geist auf; und das Kapitel in der Geschichte der Menschen auf dieser Grundlage schließt sich für immer.

In Paulus werden wir außerdem noch sehen, wie er seinen Ursprung aus der Herrlichkeit Gottes nimmt, wie sie jetzt im Gesicht Jesu Christi zu sehen ist.

Der Heilige Geist wurde in Apostelgeschichte 2 vom Himmel herabgesandt. In Apostelgeschichte 3 gehen die Zeugen, Petrus und Johannes, „um die Stunde des Gebets, die neunte“ hinauf zum Tempel. Dort wurde ein Mann jeden Tag hingetragen und an die „schöne“ Pforte des Tempels gesetzt: ein Krüppel von Geburt an, der sein tägliches Brot erbettelte. Dies war ein symbolisches Bild für Israel. So „schön“ der Ort auch war, an dem es sich befand, das Volk war doch wie dieser lahme Bettler und war niemals wirklich gelaufen; war auch der Segnungen Israels, des Korbs und des Backtrogs [5Mo 28,5], des Silbers und des Goldes beraubt. Die Geschichte des Volkes, in der es sich sozusagen in der Probezeit befand, war abgeschlossen, denn der Mann war „mehr als vierzig Jahre alt“ (Apg 4,22). Einst lag ein Kranker am Teich Betesda (Joh 5), der achtunddreißig Jahre lang gelähmt war (die Dauer von Israels Wanderungen in der Wüste, bis die eherne Schlange (4Mo 21) für es hochgehoben wurde) – zu dem Zeitpunkt war die Geschichte des Volkes noch nicht vollständig erzählt wie in Johannes 5. Aber jetzt, in Apostelgeschichte 3, war alles abgeschlossen, soweit es Israel betraf. Vierzig Jahre sprachen von seinem moralischen Ende als Volk unter dem alten Stand der Dinge.

Doch diese „neunte Stunde“ war Zeuge eines anderen Gebets gewesen, eines Gebets aus dem Herzen Jesu am Kreuz; und Finsternis hatte das ganze Land von der sechsten bis zur neunten Stunde bedeckt (Lk 23,44) – der Stunde des Gebets und auch das Abendopfers (Dan 9). Zu der Stunde hatte Jesus seinen Geist seinem Vater übergeben und der Vorhang des Tempels war von oben bis unten zerrissen. Der Judaismus war vorbei; Gott war vollständig offenbart; die Sünde des Menschen hatte ihren Gipfel erreicht, als er da Gott von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Aber in diesem Augenblick wurden die Sünden von Gottes Volk getragen und der Thron der Gerechtigkeit wurde auf ewig zufriedengestellt.

„Silber und Gold besitze ich nicht“, sagte Petrus, „was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth: Geh umher.“ Und sogleich sprang der Lahme wie ein Hirsch [s. Jes 35,6], und er ging in den Tempel, „ging umher und sprang und lobte Gott“. Gott war bereit, dasselbe durch Jesus für das gesamte Volk Israel zu tun, wenn es zu diesem Zeitpunkt seinen Sohn angenommen und sich im Glauben vor seinem Namen gebeugt hätte.

Petrus richtet nun das Wort an Israel (Apg 3,12-26) und bietet den Israeliten an, wenn sie Buße tun und umkehren würden, dann würde der Christus, den sie verworfen hatten, vom Himmel zurückkehren, und die Zeiten der Wiederherstellung aller Dinge, von denen die Propheten gesprochen hatten, würden kommen und das Volk würde den vollen Segen empfangen. Die Antwort darauf steht in den folgenden Kapiteln. In Apostelgeschichte 4 werfen sie die beiden Zeugen ins Gefängnis und in Apostelgeschichte 5 geschieht dasselbe mit allen zwölf. Dann in Apostelgeschichte 6 und 7 fasst Stephanus, der letzte große Zeuge, ihre Geschichte als Verschmäher jedes Retters, den Gott je geschickt hatte, zusammen. Joseph hatten sie nach Ägypten verkauft; Moses hatten sie gefragt: „Wer hat dich als Obersten und Richter über uns eingesetzt?“ [Apg 7,35]. Sie hatten den Gerechten ermordet, genau wie ihre Propheten es vorhergesagt hatten; und nun widersetzten sie sich dem Geist Gottes! Ein gebrochenes Gesetz, gesteinigte Propheten, ein ermordeter Christus und ein bekämpfter Geist schlossen die Geschichte. Als sie ihre Ohren zuhielten und auf ihn losstürzten [Apg 7,57], waren sie „wie eine taube Viper, die ihr Ohr verschließt, dass sie nicht hört auf die Stimme der Beschwörer“ (Ps 58,5.6). Stephanus’ Geist ging heim zu Christus; und Christus, der bereitstand, um zurückzukehren, setzte sich zur Rechten Gottes und wartet nun, bis seine Feinde zum Schemel seiner Füße gemacht worden sind (Heb 10,13).

