Die Textgrundlage des Neuen Testaments (13)
Anhang 4: Einige kommentierte Stellen, bei denen die Elberfelder 2003 und der Nestle-Aland-Text vom Textus Receptus abweichen

Martin Arhelger

© M. Arhelger, online: 09.10.2006, updated: 17.11.2022

In diesem Anhang sollen einige Stellen besprochen werden, bei denen sich der Textus Receptus vom Nestle-Aland-Text unterscheidet, und wo es gute Gründe gibt, den Textus Receptus nicht als ursprünglich zu betrachten. Dabei wurden bevorzugt solche Stellen ausgewählt, die auch von Lesern beurteilt werden können, die keine Kenntnisse des Griechischen haben.

In Matthäus 6,13 „und führe uns nicht in Versuchung, sondern errette uns von dem Bösen. –“ fügt der Textus Receptus hinter das sogenannte „Vaterunser“ noch eine Schlussformel ein: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.“ Hier liegt wohl ein Versuch vor, dem Gebet des Herrn einen feierlicheren Klang zu geben und mit einem „Amen“ zu beenden. Die Worte sind anscheinend in Anlehnung an 1. Chronika 29,11-13 (11) Dein, HERR, ist die Größe und die Stärke und der Ruhm und der Glanz und die Pracht; denn alles im Himmel und auf der Erde ist dein. Dein, HERR, ist das Königreich, und du bist über alles erhaben als Haupt; (12) und Reichtum und Ehre kommen von dir, und du bist Herrscher über alles; und in deiner Hand sind Macht und Stärke, und in deiner Hand ist es, alles groß und stark zu machen. (13) Und nun, unser Gott, wir preisen dich, und wir rühmen deinen herrlichen Namen.“ formuliert worden.

In Matthäus 6,18 „damit du nicht den Menschen als Fastender erscheinst, sondern deinem Vater, der im Verborgenen ist; und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird es dir vergelten.“ wird dem, der fastet, verheißen: „Dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird es dir vergelten.“ Der Textus Receptus fügt am Versende noch das Wort „öffentlich“ hinzu, das anscheinend ein Gegensatzpaar (im Verborgenen/öffentlich) herstellen soll. Aber die Ergänzung ist nicht nur überflüssig, sondern auch sinnverflachend, denn Gott kann auch im Verborgenen vergelten. Der Gegensatz ist nicht „im Verborgenen“  /„öffentlich“, sondern „vor Gott“ / „vor Menschen“.

In Matthäus 8,14.15 (14) Und als Jesus in das Haus des Petrus gekommen war, sah er dessen Schwiegermutter fieberkrank daniederliegen. (15) Und er rührte ihre Hand an, und das Fieber verließ sie; und sie stand auf und diente ihm.“ wird die Krankenheilung der Schwiegermutter von Petrus durch den Herrn Jesus beschrieben. Am Schluss heißt es, sie „diente ihm“. Der Textus Receptus liest jedoch „diente ihnen“, also den Jüngern und dem Herrn. Sachlich ist sicherlich beides wahr, wie die Parallelstellen (Mk 1,31 „Und er trat hinzu und richtete sie auf, indem er sie bei der Hand ergriff; und das Fieber verließ sie [sogleich], und sie diente ihnen.“ und Lk 4,39 „Und über ihr stehend, gebot er dem Fieber, und es verließ sie; sie aber stand sogleich auf und diente ihnen.“) beweisen. Anders als bei Markus und Lukas stellt Matthäus aber besonders oft die Hoheit und Würde des Messias-Königs Jesus Christus vor, und stellt Seine Jünger hinter Ihm zurück. „Ihm“ ist hier also viel passender als „ihnen“.

Matthäus 21,12 „Und Jesus trat in den Tempel ein und trieb alle hinaus, die im Tempel verkauften und kauften; und die Tische der Wechsler und die Sitze der Taubenverkäufer stieß er um.“ sagt: „Jesus trat in den Tempel ein.“ Der Textus Receptus macht dabei aus dem „Tempel“ einen „Tempel Gottes“, was auf den ersten Blick eine richtige und feierliche Ergänzung zu sein scheint. Aber es ist bedeutsam, dass der Tempel hier eben nicht mehr als „Tempel Gottes“ bezeichnet wird, weil er längst den Charakter und die Gegenwart Gottes verloren hatte, wie der Herr Jesus Selbst kurz darauf sagen muss, vgl. Matthäus 21,13; 23,38 (21:13) Und er spricht zu ihnen: Es steht geschrieben: „Mein Haus wird ein Bethaus genannt werden.“; ihr aber macht es zu einer Räuberhöhle.“ „(23:38) Siehe, euer Haus wird euch öde gelassen;“. Wie so oft beim Textus Receptus stellt sich eine zweifellos gutgemeinte Erweiterung beim näheren Hinsehen als unpassend heraus.

In Matthäus 25,13 „Wacht also, denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde.“ liest der Textus Receptus: „So wacht nun, denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde, in der der Sohn des Menschen kommt.“ Der Satzteil „in der der Sohn des Menschen kommt“ fehlt jedoch in den ältesten Handschriften. Diese Ermahnung zum Wachen bildet den Abschluss des Gleichnisses von den zehn Jungfrauen (Mt 25,1-13). Die Jungfrauen sind ein Bild christlicher Bekenner. Christen erwarten aber nicht das Kommen des Sohnes des Menschen. Denn dieser Ausdruck bezieht sich auf Sein Kommen auf diese Erde, um Sein Königreich aufzurichten. Der Herr wird hier nicht als Sohn des Menschen, sondern als Bräutigam gesehen. Andererseits ist es verständlich, dass ein Abschreiber leicht die Worte „in der der Sohn des Menschen kommt“ hier einfügen konnte, denn ähnliche Formulierungen kommen bei Matthäus öfter vor (Mt 24,44; 25,31 (24:44) Deshalb auch ihr, seid bereit! Denn in einer Stunde, in der ihr es nicht meint, kommt der Sohn des Menschen.“ „(25:31) Wenn aber der Sohn des Menschen kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzen;“).

In Markus 1,1 „Anfang des Evangeliums Jesu Christi, des Sohnes Gottes;“ steht in fast allen älteren Handschriften: „wie geschrieben steht in Jesaja, dem Propheten“. Jüngere Handschriften haben jedoch oft: „wie geschrieben steht in den Propheten“. Wer bei Markus nachliest, wird feststellen, dass nach diesen Worten nicht nur aus Jesaja, sondern auch aus Maleachi zitiert wird. Auf den ersten Blick scheint also die Lesart der jüngeren Handschriften genauer zu sein.

Wer jedoch das Neue Testament genau studiert, stellt fest, dass dort oft zwei Zitate miteinander verbunden werden, als ob sie von einer Stelle stammen würden. Beispiele dafür sind: Matthäus 2,5.6 (5) Sie aber sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht durch den Propheten geschrieben: (6) „Und du, Bethlehem, Land Juda, bist keineswegs die Geringste unter den Fürsten Judas; denn aus dir wird ein Führer hervorkommen, der mein Volk Israel weiden wird.““ (Mich 5,1.3 „Und du, Bethlehem-Ephrata, zu klein, um unter den Tausenden von Juda zu sein, aus dir wird mir hervorkommen, der Herrscher über Israel sein soll; und seine Ursprünge sind von der Urzeit, von den Tagen der Ewigkeit her.“ „Und er wird dastehen und seine Herde weiden in der Kraft des HERRN, in der Hoheit des Namens des HERRN, seines Gottes. Und sie werden wohnen; denn nun wird er groß sein bis an die Enden der Erde.“ und 2Sam 5,2 „Schon früher, als Saul König über uns war, bist du es gewesen, der Israel aus- und einführte; und der HERR hat zu dir gesagt: Du sollst mein Volk Israel weiden, und du sollst Fürst sein über Israel.“), Matthäus 21,5 „„Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig und auf einer Eselin reitend, und zwar auf einem Fohlen, einem Jungen des Lasttiers.““ (Jes 62,11 „Siehe, der HERR hat eine Kunde erschallen lassen zum Ende der Erde hin: Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein Heil kommt; siehe, sein Lohn ist bei ihm, und seine Vergeltung geht vor ihm her.“ und Sach 9,9 „Frohlocke laut, Tochter Zion; jauchze, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König wird zu dir kommen: Gerecht und ein Retter ist er, demütig und auf einem Esel reitend, und zwar auf einem Fohlen, einem Jungen der Eselin.“), Matthäus 27,9 „Da wurde erfüllt, was durch den Propheten Jeremia geredet ist, der spricht: „Und sie nahmen die dreißig Silberstücke, den Preis des Geschätzten, den man geschätzt hatte seitens der Söhne Israels,“ (Jer 18,2.3 (2) Mach dich auf und geh in das Haus des Töpfers hinab, und dort werde ich dich meine Worte hören lassen. (3) Und ich ging in das Haus des Töpfers hinab, und siehe, er machte eine Arbeit auf der Scheibe.“ und Sach 11,12.13 (12) Und ich sprach zu ihnen: Wenn es gut ist in euren Augen, so gebt mir meinen Lohn, wenn aber nicht, so lasst es; und sie wogen meinen Lohn ab: dreißig Sekel Silber. (13) Da sprach der HERR zu mir: Wirf ihn dem Töpfer hin, den herrlichen Preis, dessen ich von ihnen wert geachtet bin! Und ich nahm die dreißig Sekel Silber und warf sie in das Haus des HERRN, dem Töpfer hin.“). In solchen Fällen wurde manchmal nur einer der beiden Propheten erwähnt. Im vorliegenden Fall wurde wohl bewusst nur Jesaja erwähnt, denn das Kapitel, das dieses Zitat enthält, war ein ausgesprochenes Trostkapitel und damit eine würdige Einführung des Evangeliums, der guten Botschaft. Maleachi hingegen erwähnt im zitierten Abschnitt nur das Gericht. Übrigens kommen die Worte „in den Propheten“ sonst nie bei Markus vor und dort, wo sie noch im Neuen Testament verwendet werden, bilden sie nie die Einleitung für zwei Zitate, sondern immer nur für eines (Joh 6,45 „Es steht in den Propheten geschrieben: „Und sie werden alle von Gott gelehrt sein.“ Jeder, der von dem Vater gehört und gelernt hat, kommt zu mir.“; Apg 13,40 „Gebt nun acht, dass nicht das [über euch] komme, was in den Propheten gesagt ist:“).

