Der Prophet Habakuk (3)
Kapitel 3

Stephan Isenberg

© SoundWords, online: 06.01.2021, updated: 20.12.2021

Der frohlockende Prophet

Zu Beginn dieses Bibelbuches war Habakuk verwirrt, aufgewühlt und bestürzt. Er saß in einem Loch des Jammers fest. Gott schien ihn nicht zu hören. Dann tritt Habakuk aus diesem Loch heraus, steigt auf seine Warte und erlebt, wie Gott sich in einem Gesicht offenbart. Diese Offenbarung lässt ihn letztlich noch höher steigen und auf „Höhen einherschreiten“ (Hab 3,19). Warren W. Wiersbe kommentiert:

Seine Situation hatte sich nicht verändert, aber er hatte sich verändert, und er wandelte nun durch Glauben und nicht durch das, was er vor sich sah. Er lebte durch Verheißungen, nicht durch Erklärungen.[1]

Was waren die Mittel für diese Veränderung?

  • Habakuk war ehrlich vor Gott,
  • er suchte Gott im Gebet,
  • er betete für sein Volk,
  • er suchte Gottes Willen,
  • er fand ein „Ja“ zu Gottes Willen,
  • er dachte nicht nur über Gottes Wort nach, sondern zitterte auch vor diesem Wort.

Wenn diese Dinge auch bei uns gefunden werden, können auch wir den Weg aus der Tiefe zu den Höhen des Glaubens finden.

In diesem Kapitel beugt sich der Prophet vor Gott zum Gebet. Es ist ein „Schigjonot“, ein Lied in bewegten Rhythmen[2]. Habakuk erinnert sich an die früheren Befreiungen, die Gott für sein Volk gewirkt hat. Gleichzeitig erkennt er darin die Garantie für eine zukünftige Befreiung Israels.

Warum sollte er darauf vertrauen, dass Gott zur „bestimmten Zeit“ eingreifen würde? Weil Gott in der Geschichte vielfach auf erstaunliche Weise für sein Volk eingriffen hat! Darum kann er „in dem HERRN frohlocken“ und „jubeln in dem Gott seines Heils“ (Hab 3,18).

Vers 1

Hab 3,1: Gebet Habakuks, des Propheten. Nach Schigjonot.

Es ist sehr bemerkenswert, dass Habakuk nach dem letzten Vers aus Kapitel 2 („Schweige vor ihm, ganze Erde“) nun seine Stimme zum Gebet erhebt. Habakuk betete natürlich auch schon in Kapitel 1, aber hier ist es das Gebet des vertrauensvollen Glaubens. Er musste dazu erkennen, dass Gott in seinem heiligen Palast ist und wir vor der Erhabenheit Gottes unsere Hand auf unseren Mund zu legen haben („Aber der HERR ist in seinem heiligen Palast: Schweige vor ihm, ganze Erde!“; Hab 2,20).

Zum Beten müssen auch wir erst stille werden, es ist die Stille des Kämmerleins: „Du aber, wenn du betest, so geh in deine Kammer, und nachdem du deine Tür geschlossen hast, bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist, und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird es dir vergelten“ (Mt 6,6). Das Schließen der Tür deutet auf dieses Stillewerden hin.

Habakuk scheint immer noch aufgewühlt zu sein (davon sprechen vielleicht die „bewegten Rhythmen“). In Kapitel 1 stellt der Prophet die Frage, warum Gott das Böse zulässt und auf sein Rufen nicht hört. Er bekommt zwar eine Antwort von Gott, aber sie verwirrt den Propheten noch mehr. Noch einmal bringt er eine Klage vor den HERRN. Nach einer gewissen Wartezeit bekommt Habakuk in Kapitel 2 erneut eine Antwort.

Er denkt offensichtlich in der Stille über Gottes Antwort nach und kommt dann in Kapitel 3 endlich zur Ruhe („Ich werde ruhen am Tag der Drangsal“; Hab 3,16); endlich findet er Frieden, endlich kann er sich wieder freuen („Ich aber, ich will in dem HERRN frohlocken, will jubeln in dem Gott meines Heils“; Hab 3,18), endlich findet er Halt und Kraft allein in Gott („Der HERR, der Herr, ist meine Kraft“; Hab 3,19).

Wenn wir mit Gott ehrlich umgehen, Ihm unsere Fragen vorlegen (Kap. 1), auf unsere Warte treten, einen erhöhten Platz einnehmen und Gott zuhören (Kap. 2), dann werden wir auch lernen, vor Ihm still zu sein, um so unseren Mund zum Gebet zu öffnen, ja zu frohlocken und zu jubeln in unserem Gott (Kap. 3).

Das Gebet kann durch das dreifache „Sela“ (Hab 3,3.9.13) unterteilt werden. Ein „Sela“ bringt zum Ausdruck, dass während eines Liedes die Stimmen schweigen, damit man über das Gesungene nachdenkt; es sind nur Instrumente zu hören. Das „Sela“ ist typisch für die Psalmen.

Kapitel 3 kann aber auch in vier Abschnitte verteilt werden. In manchen Bibeln findet man nach bestimmten Versen einen Gedankenstrich; demnach könnte man auch wie folgt einteilen: Verse 1 und 2; Verse 3 bis 15; Verse 16 und 17; Verse 18 und 19.

Vers 2

Hab 3,2: HERR, ich habe deine Kunde vernommen, ich fürchte mich; HERR, belebe dein Werk inmitten der Jahre, inmitten der Jahre mache es kund; im Zorn gedenke des Erbarmens!

Der Prophet beginnt mit den Worten: „Ich habe deine Kunde vernommen.“ Im ersten Kapitel hatten wir noch gelesen: „Du hörst nicht“, und: „Warum schweigst du?“ Inzwischen hat Gott geredet und Habakuk hat verstanden.

Er sagte: „Ich fürchte mich“, er zitterte vor dem Wort Gottes. Er nahm es ungeheuer ernst. Wie ernst nehmen wir noch Gottes Wort? Haben wir schon einmal so einen tiefen Eindruck von der Heiligkeit Gottes bekommen wie Habakuk in Kapitel 2, dass wir anfingen, vor dem Wort zu zittern?

