Die Pharisäer-Falle (8)
Matthäus 23,29-31 – Weheruf Nr. 7 und Schlussworte

Stephan Isenberg

© SoundWords, online: 17.09.2003, updated: 05.06.2020

Leitverse: Matthäus 23,29-31

Mt 23,29-31: Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler! Denn ihr baut die Gräber der Propheten und schmückt die Grabmäler der Gerechten und sagt: Wären wir in den Tagen unserer Väter gewesen, so würden wir nicht ihre Teilhaber an dem Blut der Propheten gewesen sein. Also gebt ihr euch selbst Zeugnis, dass ihr Söhne derer seid, die die Propheten ermordet haben.

Der letzte Weheruf zeigt, dass die Pharisäer damit beschäftigt waren, ihren Propheten Denkmäler zu setzen. Sie ehrten die Propheten, beteuerten, dass sie die Propheten niemals umgebracht hätten, und gleichzeitig beratschlagten sie, wie sie den großen Propheten, den Messias selbst, töten könnten. Die Blindheit der Pharisäer war wirklich nicht zu übertreffen. Vielleicht glaubten sie, dass sie, indem sie den Propheten Denkmäler setzten, diesen dadurch irgendwie ähneln würde, indem sie ihr Gedächtnis aufrechterhielten. Vielleicht wollten sie sich aber auch nur von den Sünden der Väter distanzieren, um ihre eigene Gerechtigkeit aufrechtzuerhalten. Wieder legen wir den Spiegel an und wenden diesen Weheruf auf uns an. Was wäre eigentlich, wenn der Herr Jesus inkognito zu uns kommen würde? Ich bin fast sicher, dass wir Ihn aus den gleichen Gründen schlecht behandeln würden wie damals die Pharisäer. Wenn der Herr unseren ganzen Traditionalismus bloßlegt und in unsere theologischen Konstruktionen einmal hineineinbläst, dann – so fürchte ich – wird nicht viel übrigbleiben von dem, was wir uns in unserem Kämmerlein alles ausgedacht haben.

Oder nehmen wir nur mal an, dass unsere Glaubensväter, auf die wir uns so stützen, heute in unsere Gemeinden kämen oder in die Einrichtungen, die nach ihnen benannt sind. Was würde ein Luther heute sagen, was Calvin, Wesley, Spurgeon, Darby, Müller oder Kelly? Wir scheuen uns nicht, Namen großer Glaubensväter zu gebrauchen. Ihre Namen verleihen unserer Sache Würde. Aber was würden sie zu uns und über uns sagen? Wären sie einverstanden mit unseren Denkmälern, die wir ihnen errichtet haben? Aus Bequemlichkeit vergessen wir gern, dass viele dieser Menschen außerordentlich starke Überzeugungen und großen Mut hatten und viele wesentliche Veränderungen herbeigeführt haben. Viele von ihnen waren Einzelkämpfer und vielleicht etwas merkwürdige Typen. Ich kann mir gut vorstellen, wie wir sie als peinlich und störend empfinden würden und dass wir froh wären – wie einst die Pharisäer –, wenn sie diese Erde wieder verlassen würden.

Vom Weheruf zum Weinen

Dieses 23. Kapitel endet nun, und ich will es mit den Worten von Tom Hovestol beenden:

Wie passend, dass Matthäus 23 mit Tränen und nicht mit Spott und Hohn schließt, mit Weinen und nicht mit Schlägen. Wie eine Henne wollte Jesus die Pharisäer um sich sammeln und sie mit seiner Liebe überschütten. Das Einzige, worum Er sie bat, war doch, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein und ihren Mangel und ihre Not zu sehen. Er wollte, dass sie gesunden Glauben anstrebten, nicht religiöses Kranksein, und dass sie Seine Botschaft voll Gnade und Barmherzigkeit annahmen.

Auch wir sollten über unseren Selbstbetrug und unsere Gottlosigkeit weinen. Leider traf dieser Weheruf von Jesus nicht nur auf taube Ohren, sondern auch auf böse Herzen, berichtet Matthäus. Statt Buße zu tun, reagierten die Pharisäer mit Zorn und töteten den Messias.

Wie können wir dieses „Wehe euch“ für uns vermeiden und uns stattdessen unter den Schutz Jesu stellen? Wie vermeiden wir das Pseudo-Wohlbefinden der Religiosität und gelangen zu echter geistlicher Gesundheit? Wie entwickeln wir einen Lebensstil, der das „Und es war sehr gut“ eher „verdient“ als ein „Wehe euch“?

Ich glaube, es fängt mit der Bereitschaft an, Gott und mir selbst gegenüber ehrlich zu werden. Das wiederum setzt voraus, dass wir die Bereiche unserer Seele zur Kenntnis nehmen, die wir eigentlich lieber nicht sehen würden. Wir müssen unsere Heuchelei erkennen, unsere Doppelzüngigkeit, den religiösen K(r)ampf, verkehrte Prioritäten, die Konzentration auf Äußerlichkeiten, die Vernachlässigung unserer Seele, die Vergesslichkeit unserer Geschichte gegenüber und die Kurzsichtigkeit hinsichtlich unseres geistlichen Lebens anerkennen. Wir müssen Buße tun durch demütiges Bekennen (vielleicht unter Tränen). Und wichtiger als alles ist, dass wir uns nicht dazu bringen lassen, eine falsche geistliche Gesundheit anzustreben, die in Wirklichkeit nur äußerst kranken Glauben übertüncht.[1]

Vorheriger Teil

Anmerkungen

[1] T. Hovestol, Die Pharisäer-Falle, Wuppertal (R.Brockhaus) 1999, S. 234.

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