Man sieht also, dass die Lesart „in den Propheten“ der Versuch ist, eine scheinbare Ungenauigkeit zu verbessern. Wäre die Lesart „in den Propheten“ ursprünglich, könnte man nicht befriedigend erklären, wie es zu der Lesart „in Jesaja, dem Propheten“ gekommen sein sollte, denn welcher christliche Schreiber würde eine solche Änderung vorgenommen haben?

In Markus 15,28 „“ lesen jüngere Handschriften (und auch der Textus Receptus): „Und die Schrift wurde erfüllt, die sagt: ,Und er ist unter die Gesetzlosen gerechnet worden.‘“ Dieser sachlich zweifellos richtige Satz, der sich auch noch in früheren Ausgaben der Elberfelder Bibel findet, ist aber in den älteren Handschriften schlecht bezeugt. Ein Ausleger schreibt dazu: „Ich denke nicht, dass ein vorsichtiger Verstand die Echtheit dieser Worte behaupten kann. Sie wurden wahrscheinlich aus den Parallelstellen in Jesaja 53,12 „Darum werde ich ihm Anteil geben an den Vielen, und mit Gewaltigen wird er die Beute teilen: dafür, dass er seine Seele ausgeschüttet hat in den Tod und den Übertretern beigezählt worden ist; er aber hat die Sünde vieler getragen und für die Übertreter Fürbitte getan.“ und Lukas 22,37 „denn ich sage euch, dass noch dieses, was geschrieben steht, an mir erfüllt werden muss: „Und er ist unter die Gesetzlosen gerechnet worden“; denn auch das, was mich betrifft, hat eine Vollendung.“ entlehnt.“[1]

In Lukas 2,33 „Und sein Vater und seine Mutter verwunderten sich über das, was über ihn geredet wurde.“ steht in fast allen älteren Handschriften: „und sein Vater und (seine) Mutter“. Jüngere Handschriften haben jedoch meist: „und Joseph und (seine) Mutter“. An solchen Stellen kann man deutlich eine spätere Bearbeitung des Textes erkennen: Offensichtlich hielten einige Abschreiber es nicht für zulässig, Joseph als den „Vater“ von Jesus zu bezeichnen, weil Christus vom Heiligen Geist gezeugt war. In Wirklichkeit war so eine Änderung nicht notwendig, und gerade im Lukasevangelium ist der Ausdruck „Vater“ so passend, denn er zeigt bewusst die vollkommene Menschheit des Herrn. „Vater“ meint dann einfach „Ziehvater“ und nicht „Vater“ im biologischen Sinn. Übrigens haben auch in Lukas 2,48 „Und als sie ihn sahen, erstaunten sie sehr; und seine Mutter sprach zu ihm: Kind, warum hast du uns das angetan? Siehe, dein Vater und ich haben dich mit Schmerzen gesucht.“ einige wenige Handschriften das vermeintlich anstößige „dein Vater“ ändern wollen, aber diese Lesart ist so schlecht bezeugt, dass niemand sie ernsthaft verteidigt. Auch in Lukas 2,43 „und die Tage vollendet hatten, blieb bei ihrer Rückkehr der Knabe Jesus in Jerusalem zurück; und seine Eltern wussten es nicht.“ lesen viele Handschriften nicht „seine Eltern“, sondern „Joseph und seine Mutter“.[2]

In Lukas 4,8 „Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Es steht geschrieben: „ Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.““ fügt der Textus Receptus vor der Antwort des Herrn Jesus noch die Worte ein: „Geh hinter mich, Satan!“ Diese Ergänzung wurde, wie ein Ausleger schreibt, „aus Matthäus 16,23 „Er aber wandte sich um und sprach zu Petrus: Geh hinter mich, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnst nicht auf das, was Gottes, sondern auf das, was der Menschen ist.“ entlehnt und mit Matthäus 4,10 „Da spricht Jesus zu ihm: Geh hinweg, Satan! Denn es steht geschrieben: „ Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.““ verwechselt, wo ,geh hinweg, Satan‘ zu Recht steht. Aber in Lukas 4,8 „Und Jesus antwortete und sprach zu ihm: Es steht geschrieben: „ Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.““ wurden diese Worte weggelassen nach der Weisheit des Geistes, der Lukas inspirierte, die Versuchung an die zweite Stelle zu setzen, die tatsächlich die dritte Versuchung war. Diese Tatsache machte die Auslassung von Lukas notwendig, denn sonst hätten wir in Lukas den Fall, dass der Herr den Feind zum Weggehen auffordert, der Feind aber direkt danach einen weiteren Angriff startet.“[3] Dass Matthäus die historische Reihenfolge hat, sieht man auch daran, dass er die drei Versuchungen mit einem „dann“ (oder „danach“) weiterführt (Mt 4,11 „Dann verlässt ihn der Teufel, und siehe, Engel kamen herzu und dienten ihm.“): Lukas hat nur ein „und“ (Lk 4,13), das nicht notwendig auf eine Zeitfolge hinweist.

In Johannes 6,69 „und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist.“ legt der Apostel Petrus dem Herrn gegenüber das schöne Zeugnis ab: „Wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist.“ Der Textus Receptus liest allerdings nicht „der Heilige Gottes“, sondern „der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“. Beide Zeugnisse entsprechen ohne Zweifel der Wahrheit, aber die alten Handschriften favorisieren deutlich die Lesart „der Heilige Gottes“. Man versteht auch leicht, dass man dieses Bekenntnis leicht an das bekannte Petrus-Bekenntnis von Matthäus 16,16 „Simon Petrus aber antwortete und sprach: Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ (wo dieselben Worte stehen wie im Textus Receptus von Johannes 6,69 „und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist.“) angleichen konnte. Umgekehrt ist nicht einzusehen, warum man die Worte „der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“, wenn sie in Johannes 6,69 „und wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist.“ echt wären, geändert haben sollte. Die Bezeichnung des Herrn Jesus als „der Heilige“ ist übrigens für den Schreiber Johannes kennzeichnend, vgl. Offenbarung 3,7 „Und dem Engel der Versammlung in Philadelphia schreibe: Dieses sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel [des] David hat, der öffnet, und niemand wird schließen, und schließt, und niemand öffnet:“ und besonders 1. Johannes 2,20 „Und ihr habt die Salbung von dem Heiligen und wisst alles.“, siehe auch Psalm 16,10 „Denn meine Seele wirst du dem Scheol nicht überlassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe.“ und Apostelgeschichte 2,27; 3,14 (2:27) denn du wirst meine Seele nicht im Hades zurücklassen noch zugeben, dass dein Frommer Verwesung sehe.“ „(3:14) Ihr aber habt den Heiligen und Gerechten verleugnet und gebeten, dass euch ein Mann, der ein Mörder war, geschenkt würde;“.