Als Jesaja einen Eindruck von der Heiligkeit Gottes bekam, musste er sagen: „Wehe mir, denn ich bin verloren“ (vgl. Jes 6,3-7). Dabei spreche ich nicht von erhebenden Gefühlen, wenn wir ein Lied wie „Holy, Holy, Holy“ singen. Hast du vielleicht schon einmal gesündigt – vielleicht dachtest du, es wäre eigentlich keine schlimme Angelegenheit – und Gott hat dich durch ein gelesenes Wort, eine Predigt oder einen Vortrag derart mit seiner Heiligkeit konfrontiert, dass du erschrocken niedergesunken bist und tief empfunden hast, wie schlimm deine Sünde in Gottes Augen war? Du hast dich vielleicht ganz elendig gefühlt, dein Geist war zerbrochen, du hast gezittert vor dem Wort. Gott möchte, dass wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden, und dazu ist es manchmal notwendig, dass wir tief empfinden, wie heilig Gott wirklich ist. Jeder, der das schon einmal erlebt hat, kann auch die Freude ermessen, die in den Worten liegt: „Auf diesen will ich blicken: auf den Elenden und den, der zerschlagenen Geistes ist und der da zittert vor meinem Wort“ (Jes 66,2).

Wenn wir einen Eindruck von der Heiligkeit Gottes in unserem Leben bekommen haben, dann beeilt sich Gott, uns seine Barmherzigkeit zu zeigen. Bei Gott sind Heiligkeit und Gnade, Licht und Liebe, Zorn und Barmherzigkeit keine Gegensätze.

Habakuk bezieht sich hier auf das Gesicht, das er in Kapitel 2 gesehen hat. Er ist sehr beunruhigt, er fürchtet sich sogar. Der Prophet hat etwas davon verstanden, was der Schreiber des Hebräerbriefes so ausdrückt: „Es ist furchtbar, in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen!“ (Heb 10,31). Und ebenso: „Unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (Heb 12,29). Er hat das Gericht über den Chaldäer gesehen, der ein Vorausbild für das zukünftige Gericht an den Nationen ist, und er hat im ersten Kapitel das Gericht an dem Volk Israel geschaut. Er hat in einem Gesicht gesehen, wie die Zuchtrute Gottes (der Chaldäer) weit über das Maß hinausgehen und selbst unter das Gericht kommen sollte. Habakuk hat einen Eindruck von der Heiligkeit Gottes bekommen, und das hat ihm Furcht, aber auch Gottesfurcht eingeflößt. Marco Leßmann definiert Gottesfurcht wie folgt:

Gottesfurcht ist die Hochachtung vor der Größe und Autorität Gottes und das tiefe Bewusstsein seiner Heiligkeit verbunden mit dem Wunsch, ein Leben zu führen, das die völlige Zustimmung Gottes findet und seinen Willen und seine Ehre über alles stellt.[3]

Wäre es nur Furcht gewesen, hätte Habakuk kaum Mut gehabt, mit seinem Gebet vor Gott zu kommen. Habakuk wusste sehr wohl, dass Gott langsam zum Zorn und groß an Güte ist. Deshalb konnte er beten: „Im Zorn gedenke des Erbarmens.“ Er tritt im Gebet für andere ein. Ein Prophet ist immer auch ein Fürbitter („im Zorn gedenke des Erbarmens“). Der Ausdruck „Prophet“ kommt zum ersten Mal in 1. Mose 20,7 vor, als Abraham seine Frau Sarah als seine Schwester ausgab und Gott in einem Traum zu Abimelech sprach: „Gib die Frau des Mannes zurück; denn er ist ein Prophet und wird für dich bitten, und du wirst am Leben bleiben.“ Diesem Charakter entsprachen alle Propheten, und wenn heute jemand einen prophetischen Dienst tun möchte, indem er aus der Gegenwart Gottes in die Umstände hineinspricht, dann sollte er auch ein Fürbitter sein. Wenn wir vor den Menschen von Gott reden, dann müssen wir vorher mit Gott über diese Menschen reden.

Habakuk bittet: „Belebe dein Werk inmitten der Jahre.“ Der Anfang der Jahre muss wohl bei dem Auszug aus Ägypten und das Ende der Jahre in der Vollendung des Zeitalters gesucht werden (vgl. Hab 2,3). Demnach befindet sich Habakuk inmitten der Jahre, irgendwo zwischen Anfang und Ende. Er bittet um eine Belebung in seiner Zeit.

Manchmal ist es auch nötig, dass wir uns selbst fragen, ob unser Glaube eigentlich noch wächst oder ob er stillsteht. Wenn Letzteres der Fall ist, müssen wir auch für uns persönlich um eine Belebung beten. Die Thessalonicher waren hier ein großes Vorbild. Von ihnen kann der Apostel Paulus schreiben: „Euer Glaube wächst überaus und die Liebe jedes Einzelnen von euch ist allen zueinander überströmend“ (2Thes 1,3).

Henry A. Ironside kommentiert:

Es ist etwas sehr Bedauerliches, wenn der gegenwärtige Stand eines Christen tiefer ist als zu der Zeit, wo er zur Bekehrung kam. Das war bei den Gläubigen in Ephesus der Fall, als der Herr der Gemeinde dort sagen musste: „Aber ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast“ (Off 2,4). Bei den Gläubigen in Thessalonich war es jedoch anders. Einige Zeit war vergangen, seit sie zur Bekehrung kamen, aber ihr Glaube wuchs, und ihre Liebe nahm immer zu.

Vielleicht müssen wir unsere eigenen Herzen prüfen und uns einige Fragen stellen. Wächst unser Glaube „über die Maßen“? Haben wir heute mehr Vertrauen zu Gott als damals, als wir am Anfang unseres Christenlebens zu Ihm kamen? Haben wir Ihn durch die Jahre erfahren und erprobt, so dass wir wissen, dass wir jetzt mehr und völliger mit Ihm rechnen können als damals, als wir Ihn zuerst erkennen durften? Wenn wir nicht mit „Ja“ antworten können, ist es offensichtlich, dass wir im Glauben zurückgegangen sind. Unser Glaube nimmt ab, und wir haben es nötig, zu Gott umzukehren und zu rufen: „Gib mir wieder die Freude an deinem Heil!“ (Ps 51,14). Sprüche 4,18 sagt uns: „Aber der Pfad des Gerechten ist wie der Glanz des Morgenlichts, das immer heller leuchtet bis zum vollen Tag.“ Deshalb sollten wir, die wir den Herrn seit Jahren kennen, stärker im Glauben sein als je zuvor. Unsere Liebe sollte jeden Tag weiter zunehmen.[4]

Es ist gut, um Belebung zu beten. Der Apostel Paulus sagt: „Wache auf, der du schläfst“ (Eph 5,14). Eine echte Belebung kann nur durch den Heiligen Geist geschehen. So heißt es auch in der Folge von Epheser 5 weiter: „Werdet mit dem Geist erfüllt“ (Eph 5,18); „Der Geist aber macht lebendig“ (2Kor 3,6[5]).