Saulus von Taurus, damals ein junger Mann, war bei Stephanus’ Tod zugegen „und bewachte die Kleider derer, die ihn umbrachten“ [Apg 22,20].

Der Sanhedrin [der Hohe Rat] war dabei, kraftlos und alt zu werden. Seine Energie, die er bis dahin erbittert eingesetzt hatte, um, allerdings vergeblich, gegen das Kreuz zu kämpfen, erlahmte langsam, als dieser junge Mann auftrat. Er war von großer Gelehrsamkeit und führte ein tadelloses Leben – er gehörte wahrscheinlich der höchsten Kaste unter den Juden an und tat sich in der Religion der Pharisäer unter seinem Volk hervor; er hatte vermutlich die größte Energie, die ein Mensch haben kann – und so war er dem großen Sanhedrin von Israel hochwillkommen, und dieser betraute ihn mit der Vollmacht, die Religion des Nazareners auszurotten! Voller Eifer für den Gott seiner Väter, der den aller anderen an jenem Tag überstieg, stand er dabei, als die Verwerfung Jesu durch die Steinigung des Erzmärtyrers Stephanus vollendet wurde. Und damit die Mörder nicht durch ihre langen morgenländischen Gewänder behindert wurden, bewachte er ihre Kleider und willigte in seinen Tod mit ein.

Die gesamte christliche Versammlung in Jerusalem wurde dann zerschlagen und überallhin verstreut, „ausgenommen die Apostel“ [Apg 8,1]. Saulus musste nun seinen Auftrag andernorts ausführen und Damaskus sollte der nächste Schauplatz seines Eifers werden. Aber bevor ich darüber spreche, würde ich gern die anrührende Gnade hervorheben, die aus dem 8. Kapitel der Apostelgeschichte hervorleuchtet.

Während der vergangenen Geschichte Israels hatte Gott versucht, unter der Zucht seiner Hand eine Antwort in den Herzen der Israeliten zu finden; sei es unter dem Gesetz oder den Propheten, dem Täufer oder Christus. Alles war vergeblich gewesen: Ihre Herzen hatten weder auf die Donnerstimme des Gesetzes oder auf die Bitten des prophetischen Dienstes geantwortet; auch hatte die Gnade Christi nichts anderes aus ihnen hervorgelockt als am Ende den Ruf: „Weg, weg! Kreuzige ihn!“ Das letzte Zeugnis war in der Gemeinde, die zu Pfingsten gebildet wurde, zu sehen, und die Stimme des Heiligen Geistes verkündete die „großen Taten Gottes“ [Apg 2,11]. Dies ging, wie wir gesehen haben, so weiter, bis das 7. Kapitel der Apostelgeschichte die Prüfung beendete, die im Herzen Israels nach Gutem gesucht hatte oder nach einer Antwort darin auf die vollkommene Güte im Herzen Gottes. Nun war der Wendepunkt gekommen; und Gott würde sich nicht mehr darum bemühen, Gutes aus dem Herzen des Menschen hervorzurufen; sondern durch ein neues Amt, das mit der Bekehrung des Saulus eingeführt wurde, Gutes in es hineinzulegen. Aber es gab noch etwas zu erledigen, was Gott nicht einfach übergehen konnte, und das finden wir im Kapitel 8 der Apostelgeschichte.