In Johannes 7,8 „Geht ihr hinauf zu dem Fest; ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest; denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt.“ sagt der Herr zu Seinen leiblichen Brüdern: „Ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest.“ Allerdings ging der Herr dann einige Tage später doch zum Laubhüttenfest, allerdings wie im Verborgenen. Auf den ersten Blick scheinen die Worte des Herrn ungenau gewesen zu sein – und es wundert somit auch nicht, dass man den vermeintlichen „Fehler“ zu glätten suchte, indem man das Wort „noch“ einsetzte, so dass der Herr sagte: „Ich gehe noch nicht hinauf zu diesem Fest.“ Diese Lesart findet man in vielen jüngeren Handschriften. Es ist also sehr verständlich, dass man das Wort „noch“ eingefügt hat, aber völlig unverständlich, warum man es ausgelassen haben sollte, wenn es ursprünglich gewesen wäre. Einen wirklichen Widerspruch stellen die Worte des Herrn aber auch ohne das Wort „noch“ nicht dar, denn der Herr sagte ja nicht „ich gehe nie zu diesem Fest“, sondern nur „ich gehe nicht (d.h. jetzt nicht) hinauf zu diesem Fest“.[4]

In Apostelgeschichte 3,20 „damit Zeiten der Erquickung kommen vom Angesicht des Herrn und er den euch zuvor bestimmten Christus Jesus sende,“ sagt Petrus zu dem Volk, Gott könne ihnen den „zuvorbestimmten“ Christus Jesus senden, wenn sie Buße täten. Der Textus Receptus liest statt „zuvorbestimmt“ (griechisch prokecheirismenon) jedoch „zuvor gepredigt“ (griechisch prokekärugmenon). Die Lesart „zuvor gepredigt“ scheint in griechischen Handschriften vor dem Textus Receptus nicht bezeugt zu sein: Alle bekannten alten und jungen griechischen Handschriften (also auch der Mehrheitstext) lesen „zuvorbestimmt“[5]. Aber auch inhaltlich ist der Textus Receptus hier schwer zu rechtfertigen, denn dass Jesus Christus ihnen zuvor gepredigt wurde, ist eine oberflächliche und selbstverständliche Aussage ohne Tiefe. Dass Er ihnen vorher verheißen wurde, ist eine wichtige und tiefgründige Wahrheit, die hier genau am Platz war. Petrus betont in seinen Reden und Briefen immer wieder den Ratschluss Gottes und Sein vorherbestimmendes Walten, siehe Apostelgeschichte 2,23; 4,28; 10,41 (2:23) diesen, hingegeben nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes, habt ihr durch die Hand von Gesetzlosen an das Kreuz geschlagen und umgebracht.“ „(4:28) um alles zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvor bestimmt hat, dass es geschehen sollte.“ „(10:41) nicht dem ganzen Volk, sondern den von Gott zuvor erwählten Zeugen, uns, die wir mit ihm gegessen und getrunken haben, nachdem er aus den Toten auferstanden war.“; 1. Petrus 1,20; 2,8 (1:20) der zwar zuvor erkannt ist vor Grundlegung der Welt, aber offenbart worden ist am Ende der Zeiten um euretwillen,“ „(2:8) und „ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Ärgernisses“ – die sich, da sie nicht gehorsam sind, an dem Wort stoßen, wozu sie auch gesetzt worden sind.“. Die tiefe Wahrheit von Gottes Ratschluss konnte leicht mit „zuvor gepredigt“ vertauscht werden – zumal die Worte im Griechischen ähnlich sind.

In Apostelgeschichte 8,37 „“ fügen einige wenige spätere Handschriften auf die Frage des Kämmerers „Was hindert mich, getauft zu werden?“ noch einen Vers ein: „Philippus aber sprach: Wenn du von ganzem Herzen glaubst, so ist es erlaubt. Er aber antwortete und sprach: Ich glaube, dass Jesus Christus der Sohn Gottes ist.“ Die Worte sind jedoch handschriftlich so dünn und variantenreich bezeugt, dass sie unmöglich ursprünglich sein können. (Auch der Mehrheitstext hat diesen Vers nicht.) Sie finden sich allerdings schon recht früh in den lateinischen Übersetzungen und sind deshalb wahrscheinlich in einige griechische Handschriften und später in den Textus Receptus eingedrungen. Vielleicht stellt der Vers einen Versuch dar, eine alte kirchliche Taufformel des Täuflings nachträglich zu legitimieren. Da die Taufe in der Kirchengeschichte schon früh zu einem pompösen religiösen Akt wurde, konnte man leicht geneigt sein, die schlichte und einfache Art der Taufe durch Philippus etwas bereichern zu wollen und wenigstens noch eine Bekenntnisformel vom Täufling fordern. Im Zusammenhang des Verses geht es aber gar nicht darum, dass Jesus der Sohn Gottes ist, sondern darum, dass Er das Lamm Gottes ist, auf das sich Jesaja 53 bezieht.

In Apostelgeschichte 9,31 „So hatte denn die Versammlung durch ganz Judäa und Galiläa und Samaria hin Frieden und wurde erbaut und wandelte in der Furcht des Herrn und mehrte sich durch die Ermunterung des Heiligen Geistes.“ steht: „So hatte denn die Versammlung durch ganz Judäa und Galiläa und Samaria hin Frieden …“ Der Textus Receptus liest jedoch nicht „die Versammlung“, sondern „die Versammlungen“. Ein Ausleger schreibt zu diesen beiden Lesarten: „Die besten Handschriften und die ältesten Übersetzungen haben ,die Versammlung‘, nicht ,die Versammlungen‘. Ich gebe völlig zu, dass es Versammlungen in allen diesen Gebieten gab, aber darin liegt nichts Besonderes. Aber das, was der Heilige Geist nach meiner Überzeugung hier schrieb, war ,die Versammlung‘. Das Verständnis darüber wurde tatsächlich schon sehr früh verwirrt. Den Gedanken einer Versammlung als einer bestehenden Einheit auf der Erde verliert man leicht aus dem Blickfeld, besonders dann, wenn wir auf verschiedene Gebiete und Länder blicken, wie Judäa, Galiläa und Samaria.“[6]

In Römer 16,5 „und die Versammlung in ihrem Haus. Grüßt Epänetus, meinen Geliebten, der der Erstling Asiens ist für Christus.“ wird ein Gruß bestellt an einen gewissen „Epänetus“. Dabei wird hinzugefügt, dass er „der Erstling Asiens ist für Christus“. So jedenfalls lesen die alten Handschriften. Der Textus Receptus liest nicht „der Erstling Asiens“, sondern „der Erstling Achajas“. Aber diese Angabe steht im Widerspruch zu 1. Korinther 16,15 „Ich ermahne euch aber, Brüder: Ihr kennt das Haus des Stephanas, dass es der Erstling von Achaja ist und dass sie sich selbst den Heiligen zum Dienst verordnet haben –“, wo das Haus des Stephanas als „Erstling Achajas“ bezeichnet wird – es sei denn, man nimmt zu der Annahme Zuflucht, dass Epänetus zum Haus des Stephanas gehörte. Die alten Handschriften sprechen jedoch auch für die Lesart „Asiens“.

In Römer 8,1 „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ lesen die alten Handschriften nur: „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ Spätere Handschriften fügen jedoch am Ende des Satzes hinzu „die nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln“. Dieser Zusatz ist sicherlich aus dem folgenden Vers 4 übernommen worden, denn dort stehen diese Worte ebenfalls (Röm 8,4 „damit die Rechtsforderung des Gesetzes erfüllt würde in uns, die nicht nach dem Fleisch, sondern nach dem Geist wandeln.“). In Vers 1 sind sie aber störend, da nur ein bedingungsfreier Ausruf „also ist jetzt keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind“ die Folge des Dankes aus Römer 7,25 „Ich danke Gott durch Jesus Christus, unseren Herrn! Also nun diene ich selbst mit dem Sinn dem Gesetz Gottes, mit dem Fleisch aber dem Gesetz der Sünde.“ sein kann. Die hinzugefügten Worte dagegen bilden in Römer 8,1 „Also ist jetzt keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ eine einschränkende Bedingung, die diesen befreiten Ausruf zunichtemachen würde. In Vers 4 dagegen beschreiben diese Worte sehr passend eine Konsequenz des vorher Gesagten.