Mit der Bekehrung und dem Einzug des Friedens in unsere Seele werden wir mit dem Heiligen Geist versiegelt (Eph 1,13; Röm 8,16). Dennoch reicht es nicht aus, nur mit dem Geist versiegelt zu sein, sondern wir müssen auch mit dem Heiligen Geist erfüllt sein. Wir können den Geist nämlich auch betrüben und dafür sorgen, dass Er nahezu ausgelöscht wird, so dass Er keine Möglichkeit bekommt, etwas Lebendiges in uns hervorzubringen (vgl. Eph 4,30; 1Thes 5,19). Wenn wir mit dem Geist erfüllt sind, dann reden wir nicht so viel von dem Heiligen Geist, sondern von dem Herrn Jesus. Denn die große Aufgabe des Heiligen Geistes ist, den Herrn Jesus zu verherrlichen: „Er [der Heilige Geist] wird mich verherrlichen, denn von dem Meinen wird er empfangen und euch verkündigen“ (Joh 16,14); „Wenn aber der Sachwalter gekommen ist, den ich euch von dem Vater senden werde, der Geist der Wahrheit, der von dem Vater ausgeht, so wird er von mir zeugen“ (Joh 15,26).

Wenn wir mit dem Heiligen Geist erfüllt sind, dann werden wir die „großen Taten Gottes“ verkündigen (Apg 2,4.11); wir werden freimütig im Namen des Herrn reden (Apg 4,8.31) und den Sohn Gottes verkündigen (Apg 9,17.20). Auch kann eine Erfüllung mit dem Geist zu einer heiligen Entrüstung führen (Apg 13,9) und zu einer tief empfundenen Freude (Apg 13,52). Von einigen lesen wir sogar, dass sie „voll“ Heiligen Geistes waren (vgl. Lk 4,1; Apg 6,3; 7,55; 11,24). Menschen, die mit dem Geist erfüllt sind, warten auf den wiederkommenden Herrn (Off 22,17); sie fragen nicht mehr danach, was ihnen selbst wichtig ist, sondern was dem Herrn wichtig ist. Der Herr Jesus hat die Gemeinde geliebt und sich selbst für sie hingegeben (Eph 5,25). Eine Erfüllung mit dem Geist macht sich dadurch bemerkbar, dass wir das lieben, was der Herr Jesus liebt: seine Gemeinde! Habakuk war ebenfalls davon gekennzeichnet, dass er das Volk Gottes liebte.

Das Volk zur Zeit Habakuks war eingeschlafen, hatte Gott vergessen, rechnete nicht mehr mit Gott. Eine Belebung ist immer dadurch gekennzeichnet, dass sich etwas im Leben einer Person oder eines Volkes verändert. Menschen, die eine Belebung erfahren haben, ob bei der Bekehrung oder lange nach der Bekehrung, sind wohltuend anders. Wenn jemand in der Gemeinde eine Belebung erfährt, kann das nicht verborgen bleiben. Jeder merkt, dass eine belebende Kraft am Werk gewesen sein muss. Jemand, der aufs Neue belebt wurde, fängt an zu fragen:

  • Wie kann ich mehr Gemeinschaft mit Gott haben?
  • Wie kann ich den Herrn Jesus mehr in meinem Leben verherrlichen?
  • Wie kann ich sein Wort besser kennenlernen und es gewissenhafter studieren?
  • Wie kann ich meine Zeit effektiver für den Herrn einsetzen?
  • Wie kann ich mich in seinem Reich gebrauchen lassen?

Jeder Gläubige braucht von Zeit zu Zeit eine Belebung. Viele bekehren sich in ihrer Jugend und sind Feuer und Flamme für den Herrn; dann setzt früher oder später die Gewohnheit ein und alles plätschert so vor sich dahin. Es kommen die sogenannten mittleren Jahre, oft unsere besten Jahre, die Jugend ist vorbei und das Alter noch fern, es ist die Zeit höchster Leistungsfähigkeit. Wir befinden uns „inmitten der Jahre“. Wie wichtig ist dann das Gebet: „Belebe dein Werk inmitten der Jahre“ (Hab 3,2). Zu schnell geht die Zeit dahin, und wir fragen, was wir eigentlich für den Herrn in den besten Jahren unseres Lebens gewesen sind. Es scheint der Gang der Dinge zu sein, dass gerade in diesen besten Jahren ein gewisses Desinteresse für geistliche Dinge einsetzt. Deshalb ist dieses Gebet so wichtig: „Um deines Namens willen, HERR, belebe mich“ (Ps 143,11).

König Josia ist ein warnendes Beispiel. Er tat besonders in seiner Jugend große Dinge für den HERRN (vgl. 2Chr 34.35). Mit acht Jahren wurde er König, mit sechzehn Jahren ging es voran und mit fünfundzwanzig Jahren war er auf dem Höhepunkt seines Eifers für Gott. Dann lesen wir viele Jahre nichts, es folgt eine große Funkstille und wir lesen nur noch, dass Josia mit neununddreißig Jahren stirbt. Was passierte mit ihm „inmitten der Jahre“?

Verse 3-5

Hab 3,3-5: 3 Gott kommt von Teman her und der Heilige vom Gebirge Paran. – Sela. Seine Pracht bedeckt die Himmel, und die Erde ist voll seines Ruhmes. 4 Und es entsteht ein Glanz wie das Licht der Sonne; Strahlen sind zu seinen Seiten, und dort ist die Hülle seiner Macht. 5 Vor ihm her geht die Pest, und die Seuche zieht aus, seinen Füßen nach.  

Eigentlich geht es nur in Habakuk 3,2 um ein Gebet bzw. um eine Bitte. Ab Vers 3 erinnert der Prophet an die großartigen und wundersamen Wege des HERRN mit seinem Volk.

Die Wüste Paran spielt bei der Wüstenreise des Volkes Gottes eine Rolle. Paran liegt auf der Sinai Halbinsel. Von hier aus sandte Mose die Kundschafter aus, damit sie das Land Kanaan erkunden sollten (vgl. 4Mo 13,1.2). Teman liegt im Land Edom. Die Edomiter erlaubten dem Volk Israel die Durchreise zum verheißenen Land nicht; dennoch musste Israel an dem Land Edoms vorbei, um ins verheißene Land zu gelangen. Die Verse 3 und 4 erinnern sehr stark an 5. Mose 33,2: „Er sprach: Der HERR ist vom Sinai gekommen und ist ihnen aufgegangen von Seir; er ist hervorgestrahlt vom Berg Paran und ist gekommen von heiligen Myriaden. Aus seiner Rechten ging Gesetzesfeuer für sie hervor.“

Möglicherweise geht es in diesem Vers auch um eine Prophezeiung für die Zukunft. Denn wenn der HERR wiederkommt („Gott kommt von Teman her“), wird Er auch das Land Edom vernichten. Das finden wir sehr deutlich in dem Propheten Obadja. In diesem kleinen Propheten spielt Teman ebenfalls eine Rolle (vgl. Obad 9). Dann wird die Zeit gekommen sein, dass „die Erde voll seines Ruhmes“ sein wird. Die Herrlichkeit des Herrn Jesus wird hier als „Glanz wie das Licht“ beschrieben. Der Herr Jesus kam auf die Erde in der Hülle seiner Macht. Seine wahre Herrlichkeit ist uns (noch?) verborgen. Als der Herr auf der Erde war, blitzte oder strahlte seine Herrlichkeit immer wieder hervor. Doch bevor diese Herrlichkeit im Tausendjährigen Reich sichtbar werden wird, werden schreckliche Katastrophen und Seuchen dem Kommen des Herrn Jesus in Macht und Herrlichkeit vorangehen.