Ein Nachkomme Hams hatte sich mit beschwertem Herzen vom Wohnort der Kuschiter aus auf eine mühsame Reise durch die Wüsten Afrikas nach Juda begeben, wo Gott bekannt war (Ps 76,2.3). Er hatte von dem Gott Israels und von der heiligen Stadt gehört, wo dieser Gott zu finden sei. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Gnadenstrom von Gottes Thron nach Jerusalem geflossen. Doch Jerusalem hatte, indem es die unverbrüchlichen Gnadenerweise an David [Jes 55,3] abgelehnt hatte, diesen Strom in eine andere Richtung gelenkt. Dennoch hatte der Strom nicht aufgehört zu fließen, wenn auch seine Richtung sich natürlich geändert hatte. Nun richtete er seinen Lauf zum unreinen Samaria hin und weiter, bis er die jenseitigen Wüsten erreichte. Dort war nun dieser Äthiopier zu sehen, der in sein eigenes Land zurückkehrte, ohne dass seine Seele zufriedengestellt worden wäre, denn Jerusalems Tag war vergangen, da es die Zeit seiner Heimsuchung nicht erkannt hatte [Lk 19,44]. 

Aber Gott ist ein Belohner derer, die Ihn suchen [Heb 11,6], und dieses suchende Herz sollte nicht vergeblich gesucht haben. Auf Geheiß des Geistes gesellte Philippus sich zu ihm und hörte, wie dieser Mann den Propheten Jesaja las. Weder Vermögen noch Gelehrtheit noch weltliche Stellung hatten ihm die Reichtümer beschert, die er nun finden sollte – gesammelt in dem Buch, das er aus Jerusalem mitgebracht hatte. Philippus begann mit derselben Schrift, die er gerade las, und „verkündigte ihm das Evangelium von Jesus“. Er fand die Person, die allein seine Seele zufriedenstellen konnte, und so zog er seinen Weg mit Freuden. Äthiopien hatte seine Hände nicht vergeblich zu Gott ausgestreckt (s. Ps 68,32)! Gott änderte nicht sein souveränes Handeln, das das Geschlecht Hams in der dunklen Haut der Rasse der Schwarzen erniedrigt hatte (s. 1Mo 9)[1]; doch während Er alle Fragen der Herrschaft so beließ, wie sie waren, machte Er (nicht das Gesicht, sondern) das Herz und das Gewissen des Schwarzen durch das Blut des Lammes so weiß wie Schnee!

Ich lese dieses Kapitel in diesem Licht als einen Einschub, eingefügt zwischen der ersten Beachtung von Saulus bei Stephanus’ Tod und seiner Reise nach Damaskus (Apg 9). Es ist so, als ob Gott, gerade als dieser ernste Märtyrertod für immer die Grundlage abgeschlossen hatte, auf der Er mit Israel handeln wollte, und als Er dabei war, Israel aus seinem Schoß zu verbannen und eine neue Ordnung einzuführen – als ob Gott sagen wollte: Wenn es irgendwo auf der weiten Welt eine suchende Seele gibt, sogar das Kind einer verfluchten Rasse[2], so soll diese Seele Mich nicht vergeblich suchen. Ich bin ein Belohner all derer, die Mich suchen.

Aber wenn ich zu Saulus komme, finde ich die andere Seite, die diese neue Abkehr von den alten Wegen veranschaulicht; und das wird beispielhaft von seiner eigenen Feder so ausgedrückt: „Ich bin gefunden worden von denen, die mich nicht suchten“ (Röm 10,20).


„Chapter 2: The End of Man’s History“ aus A Chosen Vessel

Übersetzung: S. Bauer

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Anmerkungen

[1] Anm. d. Red.: Wir lesen nur von einer Verfluchung Kanaans, nicht jedoch von einer Verfluchung Kuschs. Dennoch hat schwarze Hautfarbe in der ganzen Geschichte der Menschheit für die Betroffenen im großen und ganzen Erniedrigung, Unterdrückung und Versklavung bedeutet.

[2] Anm. der Red.: Die Verfluchung können wir nicht erkennen, wohl aber, dass diese Rasse in der Geschichte der Menschheit bis heute besonders benachteiligt wurde.


Note from the editors:

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