In 1. Korinther 7,17 „Doch wie der Herr einem jeden zugeteilt hat, wie Gott einen jeden berufen hat, so wandle er; und so ordne ich es in allen Versammlungen an.“ lesen die alten Handschriften: „Doch wie der Herr einem jeden zugeteilt hat, wie Gott einen jeden berufen hat.“ Jüngere Handschriften enthalten einen ähnlichen Text. Lediglich die Wörter „Herr“ und „Gott“ sind vertauscht. Es handelt sich um keinen sehr schwerwiegenden Unterschied. Trotzdem zeigt eine genaue Prüfung, dass das Neue Testament, wenn es von „berufen“ oder „Berufung“ spricht, nie den „Herrn“ als eigentlichen Urheber nennt, sondern immer „Gott“ (Röm 11,29; 1Kor 1,1.9; 7,15 (1:1) Paulus, berufener Apostel Christi Jesu durch Gottes Willen, und Sosthenes, der Bruder,“ „(1:9) Gott ist treu, durch den ihr berufen worden seid in die Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.“ „(7:15) Wenn aber der Ungläubige sich trennt, so trenne er sich. Der Bruder oder die Schwester ist in solchen Fällen nicht gebunden; in Frieden aber hat uns Gott berufen.“; Gal 1,15 „Als es aber Gott, der mich von meiner Mutter Leib an abgesondert und durch seine Gnade berufen hat, wohlgefiel,“; Phil 3,14 „jage ich, das Ziel anschauend, hin zu dem Kampfpreis der Berufung Gottes nach oben in Christus Jesus.“; 1Thes 2,12; 4,7 (2:12) euch ermahnt und getröstet und euch bezeugt haben, würdig des Gottes zu wandeln, der euch zu seinem eigenen Reich und seiner eigenen Herrlichkeit beruft.“ „(4:7) Denn Gott hat uns nicht zur Unreinheit berufen, sondern in Heiligkeit.“; 2Thes 2,13.14 (13) Wir aber sind schuldig, Gott allezeit für euch zu danken, vom Herrn geliebte Brüder, dass Gott euch von Anfang erwählt hat zur Errettung in Heiligung des Geistes und im Glauben an die Wahrheit, (14) wozu er euch berufen hat durch unser Evangelium, zur Erlangung der Herrlichkeit unseres Herrn Jesus Christus.“; Heb 5,4 „Und niemand nimmt sich selbst die Ehre, sondern er wird von Gott berufen wie auch Aaron.“; 1Pet 5,10 „Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus [Jesus], nachdem ihr eine kurze Zeit gelitten habt, er selbst wird [euch] vollkommen machen, befestigen, kräftigen, gründen.“). Die Lesart der älteren Handschriften ist hier also erneut aus inhaltlichen Gründen vorzuziehen.

In 1. Korinther 7,39 „Eine Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt; wenn aber der Mann entschlafen ist, so ist sie frei, sich zu verheiraten, mit wem sie will, nur im Herrn.“ steht: „Eine Frau ist gebunden, solange ihr Mann lebt.“ Der Textus Receptus fügt noch hinzu: „durchs Gesetz gebunden“. Die Kraft der Anweisungen des Apostels für die Gegenwart wird aber geschwächt, wenn man hier nur eine Wiederholung von Gesetzesvorschriften sieht. Spätestens der Nachsatz, dass die Witwe sich „im Herrn“ verheiraten soll, geht aber zweifellos über das Gesetz hinaus und ist die Grundlage der christlichen Verehelichung.

In 1. Korinther 11,24 „und als er gedankt hatte, es brach und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch ist; dies tut zu meinem Gedächtnis.“ fügt der Textus Receptus vor die bekannten Worte „Dies ist mein Leib …“ noch die Aufforderung „Nehmt, esst!“ hinzu. Aber obwohl der Herr diese Aufforderung tatsächlich gesprochen hatte (siehe Mt 26,26 „Während sie aber aßen, nahm Jesus Brot, segnete, brach und gab es den Jüngern und sprach: Nehmt, esst; dies ist mein Leib.“), wurde der Apostel Paulus doch göttlich geleitet, diese Worte hier auszulassen, um die Blicke der Korinther nicht so sehr auf ihre Vorrechte zu richten, sondern ihnen ihre Verantwortlichkeit und den Ernst der Handlung deutlicher vor Augen zu führen. Der stets auf Rituale und Formalismen bedachte Mensch wollte natürlich die „Einsetzungsformel“ in 1. Korinther 11 mit der aus Matthäus in Einklang bringen und erweiterte den Vers in 1. Korinther 11,24 „und als er gedankt hatte, es brach und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch ist; dies tut zu meinem Gedächtnis.“.

In 1. Korinther 15,47 „Der erste Mensch ist von der Erde, von Staub; der zweite Mensch vom Himmel.“ steht: „Der erste Mensch ist von der Erde, von Staub; der zweite Mensch vom Himmel.“ Der Textus Receptus fügt in den zweiten Satzteil noch „der Herr“ ein. Sachlich ist das sicherlich eine richtige Ergänzung, denn der Herr Jesus ist zweifellos der Herr. Aber es fragt sich, ob die Tatsache, dass Er „Herr“ ist, wirklich in 1. Korinther 15,47 „Der erste Mensch ist von der Erde, von Staub; der zweite Mensch vom Himmel.“ ausgedrückt werden sollte. In 1. Korinther 15 geht es um die Tatsache der Auferstehung und im Zusammenhang von Vers 47 darum, welchen Charakter dieser zweite Mensch trug. Er war „aus dem Himmel“, dies ist Sein Ursprung und dieser Ursprung steht im Gegensatz zu „von der Erde“. Er war der zweite Mensch, weil Er nicht (wie alle Menschen vor Ihm) nur eine „Reproduktion“ des ersten Menschen Adam war. Jesus war ein Mensch von einer ganz neuen Art: aus dem Himmel. Der Gedanke, dass Er auch der „Herr“ ist, gehört nicht hierher und schwächt die wuchtige Ausdrucksweise des Apostels Paulus nur ab. Es geht um das Gegensatzpaar „von (der) Erde“ und „vom Himmel“, nicht um die Frage, ob Er Herr ist oder nicht. Selbst wenn die Lesart „Herr“ hier ursprünglich wäre, sollte man diesen Gegensatz auch entsprechend übersetzten. Also nicht „der zweite Mensch ist der Herr vom Himmel“, sondern „der zweite Mensch, der Herr, ist vom Himmel“. Nur so kommt die eigentliche Betonung, die auf dem Ausdruck „aus dem Himmel“ liegt, hervor.

In 2. Korinther 5,17 „Daher, wenn jemand in Christus ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ gibt es zwei Lesarten, bei denen die Entscheidung schwerfällt. Die eine Fassung hat: „Wenn jemand in Christus ist, da ist eine neue Schöpfung; das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ Die andere Lesart liest ebenso, hat jedoch im letzen Satzteil: „Siehe, alles ist neu geworden.“ Keine der beiden Lesarten kann beim näheren Hinsehen als falsch oder ungenau bezeichnet werden, denn je nachdem ob man von dem Mensch als Ganzes ausgeht oder den Blick nur auf die von Gott verliehene neue Natur legt, kann man sagen, dass „alles“ neu geworden ist, bzw. dass „Neues“ (d.h. im Blick darauf, dass vorher nur ein Menschen ohne Gott da war) geworden ist.

In Epheser 3,9 „und alle zu erleuchten, welches die Verwaltung des Geheimnisses sei, das von den Zeitaltern her verborgen war in Gott, der alle Dinge geschaffen hat;“ liest die große Mehrheit der alten und neuen Handschriften und alle alten Übersetzungen: „die Verwaltung des Geheimnisses“. Der Textus Receptus liest jedoch (mit sehr wenigen jüngeren Handschriften): „die Gemeinschaft des Geheimnisses“. Doch nicht nur die schwache Bezeugung, auch inhaltliche Erwägungen sprechen klar gegen die Lesart des Textus Receptus. „Gemeinschaft des Geheimnisses“ gibt keinen klaren Sinn, die „Verwaltung des Geheimnisses“ passt jedoch sehr gut in den ganzen Zusammenhang, denn eben hiervon spricht der Apostel im ersten Teil von Epheser 3.

In Epheser 5,9 „(denn die Frucht des Lichts besteht in aller Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit),“ lesen einige Handschriften: „die Frucht des Lichts“, andere Handschriften: „die Frucht des Geistes“. Die Stelle ist deshalb interessant, weil beide Lesarten sich schon in den ältesten Handschriften nachweisen lassen. Man kann eine Entscheidung also nur mit inhaltlichen Gründen treffen. Beim näheren Hinsehen wird deutlich: Nur die Lesart „Frucht des Lichts“ ist als Begründung („denn“) für den vorherigen Vers 8 passend („einst wart ihr Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht in dem Herrn; wandelt als Kinder des Lichts“). Der Textus Receptus scheint eine Anpassung an Galater 5,22 „Die Frucht des Geistes aber ist: Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue,“ zu sein, wo die „Frucht des Geistes“ erwähnt wird.