Die Prophezeiung über den Untergang der Chaldäer, die Habakuk im zweiten Kapitel erhalten hat, lässt ihn an die Anfänge des Volkes Gottes in der Wüste denken. Gott hatte sie auf vielfältige Weise von den Ägyptern, Amalekitern und Amoritern befreit, und so würde Er sein Volk auch von den Chaldäern befreien. Habakuk konnte beruhigt im Vertrauen darauf leben, dass Gott am Ende alles gut machen würde, denn Er hatte es in der Geschichte des Volkes Gottes immer wieder bewiesen. Sein Glaube hatte eine tiefe Grundlage in der Geschichte Gottes mit seinem Volk.

Vers 6

Hab 3,6: Er stand da und machte die Erde schwanken, er schaute und machte die Nationen aufbeben; und es zerbarsten die Berge der Vorzeit, es senkten sich die ewigen Hügel; seine Wege sind die Wege vor alters.

Erst ab Vers 6 geht die Beschreibung in die Vergangenheitsform über. Die Erde hat gewaltige Umwälzungen erlebt, angefangen von der Sintflut und auch den Tagen Pelegs, als „die Erde geteilt wurde“ (1Mo 10,25), wobei wir an die Kontinentalverschiebungen denken können („es zerbarsten die Berge der Vorzeit, es senkten sich die ewigen Hügel“). Ob hier allerdings an diese frühen Ereignisse gedacht wird oder ob hier mehr an die umwälzenden Geschehnisse zu denken sind, die mit dem Vertreiben der Nationen im verheißenen Land einhergingen, ist schwer zu sagen.

Vers 7

Hab 3,7: Unter Trübsal sah ich die Zelte Kuschans, es zitterten die Zeltbehänge des Landes Midian.

Einige Bibelausleger sind der Ansicht, dass Kuschan und Midian in der Nähe des Roten Meeres zu finden ist. Sie hatten von den Ereignissen im Roten Meer gehört und wie der Ägypter geschlagen wurde, und so kam auch bei ihnen Furcht an: „Die Völker hörten es, sie bebten; Angst ergriff die Bewohner Philistäas. Da wurden bestürzt die Fürsten Edoms; die Starken Moabs, sie ergriff Beben; alle Bewohner Kanaans verzagten“ (2Mo 15,14.15; vgl. 5Mo 2,25; Jos 2,8-11).

Vers 8

Hab 3,8: Ist der HERR gegen die Ströme entbrannt? Richtet sich etwa dein Zorn gegen die Ströme, dein Grimm gegen das Meer, dass du einherziehst auf deinen Rossen, deinen Wagen der Rettung?

Bei den „Strömen“ könnte man an den Jordan denken und bei dem „Meer“ an das Schilfmeer. In beiden Fällen hat Gott zugunsten des Volkes Israel mächtig eingriffen. Hätte Gott das Schilfmeer nicht geteilt, wäre Israel verloren gewesen. Vor ihnen war das Meer und hinter ihnen die Heeresmacht des Pharaos und zu ihrer Seite türmten sich hohe Gebirge. Gott spaltete das Schilfmeer und führte das Volk in die Wüste. Es war eine großartige Erlösung. Das Volk konnte ohne Angst und Sorge sein, denn der Feind war besiegt. Ohne die Teilung des Jordan wäre Israel nicht im verheißenen Land angekommen. Gott musste sich erneut als der Wunderbare erweisen. Habakuk hatte verstanden, dass Gott auch in der Zukunft wieder zugunsten seines Volkes eingreifen und jeden Feind vernichten würde.

Ich hörte in einem Vortrag die Auslegung, dass der HERR natürlich nicht gegen die Ströme oder das Meer entbrannt war, sondern gegen das, wovon der Strom und das Meer ein Bild sind. Sowohl der Jordan (der Strom) als auch das Meer (Rote Meer) sind Sinnbilder für den Tod. Wenn Gott nicht auf wunderbare Weise eingegriffen hätte, wären die Israeliten im Roten Meer und im Jordan gestorben (den Jordan nannte man auch den „Todesfluss“, weil er in das Tote Meer mündet). War Gott also gegen die Ströme entbrannt? Nein. Aber Gott würde gegen das sein, wovon der Strom und das Meer ein Bild sind: vom Tod! Der Herr Jesus hat den Tod zunichtegemacht, Er hat ihn besiegt.

Vers 9

Hab 3,9: Entblößt, entblößt ist dein Bogen – Zuchtruten, geschworen durch dein Wort! – Sela.      

Der Bogen des HERRN würde „entblößt“ sein. Er würde über der Schulter hängen, sondern in seiner Hand sein. Gott hat in der Vergangenheit immer wieder für sein Volk gekämpft und Er wird es auch in der Zukunft tun.

Vers 10

Hab 3,10: Zu Strömen spaltest du die Erde. Es sahen dich, es zitterten die Berge; eine Wasserflut fuhr daher, die Tiefe ließ ihre Stimme erschallen, zur Höhe erhob sie ihre Hände.

Diese Verse sind sehr schwer auszulegen. Aber vielleicht denkt Habakuk hier daran, dass Gott über den Naturgewalten steht und auch durch große Wasserfluten reden kann. Gott benutzte diese Sprache mehrfach in der Geschichte des Volkes Gottes. Nicht nur die Sintflut war eine ernste Sprache Gottes, sondern auch die Ereignisse am Schilfmeer und am Jordan.

Vers 11

Hab 3,11: Sonne und Mond traten in ihre Wohnung beim Licht deiner Pfeile, die daherschossen, beim Glanz deines blitzenden Speeres.