In Epheser 5,29 „Denn niemand hat jemals sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er nährt und pflegt es, wie auch der Christus die Versammlung.“ lesen die alten Handschriften, dass „Christus die Versammlung“ nährt und pflegt. Der Textus Receptus liest statt „Christus“ jedoch „der Herr“. Jesus Christus ist zwar der Herr, aber ob die Versammlung nun als Leib oder als Frau betrachtet wird – in keiner Verbindung wird Er als „Herr“ der Versammlung bezeichnet. Diese Bezeichnung wäre bei einer vertraulichen Beziehung wie Leib oder Braut auch sicherlich unpassend. Sie ist die „Versammlung Gottes“ und Christus ihr Haupt.

In Philipper 3,11 „ob ich auf irgendeine Weise hingelangen möge zur Auferstehung aus den Toten.“ steht in den alten Handschriften wörtlich: „ob ich auf irgendeine Weise hingelangen möge zur Aus-Auferstehung aus den Toten“. Jüngere Handschriften haben hier jedoch nicht „Aus-Auferstehung aus den Toten“, sondern „Aus-Auferstehung der Toten“[7]. Aber Paulus begehrte, genau wie sein Herr, der aus den Toten auferstanden war, in gleicher Weise diese Kraft zu erleben und aus den Toten aufzuerstehen, während andere noch im Grab bleiben. Die „Auferstehung der Toten“ ist zwar an sich eine biblische Wahrheit, passt hier jedoch nicht in den Zusammenhang.

In Kolosser 1,14 „in dem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden;“ wird eine wichtige Wahrheit über den Herrn Jesus ausgesagt, nämlich, dass wir in ihm „die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden“. Der Textus Receptus sagt jedoch, dass wir in ihm „die Erlösung haben, durch sein Blut, die Vergebung der Sünden“. Die zusätzlichen Worte „durch sein Blut“ scheinen auf den ersten Blick gerechtfertigt zu sein. Es ist auch unbedingt wahr, dass die Erlösung durch Sein Blut geschah. Epheser 1,7 „in dem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade,“ betont das ausdrücklich: „in dem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade“. Aber daraus folgt nicht, dass die Worte auch in Kolosser 1,14 „in dem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden;“ genauso gelautet haben müssen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass ein Abschreiber, der den Text von Epheser 1,7 „in dem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade,“ gut kannte, die entsprechende Formulierung (ob versehentlich oder absichtlich) auch im ähnlich lautenden Kolosser 1,14 „in dem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden;“ eingefügt hat. Welchen Grund sollte ein Abschreiber gehabt haben, die Worte „durch sein Blut“ in Kolosser 1,14 „in dem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden;“ auszulassen, wenn sie wirklich dort echt wären?[8] Wer den Epheserbrief und den Kolosserbrief kennt, wird wissen, dass sie viele Ähnlichkeiten aufweisen, der Kolosserbrief aber mehr Gewicht auf Christus, das Haupt des Leibes, legt. Im Zusammenhang der Stelle soll gar nicht gesagt werden, wie wir diese Erlösung erlangt haben, denn der Schreiber eilt, um dem Leser die Person Christi selbst vorzuführen, deren Herrlichkeiten er in den Versen 15-19 in wunderbarer Weise entfaltet (Kol 1,15-19 (15) der das Bild des unsichtbaren Gottes ist, der Erstgeborene aller Schöpfung. (16) Denn durch ihn sind alle Dinge geschaffen worden, die in den Himmeln und die auf der Erde, die sichtbaren und die unsichtbaren, es seien Throne oder Herrschaften oder Fürstentümer oder Gewalten: Alle Dinge sind durch ihn und für ihn geschaffen. (17) Und er ist vor allen, und alle Dinge bestehen durch ihn. (18) Und er ist das Haupt des Leibes, der Versammlung, der der Anfang ist, der Erstgeborene aus den Toten, damit er in allem den Vorrang habe. (19) Denn es war das Wohlgefallen der ganzen Fülle, in ihm zu wohnen“). Erst ab Vers 20 spricht er von dem Werk Christi und erwähnt dann auch das „Blut seines Kreuzes“ (Kol 1,20-23). Ergänzend sei noch bemerkt, dass die Zufügung „durch sein Blut“ in Kolosser 1,14 „in dem wir die Erlösung haben, die Vergebung der Sünden;“ handschriftlich sehr schwach bezeugt ist und auch im Mehrheitstext fehlt.

2. Thessalonicher 2,2 „dass ihr euch nicht schnell in der Gesinnung erschüttern noch erschrecken lasst, weder durch Geist noch durch Wort, noch durch Brief, als durch uns, als ob der Tag des Herrn da wäre.“ spricht in allen alten Handschriften von dem „Tag des Herrn“. Die Mehrheit der jüngeren Handschriften und mit ihnen der Textus Receptus liest stattdessen „der Tag Christi“. Wer den biblischen Gebrauch beider Ausdrücke genauer untersucht, wird bald zur Erkenntnis kommen, dass sie nicht genau dasselbe bedeuten. „Der Tag des Herrn“ meint die Zeit, wenn der Herr im Gericht mit dieser Welt handeln wird, sei es mit Nationen an sich oder mit lebenden Menschen. Der „Tag (Jesu) Christi“ wird dagegen nie in Verbindung mit dem Gericht der Ungläubigen genannt, sondern in Verbindung mit der Bewährung der Gläubigen beim Kommen Christi (Phil 1,6.10; 2,16 (1:6) indem ich eben darin guter Zuversicht bin, dass der, der ein gutes Werk in euch angefangen hat, es vollenden wird bis auf den Tag Jesu Christi;“ „(1:10) damit ihr prüfen mögt, was das Vorzüglichere ist, damit ihr lauter und ohne Anstoß seid auf den Tag Christi,“ „(2:16) darstellend das Wort des Lebens, mir zum Ruhm auf den Tag Christi, dass ich nicht vergeblich gelaufen bin noch auch vergeblich gearbeitet habe.“). In 2. Thessalonicher 2,2 „dass ihr euch nicht schnell in der Gesinnung erschüttern noch erschrecken lasst, weder durch Geist noch durch Wort, noch durch Brief, als durch uns, als ob der Tag des Herrn da wäre.“ passt deshalb nur der Ausdruck „Tag des Herrn“.

In 1. Timotheus 3,16 „Und anerkannt groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Er, der offenbart worden ist im Fleisch, ist gerechtfertigt im Geist, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit.“ lesen die meisten alten Handschriften: „Er, der offenbart worden ist im Fleisch, ist gerechtfertigt im Geist …“, die meisten jüngeren Handschriften lesen jedoch: „Gott ist offenbart worden im Fleisch, gerechtfertigt im Geist …“ Dieser Vers ist zu einem wahren Schlachtfeld unterschiedlicher Meinungen über Textkritik geworden, indem solche, die die Lesart ohne das Wort „Gott“ für ursprünglich halten, nicht selten übelster Irrlehre bezichtigt werden. Beim näheren Hinsehen erweist sich eine Auseinandersetzung aber als wenig begründet. Dieser Vers handelt gar nicht vom Geheimnis der Gottheit, sondern vom „Geheimnis der Gottseligkeit“; hier soll gar keine Aussage über das Wesen des Sohnes Gottes an sich gemacht werden. (Solche Wahrheiten stehen an anderen Stellen, zum  Beispiel in Johannes 1,14 „Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns (und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater) voller Gnade und Wahrheit.“.) Die eigentliche Frage ist, ob das Wort „Gott“ in 1. Timotheus 3,16 „Und anerkannt groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Er, der offenbart worden ist im Fleisch, ist gerechtfertigt im Geist, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit.“ tatsächlich das ausdrückt, was an dieser Stelle gesagt werden soll. Im Zusammenhang der Stelle geht es gar nicht darum, ob er, der offenbart worden ist, Gott ist (obwohl das an sich sicherlich wahr ist), sondern es soll gesagt werden, dass eine Person im Fleisch offenbart worden ist, die auch diese übrigen Dinge („gerechtfertigt im Geist usw.“) in wunderbarer Weise in sich vereint. Wer anders als der Sohn Gottes könnte hier gemeint sein?

Ein Ausleger schreibt im Blick auf die Lesarten in 1. Timotheus 3,16:

Wenn man die besser bezeugte Lesart abwägend betrachtet, wird man bald zu der freudigen Entdeckung kommen, dass die Verwendung des Relativpronomens in diesem Zusammenhang viel genauer ist, während sie dieselbe Wahrheit (wie die Verwendung des Wortes ,Gott‘) voraussetzt. Welchen Sinn hätte es denn zu sagen, dass Adam oder Abraham, David, Jesaja, Daniel oder irgendein anderer Mensch im Fleisch offenbart wurde? Wenn ein Engel sich so offenbarte, dann wäre es Empörung gegen die göttliche Ordnung. Für den Menschen als solchen gibt es keinen anderen Weg als das Fleisch; der Mächtigste und Weiseste, der begabteste Redner, Dichter, Soldat oder Politiker ist ebenso wie der geringste von Frauen Geborene nur Fleisch. Nicht so jedoch der eine Mittler zwischen Gott und Menschen. Er ließ sich zwar herab, Mensch zu werden, aber Er war wesensmäßig und ewig Gott.[9]

Der Unterschied der beiden Lesarten in 1. Timotheus 3,16 „Und anerkannt groß ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Er, der offenbart worden ist im Fleisch, ist gerechtfertigt im Geist, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit.“ konnte übrigens sehr leicht entstehen, weil die alten Handschriften normalerweise Abkürzungen verwendeten und dann unterscheidet sich die Abkürzung für „Gott“ und das Wort „er, der“ nur um einen kleinen Strich. Es muss hier also noch nicht einmal eine absichtliche Änderung vorliegen.

In 2. Timotheus 2,19 „Doch der feste Grund Gottes steht und hat dieses Siegel: Der Herr kennt die sein sind; und: Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!“ steht: „Jeder, der den Namen des Herrn nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit!“ Der Textus Receptus liest jedoch nicht „den Namen des Herrn“, sondern „den Namen Christi“. Die Verantwortlichkeit eines Dieners – und um die geht es hier – wird viel genauer durch „Herr“ ausgedrückt, als durch „Christus“. Die Lesart „Christi“ ist außerdem äußerst schlecht bezeugt – auch der Mehrheitstext liest „Herr“.

In 2. Timotheus 4,1 „Ich bezeuge ernstlich vor Gott und Christus Jesus, der richten wird Lebende und Tote, und bei seiner Erscheinung und seinem Reich:“ lesen die ältesten Handschriften: „Ich bezeuge ernstlich vor Gott und Christus Jesus, der da richten wird Lebendige und Tote, und bei seiner Erscheinung und seinem Reich …“ Der Textus Receptus macht die Erscheinung und das Reich jedoch nicht zu einem Teil der feierlichen Bezeugung von Paulus, sondern liest „der da richten wird Lebendige und Tote bei (o. während) seiner Erscheinung und seinem Reich“. Der Textus Receptus ist wahrscheinlich ein Versuch, die lange Satzkonstruktion zu glätten. Dabei ist – wie so oft, wenn der Mensch Gottes Wort „verbessern“ will – eine unrichtige Lehre in den Text der Heiligen Schrift eingedrungen, denn „Tote“ wird Jesus Christus nicht bei Seiner Erscheinung richten, sondern erst vor dem großen weißen Thron (siehe Off 19).

In Hebräer 7,17 „Denn ihm wird bezeugt: „ Du bist Priester in Ewigkeit nach der Ordnung Melchisedeks.““ steht in den alten Handschriften: „Denn ihm wird bezeugt: ,Du bist Priester in Ewigkeit.‘“ Der Textus Receptus liest jedoch: „Denn er bezeugt: ,Du bist Priester in Ewigkeit.‘“ Der Textus Receptus verflacht hierbei diese Stelle merklich: Er sagt nicht mehr aus, dass die Aussage aus Psalm 110 gerade „ihm“ (d.h. dem Herrn Jesus) und keinem anderen bezeugt wird.

In Jakobus 2,18 „Aber es wird jemand sagen: Du hast Glauben, und ich habe Werke; zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, und ich werde dir meinen Glauben aus meinen Werken zeigen.“ lesen die alten Handschriften: „Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, und ich werde dir meinen Glauben aus meinen Werken zeigen.“ Der Textus Receptus liest hingegen: „Zeige mir deinen Glauben aus deinen Werken, und ich werde dir meinen Glauben aus meinen Werken zeigen.“ Der Textus Receptus zerstört den feinen Sinn dieser Stelle: Der Nachsatz von Vers 18 wird zu einer sinnlosen und überflüssigen Wiederholung. Es soll aber betont werden, dass der von Jakobus Angesprochene nicht überzeugend handelt: Er meint, man könne seinen Glauben auch ohne Werke sehen. Jakobus sagt darauf mit anderen Worten: Das ist unmöglich, denn wie soll man die Behauptung prüfen können, wenn man keine Werke sehen kann? Ich hingegen behaupte nicht nur meinen Glauben (der ohne die zugehörigen Werke nur leere Behauptung bleibt), sondern kann ihn durch die Werke auch zeigen, das heißt belegen. Hier liegt wieder der für Jakobus so typische Unterschied zwischen reden und tun vor.

Jakobus 4,12 „Einer ist der Gesetzgeber und Richter, der zu erretten und zu verderben vermag. Du aber, wer bist du, der du den Nächsten richtest?“ sagt von Gott, er sei „der Gesetzgeber und Richter“. Der Textus Receptus lässt jedoch die Worte „und Richter“ weg. Die kürzere Lesart des Textus Receptus verflacht den Sinn, denn im ganzen Zusammenhang des Verses soll betont werden, dass alles von Gott ausgeht, sowohl die Gabe des Gesetzes, als auch das Gericht nach diesem Gesetz.

In 1. Petrus 2,2 „und wie neugeborene Kinder seid begierig nach der vernünftigen, unverfälschten Milch, damit ihr durch diese wachst zur Errettung,“ wünscht der Schreiber seinen Lesern, dass sie nach der unverfälschten Milch von Gottes Wort begierig sein sollten und fügt hinzu: „damit ihr durch diese wachst zur Errettung“. Die beiden Worte „zur Errettung“ fehlen jedoch in den späteren Handschriften und dem Textus Receptus. Es ist auch sehr leicht verständlich, warum man diese Worte fortgelassen hat, denn „Errettung“ wurde und wird oftmals (fälschlicherweise) nur als einzelnes Ereignis in der Vergangenheit des Gläubigen verstanden[10], so dass man leicht an der Formulierung „wachsen zur Errettung“ Anstoß nehmen konnte und kann. In Wirklichkeit kennt die Bibel auch die Sicht, dass unsere Errettung noch nicht erfolgt ist, sondern erst in der Zukunft abgeschlossen wird, wenn der völlige Sieg bei der Offenbarung Christi sichtbar wird. In diesem Sinn kann man zur Errettung „wachsen“. In den Schriften von Petrus ist diese Sicht von „Errettung“ die übliche (vgl. z.B. 1Pet 1,5.9; 4,18 (1:5) die ihr durch Gottes Macht durch Glauben bewahrt werdet zur Errettung, die bereit ist, in der letzten Zeit offenbart zu werden;“ „(1:9) indem ihr das Ende eures Glaubens, die Errettung der Seelen, davontragt –“ „(4:18) Und wenn der Gerechte mit Not errettet wird, wo will der Gottlose und Sünder erscheinen?“; 2Pet 3,15 „Und erachtet die Langmut unseres Herrn für Errettung, so wie auch unser geliebter Bruder Paulus nach der ihm gegebenen Weisheit euch geschrieben hat,“) und daher auch in 1. Petrus 2,2 „und wie neugeborene Kinder seid begierig nach der vernünftigen, unverfälschten Milch, damit ihr durch diese wachst zur Errettung,“ sehr passend. Wieder einmal erweist sich eine vermeintliche Ungenauigkeit in Wirklichkeit als eine präzise und genaue Ausdrucksweise, wie man sie in der Schrift gewohnt ist. Einmal mehr erweist sich der Geist Gottes weiser als der Verstand des Menschen.