Gott greift in die Natur ein. Die Naturgesetze sind nicht alles; über ihnen steht der, der sie geschaffen hat. Es heißt in Kolosser 1,17: „Er [der Herr Jesus] ist vor allen, und alle Dinge bestehen durch ihn“, und in Hebräer 1,3: „Er trägt alle Dinge durch das Wort seiner Macht.“ Möglicherweise spielt Vers 11 auf Josua 10 an, wo die Sonne mitten am Tage stehenblieb. Diese Begebenheit macht deutlich, dass Gott über die Naturgesetze weit erhaben ist. Gott tat große Zeichen, so dass die Sonne und der Mond mitten am Tag stehen blieben:

  • Jos 10,12-14: Damals redete Josua zu dem HERRN, an dem Tag, als der HERR die Amoriter vor den Kindern Israel hingab, und sprach vor den Augen Israels: Sonne, steh still in Gibeon, und du, Mond, im Tal Ajjalon! Und die Sonne stand still, und der Mond blieb stehen, bis die Nation sich an ihren Feinden gerächt hatte. (Ist das nicht geschrieben im Buch Jaschar?) Und die Sonne blieb mitten am Himmel stehen und eilte nicht zum Untergang, ungefähr einen ganzen Tag. Und es war kein Tag wie dieser, vor ihm und nach ihm, dass der HERR auf die Stimme eines Menschen gehört hätte; denn der HERR kämpfte für Israel.

Verse 12-15

Hab 3,12-15: 12 Im Grimm durchschreitest du die Erde, im Zorn stampfst du die Nationen. 13 Du zogst aus zum Heil deines Volkes, zum Heil deines Gesalbten: Du zerschmettertest das Haupt vom Haus des Gottlosen, entblößtest den Grund bis zum Hals. – Sela. Du durchbohrtest mit seinen eigenen Spießen die Häupter seiner Scharen, die heranstürmten, um mich zu zerstreuen, deren Frohlocken war, den Elenden im Verborgenen zu verschlingen. 15 Du betratest das Meer mit deinen Rossen, den Schwall großer Wasser. –

Wenn wir lesen, dass Gott „im Grimm die Erde durchschreitet“, dann kann mit „Erde“ auch das „Land Israel“ gemeint sein. Gott hatte nicht nur die Nationen gezüchtigt, sondern auch das Land Israel. In Vers 13 erfahren wir dann das Ziel Gottes: „Du zogst aus zum Heil deines Volkes.“ Es bleibt nicht bei dem Gericht; Gott schafft Rettung, Er kommt zum Guten (vgl. Heb 12,11). So hat Gott einst auch seinen Gesalbten aus dem Tod errettet, in den Er um unseretwillen hineingekommen war (vgl. Heb 5,7-9).

Vers 16

Hab 3,16: Ich vernahm es, und es zitterte mein Leib; bei der Stimme bebten meine Lippen; Morschheit drang in meine Gebeine, und wo ich stand, erzitterte ich: Ich werde ruhen am Tag der Drangsal, wenn derjenige gegen das Volk heranzieht, der es angreifen wird.

Habakuk überdenkt all diese Regierungswege Gottes und empfindet die Erhabenheit, Majestät und Heiligkeit Gottes am ganzen Körper. Er sieht den Feind heranziehen und kann trotzdem voller Ruhe sein. Warum? Weil Er sich daran erinnert, dass Gott stets für sein Volk gekämpft hat (am Roten Meer, am Jordan, bei Gibeon, als Gott die Sonne stehen ließ usw.). „Wenn Gott für uns ist, wer gegen uns?“ (Röm 8,31).

Gott würde jede Ungerechtigkeit heimsuchen. Habakuk schaute das Gericht Gottes über die Chaldäer, aber er sah noch mehr: Er sah, dass Gott unendlich gerecht sein wird. Wenn Gott auch Gericht üben muss, so geht Er zum einen niemals über das gerechte Maß hinaus, wie die Feinde des Volkes Gottes es stets taten, und auf der anderen Seite verfolgt Gott Absichten zum Segen, wenn Er Gericht ausübt.

Habakuk lernte Gott auf eine Weise kennen, wie auch David seinen Gott kannte. Als David schwer gesündigt hatte, konnte er zwischen drei Formen des Gerichtes wählen; dabei sagte er die bewegenden Worte: „Mir ist sehr angst! Mögen wir doch in die Hand des HERRN fallen, denn seine Erbarmungen sind groß; aber in die Hand der Menschen lass mich nicht fallen!“ (2Sam 24,14). Dieses Wissen um das Erbarmen und die Gerechtigkeit Gottes machten auch Habakuk ruhig („Ich werde ruhen am Tag der Drangsal“).

Der treue jüdische Überrest der Zukunft wird diese Verse sicherlich auch lesen und großen Trost daraus ziehen. Sie werden ebenfalls lernen müssen, was es heißt: „Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben.“ Das musste Habakuk lernen, das müssen wir täglich lernen und das wird der jüdische Überrest in der Zukunft lernen. Sie werden erkennen, dass es die Gerichtswege Gottes sind, die letztlich zum Segen des Tausendjährigen Reiches führen werden.

Wenn sich auch in unserem Leben finstere Wolken befinden und wir mit der züchtigenden Hand Gottes zu tun haben, dann dürfen wir uns daran festhalten, dass Gott unser Vater ist und uns züchtigt und erzieht als seine Kinder, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden. „Jene [unsere Väter] zwar züchtigten uns für wenige Tage nach ihrem Gutdünken, er [Gott unser Vater] aber zum Nutzen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden“ (Heb 12,10). Er hat Absichten zum Segen! Der Bibelausleger Henry A. Ironside kommentiert:

Gott möchte seine Kinder wissen lassen, wenn Er sie durch seine Hand heimsucht. Für Gläubige gibt es keine andere Ursache. Der HERR hatte gesagt: „Der ich … den Frieden mache und das Unglück schaffe – ich, der HERR, bin es, der dies alles wirkt.“ Und Er fragte: „Oder geschieht ein Unglück in der Stadt, und der HERR hätte es nicht bewirkt?“ (Jes 45,7; Amos 3,6). Das Böse ist in beiden Bibelstellen natürlich das Unglück – das Gegenteil eines friedlichen und ruhigen Zustandes. Wenn ich dazu berufen bin, solche Erfahrungen zu durchleben, dann deshalb, weil Gott in meiner Seele ein Bedürfnis nach solchen erzieherischen Maßnahmen gesehen hat. Er möchte nur das Beste für mich. Trifft es mich, dann soll ich darin sein Handeln erkennen und dadurch geübt werden.[6]

Vers 17

Hab 3,17: Denn der Feigenbaum wird nicht blühen, und kein Ertrag wird an den Reben sein; und es trügt die Frucht des Olivenbaumes, und die Getreidefelder tragen keine Speise; aus der Hürde ist verschwunden das Kleinvieh, und kein Rind ist in den Ställen. –

Es muss uns klar sein, dass es in diesem Vers nicht darum geht, dass Israel einfach eine schlechte Ernte eingefahren hat, weil zufällig kein gutes Wetter war. Es war nicht einfach Pech, das sie gehabt haben. Sie waren in diese Not geraten, weil sie das Gesetz Gottes vernachlässigt und verdreht hatten (vgl. Hab 1,4). Die Vernachlässigung des Wortes Gottes wird immer unangenehme Folgen haben. In Hosea 4,6 heißt es: „Mein Volk wird vertilgt aus Mangel an Erkenntnis. Weil du die Erkenntnis verworfen hast, so verwerfe ich dich, dass du mir nicht mehr Priesterdienst ausübst; und du hast das Gesetz deines Gottes vergessen: So werde auch ich deine Kinder vergessen.“ Gott hatte dieses Gericht, diese Züchtigung, bereits lange zuvor angekündigt (vgl. 3Mo 26; 5Mo 28). Israel erntete, was es gesät hatte.