In 1. Petrus 3,15 „sondern heiligt Christus, den Herrn, in euren Herzen. Seid jederzeit bereit zur Verantwortung gegen jeden, der Rechenschaft von euch fordert über die Hoffnung, die in euch ist,“ steht die Aufforderung: „Heiligt Christus, den Herrn, in euren Herzen.“ Dieser Vers ist eine Anspielung auf Jesaja 8,12-13 (12) Ihr sollt nicht alles Verschwörung nennen, was dieses Volk Verschwörung nennt; und fürchtet nicht ihre Furcht und erschreckt nicht davor. (13) Den HERRN der Heerscharen, den sollt ihr heiligen; und er sei eure Furcht, und er sei euer Schrecken.“; dort soll „Jahwe der Heerscharen“ in den Herzen geheiligt werden, was in der Parallelstelle in 1. Petrus 3 leicht zur Änderung von „Christus“ in „Gott“ führen konnte. So liest dann auch der Textus Receptus: „Heiligt Gott, den Herrn, in euren Herzen.“ Leider wird so durch den Textus Receptus der Bezug von Jesus Christus als Jahwe der Heerscharen im Alten Bund getrübt.

In 1. Petrus 3,21 „welches Gegenbild auch euch jetzt errettet, das ist die Taufe (nicht ein Ablegen der Unreinheit des Fleisches, sondern das Begehren eines guten Gewissens vor Gott), durch die Auferstehung Jesu Christi,“ steht: „Welches Gegenbild auch euch jetzt errettet, das ist die Taufe.“ Der Textus Receptus liest aber nicht „euch“, sondern „uns“. Hier geht es jedoch um die christliche Wassertaufe, die der Apostel Petrus nicht erlebt hat (er war nur vom Täufer Johannes getauft worden), deshalb ist das Pronomen „euch“ passender als „uns“.

In 1. Johannes 2,7 „Geliebte, nicht ein neues Gebot schreibe ich euch, sondern ein altes Gebot, das ihr von Anfang an hattet. Das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt.“ redet der Schreiber die Leser in den ältesten Handschriften mit „Geliebte“ an, im Textus Receptus benutzte er die Anrede „Brüder“. Der ganze Zusammenhang macht jedoch deutlich, wie viel passender die Anrede „Geliebte“ ist. Ein Ausleger schreibt treffend:

Aber der Apostel ist noch nicht so weit gekommen, die Anrede „Brüder“ zu benutzen. „Brüder“ sagt er etwas später, in 1. Johannes 3,13 „Wundert euch nicht, Brüder, wenn die Welt euch hasst.“, übrigens das einzige Mal als Anrede in diesem Brief. Jetzt beschäftigen ihn nicht in erster Linie unsere gegenseitigen Beziehungen, sondern die Liebe ist zunächst der Gegenstand, über den er schreiben möchte. Seine Anrede steht damit in trefflicher Übereinstimmung. „Kinder“ und „Geliebte“ sind seine üblichen Worte und auch hier ist die richtige Lesart „Geliebte“.[11]

In 3. Johannes 5 „Geliebter, treu tust du, was irgend du an den Brüdern, und zwar an fremden, tust“ wird der Briefempfänger Gajus mit den Worten gelobt „getreulich tust du, was irgend du an den Brüdern, und zwar an fremden, tust“. Der Textus Receptus und der Mehrheitstext lesen jedoch nicht „an den Brüdern, und zwar an fremden“, sondern „an den Brüdern und an den Fremden“. Der Textus Receptus unterscheidet also zwei Gruppen: (1) Brüder, (2) Fremde. Diese Lesart beschneidet den Sinn, denn der Zusammenhang des Briefes macht klar, dass es sich bei denen, die Gajus aufnahm, nur um Gläubige handeln konnte. Denn nur von Gläubigen kann gesagt werden „Zeugnis ablegen vor der Versammlung“, „für den Namen (d.h. den Namen des Herrn Jesus) ausgehen“ und „nichts von denen aus den Nationen nehmen“ (3Joh 6.7). Wäre die Lesart des Textus Receptus richtig, dann würde der inspirierte Schreiber Johannes „Brüder“ und „Fremde“ unterscheiden – als ob die Fremden dann keine Brüder wären! Gemeint ist vielmehr: Brüder, und zwar nicht solche, die du kennst, sondern fremde.

In Offenbarung 1,2 „der bezeugt hat das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi, alles, was er sah.“ lesen die Handschriften fast ausnahmslos so, dass Johannes „das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi, alles, was er sah“ bezeugt. Eine andere Lesart fügt jedoch am Schluss ein „und“ ein und sagt nun, dass Johannes bezeugt habe „das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi und alles, was er sah“. Diese längere Lesart ist für den Sinn störend. Denn hierdurch würde angedeutet, dass das, was Johannes bezeugte, nicht mit dem Wort Gottes und dem Zeugnis Jesu Christi identisch ist, sondern eine weitere Kategorie bildet. Johannes möchte dagegen offenbar sagen, dass ihm durch das, was er in den Visionen der Offenbarung sah, das Zeugnis Jesu Christi offenbart worden ist. Gerade dadurch erhalten seine Worte eine besondere Autorität.

In Offenbarung 5,14 „Und die vier lebendigen Wesen sprachen: Amen! Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.“ lesen die Handschriften: „Und die Ältesten fielen nieder und beteten an.“ Der Textus Receptus ergänzt diesen Text am Schluss mit den Worten „… und beteten (den) an, (der) da lebt in alle Ewigkeit“. Aber die Lesart des TR kann nicht ursprünglich sein, denn

  • sie fehlt in allen (!) griechischen Handschriften vor dem 16. Jahrhundert;
  • sie ist fehlerhaftes Griechisch, weil der Artikel vor „da lebt“ fehlt;
  • sie nimmt von dem Sinn weg, denn nach Vers 13 gilt die Anbetung dem Vater und dem Sohn, nach der Hinzufügung des TR aber nur dem Vater.

Die Zufügung geht zweifellos auf Erasmus von Rotterdam zurück, der es oberflächlich aus dem Lateinischen (wo es keinen Artikel gibt) ins Griechische zurückübersetzte.

In Offenbarung 6,1 „Und ich sah, als das Lamm eins von den sieben Siegeln öffnete: Und ich hörte eins von den vier lebendigen Wesen wie eine Donnerstimme sagen: Komm!“ lesen die älteren Handschriften: „Und ich hörte eines von den vier lebendigen Wesen wie eine Donnerstimme sagen: Komm!“ Viele jüngere Handschriften lesen dort jedoch nicht nur „Komm!“, sondern „Komm und sieh!“, womit dann Johannes angesprochen wäre. Aber die vier lebendigen Wesen sprechen in der Offenbarung nie mit dem Seher Johannes selbst; wie in Offenbarung 15,7 „Und eins von den vier lebendigen Wesen gab den sieben Engeln sieben goldene Schalen, voll des Grimmes Gottes, der da lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ sind sie aber diejenigen, die Gerichte eröffnen. Daher gilt die Aufforderung „Komm!“ nicht dem Seher Johannes, sondern den jeweiligen Reiter auf den Pferden. Dasselbe ist in Offenbarung 6,3.5 und 7 „Und als es das zweite Siegel öffnete, hörte ich das zweite lebendige Wesen sagen: Komm!“ „Und als es das dritte Siegel öffnete, hörte ich das dritte lebendige Wesen sagen: Komm! Und ich sah: Und siehe, ein schwarzes Pferd, und der, der darauf saß, hatte eine Waage in seiner Hand.“ „Und als es das vierte Siegel öffnete, hörte ich die Stimme des vierten lebendigen Wesens sagen: Komm!“ der Fall. Die spezielle griechische Form des Wortes für „und sieh“ unterscheidet sich übrigens von dem Wort im Mehrheitstext. Der Textus Receptus findet sich exakt so, wie er dort steht, in keiner einzigen Handschrift; es ist wieder eine Rückübersetzung von Erasmus aus dem lateinischen Text.

In Offenbarung 11,17 „und sprachen: Wir danken dir, Herr, Gott, Allmächtiger, der da ist und der da war, dass du deine große Macht angenommen und die Herrschaft angetreten hast!“ erweitert der Textus Receptus den gewöhnlichen Text der meisten älteren Handschriften („der da ist und der da war“) mit dem Zusatz „und der da kommt“. Es lag zwar nahe, diese Worte in Anlehnung an Offenbarung 1,4.8; 4,8 (1:4) Johannes den sieben Versammlungen, die in Asien sind: Gnade euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron sind,“ „(1:8) Ich bin das Alpha und das Omega, spricht der Herr, Gott, der da ist und der da war und der da kommt, der Allmächtige.“ „(4:8) Und die vier lebendigen Wesen – jedes von ihnen hatte je sechs Flügel – sind ringsum und innen voller Augen, und sie hören Tag und Nacht nicht auf zu sagen: Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott, Allmächtiger, der da war und der da ist und der da kommt!“ auch hier zu ergänzen, aber „der da kommt“ macht im Kontext von Offenbarung 11,17 „und sprachen: Wir danken dir, Herr, Gott, Allmächtiger, der da ist und der da war, dass du deine große Macht angenommen und die Herrschaft angetreten hast!“ keinen Sinn, weil der Herr hier als schon gekommen betrachtet wird.

In Offenbarung 15,3 „Und sie singen das Lied Moses, des Knechtes Gottes, und das Lied des Lammes und sagen: Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, Gott, Allmächtiger, gerecht und wahrhaftig deine Wege, o König der Nationen!“ lesen die alten und jungen Handschriften: „o König der Nationen!“, der Textus Receptus jedoch: „o König der Heiligen!“ Diese Lesart des Textus Receptus ist in griechischen Handschriften nicht nachweisbar. Auch hier liegt eine Neuschöpfung von Erasmus von Rotterdam vor. Theologisch gesehen muss die Lesart „König der Heiligen“ ebenfalls verworfen werden, was ein Ausleger folgendermaßen erklärt: „Die Bezeichnung ,König der Heiligen‘ ist sehr unschriftgemäß. Es ist ein sehr bedeutsamer Fehler, denn die übliche Vorstellung der Beziehung eines Königs zu seinem Volk ist die von Abstand und abgestuften Rängen, bei denen jeder seinen Platz in gewisser Nähe oder gewissem Abstand vom König hat; folglich gäbe es auch alle möglichen Formen von Unterschieden zwischen den Heiligen selbst. Aber das ist in der Kirche Gottes nicht der Fall, denn auch der geringste Christ ist nicht weniger ein Glied am Leib Christi als der größte. Die Tatsache der Gliedschaft am Leib setzt alle diese Fragen von relativen und verschiedenen Abständen beiseite. Im Reich gibt es diese Unterschiede sehr wohl.“[12]

In Offenbarung 21,10 „Und er führte mich im Geist weg auf einen großen und hohen Berg und zeigte mir die heilige Stadt, Jerusalem, herabkommend aus dem Himmel von Gott;“ lesen die alten Handschriften: „die heilige Stadt, Jerusalem“; der Textus Receptus liest: „die große Stadt, das heilige Jerusalem“. Der Engel zeigte dem Seher Johannes sowohl die Braut des Lammes (Off 21), als auch die große Hure (Off 17), die in auffallendem Gegensatz zueinander stehen. Aber nur die „Hure“ in Offenbarung 17 wird die „große Stadt“ genannt (Off 17,18; 18,10.16.18-19.21 (17:18) Und die Frau, die du sahst, ist die große Stadt, die das Königtum hat über die Könige der Erde.“ „(18:10) und sie werden von fern stehen aus Furcht vor ihrer Qual und sagen: Wehe, wehe! Die große Stadt, Babylon, die starke Stadt! Denn in einer Stunde ist dein Gericht gekommen.“ „(18:16) und werden sagen: Wehe, wehe! Die große Stadt, die bekleidet war mit feiner Leinwand und Purpur und Scharlach und übergoldet mit Gold und Edelgestein und Perlen!“ „(18:18) und riefen, als sie den Rauch ihres Brandes sahen, und sprachen: Welche Stadt ist gleich der großen Stadt? (18:19) Und sie warfen Staub auf ihre Häupter und riefen weinend und trauernd und sprachen: Wehe, wehe! Die große Stadt, in der alle, die ihre Schiffe auf dem Meer hatten, reich wurden von ihrer Kostbarkeit! Denn in einer Stunde ist sie verwüstet worden.“ „(18:21) Und ein starker Engel hob einen Stein auf wie einen großen Mühlstein und warf ihn ins Meer und sprach: So wird Babylon, die große Stadt, mit Wucht niedergeworfen werden und nie mehr gefunden werden.“ vgl. auch Off 16,19 „Und die große Stadt wurde in drei Teile geteilt, und die Städte der Nationen fielen, und Babylon, die große, kam ins Gedächtnis vor Gott, dass ihr der Kelch des Weines des Grimmes seines Zornes gegeben werde.“), die wahre Braut ist die „heilige Stadt“ (Off 21,2; 22,19).

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Anmerkungen

[1] W. Kelly: Exposition of Mark, Seite 156.

[2] Die Lesart „Joseph und seine Mutter“ ist auch in den Textus Receptus eingedrungen. Verteidiger dieser Textfassung sagen dann manchmal, dass die Lesart „seine Eltern“ unehrerbietig sei. Diese Begründung ist jedoch für den Textus Receptus nicht stichhaltig, da genau derselbe Ausdruck („seine Eltern“) zwei Verse vorher (Lk 2,41 „Und seine Eltern gingen alljährlich am Passahfest nach Jerusalem.“) Verwendung findet.

[3] W. Kelly in Bible Treasury, Bd, 13, S. 302–302.

[4] Der Vorwurf, der Herr habe mit den Worten „Ich gehe nicht zu diesem Fest“ die Unwahrheit gesagt, ist ein häufiger Vorwurf, den die Verteidiger des Textus Receptus oft gegen andere Textforscher erheben. Dabei ist ihnen wohl nur selten bewusst, dass sie hierbei in dasselbe Horn stoßen wie der Christenfeind und neuplatonische Philosoph Porphyrios im 3. Jahrhundert. Auch er warf dem Herrn vor, in Johannes 7,8 „Geht ihr hinauf zu dem Fest; ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest; denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt.“ eine Unwahrheit ausgesprochen zu haben. Der Hinweis auf Porphyrios ist auch deshalb bemerkenswert, weil klarwird, dass man zu seiner Zeit die Lesart mit dem eingefügten „noch“ noch nicht kannte – sonst hätte der Vorwurf von Porphyrios ja keinen Sinn gehabt. Die Lesart des Textus Receptus ist also nicht ursprünglich. Es ist andererseits verständlicher, dass man ein „noch“ in Johannes 7,8 „Geht ihr hinauf zu dem Fest; ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest; denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt.“ einfügte, um Kritikern wie Porphyrus den Wind aus den Segeln zu nehmen.

[5] Der Textforscher Tischendorf sagt, dass diese Lesart in kaum einer Minuskel zu finden sei; aber die Tatsache, dass er keine einzige nennt, spricht sogar dafür, dass er gar keine entsprechende Handschrift nennen konnte. Vermutlich handelt es sich auch hier um eine Stelle, wo Erasmus aus dem lateinischen Text ins Griechische zurückübersetzt hat, denn die Vulgata übersetzt hier „zuvor gepredigt“.

[6] W. Kelly, Lectures on the Church of God.

[7] Diese Lesart bietet auch der Textus Receptus. Trotzdem hat die Bibelübersetzung „Schlachter Version 2000“ hier „Auferstehung aus den Toten“, obwohl im Vorwort darauf hingewiesen wird, dass man sich streng nach dem Textus Receptus richte.

[8] Radikale Verfechter des Textus Receptus haben hierauf freilich eine Antwort: Sie erheben den Vorwurf, man habe im Bibeltext aus ketzerischen Gründen einen Hinweis auf das Blut Christi gestrichen. Solche „Verschwörungstheorien“ können nicht erklären, warum
a) dieselben Worte in Epheser 1,7 „in dem wir die Erlösung haben durch sein Blut, die Vergebung der Vergehungen, nach dem Reichtum seiner Gnade,“ dann nicht auch gestrichen worden sind und
b) warum sogar in demselben Kapitel (Kol 1) nur sechs Verse später von dem Frieden durch „das Blut seines Kreuzes“ die Rede ist (Kol 1,20 „und durch ihn alle Dinge mit sich zu versöhnen – indem er Frieden gemacht hat durch das Blut seines Kreuzes –, durch ihn, es seien die Dinge auf der Erde oder die Dinge in den Himmeln.“). Läge eine planmäßige „Säuberung“ des Textes vor, hätte das nicht passieren können.

[9] W. Kelly: Exposition of the Two Epistles to Timothy, 3. Auflage 1948, S. 72–73. Zitiert nach: A. Remmers: Du aber … Eine Auslegung zum ersten und zweiten Timotheusbrief, Hückeswagen 2001, S. 102–103.

[10] Dieser Sinn liegt zum Beispiel in Kolosser 1,13 „der uns errettet hat aus der Gewalt der Finsternis und versetzt hat in das Reich des Sohnes seiner Liebe,“ vor.

[11] W. Kelly: Was von Anfang war. Eine Auslegung der Johannesbriefe, S. 108.

[12] W. Kelly: 1 Chronicles and 2 Chronicles.


Note from the editors:

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