Es geht hier um den Feigenbaum, den Weinstock, den Olivenbaum, die Getreidefelder und um das Rind und das Kleinvieh.

  • Der Feigenbaum spricht von der Gerechtigkeit, dass jeder das bekommt, was ihm zusteht, was er erwarten kann. Der Herr Jesus konnte Frucht erwarten von Israel, das selbst mehrfach mit einem Feigenbaum verglichen wurde (Mk 11,2-23; Lk 13,6-9; Mt 21,19.20; 24,32).
  • Der Weinstock ist ebenfalls ein Bild von Israel (vgl. Jes 5). Gott suchte Frucht an diesem Weinstock, Er wollte Freude haben an dem Volk Israel und Er möchte Frucht an uns sehen (Joh 15). Er möchte, dass unsere Freude völlig werde (Joh 15,11; 1Joh 1,4).
  • Der Olivenbaum (Ölbaum) steht in Römer 11 mit den Vorrechten des Volkes Gottes in Verbindung. Durch den Heiligen Geist können wir der „Fettigkeit des Ölbaumes teilhaftig“ (Röm 11,17) werden.
  • Die Getreidefelder sprechen von der Nahrung und
  • die Rinder und das Kleinvieh von der Anbetung und der Möglichkeit, Gott mit einem Opfer zu nahen.

Gott bekam nicht das, worauf Er einen Anspruch hatte („der Feigenbaum wird nicht blühen“); es gab keine Frucht, nichts, worüber Gott sich hätte freuen können („kein Ertrag wird an den Reben sein“); die Vorrechte als Volk Gottes wurden nicht geschätzt („es trügt die Frucht des Olivenbaumes“); es gab kein Getreide, nichts, was wirklich Nahrung für die Seele hätte sein können („die Getreidefelder tragen keine Speise“); und die Anbetung war ohne Opfertiere unmöglich geworden („verschwunden das Kleinvieh, und kein Rind ist in den Ställen“).

Und bei uns? Wie sieht es bei uns? Bekommt Gott, bekommt der Herr Jesus, bekommen unsere Mitgeschwister das, was ihnen zusteht? Gibt es in deinem Leben etwas zur Freude für Gott? Wird die Frucht des Geistes an dir noch gesehen (vgl. Gal 5,22.23)? Kennst du deine himmlischen Vorrechte noch? Wissen wir etwas von den geistlichen Segnungen in himmlischen Örtern zu erzählen? Wie sieht es mit der geistlichen Speise aus? Gehen wir in die Gemeinde und kommen hungriger heraus, als wir hineingegangen sind? Kennen wir unser Getreide noch, wenn der Herr Jesus uns als das Weizenkorn vorgestellt wird? Wie sieht es mit unseren „Opfern des Lobes“ aus? Kommt aus unserem Mund noch frische Anbetung? Oder leben wir eigentlich nur von christlichen Konserven und Floskeln, die wir seit Jahrzehnten eingeübt haben?

Es ist mehr als interessant, dass die Feigenbäume, Weinstöcke, Olivenbäume und das Getreide zu der Speise des verheißenen Landes gehören (5Mo 8,8.9). Für uns geht es dabei in der Anwendung um die Speise des himmlischen Landes. Gibt es nicht heute auch einen großen Mangel an wahrhaft himmlischer Speise? Wir sind doch sehr erdgebunden und beschäftigen uns nur selten mit den geistlichen Segnungen der himmlischen Örter. Oft wissen wir gar nicht, was wir uns eigentlich unter diesen geistlichen Segnungen vorzustellen haben. Wenn dir nichts dazu einfällt, leidest du bereits an einer deutlichen Mangelerscheinung. Du solltest dir neu klarmachen, dass du ein Bürger des Himmels bist, dass du deine Speise nicht auf der Erde findest, sondern im Himmel. „Sinnt auf das, was droben ist, nicht auf das, was auf der Erde ist“ (Kol 3,2).

Wenn in unserem Leben der Feigenbaum in der Blüte steht, dann heißt das, dass Gott später möglicherweise etwas an uns finden kann, was Er begehrt („Keine Frühfeige, die meine Seele begehrt“; Mich 7,1). Der Herr Jesus hatte einst Frucht an dem Feigenbaum gesucht und keine gefunden (Lk 13,6-9). Er suchte ein Volk, das von Gerechtigkeit und Friedsamkeit gekennzeichnet war. Auch in unserem Leben möchte der Herr die „Frucht der Gerechtigkeit“ finden. So schreibt Paulus an die Philipper: „Damit ihr prüfen mögt, was das Vorzüglichere ist, damit ihr lauter und ohne Anstoß seid auf den Tag Christi, erfüllt mit der Frucht der Gerechtigkeit, die durch Jesus Christus ist, zur Herrlichkeit und zum Preise Gottes“ (Phil 1,10.11). In Hebräer 12 geht es sogar um die „friedsame Frucht der Gerechtigkeit“ (Heb 12,11). Diese Frucht brachte der Herr Jesus in seinem Leben. Er war der wahre Melchisedek, „der erstens übersetzt König der Gerechtigkeit heißt, dann aber auch König von Salem, das ist König des Friedens“ (Heb 7,2). Wollen wir diese Frucht des Feigenbaumes, die Frucht der Gerechtigkeit bringen, dann müssen wir uns von dem einzig Gerechten „nähren“. Er ist die wahre Speise im himmlischen Land.

Wenn es in unserem Leben „Ertrag an der Rebe“ geben soll, dann müssen wir „in ihm bleiben“. Der Herr Jesus sagt: „Bleibt in mir, und ich in euch. Wie die Rebe nicht von sich selbst aus Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt“ (Joh 15,4). Ebenso sagt Er: „Außer mir könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5). Der Herr Jesus ist der wahre Weinstock und jede Freude im himmlischen Land ist abhängig von Ihm. Der Herr Jesus möchte als der wahre Weinstock Frucht für den Weingärtner, für seinen Vater, bringen. Es geht darum, dass der Weinstock zur Freude des Weingärtners ist. Aber nicht nur der Weingärtner, der Vater, soll Freude haben: „Dies habe ich zu euch geredet, damit meine Freude in euch sei und eure Freude völlig werde“ (Joh 15,11). Der Herr Jesus möchte, dass wir in der Gemeinschaft mit Ihm und dem Vater zur völligen Freude geführt werden (1Joh 1,4).

Wenn wir ein Leben in der Kraft des Heiligen Geistes führen, dann wird „die Frucht des Olivenbaumes“ nicht trügen. Das himmlische Land ist ein Land von „ölreichen Olivenbäumen“ (5Mo 8,8). Das Öl ist in der Heiligen Schrift immer wieder ein Bild von dem Heiligen Geist. Der Apostel schreibt an Timotheus, dass in den „späteren Zeiten“ einige vom Glauben abfallen würden. Wie? „Indem sie achten auf betrügerische Geister und Lehren von Dämonen“ (1Tim 4,1). „Es trügt die Frucht des Olivenbaumes“ (Hab 3,17)! Um die Frucht des Geistes (vgl. Gal 5,22.23) hervorzubringen, müssen wir uns mit dem beschäftigen, der diese Früchte – in widrigen Umständen seines Lebens – in vollkommener Weise brachte. Der Herr Jesus war dieser „ölreiche Olivenbaum“, Er war zu jeder Zeit „voll Heiligen Geistes“ (Lk 4,1).

Wenn die Getreidefelder in unserem Leben reichlich Speise bereithalten, dann haben wir beherzigt, was der Apostel Paulus an die Kolosser schreibt: „Lasst das Wort des Christus reichlich in euch wohnen, indem ihr in aller Weisheit euch gegenseitig lehrt und ermahnt mit Psalmen, Lobliedern und geistlichen Liedern, Gott singend in euren Herzen in Gnade“ (Kol 3,16). „Der Mensch lebt nicht von Brot allein, sondern der Mensch lebt von allem, was aus dem Mund des HERRN hervorgeht“ (5Mo 8,3). Wenn wir uns im Land der Verheißung, in den himmlischen Örtern, aufhalten, dann lieben wir das Wort Gottes, dann ernähren wir uns von dem himmlischen Getreide. Der Herr Jesus ist das wahre himmlische Getreide, Er ist das Weizenkorn, das in die Erde gelegt wurde, um zu sterben (Joh 12,24), um auf diese Weise reichlich Frucht zu bringen. Die Getreidefelder zur Zeit Habakuks trugen keine Speise, die Getreidefelder des Herrn bringen hingegen reichlich Frucht. Er ist auch die wahre Gerste, das Brot aus dem Himmel (Joh 6).

Wenn in den Hürden und Ställen unseres Lebens Kleinvieh und Rinder vorhanden sind, dann bringen wir Gott das, was Er sucht: Anbetung (Joh 4,23). In der Zeit Habakuks waren die Hürden und Ställe leer. Es konnten Gott keine Opfer gebracht werden.

Der Schreiber des Hebräerbriefes spricht davon, dass wir „Gott stets ein Opfer des Lobes darbringen“ sollen. Natürlich sollte auch unser Leben ein „heiliges, Gott wohlgefälliges Schlachtopfer“ (Röm 12,1.2) sein, aber Gott möchte auch, dass wir uns in einer Weise mit dem Herrn Jesus beschäftigen, dass unsere Herzen überfließen von Lob, Dank und Anbetung. Es ist die wahre Gemeinschaft mit dem Vater, wenn wir die gleichen Empfindungen über seinen Sohn haben wie Er. Wenn unsere Hürden und Ställe voll sind, haben wir stets etwas über den Herrn zu erzählen.

Vers 18

Hab 3,18: Ich aber, ich will in dem HERRN frohlocken, will jubeln in dem Gott meines Heils.

Habakuk blickt weg von der eigenen Not, er sagt: „Ich aber“. Wenn wir die Wege Gottes von ihrem Ende her beurteilen, dann können uns auch widrige Umstände nicht die Freude „in dem HERRN“ nehmen. Das ist leicht gesagt, aber wenn die Prüfung kommt, ist es eine unglaublich schwere Lektion, die auch Habakuk nur langsam lernte.

Habakuk hatte das Gericht über den Chaldäer geschaut und wusste, dass der Gott seines Heils kommen und sein Volk retten würde. Mögen die Feigenbäume nicht blühen, die Reben keine Frucht bringen, die Früchte der OIivenbäume trügen, die Getreidefelder keine Speise bereithalten und mag auch kein Kleinvieh oder Rind im Stall sein – Habakuk erlaubte diesen widrigen Umständen nicht, sich zwischen ihn und den HERRN zu stellen, sondern er stellte den HERRN zwischen sich und die Umstände. Dieser gerechte Mann hatte nun gelernt, auf Gott zu vertrauen und im Glauben zu leben. Sein Vertrauen gründete sich nun auf eine direkte Offenbarung Gottes. So ist auch unser Vertrauen auf Gott nicht ohne Grundlage, sondern tief gegründet in Gottes Wort.

Der Apostel Paulus konnte aus dem Gefängnis einen Brief der Freude an die Philipper schreiben, er konnte wie Habakuk im Herrn „frohlocken“. Seine Freude war nicht abhängig von den Umständen, in denen er lebte. Er hatte nicht erlaubt, dass sich die Umstände zwischen ihn und den Herrn stellten. Auch er stellte den Herrn zwischen sich und die Umstände. Er konnte die Philipper ermutigen: Freut euch in dem Herrn allezeit! (Phil 4,4). Paulus hatte diese Lektion gelernt.

Vers 19

Hab 3,19: Der HERR, der Herr, ist meine Kraft und macht meine Füße denen der Hirschkühe gleich und lässt mich einherschreiten auf meinen Höhen. Dem Vorsänger. Mit meinem Saitenspiel.

Habakuk spricht von seiner Beziehung zu Gott, mein Heil, meine Rettung, meine Kraft. Der Gott der Chaldäer würde ihre eigene Kraft sein (Hab 1,11), die Kraft von Habakuk lag allein in Gott.

Seine Füße, seinen Wandel, vergleicht er mit der Anmut von Hirschkühen. Sein Wandel war zur Freude des HERRN. Bei allem Niedergang hätte er sich auch in einem Loch verkriechen können, aber weil er durch seinen Glauben lebte, konnte er „einherschreiten auf seinen Höhen“. Mag der allgemeine Weg des christlichen Zeugnisses auch letztlich zum großen Abfall (also bergab) führen (vgl. 2Thes 2; Off 3), so kann der, der auf den Herrn vertraut, auf Höhen „einherschreiten“. Dort ist er Gott näher als in der Ebene.

Auf den Höhen gehen wir unseren Weg als Himmelsbürger, als Menschen, die zwar noch in der Welt leben, aber nicht von ihr sind. Wir sind uns bewusst, dass der Herr uns herausgenommen hat aus der gegenwärtigen bösen Welt (Gal 1,4). Der Herr Jesus war der wahre himmlische Fremdling auf der Erde und „wie der Himmlische, so sind auch die Himmlischen“ (1Kor 15,48).

Das Bibelbuch endet mit dem Worten: „Dem Vorsänger. Mit meinem Saitenspiel“. Der Herr Jesus ist der wahre Vorsänger, Er stimmt den Lobgesang an: „Ich will deinen Namen meinen Brüdern kundtun; inmitten der Versammlung will ich dir lobsingen“ (Heb 2,12). Wenn wir das überdenken, sollte auch in uns jede Saite unseres Herzens angesprochen werden!

Schlussgedanken

Die Botschaft Habakuks ist zu Ende. Wir haben den vertrauten Dialog zwischen Gott und dem Propheten verfolgt. Gläubige zu jeder Zeit können beim Studium dieses kleinen Propheten viel lernen. Die Fragen, die Habakuk im ersten Kapitel gestellt hat, bewegen Gläubige zu allen Zeiten. Warum greift Gott scheinbar nicht ein? Warum lässt Er so viel Ungerechtigkeit zu? Warum hört Er nicht auf unser Gebet? Warum schweigt Gott manchmal? Die Antwort Gottes auf Habakuks Fragen ist ebenso zentral und von großer Bedeutung. Sie ist so wichtig, dass Habakuk diese Antwort auf eine Tafel schreiben sollte, damit man sie geläufig lesen könnte. Es ist keine geheime Antwort, sondern so wichtig, dass keiner, der ernsthaft nach einer Antwort sucht, daran vorbeigehen kann. Die Antwort ist derart zentral, dass sie sogar noch dreimal im Neuen Testament wiederholt wird: „Der Gerechte aber wird durch seinen Glauben leben“ (Hab 2,4).

Ob wir die Antwort Gottes verstehen, hängt allein davon ab, ob wir bereit sind, Gott in seinen Wegen mit dem Menschen zu vertrauen. Der Gerechte würde nicht durch seinen Verstand leben und auch nicht durch seine Gefühle, sondern durch sein unerschütterliches Vertrauen auf Gott. Es ist wohl eine der schwierigsten Lektionen im Leben eines Gläubigen, Gott auch dann zu vertrauen, wenn wir seine Wege mit uns oder dem Menschen im Allgemeinen nicht verstehen. Habakuk lernte diese Lektion durch seine ehrlichen und aufrichtigen Fragen an Gott. Er kam schließlich an den Punkt, dass er beten konnte: „Auch, wenn ich dich, Gott, nicht begreife, so oft deine Wege nicht verstehe, so möchte ich dir doch vertrauen. Du hast dich in der Vergangenheit als absolut vertrauenswürdig erwiesen, deine Wege waren stets weiser und höher als meine Wege, deine Gedanken, sind umso viel höher als meine Gedanken. Ich möchte dir einfach vertrauen. Du sollst mein Heil, meine Rettung, meine Kraft sein. Du bist mein Anker, mein Gott, bei dem ich Ruhe finde.“

Es kommt nicht so sehr auf die Größe unseres Glaubens an, sondern auf den, dem wir vertrauen. Wenn der Gerechte durch seinen Glauben leben soll, dann muss nicht der Glaube an sich möglichst groß sein, sondern das Objekt des Glaubens muss groß sein. Stellen wir uns eine Holzbrücke über dem Wasser vor. Was ist nun wertvoller? Ein starker Glaube daran, dass eine schwache Brücke hält, oder eine starke Brücke und ein schwacher Glaube daran, dass die Brücke hält? Letztlich kommt es auf die Vertrauenswürdigkeit der Brücke an, egal, ob unser Glaube nun groß oder klein ist. Trotz großem Glauben landen wir im Wasser, wenn die Brücke nichts taugt. Deshalb kommt es auch bei uns nicht auf die Größe des Glaubens an, sondern auf unseren großen Gott!

Unser Glaube ist kein blinder Glaube, es ist nicht einfach der Glaube an das scheinbar Unmögliche, sondern wir glauben, weil Gott sich als vertrauenswürdig erwiesen hat, weil Er in der Vergangenheit selbst das Unmögliche möglich gemacht hat (siehe am Schilfmeer, am Jordan, bei Gibeon).

Wenn wir in einen Zug einsteigen, auf dem Hamburg als Zielbahnhof steht, dann steigen wir dort voller Vertrauen ein, dass wir in Hamburg ankommen. Warum? Weil uns die Erfahrung aus der Vergangenheit gelehrt hat, dass wir dieser Angabe vertrauen können.

Habakuk wird von einem fragenden, aufgewühlten, zweifelnden Propheten zu einem glaubenden, vertrauenden Propheten und ist am Schluss ein beruhigter, gekräftigter, frohlockender und jubelnder Prophet.

In den Wirren unserer Zeit kann uns der kleine Prophet Habakuk eine große praktische Hilfe sein.

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Anmerkungen

[1] W.W. Wiersbe, Sei erstaunt, Dillenburg (CV) 2005, S. 143.

[2] Andere Ausleger denken eher daran, dass „Schigjonot“ besser mit „ein Klagelied“ gedeutet werden sollte.

[4] H.A. Ironside, Kapitel 1 aus 2 Thessalonians; http://plymouthbrethren.org/article/5466. Zit. bei R. Ebertshäuser, Der kommende Herr und die Gemeinde. Eine Auslegung des 2. Thessalonicherbriefes, Steffisburg (Nehemia) 2019, S. 36–37.

[5] Vgl. 1. Korinther 15,45: „Der letzte Adam ist ein lebendig machender Geist.“ Römer 8,11: „Er wird eure sterblichen Leiber lebendig machen wegen seines in euch wohnenden Geistes.“ Johannes 6,63: „Der Geist ist es, der lebendig macht; das Fleisch nützt nichts. Die Worte, die ich zu euch geredet habe, sind Geist und sind Leben.“ 1. Petrus 3,18: „Christus [ist] … getötet nach dem Fleisch, aber lebendig gemacht nach dem Geist.“

[6] H.A. Ironside, „Der Prophet Joel“, Einleitung; https://www.soundwords.de/en/a11556.html.

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